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111. Jahrgang Das Architektur-Magazin Juni 2014
B端hne Ve n e d ig/ Pr i n z i p Biennale
kuratiert von TUMLAR/ Stephan Tr端by
Is this modern?
Vor vier Jahren forderte der damalige Präsident der Bundesarchitektenkammer einen neuen Deutschen Pavillon für die Giardini. Jetzt hat der Werkbund 25 Architekten um Ideen dazu gebeten und stellt sie unter dem Titel „this is modern“ in Venedig aus. Hier ausgewählte Entwürfe – und ein eher skeptischer Kommentar von Muck Petzet 36
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Mode llfotos: Andrew Albe rt
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Ab 8. Juni werden die Ideen für einen neuen deutschen Pavillon im Palazzo Ca‘Tron am Canal Grande ausgestellt. Entwurf von Arno Brandlhuber Modell des Bonner Architekten Uwe Schröder 37
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Stefan Behnisch, Stuttgart Max Dudler, Berlin Gr端ntuch Ernst Architekten, Berlin
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J端rgen Mayer H., Berlin Jan Kleihues, Berlin Hild und K, M端nchen 39
„Der Pavillon“, erklärte Arno Sighart Schmid 2010, „entspricht so gar nicht mehr unserem demokratischen Selbstverständnis [...]. Es wird Zeit, dass wir uns vom jetzigen Gebäude mit der ausgeprägt nationalsozialistischen Monumentalität verabschieden.“ Laut Pressemitteilung gelte „der Pavillon als schwer bespielbarer Ort“ unter Kuratoren. Hinzu komme, dass er seine einmalige Lage am Wasser nicht nutze: „Hier gibt es nicht einmal eine Fensteröffnung zur Lagune“, beschreibt Schmid die Situation. Die Mitteilung schließt mit dem Hinweis: „Auch wenn das Haus unter italienischem Denkmalschutz steht, sollte das keine unüberwindliche Hürde sein. Der historische Wert des Pavillons rechtfertigt nicht seinen Erhalt.“ Der Deutsche Pavillon in Venedig ist in seiner jetzigen Gestalt 1938 als Umbau des 1909 von Daniele Donghi errichteten Bayerischen Pavillons entstanden (Bild 5 a). Ernst Haiger überformte den kleinmaßstäblichen, neoklassizistischen Bau vollständig in der gravitätischreduzierten Formensprache eines die großen Maßstäbe suchenden Neuklassizismus. Im Inneren entstanden – ähnlich wie beim Haus der Kunst in München – relativ neutrale, großmaßstäbliche, gut belichtete und proportionierte Räume. Auch die Materialisierung im Inneren mit hellem Kalksteinboden, reduzierten Türeinfassungen und großen Putzflächen ist zurückhaltend. Dem „basilikalen“ Grundriss und der „Apsis“ im Hauptschiff, die der möglichst spektakulären Inszenierung von Skulpturen der Bildhauerschule um Arno Breker diente, ist ein Bemühen um eine Überhöhung des Inhalts anzumerken (Bild 5 d). 1958 legte Arnold Bode, der Initiator der Documenta, beim Auswärtigen Amt den Entwurf für einen Umbau des Pavillons vor (Bild 6 i): Der Portikus sollte geschlossen und in eine asym40
metrische Fassaden-Komposition einbezogen werden. Bodes Pläne zu einer Profanierung des „Kunsttempels“ als bescheidene, dienende Hülle wurden nicht ausgeführt, sondern nur pragmatische Änderungen wie der Abbruch einer Zwischenwand im Hauptsaal vorgenommen. Es blieb den Künstlern vorbehalten, sich immer wieder mit der Geschichte des Pavillons zu beschäftigten, ihn als Material oder Ausgangspunkt für ihre Ideen einzusetzen, wie etwa Joseph Beuys, der 1976 mit seiner „Straßenbahnhaltestelle“ das sichtbar verfallende Gebäude durch eine Bohrung mit der Lagune verband oder wie 1993 die spektakuläre Intervention von Hans Haacke, der den Kalksteinboden des Pavillons teilweise herausbrechen ließ und zu einer Schollenlandschaft aufschichtete (Bild 7 c). Auch die beiden letzten deutschen Beiträge zeigten die Potenziale des Gebäudes als Auslöser – 2009 machte Liam Gillicks „Wie würden Sie sich verhalten? Eine Küchenkatze spricht“ Bodes Umbaupläne des Pavillons zum Ausgangspunkt seiner Installation und 2011 wurde die nationalsozialistische Sakral-Architektur ganz direkt in eine Schlingensief-Kirche transformiert. Diese gelegentlich zerstörerischen künstlerischen Interventionen wurden von der Bundesbauverwaltung immer wieder unsichtbar gemacht und beseitigt. Es erfolgten lediglich pragmatische Anpassungen – auch die in den neunziger Jahren von den Architekten Brandt & Böttcher durchgeführte umfassende Sanierung änderte nichts Grundsätzliches an der Architektur. Es wurde – nach der zerstörerischen Aktion von Hans Haacke – teilweise ein dem originalen Stein entsprechender, neuer Kalksteinboden verlegt und eine – inzwischen zum Glück wieder übertünchte – pfirsichfarbene Fassung der Außenwände aufgebracht, die die Strenge des Pavillons besänftigen sollte. Dabei wurde auch ein „Ausstellungs-Beleuchtungssystem“ installiert – das für die nächste Ausstellung wieder abgebaut und danach nicht
mehr eingesetzt wurde. Trotz funktionaler und technischer Mängel wurde der Pavillon also bisher nicht grundlegend umgebaut, sondern in Gestalt der dreißiger Jahre konserviert. Im „Kunsttempel“ der Nazizeit gibt es nach wie vor keine Sanitäranlagen, keine Arbeits- oder
das Neue. Weder das Arsenale noch der (in Teilen ebenfalls aus faschistischer Zeit stammende) Padiglione Centrale oder die anderen Länderpavillons sind neutrale Orte; sie fordern zur Auseinandersetzung heraus – und zu ortsspezifischem Handeln.
Ai Weiweis Hockern hätte im Deutschen Pavillon eine andere, eindrücklichere Wirkung gehabt. Während also die Kunstbiennalen den Pavillon – in seiner historischen und künstlerischen Aufladung, aber auch in seiner
In der Architektenschaft rumort aber immer wieder der Gedanke, den Pavillon zu „verbessern“, zu ändern oder neu zu erschaffen. Solche Vorschläge werden gerne als Bewerbungen für eine Generalkommissarausschreibung – oder wie jetzt – initiiert von einer renommierten Institution wie dem Werkbund erarbeitet und – auch wenn sich der Werkbund in seiner Pressemitteilung hier auffällig zurück-
hält – mit der Hoffnung präsentiert, „Bewegung“ in den starren Zustand des Gebäudes zu bringen. Doch wozu? Sicher wäre es sinnvoll und dankbar, sich mit funktionalen Mängeln des Gebäudes zu beschäftigen, Reparaturen und Instandsetzungsmaßnahmen aber auch Ertüchtigungen und mögliche Erweiterungen als architektonisch herausragende Aufgabe zu begreifen – dafür würde es sich lohnen, einen Wettbewerb auszuloben – statt wie bisher immer wieder herumzuflicken. Die Unterkellerung eines Seitenflügels wäre denkbar, um die Raumnot der im Pavillon Arbeitenden zu lösen; oder der Einbau einer innovativen Temperierungsmöglichkeit, etwa über Bauteilaktivierung und Wärmepumpen.
Auch ein funktionierender Sonnenschutz und eine einfache Belüftung wären sinnvoll. Doch kann es bei all diesen Maßnahmen meines Erachtens keinesfalls um eine architektonische „Überarbeitung“ oder gar Erneuerung des Pavillons gehen – nichts noch so grandioses Neues kann die Geschichte und Aufladung dieses speziellen Orts ersetzen. Gerade das unvollkommen Altmodische des Gebäudes macht es so offen und geeignet für alles Neue. Deutschland hat in Venedig genau den Pavillon, den es sich mit seiner Geschichte und mit den Anstrengungen seiner herausragenden Künstler verdient hat: ein widersprüchliches, durch die künstlerischen Spuren stark aufgeladenes Stück Ar-
Buchtipp
Zur Ausstellung in Venedig
„Die deutschen Beiträge zur Biennale Venedig 1895 – 2007“
„this is modern“
chitektur. Es handelt sich hier – im Gegensatz zur Behauptung von Arno Sighart Schmidt – ganz explizit um ein herausragendes Denkmal der Kulturgeschichte, das mit all seinen Spuren und Zeitschichten erhalten werden sollte. Darüber hinaus bleibt der Pavillon – mit all seinen Unzulänglichkeiten – ein großzügiger, alles ermöglichender, simpler Raum mit hervorragenden Qualitäten. Der Werkbund hat sich in seiner Geschichte sicher schon mit relevanteren Aufgaben beschäftigt als mit dem Gedankenspiel, den Deutschen Pavillon als „baufällig“ zu erklären – nur um eine Leistungsschau unterschiedlicher Entwurfsansätze zu erzeugen.
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Lagermöglichkeiten – das technisch so ehrgeizige und in vielem beispielhafte Land Deutschland präsentiert sich mit einem der technisch „rückständigsten“ Gebäude auf der Biennale. Das benachbarte England hat gleich ein ganzes Nutzgeschoss zur Verfügung, mit Abstellräumen, Verwaltung, Duschen und WCs; die Ausstellungsräume sind voll klimatisiert. Und die gegenüberliegenden Franzosen, mit denen man während der Kunstbiennale 2013 einen Pavillontausch vollzog, haben zumindest Nebenräume und Toiletten. Der inhaltlich und mit dem 50. Jahrestag des Elysée-Vertrags begründete letztjährige deutsch-französische PavillonTausch machte die ganz grundlegenden Qualitätsunterschiede der Pavillons deutlich. Für eine beeindruckende Installation von Anri Sala baute die französische Seite sogar eine temporäre Klimaanlage im Deutschen Pavillon ein – die Dimensionen und Freiheiten des Gebäudes wurden voll genutzt. Dagegen entfaltete im „Deutsch-besetzten“ französischen Pavillon eine eher konventionelle Enfilade von Einzelraumpräsentationen wenig Wirkung: Etwa die Installation von
Großzügigkeit und seinen räumlichen und materiellen Qualitäten – immer wieder überraschend neu interpretieren und mit seinem Potenzial nutzen, tun sich die Architekten schwerer, ein gleichermaßen souveränes wie kritisch-pragmatisches Verhältnis zu dem Bau zu finden. 2002 widmete sich mit „nextliegend“ eine Ausstellung von Studentenarbeiten der möglichen Uminterpretation des Pavillons; 2010 entstand mit den Vorhängen im Portikus und den dunkelroten Stoffbespannungen im Zentralraum von Sehnsucht eine naivunfreiwillige Nähe zu einem Salon der dreißiger Jahre: Der Pavillon hat seine Tücken, er ist eben kein neutraler Ort und nur die Ausstellungen, die das inhaltlich, historisch und materiell Vorhandene bewusst als Teil ihrer Aussage und Installation begreifen und bewältigen, können dem gerecht werden. Einen neutralen zeitgemäßen Ausstellungsort wird man auf der Biennale in Venedig vergeblich suchen. Diese mit der Nationenkonkurrenz immer wieder als überholt totgesagte Institution lebt eben von der Antiquiertheit und dem historisch geprägten Hintergrund für
Abilldung: Politisches Archiv Auswärtiges A mt, Be rlin
Mut zum Widersprüchlichen Ein Kommentar von Muck Petzet
Muck Petzet war 2012 Generalkommissar des Deutschen Pavillons der Architekturbiennale in Venedig. Nach seinem Studium an der TU München und HdK Berlin arbeitete er zunächst als Architekt bei Herzog & de Meuron. Basel. Seit 1993 leitet er mit unterschied lichen Partnern ein eigenes Büro in München, seit 2012 mit Andreas Ferstl. Ab 2012 lehrt er „Architektur als Ressource“ am Lehrstuhl für Entwerfen und Denkmalpflege an der TU München.
Institut für Auslands beziehungen, Ursula Zeller (Hg.) 400 Seiten, Hardcover, zahlreiche Abbildungen, 34,90 Euro ISBN 978-3-8321-9016-3 DuMont Buchverlag, Köln 2007
Der Band stellt die vielseitige 112-jährige Kunst- und Auss tellungsgeschichte des Deutschen Pavillons in Venedig vor: eine aufschlussreiche bebilderte Chronologie.
„Der Deutsche Werkbund Berlin zeigt anlässlich der 14. Architektur-Biennale in Venedig im Palazzo Ca’Tron am Canal Grande eine Ausstellung zur Fragestellung heutiger moderner Architektur und Gestaltung. 25 in der öffentlichen Rezeption besonders präsente Architekturbüros aus Deutschland wurden gebeten, ihre Position und Haltung zu einer Entwurfsaufgabe darzulegen. Die Aufgabe bestand in einer Auseinandersetzung mit dem Deutschen Pavillon in Venedig, dessen Abriss vor einigen Jahren vom Präsidenten der Bundesarchitektenkammer gefordert wurde. Gedanklich wurde jetzt das Gebäude als baufällig eingestuft und den Architekten so die Möglichkeit eines Neubaus an gleicher Stelle eingeräumt. 22 Büros präsentieren ab dem 8. Juni ihren je eigenen Umgang mit der Aufgabe in Plänen, Skizzen und Modellen. Die Arbeiten geben einen Einblick in das zeitgenössische Verständnis der Bewältigung einer architektonischen Entwurfsaufgabe.“ Deutscher Werkbund Berlin 41
15.2: Hinter der Bühne Venedigs – das Rätsel Mestre Mestre liegt abseits vom schönen Venedig am Festland: hässlich, aber mit all seiner Industrie, dem Gewerbe, günstigem Wohnraum und der Infrastruktur auch notwendig für das Funktionieren der Lagunenstadt. Nun soll Mestre ansehnlicher werden. von Manfredo di Robilant 80
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„Mestre ist, was es ist. Man kann nicht so tun, als sei es etwas anderes.“ Mit dieser kategorischen Aussage beginnt Matthias Sauerbruch seine Präsentation über das Konzept der Architekten für das M9. Das Museum für Kunst und Design des 20. Jahrhunderts (Bild 15.2 a) befindet sich in der Nähe der Piazza Ferretto, dem historischen Kern der Stadt. Dem Architekten zu-
bäude weisen einige in der italienischen Architektur der Nachkriegszeit allgegenwärtige Elemente auf: Die gestapelten Balkone, Fassaden mit monochromen Kacheln und Rollläden sind schlichtweg hässlich. Sauerbruch Hutton scheinen den anti-pittoresken Charakter Mestres als Problem zu betrachten. Als Konsequenz bieten sie einen Ausgleich an; dieser basiert auf der ästhetischen Individualität des Gebäudes sowie dessen Einbezug in die Textur der Stadt. Dazu bedienen sie sich eines archetypischen – wenn nicht sogar stereotypischen – pittoresken italienischen Stils: Eine „Piazzetta” in der Nähe des Museums soll für eine gewisse urbane Gemütlichkeit sorgen. Dies passt zu den Grundsätzen, die die Stadtverwaltung (die gleiche wie in
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folge ist Mestre – im Gegensatz zur „theatralischen“ Kulisse Venedigs – authentisch. Daher bezieht sein Entwurf diese Authentizität ein oder kommentiert sie zumindest. Inzwischen ist das Projekt, das 2010 aus einem internationalen Wettbewerb als Sieger hervorging, ausgeschrieben. Wahrscheinlich sagt der Entwurf jedoch mehr über Sauerbruch Hutton als über Mestre aus, denn es handelt sich um eine ganz pragmatische Organisation des Raumprogramms innerhalb skulpturenartiger Volumen, bekleidet mit verschiedenfarbigen keramischen Pixeln. In der gleichen Präsentation äußert der Architekt selbst einen Wunsch, der möglicherweise deutlicher auf Mestres Authentizität hinweist: Hoffentlich wird das neue Museum von den Einwohnern wahrgenommen als „etwas, auf das man stolz sein kann“. Derselbe Wunsch würde auf die Einwohner Venedigs bezogen provokativ klingen, doch im Zusammenhang mit Mestre ist er leicht zu erfüllen. Denn Mestre ist tatsächlich das Gegenteil von Venedig. Es wurde hauptsächlich in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts als eine Ansammlung mehrstöckiger Wohnhäuser erbaut. Diese Ge82
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zu verstehen. Apropos Potenzial: Im Jahr 2009 veranstaltete der private Verein Siamo Mestre („Wir sind Mestre“) mit Unterstützung der Stadtverwaltung einen Wettbewerb, um Vorschläge zu sammeln, wie man die lange, belebte Via Piave,
ein Tourist. Andererseits geschah es, um beim Thema Touristen zu bleiben, dass seit den 1950ern wegen des Massentourismus und des wachsenden Wunschs nach Komfort ein dramatisch hoher Prozentsatz von Venezianern von der Lagune
wenige Jahre zuvor der Kopf der Architektengruppe des modernen, volksnahen, römischen Viertels Tiburtino. Einige Jahre später wurde Ludovico Quaroni Dekan der (mittlerweile ihm gewidmeten) architektonischen Fakultät der Hauptstadt. Der Wettbewerb für Barene jedoch geriet in eine Sackgasse, und die neue Stadt wurde nie gebaut (Bild 15.2 c). Tatsächlich stößt man in Bezug auf Mestre immer wieder auf Sackgassenprojekte. Grund dafür ist der Gegensatz zwischen dem Bauen mit und ohne
Architekten. Sackgassen wurden zu Beginn des 21. Jahrhunderts beinahe Normalität: Vor einigen Jahren fanden in der Stadt wichtige Wettbewerbe statt wie etwa zur landschaftliche Gestaltung des Passante (Bild 15.2 d), der neuen Autobahn, die um das Stadtgebiet herumführt, und für zwei Sozialwohnungsgebiete am Stadtrand. Bis jetzt wurde keines dieser Projekte umgesetzt. 2012 wurde auch Gehrys Entwurf für das „Gateway Venedig“ am MarcoPolo-Flughafen das im Jahr
2003 vorgestellt worden war, aufgegeben. Noch schneller wurden die Planungen zur Sanierung des leerstehenden Hafens von Marghera verworfen. Der in Venetien geborene Modedesigner Pierre Cardin hatte dafür im Jahr 2012 ein Hochhaus entworfen. Die Gebäudehöhe von 255 Metern, der kitschige, kurvenförmige Baukörper und die an fliegende Untertassen erinnernden Verzierungen führten nicht nur zu hitzigen Diskussionen, sondern letzten Endes zur Ablehnung des Entwurfs. Es scheint als bliebe
architektonisches Experimentieren weiterhin in der weißen Box „Biennale“ verschlossen. Dort weiß es das internationale Publikum zu schätzen – nachdem es das pittoreske, auf paradoxe Weise künstliche Venedig durchquert hat. Was die Umgebung und damit Mestre anbelangt, so war die Hauptstrategie bis jetzt darauf beschränkt, dort eine pittoreske Nostalgie lediglich anzudeuten. Aus dem Englischen von Jördis Bunse
15.2 c Zur Ausstellung „M9 oder die Transformation der Stadt“ die Hauptstraße des Stadtzentrums, in einen überwiegend von Fußgängern genutzten Bereich umbauen könnte. Wenn auch anders als die – mit Sauerbruchs Worten gesprochene – theatralische Herangehensweise an die Piazza Ferretto, stellte auch dieses Projekt die Authentizität Mestres in Frage. Tatsächlich bestand die größte Schwierigkeit darin, dass die Straße eine wichtige Verbindung zwischen dem Bahnhof und einer wichtigen Station der neuen SBahnlinie, der Monorotaia, ist. Die Via Piave stellt einen aufschlussreichen Querschnitt Mestres dar: eine Reihe inkon-
aufs Festland zog. Als Folge dieser Migration wuchs Mestre dramatisch. Außerdem wurde das benachbarte Areal von Marghera zum Industriegebiet und somit attraktiv für einen neuen Arbeiterstand. Trotz der Kombination aus demografischem Druck einerseits und dem Fehlen einer bedeutsamen Geschichte andererseits, war Mestre für italienische Architekten kaum ein Ort des Experimentierens. Im Jahr 1958 brachte der Wettbewerb für eine neue Stadt bei Barene di San Giuliano einige der einflussreichsten Beispiele ungebauter italienischer Architektur hervor.
Venedig) seit 1990 verfolgt. Damals wurde die nahegelegene Piazza del Ferretto in eine Fußgängerzone umgewandelt, deren Belag mit einem sehr auffälligen Muster von Guido Zordan, inspiriert von Carlo Scarpa, verziert wurde (Bild 15.2 b).
Manfredo di Robilant ist Architekt, Bauhistoriker und einer der Hauptakteure des 14. Architekturbiennale. Er hat an verschiedenen Universitäten im In- und Ausland gelehrt und bereits zahlreiche Beiträge über Architektur in Zeitschriften und im Netz publiziert.
M9 ist die Bezeichnung des Stadtteils im Zentrum von Mestre, das sich im Umbruch befindet. Im Mittelpunkt wird das neue Museum des 20. Jahrhunderts stehen, außerdem ein restauriertes Kloster aus dem 17. Jahrhundert und ein Verwaltungsbau aus den 1960ern. Neu- und Umbau stammen von den Berliner Architekten Sauerbruch Hutton. Fondazione di Venezia, Dorsoduro, 3488/U (Rio Novo) 7. Juni bis 23. November www.fondazionedivenezia.org
Fußgängerzonen: Wunsch und Wirklichkeit Das Vorhaben, in Mestre einen Platz zu schaffen, ging einher mit der mantra-artigen Forderung nach Fußgängerzonen. Das Bestreben, privaten Verkehr aus einem Stadtzentrum zu verbannen, dessen Vitalität maßgeblich auf Autos angewiesen ist, ist symptomatisch für Mestre. Der anti-pittoreske Charakter der Stadt wurde als zu kompensierender Mangel betrachtet statt ihn als Potenzial
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sistenter, in enge Häuserblöcke gedrängte Gebäude, die zwischen dem frühen 20. Jahrhundert und den 1970er Jahren errichtet wurden. Am Ende der Straße liegen eine Villa und ein Park aus dem 18. Jahrhundert. In diese Gegend verirrt sich nie
Man verließ den neo-pittoresken italienischen Weg, wandte sich stattdessen der Moderne zu und experimentierte mit Megastrukturen an der Schnittstelle von Architektur und Städtebau. Hier tat sich besonders Ludovico Quaroni hervor: Er war 83