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116 . J A H R G A N G
März
19
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Schluss mit der Egoshow
D A,L I CH
Junge Architektur in Europa
Das ArchitekturMagazin
16 € 18 € 19,90 € 24 SFR
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Belgien
In diesem Heft gehen wir der Frage nach, wie der Möglichkeitsraum Europa den Architektennachwuchs prägt. Dafür porträtieren wir zehn junge europäische Architekturbüros und versuchen herauszufinden, welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede es gibt.
Italien
+ RUBRIKEN 06 EIN BILD 30 KLEINE WERKE 38 SONDERFÜHRUNG 62 UNTERWEGS 98 LÖSUNGEN 106 REFERENZ 11 3 IMPRE SSUM + VORSCHAU 11 4 KOLUMNE
Deutschland
5 Slowakei
Rumänien
Frankreich
Spanien
Griechenland
Schweden
Franziska Leeb arbeitet als Archi-
Portugal
tekturpublizistin in Wien. Von 2003 bis Alex Retegan
2006 war sie Geschäftsführerin von ORTE-Architektur-
Architekt und Re-
netzwerk Niederös-
dakteur mit Wohnsitz in Rotterdam. Er machte seinen Gast-Arbeiter
Abschluss an der Ion
Gast-Arbeiter
ist ein rumänischer
terreich, 2003 bis 2012 lehrte sie am Institut für Architektur und Entwerfen
Mincu University in
der Technischen
Bukarest und an der
Universität Wien.
Bauhaus-Universität
Für uns schreibt sie
in Weimar. Derzeit
über das slowaki-
arbeitet er in der
sche Büro JRKVC.
Kommunikationsabteilung von OMA. Für uns schreibt er über das rumänische Büro Unulaunu.
Europa bauen
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S 90 Arrhov Frick
S 14 Dhooge &
S 32
Meganck
Lรถser Lott
S 40 JRKVC
S 72 S 48
Unulaunu
Bast S 22 Set Architects
S 64
S 80
S 58
Elii
Sofia Dona
Fala Atelier
Text: Alexander Russ
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Architekten sind seit jeher Grenzüberschreiter. Das zeigt sich nicht nur an dem ein oder anderen spektakulären Gebäude, sondern auch am geografischen Tätigkeitsfeld: Architekten arbeiten dort, wo es etwas zu bauen gibt, das ist schon seit den Bauhütten des Mittelalters so. Damals war man noch sehr weit entfernt von einem Europa der offenen Grenzen und des kulturellen Austauschs – Dinge, die für uns heute selbstverständlich geworden sind. Allerdings war diese Idee seit Gründung der Europäischen Union im Jahr 1992 selten so in Gefahr wie heute. Aber was bedeutet das für die Architektur? Was bewegt eine junge europäische Architektengeneration, die mit Erasmus und der Möglichkeit, international zu arbeiten, aufgewachsen ist? Auf den folgenden Seiten zeigen wir, wie junge Architekturbüros den Möglichkeitsraum Europa für sich interpretieren, und porträtieren Institutionen oder Vereine, die sich mittels Architektur für die europäische Idee einsetzen.
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Interview: Alexander Russ
Fotos: Frederik Vercruysse
KĂśpfe
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1
Ein Tempel? Nein, eine Senffabrik vom belgischen BĂźro Dhooge & Meganck
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Text: Leonardo Lella
Foto: Simone Bossi
Kรถpfe
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Das von Set Architects entworfene HolocaustMahnmal in Bologna
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Kollektive Subjektivität Bast aus Toulouse verstehen sich als Kollektiv. Ihre spezielle Arbeitsweise und die daraus resultierenden Projekte haben dem französischen Architekturbüro bereits einige renommierte Preise eingebracht. Jetzt sind sie für den Mies van der Rohe-Award 2019 nominiert.
I n der französischen Architekturszene wimmelt es momentan nur so vor jungen Talenten. Wo es viel Konkurrenz gibt, wird es aber auch schwierig, sich mit der eigenen Vision durchzusetzen. Ein Büro, dem das bislang ganz gut gelungen ist, nennt sich Bast – Bureau architectures sans titre – und hat seinen Sitz im südwestfranzösischen Toulouse. Der Name enthält ein provokantes Wortspiel, denn „sans titre“ bedeutet nicht nur „ohne Titel“, sondern auch „mit Namen unbekannt“ oder „ohne Berechtigung“. Hinter dem sachlichen Akronym verbergen sich vier Partner, die ihr Büro als Kollektiv verstehen: Louis Léger, Laurent Didier, Mathieu Le Ny und Yann Chereau. Beim Start 2013 ging es zunächst zu zweit los, aber bald darauf arbeiteten schon fünf Architekten im Büro. Horizontale Arbeitsorganisation In den fünf Jahren seit der Gründung sind immer wieder neue Leute dazugekommen – und auch wieder gegangen. Die gegenwärtige Besetzung variert vom Alter und hat unterschiedliche Universitäten besucht. Trotzdem gibt es eine Gemeinsamkeit: Alle haben Toulouse als Standort
für ihren Start ins Berufsleben gewählt. Bast ist es gelungen, sich in Toulouse, das nicht gerade als Zentrum für zeitgenössische Architektur gilt, einen Namen zu machen. 2018 gehörte das Büro zu den Gewinnern des AJAP, einem prestigeträchtigen, vom französischen Kulturministerium ausgelobten Wettbewerb, der alle zwei Jahre an junge Architekten und Landschaftsarchitekten unter 35 Jahren vergeben wird. Für das Kolllektiv war die Auszeichnung die Krönung ihrer bisherigen Arbeit. Der Preis würdigte auch den fünfjährigen Prozess, während dem sich Bast nicht nur konzeptuell immer klarer positionierten, sondern auch eine Arbeitsstruktur entwickelten, die sich grundlegend von der eines traditionellen Architekturbüro unterscheidet. In den Architekturbüros, in denen Louis Léger, Laurent Didier, Mathieu Le Ny und Yann Chereau ihre Lehrjahre verbrachten, erlebten sie das, was sie in ihrem Kollektiv nicht haben wollten: Hierarchien, endlose Arbeitstage und Projekte, die man nur aus ökonomischen Zwängen annimmt. Bast entschieden sich deshalb ganz bewust für eine horizontale Organisationsstruktur, bei der absolute Gleichheit herrscht. Alle vier Partner arbeiten im Büro in Toulouse und machen die gleiche Arbeit bei gleicher Bezahlung. Keiner ist nur einem Projekt zugeteilt. Und alle benutzen eine ge-
meinsame E-Mailadresse. „Wir haben kein Interesse daran, einzelne Arbeiten an abhängig Beschäftigte zu delegieren. Wir ziehen es vor, für alle Tätigkeiten selbst und gemeinsam die Verantwortung zu tragen“, sagen sie über ihre Bürostruktur. Als Gesellschaftsform haben sie sich deshalb für eine sogenannte SCOP (Société coopérative et participative) entschieden, die sich von den klassischen Gesellschaftsformen dadurch unterscheidet, dass Kapital und Entscheidungsgewalt mehrheitlich in den Händen der eigenen Arbeitnehmer liegen. Die SCOP erlaubt es dem Kollektiv, auf Veränderungen strukturell und juristisch schnell und flexibel zu reagieren. Die Realisierung eines Projekts wird von Bast in der Regel als Duo betrieben. Die Zweierteams wechseln von Auftrag zu Auftrag, bei vier Partnern ergeben sich zwölf Kombinationsmöglichkeiten. Wer welchen Auftrag übernimmt, wird gemeinsam entschieden. Und alle sind stets auf dem Laufenden. Realisierung hat Vorrang Bast ging es von Anfang an um die Realisierung – Ideenwettbewerbe vernachlässigten sie zugunsten konkreter Projekte. Die ersten Aufträge kamen durch Freunde oder Bekannte der einzelnen Partner zu-
Köpfe stande. Wie bei vielen jungen Architekten waren das meistens Wohnhäuser oder Umbauten in der Region, bei denen sie eine eigene Handschrift entwickeln konnten: „Wir haben kein Interesse daran, durch nicht realisierte Bauten bekannt zu werden. Wir wollen, dass Bauhherrn an uns herantreten, weil sie unsere Architektur mögen“, sagen Bast über ihren Ansatz. Dementsprechend verbringen die einzelnen Architekten viel Zeit auf Baustellen: „Wir arbeiten viel in ländlichen Gegenden, denn dort wird in den Größenordnungen gebaut, die für uns interessant sind. Großmaßstäbliche Projekte haben wir bisher nicht realisiert, und das wollen wir auch nicht. Ein großes Projekt würde unsere Arbeitsweise auf den Kopf stellen.“
G egenwärtig realisiert das Kollektiv hauptsächlich Projekte im Südwesten Frankreichs, meist in kleineren Gemeinden, wie zum Beispiel eine Mensa für eine Schule. Andere Projekte sind eine monumentale Betontreppe als Herzstück eines Einfamilienhauses oder ein Anbau für ein Wohnhaus aus Backstein. Dabei geht es Bast vor allem darum, eine Architektur zu entwickeln, die sich der Nutzer gut aneignen kann. Die Realisierung folgt dabei einem genau definierten Ablauf: „Wir zeigen dem Bauherrn zunächst drei unterschiedliche Varianten, von denen er dann eine Variante auswählt. Diese Variante entwickeln wir dann gemeinsam weiter. Für den Bauherrn ist das der erste Schritt zu einer Aneignung der Architektur. Er kann sich durch seine Wahl in das Projekt einbringen. Und er muss auch die Verantwortung für seine Wahl übernehmen.“ Kollektive Subjektivität Um ihren Ansatz des gleichberechtigten Arbeitens konkret umzusetzen, haben die Partner eine Arbeitsmethode entwickelt, in der ein Konsens zwischen allen Beteiligten von zentraler Bedeutung ist: „Ziel ist es, zum objektiven Kern dessen zu gelangen, was uns verbindet. Wenn es unterschiedliche Ideen gibt, arbeiten wir so lange am Entwurf, bis wir zu einer Einigung kommen. Einstimmigkeit ist uns sehr wichtig. Wir sind sehr von der Idee des Kollektivs überzeugt, sie macht den Charakter unseres Büros aus.“ Architektur ist für Bast dementsprechend nicht der individuelle Ausdruck eines einzelnen Architekten, sondern ein Ergebnis, das sich durch das Zusammenspiel von Methodik, Pragmatismus und E f fizienz ergibt. Ästhetische Gesichtspunkte treten dabei in den Hintergrund: „Ein Projekt entsteht nicht aus der Eingebung eines einzelnen Schöpfers,
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sondern aus einer logischen Folge von Wahlentscheidungen. Um gemeinschaftlich entwerfen zu können, filtern wir sämtliche subjektiven Elemente heraus. Die Frage, ob etwas ‚schön’ oder ‚nicht schön’ ist, stellt sich uns nicht. Wir lehnen deshalb so etwas wie eine individuelle Handschrift ab. Für Subjektivität ist in unserer Architektur kein Platz, es sei denn es handelt sich um eine kollektive Subjektivität.“
D ie Architektur von Bast ist auch eine Rückkehr zu einem Brutalismus im usprünglichen Sinn – ein Ansatz der gegenwärtig überall in Europa zu beobachten ist. Im Vordergrund steht dabei die Idee der Gemeinschaft in Kombination mit einer rationalen, empirisch erfassbaren Architektur, die sich auf das Wesen der Dinge fokussiert. Allerdings ist bei Bast nichts in Stein gemeißelt: „Wir hinterfragen unseren methodischen Ansatz unentwegt. Oft tasten wir uns nur langsam voran, aber wir gehen diesen Weg gemeinsam.“
Louis Léger Laurent Didier Mathieu Le Ny Yann Chereau Als wir Bast nach Porträtfotos fragten, schickten sie uns zuerst ein altes SchwarzWeiß-Foto, das einen schiefgelaufenen Schönheitswettbewerb zeigt: Eines der Models liegt ohn-
mächtig auf dem Boden. Nach mehrmaligem Nachhaken waren sie immerhin dazu bereit, uns ein Bild ihres leeren Büros zu schicken. Unnötig zu erwähnen, dass sie mit dem Personenkult in der Architektur eher wenig anfangen können.
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Interview: Isa Fahrenholz
Fotos: Miguel de Guzmán, Rocío Romero
Köpfe
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Den Alltag neu erfinden Uriel Fogué Herreros, Eva Gil Lopesino und Carlos Palacios Rodriguez gründeten 2006 das Büro Elii in Madrid. Ein denkbar schlechter Zeitpunkt, denn die Finanzkrise traf Spanien 2007 mit besonderer Härte. Dennoch blieben Elii dran und entwickelten eine ganz spezifische Strategie – mit Erfolg, denn heute können sie preisgekrönte Projekte vorweisen. BAUMEISTER:
Wie ging es bei euch los? Zwei von uns – Carlos und Uriel – haben sich an der Universität kennengelernt. 2006 gründeten sie dann zusammen mit acht weiteren Kollegen ein Kollektiv namens UHF. Das Kollektiv hat damals eine besondere Zeitschrift publiziert. Eine der Ausgaben befand sich zum Beispiel in einem Stück Seife. ELII:
In einer Seife? E L I I : Ja, die Leser mussten zuerst mit der Seife baden gehen, um an die Zeitschrift zu gelangen. Dadurch wollten wir das Lesee r l ebn i s und den t hema t i schen Schwerpunkt zusammenbringen. Bei der Seifenausgabe ging es um das Thema Intimität. Wir wollten dadurch eine Intimität zwischen dem Heft und dem Leser erzeugen. B:
Wie ging es nach dem Kollektiv weiter? Wir arbeiteten in Büros, und in einem davon trafen wir Eva. Dort arbeiteten wir zu dritt an Projekten, wurden ein gutes Team und auch gute Freunde. Nach kurzer Zeit begannen wir, an eigenen Wettbewerbsbeiträgen zu arbeiten. Daraus entstand dann Elii. B:
ELII:
Das war kurz vor der Finanzkrise. Es war vermutlich nicht einfach, zu diesem Zeitpunkt ein Büro zu gründen. B:
Das war es, vor allem da unser Studium von einem konzeptuellen Ansatz geprägt war, der aus der Zeit vor der Krise stammte. Während wir studierten, gab es in Spanien eine sehr rege Bautätigkeit. Als wir uns dann selbstständig machten, erzeugte die Finanzkrise völlig neue Rahmenbedingungen. Dadurch sind wir aber auch zu guten Strategen geworden. So konnten wir überleben. Viele andere Architekturbüros mussten schließen oder ins Ausland gehen. ELII:
Welche Strategien habt ihr entwickelt, um euer Büro über Wasser zu halten? E L I I : Durch die strikten Bedingungen wie etwa ein niedriger Kostenrahmen oder kurzfristige Abgabetermine haben wir gelernt, strategisch zu handeln, und sind dadurch konkurrenzfähig geworden. Und wir konnten neben der Alltagsarbeit noch verschiedene Forschungsprojekte weiterentwickeln. In unserem Büro versuchen wir, diesen dialektischen Gegensatz von guten und schlechten Zeiten zu vermeiden. Stattdessen sind wir positiv eingestellt – was nicht heißt, dass man keine Kritik üben kann. B:
B : Aber jetzt mal ganz konkret: Wie kamt ihr in den schlechten Zeiten an Projekte? E L I I : Wir fingen mit Wettbewerben an. Daraus ergab sich dann unser erstes Projekt:
Eine private Einrichtung – die ASA, ein Verband für Nachhaltigkeit und Architektur – wollte einen künstlichen Baum schaffen. Wir entwarfen den Prototyp für einen sogenannten Urban Tree. Ursprünglich wollte die ASA den Baum industriell fertigen und dann verkaufen. Aber wegen der Krise verfolgten sie das Projekt nicht weiter. Wie ging es danach weiter? Nach einigen Wettbewerben bekamen wir langsam auch private Aufträge. Es fing damit an, dass uns eine Frau namens Susana anrief. Sie sagte, sie hätte von uns gehört, und würde gerne ihr Badezimmer renovieren. Sie ging allerdings davon aus, dass uns ihr kleines Badezimmer nicht interessieren würde. Aber die Freude über den ersten Auftrag war so groß, dass wir direkt zusagten. Zu Beginn des Projekts stellten wir fest, dass der Wohnungsgrundriss nicht mit den Lebensgewohnheiten von Susana harmonier te. Deshalb schlugen wir Änderungen vor. Zum Beispiel: „Warum entfernst du nicht diese Wand?“ Und diese Vorschläge führten dazu, dass wir am Ende die gesamte Wohnung renovierten. Wir nannten das Projekt Susaloon. Es wurde dann ein paar Jahre später auf der Architekturbiennale in Venedig ausgestellt. Susana konnte es kaum glauben. Diese Anekdote verdeutlicht unsere Strategie ziemlich gut: Lehne B:
ELII:
WEITER
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Das Wohnhaus „House of Would“ ist um einen zentralen Innenhof gruppiert.
FOTO: IM AGE NSUBLIM INAL – W W W.IM AGE NSUBLIM INAL .COM
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