Baumeister Zeitschrift für Architektur 108. Jahrgang August 2011
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D 15 EUR A, L 17 EUR CH 23 SFR
Mit dem Zeichen flirten — Architektur und Symbol ⁄ Der wahre Bilbao-Effekt ⁄ Zumthors Garten ⁄ Frisst der Konsum die Stadt?
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Identität, in Containern geliefert Museum aan de Stroom in Antwerpen Neutelings Riedijk Architects Antwerpen eröffnet sein neues Stadtmuseum MAS. Eine weitere Stadt entdeckt damit ihren Hafen. Außerdem positioniert sich die selbstbewusste flämische Metropole gegenüber Brüssel als attraktives Zentrum der Gegenwartskultur. von Falk Jaeger
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Titelthema: Architektur und Symbol
In Sachen Mode, Schmuckdesign und Architektur ist Antwerpen der europ辰ischen Hauptstadt Br端ssel meilenweit voraus. Unten: Im Wettbewerb gewann der mutigste Entwurf. Un端bersehbar, zehn Geschosse hoch t端rmt sich das MAS als neues Wahrzeichen der Stadt.
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n Belgien sagt man, „Brüssel ist die Kapitale, Antwerpen ist das Kapital“. Die Dualität der beiden ungleichen Metropolen hat sich in den letzten Jahren verstärkt. Brüssel, das sich als europäische Hauptstadt geriert, wird mehr und mehr zur hypertrophen Beamtenstadt. Die architektonische Kultur bleibt dabei auf der Strecke. Antwerpen lebt vom zweitgrößten Hafen Europas. Diamantbearbeitung und Diamanthandel, einst ein Monopol der Stadt an der Schelde, sind ist angesichts der asiatischen Konkurrenz von sinkender Bedeutung. Doch Antwerpen gelingt es zusehends, seine jahrhundertealte Funktion als Stadt der Kultur und der Künste ins Feld zu führen. Das für Antwerpen goldene 16. Jahrhundert mit seiner Prachtarchitektur sowie Peter Paul Rubens machen die Stadt zu Belgiens Tourismusziel Nummer eins. Die Gegenwartskultur steht dem nicht nach. Mode und Schmuckdesign setzen internationale Trends. Hin und wieder hat Antwerpen auch architektonische Schlagzeilen gemacht, etwa durch den exaltierten Justizpalast, den Richard Rogers an den Autobahnring südlich der Altstadt setzte. Und nun das neue „Museum aan de Stroom“, kurz MAS, ein Leuchtturmprojekt, das als Initialzündung für ein ehrgeiziges städtebauliches Entwicklungsszenario fungiert. Am Strom steht es nicht direkt, sondern zwischen den beiden historischen Hafenbecken Bonapartedok und Willemdok. Napoleon hatte hier unmittelbar vor der barocken Stadtbefestigung das erste, durch Schleusen vom Tiedenhub der Scheldemündung abgetrennte Hafenbecken anlegen lassen. Von hier aus plante er die „Pistole auf das Herz Londons“ zu richten und England zu attackieren. Vom Rotlicht- zum Trendviertel Das etwa 35 Hektar umfassende älteste Hafenareal „Eilandje“ dämmerte seit Jahrzehnten als verrufenes Rotlichtviertel vor sich hin, nachdem der moderne Hafen mit ganz anderen Dimensionen sich nach Norden verlagert hat. Wie Hamburg, Amsterdam oder London – nur einige Jahre später – ergreift nun Antwerpen die Chance, sein obsoletes altes Hafengebiet in Innenstadtnähe zu einem boomenden Stadtteil zu entwickeln. Das MAS spielt in diesem Zusammenhang als Booster die entscheidende Rolle.
Neues Leben im alten Hafenviertel – nicht nur für Touristen. Neben Strandbars, Restaurants, Designläden und Eventlocations entstanden auch zwei Wohntürme.
Damit verstärkt sich eine absurde Situation: Dass eine Stadt mit starker Identität in einem Land mit schwacher Identität sitzt wie ein interner Widerspruch. Belgien hadert mit sich selbst. Das Auseinanderbrechen des Staats ist weiter eine reale Option. Als Metropole im reichen Flamen steht Antwerpen automatisch im Zentrum des Konflikts. Zugleich aber scheint die belgische Existenzkrise der Identität der Stadt nur wenig anhaben zu können. Das Selbstbewusstsein der Entwürfe zum Wettbewerb verstärkt diesen Eindruck. Und es scheint, als hätte der Mutigste von ihnen gewonnen. Während Bernard Tschumi, MVRDV, Tadao Ando oder Future Systems flachere Baukörper vorschlugen, schraubten Willem Jan Neutelings und Michiel Riedijk die Baumassen buchstäblich in die Höhe und schufen damit das neue Wahrzeichen der Stadt. Ein Hafenspeicher sollte es sein, gestapelte Kisten aus der VorContainerzeit sollte der Bau symbolisieren, und so türmten die Architekten zehn Geschosse aufeinander, Foyer, Verwaltungsgeschoss, sieben Ausstellungsebenen und obenauf ein Restaurant. Anziehungspunkt für Einheimische und Touristen Doch Neutelings Riedijk hatten kein schlichtes Hochhaus mit Aufzugskern im Sinn. Jedes Geschoss kragt um satte neun Meter aus und ist gegenüber dem darunterliegenden um 90 Grad verdreht. Den dadurch entstandenen, sich spiralförmig nach oben windenden Freiraum haben sie mit einem Vorhang aus ondulierten Einscheibengläsern geschlossen, die durch die Wellen stabil stehen und ohne Rahmen und Tragkonstruktionen auskommen. „Boulevard“ nennen die Architekten den unbeheizten Spiralraum, der, von zehn Uhr bis Mitternacht frei zugänglich, die Öffentlichkeit ins Haus bringen soll. Per Rolltreppe lassen sich die Besucher nach oben tragen und genießen den fantastischen Ausblick über die Stadt, in jedem Stockwerk in eine andere Himmelsrichtung, bis hinauf zur Rundumsicht in 64 Metern Höhe. „Gibt es einen besseren Ort, um sich zu küssen, als die Dachterrasse dieses Gebäudes?“, schwärmt der Kulturstadtrat. Ob das Kalkül aufgeht, muss sich noch zeigen, denn nur mit Küssen und Aussicht genießen wird man die Flaneure nicht auf Dauer ins Haus locken. Das elegante Restaurant „t’Zilte“ des Zwei-Sterne-Kochs Viki Geunes im obersten Stockwerk ist sicher kein Magnet für das große Publikum. Man wird also die zweigeschossigen Eckräume noch mit Attraktionen ausstatten müssen, mit Cafébars und/oder mit Kunstobjekten (wie in der Wettbewerbsfassung vorgesehen). „Das MAS ist ein Hot Spot, ein Scharnier zwischen Stadt, Strom, Hafen und Welt. Ein Geschichten-Turm, in dem alles möglich ist“, verspricht Museumsdirektor Carl Depauw. Man ahnt das Potenzial, aber es ist noch viel zu tun, vor allem für die Jugend, die man im Haus haben will. Abgesehen vom gläsernen Vorhang ist der Boulevard an Wänden, Decken und Böden allseits mit demselben roten Sandstein verkleidet, der auch das Außenbild des Turms bestimmt und farblich mit den Ziegelbauten im Hafen korrespondieren soll. Man kennt das in dicke Platten gespaltene Gestein aus dem indischen Radjastan von der indischen Botschaft in Berlin. Am Boden hat das Material mit seiner groben Oberfläche Pflastercharakter. ►
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Titelthema: Architektur und Symbol
Als Metropole im reichen Flamen steht Antwerpen automatisch im Zentrum des Konflikts. Zugleich aber scheint die belgische Existenzkrise der Identität der Stadt nur wenig anhaben zu kÜnnen.
Weithin leuchten die roten Sandsteinplatten des Museums. Die Architekten verzieren sie mit Aluminiumplaketten, gestaltet von dem Grafiker Tom Hautekiet. Als Motiv wählte er Scamozzis Idealstadt Palmanova (rechts unten).
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Fensterlose Boxen und lichte Terrassen „Die steinernen Boxen für die Sammlungen historischer Objekte symbolisieren die tote Vergangenheit. Der Boulevard mit den bewegten gläsernen Wellen bringt das Leben ins Haus“, erläutert der Architekt seine Konzeption, „die bewahrte Geschichte ist perfekt klimatisiert, aber das Klima des lebendigen Boulevards wandelt sich mit dem Wetter“. Neutelings ziert seine Fassaden gerne mit semantischen Aperçus. Am MAS sind es neckische Hände aus Aluminiumguss, das Logo Antwerpens, angebracht auf jeder dritten Fassadenplatte. Im Inneren finden sich 3000 Medaillons aus Aluminiumguss, die jede dritte Platte schmücken. Sie zeigen Scamozzis Plan der Idealstadt Palmanova von 1593, umringt von einem Endlosgedicht und wurden von Tom Hautekiet gestaltet. Vom Boulevard aus gelangt man in die sieben Ausstellungsgeschosse, fensterlose Boxen, in denen die unterschiedlichsten Ausstellungen präsentiert werden. Denn das MAS ist ein städtisches Haus, in dem drei Museen und mehrere Privatsammlungen zusammengefasst sind, eine Wunderkammer mit historischen, ethnischen, maritimen Sammlungen, mit Kunst aus allen Jahrhunderten und moderner Stadtplanung. Die Ebenen sind nur gegliedert durch die beiden geschosshohen Fachwerkträger, die für die Auskragung notwendig sind. Kaum ein Tourist wird künftig die Stadt verlassen, ohne das MAS gesehen zu haben. Und ohne die Umgebung zu erkunden, die neue Kunstszene, das in Bau befindliche Auswanderermuseum, die Strandbars, den Yachthafen und die restaurierten Lagerschuppen mit den Designshops, Restaurants und Eventlocations. Seit dem Wettbewerb 2000 und dem Baubeginn des MAS 2006 zieht das Quartier private Investitionen magisch an. Zwei 16-geschossige Hochhäuser mit teuren Apartments stehen schon, vier weitere sollen folgen, in den Erdgeschossen mit Cafés und Boutiquen für Mode und Lifestyle. „Noch laufen die Geschäfte schleppend, aber wir wollten die ersten sein“, sagt die Besitzerin der Lingerie-Boutique und schaut hoffnungsvoll hinüber zum Leuchtturm MAS. ●
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Fast wie eine offene Terrasse: Zwischen den geschlossenen Ausstellungscontainern liegen unbeheizte zweigeschossige Eckr채ume mit Blick auf Stadt und Strom. Die ondulierten Einscheibengl채ser stehen ohne Rahmen und Tragkonstruktion.
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„Die steinernen Boxen für die Sammlungen historischer Objekte symbolisieren die tote Vergangenheit. Der Boulevard mit den bewegten gläsernen Wellen bringt das Leben ins Haus“, erläutert der Architekt seine Konzeption, „die bewahrte Geschichte ist perfekt klimatisiert, aber das Klima des lebendigen Boulevards wandelt sich mit dem Wetter“.
Auch ohne einen Blick in die Ausstellung lohnt sich der Besuch. Die Rolltreppen führen in jedem Stockwerk spiralförmig in eine andere Himmelsrichtung. Unten: Raumhohe Fachwerkträger gliedern die fensterlosen Container.
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Bauherr: Stadt Antwerpen mit AG Vespa Architekten: Neutelings Riedijk Architects, Rotterdam www.neutelings-riedijk.com Tragwerksplanung: Bureau Bouwtechniek, Antwerpen; ABT België, Antwerpen Bauphysik: Peutz bv ingenieuze adviseurs, Mook Wettbewerb: April 2000, 1. Preis Fertigstellung: 2010 Standort: Hanzestedenplaats, Antwerpen, Belgien Fotos: Matthias Jung, Erftstadt; Sarah Blee, Antwerpen; Scagliola/Brakkee, Rotterdam
„Gibt es einen besseren Ort, um sich zu küssen, als die Dachterrasse dieses Gebäudes?“, schwärmt der Kulturstadtrat.
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Grundrisse M 1 : 1000 Schnitte AA und BB M 1 : 800 Lageplan M 1 : 7500
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