Baumeister 12 2012

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Bau me ister

10 9 . J a h r g a n g

Dezember

Das ArchitekturMagazin

12

/ Artec / 15 E u r o 17 E u r o 23 SFR

E2A / Höweler

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12

/ Akira

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Koya m a /

Ab s e i t e 2 6

Schöne Bescherung

Wohnungsbau: Wie viel Qualität geht für wenig Geld?

seite 70

seite 80

Warum sich die Investition in Stadtraum lohnt

Architekten als Hoteliers


Ideen

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Plissee an der Peripherie Die Lage ist haar­ sträubend. Ein Wohnbau versucht, zu vermitteln: zwischen hoch und flach, urban und ländlich, jung und alt.

Architekten

Artec Kritik

Franziska Leeb Fotos

Foto: ARchiv Archite k te n

Bruno Klomfar

Zwischen Hochbahn­ trasse und Einfamilien­ hausgebiet: Der star­ ke, schwarze Block von Artec bildet eine Barriere (links im Bild).


Ideen

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1

Eine lange Treppen­

Vor den Wohnungs­

kaskade führt vom

türen bilden sich groß­

westlichen Hauptein­

zügige Nischen. Hier

gang bis hinauf ins

lassen sich Kinder-

oberste Geschoss.

wagen, Rollstuhl und

Die U-Bahnlinie hört

sogar ein Krankenbett

man hier nicht.

gut rangieren.

Die Treppenhalle dient als thermisches Volumen im Bauwerk. Die Pflanzen ranken sich von Stockwerk zu Stockwerk.

Fotos linke Se ite obe n und Rechts: ARchiv Archite k te n

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W

ohnen mit U-Bahnanschluss ist ja in einer Großstadt grundsätzlich von Vorteil. Wie es sich aber anfühlt, wenn die U-Bahn ihrem Namen nicht gerecht wird und in Hochlage an den Wohnungen vorbeirauscht, wollte die Redaktion in München wissen und bat um einen Lokalaugenschein beim jüngsten Wohnbau der Artec Architekten (Bettina Götz und Richard Manahl), der verdächtig knapp neben der Bahntrasse steht. Seit 2010 erschließt die Linie U2 auf einer Hochtrasse, der kostengünstigsten Form der Streckenführung, den 22. Wiener Gemeindebezirk. Im Zuge der vom NS-Regime betriebenen Ausdehnung Wiens zu Groß-Wien wurde im Jahr 1938 der 22. Bezirk – wie auch vier weitere Bezirke – mittels Eingemeindung niederösterreichischer Ortschaften gebildet. Ein Großteil dieser Eingliederungen wurde nach dem Zweiten Weltkrieg rückgängig gemacht und der Bezirk von „Großenzersdorf“ in „Donaustadt“ umbenannt, da der namensgebende Ort wieder an Niederösterreich fiel. Dennoch blieb er der größte Stadtbezirk. Er nimmt rund ein Viertel der Fläche Wiens ein. Am heterogenen Nebeneinander von ländlich geprägten Siedlungsstrukturen, Wohnanlagen, Einfamilienhaus- und Gartensiedlungen, Auland, Gärtnereien und Brachen mühen sich die Stadtplaner ab, daraus ein städtisches Gefüge zu machen.

Reste der Vorstadt­ idylle. Der 90 Meter lange, dunkle Koloss kommt daher wie ein Dampfer.

Kitt für die Stadt

Foto: ARchiv Architekten

M 1:4 0 0

Querschnitt

Die U-Bahn ist das wesentliche Rückgrat der weiteren Stadtentwicklung. Ihre Verlängerung wurde aus Anlass der Fußball-Europameisterschaft 2008 in Angriff genommen. In einem Jahr wird sie bis zum Gelände des ehemaligen Flugfelds Aspern, in die künftige „Seestadt“ führen. Für den Bereich der Station Stadlau, wo die U-Bahn an einen bereits bestehenden Regionalbahnhof andockt, entwickelten im Jahr 2000 die Wiener Architekten Henke und Schreieck ein städtebauliches Leitbild, das darauf abzielt, von der U-Bahntrasse, die hier ihren höchsten Punkt erreicht, zum Einfamilienhausgebiet und den Grünräumen überzuleiten. Begleitend zur Bahntrasse schlugen sie einen hohen Riegel und angrenzend eine niedrige Bebauung vor, um diese Unterschiede zu verkitten. Der siebengeschossige Wohnbau von Artec folgt der auf Basis dieses Leitbilds ausgewiesenen Flächenwidmung. Nach Süden schließt eine zwei- bis dreigeschossige Siedlung an. Die Architekten Hermann Czech, Adolf Krischanitz und Werner Neu-

33 wirth zeichnen für jeweils einen Bauabschnitt mit einheitlich holzverschalten Häusern verantwortlich, daran grenzt ein Wohnbau von Gerner Gerner plus. Der Artec-Riegel schirmt sie alle von der U-Bahn ab. Den 2007 ausgelobten Bauträgerwettbewerb für das ganze Siedlungsgebiet hat die Stadt unter den Titel „Generationen: Wohnen am Mühlgrund“ gestellt. Damals wurde in Wien die Optimierung der Altenpflege in Angriff genommen. Parallel zum Ausbau der institutionellen Pflegeeinrichtungen wurden Wohnformen, die pflegebedürftigen Menschen den Verbleib in der eigenen Wohnung ermöglichen zu einem Schwerpunkt im geförderten Wohnungsbau. Unterm Gleis „Gerade wegen seiner Exponiertheit mit all ihren Schwierigkeiten“ habe man das Grundstück an der Trasse reizvoll gefunden, so Richard Manahl. Dass es dann auch noch ein Passivhaus werden sollte, gab der Herausforderung noch einen Kick. Aus der fahrenden U-Bahn betrachtet, präsentiert sich der 90 Meter lange Baukörper als dunkler, recht introvertierter Koloss. Nur acht bis zwölf Meter ist er von der Trasse entfernt. Nähert man sich zu ebener Erde und zu Fuß, gewinnt er an Dynamik und verliert an Monstrosität. Die anthrazitgraue Hülle umfängt ihn nur an der der Verkehrsader zugewandten Seite: Eine harte, schützende Schale aus Stahlblech, horizontal geknickt wie ein riesiges Plissee. Sie bildet die nördliche Gebäudeschicht und umfängt die Erschließungszonen. Nach Süden öffnet sich das Haus über durchgehende Loggienbänder. Materialität und Plissee werden hier feingliedriger wegen der leicht nach außen geneigten Streckmetallbrüstungen und der gelben raff- und schiebbaren Verschattungselemente, die von einem burgenländischen Segelbauer gefertigt wurden. Nach innen geknickte Fassaden bewirken tiefe Freibereiche vor den Wohnräumen und schmälere vor den Schlafzimmern. Die im Erdgeschoss untergebrachte Pflege-Wohngemeinschaft verfügt über eine große Terrasse. Im halbgeschossig abgesenkten Gebäudeteil liegen mit vier Erdgeschosswohnungen verbundene Büroflächen, und auch der große Gemeinschaftsraum ist hier ebenfalls von außen zugänglich. Barrierefrei nutzt allen Um die Mietpreise niedrig zu halten, wurde die maximal mögliche Ausdehnung des Baukörpers ausgenützt. Freiflächen sind daher auf dem Grundstück nicht vorhanden und mussten anderweitig substituiert werden, was uns voll Neugier ins Innere führt, wo sich die wahre Pracht dieses von außen recht sperrig wirkenden Wohnbaus eröffnet.

Die Metallleichtbauwand zur U-Bahn hin ist doppelschalig ausgeführt und mit Steinwolle gedämmt. Zwischen den an ihren Stirnseiten liegenden Erschließungskernen spannt sich eine über alle Geschosse reichende Halle auf, von der aus über Kaskadentreppen und Laubengänge die einzelnen Wohnungen erschlossen werden. Im Luftraum entwickelt sich in großen Betontrögen ein beeindruckender „Indoor-Garten“. Spannseile geben den vielen, vielen Pflanzen eine Rankhilfe. Fenster in den nach oben gerichteten Segmenten des Plissees sorgen für eine gute Tageslichtstreuung im Raum. Die Wohnungen haben Fenster zu den breiten Gangbereichen, die vor den Türen noch zusätzlich Nischen ausbilden. Sie sind räumlich zur Gliederung der Längserstreckung und als individuelle Vorbereiche wichtig, aber auch funktionell. Denn der Aspekt der Altengerechtigkeit beschränkt sich nicht auf die kleine Wohngemeinschaft im Erdgeschoss. Die Maisonette in den obersten Geschossen fallen nur bedingt in die Kategorie „barrierefrei“, lassen dafür aber eine variantenreiche Bespielung für unterschiedliche Familiensituationen zu. Alle übrigen Wohnungen sind für den Pflegefall gerüstet. Deshalb gibt es auch einen Lift, in dem ein Krankenbett transportiert werden kann und für dieses Rangierfläche vor den breiten Eingangstüren. Unter den Badewannen sind Vorkehrungen für den späteren Einbau barrierefreier Duschen getroffen. Was eine enorme Hilfe im Alter ist und den Umzug in ein Senioren- oder Pflegeheim verhindert, nützt anderen auch: Denn wo es sich mit Rollstuhl oder gar im Pflegebett gut wohnen lässt, ist es auch mit dem Kinderwagen, dem Einkaufstrolley und dem Gipsfuß bequem. Die unten fehlenden Spiel- und Gartenflächen liegen auf dem Dach. Hier hat man eine weite Aussicht und besten Überblick über die noch immer nicht zusammengewachsene Donaustadt, und irgendwie fängt man an, dem Wildwuchs gewisse Qualitäten abzugewinnen. Man kann nun ja schnell entfliehen. Nein, von der UBahn hört man im ganzen Haus nichts, und wenn man es nicht extra darauf anlegt, gerät sie einem nicht einmal ins Gesichtsfeld. Pläne auf

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Ideen

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Villa im Hüttenformat An manchen Stellen wirkt die Fassade, als sei sie tatsächlich aus Holz: Nachdem eine Bekleidung mit traditionellem japanischen Zedernholz zu teuer gewesen wäre, entschied sich Architekt Akira Koyama von Key Operation bei dem Apartmenthaus Yotsuya Tenera in Tokio für holzverschalten Sichtbeton. Doch nicht nur die besondere Behandlung der Fassade hat dafür gesorgt, dass die Wohnungen im Nu vermietet waren. A r c h i t e kt

kritik

F otos

Akira Koyama

Claudia Hildner

Toshihiro Sobajima

Charme des Sichtbetons: unterstrichen durch eine strukturierte Oberfläche, einen bepflanzten Eingangshof und eine durchdachte Lichtinszenierung

Das Portal mit dem Gittertor soll den Bewohnern Sicherheit vermitteln, schließlich sind die Treppenhäuser zum Eingangshof hin offen.


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Ideen

Architekt

Dieser Bau passt so gar

Phipps, Rose, Dattner, Grimshaw

nicht in das Bild, das man von der Bronx hat. Mit neuen energieeffi-

kritik

Eva Schweitzer Fotos

David Sundberg/Esto

zienten Wohnbauten wie diesem soll sich hier einiges ändern.

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Grünes Licht am Ende des Tunnels Der schlechte Ruf der South Bronx ist weithin bekannt. Mit Verve fördert die Stadt dort nun Wohnungsbauprojekte, die ansässige Bewohner halten und neue, möglichst mittelständische dazu locken sollen. Auch ökologisches Bauen gehört zum Ziel. „Via Verde“ ist eines dieser Vorhaben.

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