Baumeister Zeitschrift f체r Architektur 108. Jahrgang Juni 2011
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Labor Stadt: Wie urbane R채ume mobil und lebenswert bleiben David Chipperfield zur Regionalit채t des Bauens Meinhard von Gerkan zur Chaotie des Bauens Tilman Spengler zur Politik des Bauens
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Städte häkeln Nirgendwo wird das „Modell Stadt“ momentan so schnell weiterentwickelt wie in China. Mit dabei immer wieder: das Hamburger Architekturbüro gmp. In der Nähe von Schanghai plant das Unternehmen eine komplett neue Stadt – ohne U-Bahn, wie Bürochef Meinhard von Gerkan im Interview einräumt. Er ist sich dennoch sicher: Chinas Urbanisierung wird weiter gehen. Meinhard von Gerkan im Gespräch mit Alexander Gutzmer
Raumeingriff, aus der Luft betrachtet: Lingang im Jahr 2005 (oben) und 1997 (unten). Links: Architektenskizze. Die Nutzungsstrukturen gliedern sich in radialen Ringen von innen nach außen.
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„Es würde zum Kollaps führen, die Mobilitätsrate Chinas der unseren anzugleichen. Dies würde bedeuten, den Straßenverkehr zu verfünffachen.“
Ist das denn realistisch? Machbar wäre es schon, allerdings natürlich zu immensen Kosten. Eine U-Bahn ist nun einmal die teuerste Trasse, die man überhaupt bauen kann. In der von Ihrem Büro geplanten Reißbrettstadt Lingang ist keine U-Bahn vorgesehen... Das hat aber andere Gründe: Die Meeres- und Grundwasserspiegel sind hier zu hoch.
Alexander Gutzmer:
Herr von Gerkan, über urbane Mobilität kann man nicht wirklich sprechen, ohne auch nach China zu blicken. Nirgendwo wird „so viel Stadt“ gebaut wie dort. Aber: Gibt es auch etwas, was wir von China lernen können? Meinhard von Gerkan:
Zumindest sind die Chinesen in einem Punkt unübertroffen: in der Geschwindigkeit, mit der sie Projekte umsetzen – auch solche, die von anderen schon vorher erdacht wurden. Allerdings heißt das auch, sich eventuell schnell wieder von umgesetzten Projekten zu verabschieden. Nehmen Sie den Transrapid. Man hat ihn einfach gebaut und jetzt gesehen, welche Negativeffekte die Technologie hat, vor allem auf den Landschaftsraum. Dieser wird durch die Trasse massiv verunstaltet. Also beendet man das Projekt. Das heißt, in China herrscht eine Schnellschusskultur? Im Ansatz schon. Allerdings gab es für den schnellen Bau des Transrapid auch einen konkreten Anlass, die Weltausstellung nämlich. Projekte wie der Transrapid scheinen sich an westlichen Mobilitätsmustern zu orientieren. Aber sind diese für China überhaupt der richtige Ansatz? Kann und sollte sich die ganze Welt in diesem Sinne „verwestlichen“? Das sollte sie nicht. Es würde zum Kollaps führen, die Mobilitätsrate Chinas der unseren anzugleichen. Dies würde bedeuten, den Straßenverkehr zu verfünffachen. Angesichts der vorhandenen Stadtstrukturen können Sie die Straßen gar nicht so sehr verbreitern – obwohl man in Peking genau das momentan versucht. Die einzige Lösung sehe ich in einem komplett ausgebauten U-Bahnnetz für die großen Metropolen.
Hätten Sie nicht anderswo bauen können? Für eine Stadt mit U-Bahn ist die gesamte Gegend dort unten nicht geeignet. Und dass wir genau dort bauen, geschieht ja nicht aus hohlem Bauch heraus. Wir bauen das urbane Gegenstück zum größten Hafen der Welt. Dieser entsteht dort auf Felseninseln, 32 Kilometer von Lingang entfernt. Eine Straßenbrücke und bald auch eine Eisenbahnbrücke verbinden Hafen mit Festland. Die Stadt bildet quasi das logistische Zentrum des Offshore-Hafens, mit Lagerhallen und Bürohäusern. Die Stadt wurde dafür kritisiert, dass sie extrem großzügig angelegt sei und damit letztlich Raum verschwende... Ich verstehe die Kritik nicht, wenn sie sich gegen unsere Parkanlagen oder den großen See in der Stadtmitte richtet. Über diese Freiflächen freue ich mich. Recht haben Kritiker aber sicher, wenn sie sich gegen die sehr großen Straßen aussprechen. Das ist eine chinesische Besonderheit: Früher waren viele Straßen in China für Autos gar nicht benutzbar. Die Riesenstraßen sind eine psychologische Reaktion darauf. Dagegen ist kein Kraut gewachsen. Lingang wirkt heute noch recht leer. Wie läuft denn die Vermarktung? Ehrlich gesagt ist die Vermarktungslage hier wie in vielen anderen Städten Chinas unübersichtlich. Mit Büround Wohnraum wird dort viel spekuliert, weshalb Sie aus Verkaufszahlen nicht auf die Besiedlung schließen können. Wohnungen werden gekauft, um sie mit Gewinn weiterzuverkaufen. Die Offiziellen versuchen, dem entgegenzuwirken; Wohnungen, die nicht bezogen werden, sollen sogar wieder enteignet werden. Aber ob das wirkt? Ich bin da skeptisch. Für Sie als Architekt dürfte das die Freude am Bauen in China trüben... Weiß Gott, ja. Aber so unerfreulich das auch ist – der kapitalistische Markt bringt so etwas nun einmal mit sich. Reden Sie darüber mit den chinesischen Entscheidern? Ach, damit würden wir nur zur Lachnummer. Als Architekten können Sie Investoren nicht dazu drängen, Wohnungen zu besiedeln. ►
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Wirkt sich diese Spekulationskultur auf die Bauqualität aus? Ja, und zwar desaströs. Die Wohnungen werden nämlich lange vor der Fertigstellung verkauft – weit unter Wert. Das führt dazu, dass das Bedürfnis nach Qualität unterausgeprägt ist. Das ist so, als würden Sie ein Auto kaufen, das Sie noch nie gesehen haben. Qualitätsmängel können Sie dann nicht beanstanden. Erwarten Sie, dass weitere Reißbrettstädte nach dem Vorbild Lingangs entstehen? Damit, dass die Stadt komplett „auf der grünen Wiese“ entsteht, ist Lingang ja eher die Ausnahme, vielleicht zusammen mit einigen modellhaften „Ökostädten“. Die meisten Planungsprojekte sind auch in China Stadtergänzungen. Es entstehen neue Stadtteile oder so genannte „Austauschstadtteile“.
Sprechen Sie eigentlich Chinesisch? Nein, das traue ich mir dann doch nicht zu. Ich habe gesehen, wie Mitarbeiter nach einem Jahr frustriert aufhörten, Chinesisch zu lernen. Vor etwa einem Jahr fand in Schanghai die Weltausstellung statt. „Better Cities, Better Life“, so das Motto. Hat die Expo eigentlich substanziell zum besseren Leben in China beigetragen? So viel, wie eine Expo bringen kann. Letztlich ist diese doch eine unternehmerische Leistungsschau und ein Vergnügungspark. Das war in Hannover oder Sevilla aber auch so.
Wie akribisch sind die denn geplant? Meinem Eindruck nach bestehen in chinesischen Behörden gar keine sonderlich weit reichenden Planungen; man scheint doch eher von der Hand in den Mund zu leben. Außerdem wird potenten Investoren letztlich so ziemlich alles erlaubt.
Ein Ziel der Expo war es ja, die Bereitschaft zur Verstädterung noch einmal zu verstärken. Andererseits bereitet diese ja gerade in China massive Probleme. Stößt die Urbanisierung an ihre Grenzen? Nein, sie wird sich weiter fortsetzen, vor allem in China. Bisher konzentriert sich der Boom ja auf den Osten des Landes. Der aktuelle Fünfjahresplan will hingegen gerade den Westen entwickeln. Dort ist beispielsweise die Existenz von Wanderarbeitern ein großes Problem. Das muss sich ändern.
Dennoch fällt bei vielen Stadtplanungen auf, dass bestimmte Kernsymbole stadtplanerisch oder architektonisch umgesetzt werden, in Lingang zum Beispiel die Kreisform. Erschwert dieses Bauen in Symbolen nicht die Planung? Nicht unbedingt. Es stimmt, wir beziehen Symbole wie den Kreis (für die Sonne) und das Quadrat (das die Erde repräsentiert) in unsere Planungen mit ein. Ich würde mir aber wünschen, dass die Chinesen sich wirklich konsequent an solchen Symbolen orientierten. Tun sie aber gar nicht. Stattdessen herrscht oft die blanke Willkür. Letztlich ist Planung auf chinesisch doch immer ein Aneinanderhäkeln.
Die Expo war ein Element in einem Reigen chinesischer Großevents. Dessen Fortsetzung ist die große Ausstellung zur Aufklärung in Ihrem neuen Nationalmuseum. Diese wurde wegen der Parallelität mit der Verhaftung Ai Weiweis kritisiert. Die Welt scheint sich von derlei Events immer eine Öffnung des Landes zu erwarten und ist dann enttäuscht, wenn es anders kommt... Das stimmt, hier sind vielleicht die Erwartungen zu hoch. Andererseits ändert sich das Land ja. In den elf Jahren, in denen ich mich mit China beschäftige, hat sich das Land massiv geöffnet – allerdings immer wieder begleitet von Rückschlägen und unüberlegten Reflexhandlungen.
Und die Präsenz von Symbolen verändert dies? Ja, weil sie die Kommunikation zwischen allen Beteiligten erleichtert. Man orientiert sich nicht nur an der verwendeten Technik, sondern an den umzusetzenden Symbolen. Da weiß jeder, wovon er spricht.
Auch Ihr Museum wurde im Westen als regimefördernd kritisiert... Ich weiß, dass Medien auf solche Gelegenheiten zur Pauschalkritik warten, insofern hat mich das nicht überrascht.
„Ich würde mir wünschen, dass die Chinesen sich wirklich konsequent an solchen Symbolen orientierten. Tun sie aber gar nicht. Stattdessen herrscht oft die blanke Willkür. Letztlich ist Planung auf chinesisch doch immer ein Aneinanderhäkeln.“
Trifft die Kritik denn zu? Nein. Ich frage mich auch, wieso immer Architekten solche Vorwürfe gemacht werden und zum Beispiel keinen Maschinenbauern, die in China Geschäfte betreiben. Die meisten Laptops, mit denen Journalisten ihre Kritiken schreiben, sind ebenfalls in China produziert. Auch in der Art der Architektur mussten Sie viele Zugeständnisse machen... Das stimmt. Unser Ursprungsentwurf, mit dem wir den Wettbewerb – übrigens gegen große Firmen wie Herzog und de Meuron – gewonnen haben, war moderner. Die chinesische Öffentlichkeit hat uns dann vorgeworfen, zu wenig chinesisch zu bauen. So mussten wir mehr Elemente chinesischer Baukultur integrieren.
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„Architektur ist ein wirksames Mittel zur Auseinandersetzung mit anderen Kulturen. Sie schafft von daher die Notwendigkeit, sich auf verschiedene Örtlichkeiten und Kulturen einzulassen.“
Sind Sie denn mit dem Resultat zufrieden? Ich hätte mir gewünscht, dass unser überkragendes Dach mit der Spiegelung der verbotenen Stadt Bestand gehabt hätte. Aber alles in allem bin ich zufrieden. Oben: Das Verwaltungszentrum des Shanghai Nanhui-Districts. Unten: Das Maritim-Museum mit seinen gegeneinander gesetzten Dachschalen – und reichlich breite Straßen
Wenn oft gefordert wird, Bauen müsse politisch sein – überfordert dies die Architektur? Nein. Architektur ist ein wirksames Mittel zur Auseinandersetzung mit anderen Kulturen. Sie schafft von daher die Notwendigkeit, sich auf verschiedene Örtlichkeiten und Kulturen einzulassen. Das ist gerade in einer globalisierten Welt wichtig. ● Meinhard von Gerkan ist Gründer und CEO des Hamburger Architekturbüros gmp. Mehr als 380 Entwürfe hat gmp in den vergangenen Jahren für chinesische Auftraggeber angefertigt, von denen 50 fertiggestellt wurden und weitere 40 gerade gebaut werden. Die Stadt Lingang für 1 200 000 Einwohner ist die größte gmp-Aktivität in China. Von Gerkan selbst ist in den letzten elf Jahren über 60 mal nach China geflogen.
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Radeln auf dem Super-Highway Fahrradstadt Kopenhagen Kopenhagen baut Schnelltrassen f端r Pendler, die auf dem Weg zu Arbeit, Uni und Schule in die Pedale treten. Im Oktober wird die erste Rad-Autobahn f端r sie freigegeben. von Sandra Hofmeister
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ushhour auf der Nørrebrogade. Dicht an dicht gleiten Hunderte von Radfahrern fast lautlos stadtauswärts, dem Feierabend entgegen. Manche haben ihre Aktentaschen auf dem Rücken geschultert, andere treten auf Cargo-Bikes in die Pedale – in den großen Holzkisten vor ihrem Lenker haben sich Kinder mit bunten Skater-Helmen eingerichtet. Kopenhagen ist eine Fahrradstadt. Sich auf zwei Rädern mit eigener Körperkraft durch die Stadt zu bewegen, zählt zum urbanen Lebensgefühl der skandinavischen Metropole. Etwa 37 Prozent aller Bewohner radeln täglich zu ihrem Arbeits- oder Ausbildungsplatz.
„Der moderne Mensch will keine Zeit im Stau verlieren“, weiß Frank Jensen. Zu den ambitionierten Zielen des Kopenhagener Oberbürgermeisters zählt auch, dass ab 2015 jeder zweite Kopenhagener das Rad im Alltag nutzen soll.
Grüne Welle für das Fahrrad Schon heute wird der motorisierte Verkehr auf manchen Straßen zum Nebenschauplatz angesichts der Überzahl an Radfahrern. Die Radspuren sind manchmal breiter als die Pkw-Fahrbahnen, das Ampelsystem ist auf einigen Routen auf die Durchschnittsgeschwindigkeit der Radfahrer ausgerichtet. Wenn es die Sicherheit verlangt, ist das Niveau der Radspuren vom Gehsteig und der Fahrbahn abgesetzt, und auf großen Kreuzungen markieren breite blaue Streifen die Vorfahrt. „Der moderne Mensch will keine Zeit im Stau verlieren“, weiß Frank Jensen. Zu den ambitionierten Zielen des Kopenhagener Oberbürgermeisters zählt auch, dass ab 2015 jeder zweite Kopenhagener das Rad im Alltag nutzen soll. In der Entwicklung des urbanen Netzwerks räumt die Stadtverwaltung den Radlern deshalb Vorrang beim Ausbau der Infrastruktur ein. Das dichte Radwegenetz von Kopenhagen wird Jahr für Jahr erweitert und sorgsam gepflegt. Zusätzliche Fahrradparkplätze werden angelegt, die Sicherheit der Fahrradtrassen permanent verbessert. Regelmäßige Verkehrsevaluationen der Stadt zeigen bereits den Erfolg all dieser Maßnahmen, die nun noch um einen entscheidenden Aspekt ergänzt werden: Mit Super-Highways für Radfahrer sollen auch die umliegenden Gemeinden und Vororte im Umkreis von 20 Kilometern besser mit dem Zentrum verbunden und mehr Pendler zum Umsteigen auf das Rad gelockt werden.
Schnelltrassen für Pendler „Unser Ansatz ist sehr realistisch und pragmatisch zugleich“, sagt Peter Jantzen vom „Cycelsuperstier“-Büro der Stadtverwaltung. Hier werden die Konzepte für die Super-Highways geschmiedet, Pläne für Pendlerströme auf dem Rad erarbeitet, mögliche Trassen nach demographischen Aspekten und urbanen Richtlinien erkundet sowie die Pläne zwischen den beteiligten Kommunen koordiniert. Insgesamt 18 Gemeinden wollen sich neben der dänischen Hauptstadtregion am Projekt der Super-Highways beteiligen. Kopenhagen übernimmt dabei die Koordinatorenrolle und wird diesen Herbst den ersten Super-Highway eröffnen, die Albertslund-Route. Auf einer Strecke von 14 Kilometern wird sie den Vorort Albertslund im Westen mit dem Zentrum der Stadt verbinden. Nicht alle Streckenabschnitte werden dabei neu gebaut. „Oft fehlen Unterführungen und Teilabschnitte, manchmal müssen die Radwege verbreitert und erneuert werden“, erklärt Peter Jantzen. Ziel ist, Radfahrern auf längeren Strecken besondere Vorteile einzuräumen. Wenige Ampeln und besonderer Asphalt machen die neuen Trassen zu komfortablen Highways für Pendler, die längere Strecken im Alltag zurücklegen. Wartungsstationen mit Luftpumpen sind in regelmäßigen Abschnitten entlang der Highways geplant. Die Ampelschaltung wird weitgehend als grüne Welle für Radler ausgerichtet. Selbst ein eigenes Leitsystem mit Logo wurde bereits entwickelt. Ab Herbst wird es eine neue Ära in der Verkehrsplanung einläuten. Neben den gängigen Schildern für Autobahnen, S-Bahnen oder dem Kopenhagener Metro-Logo werden dann die orangefarbenen „C“-Signets für den „Cycelsuperstier“, den Super-Highway für Radfahrer, in das Stadtbild Einzug halten und die Schnelltrassen vom übrigen Verkehrssystem abgrenzen. Insgesamt 26 Highway-Routen mit insgesamt 300 Kilometern sind in der Region um Kopenhagen geplant. Ihr Nutzungspotenzial liegt bei täglich 52 000 Pendlern, was einer Reduktion des CO2-Ausstoßes um 6074 Tonnen pro Jahr entspricht. ►
Netzwerk an Radlertrassen. Insgesamt planen die Kopenhagener 26 Highway-Routen mit rund 300 Kilometern Länge. 52 000 Pendler sollen sich auf den Wegen ins Zentrum gelangen – jeden Tag.
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Wind und Wetter zum Trotz „Wir sind erst am Anfang“, meint Peter Jantzen und erläutert das Budget für das Projekt. Es kommt zu Teilen von den Kommunen, den Regionen und wird zusätzlich staatlich subventioniert. An Ideen zur Erweiterung des Systems mangelt es nicht: So könnte beispielsweise eine elektronische Anzeige auch auf langen Strecken die Geschwindigkeit für die grüne Welle anzeigen, erläutert Peter Jantzen. Außerdem könnten Ringtrassen die strahlenförmig nach Kopenhagen laufenden Highways ergänzen und das Radstreckennetz in der Peripherie ausbauen. Die Kopenhagener Stadtverwaltung ist sich sicher, dass das Fahrrad auch für Pendler auf Strecken bis zu 20 Kilometern eine Alternative zum Auto und zum Nahverkehrssystem darstellt. Deshalb bleibt der größte Feind des HighwayProjekts für Radfahrer in Dänemark nicht das Auto, sondern das Wetter. Nicht nur aus Gesichtspunkten der Planung werden die Trassen rund um Kopenhagen entlang der Schnellbahnentrassen verlaufen, die das Zentrum von Kopenhagen mit den Vororten verbinden. Bei Sturm und Regen können Highway-Radler so auch spontan noch auf den Zug umsteigen. ●
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Die Dänen haben reichlich Ideen, wie sie ihr Radlersystem noch attraktiver gestalten. So könnten elektronische Anzeigen kommunizieren, mit welchem Tempo man eine grüne Welle erreicht.
Die Kopenhagener Stadtverwaltung ist sich sicher, dass das Fahrrad auch für Pendler auf Strecken bis zu 20 Kilometern eine Alternative zum Auto und zum Nahverkehrssystem darstellt.
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Freiheit für die Stadt! Die Zukunft der Stadt ist ein populäres Thema. Entsprechend wollen alle mitreden. Doch zu viel Einflussnahme kann die urbane Kreativität unterbinden, glaubt Harvard-Professor Edward Glaeser. Der beste Plan für Erneuerung und Wachstum ist es, unsere Städte zu befreien. Ein Plädoyer für die Befreiung des Urbanen von Edward Glaeser
Talent ist eminent wichtig, so Glaeser; wir sollten mehr davon importieren. Netzwerkeffekte machen Städte zu Kreativzonen. Hier eine Impression aus dem New Yorker Flagship Store von Apple
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ie Volkswirtschaften der entwickelten Welt zerbrechen sich den Kopf darüber, wie sie aus der Rezession herauskommen. Der britische Premierminister David Cameron versprach einen Angriff auf die „Feinde der Unternehmen“, während Barack Obama die Ansprache zur Lage der Nation im Januar zum Anlass nahm, Jobs und Wettbewerb anzupreisen. Aber diese neue Wachstumsrhetorik ist allzu oft ein Kampf alter Ideen. Um die Kurve zu kriegen, müssen wir vielmehr die Entwicklungen verstehen und integrieren, die organisch in unseren großartigen urbanen Zentren stattfinden. Die Zahlen sprechen Bände. Rund 18 Prozent der amerikanischen Wirtschaftsleistung kommt aus den drei großen Metropolen, und der Großraum London ist 50 Prozent produktiver als der Rest Großbritanniens. Technologie und Globalisierung lassen diese Städte immer wichtiger werden, weil sie die Rückkehr zu Wissen und Innovation beschleunigen. Wir sind eine soziale Spezies und lernen von klugen Menschen um uns herum. Städte haben diesen Ideenaustausch schon immer begünstigt. Im Birmingham des 18. Jahrhunderts schauten sich Textilhersteller ihre Erkenntnisse voneinander ab – und bescherten uns die industrielle Revolution. Ältere, kältere US-Städte von heute (wie Boston und Chicago) haben die De-Industrialisierung dadurch überlebt, dass sie Innovationen im Finanzbereich und in der Computer- und Biotechnologie angezogen haben. Durch diese urbane Erneuerung verstehen Wachstumstheoretiker besser, warum Menschen und Unternehmen produktiver werden, wenn sie auf engen Raum zusammenrücken. Physische Nähe erlaubt den freien Fluss von Gütern, Dienstleistungen und Ideen – und das fördert die Zusammenarbeit, die alles von Fords Model T zu Facebook schafft, und wirtschaftliches Wachstum obendrein. Wie würde eine Wachstumspolitik aussehen, die von dieser Lektion lernt? Erstens: Sie würde Transport-Infrastruktur zu den Akten legen. Die Städte des 19. Jahrhunderts wuchsen um die Transportwege herum, aber die Highways des 20. Jahrhunderts zogen die Menschen von den produktiven Städten ab. Teure neue Investitionen wie etwa die britische „High Speed Two Rail Line“ verzeichnen sinkende Einnahmen, kosten Milliarden und sparen nur wenige Minuten. Was blühende Städte wirklich brauchen, sind Gebäude. Ohne neue, privat finanzierte Häuser und Büros treibt die Nachfrage die Preise in die Höhe, macht Anfahrtswege zu lang und lässt zu wenige Menschen am städtischen Wirtschaftsleben teilnehmen. New York hat zu viele Bauvorschriften; London ist noch extremer. Beide sollten zwar ihr architektonisches Erbe bewahren, aber Städte sind keine Museen. London insbesondere sollte weniger Höhenbeschränkungen haben.
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Unsere Städte sind produktiv, weil sie die größte Gabe der Menschheit vergrößern: unsere Fähigkeit, von den Menschen um uns herum zu lernen. Wenn sie blühen, blühen auch unsere Volkswirtschaften.
Auch Talent ist wichtig, deshalb sollte mehr davon importiert werden. Urbane Gebiete schaffen Möglichkeiten für Emigranten, die jenes menschliche Kapital liefern, das Städte produktiv und unterhaltsam macht. Moderne Nationen brauchen allen Grips, den sie kriegen können – und sollten deshalb die Beschränkungen für ausgebildete Einwanderer aufheben. Der Grundstock an menschlichem Kapital, der die Talententfaltung im eigenen Lande ermöglichen würde, wird durch schlechte Schulen benachteiligt. Die eindrucksvollen Resultate einiger öffentlicher US-Spezialschulen wie der „Promise Academy“ in Harlem zeigen, dass nicht höhere Ausgaben, sondern Wettbewerb der effektivere Weg ist, um bessere Resultate zu erzielen. Zu viele Steuerregulationen sind ebenfalls ungünstig für Städte. In den USA beispielsweise verleiten Zinssenkungen auf Hypotheken die Menschen, soviel wie möglich zu leihen und auf die Drehungen und Wendungen des Immobilienmarkts zu spekulieren. Staatliche gefördertes Hauseigentum wirkt sich jedoch ungünstig auf den Mietmarkt aus – was dem Zusammenleben auf engem Raum entgegensteuert und das Angebot von neuen Miethäusern für Arme und Reiche gleichermaßen klein hält. Steuerauflagen, die produktive städtische Gebiete bestrafen und das geruhsame Leben in unproduktiven Gebieten fördern, tragen wenig zum Wachstum bei. Deshalb hat es auch wenig Sinn, „wirtschaftliche Entwicklungszonen“ zu schaffen, von denen Premierminister Cameron zehn jetzt vom Stapel gelassen hat. Diese gewähren Steuernachlässe für Unternehmen in strukturschwachen Gebieten. Sie schaffen zwar Arbeitsplätze, aber zu einem sehr hohen Preis – weshalb es auch nur schwer nachzuvollziehen ist, warum Unternehmen bestochen werden, sich in weniger produktiven Gebieten anzusiedeln. Unsere Städte sind produktiv, weil sie die größte Gabe der Menschheit vergrößern: unsere Fähigkeit, von den Menschen um uns herum zu lernen. Diese wird in den kommenden Jahren noch bedeutender, weil Innovation ständig wichtiger wird. Man muss unseren Städten keine Almosen geben. Aber sie verdienen ein ausgeglichenes Spielfeld. Wenn sie blühen, blühen auch unsere Volkswirtschaften.
Dieser Text erschien auch in der Financial Times. Aus dem Englischen von Daniela Reinsch Edward Glaeser ist Wirtschaftsprofessor an der Universität Harvard und Autor des Buchs „Triumph of the City“. Glaesers Forschungsschwerpunkt ist die Stadtökonomik. Sein besonderes Interesse gilt der Rolle der geografischen Nähe bei Innovation.