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01.06.2010
15:16 Uhr
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Baumeister B5 B6 2010 2010 Baumeister
Baumeister Zeitschrift f체r Architektur 107. Jahrgang Juni 2010
Dichte Packung: Wie die Architektur auf den Klimawandel Lehrr채ume: Hochschulen zwischen Exzellenz und Existenz reagiert
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D 15 EUR A, L 17 EUR CH 23 SFR
Dichte Packung Wie die Architektur mit D채mmung, Recycling, Solartechnik und solider Konstruktion auf den Klimawandel reagiert Dazu: eine Polemik von Hans Kollhoff und ein Gespr채ch mit Boris Palmer
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Ansichten
Den Chinesen gefällt’s Der Architekturzoo auf der Expo 2010 in Shanghai hat diesmal ein Generalthema: Nachhaltigkeit
Sechs 45 Meter hohe Stahl-Glas-Trichter und ein gewaltiges Membrandach überspannen die Eingangsachse der Expo, entworfen von SBA GmbH, Stuttgart, konstruiert von Knippers Helbig, Stuttgart/New York. Links: der Pavillon der Gastgeber in Rot
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4,5 Quadratkilometern Messegelände und 242 Pavillons sind selbst mit einer Monatskarte nicht zu absolvieren. In den chinesischen Pavillon wird schon rein statistisch nur jeder zehnte Besucher Einlass finden können. Doch wer wollte die Expo infrage stellen? Die Chinesen sind begeistert und zelebrieren es stolz und mit Hingabe vom Staatspräsidenten bis zur Putzfrau. 95 Prozent der 70 Millionen erwarteten Besucher kommen aus dem eigenen Land, der Rest ist über das Fernsehen dabei. Aufmerksamkeit ist das höchste Gut auf einer Expo, und um die buhlen die Nationen mehr oder weniger geschickt. Ungeschickt zum Beispiel die Schweiz. Ihr „Pavillon“ sieht aus wie ein schwarzgrauer Flakbunker, dem man dünnen Blümchenchiffon vorgehängt hat (von Buchner Bründler Architekten). Der Sessellift, der über künstliche Almen führt, ist vielleicht für die Graubündener Kantonsausstellung bemessen aber nicht für Zehntausende Besucher. So ist auf einer Expo nicht zu punkten. Den hinreißenden spanischen Auftritt hat Benedetta Tagliabue entworfen. Die Struktur des amorphen Baukörpers besteht aus Stahlrohrfachwerk. Ein Schuppenkleid aus matratzengroßen Weidengeflechtpads schützt den Bau gegen die Sonne. Innen wird in bild- und tonmächtigen Shows Flamenco, Stierkampf und alles Weitere gezeigt, was man so für spanisch halten soll.
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Oben: der Schweizer Pavillon von den Basler Architekten Buchner Bründler, unten: der spanische Pavillon, entworfen von Benedetta Tagliabue (siehe auch Titelbild dieser Ausgabe)
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Oben: eine weiße Doppelhelix für Dänemark von Bjarke Ingels Group. Unten: Auf der bewegten Landschaft aus grauem Kunstgras vor dem britischen Pavillon ruhen sich die Besucher gerne aus.
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Ländermarketing: alles so schön bunt hier Die für den Publikumsstrom nahe liegende Konzeption einer auf und wieder ab führenden Doppelhelix haben die Dänen mit ihrem strahlend weißen Spiralbau sehr direkt umgesetzt (BIG). Im Zentrum sitzt im azurblauen Pool die Kopenhagener Meerjungfrau (das Original!). An den weiteren Inhalten hätte etwas mehr gearbeitet werden müssen. Auch die Engländer wollten wohl das Publikum nicht überfordern. Der vom Künstler Thomas Heatherwick gestaltete Auftritt ist ziemlich frei von Informationen. Auf einer grauen Kunstgraslandschaft schwebt ein igelartiges Objekt aus 60 000 Fiberglasstäben, die sich im Wind bewegen und Licht ins langweilige Innere leiten. Auch bei den Holländern lassen sich die Chinesen zur Pause nieder, auf quietschgrünem Kunstrasen mit Plastikschafen. Architekt John Körmeling setzt auf den Spaßfaktor mit seiner kunterbunten Architekturcollage, die intelligenter ist als es auf den ersten Blick erscheinen mag. Man geht eine spiralförmige Brücke hinauf, die von kleinen Häuschen gesäumt ist, in denen holländische Künstler ihre Werke präsentieren. Straßenorgel und Glockenspiel dürfen nicht fehlen. Abends leuchtet das Ensemble wie eine Achterbahn in Las Vegas. Den Chinesen gefällt’s. Spaß ist auch bei den Deutschen zu haben – aber wie sich’s gehört erst nach getaner Arbeit. Diesmal in der respektablen Architektur von Lennart Wiechell aus dem Münchner Büro Schmidhuber + Partner symbolisiert der Pavillon mit seinen drei schwebenden, austarierten Kuben das Motto „balancity“. Die von Milla und Partner aus Stuttgart konzipierte Schau will zeigen, wie Stadt und Natur, Individuum und Gemeinschaft, Innovation und Tradition ins Gleichgewicht gebracht werden können. Viel Didaktik also, doch scheint man den Nerv der Chinesen getroffen zu haben. Den leichten Einstieg bilden die üblichen Klischees, Bilder bekannter Sehenswürdigkeiten aller Bundesländer. Höhepunkt ist ein kreisrunder, dreigeschossiger Theaterraum für 600 Zuschauer, in dem eine mit 400 000 LEDs besetzte Kugel von drei Metern Durchmesser hängt, über die im Lauf einer siebenminütigen Show Farben, Formen und Bilder huschen. Jens und Yanyan, zwei Animateure, laden das Publikum dazu ein, die Kugel mit „Energie“ aufzuladen, sie reagiert mit Lichtspielen und beginnt zu kreisen und zu pendeln. Nirgendwo auf der EXPO sind die Chinesen in derart hemmungsloser Stimmung zu erleben. Den deutschen Pavillon werden sie in Erinnerung behalten. Ökologie lernen – und Ökologie verkaufen Die Weltausstellung mit ihrem Motto „Better City, Better Life“ ist ein gigantisches Umweltkommunikationsprogramm. Besonders die Deutschen müssen den Chinesen als Umweltschutzlehrmeister vorkommen. So zeigt Hamburg das erste Niedrigenergiehaus Chinas (siehe auch Seite 48). Und selbst „Urban Planet“, der programmatische Themenpavillon der Chinesen, ist eine deutsche Show. Die Berliner Agentur Triad hatte den internationalen Wettbewerb um dessen Konzeption unter 150 Bewerbern für sich entschieden. Der Rundgang führt in eindringlichen und hinreißenden Bilder und Szenarien zunächst die ökologischen Desas-
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ter dieser Welt vor Augen, zeigt Auswege und Lösungsvorschläge für eine bessere Welt und gibt letztlich jedem einzelnen chinesischen Besucher verständliche Verhaltensmaßregeln an die Hand, denn ohne das Umweltbewusstsein des Einzelnen sind alle Anstrengungen der Politik vergebens. Wie immer gibt es die Nationen, die im Architekturzoo Expo den ganz großen Auftritt suchen, und die kleinen Länder, die mit Folklore schlicht Fremdenverkehrswerbung betreiben. Diese Auftritte mögen zuweilen rührend wirken, seltener anregend oder gar faszinierend, doch sie gehören zu den Weltausstellungen seit eineinhalb Jahrhunderten. Dieses Mal ist jedoch mit der nachhaltigen Weltentwicklung tatsächlich ein gemeinsames Anliegen erkennbar. Es wird auch deutlich, dass China die Zeichen der Zeit erkannt hat und die Probleme mit der üblichen Macht und Konsequenz angeht. Das Sortiment eines deutschen Billigkaufhauses kommt schon mehrheitlich aus dem Reich der Mitte. Es wird nur wenige Jahre dauern, dann hat China auch den Weltmarkt an Umwelttechnik erobert. Diese Erkenntnis kann man in Shanghai bis Ende Oktober gewinnen. Aber auch die Hoffnung, dass Länder wie Deutschland auf den Zug aufspringen können, bevor er uns überholt. ● Falk Jaeger
Im deutschen Pavillon von Schmidhuber + Partner gibt es unter anderem Hightech made in Germany und deutsche Rezepte für eine bessere Welt mit Umweltschutz, Architektur und Stadtplanung zu sehen.
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Lernen statt kopieren Hamburg-Haus auf der Expo 2010 in Shanghai Spengler Wiescholek, Dittert & Reumschüssel Das Hamburg-Haus, das die Hansestadt den Chinesen spendiert hat, ist eine Ausnahmeerscheinung auf dem Expo-Gelände. Nicht nur weil es als Passivhaus geplant wurde, sondern auch weil es nach der Ausstellung als Büro- und Wohngebäude bestehen bleiben darf. von Falk Jaeger
Das Gebäude selbst ist Ausstellungsgegenstand: Auf einem „Passivhauspfad“ kann der Besucher durch das Haus wandern und an Bildschirmen mehr zu diesem Prinzip erfahren.
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Hamburg-Haus auf der Expo 2010 in Shanghai
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an mag sich in der Hafenstadt Hamburg mit der Hafenstadt Shanghai schon seit hundert Jahren durch Handel und Wandel verbunden fühlen. Dass die Partnerstadt in Fernost gleich ein ganzes Hamburger Haus bestellt, hat an der Elbe denn doch verwundert. Denn der Hamburger Senat ist eingeladen worden, auf der Expo ein Haus zu bauen. Keinen Ausstellungspavillon, sondern ein fünfgeschossiges Bürogebäude nach allen Regeln der Nachhaltigkeit, das nach Beendigung der Expo bestehen bleiben wird. „Urban best practice“ heißt die Abteilung, in der die Chinesen das Beste zusammentragen wollten, was auf der Welt an Stadtplanung zu bekommen ist. In Hamburg hatten sie ein Auge auf ein Wohn- und Bürohaus geworfen, das die Architekten Spengler Wiescholek in der Hamburger HafenCity errichtet hatten. Davon wünschten sie sich, wie es so ihre Art ist, eine 1:1-Kopie. Es bedurfte einer Menge Überzeugungskraft, um den Expo-Managern klar zu machen, dass es besser wäre, ein Haus zu errichten, das auf die örtlichen Verhältnisse Bezug nimmt, das andere Klima zum Beispiel, die Produktionsmöglichkeiten und das Baumaterial. Zumal das knappe Budget mit 4,2 Millionen Euro den Bau mit heimischen Ressourcen nahe legte. Das Konzept, Wohnen und Arbeiten zu verbinden, ließ sich nur rudimentär verwirklichen, da die Verpachtungsmechanismen sehr unterschiedlich sind. Eine Wohnung konnten die Architekten „retten“, sie dient zunächst zu Ausstellungszwecken. Für die Architekten Spengler Wiescholek sowie Dittert und Reumschüssel war es ein Abenteuer, ihre Architektur chinesischen Bauvorschriften und Baustandards anzupassen. Dem Brandschutz würde man in Deutschland durchaus Hochhausstandard zubilligen. Lokales Material, importiertes Knowhow Gestalterisches und konstruktives Merkmal sind die durch das ganze Haus wandernden kräftig dimensionierten V-Stützen, die hinter den großen Scheiben sichtbar und für die großen Auskragungen durchaus gebraucht werden. Sie prägen die Innenräume, das Foyer, die Treppenhalle. Durch die Rücksprünge und Auskragungen des Baukörpers ergeben sich Terrassen und Loggien und abwechslungsreiche räumliche Durchblicke, wie sie in Bürohäusern dieser Größenordnung selten sind. Eine Überdachung aus Rohrfachwerk trägt die Photovoltaikanlage und verschattet die Dachterrasse. Wie rote Adern ziehen sich die Äste des „Wunschbaums“ durch das Haus. Er ist Teil des deutsch-chinesischen Kunstkonzepts.
Oben: Ein Rohrfachwerk trägt die Photovoltaik und verschattet die Dachterrasse. Rechte Seite: Im subtropischen Shanghai ungewöhnlich – relativ geschlossene Fassaden, Fenster mit Sonnenschutz und keine Klimaanlage.
Als verbindendes Element zwischen Hamburg und Shanghai sahen die Architekten das Baumaterial Ziegel, mit dem sie die Fassade verkleideten. Die Ziegel wurden eigens gebrannt. Das „Legodesign“ erinnert an die Ziegelbodenbeläge, die überall in der Stadt anzutreffen sind. Das Vermauern im Wechsel mit glatten Steinen im wilden Verband klappte nicht durchgängig. Die wechselnden Maurerkolonnen entwickelten unerwartet Initiative und dachten sich neue Muster aus. Ein Haus mit Mission – die Vermittlung von Nachhaltigkeit Wenn die Sonne scheint, wird in Shanghai die Klimaanlage eingeschaltet. Diesen Automatismus galt es zu durchbrechen. Energieeffizienz sollte bei diesem Musterhaus nicht durch hohen technischen Aufwand erreicht werden. Besonnte Fenster sind deshalb minimiert und erhielten außen liegende Schiebeläden, die je nach Sonneneinstrahlung automatisch gesteuert werden. Durch die auskragenden Bauteile wurden größere Fensterflächen nach Norden gewonnen. Ortsunübliche extreme Wärmedämmung, Dreifachverglasung, kontrollierte Lüftung mit Wärmerückgewinnung und Erdwärme/-kälte aus den ohnehin notwendigen Gründungspfählen sorgen für Verbrauchswerte nach Niedrigenergiehausstandard. 450 Quadratmeter Photovoltaik tragen zum Gesamtverbrauchswert von unter 50 kWh/m²a bei, nur zehn Prozent des in Shanghai Üblichen. Ein solches Haus haben die Chinesen noch nie gesehen. Wärmedämmung kennen sie nicht, dreifach verglaste Fenster auch nicht. Ihnen diese Qualitäten (die auf den ersten Blick nicht zu sehen sind) und die Leistungsdaten zu vermitteln, ist die eigentliche Herausforderung des Hamburg-Hauses. Einen Wissenshintergrund, in den sie das Gesehene einbetten könnten, haben sie nicht. Doch Umweltbewusstsein zu vermitteln ist das Generalthema der Expo 2010, die Chance und der kaum zu überschätzende Wert für das Land (und für die Welt). Die Baukosten teilten sich die Hansestadt und die Expo. Nach der Ausstellung wird das Haus an die Stadt Shanghai übergeben. Auf ein Low-Tech-Prinzip haben die Architekten durchaus geachtet, dennoch wird man eine chinesisch verfasste Gebrauchsanweisung schon mitliefern müssen. ●
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Hamburg-Haus auf der Expo 2010 in Shanghai
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Auf ein Low-Tech-Prinzip haben die Architekten durchaus geachtet, dennoch wird man eine chinesisch verfasste Gebrauchsanweisung schon mitliefern müssen.
In vielen Punkten mussten sich Hamburg und Shanghai erst annähern – wie etwa beim unverkleideten Sichtbeton. Die Statik ist für Erdbebensicherheit ausgelegt. Rechte Seite: Ausstellung „Wohnen“
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Hamburg-Haus auf der Expo 2010 in Shanghai
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