BAU ME ISTER
B4
116 . J A H R G A N G
April
Was für ein Zirkus ! 100 Jahre Bauhaus
04 4
194673
016003
D A,L I CH
16 € 18 € 19,90 € 24 SFR
19
Das ArchitekturMagazin
4
B4
Köpfe
Ideen
100 Jahre Bauhaus. Die Kunstschule wird viel gelobt, gefeiert und verklärt. Wir werfen mal einen anderen Blick drauf.
10
22
Musisch begabter Bauhäusler: Edmund Collein
Weiße Moderne in Augsburg von Thomas Wechs
10 Edmund Collein
22 Haus der Moderne in Augsburg
Ausbildung am Bauhaus, Praxis in der DDR: Ein Gespräch über Ideale und Wirklichkeit
16 Feine Sahne Fischfilet Die Band machte Schlagzeilen, weil sie als Festkapelle zur Bauhaus-Feier ausgeladen wurde. Eine Spurensuche
Kaum bekannte Bauhaus-Ikone in Bayern von Thomas Wechs
34 Kandinsky-KleeMeisterhaus in Dessau Pigmentgenau rekonstruiert: das Meisterhaus in Originalfarben
46 Park Hill in Sheffield BAU MEISTER. DE
Sanierung einer brutalistischen Siedlung
58 James-SimonGalerie in Berlin Angemessener Auftakt? Das neue Entree der Museumsinsel
Das Bauhaus ist auch online ein Thema: In einer eigenen Rubrik wählen wir für Sie wichtige Termine zum Jubiläum aus und liefern Hintergrundinformationen.
FOTOS VON LINKS: BAUHAUS-ARCHIV BE RLIN; LUK AS SCHR A M M; BAR ORIAN ARCHITEC TS; PANZE RI
Die unterstrichenen Beiträge rechts befassen sich mit dem Titelthema.
5
Fragen
Lösungen
Gast-Arbeiter
80
94
Bauhauserbe? Ein Gebäude in Tel Aviv
Vielseitig: die mattschwarze Leuchte Ginevra
68 Warum ist das Bauhaus aktuell?
94 Licht
74 HfG Ulm – die einzige Nachfolge? 80 Wie weiß ist Tel Aviv? 88 Was wollen Berufseinsteiger von ihren Arbeitsgebern?
Philipp Oswalt ist seit 2006 Professor für Architekturtheorie und Entwurf an der Uni Kassel und hat seit 1999 ein Projektbüro, in dem er Studien, Ausstellungen und Projekte realisiert. 2009 bis 2014 war er Direktor der Stiftung Bauhaus Dessau und 2015 Mitinitiator von „projekt bauhaus“. Für uns zieht er Bilanz: Warum ist das Bauhaus aktuell?
100 Referenz Büro- und Wohntürme in Singapur mit Betonschutz von Keim
102 Möbel RUBRIKEN 6 EIN BILD 32 KLEINE WERKE 44 SONDERFÜHRUNG 45 SIE UND WIR 56 UNTERWEGS 88 ARCHITE K TUR + M ANAGE ME NT 90 LIVE 10 0 REFERENZ 109 IMPRE SSUM + VORSCHAU 11 0 PORTFOLIO: BEST PRODUCTS 11 4 KOLUMNE
Peter Allison kennen unsere Leser schon von unserer gastkuratierten David-Adjaye-Ausgabe. Der Autor und Kurator aus London arbeitet seit den 1990er-Jahren mit David Adjaye zusammen und schreibt in dieser Ausgabe über die Sanierung der brutalistischen Wohnsiedlung Park Hill in Sheffield.
16
Kรถpfe
2 bis 7
Ausgeladen: Die Band Feine Sahne Fischfilet durfte nicht auftreten.
17
Im postfaktischen Bauhaus Pünktlich zum Beginn des Bauhaus-Jubiläums kam es zum Eklat, angefangen mit dem geplanten Auftritt von Feine Sahne Fischfilet, einer Band mit linkspolitischer Haltung. Die Stiftung Bauhaus Dessau sagte nach Protesten von rechts den Auftritt ab. Das Bauhaus soll von jeher und auf einmal ein unpolitischer Ort gewesen sein. Wo liegt die Wahrheit?
TITELTHEMA
Neulich in Deutschland, wir erinnern uns: Ein öffentlich-rechtlicher Fernsehkanal nutzte Räume des weltweit bekannten und zur Architekturikone gewordenen Bauhausgebäudes in Dessau für die Übertragung von Musikveranstaltungen. Als ein Konzert der Band „Feine Sahne Fischfilet“ anstand, verlangte die Leitung der Stiftung Bauhaus Dessau, das Konzert abzusagen. Der Grund wurde auf irritierende Weise kommuniziert und noch irritierender begründet. Die Bedrohung durch Agitatoren von rechts war durchaus real. Die Sorge davor schien zunächst die Ursache zu sein, die das Konzert platzen ließ. Dann wurde nachgeladen: Man wolle „politischen Extremisten“ keine Plattform bieten. Denn der ausgeladenen Band mit ihrer linkspolitischen Gesinnung wurde ein extremistischer Charakter unterstellt. Und dann die Zuspitzung: Das Konzert sollte nicht stattfinden, weil das Bauhaus von jeher ein unpolitischer Ort gewesen sei. Letztere Darstellung wurde zugegebenermaßen von der Stiftung Bauhaus Dessau im Nachgang bedauert. Aber was kommt danach – „Business as usual“ und ab ins Bauhaus-Jubiläumsjahr? Brauhaus statt Bauhaus Die Entscheidung und ihre Erklärung führten zu einem heftigen, öffentlich geführten Streit. Trotz Gegenwind weigerte sich die Stiftung Bauhaus Dessau, das Konzert in den Räumen des Bauhausgebäudes abzuhalten. Und so spielte die Band kurzerhand vor ausverkauftem Haus – nicht im Bauhaus, sondern im Brauhaus in Dessau. Doch wer steckt eigentlich hinter dieser Band? „Feine Sahne Fischfilet“ sind Jan „Monchi“ Gorkow, Christoph Sell, Jacobus
10 0 JAHRE BAUHAUS
Mark Kammerbauer ( Text ) Bastian Bochinski ( Foto ) North, Max Bobzin, Kai Irrgang und Olaf Ney. Sie spielen Abgehsongs mit Hymnencharakter und politischen Texten, Mucke zum Feiern und mit Herz. Die klassische Punk-Hardcore-Orchestrierung aus Schlagzeug, Bass, Gitarre und Gesang wird durch eine Blechbläsersektion verstärkt. Die Band wird dem linken politischen Spektrum zugeordnet, und die Bandmitglieder sehen sich selbst so. Mit einem Dutzend Alben auf dem Buckel, mehrheitlich auf dem Audiolith-Label, spielen Feine Sahne Fischfilet ausverkauf-
te Konzerte und engagieren sich bei Aktionen gegen Rechtsextremisten, insbesondere im Osten Deutschlands. Das ruft allergische Reaktionen im entsprechenden Lager hervor, denen sie ein Dorn im Auge sind. Politisch motivierte Konzertabsagen, wütendes Internet-Trolling bis zu Bombendrohungen gehören zum Bandalltag. Ob die Band extremistisch ist, steht auf einem anderen Blatt. So wollen sie bestimmte Akteure zumindest wahrnehmen. Es wurde behauptet, sie stünden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung entgegen. Der Mecklenburg-Vorpommersche Verfassungsschutz attestierte der Band sogar eine ausdrücklich antistaatliche Haltung. Starker Tobak! Vielleicht steckt aber hinter diesem doppelten Bild ein Schlüssel zum Verständnis der Situation. Band: 1, Bauhaus: 0 Licht ins Dunkel sollte unter anderem eine Berliner Tagung bringen: Im Haus der Kulturen wurde Anfang des Jahres die Frage diskutiert „Wie politisch ist das Bauhaus?“ 1. Dort fand sich auch Jacobus North (Trompete) von den Feine Sahne Fischfilets ein – er beantwortete die Frage zum „politischen Bauhaus“ so: Die Band verbinde mit Dessau zuallererst den Tod Oury Jallohs im örtlichen Polizeirevier. Das Bauhaus stehe für sie, meint North, zumindest von seiner Bildwirkung her, in Beziehung zu den ostdeutschen Plattenbauten, etwa in Rostock-Lichtenhagen. Die rassistischen Angriffe dort zählten zu den Schlüsselerlebnissen der Bandmitglieder. Der Rückzug der Polizei während der Angriffe war für sie ein Zeichen, dass auf die verantwortlichen staatlichen Akteure kein Verlass war. Die WEITER
22
Augsburger Moderne TITELTHEMA 10 0 JAHRE BAUHAUS
Thomas Wechs ( Architekt ) Eva Herrmann ( Kritik )
Lukas Schramm ( Fotos )
Zum Anlass des Bauhaus-Jubiläums haben wir uns in Bayern umgesehen und ein noch unsaniertes Wohnhaus in Augsburg von 1929 gefunden. Es stammt von Thomas Wechs senior und nennt sich heute „Haus der Moderne“.
Ideen
1
Das senkrechte, Ăźberraumhohe Fenster am Eingang konnte erst mit dem Wiederaufbau nach einer Brandbombe und neuen technischen MĂśglichkeiten in der heutigen Form umgesetzt werden.
23
46
Die Wiederauferstehung In Sheffield wird gerade eine brutalistische Siedlung saniert. Der Gebäudekomplex zeigt exemplarisch, welches Potenzial in den Typologien jener Zeit steckt, wirft aber auch Fragen nach seiner Nutzung auf. Hawkins\Brown mit Studio Egret West ( Architekten Bauphase 1 ) Peter Allison ( Kritik )
FOTO: JACK HOBHOUSE
Ideen
3
Die Wohnungen in der brutalistischen Wohnsiedlung Park Hill in Sheffield sind als Cluster Ăźber mehrere Geschosse angeordnet.
47
68
Fragen
1
Warum ist das Bauhaus aktuell ?
69 Wer das Bauhaus in Weimar oder Dessau besucht, erwartet nicht nur das „Museum“, also die Präsentation des Erbes, sondern ebenso selbstverständlich die lebendige „Schule“, ein Bauhaus, an dem auch heute noch unterrichtet wird. Warum eigentlich? Das Bauhaus wurde vor achtzig Jahren geschlossen. Nüchtern betrachtet ist es erstmal absurd, das Fortleben einer Institution zu erwarten, die bekanntermaßen schon seit so langer Zeit nicht mehr existiert. Woher kommt diese seltsame Unabgeschlossenheit des Bauhauserbes, die Erwartung, dass durch das Bauhaus – zumindest als Idee – wesentliche Beiträge zur Gestaltung der Gegenwart heute erbracht werden? Eine Erwartung, die im Übrigen nicht nur an den historischen Bauhausstätten besteht, sondern auch andernorts formuliert wird. Etwa bei dem Bauhausmuseum in der chinesischen Stadt Hángzhou, welches 2012 von der Chinese Academy of Arts eröffnet wurde, um die heutige Designlehre und -praxis zu beleben. Wenn wir dies verstehen wollen, geht es nicht um die Formen und Produkte des Bauhauses – sei es in ihren trivialisierten Versionen wie etwa bei Fertighäusern im Bauhausstil oder in ihrer fetischisierten und musealisierten Ausprägung wie im Bauhaustourismus, der lizensierten Nachbauten origina-
Die Moderne: fragmentiert und zentrifugal Das Bauhaus ist Teil der Moderne, deren Epoche mit der Industrialisierung, dem Kapitalismus, den modernen Wissenschaften und den Nationalstaaten um 1800 Gestalt annahm und bis heute fortdauert. Das Verständnis von der Architektur der Moderne folgt meist einer heroischen Geschichtsschreibung: Heroische Architekten schaffen ikonische Bauten, die Geschichte schreiben. Die Realität der Architekturpraxis ist weitgehend eine andere. Die Moderne als Prozess vollzieht sich in der Akkumulation einer Vielzahl von kleinsten Veränderungen in den unterschiedlichsten Bereichen. Es ist eine Evolution in einem Prozess mit zahllosen Akteuren in unzähligen Mikroschritten. Exemplarisch dafür ist Bautechnik, die für die klassische Avantgarde mit ihrer Begeisterung für neue Materialien und Konstruktionen eine wichtige Rolle spielte. Patente repräsentieren und dokumentieren im Bereich dieser materiellen Kultur die Evolution der Moderne. Auf Basis unzähliger
Philipp Oswalt ( Text ) len Bauhausdesigns oder der Rekonstruktion von Bauhausbauten. All das ist sehr real, aber ist nicht mehr als die Verwertung einer vergangenen Epoche, einer nicht mehr lebendigen Praxis. Die Ursachen für die fortbestehende Virulenz der Bauhausideen liegen tiefer und erfordern einen genaueren Blick auf das Wesen der Moderne.
Erfindungen für die verschiedensten Elemente und Methoden wird die Bautechnik ständig weiterentwickelt. In Deutschland etwa wurden mehr als eine Million Patente für das Bauwesen seit Einführung des modernen Patentwesens im Jahre 1877 angemeldet. Diese technische Entwicklung schlägt sich in der Architektur der Moderne
nieder und prägt diese in relevanter Weise. Moderne Bauten sind in dieser Hinsicht nicht holistische Entitäten, sondern Aggregate aus einer Vielzahl von Komponenten. Jedes Mikroelement selbst bildet sich in einer technischen Evolution aus, die sich global durch ein Kollektiv von Erfindern, Ingenieuren und Herstellern entfaltet, welche gemeinsam am Metatext der technischen Entwicklung schreiben. Das bautechnische Wissen hat sich von handwerklichen Traditionen in technische Produkte verlagert. Handwerkliche Kulturen beruhen auf dem impliziten Wissen der Handwerkstraditionen, von lebendigen lokalen Praktiken. Mit der Moderne wurde das bautechnische Wissen in Patenten explizit gemacht und in die Produkte und ihre Gebrauchsanweisungen
TITELTHEMA 10 0 JAHRE BAUHAUS
verlagert. Daher können moderne Bautechniken unabhängig von lokalen Baukulturen weltweit eingesetzt werden. Die Modernisierung entwickelt zentrifugale Kräfte, welche bestehende Zusammenhänge auflöst und die Gegenwart fragmentiert. Die Entfesselung dieser technisch-wissenschaftlichen Kräfte hat eine bemerkenswerte Dynamik. Aber diese Entwicklung, dieser Fortschritt, ist nahezu wertefrei, quasi ungerichtet und zunächst einmal ziellos. Wissenschaft, Technik und Wirtschaft können erfreuliche wie schreckliche Dinge hervorbringen, und meist liegen
diese Dinge sehr nahe beieinander. Eine Technologie – wie etwa das Flugzeug Junkers 52 – kann gleichermaßen zum Transport vieler Menschen in den Urlaub wie zum Bombardieren von Städten genutzt werden; eine neue Substanz – wie Zyklon B – kann gleichermaßen dem menschlichen Wohlbefinden durch die Bekämpfung von Ungeziefer wie zur industriellen Ermordung von Menschen genutzt werden. Die Ambivalenz der Moderne gehört zu ihrem Wesenskern.
Bauhaus: Suche nach einer neuen Synthese Als das Bauhaus 1919 gegründet wird, hatte unmittelbar davor die krisenhafte Entwicklung der modernen Industriestaaten in die Katastrophe des Ersten Weltkriegs gemündet, dem ersten modernen, industrialisierten Krieg. Ein Traditions- und Zivilisationsbruch unvorstellbarer Härte hatte stattgefunden. In Reaktion auf die zentrifugale, ungerichtete und nicht zuletzt zerstörerische Entfaltung der Moderne versuchte das Bauhaus die Fragmentierung durch eine neue Gesamtheit und Synthese zu überwinden und zugleich dem Projekt der Moderne einen Sinn, eine Ausrichtung, ein Ziel zu geben. Dies trifft nicht nur auf das Bauhaus zu, sondern auch auf weitere Avantgardegruppierungen der klassischen Moderne. Aber anders als die heroische Selbstbeschreibung der Avantgarden des 20. Jahrhunderts sind sie nicht die primären Initiatoren und Autoren des Modernisierungsprozesses, die Motoren der Erneuerung. Längst hatte der Zivilisationsbruch stattgefunden, hatte die Moderne bestehende Traditionen zerbrochen. WEITER
74 Die ehemalige Hochschule fĂźr Gestaltung in Ulm, ein Entwurf von Max Bill, wurde nach nur 15 Jahren Betrieb 1968 geschlossen. Immer noch ist keine ideale Nutzung gefunden.
FOTO: HFG UL M , TIL M ANN FR ANZE N, TILL M ANNFR ANZE N.COM; VG BILDKUNST, BONN 2 018
75
76
Fragen
2
Die einzige Nachfolge ? Auf den vorherigen Seiten vertritt Philipp Oswalt die Meinung, allein Max Bills Hochschule für Gestaltung in Ulm hätte die Bauhausidee aktualisiert – indem sie sich bewusst abkehrte. Wir sprachen mit den Autoren der umfassenden Baumonografie „einfach komplex – max bill und die architektur der hfg ulm“, Daniel P. Meister und Dagmar MeisterKlaiber, über Idee, Bau und Geist der HfG.
77 Am Tag der Verabredung treibt starker Wind dichten Schnee über den Ulmer Kuhberg. Die Gebäudegruppe der ehemaligen Hochschule für Gestaltung wirkt mit ihren stahlblau spiegelnden Fenstern wie tiefgefroren. Auch acht Jahre nach der letzten, viel kritisierten Renovierung des „Denkmals von besonderem Rang“, befremdet dieses unnahbare Erscheinungsbild. Daniel P. Meister und Dagmar Meister-Klaiber erwarten mich in „ihrem“ Haus, einem der von Max Bill am Hang gebauten Dozentenhäuser. Dank der Achtsamkeit und Hingabe der Bewohner ist diese Doppelhaushälfte weitgehend im Original erhalten, ohne museal zu wirken. Nachdem mein Mantel hinter einer schlichten Zimmertür im Garderobenschrank verstaut ist, führt mich das Paar durch eine zweite, baugleiche Tür zum Essplatz. Als Gast darf ich mit dem Rücken zur hölzernen Küchendurchreiche sitzen und den Blick über das fünf Stufen tieferliegende Wohnzimmer durchs holzgerahmte Fenster hinaus in die schneeverhangene Landschaft gleiten lassen, während sich Daniel P. Meister mir gegenüber auf die Bank setzt, die zugleich Brüstung und Truhe ist. Seine Frau hat sich einen Stuhl herangezogen, auf dem Tisch liegt das dicke Buch aufgeschlagen, der Tee steht bereit… B A U M E I S T E R : Herr Meister, Frau Meister-Klaiber, Sie bekennen in Ihrem Vorwort, dass die HfG seit vielen Jahren Ihre geistige und konkrete Heimat ist. Sie gehören beide zum letzten Jahrgang, der an der HfG ausgebildet wurde, bevor die von der Geschwister-Scholl-Stiftung getragene Hochschule nach nur 15 Jahren Betrieb geschlossen wurde. Warum haben Sie diesen von Max Bill gebauten Studienort gewählt? D A N I E L P. M E I S T E R : Als Absolvent der Kunstgewerbeschule in der Schweiz hatte ich mich für den weiteren Bildungsweg zunächst an der
École des Beaux Arts in Paris und an der Wiener Akademie umgesehen. Dann kam ich hierher, und alles war ganz anders: Es gab kein Meisterschülerprinzip, von Beginn an haben die Studenten aller Abteilungen interdisziplinär zusammengearbeitet. Das Lehrprogramm war klar strukturiert. Der Campus hat mich fasziniert, seine Abgeschiedenheit über der Stadt und die Internationalität der Gemeinschaft. So habe ich mich bei der Abteilung Bauen, damals unter Leitung von Claude Schnaidt (1931 – 2007) beworben. Wir waren am Anfang 18 Studenten im Studienjahr, zum Schluss etwa noch zwölf. Das Dozenten-StudentenVerhältnis war traumhaft und die Betreuung sehr intensiv. Weil die Dozenten auch permanent anwesend waren, gab es eine Einheit zwischen Dozenten und Studenten. Unter den Studenten waren Architekten, die hatten schon zehn Jahre Berufserfahrung und ihr Büro aufgegeben, um an der HfG zu studieren. Wir Jüngeren konnten nur profitieren! Wichtig waren mir auch die klaren funktionalen Ansätze, die hier verfolgt wurden. Die Aufgaben wurden nicht einfach nur vergeben, wir konnten sie zum Teil selbst formulieren. Wir mussten uns beraten, welche Dozenten wir zur Lösung eines Problems aus anderen Fächern hinzuzogen. Daher gab es zum Beispiel auch Kooperationen mit dem Lehrstuhl von Frei Otto in Stuttgart. Die theoretischen Fächer, wie Soziologie, Psychologie, Mathematik und Geometrie, liefen immer
DAGM AR ME ISTER-KL AIBER: Ich wollte unbedingt in die Film-Klasse von Alexander Kluge. Als Schülerin bin ich immer zum sogenannten „Filmdokument“ gegangen. Jeden Freitagabend wurden da in der Aula der HfG Filme vorgestellt und diskutiert. Dort entstand meine Begeisterung für den Film und die Idee, Film zu studieren. Normalerweise nahm die HfG aber nur Studenten auf, die schon Berufserfahrung hatten. Die wollten Leute, die wussten, was sie wollten. Nach eingehender Prüfung durfte ich dann auch ohne
TITELTHEMA 10 0 JAHRE BAUHAUS
praktische Erfahrung mit dem Studium anfangen, beziehungsweise ich durfte erst einmal überall assistieren und hatte so etwas wie ein reguliertes Selbststudium. Können Sie sich erinnern, wie das Ensemble von Max Bill damals auf Sie wirkte? D M - K : Diese Einfachheit und Strenge strahlte eine enorme Harmonie aus. Ich wusste damals nicht, warum das so ist. Ich habe nur gespürt, das ist der Ort, wo ich mich wohlfühB:
Ira Mazzoni ( Interview ) projektbezogen mit. Dieser ganzheitliche Ansatz war großartig. Dabei lernten wir auch zu scheitern. Etwas, was in der Praxis häufig vorkommt.
le. Die Architektur hat mir entsprochen. Das ging mir mit dem Dozenten-Haus hier genauso. Wir leben jetzt schon 43 Jahre hier. Der Purismus, die Einfachheit, die
Funktionalität von Bills Architektur entsprach einfach der Haltung der Menschen, die dort zusammenlebten und arbeiteten, mit denen man sich auch sehr eins fühlte. Im Vorwort Ihres Buchs bekennen Sie, dass Sie bis heute „distanzlos fasziniert“ seien von der „klaren Schönheit“ dieses nur „scheinbar einfachen Baus“. Sie sind dieser Faszination mit wissenschaftlicher Akribie auf den Grund gegangen. Gab Ihre Kritik an den zahlreichen, bisweilen gravierend entstellenden Veränderungen seit der Schließung der Hochschule 1968 den Ausschlag? D P M : Kritik allein bringt gar nichts. Wenn man in Zukunft eine Resanierung machen will, dann braucht man doch gesicherte Grundlagen – und die waren einfach nicht vorhanden. So haben wir als Erstes alle dafür erforderlichen Dokumente im hier angesiedelten HfG-Archiv ausgewertet, dann das Stadtarchiv mit den Bauakten und dem Nachlass des ehemaligen Bürgermeisters Theodor Pfizer, der früh Stiftungsratsvorsitzender der GeschwisterScholl-Stiftung war, die die HfG gründete und betrieb. Wir konnten also auch die frühen Haushaltspläne der Stiftung auswerten. Wir hatten das Glück, dass uns Jakob Bill Zugang zu sämtlichen Bauplänen und Bauakten von Max Bill gewährt hat. Nachdem wir auch die komplette Korrespondenz gefunden haben – Bill war ja selten in Ulm, so dass die Post fast täglich hin und her ging – konnten wir den gesamten Planungsund Bauprozess klären. D M - K : Eine Woche lang hat mein Mann mit Jakob Bill das Archiv gesichtet. Zusammen haben sie alle Pläne gescannt, später haben wir die teils fragilen Pläne noch digitalisiert, so dass sie nun auch für weitere Forschungen zur Verfügung stehen. D P M : Da sind Pläne aufgetaucht, die noch nie veröffentlicht wurden. Am bedeutendsten vielleicht die erste B:
WEITER