Romantische
GARTENREISEN IN
England – Anja Birne –
ZU BESUCH IN DEN SCHÖNSTEN GÄRTEN MIT DEN BESTEN GEHEIMTIPPS
Dies ist eine Leseprobe
Alle Rechte vorbehalten. Kontaktieren Sie uns, falls Sie das PDF weiter verwenden möchten: info@callwey.de
Romantische
GARTENREISEN IN
England – Anja Birne –
ZU BESUCH IN DEN SCHÖNSTEN GÄRTEN MIT DEN BESTEN GEHEIMTIPPS
CALLWEY
I N H A LT
6 EINLEITUNG 15 DIE TOUREN
Kent und East Sussex 18 SISSINGHURST CASTLE GARDENS 24 WALMER CASTLE GARDENS 26 GREAT DIXTER HOUSE & GARDENS 30 PASHLEY MANOR GARDENS 34 HOLE PARK GARDENS 38 DODDINGTON PLACE GARDENS 40 GOODNESTONE PARK GARDENS 44 CLINTON LODGE GARDENS 46 REISETIPPS
East und West Sussex 50 WAKEHURST PLACE
52 WEST DEAN GARDENS 56 GARDENERS’ COTTAGE 58 WOOLBEDING GARDENS 60 PETWORTH HOUSE AND PARK 62 TOWN PLACE GARDENS 64 GRAVETYE MANOR GARDENS 68 REISETIPPS
Hampshire 72 RHS GARDEN WISLEY
76 MANOR HOUSE IN UPTON GREY 80 MOTTISFONT ABBEY GARDENS 82 HINTON AMPNER 84 BURY COURT GARDENS 88 BRAMDEAN HOUSE GARDENS 92 LONGSTOCK PARK WATER GARDEN 94 REISETIPPS
4
—
I N H A LT
Cotswolds
98 BETH CHATTO GARDENS 102 HIDCOTE MANOR GARDENS 106 THE OLD RECTORY 108 PETTIFERS 112 BOURTON HOUSE GARDEN 114 BROUGHTON GRANGE 116 UPTON WOLD 118 ROUSHAM HOUSE GARDENS 122 RODMARTON MANOR 126 REISETIPPS
Somerset
130 HESTERCOMBE GARDENS 134 TINTINHULL GARDENS 136 STOURHEAD 138 LADY FARM GARDENS 142 EAST LAMBROOK MANOR GARDENS 146 SNAPE COTTAGE GARDEN 148 REISETIPPS
Cornwall
152 KNIGHTHAYES COURT 154 ST. MICHAEL’S MOUNT 156 TREBAH GARDEN 160 CAERHAYS CASTLE 164 TRESCO ABBEY GARDEN 166 REISETIPPS
Rezepte
168 ZUM AFTERNOON TEA 200 SERVICE-ANHANG MIT ALLEN WICHTIGEN ADRESSEN UND WEITEREN TIPPS 207 BILDNACHWEIS, GARTENREISE-VERANSTALTER 208 IMPRESSUM, DANK
5
—
EINLEITUNG
Dieses Buch entwickelte sich aus den Erfahrungen privater und beruflicher Gartenreisen, die mich zwischen 1994 und 2015 durch England führten. Die erste Gartentour begann 1994 mit Sissinghurst Castle Gardens. Es war ein warmer Junitag. Der feine englische Landregen ließ die Farben des Frühsommers leuchten. Die morbiden Schlossmauern konzentrierten den Duft der Alten Rosen. Von Gartenraum zu Gartenraum wechselten Gestaltung, Farben und Pflanzen, Durchblicke in Nachbarräume und Ausblicke in die Landschaft. Ich war fasziniert von der ungezwungenen üppigen Bepflanzung, der Dramaturgie und sinnlichen Atmosphäre. Mich fesselte die Geschichte von Vita Sackville-West. Weitere Gärten dieser Reise waren Great Dixter, Wisley Gardens, Tintinhull, East Lambrook Manor, Hadspen Garden, Sticky Wicket, Hestercombe und Beth Chattos Garten. Vergleichbare Gärten und eine derart lebendige, mitreißende Gartenkultur kannte ich vom europäischen Kontinent nicht. Die persönlichen Begegnungen und Gespräche mit ihren Gestaltern wie Penelope Hobhouse in ihrem privaten Garten in Dorset, Christopher Lloyd in Great Dixter, Rosemary Verey in Barnsley House (heute ein Hotel) oder Nori und Sandra Pope in Hadspen Garden (existiert leider nicht mehr)
beflügelten den Reiz der Gartenbesuche. Im Laufe der Jahre tauchte ich tiefer in die britische Gartengestaltung und Gartenkunst ein, besuchte Landschaftsgärten des 18. Jahrhunderts, Waldgärten des 19. Jahrhunderts, Cottage-Gärten und architektonische Gärten des 20. Jahrhunderts, neue zeitgenössische Gärten, die jährlichen Gartenausstellungen der Königlichen Gartenbaugesellschaft (RHS) in London, die Chelsea Flower Shows und Hampton Court Shows. Von besonderem Reiz waren und sind noch heute die privaten Gärten, Gärtnereien und speziellen kleinen Pflanzenmärkte wie die Plant Fairs der Longstock Park Nursery oder der Great Dixter Nursery sowie die Landleben-Märkte wie The Wealden Times Midsummer Fair im Garten Hole Park. Bis heute ist England als „Land der Gärtner“ unübertroffen und inspirierend, das Engagement der Gartenbesitzer für wohltätige Zwecke einzigartig und der Beruf des Gärtners hoch angesehen. Wo sonst werden junge attraktive Gartengestalter wie Popstars gefeiert? Wo können Amateurgärtnerinnen wie Beth Chatto zu Gartenikonen aufsteigen? Wo können Gärtner besser übernachten als an den speziellen Orten der Broschüre „Bed and Breakfast for Garden Lovers“ (Übernachtung und Frühstück für Gartenliebhaber)? Wo sonst eröffnet
7
—
EINLEITUNG
eine Queen eine Gartenmesse? Wo findet die Opernpause mit Abendkleid, Gummistiefeln und Champagner wie in Glyndebourne in den Blumenwiesen neben der Schafweide statt? Wo sonst ist ein Verein zur Erhaltung von Schlössern, Burgen, Landschaften und Gärten wie der National Trust der größte private Landbesitzer? Die Insel ist ein Land der Überraschungen und Gegensätze. Ein Ferienland für Individualisten. Alte Traditionen wie der klassische afternoon tea und die sonntäglichen Landpartien mit Picknick und dem Besuch von altehrwürdigen Herrensitzen, Wasserburgen und blumenreichen Landhäusern werden gehegt und gepflegt. Warum die ältesten Herrenhäuser und ihre Gärten noch im 21. Jahrhundert beliebte Ausflugsziele sind? Vielleicht liegt der Hausherr Michael More-Molyneux von Lose ley Park in Surrey mit seiner Einschätzung richtig: „Loseley House has been my family’s home for over five hundred years yet, whilst the world has changed; Loseley itself remains reassuringly constant.“ * Neben der Wahrung des reichen Kulturerbes entsteht parallel dazu in England viel aufregend Neues und Futuristisches. Das einzigartige Eden Project mit dem größten Gewächshaus der Welt beispielsweise oder das aktuelle Londoner Gartenprojekt: The Garden Bridge. Die Idee: Ein dicht begrünter, friedlicher Garten auf einer 366 Meter langen Fußgängerbrücke, der sich über die Themse erstreckt. Das Ziel: Förderung der biologischen Vielfalt (biodiversity), der Wildtiere (wildlife), Gartenkultur (horticulture); Förderung von mehr Lebensqualität im Herzen von London.
schmelzen beide. Die Parklandschaft besteht aus einem lockeren Gefüge aus Weiden, Feldern, Wiesen, Alleen, Baumreihen, Baumgruppen und Solitärbäumen. Selten verdichtet sich der Baumbestand zu einem größeren Wald. Nirgendwo sonst ist die Liebe der Engländer zu Bäumen prägnanter. Prachtvoll entwickeln vor allem Laubbäume wie Eichen, Buchen, Kastanien und Linden auf Schafweiden ihren charakteristischen Wuchs. Ein endloses Netz an Hecken windet sich von Kent bis Cornwall, von Essex bis Schottland und bildet die Heckenlandschaft der Britischen Inseln. Hecken durchziehen die Feldflur und säumen kurvige Landstraßen und Feldwege. Mancherorts wachsen an schmalen Straßen ihre Kronen zusammen und bilden lange grüne Heckentunnel. Auf Hügelkuppen öffnet sich dann meist der dichte Bewuchs und bietet eine herrliche Aussicht über die mosaikartigen Gefüge der kleinräumig wirkenden Landschaft. Nach Untersuchungen des englischen Geografen Jay Appleton (1919 – 2015) berühren uns diese harmonisch gestalteten Kulturlandschaften instinktiv, weil sie unsere Urbedürfnisse nach Zuflucht oder Schutz und nach Aussicht (refuge and prospect) erfüllen. Zwischen Hecken und Bäumen fühlen wir uns geschützt und geborgen und die Aussicht in die weite Landschaft bewirkt gleichwohl eine tiefe Ruhe und Gelassenheit. Die meisten Hecken gehen auf die Zeit der enclosure acts zwischen 1760 und 1860 zurück. In Folge der vom Parlament erlassenen Landverordnungsmaßnahmen wurde fast die Hälfte der englischen Landflächen neu gegliedert. Auf die neuen Grenzen und um Felder und Weiden wurden Hecken als Umfriedung (enclosure) gepflanzt. In ganz England gründeten Gärtner Baumschulen und lieferten heimische Sträucher als Pflanzmaterial für insgesamt 320.000 Kilometer Hecken. Die Wildhecken bestehen vorwiegend aus Weißdorn (Crataegus monogyna). In der schönen Reisezeit vom Mai bis in den Juni überziehen die Blütensträucher ganze Landstriche mit ihrem strahlenden Weiß und frischen Grün. In gemischten Hecken wachsen weitere heimische Wildsträucher wie Haselnuss, Hainbuche, Holunder, Wildkirsche, Eberesche, Holzapfel, Hartriegel und Salweide. Dazwischen ranken Brombeeren, Heckenrosen und
PARK- UND HECKENLANDSCHAFT
Die britische Gartenkultur spiegelt Gesellschaftsordnungen und Machtverhältnisse, Schönheitsideale und ästhetische Moden sowie das Verhältnis der Menschen zur Natur. Viele Gärten sind Kunstwerke. Im Garten, dem Raum zwischen Haus und Landschaft, treffen Kunst und Natur direkt aufeinander. Die schönsten Gärten entstanden und entstehen auch heute noch inmitten der einzigartigen Kulturlandschaften mit ihren jeweiligen geologischen, topografischen und klimatischen Eigenarten. Charakteristisch für das englische Landschaftsbild sind die Parklandschaft und die Heckenlandschaft. Meist überwiegt eine der Landschaftsformen, zuweilen ver-
8
—
EINLEITUNG
Efeu. Zuweilen sind die Hecken von hoch wachsenden Bäumen wie Eichen, Ulmen oder Eschen durchsetzt. Obstbäume im Heckenverband sollten Wanderern und Feldarbeitern eine Erfrischung schenken. So geht es bereits aus einer Empfehlung aus dem 17. Jahrhundert hervor. Seit jeher sind die ökologisch wertvollen Hecken (hedges) ein wichtiger Lebensraum für Flora und Fauna, was sich in den englischen Bezeichnungen hedge rose (Hundsrose, Rosa canina), hedge hog (Igel) und hedge-sparrow (Heckenbraunelle) ausdrückt. Auf den breiten Streifen zwischen Landstraße und Hecke, den hedgebanks, blühen im April Primeln (Primula vulgaris), im Mai himmelblaue bluebells (Hasen glöckchen, Hyacinthoides non-scripta) und weißer Wiesenkerbel, gefolgt von Wiesenstorchschnäbeln (Geranium pratense) im Juni. In einigen Landschaften Großbritanniens wie in den Cotswolds fungieren auf
weniger nahrhaften Böden auch Trockenmauern als Feld- und Wegbegrenzung. Die Natursteinmauern haben eine jahrtausendalte Tradition, mancherorts gehen sie sogar auf prähistorische Zeiten zurück. Schon immer inspirierte die Landschaft kreative Dichter, Künstler und Gärtner wie Rudyard Kipling, Virginia Woolf, William Turner, Barbara Hepworth, William Kent, William Robinson, Gertrude Jekyll, Mary Keen, Gina Price oder Tom Stuart-Smith. Ihre Kunstwerke, traditionellen Gärten und zeitgenössischen Entwürfe der im Buch beschriebenen Gartentouren zeugen davon. GÄRTEN UND GARTENTOUREN
Gartenreisen haben in Großbritannien seit Mitte des 18. Jahrhunderts Tradition. Auf einer English Garden Tour fuhren Einheimische und Reisende vom Kontinent von Garten zu Garten und studierten die Engli-
schen Gärten, um sie zu Hause selbst zu gestalten. Hermann von Pückler-Muskau (Landschaftsgarten Muskau) und Fürst Franz von Anhalt-Dessau (Landschaftsgarten Wörlitz) waren berühmte England-„Touristen“ der Zeit. Reisen hatten auch in der Entstehungsphase der Englischen Landschaftsgärten eine wesentliche Bedeutung. Bis in das Elisabeth anische Zeitalter, die Regierungszeit Elisabeths I. (1558 – 1603), lässt sich die englische Tradition zurückverfolgen, junge Männer auf Reisen zu schicken. Bevor sie hohe Ämter anstrebten, sollten sich die englischen gentlemen auf einer „Grand Tour“ nach Italien politische und kunstgeschichtliche Bildung, gesellschaftlichen Schliff und Weltläufigkeit aneignen. Sowohl mit Bauwerken der römischen Antike als auch mit der Landschaftsmalerei, die in Italien eine Blüte erlebte, kamen die jungen Engländer in Kontakt und nahmen das Idealbild der Natur, verbunden mit der Begeisterung für die antike Baukunst, mit zurück auf die Insel. Die bedeutenden Landschaftsgärten aus dem 18. Jahrhundert wie Rousham, Stourhead oder Petworth haben das Bild ihrer Epoche bewahrt. Lange sah man diesen Gartenstil in Kontinental-Europa als Sy nonym für den „Englischen Garten“. Die äußerst le-
bendige Gartenkultur in Großbritannien hat jedoch auch weitere Gartentypen hervorgebracht. Die Waldgärten des 19. Jahrhunderts wie Caerhays Castle oder Trebah erinnern mit ihrem Reichtum an Bäumen und Sträuchern wie Rhododendren, Magnolien und Kamelien an die abenteuerlichen Expeditionen der englischen Pflanzenjäger und Forschungsreisenden in alle Teile der Welt. Von der Arts-and-Crafts-Bewegung ließen sich die Gestalter der Architektonischen Gärten des 20. Jahrhunderts beeinflussen. Hestercombe, Rodmarton Manor, Hidcote und Sissinghurst sind heute noch beeindruckende Beispiele für den Gartentyp, der in England formal garden, formaler Garten, genannt wird. Eine exakte Restaurierung eines Gertrude-Jekyll-Gartens gelang der Gartenamateurin Rosamund Wallinger am Manor House in Upton Grey in Hampshire. Eine ebensolche Nachbildung ist der Cottage-Garten der legendären englischen Gärtnerin Margery Fish in East Lambrook, die von den jetzigen Besitzern mit Engagement und dem Wunsch nach größtmöglicher Authentizität in den letzten Jahren umgesetzt wurde. Einen Blick in die Zukunft englischer Gärten bieten zeitgenössische Anlagen wie Lady Farm, Bury Court, Pettifers und Broughton Grange. Es sind
10
—
EINLEITUNG
vor allem drei Institutionen, die die Gartenkultur in England maßgeblich fördern: die Königliche Gartenbaugesellschaft Royal Horticultural Society (RHS), der National Trust (NT) und das National Gardens Scheme (NGS). Die Royal Horticultural Society (RHS) wurde 1804 gegründet und bietet mit vier Schaugärten großartige Zentren der Gartenkultur. Der RHS Garden Wisley in Surrey ist mit rund 100 Hektar Fläche der größte und konzentriert auf seinem Areal alle nur erdenklichen Themen und Aspekte des Gärtnerns bis hin zu Gartencenter und exzellenter Garten-Buchhandlung. Rund 363.000 Mitglieder zählt die Organisation. Höhepunkt im Gartenjahr ist die wahrscheinlich weltgrößte Gartenausstellung Chelsea Flower Show, die von der RHS jedes Jahr an fünf Tagen im Mai im Londoner Stadtteil Chelsea ausgerichtet wird.
onalen Gedenken an Queen Alexandra“ gegründet. Als Vorsitzende der Krankenschwestern-Vereinigung förderte die 1925 verstorbene Witwe von König Edward VII. beispielhaft die Gesundheitsfürsorge des Landes. Zunächst war es vor allem die Liebe zu den Menschen und weniger zu den Pflanzen, die diese einzigartige Garten-Bewegung gardens open for charity ins Leben rief. Ziel war es und ist es noch heute, Spenden für wohltätige Zwecke zu sammeln. Im ersten Jahr öffneten gut 600 private Gärten und Parks. Schlossanlagen, Landhäuser und kleine Cottage-Gärten verlangten alle den gleichen Eintrittspreis, 1 shilling, was die einheitliche Botschaft betonte. Manche gaben Gartenfeste mit Musik, andere Teepartys. Die Resonanz war überwältigend. 160.000 Besucher brachten einen Spendenerlös von rund 8.000 Pfund. Lawrence Johnston von Hidcote Manor beteiligte sich ab 1928 und Vita Sackville- West öffnete ihren Garten ebenfalls for charity. „Nichts hilft einem Gartenanfänger mehr, als von Ideen und Fehlern anderer zu lernen (…). Man kann sich an einem Sommerabend in fremden Gärten niederlassen und sich vorstellen, wie man wohl seinen eigenen Garten (und sein Leben) verändern könnte“, schrieb die Gartenautorin. Die Aktion traf die Gartennation ins Herz. Ohne Zweifel ist es für Gartenliebhaber eine besondere Freude, an der Gartenbegeisterung anderer teilzuhaben, sich im Gespräch auszutauschen, Gartenkniffe und praktische Anbautipps zu entdecken, sich durch Gestaltungsideen inspirieren zu lassen und beim Gartenrundgang vom Besitzer Stecklinge oder Samen einer heißbegehrten Pflanze geschenkt zu bekommen. Inzwischen öffnen bereits rund 4.000 Gärtner und Gärtnerinnen ihre Gartentore an einem oder mehreren Tagen im Jahr. Darunter sind auch viele kleine charmante Gärten, die sich im Verbund eines gesamten Dorfs beteiligen. Die Öffnungszeiten werden jährlich neu im sogenannten „Yellow Book – Gardens to visit in England and Wales“ veröffentlicht. Das Gelbe Buch liegt in den meisten Gärten aus. Wer planen möchte, kann sich anhand der Gartenbeschreibungen im Internet (www. ngs.org.uk) interessante Adressen zusammenstellen. Gärten, die geöffnet haben, stellen ihre gelben NGS-Schilder „garden open“ an die Straße. Es lohnt
DER NATIONAL TRUST (NT),
1895 gegründet, ist Englands einflussreichste Umwelt- und Denkmalschutz organisation. Sein ursprüngliches Ziel, schöne und historisch bedeutende Häuser und Gärten zu retten, hat der private Verein seit Mitte der 1980er-Jahre auch um Landschaften und Dörfer erweitert. Im Zeichen des Eichenblatts besitzt, restauriert und pflegt der NT über 350 historische Gärten und Gebäude wie Schlösser, Cottages, Scheunen, Burgen oder Leuchttürme. Die Organisation betreut rund 1250 Kilometer Küstenstreifen und 247.000 Hektar Landfläche (Zahlen von 2014/2015). Möglich wird dies durch Mitgliedsbeiträge, Stiftungen, Spenden, Verkaufsshops, Vermietungen sowie durch eine riesige Schar von ehrenamtlichen Helfern, den volunteers. Viele Besitzer von bedeutenden Häusern und Gartenanlagen geben ihren Besitz in die Hände des National Trust aufgrund der immens hohen Erbschaftssteuern und handeln für ihre Familien Wohnrecht auf Lebenszeit und oft weit darüber hinaus aus. Beispiele sind Sissinghurst, Petworth oder St. Michael’s Mount. Eine Jahresmitgliedschaft kostet zurzeit 60 Pfund und ermöglicht freien Eintritt zu allen Besitzungen des National Trust. Schon beim Besuch von fünf oder sechs Gärten lohnt sich der Beitritt. 1927 wurde das National Gardens Scheme (NGS) vom „Frauenkomitee zum nati-
11
—
EINLEITUNG
sich fast immer, einen spontanen Besuch auf einer Gartenreise einzulegen. Schon oft habe ich auf Gartenreisen mit Freunden auf diese Weise bisher wenig bekannte, aber lohnenswerte Gärten wie beispielsweise Hole Park zur bluebells-Blüte entdeckt. Zu erwähnen ist ferner die staatliche Denkmalschutz-Organisation English Heritage, die über 400 historische Plätze und Häuser wie Walmer Castle and Gardens verwaltet. In ihren Veröffentlichungen „English Heritage Register of Parks and Gardens of Special Historic Interest“ sind die Gärten nach Grade I, II* und II eingestuft. Die Rangordnung sagt nichts über das Gartenniveau aus, sondern bezieht sich lediglich auf die geschichtliche Bedeutung der Anlage. Die in diesem Buch vorgestellten sechs Gartentouren führen in die schönsten Landschaften Englands mit einer großen Bandbreite an unterschiedlichen Gartentypen. Die ausgewählten Gärten spiegeln meine persönlichen Vorlieben. Ich habe die Gärten teilweise mehrfach und über viele Jahre besucht. Dieses persönliche Reisehandbuch möchte Gartenreisenden einen Einblick in die spannende Geschichte der englischen Gärten geben, unterschiedlichen Gartenstile und interessante Gartenpersönlichkeiten vorstellen. Das Buch beschreibt die großen klassischen Gärten der Gartenepochen, aber auch weniger bekannte private Gärten. Alle sind regelmäßig geöffnet oder können bei Anfrage besichtigt werden. Nichts ist für Gartenliebhaber unbefriedigender als von schönen Gärten zu lesen, diese aber nicht oder nur unter schwierigsten Bedingungen besuchen zu können. Mithilfe der einzelnen Routenvorschläge können sich Reisende „in Sachen Garten“ ihre eigene Route planen und weitere, im Serviceteil aufgeführte interessante Gärten hinzunehmen. Die Gartentouren können Sie miteinander verbinden, da die Grafschaften teilweise aneinandergrenzen. Ausgewählte Adressen zu Übernachtungsmöglichkeiten, Ausflugstipps und Teestuben ergänzen die Gartentipps. Das Erlebnis einer Gartenreise wird durch Langsamkeit und ausreichend Zeit in Gärten, Ortschaften und in der Landschaft gesteigert. Die englische Lebensart bietet viele Freuden, die man während einer Tour genießen kann: ein Picknick, eine Wanderung zur Küste oder zum Pub, ein Opern
besuch, Stöbern auf Antik- und Landmärkten und natürlich den afternoon tea. BRING A PICNIC
Wenn ich mit Gartenfreunden mit dem privaten Auto in England unterwegs bin, ist ein Picknickkorb, gefüllt mit sandwiches, Kuchen, Wein und tea dabei. Nichts ist entspannender als in der Landschaft, an der Küste oder in Gärten zu picknicken. Manche Gärten wie Rousham laden ausdrücklich dazu ein, andere wie Pashley Manor bieten an ihren Parkplätzen ausgewiesene picnic areas mit Tischen und Bänken an. So verliert man keine wertvolle Zeit mit einem Restaurantbesuch. Gärten, Gärtnereien und Geschäfte sind in Großbritannien in der Regel nur von 10 bis 17 Uhr geöffnet. Mit dem Besuch von zwei (bis maximal drei) Gärten, einem Antik- oder Pflanzenmarkt oder einem Stadtbummel ist der Tag gut gefüllt. Die langen Sommerabende bieten Zeit und Muße für ein gemütliches ausgedehntes Essen im pub und einen Spaziergang durch ein altes Dorf oder eine Wanderung über Land oder zur Küste. Die grüne Kulturlandschaft bietet einen wohltuenden ruhigen Kontrast zu der Fülle an Gartenbildern, Gesprächen und Eindrücken vom Tag. PUBLIC FOOTPATH
Für wanderlustige Gärtner ist die Insel ein Paradies. In keinem anderen Land gibt es vermutlich mehr öffentliche Fußwege (public footpaths), Reit- und Fahrradwege (public bridleways) und Fernwanderwege wie die südenglischen North Downs Way, South Downs Way und der 1020 Kilometer lange South West Coast Path. Das englische Wegerecht (Right of Way) ermöglicht dem Wanderer den freien Zutritt zur Landschaft und damit auch das Überqueren von privaten Grundstücken. Die public footpaths sind durch Schilder mit gelbem Pfeil ausgewiesen und dürfen nur von Fußgängern genutzt werden. Für Orientierung sorgen die Wanderkarten Ordnance Survey Landranger Maps im Maßstab 1:50.000, die alle Regionen Großbritanniens flächendeckend darstellen. An den footpath-Schildern kann man einfach loslaufen. Meist führen die Wege zu einem Dorf oder durch ein Marktstädtchen, zu einem Garten, einem Herrenhaus, über Weiden von
12
—
EINLEITUNG
Kühen, Pferden oder Schafen, entlang von Flüssen und Bächen oder zur Küste. Nur selten lösen sie sich plötzlich in the middle of nowhere ** in Luft auf. Eine feine englische Besonderheit sind die pub walks. Diese speziellen Rundwege, die in einschlägigen Büchern veröffentlicht werden, dauern meist ein bis drei Stunden und haben ein lohnendes Ziel: das pub. GELIEBTES PUB
„Ein gutes englisches Pub ist alles a ndere als eine beliebige Kneipe. Es ist eine kulturhistorisch geprägte, hochgeschätzte Institution mit Eigentümlichkeiten, die sich nur auf einer Insel entfalten können“, schreibt Johann-Günther König in seiner literarischen Kneipentour „Von Pub zu Pub“. Pub bedeutet „öffentliches Haus“ (public house) und ist für Einheimische das verlängerte Wohnzimmer. Mit local bezeichnen Engländer ihre Stammkneipe, die sie mindestens einmal in der Woche aufsuchen. Auf ein Bier, einen cider (Apfelwein) oder zum Essen. Viele traditionelle Pubs wie The Bell in Ticehurst, East Sussex haben sich mit Fantasie und einer neuen Gestaltung verjüngt und auf die heutige Zeit eingestellt. Sie bieten oft auch Zimmer
und eine gute Küche mit frischen lokalen Produkten an. Empfehlungen dazu geben „The Good Pub Guide“ oder „Alastair Sawday’s Special Places to Eat & Drink“. Am Samstagabend gibt es oft Live-Musik, und am Sonntagmittag den beliebten Sonntagsbraten (sunday roast). An kühlen Tagen wärmt zuweilen der offene Kamin. Bei einer abendlichen Wanderung erkundeten wir das idyllische kleine Dörfchen Alciston im Herzen des South Downs National Park in der Grafschaft Sussex. Reetgedeckte cottages mit hübschen Gärten säumen dort die schmale Dorfsackgasse. Eine normannische Kirche thront auf einem Hügel voll Margeriten und verwitterter Grabsteine. Sie gehört zusammen mit einem alten Pfarrhaus, einer Zehntscheune (tithe barn) und einem mittelalterlichen Taubenturm zur Court House Farm. Kein Mensch war zu sehen. Das Dorf wirkte wie ausgestorben. Gegen 19 Uhr betraten wir das Pub Rose Cottage Inn zum Essen. Der gastfreundliche Wirt hatte gerade noch einen Tisch für uns. Ian zapfte eifrig – vermutlich für alle Dorfbewohner – Harveys prize-winning ale, Sussex Best, das preisgekrönte obergärige Bier der 1790 gegründeten Brauerei Harveys aus Lewes (Sussex) und den ebenfalls in der
EINLEITUNG
Region hergestellten Apfelwein Wilmington Farm Cider. Unser Pub-Führer hatte nicht zu viel versprochen. Ian und Ginny Lewes empfangen Gäste mit einem warm welcome.
spricht, high tea. Zum Tee werden dann herzhafte Sandwiches mit Gurken, Stilton und Cheddar (englischen Käsesorten), Brunnenkresse, Staudensellerie, Gemüse-Tartes, Fleisch- und Fischgerichte sowie süße Kuchen oder Törtchen gereicht. Wird die Hauptmahlzeit spät abends eingenommen, ist der afternoon tea eine nachmittägliche Zwischenmahlzeit. Eine besondere Wertschätzung erfährt die Einladung zum Nachmittagstee von Freunden. Beim nachmittäglichen Tee-Ritual dreht sich das heitere Gespräch in der Regel um das Wetter, um den Garten und ob man Milch oder Zitrone zum Tee nimmt. Am Ende eines ereignisreichen Gartentags genießen auch Gartenreisende die Teestunde gern. Nichts ist besser geeignet als der englische Nachmittagstee, wenn man müde oder einem kalt ist und dringend eine Stärkung braucht. Zu jeder Gartenreise gehört ein cream tea. Diese spezielle englische Mahlzeit, die ein Abendessen ersetzen kann, besteht aus einer Kanne Tee, Hefeküchlein (scones), Erdbeer- oder Himbeermarmelade und clotted cream, einer dick geschlagenen Sahne. Unbedingt probieren sollte man aber auch chocolate brownies, Orangen-Kuchen, bakewell tart oder den Honigkuchen im tearoom des Gartens Hinton Ampner (Hinton Ampner’s Honey Cake), der am besten mit salziger Butter bestrichen schmeckt. Meine Gartenfreundinnen und Reisebegleiterinnen, die ausgesprochen gut und gern backen, lieben es, mit unseren über Jahre gesammelten Rezepten zu experimentieren und sie zu optimieren. Bei einer genüsslichen Tasse Tee, Sabines Gurken-Sandwiches, Bettys Tea Cake, Utes Apfel-Kuchen, Ingrids Shortbread oder Dorothys Rote-Beete-Tart schwelgen wir dann noch im Winter am Kamin in Erinnerungen an die letzte Gartenreise und beginnen die Planung für das kommende Jahr. Eine Auswahl unserer besten süßen und herzhaften Rezepte haben wir am Ende dieses Buchs zusammengestellt – und natürlich die Anleitung für eine perfekte Tasse Tee.
LAST BUT NOT LEAST – TEA.
Tea. Getränk und Ritual. Tee bedeutet auf einer Gartenreise nach England eine Erholungspause, auf die man sich freuen kann. In fast allen größeren Gärten gibt es tearooms, einige wie im Garten von Pashley Manor oder Bateman’s mit einem exzellenten Angebot. In der Regel entwickeln sich die besten Gartengespräche in privaten Gärten des National Gardens Scheme bei einer Tasse Tee und natürlich selbstgemachten (homemade!) Kuchen. Jedes noch so kleine Dorf oder Marktstädtchen hat seine Teestube und die Luxushotels wie Gravetye Manor Hotel oder Barnsley House Hotel zelebrieren ab 16 Uhr den afternoon tea mit blitzenden Silberkannen und kuchenbeladenen Etageren in ihren schönen Gärten oder am wärmenden Kamin (Reservierung empfehlenswert) – wenn gewünscht, auch mit Champagner. Bei Wanderungen über Land sind Teestuben am Wegesrand ebenso beliebte Ziele. Ein Erlebnis ist die Teepause in Mrs. Knotts Tearoom am Leuchtturm über den weißen Klippen von Dover mit Blick über den Ä rmelkanal.Tee ist für Engländer mehr als nur ein wärmendes Getränk. „More an occasion than a hot drink“, *** heißt es im eleganten Diamond Jubilee Tea Salon des Londoner Kaufhauses Fortnum & Mason, einer Oase der Ruhe am geschäftigen Piccadilly Circus. Nicht nur bei Hochzeiten und Beerdigungen, beim Treffen mit Nachbarinnen oder beim Blumenfest in der Kirche greifen englische Damen automatisch zu ihrem Lieblingsgetränk. Tee ist Tröster, löst die Zungen und begünstigt eine freundliche Atmosphäre. Bei gehobenen Anlässen sind das beste Teegeschirr aus Worcester Spode oder Wedgwood, silberne Teekannen, Milchkännchen und Zuckertöpfe erforderlich. Tee ist in England ein Getränk zur morgendlichen Erfrischung, zur Unterbrechung der Arbeit, zum Essen und ein wohltuender Entspannungsschluck vor dem Schlafengehen. Tee ist aber auch ein Ritual und eine Bezeichnung für verschiedene Mahlzeiten. Wird die Hauptmahlzeit mittags eingenommen, heißt das frühe Abendessen, das dem deutschen Abendbrot ent-
* Loseley House ist seit über 500 Jahren der Sitz meiner Familie. Während die Welt sich verändert, bleibt Loseley in beruhigender Weise beständig.“ ** In the middle of nowhere: mitten im Nirgendwo. *** M ehr ein Ereignis als ein heißes Getränk.
14
—
Touren BIS KENT CORNWALL DIE
Ken� UND East Sussex WO GÄRTNERN EIN VERGNÜGEN IST
KENT UND EAST SUSSEX
Sissinghurst Castle Gardens
Mit Leidenschaft und Experimentierfreude entwickelten Vita Sackville-West und Harold Nicolson das Gestaltungsprinzip „Ordnung und Fülle“ zur Meisterschaft. Von der Dachterrasse des Schlossturms werden das architektonische Gartenkonzept und die Pflanzenfülle aus der Vogelperspektive begreifbar.
„War von Liebe überwältigt“, schrieb Vita Sackville-West in ihr Tagebuch, nachdem sie an einem regnerischen Tag im April 1930 die verwahrloste elisabethanische Schloss ruine das erste Mal sah. Ein richtiges Wohnhaus gab es nicht, nur einen hohen rechteckigen Turm, flankiert von zwei achteckigen Türmchen und zwei verfallenen, auf dem Gelände verstreut liegenden cottages, Mauerreste aus der Tudorzeit sowie ein Torhaus mit Stallungen. Die Fantasie der Schriftstellerin und ihres Ehemanns, des Diplomaten und Journalisten Harold Nicolson, war entflammt. Drei Wochen später kauften sie das Anwesen mit rund 3 Hektar Farmland. Die folgenden 30 Jahre nahm Sissinghurst ihr Leben in Anspruch. Bis zu Vitas Tod 1962 gestaltete das Paar aus einer Brennnesselwildnis und Schuttbergen einen der berühmtesten Gärten – für viele der schönste Garten des 20. Jahrhunderts. Neben Hidcote Manor (siehe S. 102) steht Sissinghurst als Vorbild für den Architektonischen Garten, auch Englischer Garten des 20. Jahrhunderts genannt. Der in England als formal garden bezeichnete Gartenstil entwickelte sich zu Anfang des letzten Jahrhunderts und ist bis heute in Großbritannien sowie auf dem Kontinent beliebt und bestimmend geblieben. Während Harold Nicolson, vernünftig und klassisch orientiert, das Grundgerüst des Gartens entwarf, übernahm die poetisch und romantisch veranlagte Vita Sackville-West die Bepflanzung. Mit Leidenschaft und Experimentierfreude entwickelten die beiden Garten-Amateure das Gestaltungsprinzip „Ordnung und Fülle“ zur Meisterschaft:
19
—
KENT UND EAST SUSSEX
Sissinghurst Castle Gardens
OBEN Unter dem lichten Blätterdach der Sträucher entfalten Frühlingsstauden im Haselnussgarten einen zarten Blütenteppich. UNTEN Im Zentrum des Weißen Gartens blüht Rosa mullig anii am Pavillon wie eine Rosenwolke.
Harold integrierte die verstreut auf dem Grundstück liegenden Wohngebäude in den Garten. Ziegelmauern, Treppen und Wege vervollständigen sein architektonisches Gerüst. Der Grundriss korrespondiert mit den Gebäuden und erweitert das tägliche Leben in den Garten. Um von der Küche und dem Esszimmer im Priest’s House ins Arbeitszimmer im Turm oder zu den Schlafräumen im South Cottage zu gelangen, liefen Vita, Harold und ihre beiden Söhne Nigel und Ben bei Wind und Wetter quer durch ihren Garten. Wie die Zimmer eines Hauses gliederte Harold Nicolson die Fläche in verschiedene Gartenräume. Getrennt durch Mauern und strenggeschnittene, dunkelgrüne Eibenhecken konnte der Stil und Charakter, auch die Farben jedes Raums, unterschiedlich ausfallen. Er plante lange Sicht- und Wegeachsen von Nord nach Süd und von West nach Ost wie zentrale Korridore eines Hauses. Von den Wegen öffnen sich kleine geometrische Gärten als intime Überraschung. Die Endpunkte der Wege, markiert durch eine „Lutyens-Bank“ oder „die Statue des Dionysos mit Wächterpappeln“, sind Blickpunkte, die neugierig machen und durch den Garten leiten. Als Kontrast zur strengen architektonischen Einteilung füllte Vita Sackville-West die Gartenkammern mit einer lebendigen Pflanzenfülle. Vitas Liebe zu Opulenz, Großzügigkeit und Ästhetik drückt sich auch in ihrer Gartenphilosophie aus. Sie verabscheute alles Knauserige und Schäbige. Die Poetin liebte die alten Gartenpflanzen aus Shakespeares Werken, ließ sich von den Gestaltungsideen William Robinsons (siehe S. 67), Gertrude Jekylls (siehe S. 79) und von Reisen nach Italien und Persien inspirieren. Kletterrosen, Geißblatt (Lonicera), Feigen (Ficus carica) und Purpurwein (Vitis vinifera ‘Purpurea’) sollten die morbiden, altrosa Ziegelmauern mit Blüten- und Blattranken überziehen, ein Meer üppig blühender Stauden sollte aus den Beeten quellen und duftende Kräuter im Herb Garden Geschichten vergangener Zeiten erzählen. Die zehn Gartenräume gestaltete Vita wie ein Theaterstück entsprechend den Jahreszeiten mit nacheinander folgenden Blütenhöhepunkten. Jekylls Idee, Staudenbeete wie eine Künstlerin mit Farben zu „malen“, entwickelte Vita mit der Pflanzung des legendären White Garden, eines monochromen Sommergartens ganz in Weiß, weiter. Alte Rosen übten auf die Dichterin einen aufregenden Zauber aus. Zu Beginn des letzten Jahrhunderts waren die einmal blühenden Gehölze beinahe vergessen. In ihren Kolumnen im Observer schrieb Vita leidenschaftlich über Moosrosen, Zentifolien, Remontant- oder Gallica-Rosen und sorgte in der Gartenwelt mit ihrer Rosensammlung im alten ummauerten Küchengarten für Aufsehen. „Jeder, der dem Zauber Alter Rosen einmal verfallen ist, wird keine neuen in sein Herz schließen können (…). Wie bei Freunden lernt man, ihre Fehler zu übersehen und ihre Tugenden zu schätzen.“ Alle gelesenen Gedichte über Rosen und bewunderte Porträts auf Gemälden kommen beim Anblick von ‘William Lobb’, ‘Baron Girod de l’Ain’, ‘Cardinal de Richelieu’ oder der Samtrose Rosa gallica ‘Tuscany’ in Erinnerung. In Purpurrot mit samtigem Glanz, in seidigen Rosatönen und mit umwerfendem Duft rufen Alte Rosen Gefühle wach. „Samtrose. Was für eine Wortverbindung! (...). Es lehrt einen etwas, lange und intensiv in eine Rosenblüte zu blicken, besonders in eine Rose wie die ‘Tuscany’, die sich flach öffnet und dabei das erbebende und staubige Gold ihrer zentralen Vollkommenheit enthüllt.“ Sissinghurst ist zu einem
20
—
EIGENTÜMER
National Trust
BESONDERHEIT
OBEN Verschwenderische Blüte der Alten R osen im Frühs ommer. RECHTS Ab März beginnt die Narzissenblüte im Obstgarten. Von der Terrasse des Turms ist der Blick auf die Apfelund Birnb äume und in die Landschaft grandios.
Historischer Garten Grade I Vermietung des Priest’s House als Ferienhaus Führung headgardener walk mit dem neuen Chefgärtner Troy Scott-Smith Workshop Gardening at S issinghurst B&B im Sissinghurst Farmhouse
Mythos geworden. Während Besucher den mit allen Finessen der Arts-and-Crafts-Bewegung geplanten Hidcote Manor Garden bewundern, fliegen Sissinghurst die Herzen zu, obwohl das Gartenkonzept vergleichsweise schlicht ist und Vita und Harold auf Baumaterialien wenig Wert legten. Doch Sissinghurst ist ein privater Garwww.nationaltrust.org.uk/ ten, ein intimer Ort des Rückzugs, wie Harold noch sissinghurst-castle-garden 1963 betonte: „(...) ein Garten sollte dem Vergnügen seines Besitzers und nicht der Zurschaustellung dienen (...).“ In ihren Romanen und Gedichten wie in „The Garden“ schreibt Vita über ihr tiefes Verhältnis zum Garten. Für sie war Gärtnern ein endloses Experiment. Sie liebte England und speziell Kent, war in Knole, im größten elisabethanischen Schloss aufgewachsen. Ihr Garten sollte englisch sein, sich nahtlos in die idyllische Landschaft Kents, den Garden of England, einfügen. Vita liebte es, in ihrem Garten auf dem Land zu leben und zu gärtnern. Damit kommt sie den Wünschen vieler Gartenfreunde auch heute sehr nah. Nach dem Tod von Harold 1967 übergab Nigel Nicolson Sissinghurst in die Hände des National Trust. Seit dieser Zeit versucht das Management zusammen mit den Chefgärtnern die intime private Atmosphäre des Gartens zu wahren – was nicht einfach ist bei 145.000 Besuchern pro Jahr (2012). Für Garten- und Geschichtsinteressierte ist Sissinghurst dennoch ein MUST. Viele Ideen, die heute noch in
22
—
Gartenmagazinen und Gartenbüchern über Gestaltung empfohlen werden, sind schon vor knapp 100 Jahren von Vita, Harold und ihren Chefgärtnerinnen Pamela Schwerdt und Sibylle Kreutzberger umgesetzt worden. Der Garten hat heute seinen Höhepunkt erreicht. Das Ziel des neuen headgardeners Troy Scott-Smith ist es, Sissinghurst auf hohem gärtnerischem Niveau als Inspirationsquelle für keen gardeners zu erhalten. Als Einstieg in den Garten empfiehlt sich der Aufstieg im Turm. Vitas Arbeitszimmer erscheint, als ob sie es gerade verlassen hätte. Mit frischen Blumen und einem Foto ihrer geliebten Freundin Virginia Woolf auf dem Schreibtisch. Von der Dachterrasse ist der Blick atemberaubend. Hier wird nicht nur Harolds architektonisches Gartenkonzept und Vitas Pflanzenfülle aus der Vogelperspektive begreifbar. Hier wird deutlich, dass Sissinghurst mehr ist als nur der Garten. Die Ruine des elisabethanischen Hauses mit seinen Gärten, das angrenzende Farmhaus und die oast houses, die traditionellen Hopfendarre-Häuser mit ihren weißen konischen Spitzenhauben, liegen inmitten der grünen Landschaft des Weald mit Wäldern, Bächen und Farmland. Spazierwege schlängeln sich an zwei kleinen Seen vorbei in den Laubwald, wo Vitas Hunde begraben liegen. Weit geht der Blick über die fruchtbaren Felder und Wiesen mit alten knorrigen Eichen in die Park- und Heckenlandschaft, in den Garden of England. All die Eindrücke, Bilder und Geschichten über die Persönlichkeiten der Gestalter berühren viele Menschen und machen Sissinghurst zu einem einzigartigen Ort.
23
—
KENT UND EAST SUSSEX
Walmer Castle Gardens
OBEN Gartengenuss auf der Sitzbank, umgeben vom Duft der heckena rtig gepflanzten Orangenb lume (Choisya ternata). UNTEN Zum 95. Geburtstag der Königinmutter legte Penelope Hobhouse den Queen Mother’s Garden an.
Wehrhaft thront Walmer Castle am flachen Kiesstrand von Deal. Dort, wo Caesar mit seinen Mannen 55 v. Chr. den ersten Fuß auf englischen Boden setzte. Heinrich VIII. baute hier aus Furcht vor einer katholischen Invasion eine Burg zur Verteidigung und ließ seine Flotte unter der Flagge „halb Löwe, halb Schiff“ segeln. Die Oberaufsicht über die Cinque Ports, die fünf Häfen Dover, Hastings, Sandwich, Hythe und New Romney hatte der Gouverneur Lord Warden, sein Sitz ist heute noch Walmer Castle. Neben dem Duke of Wellington und Winston Churchill übte Queen Elizabeth, The Queen Mother, über 23 Jahre das Amt aus und nutzte Walmer als Landsitz. Zu ihrem 95. Geburtstag legte Penelope Hobhouse Queen Mother’s Garden als klassisch Englischen Garten mit Gartenhaus, Wasserbecken und Blumenrabatten an. Noch immer liegt eine mittelalterliche, aber friedliche Atmosphäre über der Festung mit ihren breiten, tiefen Gräben. Hohe, dicke Mauern schützen die Gärten vor den salzigen Stürmen des Ärmelkanals. EIGENTÜMER Im 100 Meter langen Broadwalk Garden wirken wolkig geEnglish Heritage schnittene Eibenhecken als grüne Kulisse für eine doppelte Staudenrabatte. Inspiriert von Gertrude Jekylls Ideen BESONDERHEIT leuchten die Stauden zur Sommerzeit farbenfroh. Im traDenkmalgeschütztes Anwesen ditionellen Küchengarten bauen Gärtner seit fast Grade II 300 Jahren Gemüse, Obst und Schnittblumen an – früKüchengarten, Queen Mother’s Garden (Designerin: Penelope her einmal für die Burgherren, heute für die Besucher des Hobhouse), Doppelrabatten in tearooms. Die Gäste des Garden Cottage, des FerienhauGertrude Jekylls Farbschema ses am Küchengarten, haben die Gärten für sich, wenn die Übernachtung möglich im Garden Cottage oder GreenBesucher Walmer Castle verlassen haben. Herrlich am house Appartment Abend: Gin Tonic als sundowner mit weitem Blick auf das Meer – zu Ehren Queen Mums, die den Aperitif zur blauwww.english-heritage.org.uk/ visit/places/walmer-castleen Stunde geliebt haben soll. and-gardens
25
—
England ist in Sachen Gartengestaltung das Maß aller Dinge. Berühmte Gartendesigner wie Getrude Jekyll und Edward Lutyens oder Vita Sackville-West gestalteten hier ihre berühmten Gärten und beeinflussten den Geschmack ganzer Gärtnergenerationen. Auch heute noch gehen von der Insel wichtige Impulse in Sachen Pflanzenverwendung aus, die Gartenliebhaber in aller Welt inspirieren. Im Mutterland der „Pflanzenverrückten“ wird die große Gartenleidenschaft kompromisslos ausgelebt – kein Wunder, dass wir hier die schönsten und gepflegtesten Gärten Europas finden. Dieses Callwey Buch nimmt sie mit auf eine spannende Reise durch die südenglischen Grafschaften von Cornwall bis Kent und öffnet Ihnen die Tore zu romantischen Gärten mit typisch englischem Charme. 6 Tourenvorschläge mit ausführlichen Informationen und stimmungsvollen Fotos renommierter Gartenfotografen stellen ausgewählte Gärten vor, darunter so berühmte wie Sissinghurst, aber auch solche, die noch auf ihre Entdeckung warten. Tipps zu Sehenswürdigkeiten in der Region, Wandermöglichkeiten, Adressen zu empfehlenswerten B&B’s, Country Hotels und Tearooms runden den Gartenreiseführer ab. Und wer das englische Lebensgefühl zuhause zelebrieren möchte, für den sind die 30 Rezepte für köstliche Kuchen und Snacks zum Afternoon-Tea genau das Richtige um sich schon einmal auf die Gartenreisen einzustimmen.