B11
Bau me ister
1O 8 . J a h r g a n g
November
Das ArchitekturMagazin
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+ seite 66
Al a i n d e B o t t o n + HG Merz
Meinungsmacht zieht um
+ A r n o B r a ndlh u b e r + H e nn i n g L a r s e n + Herzog & de Meuron
Der SpiegelNeubau in Hamburg
+ D a v i d L y nch
seite 92
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D A,L C H
15 E u r o 17 E u r o 23 SFR
N EU
L’Aquila versucht den Neuanfang Eine Re portage
Die Architekten Wie sie fühlen leben arbeiten
E r g e bn i s s e e i n e r a k t u e ll e n
Studie
seite 76
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Köpfe
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Ideen
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Fragen
Lösungen
Inhalt
Paris ist eine Stadt voller bemerkenswerter Architektur – und voller meinungsstarker Bürger. Dass das zusammen eine spannende Mischung ergibt, davon konnte sich unser Autor Sascha Lehnartz bei seiner Recherche zum Streit um Frank Gehrys Museumsbau überzeugen. Lehnartz ist Frankreich-Korrespondent der Tageszeitung „Die Welt“.
Sascha Lehnartz
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B11 Maritimes von gmp S . 3 2
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Lücke als Ressource:
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Arno Brandlhuber
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Der Weltverbesserer:
Alain de Botton
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Freistil:
Coverbild
für das Callwey-Buch
Über den Dächern von Basel
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Architekten als Designer
„Architektur ist nämlich ganz einfach“ entstand.
HG Merz 26
Frankreichs Wutbürger:
François Douady
www . ba u meister . de
Das Streifen-Gebäude auf Seite 6O ist nicht nur ein weiterer Baustein der Corporate Architecture von Adidas, sondern weist auch in der „Mitarbeiterführung“ neue Wege. Ob das funktioniert, diskutieren wir im Blog.
Geschichte zweier Städte: Chinas neue Opernhäuser
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I mpress u m + V ors c ha u
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Arbeiten wir künftig alle draußen?
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Schnürsenkel gegen Provinzmief: Adidas baut in Franken „Fenster zur Welt“– Henning Larsens SpiegelZentrale
Wie ticken Architekten?
T itelthema
Schafft L’Aquila den Neuanfang?
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Fassade und Glas: Gute Ideen, schwarze Meteoriten und Wandlungs künstler
LED-Technologie ist auf dem Vormarsch
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E I N B ild
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M ail a n . . .
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K ollege n empfehle n . . .
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S ie u n d wir
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V orher / Na c hher
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K lei n e W erke
5 9 M etropolis 11 4
W as L ä u ft . . . ?
G ast - arbeiter
Licht:
R u brike n
T itelthema
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Reutlingen lässt es leuchten S . 1 1 O
T itelthema
illustratione n: elisabeth moch
Foto: Myrzik und Jarisch Ein Bild aus der Fotoserie, die
Die Baumeister von heute S . 7 6
Stephanie und Tom Ising
Alain de Botton im Porträt S . 1 8
Vor einigen Jahren wollten Stephanie und Tom Ising ein sehr schönes, sehr kaputtes und sehr weit entferntes Haus mit zehn Hektar Land im Erzgebirge kaufen. Gott sei Dank rieten ihnen befreundete Architekten stark davon ab. Jetzt verwirklichen sich die beiden Magazindesigner dennoch im Bereich Architektur. Die Arbeit ihres Büros Herburg Weiland brachte ihnen gerade drei Preise bei den renommierten Lead Awards ein.
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Köpfe
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Wutbürger gegen gläserne Wolke
Pariser Baumfreunde kämpfen gegen Frank Gehrys Museumsbau. Ganz vorn mit dabei: der streitbare Rentner François Douady
Mitte
Der Mann weiß, was er nicht will: Monsieur Douady
Foto: ddp Images
Sascha Lehnartz
TEXT
F ran ç ois D ouad y
April ging es dann doch weiter. Fast drei Monate, nachdem das Pariser Verwaltungsgericht die Bauarbeiten an Frank Gehrys Museumsneubau für die Kunstsammlung des Milliardärs Bernard Arnault unterbunden hatte, revidierte ein Berufungsgericht den Baustopp. Endgültig ist das zwar noch nicht, aber seither kann die Glaswolke am Rande des Bois de Boulogne wieder in den Pariser Himmel wachsen. Und die französische Hauptstadt hat fürs Erste den Verdacht abschütteln können, von engstirnigen Bewohnern dominiert zu werden. Der eigentümliche Streit um den für Pariser Verhältnisse spektakulären Bau, der ab 2O12 die „Fondation Louis Vuitton pour l’art contemporain“ des LuxusKonzerns LVMH beherbergen soll, trägt nämlich nahezu alle Züge einer Provinzposse. Dies könnte durchaus erheitern, ginge es nicht um ein 1OO Millionen-Euro-Projekt und den wichtigsten Pariser Neubau für zeitgenössische Kunst in Paris, seit Richard Rogers und Renzo Piano vor fast vierzig Jahren mit dem Bau des Centre Pompidou loslegten. Auch da waren die Pariser alles andere als begeistert. Aber das war auch schon beim Eiffel-Turm so. „Chrysalide“ wird Gehrys Entwurf auch genannt, so heißt das Verpuppungsstadium einer Raupe, bevor sie sich in einen Schmetterling verwandelt. Doch mit Gehrys dekonstruktivistischer Poetik können einige Bewohner des höchstbürgerlichen XVI. Pariser Arrondissements, an das der Bois de Boulogne grenzt, nicht viel anfangen. Der Bau, der zugleich Museum, Veranstaltungsort und Eingang für den „Jardin d’Acclimatation“ sein soll, erinnert sie an eine implodierte Croissant-Tüte. Ein „Monster aus Beton“, schimpfen die Kritiker. Der Mann, der die Prestige-Baustelle vorübergehend zum Stillstand brachte, heißt François Douady. Er ist 73 Jahre alt, Rentner und „Präsident“ eines Ver-
eins, der sich die „Koordination der Bewahrung des Bois de Boulogne“ auf die Fahnen geschrieben hat. Douady wehrt sich gegen „die Betonierung unserer Grünflächen.“ Mit dem gleichen Furor wie gegen Gehrys Museumsbau kämpft sein Verein gegen die Erweiterung der Wettkampfstätten des Tennisturniers von Roland-Garros, die ebenfalls im Bois de Boulogne liegen. „Wir haben überhaupt nichts gegen ein schönes Kulturprojekt von Frank Gehry – aber nicht im ‚Bois‘“, sagt Douady bestimmt. „Die wollen uns ein 12.OOO-Quadratmeter-Gebäude aufdrücken, das 46 Meter hoch ist. 2O Meter höher als die Bäume. Dabei fehlt es in Paris an Grünflächen.“ Museum ins Industriegebiet? Douady gibt sich wenig kompromissbereit: „Ich hoffe, dass diese Konstruktion wieder abgerissen wird.“ Wenn LVMH schon ein Kunstmuseum brauche, dann könne die Firma das genauso gut in einem Industriegebiet bauen. Oder gleich damit in die „Samaritaine“ ziehen. Das denkmalgeschützte Belle-Époque-Kaufhaus in der Pariser Innenstadt gehört dem Konzern und steht seit Jahren leer. Auch hier wehren sich Anwohner gegen neue Nutzungspläne. Douady ist für den Milliardenkonzern LVMH ein nicht zu unterschätzender Gegner, denn er ist pfiffig. Den Baustopp konnte er im Januar durchsetzen, indem er vor Gericht geltend machte, der Neubau reiche bis auf einen öffentlichen Asphaltweg. Ein Verstoß gegen das Pariser Baurecht. Frank Gehry reagierte mit Entsetzen auf das Urteil – schließlich lag die Baugenehmigung seit 2OO7 vor, die Arbeiten an den Betonfundamenten des Gebäudes standen kurz vor dem Abschluss. Gehry sei „am Boden zerstört, geschockt, wütend“ berichtete dessen französischer Kollege Jean Nouvel – und verfluchte im gleichen Atemzug die Pariser Anwohnerverbände: Diese
weiter
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Köpfe
MAIL An
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Gehrys Vision, in der Kritiker eine implodierte Croissant-Tüte
15 István tarlós, Bürgermeister von Budapest: von Betreff
Ludger fischer fehlende Stadtplanung
sehen.
Benedikt XvI: von Betreff
Alexander Gutzmer Gestühl aus Deutschland Der Platz und das Chaos
Der Papst und sein Stuhl
Sehr geehrter Herr tarlós,
von Managern in schwerer Mission sagt man gern, sie säßen „auf einem Schleudersitz“. Das trifft auf Ihren Job sicher nicht zu; von wenigen gerüchteumrankten Ausnahmen abgesehen, sind Ihre vorgänger doch bis zu ihrem natürlichen Ableben recht friedlich im Amt geblieben. Wenn auch nicht als Schleudersitz, stelle ich mir Ihre Sitzmöbel dennoch im Durchschnitt als recht, nun ja, hart vor. Ausgesprochen nett finde ich es daher vom Schweizer Designunternehmen vitra, Ihnen anlässlich Ihrer Deutschlandreise eine bequeme Sitzgelegenheit aus weißem Leder zu schneidern. Auf dieser saßen Sie bei Ihrer finalen rede in freiburg. es handelte sich um eine Sonderanfertigung des Bürostuhls Skape des italienischen Designers Antonio Citterio. Das päpstliche Wappen wurde händisch draufgestickt. Alles sehr schön – fast schon riskant schön. Denn wer die Designszene kennt, weiß, wie schnell diese mit allzu euphorischen Superlativen bei der Hand ist. Da wird schnell mal ein Kleidungs- oder Möbelstück für „göttlich“ erklärt. Das kann in Ihrem fall natürlich nur zu Missverständnissen führen. Man mag sich gar nicht vorstellen, wie Sie blasphemische Designfreunde zurecht weisen müssen, die in Ihrem Umfeld behaupten, Ihr Sitzmöbel sei göttlichen Ursprungs. ob es tatsächlich zu derlei Irritationen kam, ist zumindest uns nicht überliefert. Als Architekturmagazin sind wir vielleicht auch einfach zu weit weg vom treiben der Designszene. Die frage, die sich mir in diesem Kontext aber stellt: Wie stehen Sie denn zu propäpstlichen Innovationen unserer Kernzielgruppe? Ich meine, Petersdom hin oder her, aber ein wenig unmodern ist der hostienfarbene Klotz in rom schon, oder? ein kurzer Anruf von Ihnen, werter Heiliger vater, gern auch von Ihrem Pressesprecher, und wir rufen zum Architekturwettbewerb „Sancti Petri 2.o“ auf.
der Moskau-Platz in Ihrer schönen Stadt ist, wie Sie wissen, gar kein Platz. es ist eine fläche zur veranstaltung eines größtmöglichen verkehrschaos. Mein österreichisch-ungarischer Kollege findet, es sei „a ganz a schiacher Platz“. Da müssen nun einmal Stadtbusse mit regionalbussen mit Straßenbahnen mit der U-Bahn mit Individualverkehr mit fußgängern gekreuzt, gemischt und verbunden werden, und das ist nirgendwo einfach. Deshalb wundern wir uns, dass Sie eine rückbenennung des Moskau-Platzes, der seit 1951 so heißt, in Széll Kálmán-Platz als vorrangigste Aufgabe betrachten. Steht diese Umbenennung vielleicht in irgendeinem Zusammenhang mit der neu gestalteten, sehr putzigen Budapester fantasie-flagge? Auch solcher Schnickschnack, fanden Sie, müsse unbedingt vorrangig behandelt werden. Könnte es sein, dass Sie sich mit dieser Auswahl der politischen Prioritäten bloß die Landesregierung zum vorbild genommen haben, die ein Absingen der nationalhymne bei Schulschluss nun um eine oktave tiefer vorschreibt? oder dachten Sie vielleicht mit neid an die „osterverfassung 2o11“, mit der der Landesname von „republik Ungarn“ zu „Ungarn“ verändert wurde? oder an die verpflichtung zum Aushang einer tafel mit den „nationalen Werten“ in öffentlichen Gebäuden? Solche Sachen sind ja wirklich ungeheuer wichtig und von höchster Brisanz. Wenn Sie aber irgendwann einmal vorhaben, den Moskau-Platz im Interesse aller Menschen, die da täglich drüber müssen, umzugestalten, dann wenden Sie sich doch bitte an einen Stadtplaner. Wir helfen Ihnen auch dabei. Dazu sind wir durch unseren Architekturkritiker-Codex verpflichtet; aber meinen Sie vielleicht, wir könnten auch nur einen Kollegen dazu über reden, den im Büro aufzuhängen? Schlimm!
Ihr Alexander Gutzmer (zu seinem Bedauern Protestant)
Ludger fischer
Lieber Herr Benedikt XvI,
S ascha L ehnartz
lebt als Kulturkorres pondent der „Welt“ in Paris. Zuvor arbeitete er unter anderem als Redakteur bei der FAZ. Lehnartz studierte Vergleichende Literatur wissenschaften in Paris, Berlin, Santa Barbara und New York und promovierte an der Columbia University.
Der Vorwurf, der Bois de Boulogne werde betoniert, sei zudem „absurd“. Man befände sich nicht im Wald, sondern im „Jardin d‘Acclimatisation“ , einer Mischung aus botanischem Garten für Kinder und Vergnügungspark, der bereits jetzt aus zahlreichen Bauten bestehe. Im Übrigen sei Gehry der „größte Architekt der letzten Jahrzehnte“, findet Nouvel. Es werde nicht lange dauern, bis sein Bau unter Denkmalschutz gestellt werde: „Er hat eine Wolke entworfen, einen Windhauch, einen Reflex des Himmels. Ein einzigartiges Werk in Harmonie mit der Natur.“ Das Gebäude sei ein emblematisches Werk, das den Rang Frankreichs in der Kunstgeschichte festige. Beim Auftraggeber des Projekts artikuliert man sich zwar nicht mit ganz so viel Pathos wie Nouvel, doch auch hier trifft der Widerstand der Baumschützer auf Unverständnis. Marc-Antoine Jamet, Generalsekretär von LVMH und zugleich Präsident des Jardin d’Acclimatation, weist darauf hin, das Gehrys Neubau ein ungleich hässlicheres Fünfziger-Jahre-Gebäude ersetze, das eine Bowlingbahn beherbergte.
Heiliger vater,
fotoS: vItr A; LUDGe r f ISCHe r
Nouvel verteidigt Gehry
Zudem werde der Neubau von einer umfassenden Wiederaufforstung und Neugestaltung des Gartens begleitet. Dann stößt Jamet noch einen Seufzer aus: „Will Frankreich denn, dass alle seine Stiftungen in die Schweiz, nach Italien oder Deutschland gehen?“ Ein zarter Hinweis auf François Pinault, den anderen französischen Milliardär, der seine Kunstsammlung einst in den ehemaligen Renault-Werken auf der Seine-Insel Île Seguin unterbringen wollte. Nach Jahren zermürbender Debatten zog er schließlich in den Palazzo Grassi nach Venedig. Bernard Arnault, mit einem grob geschätzten Vermögen von 20 Milliarden Euro reichster Mann Frankreichs scheint noch nicht an diesem Punkt zu sein. Noch ist er überzeugt, dass er in etwa zwei Jahren seine Wolke mit Werken von Rothko, Warhol, Picasso, Basquiat und Hirst ausstaffieren kann – auch, weil er sich der Unterstützung der Stadt Paris sicher ist. Bürgermeister Bernard Delanoë und seine für Stadtentwicklung zuständige Stellvertreterin Anne Hidalgo sind vehemente Befürworter des Projekts. Wenn Douady nicht noch ein neuer Trick einfällt und das Gericht ihm Recht gibt, soll Anfang nächsten Jahres mit der Montage von Gehrys ineinander verkeilten Glaswänden begonnen werden. Spätestens Ende 2O13 möchte Bernard Arnault sein Museum eröffnen. „Wir sind... optimistisch“, sagt Arnaults Berater Jean-Paul Claverie. Betont vorsichtig.
Foto: Gehry Partners - Louis Vuitton/2OO6
klagten systematisch gegen jedes ambitionierte Architekturprojekt und bewiesen dadurch einen „Mangel an Bürgerlichkeit und Kultur.“ „Diese Leute“, ereiferte sich Nouvel, beharrten auf einem „blinden und perversen Individualismus“, der gegen die Interessen des Gemeinwohls gehe. Mit ihren „kleinkarierten“ Ansichten wehrten sie sich gegen jede Veränderung und wollten anscheinend „ganz Paris in Formol einlegen“.
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Pompeji
II.
Vor zweieinhalb Jahren bebte in L’Aquila die Erde. Der Wiederaufbau läuft. Doch der droht, die einst pulsierende Barockstadt in einen seelenlosen Nicht-Ort zu verwandeln, in dem sich die Menschen nicht mehr zurechtfinden. Chronik eines Niedergangs
Text
Fotos
Jan Rübel
Ivo Saglietti
Ein Wohnzimmer in der Innenstadt. Binnen
Hilfsgelder aus Deutschland flossen in den
Stunden nach dem Beben hatten die Menschen ihre
Wiederaufbau des Dorfs Onna; der ist viel weiter
Häuser verlassen müssen.
vorangeschritten als in der Stadt.
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Fragen
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Zertrテシmmerte Dorflandschaft unweit von L窶連quila. Der Haupteingang zum Stadion
Auch viele Orte in der Umgebung
von L窶連quila
der Provinzhauptstadt wurden zerstテカrt.