B6
BAU ME ISTER
117. J A H R G A N G
Juni
Das ArchitekturMagazin
20
Das Leichte im Schweren AN DER GRENZE ZWISCHEN DRINNEN UND DRAUSSEN
BUNDSCHUH ARCHITEKTEN / KINZO + CARAMEL ARCHITEKTEN
TITELTHEMA OFFENE BÜROKONZE PTE
S 2 0 S TAT I O N F I N PA R I S +
S 3 2 S U H R K A M P-VE R L AG
HAASCOOKZEMMRICH STUDIO2025+
IN BERLIN S 4 4 TA Z-GE BÄUDE IN BERLIN S 50 ALNATURA-CAMPUS IN DAR MSTADT S 58 MÜSSEN APPLE UND GOOGLE UMDENKEN?
E2A
+
PEDEVILLA ARCHITECTS
+
WILMOTTE & ASSOCIÉ ARCHITECTES
+
2038
4
B6
Köpfe
Ideen
Die unterstrichenen Beiträge rechts befassen sich mit dem Titelthema.
14
20
Südtiroler Ideenfinder: die Brüder Pedevilla
Station F: Ausgangspunkt für viele Start-ups
10 2038
20 Station F in Paris
Blick zurück aus der Zukunft: über das Konzept des deutschen Pavillons auf der diesjährigen Biennale in Venedig
Eine meisterliche, alte Spannbetonhalle wird in einen geräumigen CoWorking Space transformiert.
14 Pedevilla Architects
32 Suhrkamp-Verlag in Berlin
Neues auf dem Fundament von Altbewährtem
BAU MEISTER. DE
Warum für Bjarke Ingels Architektur- und Designstudios in der Corona-Pandemie der Silberstreif am Horizont sein könnten und was der Corona-Knick am Immobilienmarkt bedeutet – Themen wie diese finden Sie mehrmals wöchentlich in unserem Baumeister-Newsletter.
Stillarbeit für die Mitarbeiter zwischen tausenden Buchrücken
44 taz-Gebäude in Berlin Kommunikative Offenheit sorgt für Freiraum im Denken.
50 Alnatura-Campus in Darmstadt Ein Allraum baut Brücken für engere Zusammenarbeit und besseren Austausch.
FOTOS VON LINKS: GUSTAV WILLE IT; PATRICK TOURNE BOE UF; A ME LIE K AHN-ACKE R M ANN; TOBIAS GR AU
Zusammen arbeiten – vier Beispiele für kommunikative Büroraumkonzepte
5
Fragen
Lösungen
Gast-Arbeiter
64
88
Stayathome: Bewohner sorgen für Lichtblicke.
Flexibles Licht im Homeoffice: die Leuchte „John“
58 Müssen Apple und Google umdenken?
72 Fenster
62 Wie schreibt man über Architektur?
Haus K in München mit Fenstern und Türen von Josko
80 Referenz
M
TAYAT H
EIN BILD 30 KLEINE WERKE 42 UNTERWEGS 80 REFERENZ 90 IMPRE SSUM + VORSCHAU PORTFOLIO: FASSADE 98 KOLUMNE
W
.S
6
WW
RUBRIKEN
91
HOTO
PHY
86 Homeoffice
E.P
RA
O
82 Fassade
G
64 Am Fenster – ein Lichtblick?
Schon viele Jahre beschäftigt sich die italienische Fotografin Alessandra Chemollo mit dem Verhältnis zwischen Architektur und Fotografie. Sie spürte für uns eine Szene aus Venedig im Ausnahmezustand auf (Seite 6), da die Architekturbiennale verschoben wurde und wir zur Zeit nicht hinfahren können.
Internationale Fotografen treffen sich auf der Online-Plattform stayathome.photography und tauschen Eindrücke vom Daheimbleiben aus. Wir stellen Frederike Wetzels, Constantin Mirbach, Katharina Scheidig, Lorraine Hellwig, Florian Reimann, Amelie Kahn-Ackermann und Ole Witt vor (Seite 64). Auch das Titelbild gehört dazu – es stammt von Francesco Giordano.
14
Altbewährtes neu gedacht
Armin (links) und Alexander Pedevilla von Pedevilla Architects aus Bruneck/SĂźdtirol
Köpfe
∞+2
15
Die Brüder Armin und Alexander Pedevilla sind mit einer markant zeitgenössischen Architektursprache bekannt geworden, die zugleich eng mit den baulichen Besonderheiten Südtirols verknüpft ist. Sie beschäftigen sich intensiv mit dem Handwerk und der Baukultur in der Region und setzen die Tradition mit altbewährten Bauweisen und Materialien auf innovative Weise fort. Text: Claudia Fuchs
Das Büro von Pedevilla Architects befindet sich im historischen Zentrum der Südtiroler Kleinstadt Bruneck – normalerweise. Denn zum Zeitpunkt unseres Telefongesprächs arbeiten Armin und Alexander Pedevilla und ihre acht Mitarbeiter bedingt durch die Covid-19-Ausgangsbeschränkungen jeweils zu Hause, was mit laufender Abstimmung auch sehr gut funktioniert. Und doch kann es nur eine zeitlich befristete Lösung sein, da die Arbeit im Team ein wesentlicher Grundgedanke der Architekten ist. Ihre derzeitigen Projekte umfassen Bauten und Wettbewerbe unterschiedlicher Größenordnung in Südtirol, Österreich und Deutschland, darunter Pflegeheime, Hotels, Gewerbebauten, Restaurants, Schulbauten, Kindergärten, Wohnhäuser und vieles mehr. Armin und Alexander Pedevilla reizen insbesondere Themen und Aufgaben, die vollkommen neu für sie sind. Sie sind ständig auf der Suche nach innovativen Lösun-
Fotos: Gustav Willeit
gen und einem klaren Konzept, dabei hat ein starker Bezug zu regionalen Bauweisen ebenso viel Bedeutung wie die Materialqualität und die sorgfältige Detaillierung. Oftmals entwickeln sie in ihren Bauten vertraute, traditionelle Techniken oder Motive auf neue Weise weiter und verknüpfen sie so mit dem Kontext. Viele ihrer Projekte erhielten Auszeichnungen, darunter das Ferienhaus La Pedevilla in Enneberg, das Hotel Bühelwirt im Ahrntal, die Umbauten für das Hotel Bad Schörgau, das Haus am Mühlbach, zwei Feuerwehrhallen, um nur die wichtigsten zu nennen. Gemeinsames Büro Dass beide Brüder gemeinsam ein Architekturbüro führen, „war eher ein Zufall. Aber ich weiß nicht, ob man es wirklich Zufall nennen kann“, erläutert Armin Pedevilla. Nach ihrem Studium an der TU Graz gingen sie zunächst getrennte Wege,
Armin Pedevilla arbeitete in Büros in Graz und Wien, Alexander Pedevilla in Salzburg Land. Zu einem Zeitpunkt, als sich in diesen Büros Veränderungen abzeichneten, nahmen sie 2005 gemeinsam am Wettbewerb für ein Pflegeheim in Bruneck teil. Der erste Preis war dann zugleich der Start für die Bürogründung. „Wir sind im Denken und Charakter sehr unterschiedlich, doch wir ergänzen uns und schätzen bei Entscheidungen die Meinung des anderen sehr. Wir versuchen, den eigenen Standpunkt und den des anderen zu analysieren und zu hinterfragen, bevor wir den nächsten Schritt machen. Das erweist sich als sehr wertvoll, um das gemeinsame Ziel zu erreichen.“ Am Anfang steht dabei immer, in den Ort, den Bauherrn, die Tradition hineinzuhören, das Gehörte zu verstehen und in gemeinsamer Abstimmung in Architektur umzusetzen. In der Arbeitsweise gibt es dabei keine Aufgabentrennung, beide Brüder machen alles. WEITER
22
TITELTHEMA OFFENE BÜROKONZE PTE
Neue Galerien für insgesamt 3.000 Arbeitsplätze wurden als eigenständige Stahlkonstruktionen in das Raumvolumen der Seitenschiffe eingefügt.
Ideen
1
23
Digitales Treibhaus Vom Güterbahnhof zur Ideenschmiede: Wilmotte & Associés haben eine denkmalgeschützte Pariser Frachthalle mit einem außergewöhnlichen Betonschalendach aus den 1920er-Jahren in das Gründerzentrum für Start-ups „Station F“ transformiert – mit lichtdurchfluteten offenen Bürolandschaften. Architekten: Wilmotte & Associés
Kritik: Anne Walter
Fotos: Patrick Tourneboeuf
Ganz versteckt im 13. Arrondissement liegt nahe der Gare d’Austerlitz und der Bibliothèque National ein neuer Hotspot für Start-ups: die „Station F“. Entlang der Bahntrasse erstreckt sich die einstige Frachthalle auf 310 Metern Länge und wirkt dennoch fast klein im Vergleich zu den ausladenden Bürokomplexen und Hochhäusern ringsum. Schon die vollständig verglasten Giebelseiten geben Einblick in die Bürolandschaften der jungen Gründerszene: Drinnen herrschte in der von einem außergewöhnlich leichten Betonschalendach überspannten Halle zum Zeitpunkt des Besuchs in Vor-Corona-Zeiten eine sehr geschäftige und zugleich angenehm entspannte Atmosphäre – und so wird es künftig hoffentlich auch nach der Covid19-bedingten Schließung in diesem Frühjahr auch wieder werden. In der lichterfüllten Mittelachse, der „Esplanade“, trifft man sich zu informellen Gesprächen, drei galerieartige Ebenen bieten Open-Space- und Co-Working-Flächen, in containerartigen Boxen finden Präsentationen und Besprechungen statt. Auf insgesamt 34.0 0 0 Quadratmetern können bis zu 1.000 Jungunternehmen
hier ein breites Angebot an Räumen und Infrastruktur nutzen. Das laut eigenen Angaben größte Start-up-Gründerzentrum der Welt zu schaffen, war die Vision des Telekommunikationsmoguls Xavier Niel – als komplexes „Ökosystem“, in dem sich die Gründer nicht nur untereinander austauschen, sondern sich auch mit internationalen Unternehmen und Investoren vernetzen können. Das lichtdurchflutete Raumvolumen der früheren Güterbahnhofshalle schien als „Treibhaus“ dafür bestens geeignet.
sind. Freyssinet entwarf und errichtete das Gebäude von 1927 bis 29 als Frachthalle und Warenumschlagplatz für die nahegelegene Gare d’Austerlitz. Schlanke Pfeiler tragen die als Tonnengewölbe konzipierten Betonschalen, die im Mittel bereich großflächig verglast sind und eine Fülle von Tageslicht ins Innere holen. Die extreme Schlankheit der Gesamtstruktur wird durch die abgehängten Vordächer an den Längsseiten des Gebäudes ermöglicht, die als Gegengewichte fungieren und ebenfalls als Tonnengewölbe ausgebildet sind. Die Finesse der Gewölbe verleihen dem Industriegebäude große Eleganz. Freyssinet hatte beim Betonieren damals Rütteltechnik eingesetzt und auch auf eine solide Bauausführung geachtet, so dass der Zustand der Konstruktion bemerkenswert gut war. Allerdings machten Bauschäden durch undichte Stellen im Dach eine Sanierung dringend erforderlich. Um die ursprünglichen Qualitäten des Gebäudes zu unterstreichen und um das Tragwerk zur Geltung zu bringen, entwickelten die Pariser Architekten Wilmotte & Associés eine zurückhaltende Formensprache und verwendeten eine sehr begrenzte Anzahl von
Meisterwerk der Ingenieurbaukunst Das Meisterwerk des Ingenieurs Eugène Freyssinet, dem Pionier des Spannbetons, diente bis 2006 als Lagerhalle, stand aber nach der letzten Nutzung als Event-Location leer und drohte zu verfallen. Mehrere Initiativen konnten den Abriss jedoch verhindern, und das Gebäude wurde 2012 unter Denkmalschutz gestellt. Die Konstruktion ist einzigartig: Die 310 Meter lange und 58 Meter breite, dreischiffige Halle wird von beeindruckend dünnen, vorgespannten Betonschalen überspannt, die am Rand bis auf fünf Zentimeter minimiert
WEITER
32 TITELTHEMA OFFENE BÜROKONZE PTE
Die Hauptrolle im Raumkonzept von Kinzo spielt das Buch. Und selbstverständlich Platz für die konzentrierte Tätigkeit der 135 Mitarbeiter.
Ideen
2
33
Bücher tragen das Haus Im maßgeschneiderten Neubau für den Suhrkamp-Verlag in Berlin herrschen trotz offener Türen und teilweise weitläufigen Räumen Stille und Konzentration. Eine innere Fassade aus Tausenden Buchrücken sorgt im Haus für eine ruhige Arbeitsatmosphäre. Kritik: Falk Jaeger
Architekten: Bundschuh Architekten
Scheunenviertel, das ist ein ziemlich angesagtes Quartier in Berlin. Der Name geht auf den Großen Kurfürsten zurück, der 1672 feuergefährliche Heu- und Strohdepots aus der Stadt verbannte und deren Bau vor der Mauer nördlich des heutigen Alexanderplatzes anordnete. Der Name Scheunenviertel des etwa acht Hektar großen Gevierts rings um den heutigen Rosa-Luxemburg-Platz wurde von den Nationalsozialisten auf ein achtmal größeres Quartier westlich ausgedehnt. Jüdische Wohngebiete sollten damit geschmäht werden, doch heute steht der Begriff für ein pulsierendes Szeneviertel in der Spandauer Vorstadt. Exakt in der Nordwestecke des ursprünglichen Scheunenviertels steht seit Kurzem der Neubau des Suhrkamp-Verlags, zwischen Torstraße und Linienstraße und im Rücken der Volksbühne. Die Gegend um den Rosa-Luxemburg-Platz gilt als kultureller und kreativer Hotspot, in dem sich
Innenarchitekten: Kinzo Architekten
die Suhrkamp-Verlagsgruppe, die ihren Sitz 2010 nach Berlin verlegt hatte, nach einem Interim in der Pappelallee gut positioniert sieht. Bauträger ist die Industriebaugesellschaft am Bülowplatz Ibau AG, die hier bereits seit einem Jahrhundert aktiv ist und als Sanierungsträger mit Hans Poelzig als Architekten das Quartier der Rosa-Luxemburg-Straße bebaut hatte. In einem der Häuser hat Poelzigs historisches Programmkino Babylon überdauert. Neue Grünfläche als Zugeständnis Auch auf dem Grundstück an der Torstraße hatte eine Blockrandbebauung von Poelzig gestanden, die dem Bombenkrieg zum Opfer fiel. Als nun Neubaupläne bekannt wurden, gab es Bürgerproteste, die sich für den dort entstandenen kleinen Park mit einem Dutzend Bäumen stark machten. Der Bauträger versuchte, die
Fotos: Sebastian Dörken, Schnepp Renou
Wogen zu glätten, indem er das Grundstück nach Süden öffnete und eine Grünfläche, ein Restaurant mit Südterrasse und einen Späti (typische Berliner Spätverkaufsstelle) an einem Durchgang zur Torstraße anbot. Der mit dem Projekt direkt beauf t ragte Berliner Architek t Roger Bundschuh hatte für die Ibau bereits das Haus gegenüber gebaut, einen skulptural gegliederten Putzbau von ungewöhnlicher, anthrazit-dunkler Farbe. Mit diesem nun bildet der dazu in heller Aluminiumfassade kont rastierende Neubau am nördlichen Ende der Rosa-LuxemburgStraße eine Torsituation (Seite 38). Bundschuhs Entwurf für das Grundstück, auf dem auch noch ein Wohnhaus mit Kunstgalerie Platz fand, geht von den städtebaulichen Bezügen aus. Die Baulinie an der Torstraße wird in die Flucht gerückt, nach Süden tritt der Bau ins Blickfeld der Rosa-Luxemburg-Straße, die Blickachse der Linienstraße findet im Wohnbau WEITER
44
TITELTHEMA OFFENE BÜROKONZE PTE
Wichtiger Treffpunkt und Kommunikationsraum nicht nur für taz-Redakteure: das Café im Erdgeschoss
Ideen
3
45
Am Puls der Zeit Im Gegensatz zum Suhrkamp-Verlag ticken im Berliner taz-Gebäude die Uhren völlig anders: Ein offener, flexibler Raumplan und eine sparsame Gestaltung schaffen Platz für eigene Ideen, freies Denken und intensive Kommunikation – und ein lässiges Arbeitsumfeld. Architekten: E2A
Kritik: Falk Jaeger
Fotos: Yasutaka Kojima
Der Kontrast war eindrucksvoll: damals das leere Haus, das wir nach Bauabschluss besucht hatten (siehe Baumeister 12/ 2018), und dann der Betrieb unter Volllast, nachdem die Redakteure das Haus in Beschlag genommen haben. Zurzeit geht es zwar coronabedingt wieder sehr ruhig zu, doch man glaubt, den Nachhall des Redaktionsbetriebs zu vernehmen, und hat das Gefühl, die Zeitungsmacher sind nur mal eben zur Mittagspause gegangen. Nur wenige Schritte weiter war die tazRedaktion im traditionellen Berliner Zeitungsviertel gezogen, vom Standort an der Rudi-Dutschke-Straße (früher Kochstraße) um die Ecke in den Neubau an der Friedrichstraße. Groß, hell, offen, so empfinden die Mitarbeiter das neue Ambiente im Unterschied zu den bisher beengten Verhältnissen – eine gänzlich neue Arbeitsumgebung, inspirierend, flexibel, beweglich. In der Tat sind sie jetzt mehr unterwegs, vom eigenen Schreibtisch zu den Treffpunkten im Haus, in die Einzelkabinen zum ungestörten Telefonieren, hinunter in die Cafeteria. Überhaupt hat sich das Mitarbeiterrestaurant im E rdgeschoss zum wichtigen Ort des Arbeitslebens entwickelt: Es ist nicht verpachtet, wird von der taz selbst geführt und ist eigentlich weder Kantine noch Cafeteria mit Tresenausgabe, sondern dort wird bedient – ein Zeichen der Wertschätzung gegenüber den Mitarbeitern. Und es wird auch von Büropersonal aus de r Umgebung f requent ie r t; nu r am Abend fehlt das Laufpublikum. Abgesehen vom rauen Industriecharme wie das gesamte Haus wird es dominiert vom me rk wü rdigen, übe rdimensionalen Schriftzug „Le Monde diplomatique“ an der Decke. Der warb zuvor oben an der Attika des Hauses an der Rudi-DutschkeStraße Ecke Charlottenstraße für eine mo-
natliche internationale Ausgabe von Le Monde, die der taz als Supplement beiliegt und deren Redaktion mit in die Friedrichstraße gezogen ist. Gut besucht wird auch der taz-Shop im Erdgeschoss, in dem sich Besucher, viele davon Genossen (tazTeilhaber) auf „Inspektionsbesuch“, mit Büchern, Fanartikeln und allerlei Überflüssigem eindecken.
Telefonate führen zu können. Die kleinen und die etwas größeren Sonderräume sind nicht als Büroräume gedacht und werden nicht disponiert, das heißt, sie können nicht gebucht werden.
Aneignung erlaubt Angesichts der neuen offenen Redaktionsräume gab es in der Belegschaft anfangs Vorbehalte. Betondecken, Betonwände und Betonestrichböden waren manch einem zu viel graues Ambiente. Auch die schrägen V-Stützen schienen gewöhnungsbedürftig. Die Mitarbeiter haben sich jedoch recht schnell eingelebt, ihr Arbeitsumfeld mit persönlichen Dingen eingerichtet, Plakate aufgehängt und selbst die schrägen Stützen verschiedentlich vereinnahmt. Wenig überraschend kamen auch Pflanzen ins Haus und vermehren sich nun auf anthropogene Weise. Sehr gern benutzt wird der doppelgeschossige gläserne Konferenzraum im ersten Obergeschoss, der mit feuerrotem Teppichboden als Kommunikationsort ausgewiesen ist. Vor allem in Corona-Zeiten dient er vielen Meetings, weil man sich weit auseinandersetzen kann. In allen Großräumen gibt es zehn Quadratmeter große Rückzugsräume sowie etwas größere Besprechungsräume („der Besprechungsbedarf ist unendlich“, konstatiert der Geschäftsführer), die nach dem Willen der Architekten jeweils dem Konstruktionsraster entsprechend eingeplant wurden, und zwar jeweils an Achsen, an denen Lüftungsflügel vorhanden sind. Diese Räume in Leichtbauweise sind notwendig, um vertrauliche Gespräche oder
Lieber nicht allzu offen Nicht bewährt hat sich das gänzlich offene dritte Obergeschoss ohne die Abtrennung eines Gangs zum Treppenhaus, wo die Chefredaktion sich ein offenes Zentrum des pulsierenden Redaktionslebens vorgestellt hatte. Dort wurde, wie schon in den anderen Geschossen, eine gläserne Trennwand eingebaut. Das laut pulsierende Leben hat sich nicht als Arbeitsatmosphäre geeignet. Je nach Wetter können sich die Mitarbeiter mit ihrem Laptop auch auf die Dachterrassen zurückziehen oder dort Besprechungen abhalten. Die Dachzonen sind entsprechend architektonisch wohlgestaltet, das übliche Gedärm der Lüftungsund Wärmetauscheranlagen verschwand hinter Blenden und Lamellenwänden. Zeitung machen und Bücher machen ist beides Medienarbeit, doch die neuen Häuser der taz und des Suhrkamp-Verlags (siehe Seite 32) zeigen den Unterschied: Hier sprichwörtlich „am Puls der Zeit“ Kommunikation pur, die in gefüllte Zeitungsspalten und Online-Inhalte mündet, die der aktuellen, kurzlebigen Information dienen. Dort Konzentration pur, stilles Bearbeiten und Verfertigen von Texten, die die Seiten zwischen zwei Buchdeckeln füllen und zum kontemplativen Rezipieren gedacht sind. Grundriss auf Seite 49
50 TITELTHEMA OFFENE BÜROKONZE PTE
Das taghelle Atrium ist Mittelpunkt, Verteiler, Tageslichtquelle, Kommunikationsfläche – überdeckt von einem imposanten Holzdach.
Ideen
4
51
Arbeiten im Allraum Mit dem Alnatura-Hauptsitz wagen sich die Bioladenkette und seine Architekten gleich an mehrere Experimente. So gelingt ein nachhaltig konzipierter Bau mit einem kommunikativen Einraum im Inneren. Kritik: Heinrich Hochthaler Mit einer „der höchsten Ehrungen“, die die Kommune zu vergeben hat, mit der silbernen Verdienstplakette, zeichnete Darmstadt Anfang März dieses Jahres Götz Rehn aus. Der Gründer und Geschäftsführer der Bioladenkette „Alnatura“ nehme, würdigte der bündnisgrüne Oberbürgermeister Jochen Partsch, „eine besondere gesellschaftliche Verantwortung wahr“ und gehe „über den Zweck der reinen Gewinnerzielung weit hinaus“. Besonders lobte das Stadtoberhaupt den AlnaturaCampus am südwestlichsten Zipfel der selbsternannten Wissenschaftsstadt. Damit habe der bekennende Anthroposoph „das wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben“ der Stadt „um einen bedeutenden Standort erweitert“. Etwas taktlos könnte man sagen, dass der nicht unumstrittene Rehn mit seinem Campus der Kommune aus der Patsche geholfen hat. Denn die Konversion mehrerer ehemals militärisch genutzter Areale von insgesamt 314 Hektar, die nach dem Abzug der US-Armee 2008 frei wurden, verläuft aus diversesten Gründen ausgesprochen zäh und holprig. Selbst die 122 Hektar, die städtebaulich integriert und relativ citynah sind. Da ist man dann schon froh, wenn zumindest ein kleines Stück der immer noch wüsten und verwaisten Flächen urbar gemacht wird. Auch wenn man dazu einen gesonderten, von der Rahmenplanung getrennten und vorgezogenen Bebauungsplan verabschieden musste.
Architekten: HaasCookZemmrich Studio2050 Extrovertiertes Konzept Um im militärischen Duktus zu bleiben: Rehn hat mit seinem nach den Plänen des Stuttgarter Büros HaasCookZemmrich Studio2050 realisierten Bauwerk tatsächlich ei ne Pion ie r funk t ion i nne. Au f dem 47,7 Hektar großen Areal der ehemaligen Kelley-Barracks war es bis Herbst 2019 um den Alnatura-Campus ziemlich einsam – außer ein paar noch von den Nazis fertiggestellten, äußerlich intakt scheinenden Mannschaftsgebäuden, die sich gänsemarschgleich entlang der Eschollbrücker Straße aufreihen. Dass das grünschwarz regierte Darmstadt das Konversionsgelände zu einem „nachhal t igen Qua r t ie r mi t gewe rbl ichem Schwerpunkt“ verwandeln will, wirkt wie ein Leitmotiv für den Biohändler, dessen Firmenlosung „Sinnvoll für Mensch und Erde“ lautet. Wobei Rehn eben nicht nur ein Verwaltungsgebäude, sondern auch einen Kindergarten für Sprösslinge von Mitarbeitern und Bürgern benachbarter Stadtteile, ein weitläufiges Freigelände mit Teich, modellierter Landschaft und einer kleinen Arena bauen ließ. Sogar Erlebnis- und Partnergärten gibt es, die interessierte Bürger und Schulen der Umgebung mieten können, um ökologischen Landbau zu betreiben. Bis auf den Kindergarten freilich alles hinterm Firmenzaun, wobei die Gärten dieses Jahr schon ausgebucht sind. Die alte, DDR-friedensbe-
Fotos: Roland Halbe wegte Parole von den Schwertern, die zu Pflugscha ren werden sollen, kl ingel t mächtig im Ohr. Baustoff Lehm Pionierfunktion, zum Zweiten: Der Bau ist das größte Bürogebäude mit einer Lehmfassade europaweit. Martin Rauch, der Vorarlberger Lehmexperte, den man zu Hilfe bat, hat seit seinem 2012 für Herzog & de Meuron realisierten Ricola-Haus auch hierzulande einen ausgezeichneten Ruf. Doch bisher konnte er seine monolithischen Stampflehm-Strukturen in Deutschland nur im sakralen oder musealen Kontext realisieren. Mit Anna Heringer zum Beispiel hat er 2018 im Wormser Dom zu dessen tausendjährigem Bestehen den neuen Hauptaltar fertiggestellt. 2019 hat Rauch mit HG Merz im Frankfurter Museum Goldkammer archaisch-erdige Raumkammern geschaffen – Kontexte, in denen die Ästhetik des Materials eine symbolische, eine überhöhende Funktion innehat. Auch in Darmstadt hat der Lehm natürlich eine Botschaft – allerdings eine nachrangige. Martin Haas, der verantwortliche Architekt, betont, dass Lehm als ganz normaler Baustoff verwendet wurde, der in Konkurrenz zu anderen Materialien sich ökonomischen wie ökologischen, letztlich den im Baualltag üblichen Kriterien stellen musste. Und natürlich ging es auch um Komfortbedürfnisse. WEITER
58
Fragen
1
TITELTHEMA OFFENE BÜROKONZE PTE
Müssen Apple
+
umdenken
?
Der Medientheoretiker Scott Rodgers erforscht die Beziehung zwischen Medienunternehmen und Stadtentwicklung. In diesem Interview berichtet er, was Medienhäuser ausmacht, wie sich die Entwicklung neuer Plattformunternehmen architektonisch ausdrückt – und warum manche digitale Giganten in Sachen Stadtplanung umdenken sollten.
59 Interview: Alexander Gutzmer
Scott, als Medientheoretiker beschäftigst Du Dich mit Medienhäusern. Warum ist das ein interessantes Thema für einen Kulturforscher? S C O T T R O D G E R S : Der Blick auf Medienhäuser eröffnet eine bestimmte Sichtweise auf Medien und auf das Umfeld der Medienproduktion. Dazu gehört eben auch ihre materielle Umgebung, die symbolisch für die Rolle von Medienorganisationen in der Gesellschaft stehen. BAUMEISTER:
Wie Rem Koolhaas‘ CCTV Center in Peking? S R : Genau. Koolhaas‘ Arbeit mit Mediengebäuden wie dem CCTV Center oder dem Berliner Axel-Springer-Campus, der gerade im Bau ist, loten die Beziehung zwischen der internen Organisation von Medienfirmen und ihrer externen Präsentation sowie ihre Interaktion mit der städtischen Öffentlichkeit aus. Für urbane Geografen wie mich bieten sie eine interessante Möglichkeit, die weitreichenden Beziehungen zwischen Medien, Ort und urbanem Leben zu studieren.
gewöhnliche Büroräume aussehen. Es scheint eine Normalisierung des Mediensektors stattzufinden, so dass Medienfirmen „nur noch“ ganz gewöhnliche Unternehmen sind. S R : Stimmt. Scheinbar gehen manche organisatorischen und technologischen Eigenschaften, die früher den Charakter der Medienhäuser gekennzeichnet haben, in einigen Bereichen verloren. Der Wechsel von Druck zu Digital hatte für Zeitungsredaktionen erhebliche Auswirkungen.
B:
Scott Rodgers
Was ist an ihnen besonders im Vergleich zu anderen Bürogebäuden? S R : Ich denke, Medienhäuser können für mindestens zwei unterschiedliche Dinge stehen: Erstens vermitteln sie die speziellen organisatorischen Merkmale bestimmter medienbezogener Berufsfelder wie Journalismus, Fernsehproduktion oder Softwaredesign. Und zweitens bringen sie die technologischen Anforderungen von Medienformen oder Infrastrukturen zum Ausdruck. Zum Beispiel befanden sich in Zeitungsgebäuden traditionell oft Produktionsmaschinen wie Druckerpressen. Heute sitzen Rundfunkveranstalter üblicherweise am selben Ort wie Studios, Aufnahme- und Schnittplätze. B:
lehrt Medientheorie am Lehrstuhl „Film, Media and Cultural Studies“ an der Universität London.
Aber natürlich gibt es auch Medienhäuser, die keine charakteristische Architektur besitzen, sondern wie ganz B:
Wie? Etwa bei Newsrooms. Newsrooms wurden üblicherweise für die tägliche Produktion eines Druckerzeugnisses entworfen. Nun werden sie zunehmend verwendet, um Nachrichten digital zu verbreiten, wo man viel stärker auf dritte Plattformen wie soziale Medien angewiesen ist. B:
SR:
Vor knapp 15 Jahren hast Du angefangen, die kanadische Tageszeitung „Toronto Star“ zu studieren. Was interessiert Dich speziell an der dazugehörigen Architektur? S R : Der Firmensitz der Toronto Star, einer der wichtigsten Zeitungen Kanadas, wurde 1971 eröffnet; es ist ein 25stöckiges, klotziges Gebäude, das allgemein als mittelmäßiges, vielen sogar als hässliches Beispiel für die Spätmoderne gilt. Es wurde von Webb Zerafa Menkes Housden Partnership entworfen (heute bekannt als WZMH Architects). Und obwohl meine Forschung an der Zeitung anfangs ethnografischer Natur war, entwickelte ich ein Interesse an der Geschichte des Gebäudes. Ich wollte wissen, wie Leute beim Toronto Star arbeiteten. Als eines der ersten Gebäude in einer leeren, postindustriellen Landschaft war die Ästhetik weniger bedeutend als die reine Funktion des Gebäudes innerhalb eines „organisatorischen Komplexes“, wie der Architekturhistoriker Reinhold Martin die amerikanische Corporate Architecture in der Nachkriegszeit B:
beschreibt. Martin betrachtete Nachkriegsbüros, Computerzentren, Produktionsanlagen und Ausbildungseinrichtungen als „Kanäle“ für die Praktiken und Kommunikationsabläufe, die ein „Gesamtsystem“ ergeben. Und das Toronto Star Building ist ein gutes Beispiel für Martins Theorie? S R : Ja, denn es wurde gebaut, um neue logistische Möglichkeiten durch modernes Bürodesign, computerisiertes Informationsmanagement und fortschrittliche Druckerpressen für die Zeitung zu erschaffen. Auch beim „Vaughan Press Centre“ der Zeitung, das 1992 mit großem Aufsehen eröffnet wurde, waren logistische Ambitionen die treibende Kraft. Obwohl diese Einrichtung einen Satelliten-Newsroom hatte, der die immer verstreuteren Vororte von Greater Toronto abdeckte, wurde sie ursprünglich als fortschrittliche Druckeinrichtung mit Automatisierung und Robotern angelegt und strategisch an der Gabelung von zwei Schnellstraßen platziert, die in die Stadtregion abzweigten. B:
Raus aus dem Zentrum – die Geschichte vieler Tageszeitungen seit den 1990erJahren... S R : Mich interessiert, was diese Logistik-Geschichten über die banaleren Medienhäuser der Spätmoderne aussagen, besonders jene, die von Zeitungen im 20. Jahrhundert errichtet wurden. Aber genauso interessiert mich, was aus ihnen geworden ist: Im Jahr 2000 wurde etwa das Toronto Star Building und das umliegende Land in der 1 Yonge Street von der Muttergesellschaft Torstar für 40 Millionen CAD verkauft, dann wurde es 2012 für 250 Millionen CAD an ein Bauunternehmen für den Bau von Eigentumswohnungen weiterverkauft. Das Gebäude wird zwar noch von der Zeitung gepachtet, und auf der Fassade steht immer noch „Toronto Star“, doch es wird bald B:
WEITER