BAU ME ISTER
B8
117. J A H R G A N G
August
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Das ArchitekturMagazin
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A D J AY E A S S O C I A T E S
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WINFRIED BRENNE
+ HARRY GUGGER STUDIO
+ FLORIAN NAGLER ARCHITE K TE N
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SILKE LANGENBERG
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Reparaturkultur – Vom Wert der Dinge
NKBAK
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B8
Köpfe
Ideen
Vom Mehrwert der Reparatur: interpretieren, stabilisieren, wiederherstellen, neu ergänzen – wiedergutmachen
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Silke Langenberg lehrt den Wert der Dinge.
Londoner Wohnhaus mit seltsamer Geschichte
10 Silke Langenberg
20 Silo in Basel
initiiert Reparaturkurse für Alltagsgegenstände an der Hochschule München.
Harry Gugger Studio verwandeln ein ehemaliges Lagerhaus in den Mittelpunkt eines Entwicklungsareals.
14 Winfried Brenne Der Berliner Architekt hat sich seine ganze Laufbahn lang für den Erhalt von Bauten der frühen Moderne engagiert.
BAU MEISTER. DE
34 St. Martha in Nürnberg Florian Nagler Architekten entwerfen ein neues Raumerlebnis für die vom Brand zerstörte Kirche.
44 Haus am Peterskirchhof in Frankfurt am Main NKBAK dokumentieren die Bauhistorie mit Hilfe von Mauerschichten.
Die Berliner Landschaftsarchitekten Topotek 1 haben gemeinsam mit Barbara Steiner, der Direktorin des Kunsthauses Graz, die Juliausgabe der Zeitschrift Garten + Landschaft aus unserem Haus kuratiert. Näheres unter: www.baumeister.de/topotek_1 Zu bestellen unter: shop.georgmedia.de/garten-landschaft
56 Maulwurfhaus in London Adjaye Associates schaffen mit ihrer engagierten Bauherrin ein bewohnbares Kunstwerk.
FOTOS VON LINKS: BE RNHARD HUBE R; E D RE EVE; F ILIPPO POLI; FOSCARINI
Die unterstrichenen Beiträge rechts befassen sich mit dem Titelthema.
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Fragen
Lösungen
Gast-Arbeiter
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Finstere Erinnerungen: Gefängnis in Barcelona
Vielseitiger Gebrauch: tragbare Wandleuchte
66 Abreißen oder neu gestalten – wie umgehen mit einem schwierigen Erbe?
80 Licht
Der vielfach ausgezeichnete Fotograf Filippo Poli hat sich schon früh auf Architekturfotografie spezialisiert. Ein beson deres Anliegen von ihm war die um fassende Dokumentation des denkmalgeschützten Gefängnisses „La Modelo“ in Barcelona, das 2017 geschlossen wurde.
90 Referenz Schwarzensteinhütte in Südtirol mit Leuchten von BEGA
92 Bad
RUBRIKEN 6 EIN BILD 32 KLEINE WERKE 54
Uta Baier hat Germanistik und Kunstgeschichte an der Martin-Luther-Universität in Halle-Wittenberg studiert und arbeitet seit 2010 als freie Journalistin für zahlreiche Zeitungen und Zeitschriften. Für uns hat sie Winfried Brenne in seinem Büro besucht.
SONDERFÜHRUNG 74 N E W M O N DAY: E I N B L I C K I N . . . 76 NX T A: E IN PRE IS FÜR NACHHALTIGKE IT 90 REFERENZ 97 IMPRE SSUM + VORSCHAU 98 KOLUMNE
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Vom Wert der Dinge Defekte Alltagsobjekte, Fundstücke vom Flohmarkt – in Silke Langenbergs Reparaturkurs setzen Architekturstudierende der Hochschule München Dinge des täglichen Gebrauchs auf kreative Weise selbst wieder instand. Der Gedanke der qualitätvollen Reparatur, des Erhaltens und der Weiternutzung lässt sich dann leicht auf das Bauwesen und insbesondere das Lehrgebiet der Professorin übertragen: die Denkmalpflege und das Bauen im Bestand.
TITELTHEMA R E PA R AT U R K U LT U R
Claudia Fuchs ( Text )
Köpfe „Reparatur. Anstiftung zum Denken und Machen“ – der Titel ist Programm: in Silke Langenbergs Reparaturkursen an der Hochschule München ebenso wie in der gleichnamigen Publikation. In dem kleinen Band werden vielfältige Studentenarbeiten gezeigt, die von handwerklich originalgetreu instandgesetzten Stühlen über optisch aufgefrischte Möbel bis hin zu Ersatzteilen aus dem 3D-Drucker oder neu interpretierten Ergänzungen reichen. Inspirierende Beispiele, die die Wertschätzung des Alten mit zeitgemäßen Techniken kombinieren und zugleich die wesentlichen Konzepte im Umgang mit dem reparaturbedürftigen Vorhandenen zeigen. Diese lassen sich unmittelbar auf das Bauen im Bestand und die Denkmalpflege transferieren – dem eigentlichen Lehr- und Forschungsgebiet der Professorin. Entstanden ist die Idee der Reparaturkurse aus Silke Langenbergs eigenem Hintergrund der langjährigen Forschungstätigkeit an der ETH Zürich, zunächst am Institut für Denkmalpflege und Bauforschung, danach am Institut für Technologie in der Architektur im Bereich digitale Fabrikation. Der Kurs an der Hochschule München verbindet ihre beiden unterschiedlichen Forschungsschwerpunkte: „Ich kann den Studierenden sehr anschaulich theoretische Herangehensweisen und Konzepte der Denkmalpflege vermitteln, gleichzeitig lernen sie digitale Fabrikationstechniken, damit zusammenhängende konstruktive Probleme, aber auch Potenziale kennen“, erläutert Silke Langenberg den Hintergrund ihres Kurses.
FOTO LINKS: BE RNHARD HUBE R; OBE N: DAVID PAL ANCAR, ANA TEJÓN; RECHTS; DAVID CURDIJA
Reparieren als Wertschöpfung Das Thema Reparaturfähigkeit ist zunächst Gegenstand ihrer Vorlesung im vierten Semester. Im darauffolgenden Jahr wird der Kurs als Wahlfach angeboten und stößt seit 2014 auf große Resonanz. Die Studierenden arbeiten an mitgebrachten Objekten ihrer Wahl – die einzigen Bedingungen: Die Reparatur muss größenmäßig und technisch zu bewältigen, aber gleichzeitig nicht zu einfach oder banal sein, man muss sie selbst und eigenständig umsetzen können. Der Kurs besteht aus zwei Teilen: Im ersten werden handwerklich gefertigte Alltagsdinge wie Möbel, Taschen, Bücher – oftmals auch vom Flohmarkt – handwerklich und meist der traditionellen Technik entsprechend repariert. Im zweiten Teil geht es vornehmlich um Ersatzteile bei industriell hergestellten Objekten, die nicht mehr verfügbar oder einfach auszutauschen sind – wie das Rad eines günstigen Rollkoffers. Hier erhalten die Studierenden eine Einführung ins 3DDrucken, Fräsen und Modellieren und können dann die fehlenden Teile selbst herstellen – wie etwa den 3D-gedruckten
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Lampenschirm aus Polylactiden, der den gebrochenen Glasschirm einer Bankerlampe ersetzt (Seite 12). Eine der Kernideen des Kurses ist, dass sie Material und Machart der Alltagsobjekte kennenlernen und Konzepte zur Reparatur entwickeln. Und dabei zugleich die Gestaltung ebenso diskutieren wie die Nachhaltigkeit und Ressourcenschonung: „Die Studierenden entwickeln zunächst unterschiedliche Konzepte für die Reparatur und müssen dabei überlegen: Möchte ich die Reparatur zeigen oder verbergen, möglichst viel Originalsubstanz erhalten, soll das Objekt später neuwertig oder sogar ganz anders aussehen? Das sind grundsätzliche konzeptionelle Entscheidungen, die natürlich unterschiedlichen denkmaltheoretischen Ansätzen folgen und auch auf das Bauen im Bestand übertragbar sind.“ So werden hochwertige, historische Möbel häufig originalgetreu wiederhergestellt, während bei jüngeren, industriell hergestellten Objekten das neue Ersatzteil eine spannungsvolle Verbindung von Alt und Neu schafft. „Ich finde die Projekte am interessantesten, die mit Respekt vor dem Original spielerisch eine Neuinterpretation wagen“, erläutert Silke Langenberg anhand von zwei Holzstühlen mit Wiener Geflecht. Eine Studentin hat das ursprüngliche Muster minutiös 1:1 am Rechner nachgezeichnet und mithilfe des Lasers in eine massive Holzplatte graviert; die Platte ist weniger reparaturanfällig als das ursprüngliche Material, zeigt aber das charakteristische Muster. Einen ähnlichen Stuhl ergänzte ein anderer Student mit einer gepolsterten Sitzfläche: Er bedruckte den Stoff digital mit dem Flechtmuster und stellte den Stuhl in klassischer Polstertechnik im Münchner Haus der Eigenarbeit selbst wieder her. „Der Erhalt von Originalsubstanz hat aus denkmalpflegerischer Sicht natürlich Priorität. Ebenso wichtig sind Kenntnisse historischer Handwerkstechniken“, erklärt Silke Langenberg. „Ein aufgedoppeltes und mit Schaumstoffpolster beklebtes Brett wäre sicher keine angemessene Reparatur.“ Ein weiteres Beispiel ist auch das Callwey-Buch „Grundlagen für das Bauen in Stadt und Land“ von 1928, dessen Umschlag fehlte und dessen Bindung lose war. Zwei Gaststudierende haben im Rahmen des Reparaturkurses die Seiten in der Buchbinderwerkstatt im Haus der Eigenarbeit wieder neu gebunden, einen neuen Umschlag aus leinenbezogener Pappe gefertigt sowie den fehlenden ursprünglichen Schutzumschlag aus Papier recherchiert und ausgedruckt. Industriell hergestellte Objekte sind häufig schwieriger zu reparieren. Und je komplexer eine Fügung ist, desto aufwendiger ist auch die Reparatur. Konkret zeigt sich WEITER
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Klassisches Handwerk: Das CallweyBuch „Grundlagen für das Bauen in Stadt und Land“ aus dem Jahr 1928 hatte das Cover verloren, die Bindung war lose. Zwei Studierende vernähten die Seiten sorgfältig und fertigten einen neuen Einband.
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„Gebäuden eine Nutzungs- und Zukunftsfähigkeit geben“ Ein Spaziergang durch die Büroetage des Berliner Architekten Winfried Brenne führt an leeren Schreibtischen und vollen Regalen mit Büchern, Projektordnern und Plänen vorbei. Natürlich weiß Brenne alles über die Geschichte der ehemaligen optischen Fabrik, in der sein Büro in Berlin-Friedenau seine Räume hat. Kein Telefonklingeln stört das Interview. Es ist Corona-Zeit, HomeofficeZeit – Zeit für lange, ungestörte Gespräche über Studentenproteste, Kratzputz, Farbe bei Bruno Taut und alte Gebäude als wertvolle Ressourcen
TITELTHEMA R E PA R AT U R K U LT U R
FOTO: BRE NNE ARCHITE K TE N
Uta Baier ( Interview )
Köpfe Herr Brenne, wollten Sie schon immer Architekt werden? W I N F R I E D B R E N N E : Die Stationen meines Lebenslaufs reihen sich perlenartig aneinander. Ich habe erst die Volksschule besucht, dann eine Lehre zum technischen Zeichner gemacht. Nach Stationen in einer Lampenfirma und in der Maschinenproduktion habe ich zehn Jahre als Konstrukteur im Maschinenbau gearbeitet. Wir bauten Walzwerke – bei Hoesch in Dortmund. Nebenbei besuchte ich die Abendschule für die Fachhochschulreife und begann anschließend ein Studium der „Physikalischen Technik“ in Iserlohn. Das war interessant, doch jede Baugrube hat mich mehr fasziniert. Also habe ich mich in Wuppertal für ein Architekturstudium an der Ingenieurschule beworben und bin angenommen worden. Das war 1968. BAUMEISTER:
1968 – die Zeit der Studentendemonstrationen. Auch in Wuppertal? W B : Zu dieser Zeit wurde auch in Wuppertal viel über Hochschulpolitik diskutiert, denn die Ausbildung an den Ingenieurschulen sollte von europäischer Seite nicht anerkannt werden. Da haben wir Studenten uns politisch engagiert. B:
Sie waren demonstrieren? Ich war zusammen mit einem Freund im AStA-Vorstand, und wir haben gemeinsam mit allen anderen Ingenieurschulen beschlossen, ein Semester lang zu streiken. Wir erreichten letztendlich, dass ein neues Hochschulgesetz beschlossen wurde. B:
WB:
Sie haben dann noch in Berlin studiert ... Nachdem ich mein Studium in Wuppertal beendet hatte, bin ich nach Berlin gegangen und habe dort bis 1975 weiterstudiert. Das Studium war sehr politisch geprägt, man hat vor allem Karl Marx gelesen und demonstriert. Aber ich hatte eine Grundlage. B:
WB:
Was war Ihre erste Stelle? Ich habe im Büro von AGP gearbeitet. Nebenbei entwickelte sich mein Interesse für die Siedlung Onkel Toms Hütte von Bruno Taut. Denn Helge Pitz, in dessen Büro ich als Student gearbeitet hatte und mit dem ich befreundet war, wohnte in der Siedlung Onkel Toms Hütte von Bruno Taut. Eines Abends saßen wir in seinem Garten und erkannten, dass die Taut-Häuser durch Umbauten und Veränderungen ihr Gesicht verloren haben. Da beschlossen wir, uns mit der Siedlung zu beschäftigen und eine erste Bestandsaufnahme zu machen.
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Moderne waren in Berlin zu dieser Zeit im Bewusstsein, obwohl Berlin eigentlich vom Mythos der Moderne lebte. Wir haben viel recherchiert, um Bruno Tauts Ideen zu verstehen.
Einfach so? Das Interesse für die Bauten der 20erJahre hatte man in Berlin immer mitbekommen; man spürte, dass sie irgendwie interessant sind. Doch weder Taut noch die B:
WB:
Was haben Sie gemacht? Wir haben uns am Wettbewerb für die Sanierung des Berliner Zeughauses beteiligt. Und ihn gewonnen. B:
WB:
B:
Was brachte die Bestandsaufnahme? W B : Wir stellten fest, dass die Häuser ihr Gesicht verloren haben, weil sie mit Dispersionsfarbe gestrichen worden waren. Die schädigte den alten Putz. Also wurde er durch Kratzputz ersetzt. Die Siedlung wirkte wie hinter Kratzputz verschwunden. Unsere erste Bestandsaufnahme betraf nur die privaten Häuser. Die Siedlung Onkel Toms Hütte gehörte der GEHAG, der Gemeinnützigen Heimstätten-, Spar- und Bau-Aktiengesellschaft, heute Deutsche Wohnen. Wir haben sie angeschrieben und konnten sie überzeugen, dass es mit einer Sanierung möglich ist, die Gebäude langfristig zu schützen und ihnen ihre Gestaltsprache wiederzugeben. Auch die GSW, die Gemeinnützige Siedlungs- und Wohnungsbaugesellschaft Berlin, erkannte das Potenzial ihrer Gebäude aus den 20er-Jahren und beauftragte uns, Gutachten zum Farbbestand zu machen. Denn die Substanz der Gebäude wurde zu dieser Zeit überall ein Problem, und die Schäden wurden immer größer. Das betraf ebenso die Fassaden der Hufeisensiedlung in Britz, der Weißen Stadt in Reinickendorf, der Wohnstadt Carl Legien in Prenzlauer Berg. B:
Aus Privatinteresse wurden Aufträge? Anfangs war das vor allem eine gutachterliche Tätigkeit. Sukzessive kam die bauliche Betreuung der Sanierungen hinzu. Aus diesem Interesse und mit diesen Aufträgen entstand 1977 die Pitz-BrenneArchitekturwerkstatt. B:
WB:
Die bestand bis 1990. Warum gingen Sie auseinander? W B : 1990 sagte mein Partner, wir trennen uns. B:
B:
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War das für Sie ein logischer Schritt? Ich muss zugeben, mich hat das schon sehr überrascht. Ich musste mir überlegen, wie ich nun einen Weg finde. Aber dann hatte ich das Glück, dass die GSW das Thema Siedlungsbau der 20er-Jahre weiterentwickeln wollte. Daraus entstand eine langjährige Zusammenarbeit. Gemeinsam mit meinem späteren Partner Franz Jaschke und unserem Büro haben wir bis 1997 viele Siedlungen in Berlin, vor allem im Osten, saniert und auch neu gebaut. In dieser Zeit wuchs das Büro von zehn auf 30 Mitarbeiter. Doch 1996/97 brach der Wohnungsneubau plötzlich ein. Da mussten wir wieder überlegen, wie es weitergehen kann. Das Büro war gewachsen, wir hatten Verantwortung für viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. B:
WB:
Mit welchem Konzept?
W B ( R O L LT E I N E B A H N T R A N S PA R E N T PA PIER VOM ZE UGHAUS-PL AN AUS, DER AN DE R WAND HÄNGT – L ACHE ND):
Ich bin der Einzige, der hier im Büro noch mit Transparentpapier arbeitet ... Die Überlegung beim Zeughaus war, die Klimatisierung des Hauses neu zu organisieren, ohne die innere Sprache der Architektur zerstören zu müssen. Das Zeughaus hat große Wandstärken, deshalb hatte ich die Idee, die Klimaanlage dezentral in die Fensternischen zu bauen. Dass das technisch möglich ist, hatten wir uns von Transsolar, dem innovativen Büro für Klima-Engineering aus Stuttgart, bestätigen lassen. Ich wusste, dass sie sich mit neuen energetischen Konzepten für Städtebau und Wohnungsbau beschäftigen. Unsere Lösung brachte einen enormen Flächengewinn, denn eine traditionelle Klimaanlage hätte den gesamten Dachraum eingenommen. Jetzt konnte das Deutsche Historische Museum das Dach nutzen, um seine Bibliothek dort unterzubringen, die sonst ausgelagert worden wäre. Sie haben dann noch mehrere Museen umgebaut. Aktuell saniert Ihr Büro das Schloss in Weimar. Aber die 20er-Jahre und Bruno Taut haben Sie nie wirklich losgelassen. Was macht Taut so faszinierend für Sie? W B : Einerseits fasziniert mich bei Bruno Taut natürlich die äußerst überlegte Verwendung der Farbe. Andererseits sieht man bei Taut, wie man mit wenigen Mitteln Architektur machen kann. Farbe ist eines der Mittel, Proportion ein anderes. Und dann lernte ich bei einer Konferenz zu den Berliner Bauten der 20er-Jahre Heinrich Taut, den Sohn des Architekten, kennen. Schnell verband uns eine enge Freundschaft. Ich habe Heinrich Taut häufig in der DDR besucht. Als er am 14. September 1995 starb, betrat ich gerade sein Krankenzimmer. Es war mein Geburtstag. Ich konnte mich dann dafür einsetzen, dass die GEHAG den Nachlass von Bruno Taut aus dem Besitz seines Sohnes kauft und ihn an die Akademie der Künste gibt. Bruno Taut war ja bis zu seinem Ausschluss durch die Nationalsozialisten Akademie-Mitglied. B:
Bruno Taut, die Bauhausbauten, die Architektur der Moderne – Sie haben geforscht, saniert, neu gebaut. Es gab auf der Grundlage Ihrer Arbeiten Ausstellungen zum Bauen der Moderne, und auch an der erfolgreichen Aufnahme des „Berliner Siedlungsbaus der Moderne“ und der Aufnahme der Bundesschule Bernau in die Welterbeliste waren Sie maßgeblich beB:
WEITER
FOTO LINKS: CHRISTIAN K AHL; RECHTS: BGL-PROSPE K T HISTORISCH
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Ideen
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Kreativsilo Die Eigentümer hätten das einstige Lagerhaus in Basel auch abreißen können, denn das Innere schien schwer brauchbar mit seinen zahlreichen alten Schütttrichtern. Dennoch entschieden sie sich für eine Umnutzung des originellen Bauwerks aus dem Jahr 1912 und schufen einen markanten Begegnungs- und Arbeitsort für ein ganzes Entwicklungsareal.
Harry Gugger Studio ( Architekten )
TITELTHEMA R E PA R AT U R K U LT U R
Auf dem ehemaligen Güterbahnhofsgelände blieb dieses
Hubertus Adam ( Kritik )
Lagerhaus für Getreide und Kakaobohnen als einziges Bauwerk stehen. Links: Im Erdgeschoss ist heute auf seiner Südwestseite das Restaurant mit Bezug zum Hof untergebracht.
Lukas Schwabenbauer, Christian Kahl ( Fotos )
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Ideen
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An einer der Hauptachsen der Nürnberger Altstadt, der Königstraße, liegt die gotische Kirche St. Martha versteckt in zweiter Reihe.
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Flechtwerk Als einzige Kirche in der Nürnberger Innenstadt überstand St. Martha den Zweiten Weltkrieg fast unbeschadet, doch erlitt sie ausgerechnet bei ihrer Sanierung den schwersten Schaden ihrer Geschichte: 2014 zerstörte ein Brand Dachstuhl, Orgel und Empore. Den Wiederaufbau entwickelten Florian Nagler Architekten nach der Prämisse, den Bestand zu erhalten, wo es möglich ist, und zu verbessern, wo es notwendig war. Das Ergebnis ist eine beeindruckende Synthese aus Alt und Neu mit erhabener Ästhetik und hervorragendem Raumklang. TITELTHEMA R E PA R AT U R K U LT U R
Florian Nagler Architekten ( Architekten )
FOTO RECHTS: FLORIAN VE H
Mark Kammerbauer ( Kritik ) PK Odessa Co ( Fotos )
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Schichtarbeit NKBAK haben einen präzise gesetzten Ziegelbau als Firmensitz für die Design- und Architekturplattform Stylepark entworfen. Er überzeugt nicht nur gestal terisch, sondern auch durch seinen behutsamen Umgang mit der Geschichte des Orts.
NKBAK ( Architekten )
TITELTHEMA R E PA R AT U R K U LT U R
Alexander Russ ( Kritik ) Thomas Mayer ( Fotos ) Damals und heute:
FOTO RECHTS: ARCHIV ARCHITE K TE N
Der neue Firmensitz der Stylepark AG greift die historischen Schichten der Friedhofsmauer auf und integriert sie in den Neubau.
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ie Aufgabe: ein Firmensitz für eine Designund Architekturplattform, die beauftragten Architekten: ein talentiertes Büro. Da kann ja eigentlich nichts mehr schiefgehen. Und tatsächlich ist das neue Gebäude der Stylepark AG in Frankfurt am Main durch und durch gelungen. Das hat viel mit dem Peterskirchhof zu tun, dessen Geschichte bis ins 15. Jahrhundert zurückreicht – er befindet sich gegenüber des neuen Gebäudes und ist die älteste noch vorhandene christliche Begräbnisstätte der Stadt. Hier liegen unter anderem Johann Caspar Goethe und Catherina Elisabeth Goethe, die Eltern des Dichterfürsten, begraben. Heute wird der nur wenige Gehminuten von Hauptwache und Zeil entfernte Friedhof als Park genutzt; einige der historischen Grabsteine sind aber immer noch in die umgrenzenden Mauern eingeschrieben. Etwas versteckt in der nordöstlichen Ecke findet man zudem ein Aids-Memorial, denn auch das gehört zur Ortsgeschichte – dass sich hier mal ein beliebter Treffpunkt der Frankfurter Drogenszene befand. Mittlerweile präsentiert sich der 2017 sanierte Peterskirchhof als grüne Oase, die immer noch ein bisschen Friedhofsruhe ausstrahlt. Auseinandersetzung mit dem Ort 2014 beauftragte Stylepark das Frankfurter Architekturbüro NKBAK mit einem neuen Firmensitz. Das Unternehmen war zu diesem Zeitpunkt in einem an den Peterskirchhof angrenzenden Gründerzeitbau untergebracht und über mehrere Geschosse verteilt. Um dem Wunsch nach zusammenhängenden Büros nachzukommen, beschloss man, den dahinterliegenden Garten nachzuverdichten. Dieser wurde nach Osten von der etwa eingeschossigen Friedhofsmauer und nach Norden sowie Süden von den Brandwänden der benachbarten Häuser begrenzt. Die Architekten übersetzten die Vorgabe des Stadtplanungsamts, die Wohnungen mit Fenstern zur Parkseite in den Obergeschossen auszustatten, in einen ersten Entwurf. Das Ergebnis bestand aus mehreren, über drei Stockwerke gestapelten, teilweise auskragenden weißen Kuben, die sich von Nord nach Süd abtreppten. Dabei griffen die Architekten die Höhe der Nachbarbebauung auf und setzten das Gebäude als freistehenden Baukörper auf die historische Schicht der westlichen Friedhofsmauer auf. Die Denkmalbehörde zeigte sich davon allerdings wenig
„Wir bekommen oft die Rückmeldung, das Gebäude wirke so, als sei es schon immer da gewesen.“ Das untere Mauersegment mit den Gräbern und das mittlere Mauersegment aus Ziegel und Betonstein verzahnen sich mit der Ziegelwand des Neubaus.
Ideen begeistert. Was folgte, war eine eingehende Diskussion über den Umgang mit dem Bestand, die schlussendlich den Grundstein für die herausragende Architektur legte: NKBAK entwickelten einen zweiten Entwurf nach den Vorgaben der Denkmalbehörde, ausgehend von der alten Mauer, und begannen, mit den darin eingeschriebenen historischen Schichten zu arbeiten. Die kubische Abtreppung blieb erhalten, nach Süden entstand eine größere Abstandsfläche für die Belichtung der Innenräume, während das Gebäude beim nördlichen Nachbarn direkt an die Brandwand andockt. Räumliche Skulptur Im Innern offenbart sich der Neubau als Raumskulptur mit unterschiedlichen Deckenhöhen; verschieden große Fensteröffnungen, zwei eingeschnittene Höfe, das offene Raumkonzept und die daraus resultierenden Blickbeziehungen ergeben ein plastisches Raumgefühl. Gleichzeitig wurde auf allzu viel Abstraktion verzichtet. Der Boden ist mit sägerauer Eiche aus Vorarlberg belegt, die Betondecke wurde sichtbar belassen. Das gibt dem Ganzen eine angenehme E rdung und passt gut zur Philosophie einer zurückhaltenden Eleganz, wie sie Stylepark für sich beansprucht.
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rschlossen wird der neue Firmensitz über den Altbau, über dessen Treppenhaus und eine ehemalige Fenstertür man in den Neubau gelangt. Ein Höhenversprung von einem halben Geschoss zum Innenhof wird durch unterschiedliche Ebenen aufgenommen, die über einzelne Stufen als Raumabfolge miteinander verbunden sind. Abgetrennt werden die Bereiche mit Glaswänden, denn ansonsten sorgen nur die beiden einladenden Innenhöfe für eine räumliche Zonierung und Tageslicht in den Büros. Zum Peterskirchhof wurde lediglich ein kleines horizontales Fenster oberhalb der Bestandsmauer eingeschnitten. In den beiden oberen Neubaugeschossen sind Wohnungen untergebracht, die ebenfalls über den Altbau erschlossen werden. Analog zum Erdgeschoss gelang den Architekten dort eine geschickte Verzahnung von E rschließungsflächen und Aufenthaltsbereichen in Form der Dachterrassen: Eine Freifläche dockt an das Zwischenpodest des Treppenhauses an und erschließt die Wohnung im ersten Stock. Über eine weitere
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Treppe geht es dann in die Wohnung im zweiten Stock. Trotz beengter Verhältnisse konnte sogar ein zusätzlicher Freiraum für die Büroräume im zweiten Stock des Altbaus eingepasst werden. Arbeiten mit historischen Schichten Die räumliche Raffinesse des Entwurfs kommt nicht von ungefähr: Nicole Kerstin Berganski und Andreas Krawczyk von NKBAK hatten beide bei Sanaa in Tokio gearbeitet, bevor sie 2007 ihr eigenes Büro gründeten. Wenn man die beiden nach dem Einfluss der Japaner auf die eigene Arbeit befragt, kommen sie vor allem auf die besondere Entwurfsmethodik zu sprechen: „Bei Kazuyo Sejima und Ryūe Nishizawa gibt es keine Formel oder bereits fertige Lösungen. Jede Aufgabe stellt etwas komplett Neues dar. Das hat uns geprägt.“ Diese offene Herangehensweise zeigt sich beim zweiten, finalen Entwurf, bei dem sich die Architekten von ihren architektonischen Stilübungen befreiten und stattdessen auf die zeitlichen Schichten der Friedhofsmauer eingingen: Sie besteht aus einem unteren historischen Mauersegment aus braunem und rotem Sandstein mit sechs eingeschriebenen G rabste l len, da rübe r aus ei ne r Schicht Ziegeln und Betonsteinen, die auf die 195 0 e r-Jah re zu rückgeht. NKBAK schlugen vor, beide Zeitschichten gleichwertig zu behandeln und eine dritte Zeitschicht aus Vormauerziegeln hinzuzufügen, um alles miteinander zu verbinden. Dabei arbeiteten sie mit verschiedenen Steinformaten eines wassergestrichenen Ziegels, der mit einer kaum sichtbaren Fugenfarbe abwechselnd im Hamburger, Flensburger und Dänischen Normalformat verlegt wurde. Aufgrund der geringen Gebäudegröße konnte auf vertikale Dehnungsfugen verzichtet werden. Die Last der auf dem Bestand aufsitzenden Wand wird über eine Konsole abgefangen. Beim Neubau wurden Geschosshöhen, Fensteröffnungen und Verzahnungen mit dem Bestand genau geplant, die Maurerarbeiten vor Ort intensiv betreut. Und so überzeugt das Gebäude nicht nur durch sein Konzept, sondern auch durch eine sorgfältige Ausführung: Die ent weder bündig oder tiefliegenden Fenster sind ebenso wie die Türen präzise in die Ziegelfassade eingepasst. Man mag da kaum glauben, dass dies tatsächlich der erste Klinkerbau der Architek ten ist. Dazu braucht es natürlich auch einen Bauherrn, der diese Qualität einfordert. Zeitlose Architektur Bei den Brüstungen und der Attika verzichteten NKBAK dankenswerterweise auf Bleche und entwickelten stattdessen ein Son-
51 derdetail in Form einer Abdeckung, bei dem der Ziegel mit einem Betonfertigteil vergossen wurde. Der Beton ist dadurch nur innerhalb des Gebäudes sichtbar, während es sich nach außen als homogener Ziegelkörper präsentiert. Der Bau ist allerdings nicht komplett mit Ziegeln verkleidet: An den Hoffassaden, die den Übergang zum Altbau bilden, wurde weißer Putz verwendet, und auch bei den Terrassen zieht sich das Lärchenholz des Bodenbelags teilweise über die Brüstung, um die feinen räumlichen Zonierungen zu unterstreichen.
W
ie gelungen und durchdacht das alles ist, wird spätestens deutlich, wenn man sich den südlichen Gebäudenachbar anschaut. Dort wurden die Grabplatten der Friedhofsmauer in banalem, weißem Fassadenputz versenkt. Beim Blick auf die Ziegelwand des Styleparkbaus nebenan lässt sich dagegen kaum mehr ablesen, wo das Alte aufhört und das Neue beginnt. „Wir bekommen oft die Rückmeldung, das Gebäude wirke so, als sei es schon immer da gewesen“, sagen NKBAK dazu. Ein schöneres Kompliment kann man eigentlich nicht machen. Pläne auf den folgenden Seiten
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Fragen
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71 Fotos: Filippo Poli Text: Ton Salvadó
Seite 68/69: Das Gefängnis wurde zwischen 1881 und 1904 erbaut, mit zentralem Kuppelbau und sechs Flügeln. Mit dem Gebäude sind in Barcelona vor allem Erinnerungen an die Repressionen unter Franco ver-
Die Architektur
bunden.
des Panopticons wurde im 18. Jahr-
Der Name „La
hundert als „Besse-
Modelo“ bedeutet
rungsanstalt“ vom
beispielhaft und
englischen Sozial-
geht auf die spani-
reformer Jeremy
sche Gefängsnisre-
Bentham entwickelt.
form Ende des
Ziel war „die beob-
19. Jahrhunderts
achtete Einsamkeit
zurück.
des Insassen“.
Anfang Juni 2017 verließ der letzte Insasse die Mauern der wohl bekanntesten Haftanstalt Barcelonas, „La Modelo“. Das Gefängnis wurde zu Beginn des 20. Jahrhunderts auf zwei der charakteristischen Quadraten Ildefons Cerdàs am damaligen Stadtrand erbaut, der Entwurf stammt von den Architekten Josep Domènech i Estapà und Salvador Vinyals. Nur wenige Monate nach der Entlassung des letzten Gefangenen begann Filippo Poli mit seiner Dokumentation – Bilder, die die Erinnerung an mehr als ein Jahrhundert Gefängnisleben festhalten. Das Elend dieses Orts, so viel Schmerz und die vielen Jahre der Angst lassen sich kaum besser ausdrücken als durch seine Aufnahmen. La Modelo ist aus mehreren Gründen zu einem der zentralen Anliegen der Stadt Barcelona geworden. Die öffentliche Debatte um die Neugestaltung des Gefängnisgeländes drehte sich in den letzten Jahren um zwei sich ausschließende Positionen: Manche hielten es für unerlässlich, die gesamte Anlage abzureißen und auf den beiden Quadraten einen Park zu errichten. Die Befürworter dieses Vorschlags führen an, dass es in der Stadt ohnehin zu wenig Grünflächen gibt. Sie möchten jegliche Erinnerung an das Gefängnis am liebsten auslöschen. Für andere wiederum ist es unbedingt erforderlich, dass das baukulturelle Erbe und somit die gesamte Bausubstanz des Modelo-Gefängnisses erhalten wird und sich jede zukünftige Nutzung der Bewahrung des historischen Bauwerks unterzuordnen habe.
Umgang mit der Erinnerung Diese beiden entgegengesetzten Auffassungen ließen jedoch einen weiteren, möglicherweise entscheidenderen Aspekt außer Acht: die Anwohner. Denn diese fordern seit vielen Jahren, die Missstände im Stadtviertel zu beheben, die sich im Laufe der Jahre verschlimmert hatten: den Mangel an Grünflächen und die geringe Zahl öffentlicher Einrichtungen. Anwohner und Bürger der Stadt sind sich jedoch der Bedeutung der Ortsgeschichte sowie des baukulturellen Erbes, auch im Hinblick auf Nachhaltigkeit, durchaus bewusst. Angesichts der lauernden Gefahr einer Tabularasa-Lösung rückte daher das Interesse in den Vordergrund, das Viertel und die Architektur zu sanieren und gewissermaßen zu recyceln. All dies kam mithilfe einer Methode zum Vorschein, die inzwischen für die neue Art der Stadtgestaltung unverzichtbar ist: Partizipation. Der Vorschlag zur Umgestaltung des Modelo-Gefängnisses, den wir in der Stadtverwaltung von Barcelona im Rahmen des Masterplans von 2019 ausgearbeitet und mit den Anwohnern diskutiert haben, berücksichtigt alle wichtigen Aspekte, um so die bestmöglichen und sorgfältig geprüften Lösungsvorschläge vorzulegen. So wurden die im vorherigen Masterplan aus dem Jahr 2009 festgelegten Nutzungen überprüft und aktualisiert, um öffentliche Funktionen vorzusehen: Gedenkräume, verschiedene Bildungseinrichtungen vom Kindergarten bis zur weiterführenden Schule, Wohnungen, Sportanlagen sowie vor allem nachbarschaftsbildende Einrichtungen für Jugendliche und ältere Menschen. Durch die Anpassung des Masterplans von 2009 bot sich nun die Möglichkeit, die seit dem Jahr 2000 an diesem Ort geplanten Büros und Hotels durch Sozialwohnungen zu ersetzen. Dies wirkt gleichzeitig den Gentrifizie-