EINFAMILIENHÄUSER HOLZ
DIE 50 BESTEN PROJEKTE AUS
Sollberger Bögli Architekten AG
BAYR GLATT GUIMARAES ARCHITEKTEN PartG mbB
Bathke Geisel Architekten
Hammerschmid, Pachl, Seebacher – Architekten
Durch den hölzernen Vorhang
rundzwei Architekten BDA
Hammerschmid, Pachl, Seebacher – Architekten
Dreisamkeit in Schwarz
ROBERT MAIER ARCHITEKTEN
Einraum für zwei
Hohengasser Wirnsberger Architekten ZT GmbH
Baumhaus in den Bergen
Barbara Gschwend Architektur I Innenarchitektur
Anne Lampen
Unter einem Dach
BERKTOLD WEBER Architekten
Die Stadt im Blick
Yonder – Architektur
Leben im Luftraum
dunkelschwarz ZT GmbH
Kleine Bleibe, große Entspannung
FRÖHLICH GASSNER Architekten
Hinter dem Vorhang
Gassner & Zarecky Architekten und Ingenieure
Partnerschaft mbB BDA
112 Quergestellt
REICHWALDSCHULTZ
116 Rot im Backsteinschatten
ANNABAU Architektur und Landschaft GmbH
120 Dachlandschaft
Charles de Picciotto Architekt BDA
124 Einfach schön
LP architektur ZT GmbH
128 Im Märchenwald
Thomas Kröger Architekten GmbH
132 Das Holzhaus
pedevilla architekten
136 Zeitgemäß bedacht
Hardy Happle Architektur
140 Die Charta von Luzern-Nord
Niklaus Graber & Christoph Steiger Architekten
ETH/BSA/SIA GmbH
144 Das Baumhaus
Yonder – Architektur und Design
148 Das Einraumhaus
juri troy architects
152 Nachbau
Muck Petzet Architekten
154 Spektakuläre Scheune
ANJA RICHTER MODERSITZKI ARCHITEKTIN
158 Underneath the Cherry Tree
STEINBAUER architektur+design / Kaltenbacher
Architektur ZT GmbH
162 Leben im Gestern, Heute und Morgen
dunkelschwarz ZT OG
166 Das Badehaus
Architekten Luger & Maul ZT GmbH
170 Tradition neu interpretiert
MWArchitekten
174 Mut in der Lücke
barmettler architektur gmbh
178 Der Pfahlbau
Bogenfeld Architektur ZT-GmbH
182 Beziehungsfördernde
Maßnahme in stressigen Zeiten
Firm Architekten
186 Seewarte
Dietrich l Untertrifaller Architekten
190 Treppenhaus in bester Gesellschaft
asdfg Architekten BDA
194 Generationenwohnen
LP architektur ZT GmbH
198 Einfach richtig juri troy architects
202 Im Apfelgarten
Atelier Lüps
206 Adressverzeichnis
208 Impressum
Ein Hoch auf Holz
„W350“ wird es heißen, 350 Meter hoch soll der Woodscraper in den Himmel über Tokio ragen, die Fertigstellung ist für 2041 geplant, zum 350. Firmenjubiläum des Holzbaustoffunternehmens Sumitomo Forestry. Gebaut wird das manifestierte Marketing – natürlich – in Holzbauweise. Nur aus Gründen der Erdbebensicherheit wird der Bau des Architekturbüros Nikken Sekkei durch ein minimales Stahlgerüst gestützt. Den Rekord des „Wood Hotels“ im norwegischen Brumunddal als „höchstes Holzhaus der Welt“ wird „W350“ nach seiner Eröffnung dann um 264,6 Meter toppen. Lange wird der vermutlich aber eh nicht mehr gelten: Für London arbeiten die Architekten PLP zusammen mit dem Ingenieurbüro Smith & Wallwork und der Universität Cambridge an einem 300 Meter hohen Timber Tower, der auf 80 Stockwerken etwa 1000 Wohneinheiten beherbergen soll. Das werden dann immerhin 62 Stockwerke mehr sein, als das von Voll Arkitekter entwickelte, 2019 eröffnete Hotel.
Höhen und Rekorde sind eindrucksvoll und beweisen, wo der Holzbau inzwischen angekommen ist: ganz oben. Sie sind jedoch kein Kriterium für die Herbergen, die die Jury des Wettbewerbs „Häuser des Jahres“ seit 2010 jedes Jahr aufs Neue aus Einsendungen aus Deutschland, Österreich, der Schweiz und Südtirol auswählt: Ein Projekt, das zu den 50 besten Einfamilienhäusern des Jahres gehören möchte, muss sich vielmehr sensibel in seine Umgebung einpassen. Es muss gestalterisch und funktional herausragend sowie ökologisch vorbildlich sein und den Bauherrinnen und Bauherren individuellen, maßgeschneiderten und dabei wohnlich-behaglichen Raum für die jeweils ganz persönlichen Lebenswelten bieten. Das heißt: Sie sind in Form und Material so unterschiedlich wie ihre Urheber- und Bewohnerschaft. Was jedoch auffällt: Die Zahl der Einfamilienhäuser, die in Holz entworfen und aus Holz gebaut wurden, nimmt seit Jahren stetig zu, sowohl bei den Einreichungen als auch in der Auswahl. Gut so: Denn ein Kubikmeter verbautes Holz bindet nachhaltig eine Tonne CO2 , zudem vermeidet jeder Holzbau Emissionen, die durch Herstellung hoch CO2-intensiver Baustoffe wie Beton oder Stahl verursacht werden.
Es ist also höchste Zeit, die staunenswert vielfältigen, besten Einfamilienhäuser aus Holz in einem eigenen Buch zu versammeln. „Woodscraper“ und Timber Tower zeigen, was der Holzbau im 21. Jahrhundert technisch leisten kann. Während die 50 „Häuser aus Holz“ manifestieren, wie Architektinnen und Architekten sich im Neubau ebenso wie beim Bauen im Bestand gestalterisch und konstruktiv mit der Geschichte des Baustoffs Holz auseinandersetzen, ihn zeitgemäß einsetzen und seine Gestaltung
und Einsetzbarkeit in die Zukunft fortschreiben. So wählten die Architekten REICHWALDSCHULTZ etwa die vom Merseburger Stadtbaurat Friedrich Zollinger erfundene und 1921 patentierte Zollinger-Dachkonstruktion. Sie ist hinsichtlich Montageaufwand, Schlichtheit der Verbindung und Materialersparnis optimiert und sorgt auch heute für luftigen Raum in einem kleinen Anbau in Hamburg. Aus dem Jahr 1850 stammt die Tragstruktur der von Lukas Lenherr umgebauten Scheune im schweizerischen Männedorf. Sechs Fichtenrahmen ertüchtigen die historische Konstruktion, der ehemalige Nutzbau gibt nun zeitgemäßen Wohnwünschen angemessenen Platz. Zukunftsweisend nachhaltig verwendete Atelier Kaiser Shen beim „Musterhaus“ nahe Heilbronn eine Dämmung aus Strohballen zwischen den unbehandelt belassenen Holzwänden. Die Häuser in diesem Buch leuchten jedoch auch rot, wie bei dem von ANNABAU Architektur und Landschaft realisierten Bau in Friedrichs walde, schwarz, wie etwa beim Haus an einem bayerischen See von Appels Architekten oder den drei kleinen Bleiben in MontabaurReckenthal von FRÖHLICH GASSNER. Sie schimmern grau, wie an der „Eleganten Scheune“ in Buchen in der Schweiz, die von Sandro Durrer geplant wurde, oder präsentieren sich kunstvoll mit einer aus Mondholz geschindelten Fassade, wie sie Firm Architekten für ein Haus in Schoppernau entwarfen. Allen Architekturbüros, die uns für dieses Buch professionelles Plan- und Fotomaterial zur Verfügung gestellt haben und mich für die Texte mit Informationen versorgten, sei an dieser Stelle für ihre Unterstützung herzlich gedankt.
Verwunderlich ist die Renaissance des Holzbaus übrigens nicht. Der Baustoff bindet schließlich nicht nur CO2 , er ist zudem (fast) überall verfügbar, nachwachsend, recyclingfähig, stabil, elastisch und erreicht Bestwerte bei Brandschutz und Dämmeigenschaften. Holz zeichnet sich durch seine hohe Tragfähigkeit bei geringem Eigengewicht aus, kann somit Platz und Kosten sparen und ist bei Aufstockungen aus statischen Gründen oft die beste, wenn nicht die einzige Möglichkeit. Nicht zufällig ist die Geschichte des Holzbaus daher beinahe so alt wie die Menschheit: Bis in die Neuzeit war Holz in Nord- und Mitteleuropa wichtigster Baustoff, auch wenn es früher nicht um CO2-Bilanzen oder Rekorde ging, sondern um Schutz und Ökonomie. Dafür wurden Häuser zunächst vor allem als Blockbauten aus horizontal geschichteten und über Eck ausgesteiften Wänden errichtet. Oder sie wurden als Pfostenbauten ausgeführt, das heißt, als Skelettbauten mit in den Erdboden gerammten Pfosten. Mit einem geringeren Holzbedarf als Blockbauten waren diese auch in weniger waldreichen
Gebieten verbreitet, die Wände zwischen den Pfosten konnten nämlich mit Lehm, Lehmsteinen oder mit lehmverputztem Flechtwerk gefüllt werden. Ab dem 12. Jahrhundert setzten sich dann unterschiedliche Arten des Fachwerkbaus durch, der sich zu der am häufigsten eingesetzten Bauweise entwickelte. Denn trotz ihrer skelettartigen Erscheinung wirken die Wände aus Pfosten und diagonalen Streben als Scheiben, die das Gebäude aussteifen – zusammen mit Schwelle und Rähm (waagrechter Teil des Dachstuhls als Abschluss der Fachwerkwand oder der Holzrahmenkonstruktion). Und nachdem die Pfosten nicht mehr im Boden eingespannt werden mussten, lohnte sich auch der mehrgeschossige Bau: Ohne Erdfeuchte und Spritzwasser können Fachwerkbauten mehrere hundert Jahre alt werden, zumal sich tragende Einzelteile auswechseln lassen, ohne die gesamte Konstruktion erneuern zu müssen. Seit dem 19. Jahrhundert allerdings ersetzten Gebäude aus Mauerwerk im Stadtbild die traditionellen Holzbauten. Mit der Industrialisierung wurden Stahl und Beton dann zu Massenprodukten: Holz verschwand als Material für moderne Gebäudetragwerke aus Mitteleuropa.
Dabei entwickelte sich auch der Holzbau stetig weiter: Neben Friedrich Zollinger suchte der Architekt Konrad Wachsmann nach einem „Wendepunkt im Bauen“, so der Titel seines 1959 veröffentlichten Manifestes für die Industrialisierung des Bauens. Bereits gut 30 Jahre vorher hatte er begonnen, als Chefarchitekt einer Holzbaufabrik industriell vorgefertigte Holzhäuser zu planen. Die bekannteste Realisierung seines Holzbausystems sollte 1929 Albert Einsteins Landhaus in Caputh werden, das bis 1932 von den Einsteins bewohnt wurde. Dass die Wahl des weltberühmten Physikers auf den jungen, wenig bekannten Architekten Konrad Wachsmann fiel, ist dabei kaum erstaunlich: Albert Einstein hatte offensichtlich auch bei gestalterischen Fragen ein Gespür für kreative und fortschrittlich denkende Menschen.
Konrad Wachsmanns Bauten basierten auf der Tafel- oder Rahmenbauweise, die sich aus dem Ständerbau weiterentwickelte und heute und auch in diesem Buch die wohl am häufigsten eingesetzte Konstruktionsweise im Holzbau ist. Die seit den 1920er-Jahren bekannten Brettstapeldecken und -wände wurden dafür zu leistungsfähigen Tragwerksteilen optimiert, die auch aus minderer Holzqualität hergestellt werden können. Sie werden weitgehend im Werk vorgefertigt, einschließlich Fenstern und Fassadenverkleidung, sodass die hochkomplexen Bauteile mit ihren diversen Anschlüssen nicht nur unter optimalen Bedingungen hergestellt werden
können, sondern auch die Bauzeit verringern. Und natürlich ist auch beim Holzmassivbau die Zeit nicht stehengeblieben: Die Bauelemente für Massivkonstruktionen sind heute aus Brettstapeln, aus Brettsperrholz (BSP) beziehungsweise aus Cross Laminated Timber (CLT) gefertigt. Im Tragwerk als Platte oder Scheibe eingesetzt, sind sie mit Stahlbetonplatten vergleichbar – auch ihre Vorteile machten sich die Architektinnen und Architekten für die „Häuser aus Holz“ zunutze. Darüber hinaus bestätigen die Planenden mit zahlreichen Projekten, was der Architekt und emeritierte Professor für Holzbau, Hermann Kauffmann, im „Atlas Mehrgeschossiger Holzbau“ vor Jahren konstatierte: „Eine Einteilung in durchgängige Konstruktionsmethoden wie Rahmen-/Tafelbau, Skelettbau und Massivholzbau sind nicht mehr sinnvoll. Intelligente Kombinationen verschiedener Bauelemente ermöglichen dagegen maßgeschneiderte Lösungen in der Baupraxis sowie größtmögliche Entwurfsfreiheit.“ Was zudem auch für den Einsatz von Beton im Holzbau gilt: Als Geländeausgleich, Teil des Tragwerks, als Sockel oder Sockelgeschoss übernimmt Beton bei zahlreichen Häusern in diesem Buch Aufgaben, die die Holzkonstruktionen intelligent ergänzen.
Im Materialkanon zeitgemäßen Bauens ist der Holzbau mit all seinen Konstruktions- und Kombinationsmöglichkeiten also längst ebenso angekommen wie in der modernen Gestaltung. Für die Zukunft des Bauens ist er maßgeblich. Und unter die besten Einfamilienhäuser gehören Häuser aus Holz sowieso: Denn rekordverdächtig sind vor allem die Wohnlichkeit und das Behagen, die im Holzhaus entstehen, egal ob es als Ständer-, Tafel- oder Massivbau geplant wurde, gleich, ob seine Wände unbehandelt belassen, gestrichen oder verputzt wurden, und uabhängig davon, ob Parkett, Dielen oder Estrich auf dem Boden verlegt sind. „Holz ist Gefühl“, weiß der Journalist Tillmann Prüfer von der „Zeit“. „In einer Welt, in der wir nicht einmal mehr verstehen, was in unserem Handy vor sich geht, in der alles von uns entfremdet ist, erscheint Holz als das Warme, das Wahre – eben als die bessere Welt.“
Katharina Matzig
Interview
Mit Juri Troy, Bernardo Bader, Tom Lechner
Die Verwendung von Holz in der Architektur erlebt gerade, angetrieben von ökologischen, ästhetischen und technologischen Faktoren, eine große Renaissance. Als führende Akteure im Bereich des Holzbaus gestalten Architekten nicht nur Räume, sondern auch die Zukunft der Bauindustrie maßgeblich mit. Ihre Expertise und Kreativität prägen die Entwicklung von innovativen Holzkonstruktionen und nachhaltigen Bauprojekten.
Diese Expertise haben uns drei der führenden Architekten, Juri Troy, Bernardo Bader und Tom Lechner, zur Verfügung gestellt.
Seit vielen Jahren werden Häuser von Ihnen unter die 50 besten Einfamilienhäuser gewählt, sie sind aus Holz gebaut. Warum bauen Sie mit Holz?
Bernardo Bader Ich schätze das Umfassende des Elementes Holz, indem es vermag, alle unsere Sinne anzusprechen. Das entspricht auch meinem Selbstverständnis von Architektur.
Tom Lechner Weil ich eine starke Verbindung zur Bautradition im ländlichen Raum habe und dabei Holz immer eine wichtige Rolle spielt; in Holz zu bauen, heißt in Holz zu denken, und das inspiriert mich sehr, handwerklich intelligente und angemessene Konstruktionen für die jeweilige Bauaufgabe zu finden. Darüber hinaus berührt man mit einem Holzbau auch auf der sinnlichen/emotionalen/menschlichen Ebene - genau bei dem, was Architektur oft fehlt.
Juri Troy Holz ist seit Jahrhunderten vielseitig einsetzbar und erlaubt daher einen breiten Spielraum an Gestaltungsmöglichkeiten, den wir uns gerne zu eigen machen.
Was fasziniert Sie persönlich am Werkstoff Holz?
Bernardo Bader Holz ist ein fantastisches Material. Es ist lebendig, es altert schön, und es ist ökologisch, wenn man lokale Hölzer nimmt. Aber ich arbeite auch gerne mit anderen Materialien: mit Glas, Beton und Stein. Es kommt immer darauf an, was die künstlerische Idee ist.
Tom Lechner Die vielen Potenziale, die uns das Material aufzeigt; einerseits Konstruieren und Bauen auf einer technischen ausgereiften Ebene (Ingenieurbauten) und anderseits unaufgeregtes Bauen ohne künstliche, modische Überformungen - sägerau und bodenständig.
Juri Troy Die Verwendung führt auch zu einer Verbesserung der Baukultur, da es notwendig ist, Planungsaufgaben ganzheitlich zu denken und umzusetzen. Leider ist das seit einigen Jahrzehnten nicht mehr selbstverständlich.
Woran liegt es Ihrer Meinung nach, dass der Baustoff Holz bei Bauherren so beliebt ist?
Bernardo Bader Holz ist seit Menschengedenken das Baumaterial der Einheimischen. Meine Bauherren und ich arbeiten gerne damit, um so eine Nähe zur lokalen Baukultur herzustellen. Das Material hat immer mit dem Ort zu tun. Wir arbeiten gerne mit Materialien, die in unmittelbarer Nähe vorkommen und welche die Handwerker verarbeiten können. Da entstehen Beziehungen, Beziehungen zu den Menschen wie auch zu den Dingen. Die Materialwahl ist für mich eine kulturelle Verpflichtung und hat für den Ort ökologische wie ökonomische Konsequenzen.
Tom Lechner Einerseits bietet ein Holzhaus eine gute Antwort auf die gebaute Banalität (Anonymität) unseres Alltags und anderseits weckt es Emotionen in uns, die alle auf unterschiedlicher Art und Weise schon von Kindheit an in uns schlummern.
Juri Troy Mit Sicherheit spielt die erhöhte Sensibilität in Bezug auf das klimaschonende Bauen eine Rolle. Zudem besitzt das Material durch den natürlichen Ursprung auch eine gewisse Sinnlichkeit.
Holz bietet zahlreiche konstruktive Möglichkeiten, welche Bauweise favorisieren Sie? Und wie hat sich der Holzbau in den vergangenen Jahren entwickelt?
Bernardo Bader Viele der aktuellen Holzbauten inspirieren mich wenig, weil bei diesen alles möglich scheint, und das gefällt mir nicht. Mich interessiert verstärkt die lokale Holzbeschaffung, wie wir sie bei privaten, aber auch bei öffentlichen Projekten praktizieren. Bei den öffentlichen Projekten ist dieses Vorhaben juristisch zwar immer etwas komplex, da Projekte in dieser Art und Größe eine öffentliche Ausschreibung verlangen. Entscheidend ist es, von Beginn an ein Projekt durchgängig im Material und in den zur Verfügung stehenden Ressourcen zu denken. Wir müssen uns zwingend wieder von der Vorstellung wegbewegen, dass alles möglich ist. Tom Lechner Ich schätze jene Konstruktionen, die in sichtbarer Ausführung dem Gebäude einen unverwechselbaren Charakter/Atmosphäre verleihen. Wenn die materialspezifischen Eigenschaften einer Konstruktion (Stützen, Balken, Raster, Dimensionen etc.) mit entsprechenden Oberflä-
chen und Materialkombinationen zu einem Gesamtbild zusammengefügt werden, bei dem kein gestalterischer Layer (Zuckerglasur - Innenraumdesign) mehr notwendig ist. Der Holzbau wird mittlerweile sehr von der Holzbauindustrie mit ihren Produkten (z. B. Brettsperrholz) geprägt und diese bieten uns viel Spielraum, jedoch darf eine Weiterentwicklung des Handwerks dabei nicht auf der Strecke bleiben.
Juri Troy Die Holzmassivbauweise bringt neben schnellen Bauzeiten auf der Baustelle auch zahlreiche weitere Vorteile bauphysikalischer oder statischer Natur mit sich. Die Digitalisierung hat den Holzbau in den letzten Jahren positiv beeinflusst. Mehrere Planungsschritte und Schnittstellen können viel schneller und ohne größere Reibungsverluste abgewickelt werden.
Wie nachhaltig ist der Baustoff Holz wirklich?
Bernardo Bader Wie fast alle wissen, ist Holz ein nachwachsender Rohstoff, kann Kohlenstoff speichern und schafft ein angenehmes Raumklima. Die wertvollen Eigenschaften für eine nachhaltige Bauweise liegen also auf der Hand. Diese zu einem ganzheitlich nachhaltigen Ergebnis zu führen, erfordert aber eine entsprechend qualifizierte Planung und eine differenzierte Auseinandersetzung, insbesondere mit dem Thema der Materialität. Was viele nicht wissen: Ein Holzbau wird nicht gezeichnet, sondern konstruiert.
Tom Lechner Neben den plakativen Schlagwörtern, die wir ja alle kennen (CO2-bindend, nachwachsend, rückbaubar etc.) ist für mich Holz auf der emotionalen und sinnlichen Ebene nachhaltig - ein Trend, nämlich die Verwendung von „Altholz“, meistens jedoch nur als dekoratives Element in einem falschen Kontext, ist bestes Beispiel dafür! Niemand würde sein Wohnzimmer mit einem alten, abgewitterten Vollwärmeschutz dekorieren - mit Altholz macht man das!
Juri Troy Nur weil ein Gebäude aus Holz gebaut wurde, muss es nicht per se nachhaltig sein. Voraussetzungen sind eine sinnvolle Planung und die richtige Auslegung für geplante und zukünftige Nutzungen. Auch welche Produkte wie eingesetzt werden, ist von großer Bedeutung bei diesem Thema.
Welche Vorurteile können und möchten Sie gerne entkräften?
Bernardo Bader Vorurteile interessieren mich nicht. Ich beschäftige mich lieber mit den sinnlichen und kulturellen Dimensionen des Holzes. Holz ist ein Stoff, aus dem sich die Welt zusammensetzt. Und Holz selbst ist auch eine ganze Welt, in mannigfaltiger Weise verbunden mit unserem Leben, Wohnen, mit Arbeit und Freizeit. Holz durchzieht von allen Anfängen an das Leben des Menschen.
Tom Lechner Der Holzbau als eine Bauweise für lediglich minderwertige und untergeordnete Bauaufgaben; in Holz zu bauen, ist mittlerweile nicht nur aus technischer Hinsicht „State of the Art“, sondern auch in der Akzeptanz der Gesellschaft angekommen; die Vorurteile eines Barackenklimas, einer Hellhörigkeit, einer hohen Brandgefahr und fehlender Wirtschaftlichkeit wurden mit vielen Best-Practice-Beispielen bei unterschiedlicher Aufgabenstellung allesamt entkräftet.
Juri Troy Das Vorurteil, dass Holzbauten etwas teurer sind als Gebäude in herkömmlicher Massivbauweise beispielsweise, da hier oftmals die Vorteile durch kürzere Bauzeiten und die Betrachtung über den gesamten Lebenszyklus nicht mit eingerechnet werden.
In diesem Buch wird Holz für den Neubau verwendet, als Aufstockung, für den An- oder Umbau, in historischem Kontext, in ländlichem, dörflichem und - selten leider - auch im städtischen Umfeld. Welche Möglichkeiten sehen Sie für den Holzbau?
Bernardo Bader Ich sehe großes Potenzial im städtischen Raum. Leider wird Holz immer noch oft als ausschließlich ländlicher Baustoff wahrgenommen. Urbane Umgebungen werden meist mit anderen Baustoffen in Verbindung gebracht. Das ist erstaunlich, denn in Mittel- und Nordeuropa waren die Städte bis in das 19. Jahrhundert zu einem guten Teil von Holzbauten geprägt. Und vielen Städten sieht man dieses Erbe auch heute noch deutlich an. Mehrgeschossige Fachwerkbauten mit reicher Ornamentik auf gemauerten Sockelgeschossen bspw. sind aus manch städtischen Umgebungen nicht wegzudenken. Gute Beispiele dafür, dass nicht das Material an sich, sondern der architektonische Umgang damit das Einfügen in den urbanen Kontext ausmacht.
Tom Lechner In all den aufgezählten Bereichen wird sich der Holzbau - je nach Anforderung - noch weiterentwickeln müssen. D. h., wir dürfen uns nicht auf dem derzeitigen Entwicklungsstand ausruhen; wichtig dafür ist aber auch die Evaluierung der Normen, Regelwerke, Vorschriften etc. aufgrund der vielen positiven Beispiele und Erfahrungen; Sie gehören überarbeitet und entsprechend angepasst; nicht zuletzt auch Schulungen und Weiterbildungen für die jeweiligen Bearbeiter/Entscheidungsträger in den Bauämtern; wenn wir gemeinsam auf guten, holzaffinen Rahmenbedingungen planen und aufbauen können, dann bekommt der Holzbau den Stellenwert, den er sich schon längst verdient hat.
Juri Troy In Zukunft wird Holz auch im urbanen Raum eine größere Rolle spielen. Durch digitale Planung und Vorfertigung lassen sich Baustellen viel rascher abwickeln. Zudem spielen die spezifischen Eigenschaften wie Leichtigkeit oder Erdbebensicherheit dem Baustoff bei Bestandsaufstockungen beispielsweise in die Hände.
Welche neuen Fertigungstechnologien hat die Branche zu bieten? Was ist derzeit State of the Art?
Bernardo Bader Was „State of the Art“ ist, kann ich Ihnen nicht beantworten. Ich weiß nur, dass sich unsere Zeit verändert hat. Auch unsere Gesellschaft. Themen, die seit jeher wesentliche Fragen der Architektur und des Lebens waren, rücken glücklicherweise wieder vermehrt in den Mittelpunkt.
Tom Lechner Neben diversen Verbundsystemen (Holzbeton), ist es auch schon möglich, massive Holzbauelemente (Brettsperrholz) thermisch zu aktivieren. Ausgangslage dafür ist das System der Betonkernaktivierung, das nun auch im Holzbereich eingesetzt wird und erste gute Ergebnisse erzielt.
Holzleichtbau
Holzrahmenbauweise: Wände aus Holzrahmen mit senkrechten Stäben und waagerechten Riegeln Holztafelbau: Holzskelett mit vorgefertigten Wand-, Decken- und Dachelementen
Holzskelettbauweise (Fachwerk): Tragende Konstruktion aus senkrechten Stützen und horizontalen Trägern
Holzständerbauweise (Weiterentwicklung des Fachwerkbaus): Senkrechte Stützen (Ständer) reichen vom Boden bis zum Dach, mit Holzplatten versteift
Holzmassivbau
Holzblockbauweise: horizontale Schichtung entrindeter Bohlen mit mind. 40 cm Dicke
Brettstapelbauweise: Verleimte, vernagelte oder verdübelte Bretter, kreuzweise verbunden zu Platten für Wände und Decken
Schön schlicht
Zur Straße verschlossen, zum Garten geöffnet, im Erdgeschoss aus Beton, im Obergeschoss aus Holz gefertigt, zeigt das Haus in Tulln zwei unterschiedliche Seiten und zwei verschiedene Materialitäten. Innen verbindet sich der Dualismus höchst wohnlich.
Das niederösterreichische Tulln an der Donau ist eine der ältesten Städte Österreichs, gotische und barocke Häuser bestimmen das Zentrum. Eine sorgfältige Internetrecherche brachte die Bauherren, die ein gut 700 Quadratmeter großes Grundstück westlich der Stadtmitte bebauen wollten, mit Juri Troy zusammen. „Ich halte diese Herangehensweise eigentlich für sehr gut, da sie eine eingehende Beschäftigung mit dem Thema Architektur und ein kla res Bekenntnis zum ausgewählten Büro voraussetzt“, findet der Architekt, der 2003 sein Büro in Wien und 2011 ein weiteres in Bregenz gründete. Die Zusammenarbeit mit der Baubehörde jedoch war etwas schwieriger: So musste genau nachgewiesen werden, dass der Holzanteil der Fassade weniger als 50 Prozent ausmacht. Der Fugenanteil bei der Fassade des Sockels musste minimiert werden. „Auch konnten wir nur durch ein ausgetüfteltes Dachranddetail die geforderte Vordachlänge optisch minimieren.“
Mit Zugang im Norden erstreckt sich der schmale Baukörper nun in die Tiefe des Grundstücks gen Süden. Komplett verschlossen präsentiert sich das sattelgedeckte Haus zur Straße hin. Sein Erdgeschoss ist aus Beton gefertigt, die massiven Volumina, die auch die Garage aufnehmen, bilden einen offenen Winkel, in dem der geschützte Eingang liegt. Eine Blickachse zieht den Blick bis ins Grüne. Großzügig und differenziert entwickelt sich der Wohnraum, er öffnet sich in den Garten, eine Loggia wird zum räumlichen Übergang von innen nach außen.
Schmal und langgestreckt legt sich das aus Holz gefertigte Obergeschoss über den verspringenden Sockel. Raumhöhe und Dachneigung bleiben erlebbar, die Kinderzimmer sind über Hochebenen unter dem Giebel miteinander verschränkt. Das Elternschlafzimmer ist über eine Terrasse mit dem Bad verbunden. Sie lässt Licht ins Innere und eröffnet einen privaten Außenraum.
Sichtbeton bestimmt das Erdgeschoss. Holzoberflächen aus Weißtanne und weiß geölter Esche harmonieren und sorgen für eine wohnliche At mosphäre. Das Obergeschoss wurde als Holzmassivbau auf den Betonsockel gestellt, es besteht aus CLT – Cross Laminated Timber, also kreuzweise verleimten Brett sperrholzplatten –, die eine schnelle, trockene und präzise Bauweise gewährleisten und hohe Nachhaltigkeitskriterien erfüllen. Das Konstruktionsprinzip ist ablesbar: Die Fassaden im Erdgeschoss sind mit Faserbetonplatten verkleidet, ver tikale Holzlattung umhüllt das Obergeschoss. Eine Erdwärmepumpe versorgt das Haus mit Energie, kontrollierte Wohnraum lüftung mit Wärmerückgewinnung stärkt das Energiekonzept.
Maßstab
M 1:200
1 Eingang
2 Garage
3 Bad
4 Kochen, Essen, Wohnen
5 Schlafen
6 Terrasse
7 Loggia
Links und vorige Seite:
Die Erdgeschossvolumina aus Beton sind so gegeneinander versetzt, dass straßenseitig ein geschützter Eingang entsteht und zum Garten hin eine überdachte Loggia. Sie verbindet Innen und Außen witterungsgeschützt.
Grundriss Obergeschoss
„Architektur muss zukunftsfähig sein, daher müssen wir zu einer ganzheitlichen Architekturauffassung zurückkehren.“
Juri Troy juri troy architects, Wien (A) www.juritroy.com
Anzahl der Bewohner: 5
Wohnfläche (m2): 183
Grundstücksgröße (m2): 715
Standort: Tulln (A)
Bauweise: Holzmassivbau in CLT Fertigstellung: 11/2020
Architekturfotografie: Juri Troy, Wien (A) www.juritroy.com
Grundriss Erdgeschoss
Lageplan
Das Musterhaus
Mitten
im Dorfkern realisierten die Architekten ein Strohballenhaus.
Gestalterisch passt es sich ein. Ökologisch weist es den Weg in die Zukunft. Für
die Familie lässt es flexible Nutzungen zu. Und schön ist es auch.
Pfaffenhofen ist eine kleine Gemeinde in der Nähe von Heilbronn. Kirche und Fachwerkhäuser aus dem 16. und 17. Jahrhundert prägen die Stadtmitte, um den Ort erheben sich malerische Weinberge. Der Bauherr kam mit präzisen Vorstellungen auf Florian Kaiser und Guobin Shen zu, die 2017 in Stuttgart ihr Büro gründeten: Als Energieberater wollte er ein Haus aus nachwachsenden Rohstoffen, die in den natürlichen Kreislauf zurückgeführt werden können. Seit Ende des 19. Jahrhunderts haben sich Strohballen, kombiniert mit Lehmputz, als thermische Hülle für Boden, Decke, Dach und Wand bewährt, wenn auch nicht durchgesetzt. Höchste Zeit also, die historische Bauweise in die Zukunft zu führen. Schließlich ist Stroh nachwachsend, kreislauffähig und damit klima- wie auch ressourcenschonender als herkömmliche Dämmstoffe. Es ist üppig vorhanden und kann regional geerntet werden. Sein Dämmwert ist annähernd so gut wie der industrieller Produkte. Und es muss nicht auf Kosten von Flächen für die Lebensmittelproduktion angebaut werden. Dem Lowtech-Material entspricht die unkomplizierte Handhabung: Die Strohballen werden auf einer Dicke von 36,5 Zentimetern in eine Holzunterkonstruktion hineingepresst. Überstände werden einfach mit einer Heckenschere abgefräst.
Heute sind alle sechs Fassaden von Haus Hoinka, also auch das Dach und die Bodenplatte, in Strohballenbauweise errichtet. Um auf aufwendige Abdichtungen zu verzichten und dennoch die Strohballen in der Bodenplatte dauerhaft vor Wasser zu schützen, wurde das Gebäude um ein Geschoss aufgeständert: Das kompakte Haus ruht auf einem Betonkreuz und vier Stützen.
Flexibilität war eine weitere Maßgabe der Bauherrschaft. Konzipiert als Doppelhaus sind beide Wohneinheiten jeweils durch eine einläufige Treppe mit dem Gartengeschoss verbunden. Im ersten Geschoss ist das Haus in Längs-, im zweiten in Querrichtung geteilt. Die Teilung ist ablesbar: Die Fichtenholzkonstruktion und der Lehmputz in der zur Dorfmitte gerichteten Wohnung sind weiß pigmentiert, in der zur Gartenseite hingegen naturbelassen. In der Weißtannenfassade variieren die Brettbreiten in der Boden-Deckelschalung zwischen den beiden Doppelhaushälften. Auch das Erdgeschoss lässt sich flex ibel je nach Bedarf als E-Ladestation, Werkstatt oder Sommerküche nutzen.
Die Wohngeschosse gliedern sich in jeweils acht nahezu quadratische Räume, etwa 4 x 4 Meter groß. Somit können sie wechselweise als Schlaf zimmer, Wohnzimmer, Esszimmer oder Küche genutzt werden. Nur die sogenannten dienenden Räume, wie etwa die Bäder, sind aufgrund der Instal lationen nicht variabel.
Die Gleichwertigkeit der Räume spiegelt sich auch in der Fassade: Die Fensterformate im Obergeschoss sind bis auf die Balkontüren identisch. Im Dachgeschoss wurden unter der Dachschräge breite Bandfenster eingesetzt.
Längsschnitt
Grundriss Dachgeschoss
Grundriss
2. Obergeschoss
Maßstab
M 1:400
1 Eingang 1
2 Eingang 2
3 Sommerküche
4 Parken, E-Ladestation
5 Technik
6 Ausbau barrierefreie Wohnung
7 Doppelhaushälfte 1
8 Doppelhaushälfte 2
Grundriss
1. Obergeschoss
Grundriss Erdgeschoss
Oben: Räume und Raumeinheiten lassen sich variabel nutzen, die beiden Wohneinheiten der Doppelhaushälften sind jeweils geschossweise teilbar. Zudem können die beiden großen Maisonettewohnungen in vier kleine unterteilt werden. Die interne Treppe wird dann zum Treppenhaus, das zwei Wohneinheiten erschließt, die Zimmertüren werden zu Eingängen.
Alle Materialien sind in einer vom Bauherrn entwickelten Datenbank für nachhaltige Bauprodukte einschließlich ihrer Herkunft erfasst. Auch für den Betrieb des Hauses werden hauptsächlich regenerative Energien eingesetzt: Strom wird aus Solarzellen generiert, die vollflächig als wasserführende Schicht integriert sind. Geheizt wird mittels einer auf Kühlung umschaltbaren Wärmepumpe, die eine Deckenflächenheizung bedient. So erreicht das Haus den KfW 40 Plus Effizienzhaus und den EffizienzhausPlusStandard. Ein Jahr lang wird ein Monitoring im bewohnten Zustand durchgeführt, um die tatsächlichen Verbrauchswerte mit den errechneten abgleichen zu können.
„Die Raumidee des Hauses basiert auf einer klaren Tragstruktur, mit Räumen ohne Eigenschaften, deren Nutzung sich auch ohne nennenswerte bauliche Eingriffe verändern lässt.“ Atelier Kaiser Shen
Florian Kaiser, Guobin Shen
Atelier Kaiser Shen, Stuttgart www.atelierkaisershen.de
Anzahl der Bewohner: 9 bis 12
Wohnfläche (m 2): 360
Grundstücksgröße (m2): 604
Standort: Heilbronn (D)
Bauweise: Brettsperrholz Tragwerk, Strohballendämmung und Lehmputz
Fertigstellung: 02/2023
Architekturfotografie: Brigida González, Stuttgart www.brigidagonzalez.de
Lageplan
Mitten im Grünen
Eindrucksvolle Jugendstilvillen charakterisieren die Nachbarschaft, das Grundstück inmitten einer Parkanlage war allerdings mit einem biederen Landhaus bebaut. Für einen Abriss war seine graue Energie zu wertvoll: Heute sitzt ein zeitgemäßer, vorgefertigter Holzbau auf dem alten Erdgeschoss auf, der mit der Umgebung angemessen in Dialog tritt.
Gryphenhübeli heißt das Quartier außerhalb der Berner Stadtmauern. Es entstand aufgrund des Bevölkerungswachstums um 1900 als Osterweiterung der Stadt, der Grund war im Besitz der Berner Oberschicht, den Bernburgern. Die Nydeggbrücke verband mit der Altstadt, es entstanden vom Jugendstil beeinflusste Villen mit großzügigen Park- und Gartenanlagen, bis heute ist der besondere Charme des Viertels spürbar. Die Bauherrschaft kannte und schätzte ein Einfamilienhaus von Ivo Sollberger und Lukas Bögli, die beide bei Herzog & de Meuron als Projektleiter arbeiteten, ehe sie 2000 Sollberger Bögli Architekten in Biel gründeten. Das Grundstück ist Teil der sogenannten Thormannschen Besitzung: Das Herrschaftshaus ist von einer Parkanlage nach englischem Vorbild umschlossen, sie wurde allerdings bereits im späten 19. Jahrhundert nach
und nach par zelliert und verkauft. So entstand 1967 ein isolierter Grund inmitten des Parks, auf dem die Architekten Thormann & Nussli ein Haus im Landhausstil bauten. „Das gedrungene Haus erreicht aber leider die architektonische Qualität der Nachbarbauten nicht und wirkt seltsam fremd und isoliert“, urteilen die Architekten. Von einem Neubau rieten sie den Bauherren nach gründlicher Prüfung trotzdem ab: Die Bausubstanz des robusten Massivbaus war her vorragend und hatte mit erst 53 Jahren das Ende ihrer Lebensdauer noch lange nicht erreicht.
Die Struktur des Unter- und Erdgeschosses blieb weitgehend erhalten, das bestehende Dach wurde durch ein Obergeschoss in vorgefertigter Holzbauweise ersetzt. Ein umlaufender, am Dach aufgehängter Balkon wirkt als Filter zu den Nachbarn, die ausgestell-
ten Storen erlauben auch im geschlossenen Zustand den Blick in den Garten. Elegant umhüllt die filigrane, gerüstartige Konstruktion das Haus auf allen Seiten. Mit dem alten Landhaus hat das neue Haus äußerlich nichts mehr gemein: Der Entwurf wurde von der Stadtbildkommission – Architekten, Landschaftsarchitekten, dem Stadtplaner, dem Bauinspektor, der Denkmalpflege und Stadtgrün der Stadt Bern – eng begleitet. Sie hat „uns zusätzlich motiviert, eine angemessene und bewilligungsfähige Architektur zu entwickeln.“ So ist es: Heute übersetzen der leicht transparente Sonnenschutz und die schimmernd schwarz lasierte Holzfassade aus Weißtanne die Noblesse der benachbarten Villen zeitgemäß und heutigen Wohnansprüchen gemäß.
Die alte Treppe erschließt, bewusst steigert die dunkle Farbigkeit die ur-
sprüngliche Enge. Umso großzügiger öffnet sich die Diele mit einem kunstvollen Oberlicht und raumhohen Eichentüren mit Profilglasfüllung. Die lineare Anordnung der Fenster und Innentüren im Obergeschoss sorgt für Sichtbezüge über die gesamte Tiefe und in die angrenzende Parkanlage und ermöglicht stimmungsvolles, komfortables Kochen, Essen und Wohnen mitten im Grünen.
Querschnitt
Längsschnitt
Maßstab
M 1:400
1 Eingang
2
6 Arbeiten, Fernsehen
Vorige Seite: Nach 1900 entstanden im Rahmen der Stadterweiterung großartige Villen im Osten Berns. Die Parzelle der Bauherrschaft war Teil eines Landguts mit eindrucksvollem Garten und altem Baumbestand, mittig bebaut mit einem für die Umgebung untypischen Landhaus. Dessen Bausubstanz jedoch war gut, sie wurde erhalten und der Nachbarschaft angemessen umgestaltet.
Fenster und Türen sind so angeordnet, dass sie Sichtbezüge über die gesamte Tiefe der Geschosse – unten liegen die Rückzugsräume, oben die Wohnräume und die Küche – hinaus in die angrenzende Parkanlage ermöglichen.
Die mittige Lage auf dem Grundstück sorgt für größtmögliche Distanz zu den Nachbarn, der Grundriss ist annähernd quadratisch. Das Dach wurde ersetzt durch ein vorgefertigtes Holzgeschoss und ist umhüllt von einer schwarz lasierten Weißtannenfassade. Ein leicht transparenter Sonnenschutz filtert Licht und Blicke. Die Grundstücksgrenzen zum angrenzenden Park und Gemüsegarten verschwimmen.
„Ein Haus für eine junge Familie, das sich unaufgeregt und zurückhaltend in die hochgradig geschützte und noble Nachbarschaft integriert.“
Lukas Bögli, Ivo Sollberger Sollberger Bögli Architekten AG, Biel (CH) www.sollbergerboegli.ch
Anzahl der Bewohner: 5 & 1 Hund
Wohnfläche (m2): 453
Grundstücksgröße (m2): 1.990
Standort: Bern (CH)
Bauweise: Holzbau
Fertigstellung: 11/2019
Architekturfotografie: Thomas Jantscher, Neuchâtel (CH) www.jantscher.ch
Lageplan
Das Elternhaus
in Schondorf am Ammersee (D) von BAYR GLATT GUIMARAES
ARCHITEKTEN PartG mbB
HOLZ –
ZEITLOS, NATÜRLICH UND VIELSEITIG
Ein Baustoff, der Tradition und Innovation miteinander verbindet. Dank moderner Technologien und Baukonzepte wird diese umweltfreundliche Bauart zunehmend zur bevorzugten Option für Wohnprojekte in urbanen und ländlichen Umgebungen. Und das zurecht. Dieses Callwey Buch präsentiert eine Vielzahl einzigartiger Einfamilienhäuser aus Holz. Von grundlegenden Fakten bis hin zu detaillierten Plänen und viel Inspiration bietet es alles für Begeisterte der Holzarchitektur.
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