Baumeister 07 2012

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Bau me ister

10 9 . J a h r g a n g

Juli

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Das ArchitekturMagazin

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D A,L C H

15 E u r o 17 E u r o 23 SFR

+ Werner Aisslinger + Herzog & de Meuron + Mayer‘sche Hofkunstanstalt + Realities united + Depeche Mode +

Hohe Wellen an der HafenCity Universität seite 80

60s forever Deutschland verewigt eine Epoche

Knallsucht: Architektur und Marketing

Ab s e i t e 2 8

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Ideen

1 Das alte Unilever-Haus (unten) hat man 1963 schon bezogen, noch während die später genehmigten beiden Dachgeschosse gebaut wurden. Wie frisch

Zwischen Denkmal und Investment

ausgepackt: das neue Emporio-Haus 50 Jahre später (rechte Seite)

Ein Unternehmen, das im Zentrum der Altstadt ein Hochhaus besitzt, wird seine Immobilie auf jeden Fall instand halten: So eine extra­ordi­ näre Bauerlaubnis würde nach einem Abriss heute kaum wieder ein­geräumt. Wenn es sich dabei außerdem um ein Baudenkmal handelt, gilt es, die historische Spurensuche mit geltenden kon­struktiven, energetischen und baurecht­­lichen Anforderungen zu verbinden. So geschehen beim ehemaligen Unilever-Haus in Hamburg

Architekten

HPP Architekten Kritik

Wolfgang Bachmann FotoS

Jochen Stüber


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In jedem Geschoss treffen sich die Büroflure in einem dreieckigen Erschließungskern. Bis auf die noch nicht montierten stark farbi­ gen Emailletafeln sieht der etwas esoterisch wirkende Raum aus wie damals.

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Das Foyer ließ sich dank der noch produzierten Möbelklassiker authen­ tisch wieder herstellen. Besondere Aufmerk­ samkeit verlangte die Rekonstruktion der ehe­ mals hängenden Ver­ glasung mit den Stabili­ sierungsschwertern.

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F Buch Gut, dass jemand alles aufgeschrieben hat. Das Callwey-Buch von 1966 mit ausführlichen Erläuterungen, Plänen und Bestandsfotos war eine wertvolle Hilfe bei der Wiederherstellung des Gebäudes.

Das Foyer vor dem unterirdischen Festsaal

rüher war nicht alles besser, aber anders. Als 1961 in Hamburg der Grundstein für das Unile­ ver-Hochhaus gelegt wurde, galt so ein maß­ stabsloser Architektureingriff noch als Tribut an das Wirtschaftswunder. Der damalige Ober­ baudirektor als „aktiver Mittäter“ sah darin „den modernen Städtebau verkörpert“. Die Margarine-Union, wie der hausfrauliche Fir­ menname noch lautete, hatte sich die Parzel­ len nach und nach erschachert, und dann wur­ de das im Krieg unzerstörte Quartier mit dichter, kleinteiliger Bebauung aus dem 18. Jahrhun­ dert eben abgerissen. Mittelalterliche Gassen verschwanden, um dem Bürohochhaus Platz zu machen. Manfred Sack, der vor einigen Jahren das Unilever-Haus als „eines der schönsten, eindrucksvollsten Gebäude Hamburgs“ gewür­ digt hat, betrachtete es dennoch als „das Sym­ bol einer städtebaulichen Freveltat sonderglei­ chen“. Die jüngsten Auseinandersetzungen um das Gängeviertel vis-à-vis machen deutlich, dass man bei solchen Planungen heutzutage auf drastischen Widerstand treffen würde. Ein Hochhaus „zur Bewahrung charakteristischer Eigenheiten des Stadtbildes“

mit den originalen Kunstwerken wurde ebenfalls wieder herge­ stellt – so fremd uns auch die Dekoration heute vorkommen mag.

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Man würde heute also kaum ein Hochhaus in dieser Höhe in der Hamburger Innenstadt zulas­ sen. Aber wenn es als Inkunabel der Bauge­ schichte unter Denkmalschutz steht, darf man es sogar entsprechend dem ursprünglich ein­ gereichten Bauantrag noch um zwei Geschosse aufstocken. Die Fortsetzung dieser Vorge­ schichte wird allerdings in widersprüchlichen Varianten erzählt. Zunächst wurden nämlich nur 19 Geschosse ausgeführt, der Kern reichte aber schon zwei Stockwerke höher. Während sich das Genehmigungsverfahren noch hinzog, ver­ langte der sichtbare rohe Betonschaft nach ei­ ner Lösung. Als der Bauherr dann ein Zusatz­ grundstück erwerben konnte, wurde das fertig gestellte und bereits bezogene Gebäude schließlich aufgestockt. Sein Tragwerk hätte aber die Lasten von 23 Geschossen abtragen können. Daran erinnerte sich später der jetzige Eigentü­ mer, die Union Investment. Das Unternehmen hatte die Immobilie übernommen und an den Verkäufer, der inzwischen als Mischkonzern

Unilever firmierte, zurückvermietet. Bald war abzusehen, dass der Konzern sich neu aufstel­ len und seine Firmenphilosophie in Deutsch­ land lieber mit einer eigenen Architektur um­ schreiben wollte, als die Zeit während der an seinem Mutterhaus nötigen Sanierungen an ei­ nem anderen Ort zu verbringen. Unilever zog in einen Neubau von Behnisch Architekten in der HafenCity (siehe B11/2009). Die Union Invest­ ment wurde zum neuen Bauherrn des Altbaus. Damit sich die Kosten für die Instandsetzung des Hochhauses wirtschaftlich vertreten ließen, sollte das Grundstück besser ausgenutzt wer­ den. Naheliegend war, sich an die historische Genehmigung zu erinnern und zwei weitere Geschosse hinzuzufügen – sowie auf der West­ seite, wo bislang Autos parkten, eine Randbe­ bauung hochzuziehen. Dafür wurde 2007 zu ei­ nem anonymen Wettbewerb eingeladen. Statt Büros und Wohnen verlangte die Stadt, dass die Sieger, das Büro MRLV, ein Hotel und Wohnun­ gen bauen. Man wollte wenigstens Öffentlich­ keit inszenieren. Es galt, weitere Massierung mit Büroflächen zu vermeiden und irgendwie Le­ ben auf das Grundstück zu holen. Exkurs: Städtebauliches Arrangement oder notwendiges Übel? Die „Ergänzung des Stadtraums mit einer dyna­ mischen Gesamtfigur“, wie die Architekten des Neubaus schreiben, wird man nicht ohne Wei­ teres gut heißen. Die ansteigende, introvertiert gefaltete Figur des Baukörpers verspricht zwar eine optimale Grundstücksausnutzung. Auch die Belichtung des halboffenen Innenhofs mag akzeptabel sein. Aber gegenüber der Fassade des Hochhauses, mit dem der Neubau zusam­ men unter dem Namen Emporio vermarktet wird, fällt er sehr ab. Die Dachlinie lässt einen zweifeln, ob man einer optischen Täuschung aufsitzt, die modischen, unterschiedlich breiten Fenster geben ein flirrendes Bild, und die blass­ blau beschichteten geschlossenen Felder, die zum Hochhaus passen sollen, werden in der Hamburger Großwetterlage nicht zur Erheite­ rung beitragen. Wie zufällig zeichnet sich auch die wohl nach Renditegesichtspunkten getrof­ fene Teilung zwischen Hotel und Wohnungen an der Straße ab. Da hilft es auch nicht, dass alle Kanten des schiefwinkligen Körpers mit einer breiten grauen Blechkante eingefasst sind. Es sieht aus, als handele es sich um ein Leergerüst, das der Oberbaudirektor zum geflissentlichen Ausfüllen aufgestellt hat. Ein Rohbau als Ausgangsmaterial, ein Grundstück als Geldanlage Allerdings: Nach diesem Deal mit der Stadt und im Einklang mit den Wirtschaftlichkeitsberech­ nungen hatte die Union Investment beim Haupthaus freie Hand. Sie beauftragte das Büro HPP, die Architekten des alten Hochhauses, mit der Umplanung. Das Gebäude besteht aus ei­ Weiter


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nem Betonkern für die zentralen Versorgungsund Verkehrsflächen. Er bildet ein gleichseiti­ ges Dreieck, das die Windlasten des Bauwerks wegen der vielen notwendigen Durchbrüche nicht als steife Röhre abträgt, sondern durch Einzelwände, die als Querriegel verbunden sind. Nach außen schließen die Nutzflächen als Stahlkonstruktion an, jeweils 27 über vier Ge­ schosse reichende Pendelstützen übernehmen die vertikale Lastabtragung. Daran sind Gitter­ träger angeschweißt, die Deckenplatten sind betoniert. Bei der Aufstockung der beiden letz­ ten Geschosse (20 und 21) wurde bereits mit ei­ ner verlorenen Schalung und einer leichteren Konstruktion gearbeitet.

D

ieses Bauwerk wurde bis auf das Rohbaugerüst abgetragen. Die zwei zusätzlichen Geschosse konnten als Stahlkonstruktion auf das vorhan­ dene Tragwerk gestellt werden. Früher notwen­ dige Technik-Zwischengeschosse sind wegge­ fallen, da heute die Versorgung mit weit kleine­ ren Geräten möglich ist. Als unten die Fassade demontiert und oben aufgestockt wurde, ergab sich für die Passanten ein rätselhaftes Bild, weil beide Enden ähnlich aussahen und der Baufort­ schritt nicht plausibel schien. Nachzutragen wäre, dass die Aufstockung oh­ nehin weit weniger auffiel, als man vermutet hatte. Für die entscheidende Sitzung zur Ge­ nehmigung hatten die Architekten das Hoch­ haus von nahen und entfernten Standpunkten in der Stadt fotografiert und zwei Tafeln vorbe­ reitet. Auf der einen waren die Originalfotos zu sehen, auf der anderen dieselben Aufnahmen mit den realistisch einmontierten Zusatzge­ schossen. Nun half Bauernschläue. Man ver­ handelte vor den Fotos über eine stadtverträg­ liche und denkmalgerechte Aufstockung. Als man sich darüber einigen konnte, kam die Überraschung: Das Hochhaus, dem man auf den Fotos noch zwei Geschosse zugestanden hätte, war die bereits aufgestockte Montage. Feinarbeit: Die Ansicht muss bleiben Besondere Aufmerksamkeit wurde nun der Fas­ sade gewidmet, ein Kardinalanliegen der Denkmalpflege. Hier gelang es, den alten Um­ riss mit Abweichungen vielleicht im Millimeter­ bereich exakt wieder herzustellen. Natürlich ist der Scheibenabstand der Isolierverglasung größer, die Qualität höher, und vor allem ließ sich hinter einer außen ergänzten Prallscheibe eine Lamellenjalousie installieren. Optional ist ein Blendschutzrouleau auf der Innenseite. Die Fenster lassen sich jetzt öffnen. Die Profile wurden so schlank wieder herge­ stellt, dass man von Weitem keinen Unterschied feststellen kann, außer dass das Haus sauberer

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und glatter als zuvor wirkt und seine Kanten hel­ ler schimmern. Eine kleine Irritation zeigt sich an der vorausschauend zusätzlich vorgesehe­ nen Fensterteilung. Während der Planung in den sechziger Jahren hatte man sich gründlich über ein sinnvolles Achsmaß auseinanderge­ setzt. Man ermittelte 1,90 Meter als das Non­ plusultra. Inzwischen rückt man dichter zusam­ men, die Bürotechnik hat sich verändert. Des­ halb ist an manchen Stellen mittig ein zusätzli­ cher Pfosten vorgesehen, an dem sich eine Trennwand anschließen ließe. Mit einem hal­ ben Feld trifft man bei etwa 2,70 Meter auf das heute übliche Standardraster von 1,35 Meter. Der ehemalige u-Wert von über 3,5 W/m 2K ließ sich auf 1,4 W/m 2K reduzieren. Die Energieein­ sparung liegt insgesamt bei 60 Prozent gegen­ über dem Altbau. Dazu trägt auch bei, dass in den Büros über Nacht nicht mehr das Licht bren­ nen bleibt, sondern verbrauchsarme LEDLämpchen auf den Fenstersimsen für die Insze­ nierung im Stadtraum sorgen. Das Gebäude wird mit Fernwärme versorgt, es gibt eine Lüf­ tungsanlage, die Unterdecken übernehmen die Heiz- und Kühlfunktion. Raumpflege. So übel waren die 60er Jahre doch nicht Im Innenraum hatten mit der Zeit technische Veränderungen, spontane praktische Entschei­ dungen oder Nachlässigkeiten ihre Spuren hin­ terlassen. Natürlich gibt es heute im Foyer keine Fernschreiber und Vermittlungstische mehr, de­ ren lange Pulte man in den 60er Jahren als Indiz zeitgemäßer Vernetzung präsentiert hat. Auch Telefonzellen und ein hauseigenes Reisebüro sind obsolet. (Und man lässt Besucher auch nicht mehr von Pagen durchs Haus führen.) So war an vielen Stellen zu entscheiden, was man zurückholen, wieder herstellen, neu interpretie­ ren oder aufgeben wollte – jeweils unter bau­ aufsichtlichen, brandschutztechnischen, ener­ getischen, funktionalen, denkmalpflegeri­ schen oder ästhetischen Gesichtspunkten. Ein Bürohaus ist kein Museum. Im neuen Foyer wird es ein öffentliches Café geben, die Mitarbeiter betreten das Haus jetzt über zwei getrennte Windfänge, um zu ihren Fir­ men zu gelangen. Die Dreiteilung des Raums bietet sich für getrennte Nutzungen förmlich an. An der Decke wurden die irgendwann gegen energiefressende Strahler ausgetauschten Leuchtstoffschraffuren wieder sinngemäß als Linien nachgezogen. Das Mobiliar von Arne Ja­ cobsen wird zum Glück noch heute hergestellt, das steht nun auf einer dunklen Teppichinsel vor der aufpolierten Wand aus grün-schwarzem norwegischem Marmorkonglomerat. Der raue Quarzit-Bodenbelag wurde ergänzt, er führt nach draußen auf den Vorplatz und verbindet durch die umlaufende Verglasung Außen- und Innenraum – ein typisches Motiv der späten fünfziger Jahre. Das alte Tragwerk wurde mit aussteifenden Glasschwertern an der Fassade wieder herge­ stellt. Diese Konstruktion war bereits nach ei­

nem Sturmschaden mit einer zusätzlichen Tei­ lung verändert worden. Die einfache Scheibe der Schwerter wurde (statt durch die heute ob­ ligatorischen drei Gläser) mit einer Zulassung im Einzelfall unauffällig verdoppelt. Auch die sich als Stufe davor abhebenden Radiatorgrä­ ben gibt es noch. Die Kante sollte die Scheiben vor den Reinigungsmaschinen schützen. In der Tiefe des dreieckigen Kerns, von dem sich in den Bürogeschossen tangential die Flure sprei­ zen, verliert man vor den identischen dunklen Aufzugswänden etwas die Orientierung und vermutet eine esoterische Bedeutung, als wür­ de aus dem Zentrum der Lichtfurchen an der Decke eine spirituelle Kraft strömen. Die alten Aufzugstüren mit starkfarbigen Emaillebildern von Stefan Knapp (1921 – 1996) sind erhalten, aber noch nicht wieder montiert. Zur Wegelei­ tung waren ehemals nur die Handläufe in den Treppenhäuser farbig markiert. Hier geben in den Flurschleusen jetzt rote, blaue und gelbe Glasverkleidungen Orientierung. Im obersten, im 23., Geschoss ist eine Restau­ rant eingerichtet, besser: eine Event-Ebene. Sie wird wie der mit vielen originalen künstleri­ schen Arbeiten wieder hergestellte unterirdi­ sche Veranstaltungssaal von einem eigenen Unternehmen bewirtschaftet. So haben auch Menschen, die nicht im Haus als Anwälte, Mak­ ler oder Projektmanager arbeiten, einmal Ge­ legenheit, ein Haus mit bauhistorischer Bedeu­ tung und architektonischer Qualität von innen kennen zu lernen.

Fassadenschnitt

M 1: 2 0

1 4

2

3

7

5

6 9

8

10

Weitere Pläne ab

1

Aluminiumlamellen als außen-

7

Primärfassade mit neutral

Rätselhafter Baufort­

Die Abweichung im

Seite 38

liegender Sonnenschutz

beschichteter Sonnenschutz-

schritt: Oben wird das

Erscheinungsbild muss im Millimeterbereich

2 Blendschutz

verglasung

Haus mit einer Stahlkon­

3 Prallscheibe

8

Aluminiumpaneel mit Dämmung

struktion aufgestockt,

liegen. Nur die Haus­

4

abgehängte Decke mit Heiz-

und Brandschutz-Elementen

unten die Fassade aus­

kanten wirken durch die

und Kühlelementen

9

Stahlunterkonstruktion zur

getauscht.

zusätzliche Prallscheibe

5 Lüftungsöffnung

Fassadenbefestigung

6

10

Brüstungsglas mit weißem Sieb-

druck

Schall- und Brandschutz-

abkofferung

etwas transparenter.


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