GARTENREISEN Romantische England
in – Anja Birne –
Zu Besuch in den schönsten Gärten mit köstlichen Rezepten
GARTENREISEN Romantische England
in – Anja Birne –
Zu Besuch in den schönsten Gärten mit köstlichen Rezepten
6 Einleitung
Kent und East Sussex
14 Sissinghurst Castle Gardens
20 Great Dixter House & Gardens
24 Pashley Manor Gardens
28 Hole Park Gardens
30 Pflanzenporträt Bluebells
32 Doddington Place Gardens
34 Goodnestone Park Gardens
38 Reisetipps
East und West Sussex
42 Wakehurst Place
West Dean Gardens
Woolbeding Gardens
50 Petworth House And Park 52 Town Place Gardens
54 Gravetye Manor Gardens
William Robinson
Reisetipps
London
62 Garden Museum
64 Chelsea Physic Garden
70 Living Wall Athenaeum
72 Royal Botanic Gardens, Kew 75 Botanical Art
76 Rhs Chelsea Flower Show
78 Keeper’s House
80 Londons Junge Gartenszene 82 Reisetipps
Hampshire
86 RHS Garden Wisley 90 Mottisfont Abbey Gardens 92 Hinton Ampner 94 Reisetipps
Somerset
98 Hestercombe Gardens 101 Gertrude Jekyll 102 Tintinhull Gardens
Stourhead 106 East Lambrook Manor Gardens 110 Reisetipps
Cornwall
114 Knighthayes Court 116 St. Michael’s Mount 118 Trebah Garden 122 Caerhays Castle 126 Tresco Abbey Garden
Reisetipps
Cotswolds
132 Hidcote Manor Gardens
Pettifers 140 Bourton House Garden
142 Broughton Grange 144 Rousham House Gardens 148 Rodmarton Manor
151 Arts-And-Crafts-Bewegung 152 Reisetipps
Essex und Cambridge‑ shire
156 Marks Hall Garden & Arboretum
158 Anglesey Abbey & Gardens
162 Jagd nach Schneeglöckchen
164 Ulting Wick Garden
166 Reisetipps
Suffolk
170 Helmingham Hall Gardens
173 Knotengarten
174 Somerleyton Hall & Gardens
176 Wyken Hall Gardens
180 East Bergholt Place 182 Reisetipps
Norfolk
188 Felbrigg Hall & Gardens
190 Old Walled Kitchen Gardens
192 Blickling Hall & Gardens
196 Houghton Hall & Gardens 200 Reisetipps
Lake District
204 Holker Hall & Gardens
206 Hill Top Farm & Gardens
210 Kinderbuchautorin Beatrix Potter
212 Levens Hall & Gardens
215 Topiary
216 Reisetipps
Rezepte
218 Zum Afternoon Tea
230 Service-Anhang mit allen wichtigen Adressen und weiteren Tipps
239 Literatur, Bildnachweis, Gartenreise-Veranstalter
240 Impressum, Dank
Reisen ins Land der Gärtner
England ist als „Land der Gärtner“ unübertroffen, das Engagement der Gartenbesitzer für wohltätige Zwecke einzigartig und der Beruf des Gärtners hoch angesehen. Wo sonst werden junge Gartengestalter wie Popstars gefeiert? Wo können Amateurgärtnerinnen wie Beth Chatto zu Gartenikonen aufsteigen? Wo sonst eröffnet eine Queen eine Gartenmesse? Wo findet die Opernpause mit Abendkleid, Gummistiefeln und Champagner wie in Glyndebourne in den Blumenwiesen neben der Schafweide statt? Wo sonst ist ein Verein zur Erhaltung von Schlössern, Landschaften und Gärten wie der National Trust der größte private Landbesitzer?
Private Gartenliebhaber, gelernte Gärtner und Gartenarchitekten vom Kontinent zieht es seit jeher in das „Mekka der Gartenkultur“. Seit der Zeit des „Parkomanen“ Fürst Pückler (1785 – 1871) hat die Begeisterung für inspirierende Gartenreisen auf die Insel ihren Reiz nicht verloren. Im Gegenteil. Für eine viel breitere Bevölkerungsschicht sind Reisen, die Garten und Kultur, Tradition und Moderne verbinden, beliebter denn je.
Dieses Buch entwickelte sich aus den Erfahrungen privater und beruflicher Gartenreisen, die mich zwischen 1994 und 2024 durch die faszinierenden Gartenlandschaften Englands führten. Die erste Gartentour begann 1994 mit Sissinghurst Castle Gardens, Great Dixter, Tintinhull, East Lambrook Manor, Hadspen Garden, Sticky Wicket, Hestercombe, Beth Chattos Garten, Kew Gardens und dem Chelsea Physic Garden. Eine Offenbarung! Vergleichbare Gärten und eine derart lebendige, mitreißende Gartenkultur kannte ich vom europäischen Kontinent nicht. Die persönlichen Begegnungen und Gespräche mit ihren Gestaltern wie Penelope Hobhouse in ihrem privaten Garten in Dorset, Christopher Lloyd in Great Dixter, Rosemary Verey in Barnsley House (heute
ein Hotel) oder Nori und Sandra Pope in Hadspen Garden (existiert leider nicht mehr) beflügelten den Reiz der Gartenbesuche.
Die grüne Insel ist ein Ferienland für Individualisten. Alte Traditionen wie der afternoon tea und die Landpartien mit dem Besuch von blumenreichen Landhäusern werden gepflegt. Warum die ältesten Herrenhäuser und ihre Gärten noch im 21. Jahrhundert beliebte Ausflugsziele sind? Vielleicht liegt der Hausherr Michael More-Molyneux von Loseley Park in Surrey mit seiner Einschätzung richtig: „Loseley House has been my family’s home for over five hundred years yet, whilst the world has changed; Loseley itself remains reassuringly constant.“*
Neben der Wahrung des Kulturerbes entsteht parallel dazu viel aufregend Neues und Futuristisches. In Großbritannien entwickelte sich die Gartenkultur zur Blüte und Popularität wie in keinem anderen Land Europas. Bis heute bleibt das Land der Gärtner inspirierend und überraschend zugleich.
DIE ENGLISCHEN KULTURLANDSCHAFTEN
Gartenkultur spiegelt Gesellschaftsordnungen, Machtverhältnisse und Schönheitsideale sowie das Verhältnis des Menschen zur Natur. Die interessantesten Gärten entwickelten und entwickeln sich noch heute inmitten inspirierender Kulturlandschaften.
Charakteristisch für das englische Landschaftsbild sind die Park- und die Heckenlandschaften. Die Parklandschaft setzt sich aus Weiden, Feldern, Wiesen, Alleen, Baumreihen, Baumgruppen und Solitärbäumen zusammen. Nirgendwo sonst ist die Liebe der Engländer zu
Bäumen prägnanter. Charaktervolle Laubbäume wie Eichen, Buchen, Kastanien und Linden prägen mit ihrem arttypischen Wuchs als markante Solitäre den Land schaftsraum. Relikte ursprünglicher Waldgebiete (ancient woodland), wie Foxley Wood in der Grafschaft Norfolk stehen unter Naturschutz. (siehe S. 201).
Häufig verschmilzt die Parklandschaft mit der Heckenlandschaft. Ein Netz an Hecken windet sich von Kent bis Cornwall, von Essex bis Schottland und bildet die Heckenlandschaft der Britischen Inseln. Hecken durchziehen die Feldflur und säumen kurvige Landstraßen. Mancherorts wachsen ihre Kronen zu grünen Heckentunneln zusammen. Auf Hügelkuppen öffnet sich dann meist der dichte Bewuchs und bietet eine herrliche Aussicht. Nach Untersuchungen des Geographen Jay Appleton (1919 – 2015) berühren uns diese harmonisch gestalteten Kulturlandschaften instinktiv, weil sie unsere Urbedürfnisse nach Zuflucht oder Schutz und nach Aussicht erfüllen. Zwischen Hecken und Bäumen fühlen wir uns geschützt und geborgen und die Aussicht in die weite Landschaft bewirkt gleichwohl eine tiefe Ruhe und Gelassenheit. Engländer sind leidenschaftliche Vogelfreunde. Birdwatching (Vogelbeobachtung) ist ein Nationalsport. Die Königliche Gesellschaft zum Schutz der Vögel – The Royal Society for the Protection of Birds (RSPB) – betreut zahlreiche Vogelschutzgebiete. Die Seenlandschaft des Nationalparks The Broads mit Marschwiesen, Schilfbänken und zahlreichen Wasserwegen bietet ebenso wie das Feuchtgebiet Wicken Fen Nature Reserve faszinierende Naturerlebnisse, nicht nur für Ornithologen.
In den nordenglischen Grafschaften Yorkshire und Cumbria liegen die Nationalparks Yorkshire Dales, North York Moors und Lake District. Hier prägen Hochmoore und Heideflächen, fruchtbare Täler und Farnwälder, wilde Flüsse und Bäche die urenglischen Landschaften. Wildromantisch und von einer eigenwilligen, „pittoresken“ Ästhetik ist der Lake District, die Berg- und Seenlandschaft, im Juli 2017 von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärt.
Seit jeher inspirieren diese Landschaften kreative Dichter, Schriftsteller, Künstler und Gärtner wie William Wordsworth, Charlotte Brontë, William Turner, Barbara Hepworth, William Kent, William Robinson, Gertrude Jekyll, Gina Price oder Tom Stuart-Smith, Beatrix Potter, Thomas Gainsborough, Benjamin Britten, Richard Long, Gael Sellwood, Patrick Blanc, Piet Oudolf, Dan Pearson, Lady Xa Tollemache oder Beth Chatto. Ihre Kunstwerke, traditionellen Gärten und zeitgenössischen Entwürfe der im Buch beschriebenen Gartentouren zeugen davon.
GÄRTEN UND GARTENTOUREN
Dieses Gartenreisebuch führt durch die südenglischen Grafschaften von Kent im Osten bis Cornwall im Westen, in die Cotswolds und die faszinierend grüne Metropole London. Von hier verläuft der Reiseweg in die good old English countryside der Ostküste, nach East Anglia mit den Grafschaften Essex, Cambridgeshire, Suffolk und Norfolk und schließlich in den wildromantischen Norden nach Yorkshire und in den Lake District.
Ein seltenes Zeugnis für einen nahezu intakten Elisabethanischen Garten aus dem 17. Jahrhundert ist der fantasievolle Formschnittgarten Levens Hall.
Landschaftsgärten aus dem 18. Jahrhundert wie Rousham, Stourhead, Petworth oder Harewood House haben ebenso den Stil ihrer Zeit bewahrt. Lange sah man diesen Gartenstil als Synonym für den „Englischen Garten“.
Die lebendige Gartenkultur hat auch Waldgärten im 19. Jahrhundert wie Caerhays Castle, Trebah oder Holker Hall hervorgebracht, die mit Rhododendron, Magnolien oder Kamelien an die abenteuerlichen Expeditionen der englischen Pflanzenjäger erinnern.
Von der Arts-and-Crafts-Bewegung ließen sich die Gestalter der Architektonischen Gärten des 20. Jahrhunderts beeinflussen. Rodmarton, Hidcote, Sissinghurst und Newby Hall sind beeindruckende Beispiele für den Gartentyp, der in England formal garden, formaler Garten, genannt wird. Eine exakte Restaurierung eines LutyensJekyll-Gartens gelang in Hestercombe.
Eine Sonderform englischer Gartenkultur sind die Country House Kitchen Gardens. Die in Vergessenheit geratenen Küchengärten wie Felbrigg Hall und Blickling Hall erfahren eine Wiederbelebung durch das Walled Kitchen Garden Network (siehe S. 190). Der Gartendesigner Piet Oudolf modernisierte Scampston Walled Garden in einen Stauden- und Gräsergarten des 21. Jahrhunderts. In East Bergholt Place ist der walled kitchen garden heute eine Gärtnerei, „The Place for Plants“. Der Küchengarten von Houghton Hall schließt zeitgenössische Kunstinstallationen in die Umgestaltung ein.
London nimmt eine zentrale Stelle in der britischen Gartenkultur ein. Eine lebendige junge Gartenszene verwandelt Londons Dächer, Brachflächen und Verkehrskreisel in blühende Beete, Gemüsequartiere und Bienengärten.
Förderung der Gartenkultur – Britische Institutionen
Hier sind vor allem die Königliche Gartenbaugesellschaft Royal Horticultural Society (RHS), der National Trust (NT) und das National Gardens Scheme (NGS) zu nennen.
ROYAL HORTICULTURAL SOCIETY (RHS)
Der an Wissenschaft und Weltpolitik interessierte Philanthrop und Pflanzensammler Sir Joseph Banks (1743 – 1820) war 1804 einer der sieben Initiatoren, die sich in John Hatchards Buchhandlung (siehe S. 83) in Piccadilly trafen, um eine Gartengesellschaft, die heute als die Königliche Gartenbaugesellschaft (Royal Horticultural Society, RHS) bekannt ist, zu gründen. Joseph Banks war mit Captain James Cook auf der Endeavour von 1768 – 1771 um die Welt gesegelt. Der einflussreiche Wissenschaftler stand der RHS vier Jahrzehnte als Schirmherr vor.
Das Pflanzensammeln entwickelte sich gegen Ende des 18. Jahrhunderts immer mehr zur Profession. Botanische Gärten und Institutionen wie der Chelsea Physic Garden, Kew Gardens oder die Royal Horticultural Society schickten Pflanzenspezialisten in alle Welt und in die vom British Empire eroberten Kolonien, um exotische Pflanzen mit praktischem Nutzen zu entdecken. Die RHS entsandte den Gärtner David Douglas (1799 – 1834) in den Nordwesten Amerikas. Von seinen drei Expeditionen führte er mehr als 200 neue Pflanzenarten ein, die wir heute in Parks bewundern und die im Viktorianischen Zeitalter die Leidenschaft für den „Amerikanischen Garten“ (Sammlung neu eingeführter nordamerikanischer Arten) oder das „Pinetum“ (Sammlung von Koniferen) entfachten. In den exklusiven Herrenclub der RHS konn-
ten zunächst neue Mitglieder nur gewählt werden, Frauen waren ganz ausgeschlossen. Ihre Mitgliedschaft erwogen die Herren erst in den zwanziger Jahren, da die Gesellschaft Geld brauchte und man davon ausging, dass Damen besser Spenden akquirieren könnten. 1827 organisierte ein Komitee aus 24 Frauen, darunter zumeist adelige Damen, ein finanziell überaus erfolgreiches Benefiz-Frühstück für 2843 Gäste von Rang und Namen. Um die Mitte des 19. Jahrhunderts bildete sich ein wohlhabender Mittelstand heraus, und die Gartenschriftstellerin Jane Loudon, verfasste 1851 „Gardening for Ladies – and Companion to the Flower-Garden“. 1897 führte die RHS mit der Victoria Medal of Honour ihre höchste Auszeichnung ein und verlieh zum ersten Mal zwei außergewöhnlichen Frauen, Gertrude Jekyll (siehe S. 101) und Ellen Willmott (1858 – 1934), die begehrten Medaillen.
Heute bietet die RHS mit fünf Schaugärten großartige Zentren der Gartenkultur: RHS Garden Wisley, Surrey (siehe S. 86), RHS Garden Rosemoor (Devon), RHS Garden Hyde Hall, Essex und RHS Garden Harlow Carr, Yorkshire und RHS Garden Bridgwater (Greater Manchester). Rund 363.000 Mitglieder zählt die Organisation. Höhepunkt im Gartenjahr ist die weltgrößte Gartenausstellung Chelsea Flower Show (siehe S. 76). Daneben organisiert die RHS kleinere Gartenausstellungen (RHS London Shows), beispielsweise die Early Spring Plant Fair und im Juli die bedeutende Hampton Court Flower Show.
NATIONAL TRUST (NT)
Im Januar 1895 gründeten die Sozialreformerin Octavia Hill, der Rechtsanwalt Sir Robert Hunter und der Pfarrer Hardwicke Rawnsley den National Trust for Places of Historic Interest or Natural Beauty, kurz National Trust (NT) genannt. In den vergangenen über 120 Jahren hat sich diese Bürgerinitiative zu der größten privaten Denkmalschutzorganisation entwickelt, die sich für den Schutz von historischen Gebäuden, Gärten und Landschaften einsetzt. Darüberhinaus engagiert sich der NT für die Erhaltung von Küsten, Stränden, Mooren, Inseln, Dörfern, Mühlen und Pubs. Zur Zeit bewahrt der Verein 775 Meilen Küstenstreifen, über 248.000 Hektar Land und über 500 historische Häuser, Schlösser, Gärten und Parks. Möglich wird dies durch Mitgliedsbeiträge, Stiftungen, Spenden, Verkaufsshops, Vermietungen sowie durch eine Schar von ehrenamtlichen Helfern, den volunteers. Auch die Kinderbuchautorin Beatrix Potter vermachte dem NT 1943 ihr Farmhaus Hill Top und 1600 Hektar Land im Lake Distrikt (siehe S. 206). Die Naturliebhaberin war eng mit Hardwicke Rawnsley, einem der drei Gründer des National Trusts befreundet und in die Aktivitäten des Trusts in den Aufbaujahren eingebunden. In ihrer working farm Hill Top entstanden viele ihrer Bücher. Von hier aus setzte sie sich unermüdlich für den Erhalt der spektakulären Landschaft ein. Der Pfarrer Hardwicke Rawnsley lebte in Grasmere im Herzen des Lake Districts. Er lernte die Familie Potter während ihrer Ferien im Lake District kennen. Beatrix Potter konnte durch ihre Tantiemen Land kaufen und damit als Farmland erhalten. Durch das Engagement der Umweltschützerin besitzt der National Trust heute rund ein Viertel der Landfläche im Lake District mit Hunderten von Herdwick Schafen.
NATIONAL GARDEN SCHEME (NGS)
1927 wurde das National Gardens Scheme (NGS) vom „Frauenkomitee zum nationalen Gedenken an Queen Alexandra“ gegründet. Als Vorsitzende der Krankenschwestern- Vereinigung förderte die 1925 verstorbene Witwe von König Edward VII. die Gesundheitsfürsorge des Landes. Zunächst war es die Liebe zu den Menschen und weniger zu den Pflanzen, die diese einzigartige Garten-Bewegung gardens open for charity ins Leben rief. Ziel ist es noch heute, Spenden für wohltätige Zwecke zu sammeln. Im ersten Jahr öffneten 600 private Gärten und Parks. Schlossanlagen, Landhäuser und kleine CottageGärten verlangten alle den gleichen Eintrittspreis, einen shilling, was die einheitliche Botschaft betonte. Die Resonanz war überwältigend. Lawrence Johnston von Hidcote Manor beteiligte sich ab 1928 und Vita SackvilleWest öffnete ihren Garten ebenfalls for charity. „Nichts hilft einem Gartenanfänger mehr, als von Ideen und Fehlern anderer zu lernen (…). Man kann sich an einem Sommerabend in fremden Gärten niederlassen und sich vorstellen, wie man wohl seinen eigenen Garten (und sein Leben) verändern könnte“, schrieb die Gartenautorin. Die Aktion traf die Gartennation ins Herz. Ohne Zweifel ist es für Gartenliebhaber eine besondere Freude, an der Gartenbegeisterung anderer teilzuhaben, sich im Gespräch auszutauschen, Gartenkniffe und praktische Anbautipps zu entdecken, sich durch Gestaltungsideen inspirieren zu lassen und beim Gartenrundgang vom Besitzer Stecklinge oder Samen einer heißbegehrten Pflanze geschenkt zu bekommen. Inzwischen öffnen bereits rund 4.000 Gärtner und Gärtnerinnen ihre Gartentore. Die Öffnungszeiten werden jährlich neu im sogenannten „Yellow Book – Gardens to visit in England and Wales“ (www.ngs.org.uk) veröffentlicht.
DIE GARTENTOUREN
Die in diesem Buch vorgestellten zwölf Gartentouren führen durch die schönsten Landschaften Englands. Die ausgewählten Gärten sind eine Zusammenstellung aus den Büchern Romantische Gartenreisen in England und Neue romantische Gartenreisen in England und spiegeln meine persönlichen Vorlieben. Dieses Reisehandbuch möchte Gartenreisenden einen Einblick in die spannende Geschichte der englischen Gärten geben, unterschiedliche Gartenstile und interessante Gartenpersönlichkeiten vorstellen. Das Buch beschreibt die großen klassischen Gärten der Gartenepochen, aber auch weniger bekannte private Gärten. Alle sind regelmäßig geöffnet oder können bei Anfrage besichtigt werden. Ausgewählte Adressen zu Übernachtungsmöglichkeiten, Ausflugstipps und Teestuben ergänzen die Gartentipps. Das Erlebnis einer Gartenreise wird durch Muße und ausreichend Zeit in Gärten, Ortschaften und in der Landschaft gesteigert. Die englische Lebensart bietet viele Freuden, die man während einer Tour genießen kann: Wanderungen, Kletterpartien, Bootsfahrten auf der Themse in London, den Wasserwegen der Norfolk Broads oder den Seen im Lake District, das Music Festival in Aldeburgh, ein traditioneller Sonntagsbraten im Pub („Sunday Roast“) ein Picknick im Garten oder der afternoon tea im noblen Hotel.
PUBLIC FOOTPATH – DAS ENGLISCHE WEGERECHT
Für wanderlustige Gärtner ist die Insel ein Paradies. In keinem anderen Land gibt es vermutlich mehr öffentliche Fußwege (public footpaths), Reit- und Fahrradwege (public bridleways) und Fernwanderwege wie die südenglischen North Downs Way, South Downs Way und der 1020 Kilometer lange South West Coast Path. Das englische Wegerecht (right of way) ermöglicht dem Wanderer den freien Zutritt zur Landschaft und damit auch das Überqueren von privaten Grundstücken. Die public footpaths sind durch Schilder mit gelbem Pfeil ausgewiesen und dürfen nur von Fußgängern genutzt werden. Für Orientierung sorgen die Wanderkarten Ordnance Survey Landranger Maps. Meist führen die Wege durch ein Marktstädtchen, zu einem Garten, einem Herrenhaus, über Schafweiden, entlang von Flüssen oder zur Küste. pub walks, spezielle Rundwege, die in einschlägigen Büchern veröffentlicht werden, dauern meist ein bis drei Stunden und haben ein lohnendes Ziel: das pub.
GELIEBTES PUB
„Ein gutes englisches Pub ist alles andere als eine beliebige Kneipe. Es ist eine kulturhistorisch geprägte, hochgeschätzte Institution mit Eigentümlichkeiten, die sich nur auf einer Insel entfalten können,“ schreibt JohannGünther König in seiner literarischen Kneipentour „Von Pub zu Pub“. Pub bedeutet „öffentliches Haus“ (public house) und ist für Einheimische das verlängerte Wohnzimmer. Viele traditionelle Pubs wie The Bell in Ticehurst, East Sussex haben sich verjüngt und bieten oft auch Zimmer und eine gute Küche an. Empfehlungen dazu geben „The Good Beer Guide“ oder „Alstair Sawday’s“ (www.sawdays.co.uk).
LAST BUT NOT LEAST – TEA. GETRÄNK UND RITUAL
Bei meinen Recherche-Touren begleiten mich oft meine anglophilen, back-begeisterten Gartenfreundinnen. Dann erkunden wir Landschaften, Gärten, Marktstädte, Antikmärkte, Musik-Festivals und natürlich tearooms. Tee bedeutet auf einer Gartenreise eine Erholungspause. In fast allen Gärten gibt es tearooms. Jedes noch so kleine Dorf hat seine Teestube und Luxushotels wie Gravetye Manor Hotel zelebrieren den afternoon tea mit blitzenden Silberkannen und kuchenbeladenen Etageren in ihren Gärten. Tee ist für Engländer mehr als nur ein wärmendes Getränk. „More an occasion than a hot drink“,** heißt es im eleganten Diamond Jubilee Tea Salon des Londoner Kaufhauses Fortnum & Mason, eine Oase der Ruhe am geschäftigen Piccadilly Circus. Tee ist ein Ritual und eine Bezeichnung für verschiedene Mahlzeiten. Wird die Hauptmahlzeit mittags eingenommen, heißt das frühe Abendessen, das dem deutschen Abendbrot entspricht, high tea. Zum Tee werden dann herzhafte Sandwiches, Gemüse-Tartes sowie süße Kuchen gereicht. Wird die Hauptmahlzeit spät abends eingenommen, ist der afternoon tea eine nachmittägliche Zwischenmahlzeit. Zu jeder Gartenreise gehört ein cream tea. Eine Auswahl der besten süßen und herzhaften Rezepte meiner Gartenfreundinnen haben wir am Ende dieses Buches zusammengestellt.
* Loseley House ist seit über 500 Jahren der Sitz meiner Familie. Während die Welt sich verändert, bleibt Loseley in beruhigender Weise beständig.“
** Mehr ein Ereignis als ein heißes Getränk.
KENT UND EAST SUSSEX
WO GÄRTNERN
EIN VERGNÜGEN IST
KENT UND EAST SUSSEX
Sissinghurst Castle Gardens
Inbegriff englischer Gartenleidenschaft
„War von Liebe überwältigt“, schrieb Vita SackvilleWest in ihr Tagebuch, nachdem sie an einem regnerischen Tag im April 1930 die verwahrloste elisabethanische Schlossruine das erste Mal sah. Ein richtiges Wohnhaus gab es nicht, nur einen hohen rechteckigen Turm, flankiert von zwei achteckigen Türmchen und zwei verfallenen, auf dem Gelände verstreut liegenden cottages, Mauerreste aus der Tudorzeit sowie ein Torhaus mit Stallungen. Die Fantasie der Schriftstellerin und ihres Ehemanns, des Diplomaten und Journalisten Harold Nicolson, war entflammt. Drei Wochen später kauften sie das Anwesen mit rund 3 Hektar Farmland. Die folgenden 30 Jahre nahm Sissinghurst ihr Leben in Anspruch. Bis zu Vitas Tod 1962 gestaltete das Paar aus einer Brennnesselwildnis und Schuttbergen einen der berühmtesten Gärten – für viele der schönste Garten des 20. Jahrhunderts. Neben Hidcote Manor (siehe S. 102) steht Sissinghurst als Vorbild für den Architektonischen Garten, auch
Englischer Garten des 20. Jahrhunderts genannt. Der in England als formal garden bezeichnete Gartenstil entwickelte sich zu Anfang des letzten Jahrhunderts und ist bis heute in Großbritannien sowie auf dem Kontinent beliebt und bestimmend geblieben.
Während Harold Nicolson, vernünftig und klassisch orientiert, das Grundgerüst des Gartens entwarf, übernahm die poetisch und romantisch veranlagte Vita Sackville-West die Bepflanzung. Mit Leidenschaft und Experimentierfreude entwickelten die beiden GartenAmateure das Gestaltungsprinzip „Ordnung und Fülle“ zur Meisterschaft:
Harold integrierte die verstreut auf dem Grundstück liegenden Wohngebäude in den Garten. Ziegelmauern, Treppen und Wege vervollständigen sein architektonisches Gerüst. Der Grundriss korrespondiert mit den Gebäuden und erweitert das tägliche Leben in den Garten. Um von der Küche und dem Esszimmer im Priest’s
Mit Leidenschaft und Experimentierfreude entwickelten Vita Sackville-West und Harold Nicolson das Gestaltungsprinzip „Ordnung und Fülle“ zur Meisterschaft. Von der Dachterrasse des Schlossturms werden das architektonische Gartenkonzept und die Pflanzenfülle aus der Vogelperspektive begreifbar.
KENT UND EAST SUSSEX
Sissinghurst Castle Gardens
House ins Arbeitszimmer im Turm oder zu den Schlafräumen im South Cottage zu gelangen, liefen Vita, Harold und ihre beiden Söhne Nigel und Ben bei Wind und Wetter quer durch ihren Garten. Wie die Zimmer eines Hauses gliederte Harold Nicolson die Fläche in verschiedene Gartenräume. Getrennt durch Mauern und strenggeschnittene, dunkelgrüne Eibenhecken konnte der Stil und Charakter, auch die Farben jedes Raums, unterschiedlich ausfallen. Er plante lange Sicht- und Wegeachsen von Nord nach Süd und von West nach Ost wie zentrale Korridore eines Hauses. Von den Wegen öffnen sich kleine geometrische Gärten als intime Überraschung. Die Endpunkte der Wege, markiert durch eine „Lutyens-Bank“ oder „die Statue des Dionysos mit Wächterpappeln“, sind Blickpunkte, die neugierig machen und durch den Garten leiten.
Als Kontrast zur strengen architektonischen Einteilung füllte Vita Sackville-West die Gartenkammern mit einer lebendigen Pflanzenfülle. Vitas Liebe zu Opulenz, Großzügigkeit und Ästhetik drückt sich auch in ihrer Gartenphilosophie aus. Sie verabscheute alles Knauserige und Schäbige. Die Poetin liebte die alten Gartenpflanzen aus Shakespeares Werken, ließ sich von den Gestaltungsideen William Robinsons (siehe S. 57), Gertrude Jekylls (siehe S. 101) und von Reisen nach Italien und Persien inspirieren. Kletterrosen, Geißblatt (Lonicera), Feigen (Ficus carica) und Purpurwein (Vitis vinifera ‘Purpurea’) sollten die morbiden, altrosa Ziegelmauern mit Blüten- und Blattranken überziehen, ein Meer üppig blühender Stauden sollte aus den Beeten quellen und duftende Kräuter im Herb Garden Geschichten Alte Rosen übten auf die Dichterin einen aufregenden Zauber aus. Zu Beginn des letzten Jahrhunderts waren die einmal blühenden Gehölze beinahe vergessen. In ihren Kolumnen im Observer schrieb Vita leidenschaftlich über Moosrosen, Zentifolien, Remontantoder Gallica-Rosen und sorgte in der Gartenwelt mit ihrer Rosensammlung im alten ummauerten Küchengarten für Aufsehen. „Jeder, der dem Zauber Alter Rosen einmal verfallen ist, wird keine neuen in sein Herz schließen können (…). Wie bei Freunden lernt man, ihre Fehler zu übersehen und ihre Tugenden zu schätzen.“ Alle gelesenen Gedichte über Rosen und bewunderte Porträts auf Gemälden kommen beim Anblick von ‘William Lobb’, ‘Baron Girod de l’Ain’, ‘Cardinal de Richelieu’ oder der Samtrose Rosa gallica ‘Tuscany’ in
Erinnerung. In Purpurrot mit samtigem Glanz, in seidigen Rosatönen und mit umwerfendem Duft rufen Alte Rosen Gefühle wach. „Samtrose. Was für eine Wortverbindung! (...). Es lehrt einen etwas, lange und intensiv in eine Rosenblüte zu blicken, besonders in eine Rose wie die ‘Tuscany’, die sich flach öffnet und dabei das erbebende und staubige Gold ihrer zentralen Vollkommenheit enthüllt.“ Sissinghurst ist zu einem Mythos geworden. Während Besucher den mit allen Finessen der Arts-and-Crafts-Bewegung geplanten Hidcote Manor Garden bewundern, fliegen Sissinghurst die Herzen zu, obwohl das Gartenkonzept vergleichsweise schlicht ist und Vita und Harold auf Baumaterialien wenig Wert legten. Doch Sissinghurst ist ein privater Garten, ein intimer Ort des Rückzugs, wie Harold noch 1963 betonte: „(...) ein Garten sollte dem Vergnügen seines Besitzers und nicht der Zurschaustellung dienen (...).“ In ihren Romanen und Gedichten wie in „The Garden“ schreibt Vita über ihr tiefes Verhältnis zum Garten. Für sie war Gärtnern ein endloses Experiment. Sie liebte England und speziell Kent, war in Knole, im größten elisabethanischen Schloss aufgewachsen. Ihr Garten sollte englisch sein, sich nahtlos in die idyllische Landschaft Kents, den Garden of England, einfügen. Vita liebte es, in ihrem Garten auf dem Land zu leben und zu gärtnern. Damit kommt sie den Wünschen vieler Gartenfreunde auch heute sehr nah.
Nach dem Tod von Harold 1967 übergab Nigel Nicolson Sissinghurst in die Hände des National Trust Seit dieser Zeit versucht das Management zusammen mit den Chefgärtnern die intime private Atmosphäre des Gartens zu wahren – was nicht einfach ist bei 145.000 Besuchern pro Jahr (2012). Für Garten- und Geschichtsinteressierte ist Sissinghurst dennoch ein
o Unter dem lichten Blätterdach der Sträucher entfalten Frühlingsstauden im Haselnussgarten einen zarten Blütenteppich.
p Im Zentrum des Weißen Gartens blüht Rosa mulliganii am Pavillon wie eine Rosenwolke.
EIGENTÜMER
National Trust
BESONDERHEIT
Historischer Garten Grade I
Vermietung des Priest’s House als Ferienhaus
Führung headgardener walk mit dem neuen Chefgärtner Troy Scott-Smith
Workshop Gardening at Sissinghurst B&B im Sissinghurst Farmhouse
www.nationaltrust.org.uk/ sissinghurst-castle-garden
MUST. Viele Ideen, die heute noch in Gartenmagazinen und Gartenbüchern über Gestaltung empfohlen werden, sind schon vor knapp 100 Jahren von Vita, Harold und ihren Chefgärtnerinnen Pamela Schwerdt und Sibylle Kreutzberger umgesetzt worden. Der Garten hat heute seinen Höhepunkt erreicht. Das Ziel des neuen headgardeners Troy Scott-Smith ist es, Sissinghurst auf hohem gärtnerischem Niveau als Inspirationsquelle für keen gardeners zu erhalten.
Als Einstieg in den Garten empfiehlt sich der Aufstieg im Turm. Vitas Arbeitszimmer erscheint, als ob sie es gerade verlassen hätte. Mit frischen Blumen und einem Foto ihrer geliebten Freundin Virginia Woolf auf dem Schreibtisch. Von der Dachterrasse ist der Blick atemberaubend. Hier wird nicht nur Harolds architektonisches Gartenkonzept und Vitas Pflanzen-
fülle aus der Vogelperspektive begreifbar. Hier wird deutlich, dass Sissinghurst mehr ist als nur der Garten. Die Ruine des elisabethanischen Hauses mit seinen Gärten, das angrenzende Farmhaus und die oast houses, die traditionellen Hopfendarre-Häuser mit ihren weißen konischen Spitzenhauben, liegen inmitten der grünen Landschaft des Weald mit Wäldern, Bächen und Farmland. Spazierwege schlängeln sich an zwei kleinen Seen vorbei in den Laubwald, wo Vitas Hunde begraben liegen. Weit geht der Blick über die fruchtbaren Felder und Wiesen mit alten knorrigen Eichen in die Park- und Heckenlandschaft, in den Garden of England. All die Eindrücke, Bilder und Geschichten über die Persönlichkeiten der Gestalter berühren viele Menschen und machen Sissinghurst zu einem einzigartigen Ort.
g Verschwenderische Blüte der Alten Rosen im Frühsommer.
i Ab März beginnt die Narzissenblüte im Obstgarten. Von der Terrasse des Turms ist der Blick auf die Apfel- und Birnbäume und in die Landschaft grandios.
Kreativer Ort für Gärtner aus aller Welt
Der Eingang zu Great Dixter wirkt heiter und ungezwungen. Blumenwiesen säumen den schlichten Plattenweg. Narzissen im Frühling und Margeriten, Orchideen und Prärielilien (Camassia quamash) im Frühsommer prägen das Gartenbild vor dem spätmittelalterlichen Tudor-Fachwerkhaus und den Formschnitthecken.
1910 erwarben die Eltern von Christopher Lloyd das Anwesen. Damals existierte kein Garten. Das Wohnhaus und ein landestypisches oast house mit drei Hopfendarren (Darrehaus zum Trocknen von Hopfen) sowie die Scheunen waren von Streuobstwiesen umgeben. Nathaniel Lloyd beauftragte Edwin Lutyens mit der Renovierung der Gebäude und der Gartengestaltung. Der Architekt der Arts-and-Crafts-Bewegung gliederte die Flächen rund um das zentrale, auf einer Anhöhe liegende Wohnhaus durch Mauern und Hecken und bezog die Scheunen in die Gestaltung ein. Torwege und Heckenbögen erlauben Blickverbindungen zwischen den Gartenräumen und dienen als Rahmen für Bildmotive. Die verschiedenen Geländehöhen überbrückte Lutyens durch halbkreisförmige Treppen aus lokalem Baumaterial. Typisch ist die Verwendung von schmalen Dachziegeln, die, senkrecht verbaut, eine lebendige Oberfläche bewirken. Einige der von Lutyens geplanten Mauern ersetzte Nathaniel Lloyd, der Vater von Christopher Lloyd, durch Figuren und Hecken aus Eibe. Er hegte eine Vorliebe für die Kunst des Formschnitts (topiary). Nicht nur im Winter geben die zu Burgmauern mit Zinnen, zum Treppengiebel oder zu Pfauen (peacocks) geschnittenen, immergrünen Gehölze dem Garten Struktur und Charakter.
Der Eingang zu Great Dixter wirkt heiter und ungezwungen. Blumenwiesen säumen den schlichten Plattenweg. Narzissen im Frühling und Margeriten, Orchideen und Prärielilien (Camassia quamash) im Frühsommer
prägen das Gartenbild vor dem spätmittelalterlichen Tudor-Fachwerkhaus und den Formschnitthecken.
1910 erwarben die Eltern von Christopher Lloyd das Anwesen. Damals existierte kein Garten. Das Wohnhaus und ein landestypisches oast house mit drei Hopfendarren (Darrehaus zum Trocknen von Hopfen) sowie die Scheunen waren von Streuobstwiesen umgeben. Nathaniel Lloyd beauftragte Edwin Lutyens mit der Renovierung der Gebäude und der Gartengestaltung. Der Architekt der Arts-and-Crafts-Bewegung gliederte die Flächen rund um das zentrale, auf einer Anhöhe liegende Wohnhaus durch Mauern und Hecken und bezog die Scheunen in die Gestaltung ein. Torwege und Heckenbögen erlauben Blickverbindungen zwischen den Gartenräumen und dienen als Rahmen für Bildmotive. Die verschiedenen Geländehöhen überbrückte Lutyens durch halbkreisförmige Treppen aus lokalem Baumaterial. Typisch ist die Verwendung von schmalen Dachziegeln, die, senkrecht verbaut, eine lebendige Oberfläche bewirken. Einige der von Lutyens geplanten Mauern ersetzte Nathaniel Lloyd, der Vater von Christopher Lloyd, durch Figuren und Hecken aus Eibe. Er hegte eine Vorliebe für die Kunst des Formschnitts (topiary). Nicht nur im Winter geben die zu Burgmauern mit Zinnen, zum Treppengiebel oder zu Pfauen (peacocks) geschnittenen, immergrünen Gehölze dem Garten Struktur und Charakter.
Bis heute bildet die Grundstruktur des Gartens einen architektonischen Rahmen, in dem zwei Generatio-
Im April begrüßen goldgelbe Narzissen in den Wiesen die Besucher.
nen der Lloyd-Familie mit Leidenschaft gärtnerten. Christo, wie seine Freunde den experimentierfreudigen Gärtner und Buchautor nannten, lebte hier bis zu seinem Tod im Jahre 2006. Von 1994 an gärtnerte er mit seinem Chefgärtner Fergus Garret, der den Garten heute in Christos Sinne mit eigenen Ideen und Experimenten weiterentwickelt und als Ort der Begegnung für Gärtner aus aller Welt erhält.
Mit ganzem Einsatz konzentrieren sich Fergus Garret und sein Gärtner-Team auf farbenfrohe lebendige Beete. Der Chefgärtner strebt eine fortlaufende Abfolge von Pflanzungen an, bei der von Anfang April bis Ende Oktober ein Blühhöhepunkt übergangslos den nächsten
s Figuren und Hecken aus geschnittenen Eiben geben dem Garten Struktur und Charakter.
a Lebendig, farbenfroh und kontrastreich sind Beete und Topfarrangements. KENT UND EAST SUSSEX
ablöst. In den Rabatten wachsen vielseitige Pflanzen, die mehrere Vorteile haben, wie schöne Blüten, dekorative Blätter und interessante Samenstände. Sie müssen standfest sein und eine lange Blütezeit aufweisen. Gartenkultur wird in Great Dixter gelebt und umgesetzt. Jeden Morgen begutachten die Gärtner die Pflanzungen, beobachten die Entwicklung neuer Sorten, erwägen Verbesserungen und tauschen nach einer Erprobungszeit aus, was sich nicht bewährt hat. Pflanzenkenntnisse, Erfahrungen und Arbeitseinsatz sind Voraussetzung für ein optimales Ergebnis. Mehrschichtige Pflanzpläne sind der Schlüssel für durchgehend attraktive Rabatten. Strukturgehölze und wertvolle Stauden bestimmen die erste Schicht in der typischen „gemischten Rabatte“ (mixed border). Zwiebelpflanzen gehören zur zweiten Schicht. Sich selbst aussäende Pflanzen kommen als dritte Schicht dazu, und schließlich bilden Beetpflanzen die vierte Schicht, die ab Sommer bis in den Herbst leuchtende Farben liefern. Dem Pflanzenarrangement der Long Border mit kontrastierenden Farben stehen auf der gegenüberliegenden Seite des Natursteinweges scheinbar natürliche Wiesen entgegen. Die Blumenwiesen ge-
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Great Dixter House & Gardens
hören zu den schönsten in ganz Südengland. Doch ebenso wie die Beete verlangt die Gemeinschaft aus Gräsern und Wildblumen, die Daisy Lloyd bereits 1910 anlegte, den regelmäßigen Pflegeeinsatz. Christopher Lloyds Mutter ließ sich von dem mit Blumen durchsetzten Rasen in Botticellis Gemälde „La Primavera“ (1478) inspirieren und pflanzte in die vorhandenen Wiesen Schachbrettblumen und Primeln (Primula vulgaris). Sie studierte die Ideen William Robinsons (siehe S. 57), der einen naturnahen Garten propagierte und monotone unkrautfreie Rasenflächen kritisierte: „Wer würde nicht wogende Gräser mit zahllosen Blumen einer geschorenen Fläche ohne Blüten vorziehen?“ Daisy Lloyd folgte seinem Vorschlag, Narzissen in die Wiesen zu pflanzen. Gelbe Narzissen wie ‘Emperor’ wechseln mit weißen Dichternarzissen (Narcissus poeticus var. recurvus) ab. Frühe, mittlere und späte Sorten trennte sie durch breite Rasenstreifen voneinander, denn, so lautete ihre Überzeugung: „ … verteilt man Narzissen gleichmäßig im ganzen Gras, beraubt man sich jeglichen Ruhepunkts, jeder Erholung und der Gelegenheit, sie so zu sehen, wie sie sich oft von allein ausbreiten.“
EIGENTÜMER
The Great Dixter Charitable Trust
BESONDERHEIT
Historischer Garten Grade I
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Pflanzenmarkt im Oktober Great Dixter Plant Fair mit internationalen SpezialGärtnereien www.greatdixter.co.uk
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