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BAU ME ISTER
116 . J A H R G A N G
Oktober
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Das ArchitekturMagazin
+ DEGELO ARCHITEKTEN ROLF DISCH DUPLEX ARCHITEKTEN HEHNPOHL ARCHITEKTUR MSA ORANGE ARCHITEKTEN
Wie weit kann man reduzieren?
ZANDERROTH ARCHITEKTEN
IDE E N FÜR KOSTE NGÜNSTIGE N WOHNUNGSBAU
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Duplex Architekten
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HehnPohl Architektur
20 Wohnateliers in Basel
2 30 Preisgünstiger Wohnbau in Berlin
3 Sozial bauen
I / III B10 Bezahlbares Wohnen
Unsere dreiteilige Heftserie beschäftigt sich mit dem sozialen Bauen. In dieser Ausgabe zeigen wir Beispiele für kostengünstigen Wohnraum. In den beiden folgenden Heften geht es um das öffentliche soziale Bauen und Lösungen für Obdachlose.
40 Sozialer Wohnbau in Brüssel
4 52 Baulückenschließung mit Supermarkt in Berlin
5 64 Wohngenossenschaft in Barcelona
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Lösungen:
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Wie funktioniert eine Genossenschaft?
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2 Sozial und solar – was wurde draus?
Gast-Arbeiter
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Gabriele Detterer hat zunächst politische Wissenschaften, Soziologie und Pädagogik studiert, sich dann aber ganz auf den Journalismus verlegt. Heute lebt sie in Lörrach und Florenz und schreibt hauptsächlich über Architektur und Gegenwartskunst unter anderem für die FAZ und die NZZ.
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Licht Qualitätsschmiede Referenz Möbel
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06 EIN BILD 38 SONDERFÜHRUNG 50 KLEINE WERKE 62 UNTERWEGS 84 ARCHITE K TUR + M ANAGE ME NT 96 QUALITÄTSSCHMIE DE 98 REFERENZ 105 IMPRE SSUM + VORSCHAU 106 KOLUMNE
Seine Schuljahre hat Dimitrios Katsis in Athen und Stuttgart verbracht, wurde dann in Athen und Berkeley als Elektroingenieur ausgebildet und hat sechs Jahre lang im Silicon Valley gearbeitet. Seit 2013 lebt und arbeitet er in Zürich, wo er auch sein Architekturstudium an der ETH Zürich absolvierte.
Kufa-Kreisel
2019
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FOTO: KULTURFABRIK KUFA LYSS, THOM AS HÄSSIG
Streaming-Dienste wie Spotify, Apple Music und Tidal haben die Musikindustrie grundlegend verändert – kaum jemand kauft noch Tonträger. Aber es hat sich eine Gegenbewegung gebildet: Nostalgiker, Liebhaber und Retro-Fans sorgen dafür, dass die Verkäufe von Vinyl-Platten seit Jahren steigen. Dieser Trend hat nun auch die Landschaftsarchitektur erreicht. Im schweizerischen Lyss haben sich die Konzert- und Eventlocation Kulturfabrik (KUFA), die Gehri AG, die Gemeinde und das Tiefbauamt zusammengetan, um einen außergewöhnlichen Kreisverkehr zu verwirklichen. Statt ein paar müder Blumenkästen ziert nun ein riesiger Plattenspieler den Kreisel. Das Motiv schlägt zwei Fliegen mit einer Klappe: Der Plattenspieler erweist sich aufgrund seiner Form als ideal für den Kreisverkehr und unterstreicht thematisch den Initiator und Konzertveranstalter KUFA. Von der Idee bis zur Umsetzung vergingen dann allerdings vier Jahre. Das Warten hat sich aber gelohnt, denn der Kreisverkehr ist mittlerweile ein viraler Hit im Internet. Einziger Wermutstropfen: Der Tonarm fiel der Verkehrssicherheit zum Opfer.
Text
Vera Baeriswyl
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Das „Langhaus“ des zweiteiligen Gebäudes öffnet sich großzügig nach Süden zum Garten.
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Mehr Grips, weniger Baukosten Architekt und Investor in Personalunion – bei diesem Projekt war es Ziel der Architekten, nervenaufreibende und kostentreibende Faktoren zu vermeiden, aber dennoch auf Aufenthaltsqualität zu achten und nebenbei Gewinn zu erzielen. Der bemerkenswert preisgßnstige Wohnungsbau in Berlin zeigt, was konstruktiv geht. Architekten Orange Architekten
Kritik Falk Jaeger
Fotos Jasmin Schuller
Ideen Architekten haben meist das Bedürfnis, dem Besucher zu erzählen, welche qualitativen Abstriche sie bei einem Projekt aus Kostengründen machen mussten. Oft genug lassen sie durchscheinen, dass sie für entsprechende Entscheidungen des Bauherrn beziehungsweise Auftraggebers wenig Verständnis aufbringen konnten. Wie nun, wenn der Zwist innerhalb eines Kopfes ausgetragen werden muss? Bei Architekt und Investor in Personalunion? Kann dann preisgünstiges Bauen ohne Qualitätseinbußen realisiert werden? Zwar ist es kein neues Phänomen, dass Architekten als Investoren auftreten, um auf diese Weise die nervenaufreibenden und (in der Bilanz des Architekten) kostentreibenden Friktionen zwischen Architekt und Bauherrn zu vermeiden, doch oft genug dient das smarte Konstrukt mehr der Gewinnmaximierung als der Bauqualität. Orange Architekten sind in Berlin Friedrichshain angetreten, beides zu vereinen, schließlich ging es auch um den eigenen Bedarf. Orange Architekten, das sind Peter Tschada und Anna Weber, und die sind nicht nur mit Bauen beschäftigt, sondern engagieren sich auch standes- und gesellschaftspolitisch. Tschada, Jahrgang 1965, kommt aus Graz und ist dort während des Studiums zur Hochzeit der Grazer Schule von Günther Domenig, Eilfried Huth und Ernst Giselbrecht geprägt worden. Der Neubau in der Friedrichshainer Eckertstraße könnte denn auch in der Steiermark stehen. Denn vom ortstypischen Berliner Wohnungsbau der Gegenwart ist er mit seinem außen liegenden Erschließungssystem und den großzügigen Balkongängen und Terrassen auf allen Dächern weit entfernt.
Bonus: schwer bebaubares Grundstück Das Grundstück galt aufgrund der Abstandsbedingungen als kaum bebaubar, eine Herausforderung, die manche Architekten besonders reizt. So auch Orange, die die Parzelle kurzerhand selbst erwarben, um darauf ein eigenes Projekt zu realisieren. 13 Wohneinheiten, dazu ein kleines Ladenlokal und ein Atelier-Büro im Erd- beziehungsweise Tiefgeschoss fanden Platz. Das Haus ist aufgeständert, um das erste Wohngeschoss mehr ans Licht zu bringen, um Kfz-Stellplätze zu gewinnen (die von den modernen Stadtbewohnern nur zum Teil in Anspruch genommen werden), um die Wurzelbereiche der Bäume auf dem Grundstück zu schonen und die Du rchwegung und Du rch lü f tung des Grundstücks zu verbessern.
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Das Haus besteht aus zwei unabhängigen Teilen, einem langgestreckten, die Tiefe des Grundstücks nutzenden Trakt und einem aufgeständerten „Atelierhaus“ an der Brandwand zum Nachbargebäude. Dazwischen liegen die offenen Erschließungsgänge und zu r St raße hin das gleichfalls offene Treppenhaus. Das Langhaus öffnet sich mit raumhohen Fensterfronten und durchgehenden Balkons nach Süden, zum baumbestandenen Garten hin. Das Atelierhaus an der benachbarten Brandwand mit drei übereinanderliegenden, 40 Quadratmeter großen Arbeitsräumen wird durch Panoramafenster an den beiden Stirnseiten belichtet.
Hauptziel: einfache Konstruktion Die vielleicht wichtigste Entscheidung zu Anfang war, nicht die nach Baurecht maximale GFZ anzustreben. Der Verzicht auf ein Geschoss ermöglichte es, die Raumhöhe von 3,10 Meter zu realisieren. Raum und Licht (durch raumhohe Fensterfronten) ist jedoch der einzige ins Auge fallende Luxus. Ansonsten stößt man allenthalben auf überraschende und eigenartig erscheinende Lösungen, die vor allem eines zum Ziel haben: die Kosten zu senken. Das beginnt mit der Fassade, eine günstige textile Bespannung System Megaposter-Membran. Diese verschattet, wie vom Hersteller gefordert, den dahinterliegenden, eigentlichen Fassadenabschluss mit einer schwarzen Nässeschutzfolie. Die mineralischen Wärmedämmplatten hinter der Folie sind nicht mit ökologisch problematischen Klebern am Mauerwerk angebracht, sondern gestapelt und mit wenigen Dübeln fixiert. Grundprinzip der gesamten Konstruktion des Hauses ist eine einfache Bauweise mit sortenrein recycelbaren Bestandteilen: Auf gegossenen Estrich zum Beispiel wurde verzichtet. Auf einer Trittschallschutzmatte liegen sechs Zentimeter starke Brettschichtplatten aus Fichtenholz. Tschada, der selbst im Haus wohnt, hat sie nicht einmal oberflächenversiegelt, sondern reinigt sie mit Seife (und entfernt Rotweinflecken mit Wasserstoffperoxid). Die Sitzbänke unter den Fenstern bestehen aus Infraleichtbeton, der außen keine zusätzliche Dämmung benötigt. Balkone und Laubengänge über dem Erdgeschoss sind massesparend schlank und ohne Umdämmung ausgeführt. Die Dämmung liegt stattdessen unter den Fußböden und innen um die Tragelemente. Die auskragenden, ungedämmten Balkone und Gänge sind schlank und nehmen weniger Licht weg. In den oberen Geschossen werden Isokörbe verwendet, die wegen der gerin-
geren Balkonmasse kleiner (und billiger) sind. Für die Geländer haben sich die Architekten eine weitere Neuerung ausgedacht: Geländerstäbe werden aus Gewichtsgründen oft durch Spanndrähte aus Edelstahl ersetzt. Orange nehmen hochfeste Textilseile, die nicht so starr sind und sich viel einfacher reparieren lassen. Freilich brauchte es eine Einzelzulassung für dieses System. Im Dachbereich sind die EPDM-Folien der Fassade einfach nahtlos über das Dach gezogen. Die Relings der Dachterrasse sind samt verbindenden Stahlträgern einfach nur aufgelegt und durch das Eigengewicht fixiert. Es gibt nur eine Durchführung durch die Dachhaut für eine Wasser- und Stromleitung.
Helle Lofts zum Minipreis Das Beispiel zeigt, wie man mit Engagement und intelligenter Planung der Konst ruk t ion k rä f t ig Kosten spa ren kann. Die 2.400 Euro brutto pro Quadratmeter Wohnfläche in den Baukostengruppen 300 und 400 hat der etwas später fertiggestellte biedere Neubau linkerhand sicher nicht unterboten. Die Unterschiede sind eklatant: links lieblos konventionelle 08/15-Wohnungen mit gerade mal den Minimalvorschriften genügenden Fenstern, rechts daneben dagegen die hellen, gläsernen Lofts, achsenweise frei unterteil- und kombinierbar, für verschiedene, auch wechselnde Lebenszuschnitte flexibel zu nutzen, dazu mit üppigen Freiflächen und Terrassen ausgestattet. Die Wahl würde wohl niemandem schwerfallen. Pläne auf der Seite 37
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Eine Baugruppe und eine Supermarktkette konnten sich auf ein gemeinsames Projekt im Berliner Bötzowviertel einigen.
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Einleuchtende Symbiose Vier Wohngebäude mit 51 Einheiten schließen eine Baulücke im Berliner Bezirk Prenzlauer Berg auf besondere Weise: Eine Bauherrengemeinschaft nimmt einen ehemals freistehenden Supermarkt im Erdgeschoss ihres neuen Domizils auf. Für die Architekten beginnt damit ein mühsamer, jedoch erkenntnisreicher und schlussendlich erfolgreicher Weg. „Ein reizvolles Modell“, wie sie heute sagen. Architekten Zanderroth Architekten
Kritik Christina Gräwe
Fotos Simon Menges
Ideen Verdichtung durch Aufstockung – ganz taufrisch ist diese Idee zur Bekämpfung der Wohnraumknappheit in überfüllten Städten nicht mehr. Der Gedanke scheint aber schlüssig: Warum weitere Flächen zersiedeln und versiegeln, wenn es doch solches Potenzial gibt – noch dazu häufig in attraktiven Lagen. Das belegt der Klassiker, der (meist schicke und teure) Dachausbau an ungezählten Beispielen; es kann jedoch weit darüber hinausgehen: Seit einigen Jahren scheint die Idee salonfähig zu werden, die großen Dachflächen eingeschossiger Supermarkt-Hallenbauten zu nutzen, indem man ihnen Wohngeschosse obenauf setzt.
Naheliegende Lösung So geschehen in der Pasteurstraße im Berliner Bötzowviertel, das nach dem ursprünglichen Großgrundbesitzer benannt ist, der hier einst auf seinen Feldern den Grundstein für den heute sehr beliebten Kiez legte. Die Entstehungsgeschichte des nach seiner Adresse et was k r yptisch „pa1925“ genannten Projekts zeichnet einen mühsamen, erkenntnisreichen und schließlich mit einem Happy End belohnten Weg nach. Die Berliner Zanderroth Architekten sind ihn gegangen – Christian Roth erzählt immer wieder gerne davon: Es fing mit einem Grundstück an, das ein irischer Investor wieder loswerden wollte, nachdem er die Tücken des deutschen Baurechts kennengelernt hatte. Eine Baugruppe und eine Supermarktkette reichten parallel Angebote ein. Letztere wollten ihr bisheriges Domizil auf dem Grundstück, ein Konsum-Relikt aus DDR-Zeiten, abreißen und eine der vielen „Blechbüchsen mit Parkplätzen“ (so Roth) an seine Stelle setzen. Die Baugruppe lieferte das großzügigere Angebot ab und erhielt den Zuschlag. Der Supermarkt blieb aber wegen eines noch 20 Jahre währenden Mietvertrags im Boot. Die Baugruppe setzte auch den Supermarkt um und verkaufte diesen an das Unternehmen. Ist das Resultat nun eine Zwangsehe? Christian Roth findet: „Nein, es ist ein reizvolles Modell.“
Unzählige Absprachen Die Ladenflächen siedelten in ein Interimsquartier um, die alte Halle wurde abgerissen. Vor und während des Bauprozesses waren zahllose Verhandlungen notwendig, Genehmigungen einzuholen und Wünsche zu respektieren: auf der einen Seite die der Bauherren, die mit 51
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Wohnungen große Baugruppe, darunter viele Familien mit Kindern. Auf der anderen Seite gab es den Anforderungskatalog der Supermarktkette, die sich für reibungslose Abläufe im späteren Betrieb und die optimale Ausnutzung jedes Quadratzentimeters Ladenfläche, nicht aber vordergründig für die Architektur interessierte. Hinzu kamen die Nachbarn, die zunächst wenig kooperativ waren, wenn es etwa um das Unterfangen ihres Grundstücks ging. Auch wegen solcher Fragen arbeiten die Architekten mit zwei eigenen Firmen unter einem Dach; Zanderroth ist für die Architektur zuständig, SmartHoming für die Projektentwicklung und -steuerung sowie die Moderation beispielsweise nachbarschaftlicher Konflikte. Das fertige Ensemble besteht aus einem straßenseitigen Riegel und drei Gartenhäusern. Das Vorderhaus schließt im Sinne der Stadtreparatur den Block und nimmt die Höhen des Bestands auf. Es erstreckt sich über vier Parzellen – viel Haus am Stück also, was den Eindruck von Schwere vermittelt. Daran ändern auch die kräftigen Sonnenschutzelemente aus eloxiertem Streckmetall nichts, die die Bewohner nach Belieben öffnen und schließen können. Gleichzeitig entsteht aber gerade durch das Spiel zwischen geöffneten und geschlossenen Flächen ein insgesamt lebendiges Bild. Das Erdgeschoss ist fast vollständig dem Einzelhandel vorbehalten. Glücklicherweise, so Christian Roth, konnten die Betreiber überzeugt werden, ihre Außenwerbung relativ dezent auszuführen, denn es hatte seitens der Bewohner im ersten Stock im Vorfeld Bedenken gegeben, hinter hoch aufragenden Namenslettern zu verschwinden.
Freiraum gewonnen Gartenseitig lockert sich die Bebauung deutlich auf. Die drei Häuser dort gruppieren sich um einen grünen Gartenhof, der – und das ist der Clou dieses Projekts – den größten Teil der Dachfläche des Supermarkts einnimmt. Das hat zwei Vorteile: die doppelte Nutzung und relativ geringe Lasten, so dass die Markthalle darunter mit einem weitmaschigen Stützenraster auskommt. Nur dort, wo an den Rändern des Dachs die Häuser aufliegen, stehen die Stützen dichter. Eine Forderung war, die Haustechnik so weit wie möglich separat zu installieren, was, etwa mit der Abluft des Shop-imShop-Bäckers, weitgehend gelungen ist. Das Aufeinandertreffen von Wohn- und Geschäftsrhythmus birgt noch weitere Herausforderungen: Das Anliefern, Entla-
den und Abfahren des Mülls verursacht Lärm. Aus der Perspektive der Marktbetreiber sollte all das im Rundumbetrieb möglich sein, die Bewohner pochten verständlicherweise auf die Nachtruhe. Auch hier konnte ein Kompromiss gefunden werden. „Ein vollständiges Trennen der Welten funktioniert zwar nicht, aber Wohnen und Supermarkt gehen im Großen und Ganzen gut zusammen“, resümiert Christian Roth. Schließlich profitieren beide Seiten, die Bewohner vom Lebensmittel-Rundumversorger im eigenen Haus, der Supermarkt umgekehrt von den potenziellen Stammkunden.
Günstiger für beide Welten Fällt dieses Modell nun in die Kategorie kostengünstiges Bauen? Aus heutiger Sicht erscheinen die rund 3.500 Euro pro Quadratmeter einschließlich des Erwerbs des Grundstücks für Berlin moderat, andernorts geradezu günstig. Zu Beginn des Prozesses handelte es sich hingegen nicht gerade um ein Schnäppchen. Positiv auf die Kosten wirkt sich natürlich aus, dass die große Supermarkt-Dachfläche durch die attraktiven Freiräume für die Bewohner doppelt genutzt ist. Birgt der Mix aus Wohnen und Einzelhandel Potenzial? Ja, meint Christian Roth: „Es gibt viele schlecht ausgenutzte Supermarktflächen in der Stadt.“ Er würde sich jederzeit wieder auf so ein Projekt einlassen, mit einer Einschränkung: „Das war nicht unsere letzte klassische Baugruppe, und die Koordinierung so vieler unterschiedlicher Grundrisse ist zwar lehrreich. Heute machen wir aber mehr Vorgaben.“ Pläne auf der Seite 61
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Wie funktioniert eine Genossenschaft? Unser Autor Erik Wegerhoff besuchte die Genossenschaft Kooperative Großstadt in München, um mehr über deren Arbeit zu erfahren. Dort nahm er an einer Mitgliederversammlung teil und sprach mit den Teilnehmern über deren Ziele und Wünsche. Das Treffen inspirierte ihn zu einem aus sechs Szenen bestehenden Theaterstück, in dem sogar Vitruv persönlich zu Wort kommt. B
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Text Erik Wegerhoff
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1. Szene Ein sehr hellgelb gekachelter langer Flur der Münchner S-Bahn, komplett neonlichterhellt, die Decke war einmal weiß gestrichen. Der Boden aus grauen Kacheln, wo er die Wand trifft, liegen ein paar Zigarettenstummel. Auf der rechten Bühnenhälfte erkennt man die Ausläufer eines Kiosks: Schokoriegel, Zeitung, ein handschriftlicher Zettel: Fleischpflanzerl € 1,50. Von links hastet eine sehr schlanke schwarzhaarige Frau mit kleinen Locken auf die Bühne, so um die vierzig. Sie hält kurz inne. Frau: Zur Bewohnerversammlung. Kooperative Großstadt. Wir bauen architektonisch herausragend und leisten beispielhafte Beiträge zur Baukultur in München. Wie immer fast zu spät.
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1 Weitere Frau: Also, ich war damals relativ neu in München und sofort konfrontiert mit der Wohnungssituation hier – ich hab gespürt, dass das Thema Wohnungsnot hier in der Luft liegt. Ich bin in der Lage, eine wirklich schöne Wohnung zu haben, aber ich weiß nicht, wann ich hier raus muss. Das schwebt immer über einem! Und beim sozialen Experiment – da treibt mich einfach eine große Neugierde an. Ich hab da auch ne gewisse Skepsis (sie lacht verlegen) – mir ist zum Beispiel gar nicht so wichtig, in der Gemeinschaft aufgehen zu können. Aber es ist auch ein schöner Gedanke. Schon die Selbstorganisation mit diesem Haus, das hat schon politische Dimensionen! Allein – wie organisiert man sich da?
3. Szene Ein Raum in einem ehemaligen Bürogebäude aus den 1960er-Jahren, ganz hell, Boden aus weißem Marmor, rechts eine Küchenzeile. Links geht eine Tür ab, hinter der man permanent Stimmen hört, unverständlich, doch so laut, dass man den im Zentrum der Bühne in einem perfekten Dreiviertelstuhlkreis sitzenden Chor oft nicht versteht.
Die Frau hastet weiter.
Chor:
2. Szene
Wir brauchen einen Protokollführer. (unverständlich) Bei welchem Tagesordnungspunkt sind wir jetzt? (unverständlich) Wo ist nun Pippa hingekommen – hinter der Entscheidungsfindung? (unverständlich) Wir haben uns für Holzfenster entschieden. Aus Gründen der Nachhaltigkeit. (unverständlich) Noch Restrisiken bei den Schlosserarbeiten. (unverständlich) Es sieht gut aus, und wir werden sehen, wie’s weitergeht. (unverständlich) Wann können wir denn das erste Mal rein? (unverständlich) Wo ist das Haus? (unverständlich) Macht Sinn, ja!
Dunkel, ein Stadtplatz, im Hintergrund erkennt man vage ein großes neugotisches Gebäude. Eine Frau, fahl blond, Mitte dreißig, sitzt auf dem Rand eines hübschen Brunnens, ganz allein auf dem Platz, eine Straßenlaterne beleuchtet sie.
Plötzlich Stille. Ein Mitglied des Chors erhebt sich, in der Mitte: Ein Mann mit Siebentagebart, leicht erhitzt und errötet.
Mann: So entspannt wie bei der Grundsteinlegung wird‘s nicht mehr.
Er lächelt. WEITER
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Sozial und solar – was wurde draus? B
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Im Zeichen des Energiesparens wurden Wände immer fetter, Häuser immer hermetischer. Energie gewinnen und trotzdem feingliedrig und rentabel sein – das war und ist die Mission des Freiburger „Solararchitekten“ Rolf Disch. Vor genau 25 Jahren schuf er mit dem „Heliotrop“ den plakativen Prototyp eines solchen Plusenergiehauses. Ein Besuch Text Christoph Gunßer
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Grün. Und auch wenn immer wieder reiche Es tickt über unseren Köpfen, als wir auf der Araber anfragen, war das Haus nie wirklich Dachterrasse des Heliotrops gerade die baals Verkaufsmodell geplant, schon gar nicht dischen Weinberge bestaunen: Der Stellmotor für die Wüste (es wurden zwei bis drei weitere des Solarpaneels oben auf dem Mast justiert eher halbherzig für Büros und Ausstellungsdessen Ausrichtung neu, während die Weinzwecke realisiert). Es sollte zeigen, was geht. berge unterdessen ein wenig aus dem BlickUnd darin ist das Haus ein medialer „Longselfeld wandern. Das Haus folgt der Solarstrahler“: Immer noch kommen Fernsehteams für lung wie eine Sonnenblume. „Homestories“ ins Haus. Woher kommt der Weil das so einprägsam anders ist, so bildhaft Impetus, was treibt den Tüftler und cleveren ökologisch, lieben die Leute das Heliotrop. Netzwerker an? Ganze Schulklassen, Forscher, Touristen und Delegationen aus aller Welt (und sogar Angela Merkel als Umweltministerin), insgesamt Sozial und solar: 17.000 Leute, hat Hausherrin Hanna Lehmann, Dischs Frau, schon geduldig durchs Haus gedie Anfänge schleust: die Wendeltreppe im Kern der nur elf Zentimeter starken Holzröhre hinauf, die Seinen Anfang nahm die Geschichte 1971 das Tragwerk des Turms bildet, in Wyhl, wo die Badener gegen durch die flurlos an die Röhre gedas in den Rheinauen geplante dockten Wohnräume des EheAtomkraftwerk protestierten. „Ich paars, die bis zur Dachterrasse war dabei, und mir wurde klar, jeweils 90 Zentimeter höhersteidass man nicht nur gegen etwas gen, auf die filigranen Putzbalkosein, sondern auch für etwas ne mit den Vakuumröhrenkollekkämpfen sollte“, resümiert er. Der toren an der Brüstung, dabei die Eisenbahner-Sohn hatte schon eigens entwickelte Dreifachverimmer gern gebastelt, und als er glasung passierend. zum ersten Mal ein kleines SolarAuch ein Blick ins Kabuff mit dem paneel in der Hand hatte, das Kompostbehälter unter den Troeinen Motor antrieb, war das ckenklos ist genehmigt – Output: ein Schlüsselerlebnis. Er hatte zuein Eimer Erde pro Jahr –, Wärme- 1993 entstand das Heliotrop, das erste nächst Tischler und Maurer gePlusenergiehaus weltweit. rückgewinnung und Grauwasserlernt, erst dann, Mitte der Sechzikreislauf studieren. Fast alles dager, Bautechnik in Freiburg und von ist heute solider Ökostandard, damals, Hochbau an der FH Konstanz studiert. Davon Anfang der 1990er, war es Neuland. Jahreblieb ihm, dem Tüftler, vor allem ein Besuch lang hatte Rolf Disch geforscht, probiert und im Deutschen Museum in München im Geum die Finanzierung der 2,4 Millionen DM dächtnis: Vier Tage lang betrachtete er all die Bau- und Entwicklungskosten gerungen (am Erfindungen. Ende gab nur die Ökobank einen Kredit), vieSein schon 1969 gegründetes Büro plante in le Details in Handarbeit entwickelt („den Röhden Siebzigern vor allem Altenheime, Schurenfuß habe ich selbst angeschraubt“), bis er len und kleine Wohnsiedlungen, darunter im Sommer 1994 einziehen konnte. eine für Freiburgs erste Baugruppe, nur einen Möglich war der 15 Meter hohe Turm nur auf Steinwurf entfernt vom Heliotrop – noch heueiner steilen Restfläche am Rand einer kleite ein autofrei-friedlich-verwinkelter Wohnnen Wohnsiedlung, die Disch zuvor geplant hof. Denn schon damals führte er den Kampf hatte. Heute ist das Gebäude, das nicht höher gegen die Dominanz des Autos oft erfolgals ein Baum sein sollte, dicht umhüllt von reich: „Immer wenn es uns gelingt, autofrei zu WEITER