Baumeister Zeitschrift f端r Architektur 107. Jahrgang Dezember 2010
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D 15 EUR A, L 17 EUR CH 23 SFR
Bauen in der Landschaft Baumhaus Erdhaus Grashaus Inselhaus Waldhaus
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Kunstschale Teshima Art Museum auf Teshima Ryue Nishizawa und Rei Naito Auf der Insel Teshima, im Binnensee von Seto, gräbt sich dieses Museum fast vollständig in die hügelige Landschaft ein und unterscheidet sich dank seiner überwuchernden Grasdächer nur durch die helle Farbe des Betons von den dahinter liegenden Reisfeldern. Mit seiner Schalenform aus freien Kurven reagiert das Gebäude aber nicht nur auf die Umgebung, sondern auch auf die Kunst im Inneren. von Roland Hagenberg
Die Reisfelder im satten Grün werden unterbrochen von einer weißen, durchbrochenen Schale, die aus dem Boden wächst.
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Teshima Art Museum auf Teshima
Ein vollkommen leerer Raum spannt sich unter der Haube des Museums auf. Auch ein Platzregen durch die Einschnitte ist gewollt – geht es doch in der Ausstellung um „Wassertropfen“.
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ei Naitos Stimme zittert wie die Fäden an der Betondecke des Teshima Art Museum. „Ich bin nervös“, gesteht sie. „Sechs Jahre habe ich unentwegt über dieses Projekt nachgedacht. Nun bin ich erschöpft.“ Zusammen mit dem Architekten Ryue Nishizawa hat die japanische Künstlerin für den Verleger und Kunstinitiator Soichiro Fukutake einen spektakulären Bau in die Welt gesetzt, „eine „Gebärmutter“ wie sie sagt, „ein bruchgelandetes Ufo“, wie es Besucher sehen – oder, mit den Augen von Teshimas Inselbewohnern, „ein Stück Eierschale“. So vielfältig wie die Interpretationen, so bunt erscheinen auch die Mitwirkenden bei diesem Spektakel. Fukutake – er bezeichnet sich als Revolutionär, weil er diesen vergessenen Flecken im mittleren Japan allen Widerständen zum Trotz wiederbeleben will – zählt zu den zehn reichsten Männern Japans. Der jugendlich wirkende Nishizawa, 44, ist diesjähriger Pritzkerpreisträger (zusammen mit seiner zehn Jahre älteren Geschäftspartnerin Kazuyo Sejima). Und die verschreckte Naito kennt man, weil sie ihre Kunstwerke normalerweise nur von einzelnen Besuchern betrachten lässt. Als sture Kämpfer gelten wiederum die Inselbewohner: Jahrzehntelang wehrten sie sich gegen diesen toxischen Dunst aus Politik, Wirtschaft und organisiertem Verbrechen, der ihnen illegale Giftmülllager bescherte, die ihnen das Grundwasser verseuchten. Vor zehn Jahren war damit Schluss und die Verschmutzer dazu verdammt, die Insel aufzuräumen, das Gleichgewicht mit der Natur wieder herzustellen. Das bildet nun den philosophischen Überbau für das eben eröffnete Museum.
Architektur und Kunst im Einklang mit der Natur „Von Anfang an dachte ich an einen Wassertropfen, an seine behutsamen, zerbrechlichen Rundungen“, erklärt Nishizawa. „Ein Gebäude in dieser Form wächst automatisch mit der Natur zusammen!“ Rundum hat der Architekt wilde Gräser und Gestrüpp gepflanzt, das in einem Jahr die glatte Betonschale – wenn nicht verschlingen, dann zumindest umwuchern soll. Im 60 Meter langen und 40 Meter breiten Museum befindet sich nichts – kein Bild, keine Skulptur, keine Videoinstallation. Stattdessen Natur pur, oder besser gesagt, Erscheinungsformen der Natur, die Rei Naito ausgewählt und choreographiert hat. Deshalb die langen, fast unsichtbaren Fäden an der Decke, wie von Spinnennetzen losgelöst, um den Hauch von Herbst, von der Meerluft, sichtbar zu machen. Aus 87 versteckten Düsen dringen sporadisch Grundwassertropfen. Da der leicht abfallende Betonboden mit einer wasserabstoßenden Schicht überzogen ist, rollen die Tropfen wie Wasser auf einer glühenden Herdplatte dahin. Stoßen sie zusammen, vereinen sie sich, werden größer, und bald wirken sie wie gläserne Feldmäuse, die ruckartig und parallel dahinrasen – hin zur ►
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Teshima Art Museum auf Teshima
„Sechs Jahre habe ich ungestört über dieses Projekt nachgedacht. Nun bin ich erschöpft.“ Rei Naito
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Sonne fällt durch das groĂ&#x;e Deckenloch, von dem man ungehindert in den Himmel aufblicken kann. Nicht mal eine Scheibe wurde als transparente Grenze eingesetzt. Am Boden, im schattigen Teil, befindet sich eine Wasserlache.
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großen Mutterlache am Ende des Museums. In der Stille und Leere der Halle – groß wie vier Tennisfelder – wirkt der chemische Trick gespenstisch, erinnert an die Szene im Terminator-Film, wo sich ein Alien in einer zusammenfließenden Quecksilberpfütze formiert. Durch zwei ovale Öffnungen in der Decke dringt heute blauer Himmel und morgen vielleicht Regen und statt Herbsthauch ein Taifun, unkontrollierbar, unvorhersehbar – ganz im Gegensatz zur Museumsorganisation. Zwar erlaubt Naito, dass statt jeweils einer Person sogar eine kleine Gruppe von acht oder zehn Leuten die Sphäre betreten darf, doch heißt es vorher Schuhe ausziehen, Kameras und Videos abgeben. Notizbücher sind ok, doch drinnen zeichnen geht auch nicht. Für Besucher, die mit „Landart“-Kunst vertraut sind – und dazu zählt das Teshima-Museum –, kommen die Regeln nicht als Überraschung, stören aber trotzdem, umso mehr, als das Kunstwerk beansprucht, als meditatives Gefühl in der Erinnerung weiterzuleben. Und woran erinnert man sich dann als erstes? An das Zeichenverbot! Bei Walter de Marias legendärem Lightning Field, wo er 400 Blitzableiter in der Wildnis von New Mexico aufgestellt hat, müssen Besucher sogar unterschreiben, dass sie nichts fotografieren, oder es droht Klage. Und Künstler Michael Heizer soll schon einmal auf unachtsame Besucher seiner Nevada-Installation geschossen haben. Diese Gefahr besteht in Japan natürlich nicht. Erde als wichtigster Bestandteil der Konstruktion Die sieben Stunden von Tokio über Osaka mit Superexpress, Lokalbahn und Schiff nimmt man gerne in Kauf, um diese seltsame Konstruktion in sich aufnehmen zu können. Das bestätigen auch die Besucherzahlen. „Bei unserem jährlichen Setouchi International Art Festival haben wir 300 000 erwartet. Gekommen sind drei mal mehr“, sagt Fukutake. Neben dem Teshima-Museum unterhält er auch noch andere Kunststätten, wie etwa auf der Nachbarinsel Naoshima, gebaut von einem anderen Pritzkerpreisträger: Tadao Ando. Aber was ist nun das Besondere, Andere, Seltsame dieser Museumshalle, außer dass sie leer ist, der Wind durchfegt und 13 Euro Eintritt kostet? Zum einen sicherlich Nishizawas Raumsensibilität. Mit Hilfe von raffinierten Statikprogrammen und einem Spezialzement – beide Komponenten gab es vor zehn Jahren in ihrer jetzigen Form noch nicht – konnte der Architekt die Kuppel von einem normalerweise 10 oder 15 Meter hohen Dom auf viereinhalb Meter Höhe herunterdrücken – ohne Pfeiler, Säulen, Stützen und ohne Einsturzgefahr. Das spürt man drinnen instinktiv. Irgendwas ist anders, genial, befreiend und unheimlich, so wie diese dahinrasenden gläsernen Feldmäuse. Zum anderen beeindruckt auch der Bauvorgang. Da wurde zunächst ein Erdhügel in Form eines Wassertropfens aufgeschüttet, die Oberfläche mit Mörtel verputzt und mit Eisengitter abgedeckt. Danach kamen 120 Beton-Transporter und haben einen Tag lang Zement über die Kuppel gesprüht. Als nach fünf Wochen die 25 Zentimeter dicke Haube getrocknet war, schaufelten Arbeiter den darunter liegenden Erdhügel wieder heraus. Warum Naito lieber immer nur ein paar Kunstenthusiasten statt große Gruppen in das Museum lassen will, hat sicher nicht nur damit zu tun, dass sie die meditative Stille bewahren will. Auch Betonwände lassen sich so leichter hüten. Oder wie eine Besucherin meinte: „Können Sie sich hier ein paar Dutzend Graffiti-Künstler vorstellen – unbeobachtet?“ ●
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Der karge, amorphe Innenraum erinnert an eine Höhle. Lichtpunkte lenken den Gang der Besucher. Kein einziges Kunstwerk lenkt ab vom Wesentlichen: der Natur des „Wassers“.
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Teshima Art Museum auf Teshima
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Architekt: Ryue Nishizawa, Tokio www.ryuenishizawa.com KĂźnstler: Rei Naito Tragwerksplaner: Sasaki Structural Consultants Standort: Teshima Art Museum, Teshima, Japan Fotos: Noboru Morikawa, Naoya Hatakeyama Ausstellung Kazuyo Sejima + Ryue Nishizawa/Sanaa, Tokio 18. November 2010 bis 20. Januar 2011 im Aedes am Pfefferberg, ChristinenstraĂ&#x;e 18-19, Berlin
Lageplan M 1 : 5000 Grundriss und Schnitte M 1 : 500
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