B12 B A U ME ISTER K U R AT I E R T VON D AV I D CHIPPE R – FIELD ARCH I T E C T S 113. Jahrgang Das Architektur-Magazin
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D 15 € A , L 17 € I 19,50 € C H 2 3 S F R
Dezember
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FSB 1004 von David Chipperfield: Klar, funktional, logisch. David Chipperfields Türklinkenprogramm wurzelt in dem Wunsch, Gebäude mit Beschlägen auszustatten, die der architektonischen Philosophie seines Handelns folgen. FSB 1004 ist durch die Vorreiter der Moderne und die Philosophie eines Ludwig Wittgenstein geprägt, wobei er die gleiche logische Klarheit anstrebt. Das Design basiert auf einem formalen Konzept, das allen funktionalen Anforderungen gerecht wird und so dem zugrundeliegenden Ideal Ausdruck verleiht. Das vollständige und auf alle gängigen Bauelementtypen abgestimmte Programm ist lieferbar in den Werkstoffen Aluminium, Edelstahl und Bronze. www.fsb.de/1004
Editorial Wieder mal den Job los. Wieder mal habe ich den Sessel des Chef redakteurs für eine Ausgabe geräumt – metaphorisch, versteht sich. Dieses Mal für David Chipperfield und sein Team um Alexander Schwarz. Sie haben dieses Heft konzipiert und gestaltet. Mit ihm setzen wir unsere lose Reihe gastkuratierter Baumeister fort, die vor drei Jahren mit Christ + Gantenbein ihren Anfang nahm. 2014 ging es dann mit einer Ausgabe des Theoretikers Stephan Trüby weiter. Nun also David Chipperfield und sein Büro. Jenes Büro, das momentan für die Historienarbeit der deutschen Architekturlandschaft verant wortlich ist: Haus der Kunst in München, Neues Museum und Neue Nationalgalerie in Berlin – immer wenn es historisch schwierig wird, sind „DCA“ mit im Spiel. Um Architektur und Erinnerung geht es folglich auch in dem großen Interview, das mein Kollege Alexander Russ und ich mit David Chipperfield und Alexander Schwarz geführt haben (ab Seite 70). Es ist eine Mischung aus geschichtsbewusster Tiefe, archi tektonischem Realismus und kritischer Selbstbetrachtung. Diese Mischung zeichnet auch das Büro Chipperfield insgesamt aus. Das wurde auch bei der Heftproduktion deutlich. Einen ganzen Tag lang saßen David Chipperfield und Alexander Schwarz bei uns im Verlag zur Redaktionskonferenz. Diskutiert wurde heftig und immer zielorientiert. Weitere Einheiten folgten. Und stets spürten wir: Das Büro hat richtig Lust, mit uns an diesem Projekt zu arbeiten. Magazine machen ist nicht wie Häuser bauen. Das vergessen konven tionelle Architekturkritiker gern. Aber: In beiden Welten gelingt ein Projekt nur, wenn ein Leitgedanke formuliert, ein Kernthema definiert wurde. In diesem Heft ist das die Philosophie Gottfried Sempers, vor allem der Begriff des Stoffwechsels. Mit ihm beschäftigt sich das Institut für öffentliche Bauten und Entwerfen von Alexander Schwarz in Stuttgart. Und er gibt den Rahmen für dieses Heft vor. Ich lade Sie ein, sich auf die Suche nach architektonischen Stoffwechseln zu begeben. Mit der Baumeister-Redaktion – und mit David Chipperfield. Alexander Gutzmer Chefredakteur
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B I. 12
Imitation und Wiederholung Betrachtungen zur Stoffwechseltheorie von Gottfried Semper
Stoffwechsel
kuratiert von David Chipperfield Architects Berlin und dem Institut für öffentliche Bauten und Entwerfen der Universität Stuttgart Inhalt: 4
Hannah Jonas, S. 08 Adrian von Buttlar, S. 10 Klaus Jan Philipp, S. 12 Harry Francis Mallgrave, S. 14 Günter Figal, S. 18 Michaela Ott, S. 20 Kärin Nickelsen und Claus Spenninger, S. 22 Louise Wagner, S. 26 Catherina Wenzel, S. 30
II. III. Das Vertraute im Neuen Eine Bildserie im Rohbau der James-Simon-Galerie
Wissen und Nicht-Wissen Das Projekt James-Simon-Galerie auf der Museumsinsel Berlin
Stephan TrĂźby, S. 38 Ute Zscharnt, S. 40
David Chipperfield und Alexander Schwarz, S. 70 Ute Zscharnt, S. 77 Konstantin Wenzel, S. 90 Alexander Schwarz, S. 96 Rubriken 34 + 92 Bildnachweis 102 LĂśsungen 119 Impressum, Vorschau 120 Portfolio 128 Kolumne
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Glyptothek München, Deutschland 1816 – 1830 Wiederaufbau 1947 – 1972
Entwurf für ein Hochhaus am Bahnhof Friedrichstraße Berlin, Deutschland 1922
Chiesa del Gesù Nuovo Neapel, Italien 1470 – 1584
Schon vor der Ausbombung im Zweiten Weltkrieg und dem stark veränderten Wiederauf bau war die zwischen 1816 bis 1839 nach Plänen von Leo von Klenze errichtete Glyptothek am Münchne r Königspla tz eine Art Blind date einer gräzi sierenden Fassade mit einem römisch inspirierten Innen raum. Denn während die Fas sade an griechische Tempel f ro n t e n g e m a h n t, wä h n t e man sich in den Innenräumen mit ihren gewölbten Decken in römischen Thermen – reich dekorierten freilich, mit farbi gen Ma rmor fußböden und bunt stuckierten Wänden. Mit dem Wiederaufbau, der maß geblich vom späteren Muse umsleiter Dieter Ohly betrie ben wurde, näherten sich In nen und Außen ein Stück weit an: Die sichtbaren Ziegelwän de erhielten einen Schlämm überzug in sandfarbener Tö nung, und die schlichten Mu schelkalkböden und -sockel erscheinen nun im monochro men Blaugrau. Der Stoffwech sel, der mit dem Wiederauf bau einherging, brachte eine Wende weg vom „Als ob“ des Materials hin zu einer Ethik des Ehrlichen.
Bereits bei Semper meinte „ Stof f wechsel“ nicht nu r schnöden Materialwechsel, sondern eben auch und vor allem subtile Entstofflichung – wenngleich im Rahmen einer Monumentalbaukunst des 19. Jahrhunderts, die dem neuen Baustoff Eisen noch nicht so recht über den Weg traute. Erst mit den „Haut- und Kno chenbauten“ eines Ludwig Mies van der Rohe, die um 1922 die architektonischen “Teigwaren” des 19. Jahrhun derts hinter sich lassen sollten, wu rde m i t E n t s to f f l i chung so richtig ernst gemacht. Als Sch l üsse l p rojek t i n d iese r Hinsicht dür fen die beiden Mies’schen Entwürfe für ein Hochhaus am Berliner Bahn hof Friedrichst raße gelten. Einer der beiden Entwürfe, ein 20-stöckiges Bürohochhaus auf dreieckigem Grundriss in Gestalt einer „Kristall-Wabe“, verdankt seine aufgefächerte Form diversen Modellversu chen, bei denen „das reiche Spiel von Lichtreflexen“ (Mies) getestet wurden.
Es gibt eine Antithese zu Gott fried Sempers Idee des Stoff wechsels, diesem ebenso tra genden wie entstofflichenden Prinzip der Achitektur, wel ches die Ewigkeitssehnsucht des Bauens auf das PseudoFun d a m en t ve rg ä ng l i che r Textilien stellt. Diese Antithese macht die Architektur nicht zum E rinnerungstheater an Biegsames und Weiches, son dern an den härtesten Stoff, den die Natur zu bieten hat, nämlich den Diamanten. Ar chitekturtheoretisch formu liert wurde diese Antithese bis dato so gut wie nicht, aber da für vielfach gebaut, und zwar vor allem mit den zahllosen Diamantquaderfassaden, die im Zuge der Renaissance vor allem in Italien entstanden. Eines der schönsten Beispiele hierfür ist der vom Architekten Novello da San Lucano im Jahr 1470 erbaute Palazzo Sanse verino in Neapel, hinter des sen „harter“, grau-schwarz patinierter Fassade gut hun dert Jahre später eine deut lich weicher anmutende, von Giuseppe Valeriano entwor fene Barockkirche eingepasst wurde, die man mit ihrer üppi gen Innenaussta t tung aus dem 17. und 18. Jahrhundert und einem Fresko von Solime na noch heute besichtigen kann.
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Bi ld Chiesa del Gesù Nuovo: mweau31 unte r CC BY-SA; Bi ld Chiesa del Gesù Nuovo in de r James-Simon-Gale rie: Ute Zscha rnt
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Bi ld Na t ionalmuseum fü r röm ische Kunst: Klaus F rahm / Ar tu r Images; Bi ld Na t ionalmuseum fü r röm ische Kunst in de r James-Simon-Gale rie: Ute Zscha rnt
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Bi ld Museum fü r Na tu rkunde: Thomas Spie r / Ar tu r Images; Bi ld Museum fü r Na tu rkunde in de r James-Simon-Gale rie: Ute Zscha rnt
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III. 68
„Unter Stoff versteht man noch etwas Höheres, nämlich die Aufgabe, das Thema zur künstlerischen Ver wertung“ 1
Wir entwerfen. Doch gibt es ein Schema, nach dem wir entwer fen, eine Ähnlichkeit in dem von uns Ent worfenen, eindeutige Einflüsse unserer Ar beit? Diese Ausgabe des Baumeisters kura tieren zu dürfen, gibt uns die Möglichkeit zur Selbstreflexion. Wir denken als Archi tekten nicht nur über die Fragestellungen nach, die verschie dene Projekte mit sich bringen. Wir den ken immer wieder auch darüber nach, mit welchen Herange hensweisen wir auf diese Fragestellungen reagieren. Die Selbst reflexion und das Zweifeln sind ein we sentlicher Teil unserer
Arbeit. Wir suchen keine Antworten auf architektonische Fra gen, die immer gültig sind. Wir lassen uns auf jedes Projekt und seine Herausforderun gen neu ein. Nur so entstehen die spezifi schen Antworten, nach denen wir beim Entwerfen suchen. Natürlich gibt es Din ge, die wir wissen. Doch neben diesem Wissen, gibt es immer auch Dinge, die wir zunächst nicht wissen, die wir erst im Prozess des Entwerfens finden – das Nicht-Wissen ist elementarer Bestand teil der Arbeit des Architekten. Wir dürfen uns in die sem Heft äußern, uns artikulieren. Auch das Entwerfen ist eine Form der Artikulation, das Formulieren einer These ist letztendlich formbildend, wird Architektur. Im folgen den Teil des Baumeis ter zeigen wir ein Projekt, das gerade Form annimmt: die James-Simon-Galerie auf der Museumsinsel Berlin. Wir zeigen den
Stoff, aus dem sie ge macht ist, zeigen sie mit den Bedingungen, Fragen und Themen, die ihre Form bestim men, zeigen den wechselvollen Weg von der Aufgabe bis zur Architektur – den Entwurf und das Ent werfen. Text: Hannah Jonas 1
Semper, Gottfried: Ueber Baustile (1869). In: Ders.: Kleine Schriften. Hrsg. Semper, Hans und Manfred. Berlin und Stuttgart 1884, S. 403
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„Wir graben gerne“ Die Entwürfe von David Chipperfield Architects wollen keine IkonenArchitektur sein. Stattdessen hat sich das Büro einen Namen für komplexe Bauaufgaben im historischen Bestand gemacht. Im Interview mit dem Baumeister reflektieren David Chipperfield und Alexander Schwarz, Designdirektor und Partner von David Chipperfield Architects Berlin, ihre architektonische Haltung.
wir schlicht und einfach Fachleute. Wir sagen unse ren Auftraggebern be stimmte Leistungen zu und halten Terminpläne ein. Un sere Arbeit hat aber noch eine zweite Ebene. Und da geht es darum, eine Umge bung zu schaffen, in der Selbstreflexion möglich ist. Mit anderen Worten: Wir denken ständig über unser Tun nach – aus Verantwor tung gegenüber unserem intellektuellen Anspruch. Das passiert nicht einfach so von selbst. In der Archi tektur muss man sich einen theoretischen Rahmen selbst schaffen. Das Kura tieren des Baumeister hilft uns also dabei, uns selbst besser zu verstehen.
an sehr offen in Bezug auf die Frage, wohin uns diese Kooperation führen würde. Diese Position können wir einnehmen, weil wir es als Dilettanten tun. Als Ar chitekt fühlt man sich für seine Projekte und Auftrag geber verantwortlich, wo durch ein Teil des Spielerischen verloren geht. An dem Heft einer Zeitschrift mitzuwirken, bedeutet also, dass wir spielerischer sein können.
Selbsthinterfragung als Existenzmodus?
B:
Ja. Es ist wichtig, sich selbst fortwährend zu hinterfragen. Wir möchten eine Art Unbehagen bei uns auslösen. Wenn man als Architekt gut sein will, muss man gleichzeitig mit und ohne Zweifel arbeiten. Durch das Kuratieren einer Zeitschrift können wir uns Gedanken machen und dadurch bewusst eine Form von Unbehagen erzeugen. Ähnlich war das, als ich vor vier Jahren in Venedig die Biennale kuratiert habe.
Interview: Alexander Gutzmer, Alexander Russ
Herr Chipperfield, Herr Schwarz, Sie haben diese Baumeister-Ausgabe kuratiert – wie lässt sich das mit Ihrer Arbeit als Architekten vergleichen? BAUMEISTER:
In unserer architektonischen Arbeit gibt es immer zwei Produk tionsmodi, und die verlau fen parallel. Einerseits sind
DAV I D C H I PPE R F I E L D :
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Das Inter essante daran ist die Offen heit. Wir waren von Anfang ALEX ANDE R SCHWAR Z:
David Chipperfield
Man ist auf sich selbst zurückgeworfen, muss sich artikulieren. Es geht darum, für sich selbst eine intellek tuelle Umgebung zu schaf fen. Das ist insbesondere für ein Architekturbüro wichtig, das einen Fuß in der angel sächsischen Welt hat. D C:
Warum? Was ist in Groß britannien anders als in Kontinentaleuropa?
B:
Po r t rä t s David Chippe r f ield und Alexande r schwa r z: Ute Zscha rnt fo r David Chippe r f ield Archi tect s
D C:
Auf dem Kontinent wird der Tätigkeit des Architek ten mehr Achtung entge gengebracht. In London ist Architektur einfach nur eine Dienstleistung. Wenn ein Auftraggeber den Architek ten nicht mag, kann er ein fach sagen: „Lasst uns ihn loswerden.“ In Deutschland ist der Architekt in einer stärkeren Position. Hier muss der Auftraggeber be weisen, dass der Architekt keine gute Arbeit macht. Man dient hier also nicht dem Auftraggeber, sondern dem Projekt. D C:
Beim ersten Gespräch, das wir mit Ihnen wegen der Idee einer gastkuratier
B:
Architektur in einem bestimmten Kontext spielen kann. Hören wir da einen Funktionalismus heraus?
B:
Es geht um mehr als Funktionalismus. Für uns ist eine Stelle, die bebaut werden soll, ein kultureller Ort. Eine architektonische Lösung zu finden, heißt, sich mit einer zuvor definierten Fragestellung auseinander zusetzen. Wir möchten rele vante Fragen stellen.
A S:
Wir leben in einer Zeit, in der es keine übergrei fenden Ideologien gibt. Die Moderne hat uns einen ideologischen Rahmen geliefert, dessen Themen Wandel und Prozess waren. Dieses Bezugssystem ist zusammengebrochen. Die Postmoderne hat den Be griff der Geschichte grund legend hinterfragt, was zu einem Verlust von Vertrau en führte. Unser Büro wurde 1985 genau zu diesem Zeit punkt gegründet. Damals versuchten viele Architek ten, die Architektur wieder auf die Füße zu stellen. Unsere Arbeiten fallen mit dieser geschichtlichen Phase zusammen.
D C:
Ist das der Grund, warum Sie vor einigen Jahren in Deutschland ein Büro eröff net haben?
B:
Nicht ganz. Das Büro hier in Berlin war zunächst das Projektbüro für den Umbau der Museumsinsel. Dann kamen andere Pro jekte dazu.
A S:
Unsere Mitarbeiter in Berlin, Alexander Schwarz, Martin Reichert, Eva Schad, Harald Müller, Christoph Felger und Mark Randel haben ein Wissen ange sammelt, das wir bewahren wollten. Mit dem Neuen Museum hatten wir die Ge legenheit, eigene Ideen auszuprobieren. Diese Aus einandersetzung zwischen angelsächsischen und deutschen Denk- und Her angehensweisen erweist sich als sehr produktiv. D C:
Alexander Schwarz
ten Ausgabe geführt haben, sagten Sie, der Vorschlag sei interessant, weil Sie sich dadurch mehr Klarheit über Ihr Architekturverständnis verschaffen müssten. Können Sie das genauer beschreiben? Ich würde gerne zuerst über das reden, was wir nicht machen. Wir sind nicht auf einen Stil oder auf eine eigene Architek turmarke festgelegt. Es gibt keine architektonische Formensprache, durch die man unsere Gebäude erkennen soll. Unser Aus gangspunkt ist immer die Frage, worum es bei einem Ort, einer Stadt, einem urbanen Kontext geht. Wir wollen erst mal heraus finden, welche Rolle die
A S:
Haben Sie bestimmte Grundüberzeugungen?
B:
Die Körperlichkeit von Architektur ist für uns oft mals der Ausgangspunkt – D C:
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