Bussche Ich träume von einem Kuechengarten Callwey issuu

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ViKtoria Von dem Bussche

Ich träume von einem

K ü c h e n g a rt e n Die schönsten Inspirationen für das eigene Paradies

Dies ist eine Leseprobe

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Inhalt Inhalt Vorwort

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Porträt: Chatsworth House

Einführung

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Porträt: Der Garten des Terence Conran 108

1 Die Kunst des Paradieses 2 „So lasst uns denn vernünftig vom Paradiese reden.“

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14 Von „Cœur de Bœuf“ und Kalebassen

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Porträt: Saint-Jean de Beauregard

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Porträt: Château de Valmer

122

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3 Von himmlischen und irdischen Paradiesen

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Porträt: Château de la Bourdaisière

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4 Das wiedergefundene Paradies

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15 Der „Potager culinaire“

130

Porträt: Prieuré Notre-Dame d’Orsan

32

16 Von Köchen und Gärtnern

138

5 Das verlorene Paradies

38

Porträt: Der Potager des Raymond Blanc

140

Porträt: Château du Rivau

42 Porträt: Schloss Ippenburg

146

6 Das gestohlene Paradies

48 Porträt: Thomas Bühner – im Garten von Ippenburg

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17 „Wir müssen unseren Garten bestellen.“

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18 Die „grüne Kraft“ aus England

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7 „Von der eerlichen, zimlichen, auch erlaubten Wolust des Leibs.“

Porträt: Château de Villandry

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8 „Es ist Zeit, von Kohl und Königen zu sprechen …“

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19 Ein Potager muß nicht groß sein

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Porträt: Potager du Roi

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20 Die Qual der Wahl

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21 Das Nützliche und das Schöne

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9 Von „Franzobst, Frühtreiberei und Fruchtkäfigen“

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10 Happy is England!

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11 „… und drinnen waltet die züchtige Hausfrau …“

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12 Von Fürstenhöfen, Landgütern und Dichtergärten 13 Auf der Suche nach der verlorenen Zeit

22 Von guten und von schlechten Nachbarn 174 23 „Der Kompost ist der Bauch des Gartens.“ 178

90 100

24 Die Ernte

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Epilog

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Literatur / Öffnungszeiten

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Impressum, Bildnachweis, Dank

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kapitel 1

Die Kunst des Paradieses „Man muss nicht erst sterben, um ins Paradies zu kommen, solange man einen Garten hat.“ (Persische Weisheit)

Blick über den Küchengarten von

Wie alles, was mit uns Menschen zu tun hat, hat auch

Château de Valmer auf die „Ter-

der Küchengarten seinen Ursprung im Paradies. Dieses Paradies, das Vorbild wurde für die ersten Klostergärten und dadurch für alle Nutzgärten weltweit, lag in Persien. Vor mehr als 2500 Jahren entstand es in der großen Ebene von Marv-Dasht, östlich des Zagrosgebirges. „Überall, wohin der Perserkönig sich begibt, ist er eifrig besorgt, dass er dort Gärten findet, die sie Paradiese nennen; die voll sind von allem, was die Erde an Gutem und Schönem hervorbringt. Hier hält er sich den größten Teil der Zeit auf, wenn es die Jahreszeit nicht verbietet.“ (M. L. Gothein) Xenophon, ein Schüler des Sokrates, hatte die „Paradiese“ der Perser kennengelernt, als er das griechische Söldnerheer auf seinen Feldzügen um 400 v.Chr. begleitete. Begeistert erzählte er seinen Landsleuten nach seiner Rückkehr aus Persien von der Schönheit der „Paradiese“ und versuchte sie davon zu überzeugen, auch solche „Paradiese“ an ihren Landsitzen anzulegen. Besonders hatte es ihm der Palast- und Lustgarten des Artaxerxes angetan. Ein ummauerter Garten, durch Kanäle in vier gleiche Teile geteilt, mit einem quadratischen Wasserbecken in der Mitte. Die Kanäle und das Becken dienten der Bewässerung in dem sehr regenarmen Gebiet. Diese viergeteilte Anlage, die sich beliebig vergrößern und um Baumgärten und Wildgehege erweitern ließ, wurde als „Tschahar Bagh“ (tschahar bedeutet vier und bagh heißt Garten) Grundlage für die Gartengestaltung in Persien. Die muslimischen Araber übernahmen den

rasse des Vases d’Anduze“ und auf das „Petit Valmer“, das kleine Schloss.

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Gartenstil, als sie im 7. Jahrhundert Persien eroberten, und mit den arabischen Mauren, die vom 7. bis zum 14. Jahrhundert Spanien besetzt hielten, gelangte er nach Europa. Vorbild für die persischen „Paradiese“ wiederum waren die Pharaonenpaläste und Tempelanlagen der Ägypter. In großen Terrassen, von Mauern umgeben, erhoben sie sich über den Ufern des Nils. Darstellungen aus dem Mittleren Reich (ca. 2000 v.Chr.) zeigen Obstbäume, Wein, Blumen und dazu Gemüse in kleinen quadratischen Beeten. „Welch eine Fülle von Gemüsen der alte Ägypter baute, darum muss man die Opfertische befragen, die Gemüsekörbe, die dabei stehen, und die Festzüge. Lange Reihen von Männern trugen beladene Fruchtkörbe auf den Schultern …; dazwischen stehen auch schön geflochtene Körbe, hoch mit Gemüse aller Art beladen.“ (M. L. Gothein) Unter dem Perserkönig Dareios, ca. 500 v.Chr., gelangten die persischen „Paradiese“ zu großer Blüte und Prachtentfaltung. Sie waren Lustgärten, Jagdreviere und Grabstätten. Auch die Hebräer umgaben ihre Grabstätten mit Gärten. Sie gestalteten sie nach dem Vorbild orientalischer Baumgärten, so wie sie in der Genesis geschildert werden, mit allerlei Bäumen, die verschiedene Früchte gaben, mit dem Fluss, der im Garten Eden seine Quelle hatte und sich in vier Richtungen teilte, dem Baum der Erkenntnis und dem Baum des Lebens. Durch Xenophon gelangte das Wort Paradies in die griechische Sprache und wurde bei der ersten griechischen Bibelübersetzung für das hebräische



kapitel 1

Oben: Die Mauer des großen Küchengartens von Saint-Jean de Beauregard im Frühling.

Rechts: Papageientulpen und Vergissmeinnicht im Cottagegarten von Chatsworth, einem Teil des großen Küchengartens.

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„Garten Eden“ eingeführt. So entstand der Mythos vom Paradies. Noch in der „Vulgata“, der ersten lateinischen Bibelübersetzung, hieß es „paradisus voluptatis“, Garten der Lüste, von voluptas, lat. für Lust, Wollust. Im Zuge der Sinnenfeindlichkeit der christlichen Religion im frühen Mittelalter verschwand der Zusatz „voluptatis“ aus späteren Übersetzungen. Das „paradisus voluptatis“ war ein unter ägyptischen, persischen und griechischen Einflüssen entstandener Garten. Ein Garten, in dem Wein, Obst, Blumen und Gemüse in Fülle wuchsen, von Mauern oder Hecken eingefasst, mit Brunnen, Quellen und Wasserfällen geschmückt. Da auch die Ägypter, Perser, Griechen, Römer und Hebräer ihre Grabstätten mit üppigen Gärten schmückten, und sie in Gärten und Baumhainen errichteten, war der Weg vom himmlischen Paradies der Heiligen Schrift zum realen Paradiesgarten für die frühchristliche Kirche nicht weit. Das römische Atrium und der Portikus, der offene Säulenhof, wurden zum christlichen Claustrum.

Es hieß „das Paradies“ und lag direkt neben der frühchristlichen Basilika. Später, als die Kirche von hohen Mauern umgeben, zu einem Bestandteil großer Klosteranlagen wurden, war „das Paradies“ der Heil- und Nutzgarten der Mönche, ein geheiligter Raum, Abbild des von Gott als höchstem Gärtner angelegten Paradieses. Und wie bereits die Ägypter in ihren Tempel- und Palastanlagen, kultivierten die Mönche ihr Gemüse und ihre Kräuter in viereckigen, symmetrisch angeordneten Beeten. So folgten sie in der Struktur, Anordnung und Größe exakt dem Paradies der antiken Vorbilder. Und obwohl diese neue Religion durch ihre Ablehnung der orientalischen Prachtentfaltung und irdischen Sinneslust das Abendland in das „dunkle Mittelalter“ führte, legte sie in ihren Klöstern den Grundstein für alle Gärten, die in den folgenden Jahrhunderten entstehen sollten, und schufen die „Kunst des Paradieses“, die auch heute noch der Maßstab für alle Gartenkunst ist.


Die Kunst des Paradieses

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kapitel 2

„So lasst uns denn vernünftig vom Paradiese reden.“ „Das Höchste wäre, zu begreifen, dass alles Faktische schon Theorie ist. Die Bläue des Himmels offenbart uns das Grundgesetz der Chromatik. Man suche nur nichts hinter den Phänomenen. Sie selbst sind die Lehre.“ (Johann Wolfgang von Goethe)

Doch ehe ich mich auf die Spur mittelalterlicher Klos-

tergärten mache, möchte ich noch ein wenig beim Paradies verweilen. Wie geschah es, dass aus dem Tschahar Bagh, dem persischen Paradies, dieser Mythos entstand? Als „paradise lost“ und „paradise regained“, als verlorenes und als wiedergewonnenes Paradies, wie es John Milton im frühen 17. Jahrhundert beschreibt, hat das Paradies seinen Ursprung im Garten. Das Paradies ist der Garten und der Garten ist das Paradies. Ein Ort der Sehnsucht und der Erfüllung der Sehnsucht zugleich. Im Zuge der Verweltlichung des Paradiesmythos wurde er zunehmend verklärt, romantisiert und verkitscht. Das hat dazu geführt, dass alles, was mit dem Thema Garten zu tun hat, mit einer Mischung aus Zuckerguss und Mehltau zugedeckt wird. Kaum ein Gartenbuch, das nicht mit dem Zitat aus der Genesis beginnt, und darauf hinweist, dass Adam und Eva, nachdem sie aus dem Paradies vertrieben waren, den ersten Garten anlegten. „So lasst uns denn vernünftig vom Paradiese reden“, forderte Friedrich Schiller, der wie Johann Wolfgang von Goethe und Gotthold Ephraim Lessing für eine aufgeklärte Position im Umgang mit dem Paradiesmythos eintrat. Er kritisierte die Wortgläubigkeit der Kirche, die die Auffassung vertrat, dass man die Geschichte

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rund um den Sündenfall wörtlich nehmen müsse. Das Wort Garten, sowie das altpersische Wort pairi-daeza, bedeutet jedoch nichts anderes als „umzäunter, ummauerter Bereich“ – nicht mehr und nicht weniger. Und die ersten Gärten, die vor ungefähr 10 000 Jahren in Mesopotamien, in der Ebene von Euphrat und Tigris entstanden, sind weder mythisch noch mystisch. Dass sie im „Schweiß des Angesichts“ ihrer „Gärtner“ entstanden, ist allerdings anzunehmen. Es war die Zeit, in der die Menschen sesshaft wurden. Um ihr gesammeltes Hab und Gut zu schützen, bauten sie Mauern oder Zäune. Ur, die Königsstadt der Sumerer, lag am Westufer des Euphrats, der ähnlich wie der Nil alljährlich das Land überflutet. Wie alle Städte der Zeit, war auch Ur von einer hohen Mauer umgeben, innerhalb derer Obst und Gemüse angebaut wurde. Die Mauer schützte vor unerwünschten Eindringlingen und vor dem Sand, den die Überflutungen anschwemmten. Ob Stadtmauer, Palastmauer oder Gartenmauer: immer geht es um eine Abgrenzung nach außen. Gegen die Bedrohung durch die Natur, gegen unerwünschte Gäste oder, wie später in den Klöstern, gegen gefährliche weltliche Ablenkungen und Einflüsse. Abgrenzung hat mit Macht zu tun. Macht über die Menschen im Innern der Mauer, Macht über die Menschen, die draußen


bleiben, Macht über die Kräfte der Natur, die man sich „untertan macht“ im Innern der Mauer, sowie über den Wildwuchs, den man mit den Mauern draußen hält. Wie geschah es jedoch, dass aus dem äußerst profanen Nutz- und Lustgarten der Paradiesmythos entstand? Zunächst einmal hatte die Menschheit von Anfang an einen inneren Drang zum Jenseits. Die meisten antiken Völker glaubten, dass die Seele über den Tod hinaus in einer ähnlichen Welt weiter lebt. Der ganz konkrete Gegenstand, an dem man die Entstehung des Mythos dingfest machen kann, ist der Baum. Bäume waren allen antiken Völkern heilig: den Ägyptern, den Assyrern und Hebräern, den Persern, Griechen und Römern; ebenso den Kelten, den Germanen und allen anderen Urvölkern. Bäume oder Haine wurden als Sitz der Götter oder anderer übernatürlicher Wesen verehrt. Beispiele sind der Lebensbaum in Ägypten, die Sykomore, oder der Baum der Unsterblichkeit in China, der Pfirsichbaum. Die Thuja, heute Massenbaum und Heckenpflanze, trägt auch den Namen Lebensbaum und wurde früher hauptsächlich auf Friedhöfen gepflanzt. Die Seele, die nach dem Tod in ihrem Garten weilte, sollte es angenehm haben, was in der antiken Welt der Wüsten Schatten und Wasser bedeutete. Quellen, Bäche und Schatten spendende Bäume mit saftigen Früchten gehörten deshalb zur Ausstattung antiker Gärten und Haine. „Heilig aber in gewissem Sinne waren die Gärten dem Ägypter überhaupt ..., denn was er hier pflanzte, um sich im Schatten zu ergötzen und am Duft der Blumen zu erlaben, das ist eine Wohltat, die er seiner Seele erweist. Sie darf dann in der heißen Jahreszeit heraustreten aus dem Grabe, wo sie wohnt, und den kühlen Schatten genießen. ‚Dass ich mich ausruhe auf

„So lasst uns denn vernünftig vom Paradiese reden.“

den Zweigen der Bäume, die ich gepflanzt habe, und mich erfrische im Schatten meiner Sykomore.‘ Ganz tatsächlich und buchstäblich dachte sich der Ägypter diesen Vorgang ...“ (M. L. Gothein) Der „Garten Eden“ des Alten Testaments, die Grundlage des Paradiesmythos, war ein Lustgarten, der dem orientalischen Baumpark ägyptischer, babylonischer und persischer Gärten entsprach. Und nicht nur der orientalische Baumpark und die Quelle mit den vier Strömen – nein, auch die „lustwandelnde Seele Gottes in der Abendkühle im Schatten der Bäume“ steht in direkter Tradition des antiken Glaubens an die Seelen, die sich „erfrischen, im Schatten der Sykomore“. (M. L. Gothein) „‚Denn Jahve ließ aus dem Erdboden hervorsprießen allerlei Bäume, die schön zum Ansehen und gut zum Essen und mitten im Garten den Baum der Erkenntnis des Guten und des Bösen und auch hier den Baum des Lebens.‘ Spätere Redaktionen haben dann noch die nötige Bewässerung hinzugefügt, den Strom, der in Eden seine Quelle hatte, und von dem die vier Ströme ausgehen. Dieser Garten gab reiche Erfrischung sowohl durch seine Früchte, wie seinen lieblichen Schatten; selbst Gott lässt die naive, anthropomorphistische Erzählung in der Abendkühle in dem Garten lustwandeln.“ (M. L. Gothein) Erst das Christentum und der Islam verlegten das Paradies ins Jenseits. Die Bestattung der Toten in Hainen und Gärten behielten sie jedoch bei. Auch die Gestaltung des Friedhofs als Obstbaumgarten blieb in den christlichen Klöstern bis weit in das Mittelalter hinein die Regel, was u.a. der Plan des Klosters St. Gallen aus dem 9. Jahrhundert beweist. Seite 20-21: Morgenstimmung in Saint-Jean de Beauregard.

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kapitel 2

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„So lasst uns denn vernünftig vom Paradiese reden.“

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kapitel 3

Von himmlischen und irdischen Paradiesen „Der Gegenstand der Kunst ist die Schönheit der Form, während der Gegenstand der Kontemplation die Schönheit jenseits der Form ist.“ (Titus Burckhardt)

Es ist kaum zu begreifen: Eine über 4000 Jahre alte

Kultur ging einfach unter, verschwand im Dunkeln. „... wir wären römisch geworden …“, singt Heinrich Heine in seinem Spottgedicht auf die Deutsche Hermanntreue. Und schon, als ich noch sehr jung war, dachte ich immer: Ach, wie schön wäre das doch gewesen! Aber es war vorbei. Die Römer versanken im norddeutschen Schlamm, und „die blonden Horden“ übernahmen die Regie. Wie in einem Kaleidoskop purzelte alles durcheinander, setzte sich neu zusammen, stürzte wieder ein und bildete ein neues Bild, das, anfangs kaum zu erkennen, allmählich Konturen annahm. Mit seiner Lehre von Erbsünde, Buße und Askese, mit seiner Sinnenfeindlichkeit und Weltabgewandtheit brachte das Christentum eine große Unruhe über das Abendland bis weit in den Orient. Gleichzeitig trug es von Anfang an zur kulturellen Entwicklung bei. Da Brot und Wein für die Christen einen hohen symbolischen Wert besaßen, führten sie den Weinbau der Römer fort und zeigten den Germanen, die nur Brei und Grütze kannten, die Kunst des Brotbackens. Damit war schon ein wichtiger Teil der Kultur erhalten. Und die Christen bauten Gärten, genauso, wie sie es bei den Heiden gesehen hatten, in der Form des Tschahar Bagh, des viergeteilten Gartens, von Mauern umgeben, mit

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Bäumen, Blumen und Kanälen. Das Kreuz, das von den vier Kanälen gebildet wurde, wurde zum Symbol für das Kreuz Christi. So kam es, dass die Christen die klassische Kultur zunächst zerstörten, weil sie von Heiden und Ketzern stammte, sie aber durch die „Kunst der Paradiese“ fortführten und erhielten.

„Wälder bedecken das ganze Germanien und verbinden die Kälte mit dem Dunkel.“ (Plinius der Ältere)

Doch erst wurde es dunkel und still. Das Abendland versteppte. Denn das Ende des Weströmischen Reichs bedeutete auch das Ende einer einst blühenden städtischen Zivilisation in Europa. Germanen und Hunnen sowie Reste der römisch geprägten Landbevölkerung bildeten eine bäuerliche Zivilisation, die mit dem täglichen Kampf ums Überleben beschäftigt war. Es war ein Kampf gegen eine sich immer weiter ausbreitende Natur, die Städte und Wegenetze mit Wald, Gestrüpp und Dornen überzog und eine ehemals blühende Kultur mit einem dichten Teppich wuchernder Vegetation bedeckte.

Das Oströmische Reich mit der Hauptstadt Byzanz stand im Gegensatz dazu kulturell unter dem Einfluss des Hellenismus, Mesopotamiens und Persiens. Orientalische Prachtentfaltung und griechischer Ordnungssinn hatten eine gärtnerische Blüte hervorgebracht, die den frühen Klostergründungen zum Vorbild wurde, was später auch auf die abendländischen Klöster ausstrahlte. Augustinus, einer der Kirchenväter der katholischen Kirche, geboren im Norden des heutigen Algeriens, wuchs in diesem geistigen und ästhetischen Umfeld heran. Sein Weg führte ihn von Thagaste, seinem Geburtsort, nach Karthago, Rom und Mailand, bis er Bischof von Hippo, einer Stadt an der nordöstlichen Spitze Algeriens, wurde. So wie seine geistigen Vorgänger Plato, Epikur, Theophrast und Buddha ihre Schüler in Gärten und heiligen Hainen versammelten, baute auch er sein erstes Kloster in einem Garten. „In einem Garten (hortus)“, so erzählt Augustinus über seine Gründung in Hippo, „den der Greis Valerius mir geschenkt hatte, versammelte ich Brüder, die mir an guten Vorsätzen gleich waren. Die nichts besaßen, wie ich nichts besaß, und die mich nachahmten.“ (M. L. Gothein) Der Begriff „Hortus“, mit dem Augustinus den Garten bezeichnet, war der lateinische Begriff für Landhaus oder Villa. Viele der ersten Klostergründungen basierten

Meditative Ruhe war ein Teil des klösterlichen Lebens – hier im Garten der mittelalterlichen Burg Le Rivau in der Nähe von Tours.

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von himmlischen und irdischen Paradiesen

auf Schenkungen solcher Villen, und es ist überliefert, dass allein in Frankreich im 7. Jahrhundert mehr als 200 Klöster auf den Fundamenten ehemaliger römischer Villen gegründet wurden. So wurde die „Architektur des Paradieses“, die diesen römischen Villen zugrunde lag, zum gestalterischen Leitbild des abendländischen Klosters. Im Schutz der hohen Mauern hatten die Mönche sich, als Spiegel des himmlischen Paradieses, ihr eigenes Paradies erschaffen und führten darin ein friedliches, stilles Leben. Die religiöse Bedeutung dieses Orts berechtigte die Mönche, ihr irdisches Paradies über alles zu lieben, sich an dem Duft der Blumen zu berauschen, den Wein zu trinken und die Früchte zu genießen. Schon im 10. und 11. Jahrhundert wird das klösterliche Paradies mehr und mehr zu einem Ort sinnlicher

Freuden. Der Lustgarten, zwar immer noch überhöht durch die christlichen Heilslehre, entwickelt eine ganz eigene sinnliche Kraft und wird zum Vorbild für die Lustgärten der Ritter auf ihren Burgen und die prachtvollen Stadtgärten und Landsitze reicher Patrizier. Die Entwicklung zum „Paradisus Voluptatis“, dem Garten der Lüste, war denn auch manchen frommen Ordensleuten verdächtig. So warnt schon im 12. Jahrhundert die Äbtissin des Klosters Hohenburg im Elsass in ihrer Schrift zur Belehrung der Ordensfrauen vor der übermäßigen Hinwendung zum irdischen Paradies. In einem Beispiel lässt sie einen Mönch auf der Tugendleiter ganz nach oben gelangen. Als er zurück „auf sein blühendes Gärtchen“ schaut, erfasst ihn die Sehnsucht und er stürzt „hinab unter die Beete, weil er das irdische Paradies dem himmlischen vorgezogen hatte.“ (M. L. Gothein)

Oben: Der Innenhof von Le Rivau mit Brunnen, Obstgarten und Gemüsebeeten ganz im Stil mittelalterlicher Klostergärten.

Links: Im Schutz der hohen Mauern hatten die Mönche sich, als Spiegel des himmlischen Paradieses, ihr eigenes erschaffen und führten darin ein friedliches Leben.

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kapitel 4

Das wiedergefundene Paradies „Der Ort im Kloster, wo man Gott am nächsten ist, ist nicht die Kirche, sondern der Garten. Dort erfahren die Mönche ihr größtes Glück.“ (Pachomius)

„Ora et labora“, diese jahrtausen-

Ex oriente lux – das Licht kommt aus dem Osten. Die

dealte benediktinische Ordensregel

ersten Klöster wurden in Byzanz gegründet. Die Klöster waren gut vernetzt und auch das alte Wissen drang allmählich wieder aus dem Dunkel hervor. Die „Kunst des Paradieses“ kannte auch der Mönch Benedikt von Nursia, der Anfang des 6. Jahrhunderts das erste Benediktinerkloster auf dem Monte Cassino in Italien gründete. Benedikt wollte nicht, dass seine Mönche den ummauerten Garten verließen. Die Verlockungen der verdorbenen Welt sollten draußen bleiben. Deshalb sorgte er dafür, dass innerhalb der Mauern alles, was für das Leben der Mönche notwendig war, angebaut und produziert werden konnte. Seine Ordensregeln, die das tägliche Leben der Mönche in das berühmte „Ora et labora“ einteilten, sowie die Autarkie und Autonomie des Klosters gaben den Anstoß für eine blühende wirtschaftliche und geistige Entwicklung der Klostergeschichte, weshalb Benedikt ohne Übertreibung „Vater des zivilisierten Abendlandes“ genannt werden kann. Die benediktinische Ordensregel umfasste 73 Kapitel, in denen der gesamte Tagesablauf der Mönche festgelegt war. „Ora et labora et lege“, „Bete, arbeite und lese“, das war die Quintessenz der Regeln. Das Lesen, Abschreiben, Übersetzen und Redigieren der antiken Schriften war neben der Kultivierung des Bodens die Tätigkeit, die der Nachwelt die größten Früchte hinterlassen hat. Zu den Werken, die den Lehrplan der Mönche bestimmten, gehörten neben denen der antiken Ärzte, wie Dioskorides, Hippokrates und Galen, auch die

gilt auch heute noch für die Benediktinerschwestern der Abtei Fulda

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Schriften des Theophrast, der im 2. Jahrhundert v.Chr. eine erste Geschichte der Pflanzen verfasst hatte und am Lyzeum, der Philosophenschule des Aristoteles, den ersten botanischen Garten gegründet hatte. Außerdem die „Re Rustica“ von Columella, einem römischen Schriftsteller und Zeitgenossen von Seneca, der auf einem Landgut in der Nähe von Rom lebte und, gestützt auf griechische und römische Quellen, über die eigenen praktischen Erfahrungen als Gutsbesitzer berichtet. Plinius der Ältere, der 79 n.Chr. beim Ausbruch des Vesuvs ums Leben kam, kannte Columella und schätzte ihn als „ausführlichsten, elegantesten und sachkundigsten unter den … uns allein noch übrigen römischen Agronomen“. (K. J. Strank) Die „Historia Naturalis“ ist das einzige Werk, das von Plinius dem Älteren erhalten blieb. Es ist eine Enzyklopädie in 37 Bänden, in der er das zeitgenössische Wissen über Kosmologie, Geografie, Mineralogie, Botanik, Zoologie, Anthropologie und Architektur aus etwa 2 000 Werken von über 100 Autoren zusammengetragen hatte, eine Art „Brockhaus der Antike“ (F. Wagner / M. Nickig). Eine besondere Bedeutung haben die Klöster für die sogenannte „Karolingische Renaissance“. Karl der Große stützte sich bei der Neuordnung seines Reiches fast ausschließlich auf die Kirche, insbesondere auf den Benediktinerorden und die irischen Mönche. Einer ihrer wichtigsten Gelehrten, der auch vorübergehend Leiter der Hofakademie in Aachen war, ist Alkuin von York, Sohn einer angelsächsischen Adelsfamilie, und ein bedeutender Vermittler der in England und



kapitel 4

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Irland durch die Zeit der Völkerwanderung hindurch geretteten lateinischen Bildung. Das Ziel Karl des Großen war, das Erbe der Antike, die Ideen des Christentums und die Kraft der germanischen Völker, die den Großteil seiner Untertanen bildeten, miteinander zu verschmelzen. Besonderen Wert legte Karl der Große auf die Kultivierung des Bodens. Durch die „Capitulare de Villis“, die Landgüterverordnung von 812 n.Chr., schuf er ein logistisches Meisterwerk, das weit über seine Zeit hinaus Bedeutung erlangen sollte. In seiner Verordnung gab er klare Anweisungen zur Bodenbearbeitung, Saatgutproduktion und zur Hygiene im Umgang mit Lebensmitteln in Schlachtküchen, Mostereien und Bäckereien. Das Dekret forderte, dass jede Domäne einen Garten anlegen sollte, in dem „sämtliche Kräuter“, insgesamt 73, sowie 16 verschiedene Obst- und Nussbäume gezogen werden sollten. Diese Liste ist der älteste Nachweis der Pflanzen Nordeuropas nach der „dunklen“ Zeit des Frühmittelalters (P. Hobhouse). Der Gartenplan von St. Gallen, der aus der gleichen Zeit stammt, zeigt eine für die Zeit typische Klosteranlage mit allen notwendigen Gebäuden, Baumgärten und Blumengärten, sowie einem Arzneiund Kräutergarten, der in 16 gleich große quadratische Felder eingeteilt ist. Der Gemüsegarten, der um vieles größer ist, besteht aus 18 gleich großen, zu einem großen Rechteck zusammengefügten Flächen. Neben dem Gemüsegarten liegt der Gänse- und Hühnerstall, dann folgt der Friedhof der Mönche, der zugleich, nach antikem Vorbild, als Obstgarten dient. Der Dichter Walahfried Strabo, der zu Lebzeiten Karls des Großen geboren wurde, besingt in seinem Gedicht „Hortulus“ den Gartenbau und beschreibt, „wie er selbst mit seinen Händen in der Erde wühlt, Unkraut rupft, sät, pflanzt und sich seines kleinen Gartens erfreut“.

Das wiedergefundene Paradies

Die Pflanzenliste Karls des Großen, der Klosterplan von St. Gallen und die ausführliche Beschreibung des Dichters Walahfried Strabo ergeben zusammen ein lebendiges Bild des praktizierten Gartenwissens im 9. Jahrhundert, das als fortwährendes Erbe der Mönche bis weit in unsere Zeit Bestand hat. Noch im 16. Jahrhundert, als der Engländer Thomas Hill sein erstes Buch über den Gartenbau verfasste, stützte er sich hauptsächlich auf die griechischen und römischen Werke, die durch die Mönche der großen Orden des Mittelalters überliefert waren. Voller Respekt für die „worthie Antients“ ordnete er an, dass die Gärten der Tudorzeit im Stil der antiken Gärten angelegt werden sollten. So, wie im Plan von St. Gallen, sollten die Beete der Gemüsegärten lang und schmal und nach römisch-persischem Vorbild überall von kleinen Bewässerungskanälen umgeben sein. Die Breite der Beete sollte, nach römischem Vorbild, nie mehr als die doppelte Armlänge des Gärtners betragen, sodass der Gärtner die Beete von beiden Seiten erreichen konnte, ohne sie betreten zu müssen. Die Verbindung des Nützlichen mit dem Schönen wurde durch die Einfassung der Beete mit Blumen verschiedener Art erreicht. (S. Cambpell)

Links: Obst, Gemüse, Kräuter und Blumen in frühsommerlicher Ordnung im Ippenburger Küchengarten.

Seite 30-31: Morgenstimmung im Küchengarten von Schloss Ippenburg.

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Portr채t

Ch창teau de Villandry

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ChÂteau de Villandry

Als Joachim Carvallo Schloss Villandry 1906 kaufte, war es ein englischer Landschaftspark. Stützmauern und Fundamente waren unter von Gras überzogenen Erdhügeln bedeckt, Wege schlängelten sich durch Wiesen. In 12 Jahren schuf Joachim Carvallo nach Vorbildern der Frührenaissance dieses Kunstwerk, das heute Millionen Menschen aus der ganzen Welt anlockt.

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porträt

Villandry ist der Sieg der Kunst über die Natur. Was in der Spätrenaissance begann, wurde in den Gärten des Barocks immer mehr perfektioniert. Die Pflanze wurde zum reinen Werkstoff. In Villandry, diesem grandiosen Schauspiel aus Ornament und Pflanze, 60

wird jedoch tatsächlich geerntet – allerdings immer nur ein ganzes Beet auf einmal. Ein faszinierendes Beispiel für die Realisierung einer Idee wider alle praktische Vernunft.


ChÂteau de Villandry

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Portr채t

Der Garten des Terence Conran

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Der Garten des Terence Conran

Terence Conrans Leidenschaft für den Garten wurde in seiner Kindheit in Dorset und Devon geboren. Er hatte eine Tante, die eine „echte Pflanzensammlerin“ war und ständig ins Vorgebirge des Himalaya reiste um dort Pflanzen für ihre „Feuchtbeete“ in den Hochmooren von Devonshire zu sammeln. Ein 200 Jahre altes, vollkommen verwahrlostes Landhaus verwandelte Terence Conran in sein eigenes Paradies. In seinem „hortus conclusus“ findet er die Inspirationen, die er für seine zahlreichen, großen Projekte außerhalb dieser Mauern braucht.

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Der Garten des Terence Conran

Terence Conran ist ein Allroundgenie. Er ist einer der führenden Designer, Möbelproduzenten und Einzelhändler der Welt, Autor zahlreicher Bücher und Einrichtungen von Stadt- und Landhäusern, sowie erfolgreicher Gartenbuchautor, Gartendesigner, Gärtner und Gartenphilosoph. Als Schüler lernte er das Töpferhandwerk, liebte Kunst, Musik und Literatur und ging anschließend an die Kunstakademie, die „Central School of Arts and Crafts“ in London.

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portr채t

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Der Garten des Terence Conran

„Gemüse habe ich schon immer gerne gezogen. Ein Gemüsegarten kann wunderschön aussehen. Ich ziehe zwischen meinen Gemüsereihen gern Wicken und Clematis an hohen Gerüsten, dazu Bohnen, Kletterzucchini und Gurken – die sind dekorativ, bequem zu pflücken und weniger schneckenanfällig. Wer selbst Gemüse zieht, wird sich der Jahreszeiten wesentlich bewusster. Auf meine Freude, wenn ich in den ersten Spargel stechen darf, folgt ebenso großes Bedauern, wenn es heißt, das Messer beiseite legen. Dann aber kann ich schon die ersten winzigen Erbsen und dicken Bohnen ernten und die allerersten neuen Kartoffeln. Und wie gut schmeckt der junge Rettich ‚French Breakfast‘!“ (Terence Conran)

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Kapitel 23

„Der Kompost ist der Bauch des Gartens.“ „All die Reste eines sommerlangen, üppigen Pflanzenlebens treten ihre letzte Reise zum Kompostplatz an. … Aber sie verschwinden nicht in einem wesenlosen Nichts. Sie zerfallen in winzige Bausteine, aus denen dann andere Gestalten zusammengesetzt werden.“ (Marie-Luise Kreuter)

In kleinen Gärten ist es sinnvoll,

Dieser Ausspruch stammt von Marie-Luise Kreuter, die

einen kleinen Kompostkasten zu

vor wenigen Jahren viel zu früh starb und deren Buch über das biologische Gärtnern ich gleich in vierfacher Ausgabe besitze, eines fürs Haus, eines für draußen und zwei für meine Mitarbeiter. Sie ist so etwas wie die „Vierzehn Nothelfer“ in einer Person, und wie gern hätte ich sie zu Beginn meiner „Karriere als Küchengärtner“ in allen Dingen persönlich befragt. Bei dem schwierigen Kapitel Kompost bediene ich mich der „Vierzehn Nothelfer“ mehr denn je, und da ich über keine eigenen Erfahrungen beim Kompost verfüge, werde ich hier versuchen, die Dinge, die mir wichtig erscheinen und die ich für meine Kompostwirtschaft anwenden werde, zusammenzufassen. „Du bist heute an der Reihe! Der Komposteimer ist voll!“ – Erinnern Sie sich auch daran? Das Heraustragen des Komposteimers gehörte für mich zu den schlimmsten Strafen. Das „Komposttrauma“ meiner Kindheit und Jugend hat bewirkt, dass ich bis heute keinen Komposthaufen besitze. Ich habe Angst vor Gestank, vor Fliegen, vor Ratten und vor anderen Tieren, die über Nacht kommen und alles auseinanderrupfen. Nun, nachdem ich einen riesigen Küchengarten besitze und ein Jahr lang alle wertvollen Gemüsereste

bauen, dessen eine Seite man später öffnen kann. Die Luftlöcher sind wichtig für die notwendige Sauerstoffzufuhr. Die Aufnahme (Foto rechts) entstand im Küchengarten des Ausstellungsgeländes von Chaumont-sur-Loire in Frankreich.

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auf meinen Grünabfallhaufen geworfen habe, der am Rande des Gutshofes liegt und vollkommen unsystematisch einfach nur immer höher, breiter und länger wird, habe ich beschlossen, einen professionellen Komposthaufen anzulegen. Schon bei der Herbstarbeit habe ich damit begonnen, alles, was im Küchengarten anfiel, auch dort zu lassen – anders als in den Vorjahren, als ich tonnenweise Grünschnitt einfach wegwarf. Mit einem Häcksler wurde alles zerkleinert und als dicke Mulchschicht auf den Beeten, die zuvor gefräst wurden, verteilt. Mulchkompost nennt es Marie-Luise Kreuter, und empfiehlt, im Frühjahr nur die Saatrillen und Pflanzlöcher freizulegen und den Rest als Mulchdecke zu belassen. Falls die Mulchdecke bei der Aussaat stört, weil sie noch zu grob ist, kann ich sie jederzeit zusammenharken und als fantastisches Ausgangsmaterial für meinen neu angelegten Komposthaufen verwenden. Mulchdecken sind ja eine tolle Sache – ich werde sie, da ich jetzt im Besitz dieses wunderbaren Häckslers bin, im nächsten Jahr ganz gezielt einsetzen, zum Beispiel Brennnessel- und Beinwellhäcksel, die wunderbare Nährstoffe enthalten und die Humusbildung anregen. Für den Kompost verwende ich eine der großen Kisten, die ich in diesem Jahr als Hochbeet für Zucchinis



Kapitel 23

und Kürbisse baute. Die Kiste hat in der Breite die von Frau Kreuter geforderten „Idealmaße“ von zwei Metern und eine Gesamtlänge von sieben Metern, was bei der Fläche meines Küchengartens, die etwas über 3500 Quadratmetern liegt, genau für ein Jahr reichen müsste. Im nächsten Jahr kann ich den Kompost auf die Nachbarfläche umsetzen und den frischen Kompost wieder in der Kiste stapeln. Nach gründlichem Studium der Grundsätze zur Kompostwirtschaft habe ich mich, ähnlich wie bei der Mischkultur, für eine Vereinfachung des Vorgehens entschieden. Zunächst werde ich 20 Zentimeter Boden innerhalb der Kiste entfernen und mit einer Mischung aus Sand, halbfertigem Humus aus meinem Grünabfallhaufen und ein bisschen Laubhumus auffüllen. Damit hole ich mir schon eine ordentliche Zahl an kleinen Tierchen in den Komposthaufen, die später für die Verwandlung meiner Abfälle zu Humus zum Einsatz kommen. Als nächste Schicht folgt grob gehäckseltes Pflanzenmaterial als Luftschicht. Ab dann wird es ernst. Es gibt ein paar wichtige Grundvoraussetzungen, die beachtet werden müssen. Der wichtigste Grundsatz ist eine Ausgewogenheit aus feuchtem und trockenem, feinem und grobem Material, also die Versorgung des Kompostlagers mit Sauerstoff. Ebenso wichtig ist das richtige Verhältnis von Kohlenstoff und Stickstoff, das verantwortlich ist für die „Verdauung“, die in dem „großen Bauch des Gartens“ stattfindet. Ich werde also neben den Komposthaufen immer einen Haufen Erde lagern, z.B. halbfertigen Humus aus Lauberde oder dem Grünabfallhaufen, und das Steinsand-und-Erde-Gemisch, das ich alljährlich von den

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Wegen meines Küchengartens entferne, sowie etwas Stroh, für den Fall, dass ich große Mengen frische Grünmasse habe. Bei Grünmasse, z.B. geschossenem Salat und Spinat oder Rasenschnitt, kann ich dann den Stickstoffüberhang und die Feuchtigkeit durch die Beimischung von Stroh auffangen, sowie eine schnellere Verrottung durch das Hinzufügen von der bereit liegenden Erde herbeiführen. Der Häcksler bleibt den ganzen Sommer neben dem Komposthaufen stehen, denn das Zerkleinern des Materials, also die für die kleinen Tierchen „mundgerechte“ Zubereitung der Kompostmasse, sorgt für eine schnelle Zersetzung und Humusbildung. All das, diese Gegenstände und Haufen sehen nicht gerade hübsch aus, deshalb werde ich wohl einen kleinen Miniaturschuppen bauen, um den Häcksler und auch die Strohballen zu verstauen und sie gleichzeitig vor Regen zu schützen. Den klassischen „Komposteimer“ in der Küche wird es bei mir nach wie vor nicht geben, da ich die anfallenden Küchenabfälle täglich rausbringe und sie sofort mit der oberen Schicht vermische. Von den Küchenabfällen sind sowieso nur ungekochte Reste für den Kompost geeignet, also die gesamten Reste, die bei der Verarbeitung von Obst und Gemüse anfallen, wie Schalen, Strünke, Stiele oder Blätter. Da ich noch sehr altmodisch Kaffee im Filter aufgieße, werde ich da jede Menge bestes Material haben, auch Eierschalen, die ich schon direkt in der Küche zerkleinere, sind sehr gut. Das war’s dann auch schon, also ein Komposteimer ist wirklich nicht nötig. Ein Komposthaufen darf weder zu feucht sein noch zu trocken. Der Standort soll warm, aber nicht der


„Der Kompost ist der Bauch des Gartens.“

brennenden Mittagshitze ausgesetzt sein. Bei trockener Wetterlage muss er gegossen werden, ein Zuviel an Nässe entsteht nicht, wenn genügend luftiges Material beigemischt wird und die Dränageschicht am Boden gut angelegt wird. Das Problem der Bewässerung löse ich damit, dass der Komposthaufen im Einzugsbereich einer meiner elf kreisenden Beregnungsanlagen steht, die bei Trockenphasen jederzeit angestellt werden können. Für den Schatten in der Mittagshitze sorgen ein paar in der Nähe stehende Bäume, und der Windschutz ist durch eine Mauer und eine Hecke gegeben.

„Aus den Resten eines vergangenen Gartenjahres wächst neue Erde für die Fruchtbarkeit kommender Jahreszeiten. Grüne Blätter und bunte Blüten wandeln sich in braunen Humus!“ (Marie-Luise Kreuter)

Das klingt alles ganz einfach. Das Entscheidende ist wohl, dass wir begreifen, dass es sich hier um die Zubereitung von Bodennahrung handelt und nicht um Abfallbeseitigung. Es ist also eine Frage des Bewusstseins. Nennen wir den Komposthaufern doch einfach Humusfabrik und gehen wir die Sache ein wenig alchemistisch an. Hier ein paar Ballaststoffe, ein wenig feuchtes, ein wenig trockenes Material, ein wenig halbfertiger Humus, der ordentlich „Kleintiere“ mitbringt, genügend Sauerstoff und Wasser, genügend Stickstoff – alles schön zerkleinert und vermischt –, das ergibt nach

neun, spätestens zwölf Monaten einen schönen Humus. Das Wort Kompost kommt übrigens von „compositum“, „componere“ aus dem Lateinischen, und heißt ganz einfach Zusammenstellung. Werden wir zu Komponisten, betreiben wir das Ganze kreativ und künstlerisch, zum Beispiel, indem wir bestimmte Kräuter und Pflanzenarten sammeln, die besondere Kräfte haben, oder Stoffe, die die Humusbildung besonders fördern. Wer übrigens nicht warten will, bis der Kompost reif ist, kann das Ganze nach drei Monaten als Mulchdecke auf den Beeten verteilen – auch das ist eine Möglichkeit. Man kann den unfertigen Kompost zum Beispiel im Herbst auf den leeren Beeten streuen und mit einer frischen Mulchschicht aus gehäckselten Pflanzenresten bedecken. Das erspart das Umsetzen, und man kann im Frühjahr am selben Standort wieder von vorn beginnen. Wenn man den Kompost aber nicht als Mulch verteilt, sondern ihn über den Winter ruhen lässt, sollte man ihn mit einer wärmenden Hülle bedecken, damit nicht zu viel von seiner inneren Wärme entweicht. Eine Erdschicht, die anschließend mit einer Laubschicht bedeckt wird, eignet sich da besonders gut und bietet zugleich noch Unterschlupf für allerlei Getier.

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Kapitel 24

Die Ernte „Der Garten ist der Ort, an dem die Wiedergewinnung vergangener Zeit stattfindet. Denn all diese Dimensionen der Vergangenheit kommen zusammen auf diesem kleinen Stück Land …“ (Robert Harrison)

Ernten. Was alles in diesem Wort mitschwingt! Freude,

Fülle, Tanz – aber auch Tod. „Der Tod, der ist ein Schnitter …“ – ein „Sensenmann“. Diese mittelalterliche Personifizierung des Todes hat etwas Faszinierendes. Ich bin ein Landkind und spüre noch heute die freudige Anspannung, die alle Erwachsenen ergriff, wenn die Ernte begann. Diese fast kindliche Begeisterung, mit der sie in sengender Sonne auf den Feldern arbeiteten, das Klappern der Dreschmaschinen bis in die Nachtstunden, das Schaukeln hochbeladener Heuwagen auf sandigen Feldwegen und die Kartoffelfeuer, die wie unheimliche Zeichen die Nacht erleuchteten – das sind Bilder meiner Kindheit, die ich heute für ein Märchen hielte, hätte ich sie nicht selbst gesehen und erlebt. Das Erntedankfest war neben Weihnachten und Ostern das wichtigste und sinnlichste Fest des Jahres. Ich erinnere mich noch deutlich an diese Mischung aus Lust an den barocken Bildern der üppigen Erntegaben vor dem Altar und dem Gefühl der Beklemmung, das mich überfiel, wenn ich in die von weihevollem Ernst erfüllten Gesichter der Kirchgänger schaute. Dort, wo ich aufwuchs, lebten weit über die Hälfte der Menschen von der Landwirtschaft und hatten große Gemüsegärten, die ihnen Vorräte für den Winter lieferten. Sie waren abhängig von der eingebrachten Ernte. Not, Tod und Krieg „saßen ihnen noch in den Knochen“, und sie dankten nun für das „tägliche Brot“, das damals noch nicht so „alltäglich“ war wie heute. Die unbekümmerte Freude am Erntedankfest mit „Erntegabe“ und „Erntekrone“ ist unserer Generation, angesichts der Pervertierung, die es mit der Einführung des „Reichserntedankfestes“ der Nationalsozialisten erfuhr, nachhaltig vergangen.

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Kapitel 24

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Die Ernte

Auch hier hat die Ökologiebewegung, ähnlich wie beim Bauerngarten, eine Renaissance eingeläutet. Landlust, Erntekranz, Kartoffelfeuer – alles ist wieder da. Die Bilderflut, die uns aus den Hochglanzblättern entgegenschwappt, befriedigt archaische, im Unterbewusstsein verborgene Wünsche und weckt die Sehnsucht nach dem Leben auf dem Land, eine Sehnsucht, die auf dem besten Wege ist, die Paradiessehnsucht der letzten 2000 Jahre zu ersetzen.

„Glück – ein kultiviertes Gut!“ Seitenweise wird über Chutneys, Marmeladen, Öle, Essenzen, Pies, Cakes und Tartes berichtet, mit „mundwässernden“ Fotostrecken unterlegt, alles zum Greifen, zum Hineinbeißen nahe. Der Zeitgeist ist dem Küchengarten wohlgesonnen. Er holt ihn aus der „Nutzgartenecke“ heraus, befreit ihn vom „SchrebergartenSpießertum“ und verleiht ihm die Wertschätzung, die er verdient hat. Endlich ist es wieder erlaubt, ja gewünscht, sich an den Gaben der Natur zu freuen, sie zu zelebrieren, zu fotografieren, öffentlich darüber zu schreiben, sie zum Tischgespräch zu machen und Filme darüber zu drehen. Und auch wenn diese Lust am Archaischen zum Teil sehr „altbackene“ und oft groteske Züge annimmt, so ist es sie doch ein wichtiger Meilenstein auf dem Weg zu der notwendigen Teilhabe und Wertschätzung, ohne die Nachhaltigkeit nicht gelebt werden kann.

Liebe und Wertschätzung für die Gaben der Natur kann man nicht dekretieren. Sie sind wie eine Saat, die auf den Boden fällt, keimt, wurzelt und wächst. Durch Bilder, die an Erinnerungen anknüpfen, die tief im menschlichen Unterbewusstsein liegen, beginnt die „Saat“ zu keimen. Und auch wenn dieser Zeitgeist mit seiner Bilderflut, die sich häufig jenseits der „Kitschgrenze“ befindet, Illusionen und Utopien verkauft und für viele nur der Ersatz ist für das wirkliche Landleben, ist er doch der entscheidende Impuls, der besonders junge Menschen ermutigt, einen eigenen Garten am Haus, im Schrebergarten oder irgendwo auf gepachtetem Land anzulegen. Wenn dann die erste Frucht geerntet ist und die erste eigene Kartoffel auf der Zunge zergeht, dann ist „die Tür zum Paradies geöffnet“, wir sind am Ziel unserer Wünsche. Und auch wenn die Wirklichkeit unseres Paradieses niemals an die Hochglanzbilder heranreichen wird, ist es uns doch immerhin gelungen, ein kleines Stück vom Glück zu gewinnen und mit den eigenen Sinnen zu erfahren, dass „menschliches Glück ein kultiviertes Gut und kein Konsumgut ist“. (R. Harrison) Mit der Kultivierung des Bodens kultivieren wir uns selbst, unseren Geist und unsere Seele. Diese Ernte ist mehr als Genuss und Nahrung. Sie ist „ein kultiviertes Gut“, das nicht nur den, der es erntet, glücklich macht, sondern weit über den Gartenzaun hinaus Wirkung zeigt.

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Die schönsten Küchengärten Europas – von Chatsworth und Highgrove über Saint-Jean de Beauregard, Château de Valmer und Prieuré Notre-Dame d’Orsan bis Versailles Viktoria von dem Bussche, leidenschaftliche Gärtnerin und Besitzerin von Deutschlands größtem Küchengarten auf Schloss Ippenburg, begibt sich auf eine Zeitreise durch die abwechslungsreiche Geschichte des Küchengartens. Diese beginnt im „Paradies“ und endet bei Kompost, Kohl und Kapuzinerkresse. Die Autorin begegnet Mönchen und Königen, Dichtern und Köchen sowie anderen berühmten Personen, die alle eines gemeinsam haben: ihre Liebe und Leidenschaft zum Küchengarten. Fotograf Gary Rogers reiste vor Ort und hielt in eindrucksvollen Bildern die Einzigartigkeit der schönsten Potagers Europas fest. Es entstand ein aufwändiger Bildband, der die Geschichte mit praktischen Tipps vereint und der Inspirationen für die eigene Gestaltung gibt. • Die mitreißende Geschichte des Küchengartens: Vom „Paradies“ bis zum Trend „Urban Gardening“ • Ein eindrucksvoller Bildband über die schönsten Potagers Europas • Gartenexpertin und Autorin Viktoria von dem Bussche gibt praktische Tipps für die eigene Gestaltung

ISBN 978-3-7667-1954-6

,!7ID7G6-hbjfeg! www.callwey.de


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