Baumeister 09/2020

Page 1

B9

BAU ME ISTER

117. J A H R G A N G

September

Das ArchitekturMagazin

20

Was bringt die Zukunft?

9 Fragen zur Architektur

+

THOMAS AUER

+

BURGER RUDACS ARCHITEKTEN +

HEATHERWICK STUDIO

+

HEILER GEIGER ARCHITEKTEN & STADTPL ANE R +

N I C K L & PA R T N E R ARCHITEKTEN +

THEY FEED OFF BUILDINGS

+

CHRISTOPH WAGNE R ARCHITEKTEN MIT WENKE SCHLADITZ +

JUAN LUCAS YO U N G


4

B 9

Fragen:

Gast-Arbeiter Mit der Frage „Wie steht es um die Rolle

RUBRIKEN 6 EIN BILD 44 SONDERFÜHRUNG 60 KLEINE WERKE 92 LÖSUNGE N: FASSADE 10 0 REFERENZ 102 LÖSUNGEN: MAUERWERK + WANDBAUSTOFFE 109 IMPRE SSUM + VORSCHAU 11 0 PORTFOLIO: DIGITALE S BAUE N 11 4 KOLUMNE

Was erwartet die Architekten in den nächsten Jahren? Welche drängenden Fragen werden sie beschäftigen? In dieser Ausgabe suchen wir nach Antworten zu den häufig diskutierten Themen – zur Zukunft Bauen.

des Architekten?“ beschäftigt sich Juan Lucas Young, Partner im Büro Sauerbruch Hutton, auf Seite 84.

Seit der Ausgabe B9/14 zieren die Porträtköpfe von Clemens Habicht unsere Inhaltsseiten. Auf unserer Website kann man sich jetzt seine Arbeitsweise ansehen.


5

(1) Welchen Anforderungen muss Architektur in Zukunft standhalten ? KLIMA

S. 8

(4) Der Architekt als Projektentwickler – nur bauen, was gebraucht wird ? VIE LFALT

(7) Wie soll die Stadt der Zukunft aussehen ? POST-CORONA-CITY

S. 68

S. 34

(8) Was ist nachhaltige Architektur ? NACHHALTIGKE IT

(2) Wie mit Hochwasser planen ? WASSE R

S . 14

(5) Bestandsgebäude und Abriss als Materiallager der Zukunft ? RE CYCLI N G

(9) Wie steht es um die Rolle des Architekten (6) BIM-Standards ? in der EU: Wer setzt sich für die Interessen der Architekten ein ? ( A )

S. 46

(3) Wie ist die Klinik der Zukunft organisiert ? GESUNDHEIT

S. 24

S. 72

+

POLITIK

( B )

S. 56

DIGITALISIE RUNG

S. 84

S. 62


8

Welchen Anforderungen muss Architektur in Zukunft standhalten ? ( Projekt ) „urbainable – stadthaltig“

( Interview ) Anja Koller


1. Frage

Klima

9

Planungsziel Robustheit Wie bauen wir, wenn es im Zuge des Klimawandels vor allem im urbanen Raum immer heißer wird? Wir sprechen mit Thomas Auer über „Klima-Engineering“, den gesunden Menschenverstand beim Bauen, über Robustheit in der Architektur und warum Low-Tech das eigentliche HighTech ist.

B

Herr Auer, was muss man sich unter „Klima-Engineering“ vorstellen? T H O M A S A U E R : Ich muss kurz vorausschicken – wichtig ist eine ganzheitliche Denke. Für ganzheitliche Strategien im Gebäude-Stadt-Kontext ist es notwendig, die verschiedenen Ebenen nicht getrennt voneinander zu optimieren, sondern ein Umdenken hin zur ganzheitlichen Betrachtung von Zusammenhängen zwischen Architektur und Technik, Gebäude und Stadt voranzutreiben. Wenn man das versteht, wird auch schnell deutlich, was Climate Engineering eigentlich ist. AUMEISTER:

Und zwar? Es hat das Ziel, ein Klima im Gebäude zu erzeugen, mit dem die Menschen sich wohl fühlen. Und das mit möglichst wenig maschineller Unterstützung. Technik soll unterstützend eingesetzt werden. Im Idealfall soll das Gebäude, die Architektur durch die Wahl des Materials, durch die Bauweise, den Standort dieses Wohlfühlklima selbst herstellen. Wir sprechen hier von Low-Tech. Je mehr wir uns damit beschäftigt haben, desto deutlicher wurde allerdings, dass wir nicht wirklich verstehen, mit welchem Klima man sich wohlfühlt – mit dem in High-Tech-Gebäuden, die mit enormem baulichen und energetischen Aufwand im Betrieb konzipiert sind, nachgewiesenermaßen nicht. Wenn wir in solch einem Gebäude dann auch noch zu allem Überfluss Photovoltaik auf dem Dach platzieren, um das Klima umweltbewusst zu optimieren, dann haben wir wirklich alles falsch gemacht. Denn Nachhaltigkeit ist etwas anderes, nämlich – um Alejandro Aravena zu zitieren – die konsequente Anwendung von gesundem Menschenverstand. Und die meisten baulichen High-Tech-Lösungen sind eben keine des „Common Sense“. Deswegen plädiere ich dafür, in unsere Planungen ein wenig mehr Common Sense zu integrieren. B:

TA:

Ich gebe Ihnen ein Beispiel: 2006 haben wir zusammen mit den Pariser Architekten von Ateliers Lion für den Neubau einer Schule in Damaskus ein auf die lokalen Bedingungen abgestimmtes Klimakonzept erarbeitet. Unser Ziel war es, uns auf die traditionelle syrische Bauweise rückzubesinnen, sie aber weiterzuentwickeln und lokale Materialen zu verwenden. Wir haben ganz bewusst auf hochtechnologische Lösungen verzichtet. Wir haben das typische syrische Wüstenklima – heiße Tage und kühle Nächte – genutzt und die Zuluft des Tages aus den verschatteten Mik roklimas der Innenhöfe der Schule über Erdkanäle den Klassenräumen als vorkonditionierte Frischluft zugeführt. Angetrieben wird das System über windunterstütz te Solarkamine. In der Nacht wird über die kühle Außenluft die in die Erdkanäle und in der Gebäudemasse gespeicherte Wärme des Tages zeitversetzt abgebaut. Somit haben wir komplett auf Klimatisierung verzichten können. Das ist klimagerechtes Bauen. Wir fragen uns: Wie funktioniert das lokale Klima und wie können wir wieder Architektur bauen, die das Klima optimal nutzt und mit dem Klima arbeitet und nicht dagegen. TA:

Also kein klimatisiertes Glashaus in Dubai? T A : Genau (lacht). Bei uns geht es um Robustheit, es geht um Low-Tech versus High-Tech. Wir sind einer Philosophie verfallen, die besagt, Technik darf nur unterstützend da sein. Nicht „because we can“. Aber natürlich ist uns auch klar, dass wir uns nicht wieder zurückentwickeln wollen. Wir verteufeln Technologie nicht. Vielmehr haben wir immer nach einem Begriff gesucht, wie wir das fassen können, diese Denke, bei der es nicht darum geht, Technik abzulehnen, sondern Technik eben nur da einzusetzen, wo sie Sinn macht. Das hat uns zu dem Begriff der Robustheit geführt. B:

Wie lässt sich Robustheit am besten beschreiben und vor allem messen? B:

B:

Wie stellen Sie sich das vor?

WEITER


14

Wie mit Hochwasser planen ? ( Projekt ) Little Island Park, New York ( Architekten ) Heatherwick Studio

( Kritik ) Wolfram Hรถfer ( Fotos ) Timothy Schenck


2. Frage

Wasser

15

Grüne Insel Seit ihrer Gründung zeichnet sich die Inselstadt New York durch ihre Hassliebe zum umgebenden Wasser aus. Der neue „Little Island Park“ in Manhattan am östlichen Ufer des Hudson stellt einen weiteren Schritt in der Transformation von ehemaligen Hafengeländen zu Parks für die Bewohner des nun höchstpreisigen „Meatpacking District“ und „West Village“ dar. Little Island Park ist ein Beitrag zum laufenden Diskurs über defensive Lösungen in Zeiten wachsender Anforderungen an Nachhaltigkeit im Klimawandel – für Architekten sowie für die Rolle von Privatkapital im öffentlichen Raum.

I

m Kinofilm von 1953 „Die Faust im Nacken“ (On the Waterfront) mit Marlon Brando wird der Überlebenskampf von Hafenarbeitern in Manhattans kilometerlangem Hafengebiet entlang des Hudson geschildert. Bis heute hat sich das Image von Dreck, Prostitution, Bandenkriegen und Korruption nicht ganz aufgelöst. Zwar wurden bis Ende der 1980er-Jahre sämtliche Hafenaktivitäten in das ein paar Kilometer südlich gelegene Elizabeth in New Jersey verlegt, was jedoch blieb, waren heruntergekommene Lagerhallen, verfallene Piers und rostige Zäune, die Manhattan vom Hudson trennten. Für die meisten Anwohner war es damals undenkbar, dass diese Gegend einmal Kronjuwel im Immobilienmarkt von Manhattan werden sollte. Das begrünte Ufer von heute mit seinen vielen Joggern, Radfahrern, Sonnenanbetern und Touristen gibt beredt Zeugnis, wie schnell sich die Dinge – und die öffentliche Wahrnehmung – ändern. Kaum jemand weiß heute noch, wie schäbig es vor gerade einmal 40 Jahren dort aussah. Ein Problem: die Finanzierung Die Transformation dieses Teils von New York begann 1988 mit der Gründung des „Hudson River Park Trust“ durch die Stadt und das Bundesland New York. Ziel der Organisation war es, öffentliche Freiflächen entlang der West Side von Manhattan zu schaffen und zu unterhalten. Das Grundkapital wurde zwar von den öffentlichen Trägern beigesteuert, der Betrieb aber

durch Einnahmen aus Gewerbemieten, Stiftungen und privaten Spenden finanziert. Aus europäischer Perspektive erscheint es auf den ersten Blick befremdlich, dass eine Multimillionen-Stadt, das finanzielle Zentrum der Welt mit den teuersten Immobilien des Landes, finanziell nicht in der Lage ist, ausreichend Grünflächen für ihre Bewohner aus Steuermitteln bereitzustellen und zu unterhalten. Allerdings ist im neuen Goldenen Zeitalter der Multimilliardäre die Neigung, Steuern zu zahlen, äußerst gering, und so verfügen Kommunen und Länder nicht über ausreichend Einnahmen; Projekte wie Little Island werden daher fast ausschließlich aus privater Hand finanziert, etwa von der Familie Diller-von Fürstenberg beziehungsweise deren Stiftung, die auch den bekannten „Highline“-Park auf einer ehemaligen Schienentrasse mitfinanziert hat. Unter der Bedingung, dass etwas „architektonisch Herausragendes“ geschaffen werde, war man nun auch diesmal bereit zu spenden: Das Londoner Büro Heatherwick Studio hatte bereits mit „Vessel at Hudson Yards“, einer beeindruckenden Aussichtstreppenskulptur bewiesen, dass es spektakuläre Objekte für den öffentlichen Raum in NYC entwerfen kann, und wurde daher wieder angefragt, ein Projekt für das verfallende Pier 54 zu entwickeln. Zum Entwurf Heatherwick Studio schlug vor, Pier 54 und 55 durch eine quadratische Kunstinsel zu ersetzen, deren niedrigster Punkt fünf MeWEITER


16

2. Frage ter über dem Meeresspiegel liegt – die Uferstützmauer befindet sich nur drei Meter über dem Meeresspiegel. Der geplante Flutschutz für Manhattan, „The Big U“, endet weiter südlich. Wegen dieses Höhenunterschieds sitzt die Insel relativ weit vom Ufer entfernt, damit die Steigung der beiden Brücken auf die Insel (jeweils 48 und 50 Meter lang) nicht zu stark ausfällt. Wenn also die nächste Sturmflut kommt, wird zwar dieser Teil Manhattans unter Wasser stehen, Little Island und sein Park werden aber über den salzigen Fluten th ronen. 28 0 Betonpfeiler t ragen die knapp einen Hektar große künstliche quadratische Insel auf Stelzen, die sich in einem Winkel von 45 Grad zum Ufer hin neigt und nur über die beiden Brücken erreicht werden kann. Die Betonpfeiler dehnen sich an ihren oberen Enden trichterförmig aus, bieten Raum für Erde und schaffen ausreichend Stabilität für ein Amphitheater. Um ein derart komplexes Projekt zu stemmen, wurden Experten aller Disziplinen ausgewählt: Mueser Rutledge Consulting Engineers für den Wasserbau, Arup Engineers Statik, Fisher Marantz Stone für die Beleuchtung, Standard Architects für die Genehmigungen des Amphitheaters sowie Matthews Nielsen MNLA als Landschaftsarchitekten. Im ursprünglichen Entwurf von Heatherwick gab nur einen Hauptweg, ähnlich wie bei der Highline oder beim Vessel, doch MNLA nahm sich des Themas Wegeführung und Besuchersteuerung an: Signe Nielsen schlug ein zusätzliches System von Rampen und Treppen zum Hauptweg mit teilweise steilen Nebenwegen und Kletterpartien vor, das Besuchern ein deutlich vielseitigeres Erlebnis bescheren wird. Ebenso lag Pflanzenwahl, Substrat und Bewässerung in ihren Händen. Der Weg auf die Insel führt übers Wasser. Die Trennung vom hektischen Manhattan bereitet den Besucher darauf vor, dass ihn etwas anderes erwartet. Die Idee der Architekten von einem Blatt, das auf dem Wasser schwimmt, wird deutlich, wenn man die Insel betreten hat und die leicht wellige Landschaft erlebt. Die westliche Erhebung bietet Waldvegetation und einen Panoramablick auf den Hudson. Immergrüne Pflanzen schützen die nördliche Seite vor Wind. Eine nach Osten ausgerichtete Wiese ist ein perfekter Ort für morgendliches Yoga, eine andere nach Süden wartet auf Sonnenfreunde. In den tieferen Lagen kann man sich weit weg von Manhattan fühlen, weil man die Stadt nicht mehr sieht. In technischer Hinsicht ruht der Park auf einem Mosaik von Pflanztrögen auf Stelzen – die Architekten von Heatherwick Studio interpretieren so das Thema Pier. Während alle Stützen für einen funktionierenden Hafen eine exakte Ebe-

Wasser

ne bilden müssen, ist der freizeitorientierte Pier in der Erlebnisgesellschaft ein onduliertes Vergnügen. Künftiger Unterhalt Für die nächsten 20 Jahre wird die Dillervon Fürstenberg-Stiftung für die Unterhaltskosten aufkommen. Sollte danach keine ausreichende Finanzierung möglich sein, können die Landschaftsarchitek ten nach und nach eine weniger pflegeintensive Bepflanzung vorsehen. So müssen in Zukunft auch keine Veranstaltungen für Einnahmen sorgen. Der Pachtvertrag zwischen dem Grundeigentümer Hudson River Park Trust und dem Pächter, der Stiftung, legt darüber hinaus fest, dass Little Island immer kostenlos und für jeden zugänglich sein muss – was private Events ausschließt und sicherstellt, dass der Park allen voran den Anliegern zur Erholung dient. Dieses Konzept dient bereits in der gesamten Stadt als positives Beispiel für eine erfolgreiche (Re-)Vitalisierung der zahlreichen Uferzonen, die noch nicht abgeschlossen ist. Weitere Piers warten auf ihre Sanierung oder Umwandlung, denn zur Zeit kann auch keiner absehen, was mit den Kreuzfahrtschiff-Terminals an Pier 92 und 94 passieren wird, wenn sich die Branche nicht von der Covid-19-Schockwelle erholt. Das Corona-Virus stellt auch für Landschaftsarchitekten und Architekten in New York eine Herausforderung dar. Zwar wird an laufenden Projekten zurzeit noch weitergebaut, neue Aufgaben lassen aber auf sich warten. Die Kommunen sind finanziell weiter überlastet, und die Spendenbereitschaft der (Super-)Reichen in Zeiten öko nomischer Krisen schwindet. Vor diesem Hintergrund wird Little Island auch in Zukunft vermutlich nicht nur gestalterisch und ingenieurtechnisch herausragen, sondern auch was seine Finanzierung angeht. Und sollte der Meeresspielgel tatsächlich schneller als erwartet weiter ansteigen, fragt sich, wer dann überhaupt noch auf Little Island seine mo rgend l ichen Med i ta t ionsübungen macht. GRUNDRISS AUF SEITE 20

Neuer Anziehungspunkt im ehemaligen Hafengelände am Hudson: Ein Park auf Stützen soll für jedermann zugänglich sein.


17

ILLUSTR ATION: HEATHE RWICK STUDIO

Little Island Park New Yorks Ufer am Hudson River wird attraktiver. Während die Zukunft der anderen Landungsbrücken noch ungewiss ist, ersetzt man Pier 54 und 55 durch einen öffentlichen Park.


24

Wie ist die Klinik der Zukunft organisiert ? ( Projekt ) Universitätsklinikum Bonn

( Interview ) Mark Kammerbauer

( Architekten ) Nickl & Partner

( Fotos ) Werner Huthmacher


3. Frage

Gesundheit

25

Bessere Vernetzung Mit 200 Mitarbeitern ist das Büro Nickl & Partner Architekten international in der Planung von Bauten des Gesundheitswesens tätig. Wir treffen Christine Nickl-Weller im Homeoffice und sprechen mit ihr über aktuelle Herausforderungen im Krankenhausbau und welche architektonischen Lehren aus der Corona-Krise gezogen werden können.

B

Was ist im Moment die größte Herausforderung im Krankenhausbau? Was ändert sich dort gerade? C H R I S T I N E N I C K L - W E L L E R : Ich hatte den Lehrstuhl für Entwerfen von Bauten für das Gesundheitswesen an der TU Berlin inne und bin mittlerweile emeritiert. In der Forschung und als Lehrende von jungen, heranwachsenden Architektinnen und Architekten hat uns interessiert, wie man Krisensituationen bewältigen kann beziehungsweise einen Beitrag in Ländern leisten kann, in denen das Gesundheitssystem weit hinten hängt. Wie man Systeme schafft, die dazu beitragen, dass Hilfe bei der Bevölkerung ankommt. Und um überhaupt zu einer Gesundheitsversorgung beizutragen. Da ist es so, dass wir uns seit langem mit der digitalen medizinischen Versorgung, also der Umsetzung durch Telemedizin mittels Smartphone befassen. Das Smartphone wird in unserer vernetzten Welt wie selbstverständlich zum Kommunikationsträger. Nehmen Sie China, wo es zum Chat, zum Bezahlen, zum Einkaufen, einfach zu allem gebraucht wird. Auch zur Gesundheitsversorgung. Das schließt auch den ganzen Überwachungsapparat ein, der über diese Technologie funktioniert. Da ist die Gesundheit mitvernetzt. Und diese Vernetzung systemisch zu denken, in baulichen Volumen – das ist, was wir architektonisch machen, und das ist auch ein Forschungsschwerpunkt. Ich denke, mit unserer sehr hoch entwickelten Expertise im Gesundheitssystem in Deutschland sind wir wunderbar versorgt. Nur möglicherweise in der Fläche nicht. Obwohl wir hier sehr, sehr großen Aufwand betreiben. AUMEISTER:

Was ist denn in diesem Zusammenhang der größte baulich-räumliche Bedarf? C N W : Es gibt auch in Europa Beispiele dafür, wie man sich mit der Zentralisierung im Gesundheitswesen beschäftigt. Dazu gehören regionale Schwerpunktkrankenhäuser oder Universitätskliniken, die das exzellente Wissen zentralisieren. Da muss B:

eine Gruppe von spezialisierten Ärzten letztlich in einem telemedizinischen Zentrum sitzen, räumlich und nicht nur digital. Würden sich die niedergelassenen Fachärzte wieder zusammentun, würden die ebenfalls ein solches Exzellenzzentrum bilden. Das könnte ein ambulantes Zentrum sein. Und in diesem Sinn sollte ein Wandel stattfinden. Wir haben nämlich immer noch Zwei- bis Dreibettzimmer in unseren Kliniken – das zu verändern ist eine echte räumliche Herausforderung. Tatsächlich ist es so: Es gibt Evaluierungen, Promotionsarbeiten, die sich mit diesen Themen befassen. Insbesondere im Zusammenhang mit der Normalpflege und der Intensivpflege. Und dort ist man eigentlich klar zum Schluss gekommen, dass insbesondere in der Intensivpflege das Einbettzimmer ein Muss ist. Alles andere ist sehr bedenklich – aus hygienischen Gründen. Erlebt man nicht ein soziales „Miteinander“ in einem Mehrbettzimmer? C N W : Da hat eine Hierarchisierung stattgefunden. In einem Krankenhaus sollen Sie nicht „gesund werden“. Im Krankenhaus sollten Sie wirklich nur während der Zeit der Gefahr, des Eingriffs, der Therapie, der Diagnostik sein, um dann möglichst schnell in ein abgestuftes System der Rehabilitation überzugehen. Das ist viel geeigneter. Da kann etwa ein Hotelbetrieb angeschlossen sein, und falls es zu einem Rückfall käme, kann man sofort wieder Zugriff auf das Krankenhaus haben. Es gibt die medizinische Betreuung, und es gibt die Leichtpflege, die sowieso nicht kombiniert werden sollte mit etwas anderem. Das kann das Personal sonst kaum bewältigen. Es erzeugt nämlich Stress, wenn mehr und mehr Patienten auf eine Pflegekraft verteilt werden. Als Architektin weiß ich, dass das so gehen kann. Eigentlich sollten wir grundsätzlich Leichtpflege und Schwerstpflege voneinander unterscheiden. Und Co rona bedeutete Schwerst pflege. B:

WEITER


Sonderführung mit ... ... Franziska Stöhr

M ZU

THE M

Oben: „Cities of the Avant-Garde“, 2011 bis 2020, von WAI Architecture Think Tank (Cruz Garcia + Nathalie Frankowski)

Das Gespräch führte

ambivalente Geschichte der Utopie zu reflektieren. Sie wurde bei Weitem nicht nur positiv bewertet. Besonders im 20. Jahrhundert wurde ihr immer wieder der Vorwurf gemacht, dass sie zu Totalitarismen führt. Ist da was Wahres dran? Utopie führt nicht zwangsläufig zu Totalitarismus, auch wenn sie zu diesem Zweck instrumentalisiert werden kann. Man muss sich daher Gedanken darüber machen, welchen Utopiebegriff man heute eigentlich nutzt. Für mich ist die sozialwissenschaftliche Perspektive von Ruth Levitas spannend, die die Utopie als MeB:

F S:

Mark Kammerbauer

M G.

O L B

In den vergangenen fünf Jahren sind unsere gesellschaftlichen Diskurse oft sehr stark ins Negative gekippt. Man formuliert nicht mehr, was man eigentlich machen möchte, sondern was man nicht machen möchte. Für mich war das ein Anlass zu schauen, welche Beiträge es in Kunst, Architektur und Design gibt, um eine produktive und offene Gesellschaftsdiskussion anzustoßen. Diese Bereiche können kreative Motoren für unsere Gesellschaft sein, und das Utopische öffnet entsprechende geistige Freiräume für ein Denken über neue Zukünfte und alternative FRANZISKA STÖHR:

SE REM UN

pie?

BAU MEISTER. DE N

Gastkuratorin der Ausstellung „Was, wenn ...? Zum Utopischen in Kunst, Architektur und Design“ im Neuen Museum, Nürnberg / / / / / / / / / / / / / / / / / / / / / B A U M E I S T E R : Wie kommen Perspektiven. Mir war es bis 20.9.2020 Sie auf das Thema der Utoallerdings auch wichtig, die

SE N SIE LE I

E

H

A

R

thode betrachtet, sozusagen als eine Methode des Denkens und nicht als Ziel. Damit gewinnt die Utopie für die Gegenwart unmittelbar Bedeutung. Das Denken über neue Zukünfte und alternative Perspektiven betrifft auf diese Weise ein sehr aktuelles Anliegen, das Potenzial der Utopien für eine produktive und offene Gesellschaftsdiskussion auszuloten. In den letzten zehn Jahren wurde zudem und zunehmend diskutiert, dass durch einen Mangel an Utopien den gesellschaftlichen Debatten eine treibende Kraft fehlt. Nicht nur in Kunst, Architektur und Design, sondern auch in der Politikwissenschaft und anderen Disziplinen wird die Forderung nach neuen

ILLUSTR ATION: WAI ARCHITEC TURE THINK TANK (CRUZ GARCIA & NATHALIE FR ANKOWSKI)

44


50

1

3

2

4

1

Wie ein Pavillon

3 + 4 Raumgewinn

mutet die Kita im

im Gartengeschoss:

großen parkähnli-

Die neue Fassade

chen Grundstück

greift hier weit in

an. Hinter der

den Garten aus und

neuen Hülle schim-

schafft einen groß-

mert teilweise der

zügigen Bewe-

Altbau durch.

gungsraum. Alt und Neu wirken viel-

2

Große Türen

schichtig zusam-

führen direkt auf

men: die Klinkerfas-

die Terrasse mit

sade mit neuen

Sandkasten und

Stahlrahmen in den

Sonnensegel.

vorhandenen Fensteröffnungen, Sichtbeton, Putz und Polycarbonatplatten.


54

5. Frage

Recycling ( A )

M 1:1. 5 0 0

Umbaukonzept

Lageplan

Vorher BAUHERR:

ELEKTROPLANUNG:

Alois-Goldhofer-Stiftung,

Kettner & Baur GmbH,

Memmingen

Memmingen

ARCHITEKTEN:

LICHTPLANUNG:

heilergeiger architekten

Generation Licht,

und stadtplaner BDA,

Gaienhofen

Nachher

Kempten Jörg Heiler und Peter Geiger

BRANDSCHUTZ-

www.heilergeiger.de

PLANUNG: Anwander GmbH & Co. KG,

TR AGWERKS-

Sulzberg

PLANER: IHW Beratende Ingenieure,

FERTIGSTELLUNG:

Kempten

Juni 2019

LANDSCHAFTS-

STANDORT:

ARCHITEKTUR:

Kita Karoline Goldhofer,

Latz + Partner

Berwangweg 10,

Landschaftsarchitektur

Memmingen (Allgäu)

Stadtplanung

Die Villa aus den

Architektur Partnerschaft

1960er-Jahren mit

mbB, Kranzberg

Satteldach (oben). Ihre drei Gebäude-

HE IZUNG, LÜF TUNG,

teile – Wohnhaus,

SANITÄR:

Schwimmbad und

Güttinger Ingenieure GbR,

Garage – blieben

Kempten

erhalten, wurden einer zweiten Hülle

DYNA M I SCH E

zu einem neuen

SIMUL ATION:

Baukörper geformt

Ifes Institut für angewandte

(Diagramm rechts

Energiesimulation,

und Foto unten).

Köln

FOTO OBE N: ARCHIV ARCHITE K TE N

freigestellt und mit 3D-THERMO-


Kindergarten

2

Krippe

3

Essen

4

KĂźche

5

Piazza

6

Bewegungsraum

7

Werkstatt

8

Personal

Längsschnitt

4

3

1

1 2

5 6

Erdgeschoss

M 1:4 0 0

1

M 1:4 0 0

55

8

7

6

Gartengeschoss


70

A

7. Frage

Balkonien

Post-Corona-City

B

C

Räume ohne Eigenschaften

Die 1,5-MeterGesellschaft

Wie man die Stadt als

auf Straßenebene

heißt das Projekt von

beits- und Lebens-

Das Referat für Stadt-

Straßenraum simulie-

Lebensraum neu defi-

Ersatz für die fehlen-

Schulte Architekten

strukturen finden sich

verbesserung, ein

ren. Mithilfe von ge-

niert, präsentiert

de Privatterrasse und

aus Köln und Paris. Im

ebenfalls Nutzungen

Kollektiv aus Archi-

bauten und digitalen

Anna Maria Mayer-

dient als Ausweich-

Sinne eines ausgegli-

ohne Eigenschaften:

tektur- und Urbanis-

Interventionen wird

hofers Entwurf „Balko-

option für überfüllte

chenen urbanen Mit-

Live’n’work, Cowor-

tikstudierenden der

den Besucherinnen

nien“. Er ist eine Visi-

öffentliche Plätze. Die

einanders erfordert

king, Einzelbüros, Ge-

TU München – Annika

und Besuchern eine

on für die Erschlie-

Installation ist vor al-

die Post-Corona-City

meinschaftsbüros so-

Hetzel, Magdalena

Alternativrealität prä-

ßung zusätzlicher Er-

lem als Ort für Leute

ihrer Meinung nach

wie eine Erweiterung

Schmidkunz, Michelle

sentiert. Ziel ist es, die

holungsflächen im

ohne eigenen Balkon

ein heterogeneres

und Flexibilität der

Hagenauer, Linus

positive Zukunftsvor-

Wohnviertel und soll

oder Wochenendhaus

Stadtgefüge, um die

Wohnungen durch

Schulte, Markus Wes-

stellung einer flä-

viel Lebensqualität

gedacht.

Viertel ausreichend

Raum ohne Eigen-

terholt, Maximilian

chengerechten Stadt

bieten. So wird etwa

mit gemischten Nut-

schaften. Denkbar

Steverding – reichte

erlebbar zu machen,

die Park zone der

zungen zu versorgen

sei hierfür folgender

die Arbeit „Die

mit der Bewohner-

Münchner Bluten-

und die Strenge der

Lösungsansatz: Die

1,5-Meter-Gesell-

schaft vor Ort zu dis-

burgstraße mit einer

funktionalen Ordnung

zusätzliche Fläche

schaft“ ein. Diese

kutieren und eine

Gerüstarchitektur

aufzubrechen: Die

wird durch staatliche

entstand im Rahmen

Veränderung zu initi-

überbaut. Diese

Stadt soll eine klein-

Mittel beziehungs-

eines freien Projekts

ieren. Das Projekt

schafft im ersten

teiligere Mischung

weise den Arbeitge-

an den Lehrstühlen

wird von Green City

Stock und teilweise

aus Büro-, Gewerbe-

ber finanziert.

Urban Design und Ar-

e.V., einer Münchner

und Wohnflächen um-

chitekturinformatik

NGO, und weiteren

fassen, es gibt nut-

der Architekturfakul-

Initiativen unterstützt.

zungsoffenes Grün

tät. Vorgestellt wer-

Das Preisgeld soll bei

und erweiterte Fort-

den Konzepte eines

der Umsetzung der Si-

bewegungsmöglich-

kurzfristigen, krisensi-

mulation helfen. Denn

keiten für Fußgänger

cheren und vor allem

das Referat für Stadt-

und Radfahrer. Auch

ganzheitlichen Stra-

verbesserung möchte

innerhalb von Wohn-

ßenumbaus. Als ers-

diesen Aktionstag als

gebäuden dienen

ter Baustein bereiten

Anstoß einer dauer-

Räume ohne Eigen-

diese den Umbau zu

haften Transformation

schaften der Haus-

einer lebenswerteren

des Straßenraums

gemeinschaft mit

Stadt vor – am Bei-

durch das Möglich-

Rückbaufähigkeit zu

spiel der Schwantha-

keitsfenster der Pan-

Wohnraum: als

lerstraße in München:

demie nutzen.

Coworking-Space,

Um eine neue Wirk-

Werkraum, Party- und

lichkeit zu demons-

Hauswirtschaftsraum

trieren, soll der Akti-

oder Besucherapart-

onstag „100 Meter

ment. Bei den Ar-

Zukunft“ den neuen


D Kollektive Insel

E Ein Interview

71

F Zahn in Zahn

Die Zeit nach Corona

sie, ihr Gemüse und

Paulina Knobe und

Lockdown nicht ge-

Technisch innovativ –

der Architektinnen

– wann wird das sein?,

Obst zu tauschen. So-

Alexandra Tishchen-

bannt: die Klimakrise.

und inspirierend ist

bewegen sich wie

fragten sich Lea Yase-

lidarität statt Konkur-

ko entwarfen eben-

Im Büro planen wir

der eingereichte Film

Zahnräder. Trotz al-

min Koch und Julia

renz. Durch das Ar-

falls ein konkretes

ausschließlich mit

„Zahn in Zahn“ der

lem entsteht so ein

Maria Simon. Nach

beiten von Zuhause

Konzept für die Post-

nachwachsenden

Architekturstudentin-

Gemeinschaftsgefühl

über zwei Jahren in

haben die Menschen

Corona-City. Die bei-

Rohstoffen und versu-

nen Agnes Schultz-

in der Isolation.

stetigem Wechsel

ihr Viertel und die an-

den schlossen ihrem

chen, den Bestand zu

Bongert, Mathilda

zwischen Lockdown

deren Nachbarn bes-

Lageplan ein Inter-

nutzen anstatt Ortbe-

Louisa Hoffmann und

und Corona-Partys sei

ser kennengelernt. Es

view mit NXT A an, in

ton zu verwenden. Wir

Valerie Sophie Mayer.

nun ein Impfstoff ge-

bilden sich neue

dem sie auf Fragen

setzen uns noch mehr

Er vermittelt in drei

funden, das Leben

Nachbarschaftszen-

des Wettbewerbs Ant-

mit unserer Umge-

Minuten, wie es ist,

könne zur Normalität

tren, in denen man

worten fanden wie

bung auseinander

wenn die Welt still-

zurückkehren. Doch

sich begegnet und

etwa: „Was hat sich

und agieren als Multi-

steht. Die Gebäude

die Normalität hat

hilft. Durch die kürze-

für Sie persönlich und

plikatoren, was die

sich verändert: Statt

ren Wege und die ge-

Ihr Umfeld verän-

nachhaltige und resi-

den Weg zurück zur

wonnene Zeit können

dert?“ Darauf antwor-

liente Entwicklung

Globalisierung verfol-

viele Straßen nach

ten Paulina Knobe

unseres Lebensraums

gen die beiden Archi-

und nach zurückge-

und Alexandra Tish-

anbelangt. Es tut gut

tektinnen mit ihrer

baut werden. Sie fun-

chenko: „Dinge wie

zu sehen, dass sich

„Kollektiven Insel“

gieren künftig als in-

Homeoffice sind

auch die Bauherren

den Plan zur „Glokali-

terne Quartiersstra-

schon lange kein The-

immer mehr damit

sierung“. Die wach-

ßen. Um den Verkehr

ma mehr. Wir achten

beschäftigen, wie sie

sende Sehnsucht

stärker zu optimieren,

alle darauf, so res-

bauen und leben wol-

nach Heimat und

werden Mobility-Hubs

sourcenschonend,

len. Denn das ist ja

Nachbarschaft wird

in den Quartieren ins-

wie es nur geht, zu le-

die eigentliche Frage:

Im Rahmen des NXT-A-Post-Coro-

durch neue Vernet-

talliert. Dort können

ben. Es fängt bei den

Wie wollen wir in

na-City-Ideenwettbewerbs wird es

zungen der Bewoh-

künftig Autos, Lasten-

Lebensmitteln an und

Zukunft zusammen-

im Foyer des Bayerischen Staats-

nerschaft erfüllt.

räder und Roller aus-

hört beim Bauen auf.

leben?“

ministeriums für Wohnen, Bau und

Menschen haben

geliehen werden.

Wir leben in einem

Verkehr eine Ausstellung geben.

mehr Zeit und eine

Tauschen und Teilen

Kreislaufsystem. Vor

Die Projekte der Gewinner, die

Leidenschaft fürs

sind damit die

drei Jahren bekam

Nominierten der Shortlist und wei-

Gärtnern entwickelt,

Schlagworte von mor-

dieses System einen

tere Einreichungen des Wettbe-

fingen, an Möhren,

gen! Sie sind die zen-

enormen Riss, und um

werbs werden dort zu sehen sein.

Tomaten und Korian-

tralen Elemente der

diesen zu reparieren,

Die Ausstellung wird am 5. Oktober

der auf dem Balkon

Glokalisierung!

mussten wir bei uns

um 16 Uhr eröffnet.

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G.

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zu ziehen. Nach einer

selbst anfangen. Die

üppigen Ernte im ers-

eigentliche Bedro-

Erfahren Sie mehr unter

ten Jahr begannen

hung war nach dem

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