Baumeister B02 / 2016

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BAU ME ISTER

11 3 . J A H R G A N G

A L E JA N D R O A R AV E N A S E B A S T I Á N I R A R R Á Z AVA L A R Q U I T E C T O S

16

FELIPE ASSADI ARQUITECTOS

GRUPO TALCA

IZQUIERDO LEHMANN ARQUITECTOS

SMILJAN RADIĆ

MAX NÚÑEZ ARQUITECTOS

UNDURR AGA DEVÉ S ARQUITEC TOS

Chile FACE T TE N

EINES ARCHITEKTURMEKKAS

15 E U R O 17 E U R O 19,50 EURO 23 SFR

Februar

Das ArchitekturMagazin

D A,L I CH

B2


4

B2

Köpfe

Ideen

Der Stern der chilenischen Flagge, unser Icon für dieses Heft. Unser gesamter erster Heftteil bis Seite 87 widmet sich diesmal der Architektur in Chile. 10

44

Entwurfsarbeit im Büro von Max Núñez

Betonmonolith: Innovationszentrum von Elemental

10 Max Núñez

22 Demonstrative Kräfteverteilung

Raus aus der Box – der junge Architekt arbeitet mit expressiven Formen.

16 Cristián Undurraga Fest etabliert in Chiles Architekturszene: das siebenköpfige Team von Undurraga Devés

Das Bürohochhaus Cruz del Sur hat schon zwei Erdbeben überstanden.

32 Dramatische Figur Sebastián Irarrázavals Bibliothek aus Holz ist Teil eines Wiederaufbauprogramms.

44 Solitär als urbaner Bezugspunkt BAU MEISTER. DE

Mehr Infos zu den Projekten Bahía Azul, Taller de Pintura und Pabellon 4 Usos (Seite 56) von Felipe Assadi finden Sie auf unserer Website baumeister.de.

56 Dreimal Beton Ferienhausanlage von Felipe Assadi

62 Architektonische Markenbildung Das Weingut Vik von Smiljan Radić verschwindet nahezu in der Landschaft.

FOTOS V.L .N.R .: ARCHIV M A X NÚÑE Z; CRISTÓBAL PAL M A; ARCHIV WMR

Innovationszentrum von Alejandro Aravena


5

Fragen

Lösungen

Gast-Arbeiter

82

101

16 Ferienhäuser von Chilenen und Japanern

Regal und Schreibtisch in einem: System Unit

74 Wie viel Chile kommt auf die Biennale? Interview mit Alejandro Aravena

92 Bad

78 Wie beeinflussen Erdbeben die Architektur? 82 Was haben Chilenen und Japaner gemeinsam? Ein Investor bringt die Länder zusammen. 88 Soll, kann, muss man Architektur erklären?

Die Strecke von Irarrázavals Bibliothek in Constitución hat Felipe Díaz Contardo fotografiert, direkt nachdem der Holzbau im November 2015 eröffnet wurde. Der chilenische Fotograf und Architekt lebt in Santiago. Seit 2013 werden seine Bilder weltweit in Fachmedien veröffentlicht.

98 Qualitätsschmiede Ein Besuch beim Fassadenhersteller Typico

100 Büromöbel

RUBRIKEN 6 EIN BILD 42 KLEINE WERKE 54 UNTERWEGS 88 ARCHITE K TUR & M ANAGE ME NT 106 PORTFOLIO: FASSADE 11 3 IMPRE SSUM + VORSCHAU 11 4 MAIL AN...

Unsere beiden Autoren Jeannette Plaut und Marcelo Sarovic sind Direktoren von „Constructo“ – eine Kulturplattform in Santiago de Chile – sowie des dazugehörigen „Young Architects Program“ (Yap) in Zusammenarbeit mit dem MoMA in New York.


Max Núñez will „raus aus der Box“.


SEITE 10

SEITE

FOTO: ARCHIV ARCHITE K TE N

16

2 Köpfe: Max Núñez Cristián Undurraga

9


12

Köpfe

Nicht weit vom Casa Ghat befindet sich die Baustelle von „Casa Tijera“ – ein Ferienhaus für den Bruder des Architekten. Es handelt sich um eine einfache Holzkonstruktion, umgeben von einem duftenden Tannenwald, welche durch die Anhebung vom Boden einen besseren Blick in die Baumkronen erlaubt. Die rote Farbe wurde im Entwurfsprozess wieder verworfen – Baumeister wird berichten, wenn das Gebäude fertig gestellt ist.

1


13 Büros in Chile

Das „MAD Building“

Wie viele der Architek-

steht auf weniger

ten in Chile arbeitet

massiven Stützen, als

Max Núñez mit einem

man auf den ersten

kleinen Team zusam-

Blick annimmt – denn

men – je nach Auf-

diese dienen auch

tragslage ändert sich

als Treppen und Licht-

das auch schnell mal.

schächte für das Unter-

Núñez hat drei Fest-

geschoss. Das Projekt

angestellte und zwei

ist Sinnbild für Max

Praktikanten, darunter

Núñez‘ Ansatz, einem

Architekten und

Bauteil verschiedene

Studenten aus Italien,

Funktionen zuzuord-

Dänemark und der

nen. Das Erdgeschoss

Schweiz.

bleibt frei, um Blickbeziehungen zwischen

Viele Angestellte

den Bestandsbauten

arbeiten nebenher

herzustellen.

noch an eigenen Projekten. So formieren sich für einzelne Projekte auch immer mal neue Zusammenschlüsse unter den Architekten. Das sorgt für einen regen Austausch in der Szene. Noch einen Input liefern Architekten, die aus Europa kommen – meist aus Italien oder Spanien. Laut Max Núñez liegt in diesem kulturellen Austausch einer der Gründe, warum chilenische Architektur auf dem Vormarsch ist und auch in Europa zunehmend bekannter wird. Sicher spielen dabei auch die Medien eine Rolle. Die Architekturwebsite „Plataforma Arquitectura“ stammt aus Santiago de Chile – vielen bekannt in der englischen Variante

FOTO: E RIE TA AT TALI

„Architecture Daily“.


62

Architekt: Smiljan Radić

Kritik: Jeannette Plaut und Marcelo Sarovic

Fotos: Cristóbal Palma

Architektonische Markenbildung


Ideen

5

Das Weingut Vik von Smiljan Radić ist so in die Landschaft eingebettet, dass es fast vollständig verschwindet. Fließendes Wasser umgibt ein Wegesystem aus Betonstegen, die auf das Gebäude zuführen, und gewährleistet clever die unterirdische Kühlung der Weinfässer.

Nur das Membrandach lugt hervor: Das Weingut „Vik“ von Smiljan Radić fügt sich als flacher Riegel in die Landschaft.

63


70

Ende des Rundgangs: Der Besucherpavillon steht als eigenständiger Bau auf dem Grundstück – zur Verkostung und zum Verkauf von Wein.


Ideen

5

71

220

Weinland Chile

220

225

M 1: 2 5 . 0 0 0

225

230

225 230 235

235

240

240

250 250

345

250 275 250

260

260

Lageplan Südlich von Santiago, besonders in der Region des Colchagua-Tals, sind die Bedingungen für den Weinanbau optimal – die Sonne scheint, der Boden ist fruchtbar. Geländeschnitt mit Untergeschoss

Hier entsteht einer der besten Cabernet Sauvignons Südamerikas. Leider waren viele Weingüter von dem Erdbeben 2010 stark betroffen – manche beklagten einen Verlust von 10.000 Fässern.

Querschnitt

M 1:75 0

M 1: 2 0 0

Schnittansicht

Schnitt durch den Pavillon

Detail Konstruktion


74

Fragen

1

Wie viel Chile kommt auf die Biennale ?

Der Chilene Alejandro Aravena kuratiert in diesem Jahr die Architektur-Biennale in Venedig. Die Wahl lässt nach Rem Koolhaas und David Chipperfield eine Schau erwarten, die das kooperative Element in der Architektur betont. Sozial bedeutsam statt nur schön soll die Architektur für Aravena sein. Wir befragten ihn nach seinen Plänen – und nach dem Stand der Architektur in Chile.


75 Interview: Tanja Braemer

Herr Aravena, Chile gilt als ein Modellland der Architektur. Zu Recht? A L E J A N D R O A R A V E N A : Schwer zu sagen, wenn man selbst im Land lebt. Das nimmt wohl eher die Außenwelt so wahr. Ich kann aber bestätigen, dass es hier inzwischen eine gewisse kritische Masse an Bauqualität gibt. Die Menge von Auftraggebern und Architekten, die hohe architektonische Qualität wollen und produzieren, wächst. Man steht nicht mehr allein da in dem Bestreben, über das „business as usual“ hinauszugehen. Es gibt ein Gemeinschaftsgefühl – aber auch einen gewissen Druck, einen Wettbewerb: Wenn ein Kollege ein herausragendes, bemerkenswertes Projekt entwickelt, gibt es eben keine Ausflüchte mehr, nicht genauso exzellent zu sein. BAUMEISTER:

Klingt nach wachsender Baukultur. Am Anfang stand eine private Elite, die bereit war, beim Bau ihrer Wochenendhäuser architektonisch zu experimentieren und Risiken einzugehen. Mittler weile ist der Wunsch nach architektonischer Klasse hierzulande ein generellerer. Ich würde sogar sagen: Eine gewisse Qualität des öffentlichen Raums oder der Infrastruktur ist inzwischen ein öffentliches Bedürfnis. Man versucht, Architektur und Stadtgestaltung einzusetzen, um Lebensqualität zu erreichen. Chiles vielleicht größte Herausforderung ist, an seinen inneren Werten zu arbeiten, sie zu korrigieren. Und diese sind eben nicht nur ökonomischer Natur. Es geht um Lebensqualität. B:

A A:

Chile zwar politisch und religiös gesehen ein sehr konservatives Land ist. Architektonisch allerdings ist es – ich weiß gar nicht, wieso – sehr aufgeschlossen. Unter den Referenzen, die wir hierzulande diskutieren, fehlen die üblichen Verdächtigen, man schaut auf unkonventionelle Projekte. Das empfinde ich als sehr gesund, um sich auf den Kontext unseres Landes zu konzentrieren. Den in gewisser Weise albernen Wunsch, nur zu kopieren, was anderswo gebaut wird, gibt es hier nicht. Wir suchen nach Originalität. Schließlich ist Chile gerade wohlhabend genug, um nicht mehr im Überlebensmodus zu fahren, aber auch noch nicht so reich, dass wir uns alles leisten könnten, was wiederum in architektonischer Bedeutungslosigkeit enden könnte. Die Knappheit unserer Mittel wirkt hier wie ein Filter gegen die Beliebigkeit. Kommen wir zu Ihrem Biennale-Konzept. Ihr Motto lautet „Reporting from the Front“. Sehen Sie sich als eine Art Krieger? A A : Dieses Etikett birgt die Gefahr, den Architekten als Karikatur erscheinen zu lassen. Sicher ist aber: Qualität zu bauen und über das Gewöhnliche hinauszugehen, ist nicht einfach. Es braucht Energie und Zeit, man muss viele Menschen überzeugen. Du musst raus aus der Komfortzone. In diesem Sinne ist Architektur auch Kampf. Mit Blick auf die Biennale möchte ich, dass dort Erfahrungen darüber geteilt werden, was es braucht, über das „business as usual“ hinauszugehen. Es soll über die Schlüssel zu architektonischer Qualität und die Schlussfolgerungen daraus gesprochen werden. Jeder, der dort ist, soll davon lernen können. Denn viele Institutionen, Architekten und Bauherren sind an architektonischer Qualität interessiert. B:

B:

Was verstehen Sie in diesem Zusammenhang genau unter Qualität, auch im Hinblick auf Ihre eigene Arbeit? A A : Bezogen auf den sozialen Wohnungsbau, von dem wir kommen, bedeutet Qualität eine Art von Entwurf, der mit der Zeit an Wert gewinnt. Wir schaffen ein Werkzeug, um Armut zu überwinden. In Bezug auf konventionellere Gebäude spreche ich von Qualität, wenn sie einerseits die Gesellschaft, die sie hervorbrachte, und damit den Moment reflektieren. Wenn sie andererseits aber über die Zeit hinaus bestehen und auch 100 Jahre nach ihrem Bau noch Sinn ergeben. Die großen Beispiele der Architekturgeschichte verfügen über diese Zeitlosigkeit. Qualität bedeutet außerdem eine Art von – wie ich es nenne – Natürlichkeit. Über das Gebäude legt sich eine gewisse Ruhe, es repräsentiert zwar etwas Neues, fügt sich aber mühelos in seinen Kontext ein.

Also reicht die Architektur auch in das Feld der Politik hinein. A A : Ganz allgemein ist interessant, dass

B:

Dann ist aber auch der Lebensraum Stadt als ganzer gefordert. A A : Die Stadt ist eine Abkürzung dorthin: Aus der Art und Weise, wie öffentliche Räume, Siedlungen oder öffentlicher Nahverkehr gestaltet sind, erwächst unbewusst ein Gefühl von guter Lebensqualität. Einkommen und Verteilung stehen nicht mehr allein wie noch bis vor kurzem im Mittelpunkt der Diskussion darüber.

B:

B:

Wie bemerkt man denn diese Form der Qualität?

Gute Architektur wird vor allem ganz entscheidend auch mit Hilfe von, wie ich es umschreibe, unaussprechlichen Gewissheiten beurteilt. Man betritt einen Raum und denkt: Es fühlt sich richtig an. Ohne zu wissen warum. Diese Art von Qualität ist schwer in Worte zu fassen oder zu definieren. Mit jedem Versuch einer Definition verkommt sie zur bloßen Theorie, zur Ideologie oder zu einem Kochrezept. Man versteht diese ultimative Idee von Qualität nur dann, wenn man sie erlebt. A A:

Die Architektur-Biennalen von Rem Koolhaas und anderen Ihrer Vorgänger waren vorwiegend europäisch geprägt. Wie global wird Ihre Biennale? A A : Wir sind keinem geografischen Muster gefolgt. Es ging uns vor allem um das, was wir unter Qualität verstehen. Ich möchte, dass in Venedig Beispiele und Erfahrungen geteilt werden, die zu der Haltung und dem Gefühl ermutigen: Das Glas ist halb voll und nicht halb leer. Das war unser einziger Filter. Wir haben versucht, Menschen zu identifizieren, deren Herausforderungen sich um Armut, Immigration, Umwelt-Verschmutzung und andere Probleme drehen, die Gesellschaften heutzutage im Allgemeinen und jeden Einzelnen im Besonderen beschäftigen und interessieren – und eben nicht nur Architekten. Aus dieser Architektur-externen Position heraus haben wir diejenigen ausgewählt, die durch Gestaltung einen Beitrag zur Beantwortung dieser Fragen leisten. B:

Eine Philosophie, die auch in Ihrer Arbeit artikuliert wird. Am Rande der größten Kupfermine der Welt haben Sie neue öffentliche Räume geschaffen, mit dem Ziel zu deeskalieren und die schlechten Gesundheitsbedingungen für die Arbeiter zu mildern. Kann gute Architektur sozialen Frieden stiften? A A : Das kommt auf das konkrete Projekt an und auf die Fragen, die wir als Architekten zu beantworten haben. Bei dem Projekt, das Sie ansprechen, stand ein sozialer Konflikt im Vordergrund. Die Arbeiter waren wütend und gingen auf die Straße: Als diejenigen, die entscheidend zum Reichtum Chiles beitragen, trafen sie die schlechten Lebensbedingungen vor Ort aus ihrer Sicht unverhältnismäßig hart. Diese Diskrepanz wollten sie nicht länger hinnehmen und drohten damit, den Zugang zur Mine zu blockieren. Das hätte ein großes Risiko für die politische und gesellschaftliche Stabilität des Landes bedeutet. Man musste handeln, denn das Problem ließ sich nicht mehr allein dadurch lösen, dass die Bet reiber einfach einen Scheck ausstellten, was sie lange immer wieder getan hatten, um die Situation zu beruhigen. Geld ist in Chile eben nicht mehr die einzige harte Währung. Es geht um Leb e n sq u a l i t ä t. U m d i ese h e r z us t e l l e n, braucht es Architekten. B:

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