Das Original Kreutzkamm Backbuch - Elisabeth Kreutzkamm-Aumüller
STRUDEL
EINLEITUNG
AMUSEGUEULE HEFEGEBÄCK BASISWISSEN
KUCHEN & GEROLLTES
TORTEN
WEIHNACHTEN
Liebe Freundin, lieber Freund des Hauses Kreutzkamm, die Conditorei Kreutzkamm begeht ihren 200. Geburtstag. Ich bin stolz und dankbar, das Haus in 5. Generation zu lenken. Es ist weltweit das älteste familiengeführte Unternehmen, das in ununterbrochener Handwerkstradition und höchster Qualität Baumkuchen, Christstollen und andere exquisite Köstlichkeiten des Backens herstellt.
Das Ihnen vorliegende Buch feiert die lange Geschichte unserer Conditorei Kreutzkamm und vermittelt Einblicke in die wechselvolle Geschichte der Höhen und Tiefen unseres Familienbetriebes. Ich werde häufig gefragt, weshalb gerade Kreutzkamm insbesondere die durch Kriege und wirtschaftliche Not bedingten schweren Zeiten über zwei Jahrhunderte überstehen konnte. Uns gab es schon vor der ersten deutschen Ferneisenbahn – und, man mag es sich kaum vorstellen, zu Zeiten ohne Kühlschrank und Strom.
Antworten auf die Frage gibt es viele. Auf einen persönlichen Aspekt möchte ich eingehen. Über die Generationen hinweg haben wir Kreutzkamms unser Herzblut in die Qualität unserer Produkte gesteckt und unsere Dienste den Kunden gewidmet.
Und so war auch meine Kindheit durch die Erfordernisse und den Rhythmus des Betriebes geprägt: Bereits von klein auf wurde ich nach der Schule im Unternehmen eingebunden. Mit zehn Jahren stand ich hinter der Theke und wurde in den Ferien durch die Abteilungen in der Backstube geschickt. Ab November packte ich nach der Schule und an den Wochenenden Päckchen. Das Firmentelefon wurde nach Feierabend und am Wochenende nach Hause verbunden – lange Gespräche mit Freundinnen waren tabu, damit Kunden jederzeit ihre Bestellungen abgeben konnten. Das Konditoreiwesen habe ich quasi nebenbei erlernt. Mein Studium als Kauffrau erschien mir wichtig, um das Familienunternehmen mit betriebswirtschaftlichen Kenntnissen durch die herausfordernden Veränderungen einer sich stets wandelnden dynamischen Zeit zu führen.
Dieses Buch vermittelt jedoch nicht vornehmlich die Vergangenheit und Gegenwart von 200 Jahre Kreutzkamm und spekuliert auch nicht über die Zukunft unseres Hauses. Die Quintessenz unseres Erfolges sind unsere Konditoreispezialitäten – die Rezepte unserer Gebäcke, Christstollen, Torten oder Pralinen. Diese möchte ich mit diesem Buch in den Vordergrund stellen und Sie auf eine Entdeckungsreise in die Geheimnisse unserer Manufaktur einladen, die wir nun über so viele Jahre in der Familie und Mitarbeiterschaft gepflegt und gehütet haben. Hoffentlich haben Sie genauso Freude wie ich, die Rezepte, die wir Tag für Tag, Jahrzehnt für Jahrzehnt, ja gar über Jahrhunderte herstellen, nachzumachen.
Sind es dieselben Rezepturen wie im 19. Jahrhundert? Vor allem beim Stollen werde ich dies oft gefragt. Meine
ehrliche Antwort lautet: nein. Denn viele Zutaten und deren Qualität der vergangenen Jahrhunderte wie Schweineschmalz, Rindertalg und viele andere Ingredienzen werden heute so in der Küche nicht mehr verwendet. Der Ansporn in unserer Familie war immer, das beste Produkt mit den besten Zutaten handwerklich herzustellen. Das Ergebnis muss einem Kreutzkamm-Produkt gerecht werden. Und so passen sich Rezepte zwar an heutige Regularien an, ohne dabei Kompromisse beim Geschmack und der handwerklichen Vollendung unserer Artikel einzugehen.
„Elisabeth, Du bist eine Kreutzkamm, eine Kreutzkamm tut so etwas nicht!“ Das war einer der prägendsten Sätze meiner Kindheit. Ich empfand meinen Familiennamen damals häufig als eine Belastung. Heute bin ich unendlich stolz und dankbar, ihn zu tragen und den Schatz unserer familiengeführten Conditorei behüten zu dürfen. Doch dabei bin ich nicht allein.
Mein Dank gebührt zunächst allen unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, mögen es Tausende sein, die uns in 200 Jahren durch Höhen und Tiefen begleitet und unsere Werte, die Qualität unserer Baumkuchen, Torten, Kuchen und Stollen, die Traditionen und Geheimnisse ihrer Herstellung sowie die Magie unserer Conditorei bewahrt habenund bewahren. Hier seien insbesondere Frank Schmahl und Lisa Zwickel genannt, die maßgeblich für die Entwicklung bzw. Umrechnung der Rezepte in diesem Buch verantwortlich waren. Ich bedanke mich bei meinen Eltern, dass sie die Mühen des Wiederaufbaus nach dem Krieg auf sich genommen haben, meinem Mann und meinen vier wunderbaren Kindern. Ohne sie wäre ich nichts! Mit ihnen bin ich alles! Mit größter Vorfreude erwarte ich den Moment, wenn ich –wie sich abzeichnet – das Haus Kreutzkamm in die Hände der 6. Generation legen darf. Und last but not least bedanke ich mich bei Ihnen, liebe Kundeninnen und Kunden. Ich bedanke mich für die große Treue, die Sie uns und womöglich schon Ihre Eltern und Vorfahren über viele Jahre gehalten haben. Danke!
Bei der Lektüre unseres Buches wünsche ich Ihnen viel Spaß. Sollten Sie das Rezept für unsere KreutzkammBaumkuchen vermissen, so muss ich Ihnen leider mitteilen, dass wir Ihnen kein Rezept für zu Hause anbieten können. Das liegt zum einen an den speziellen Öfen, die wir nutzen, als auch an den Ingredienzen, die sich nicht auf die kleinen Mengen einer privaten Küche herunterbrechen lassen. Den Baumkuchen mögen Sie sich bitte weiterhin schicken lassen oder in einem unserer Conditorei-Cafés erstehen. Sollten wir uns dort einmal persönlich begegnen, würde es mich sehr freuen, wenn wir uns über die Magie der feinen Conditorei-Waren austauschten.
Ihre Eli Kreutzkamm-Aumüller
Elisbeth KreutzkammAumüller beim Treffen mit ehemaligen Mitarbeitern. Rechts neben ihr sitzt, als Vertreterin der sechsten KreutzkammGeneration, ihre Tochter Katharina.
EINLEITUNG
Wie kann man den Zauber erspüren, den die berühmte Conditorei Kreutzkamm bis heute ausstrahlt? Am besten, indem man eines der Cafés des traditionellen Familienbetriebs besucht. Wie zum Beispiel das Stammhaus in der Maffeistraße im Zentrum Münchens.
Ein guter Tag ist Freitag, ideal ist die Zeit gegen Nachmittag hin. Dann liegt das nahe Wochenende schon prickelnd in der Luft. Und man ist in dieser Stadt der Lebensfreude, der Lebenskünstler und des Genusses noch mehr als sonst dazu geneigt, sich etwas Besonderes zu gönnen. Etwa einen Einkaufsbummel, gekrönt von einem Kaffeehausbesuch bei Kreutzkamm.
Ein begehrter Platz, um die Atmosphäre im Café in der Maffeistraße intensiv auszukosten, ist einer der Tische in der gemütlichen Nische hinten. Er bietet einen Blick über den gesamten, schmalen Raum. Also über den Cafébereich, mit den klassischen Marmortischen und Wiener Kaffeehausstühlen, bis hin zur langen, weiß-goldenen Verkaufstheke am Eingang, die fast die Hälfte des Raums einnimmt. Wir bestellen uns erst einmal ein Stück von der KreutzkammSpezial-Torte, dazu ein Haferl Kaffee und widmen unsere Aufmerksamkeit den Gästen ringsum. Was auffällt, ist deren Eleganz. Es wirkt, als wollten sie den in aufwendiger Handarbeit hergestellten und formvollendeten Torten, Kuchen und der Confiserie auch äußerlich, durch ihre Kleidung, Respekt zollen. Und zudem der Historie des Cafés, in dem bereits Erich Kästner regelmäßig seine geliebte Dresdner Eierschecke genoss. Dazu aber später mehr. Erst einmal geben wir uns der wohltuenden Ruhe hin. Denn auf Hintergrundmusik wird bewusst verzichtet. Sie würde nur stören. Man kommt hierher, um sich zu unterhalten, wie die beiden Freundinnen am Nachbartisch das inten-
siv praktizieren. Oder, um sich allein den legendären Torten und Kuchen zu widmen und dabei den Gedanken nachzuhängen. Die Gäste tun das, was heute selten ist, zum großen Teil ohne Smartphone in Griffweite. Sie nehmen sich eine Auszeit von der ständigen Erreichbarkeit und sind, in klassischer Kaffeehaustradition, ganz auf den Genuss fokussiert. Ein Kontrapunkt zur wohltuenden Beschaulichkeit im hinteren Teil des Cafés ist das Schauspiel im Frontbereich, der dem Verkauf vorbehalten ist. Hier herrscht ein ständiges Kommen und Gehen. Da gibt es den Geschäftsmann im perfekt geschnittenen Anzug, vermutlich ein Anwalt oder Notar aus den umliegenden Büros, der sich eine Auswahl an Gebäcken zusammenstellen lässt. Ihm folgt eine lässige Mutter, das Baby vor die Brust geschnallt, die zielsicher den legendären Bienenstich ordert. Wenig später kommt ein japanischer Kunde, der gleich zehn Baumkuchen kauft. Die absolute Spezialität des Hauses, die ebenso international berühmt und begehrt ist.
Die Kunden verlassen die Konditorei mit der markanten, weiß-braun gestreiften Kreutzkamm-Tüte. Wie die
Dallmayr-Tüte ist sie in München bis heute ein Insignium für Genuss-Einkauf mit Stil. Und mit Tradition. Denn das Familienunternehmen Kreutzkamm kann 2025 auf eine 200 Jahre währende Historie zurückblicken. Damit zählt es europaweit zu den ältesten Konditoreien und Familienbetrieben. Über die beiden bewegten Jahrhunderte hinweg hat sich das Unternehmen immer wieder gewandelt und, wenn es nötig war, neuen Erfordernissen angepasst. Aber ganz behutsam, ohne dabei seine Identität zu riskieren. Kein Familienbetrieb kann so lange existieren, ohne im besten Sinne des Wortes konservativ, also die Werte bewahrend, zu agieren. Doch eine solch einzigartige Erfolgsgeschichte wäre auch nicht möglich, ohne gleichzeitig anpassungsfähig und innovativ zu sein.
Unwillkürlich denkt man bei der Historie von Kreutzkamm an das berühmte Zitat aus dem Roman „Der Leopard“ des Schriftstellers Guiseppe Tomasi di Lampedusa. „Wenn wir wollen, dass alles so bleibt wie es ist, dann ist es nötig, dass sich alles verändert.“ Nun gut, über die 200 Jahre hinweg hat sich bei Kreutzkamm einiges verändert, aber
beileibe und glücklicherweise nicht alles. Die Rezepte zum Beispiel. Viele von ihnen, die perfekt gesichert im Tresor lagern und die nur der Produktionsleiter und die Geschäftsführung kennen, sind seit dem ersten Tag unverändert. Und auch die Leidenschaft, die Akribie, die Sorgfalt und der Anspruch an die Qualität, die blieben über die Zeit hinweg immer konstant.
„Vieles ist heute schnelllebig und austauschbar“, sagt Elisabeth Kreutzkamm-Aumüller, die das Unternehmen seit 2019 in fünfter Generation leitet. „Wie wir arbeiten, ist dagegen außergewöhnlich und selten. Bei uns entsteht alles bis ins letzte Detail in Handarbeit. Sogar verpackt wird per Hand. Dadurch unterscheiden wir uns, das ist unser Alleinstellungsmerkmal. Und ich sehe es als meine Verpflichtung, dafür zu sorgen, dass wir dieses hohe Niveau bewahren.“
Wichtig ist der temperamentvollen Chefin außerdem, dass die Jahreszeiten weiter eine Rolle spielen. „Die Vorfreude auf saisonale Produkte, die nicht immer verfügbar sind“, so findet Elisabeth Kreutzkamm-Aumüller, „steigert nochmals deren Reiz. Denken wir an Spargel oder Erdbeeren.“
Stolz präsentiert eine Mitarbeiterin die neue Verpackung des Christstollens. 1970 heißt er statt Dresdener Christstollen nun Kreutzkamm Christstollen.
1873 wird Kreutzkamm in Dresden zum „Königlichen Hoflieferanten” ernannt. Fortan darf das Unternehmen das Königlich Sächsische Wappen tragen, wie hier bei der Residenz-Conditorei und dem Café am Altmarkt in Dresden zu sehen.
Bei Kreutzkamm sind es beispielsweise der berühmte Stollen und die Dominosteine, die es ausschließlich in der Vorweihnachtszeit gibt. Und das soll auch so bleiben.
Selbstverständlich für ein dynamisches Unternehmen wie Kreutzkamm ist es, dass es die Möglichkeit zur Online-Bestellung gibt, die zunehmend an Bedeutung gewinnt. Wobei für Kreutzkamm das Bestellsystem Teil der Historie ist. Bereits vor mehr als 100 Jahren gingen Anfragen aus aller Welt ein, und die Produkte wurden mit dem Schiff verschickt. Für die weite Reise nach Amerika, Deutsch-Südwestafrika, Schanghai oder in exotische Länder wie Tahiti wurden die Stollen mit großem Aufwand in Blechkisten eingelötet, um nach der Ankunft am Ziel nach mehreren Wochen noch frisch zu sein.
In seinen schriftlichen Erinnerungen beschreibt Elisabeths Vater, Fritz Kreutzkamm, wie er das erlebte: „In meiner Jugend kam jeden Abend Klempnermeister Fiedler zu uns und lötete die fertiggestellten Pakete zu, was jedes Mal mit einem ausgiebigen Schwätzchen verbunden war. Was für eine gemütliche Zeit. Wir Kinder staunten immer über die Aufschriften und Adressen und wälzten unseren Atlas, um die fremden Orte auf der Landkarte zu suchen. Wir malten uns aus, wie so eine Kiste mit Christstollen durch den Urwald getragen wurde, was tatsächlich vorgekommen ist.”
Ja, ein Unternehmen, das eine Geschichte hat, kann eben Geschichten erzählen. Dafür sorgt auch Elisabeth Kreutzkamm-Aumüller. Sie betreut die sozialen Medien und erstellt manchmal sogar noch spät am Abend, nach einem prall gefüllten Arbeitstag, einen Post. Neue Zielgruppen zu erreichen, das ist ihr wichtig. Dafür opfert sie gerne ein paar Minuten Schlaf. „Es stimmt mich optimistisch, dass wir als Traditionsunternehmen auch viele junge Kunden haben“, sagt sie. „Die meisten von ihnen waren schon als Kind mit dabei, wenn ihre Großeltern oder Eltern bei Kreutzkamm eingekauft haben. Mit leuchtenden Augen standen sie vor der Vitrine mit all den verlockenden Leckereien – und seitdem sind sie dem Unternehmen treu geblieben.“ Tradition ist also ebenfalls auf Kundenseite ein entscheidender Faktor – und ein großes Kapital. Denn in der aktuellen Konsumwelt, in der die Halbwertszeiten angesagter Marken immer kürzer werden, sind Beständigkeit und Historie überragende Qualitäten.
Die Stammkundenquote liegt deshalb bei Kreutzkamm sehr hoch, im Bereich von 90 Prozent. Wenn es um die geschätzten Kunden geht, gleicht das Unternehmen jedoch einer Schweizer Bank. Kein Mitarbeiter würde jemals prominente Kundennamen preisgeben. Schon gar nicht Irmgard Kehle-Goldstein, mit der wir hier im Café in der Maffeistraße zum Plaudern verabredet sind, in dem sie von 1971 bis 1996 arbeitete. Und schnell lernte, dass man einige berühmte Kunden auf keinen Fall mit Namen begrüßen durfte. „Denn sie wollten nicht auffallen und ganz normal bedient werden“, erzählt die 88-Jährige, die Münchens wilde und legendäre Jahre hautnah miterlebt hat. Von den nackten Hippies im Englischen Garten bis hin zur SchickimickiKir-Royal-Zeit, in der Rudolph Moshammer der inoffizielle König Bayerns war.
„Es gab manchmal schon sehr spezielle Wünsche der Kunden“, verrät Irmgard Kehle-Goldstein. „Als ich bei Kreutzkamm anfing, hatten einige Herren neben ihrer Gattin eine Liebschaft. Und einer dieser Herren hat bei uns ein riesiges Trüffel-Osterei fertigen lassen, in dem ein Nerzjäckchen für seine Geliebte versteckt wurde. Es gab damals wirklich nichts, was es nicht gab, wir haben alles möglich gemacht.“
Nun, das Geschenk bereitete der Dame sicher doppelte Freude. Gleichzeitig ist diese Anekdote ein signifikantes Zeitzeugnis, von denen es bei Kreutzkamm so viele gibt.
Aber gehen wir noch ein Stück weiter zurück in die Vergangenheit, zu den Anfängen des Unternehmens. Denn um die Entwicklung des Familienunternehmens zu verstehen, ist es essenziell, die Wurzeln zu kennen.
Eine historische Aufnahme des berühmten Altmarkts in Dresden. Das KreutzkammHaus ist das zweite von rechts.
das Familienunternehmen von 1891 bis 1926.
AMUSE-GUEULE
Max Kreutzkamm leitet
WIE ALLES BEGANN
Heinrich Jeremias Kreutzkamm
Es war einmal ... so beginnen viele Märchen. Bei Kreutzkamm steht ein charismatischer Mann mit einer spannenden Lebensgeschichte ganz am Anfang: Heinrich Jeremias Kreutzkamm. Geboren wird er 1799 in Quedlinburg, nahe der Stadt Magdeburg.
Nach der Ausbildung zum Brot- und Feinbäcker geht er, wie damals üblich, auf Wanderschaft. Dabei lernt er erstmals Christstollen kennen. Ein Kuchenbrot, das damals vor allem im ostsächsischen Raum verbreitet ist. Die Form ist geprägt vom neugeborenen Christkind, das, mit Stoff umwickelt, in eine Futterkrippe gebettet war. Der junge Heinrich Jeremias erkennt sofort das Potenzial dieses einzigartigen Gebäcks, das für das Unternehmen Kreutzkamm von schicksalhafter Bedeutung sein wird.
Denn besonders für ihre Christstollen wird die Konditorei im Laufe ihrer Geschichte weltweit berühmt. Dabei ist es nicht das Rezept allein, das für die Güte und den Geschmack verantwortlich ist. Vielmehr ist es ein Zusammenspiel aus der richtigen Auswahl der Zutaten und dem handwerklichen Geschick bei der Herstellung. Keine Maschine dieser Welt kann diese handwerklichen Fähigkeiten ersetzen. Es gibt kaum ein anderes Gebäck, das eine solche Sorgfalt und Genauigkeit in der Produktion verlangt.
Mit 25 Jahren zieht es Heinrich Jeremias nach Dresden, und er stellt dort am 16. März 1825 den Antrag auf die Erteilung des Bürgerrechts. Das ist damals nötig, um ein Geschäft betreiben zu dürfen, was der ambitionierte Konditor beabsichtigt. Ein halbes Jahr muss er auf sein Bürgerrecht warten. Grund hierfür ist nach aktuellen Nachforschungen die Tatsache, dass er wohl unehelich geboren ist. Doch schließlich bekommt der junge Mann im Oktober 1825 die Konzession, in der Dresdner Moritzstraße eine Konditorei
mit Laden zu eröffnen. Der Erfolg ist durchwachsen. Und so nutzt Heinrich Jeremias die Gunst der Stunde, als 1838 die „Bahnhofswirtschaft“ der neu fertiggestellten ersten Ferneisenbahnlinie Dresden-Leipzig zur Pacht steht – das Unternehmen Kreutzkamm hätte sich ebenso gut in eine andere Richtung entwickeln können. Aber im Jahr 1848 kehrt Heinrich Jeremias wieder in sein ursprüngliches Metier zurück. Endlich, nach mehreren Anläufen, erhält er auch die Konzession für eine Konditorei mit Restaurationsbetrieb.
Er spezialisiert sich auf Feinbäckerei und insbesondere die Confiserie und legt damit den eigentlichen Grundstein für das Unternehmen Kreutzkamm.
Leicht hatte es Heinrich Jeremias nicht. 1849 bricht in Dresden der Maiaufstand aus. Und der neue Standort der Conditorei Kreutzkamm am Neumarkt liegt direkt im Brennpunkt des Geschehens. Der Betrieb wird auf Veranlassung der Behörden geschlossen, nur die Conditorei muss als Bäckerei weiterarbeiten, um die Versorgung der Bevölkerung mit Brot sicherzustellen. Gezeichnet von einem arbeitsreichen und nicht immer leichten Leben, stirbt Heinrich Jeremias Kreutzkamm im jungen Alter von 50 Jahren.
Weitaus früher als geplant und erwartet, übernimmt also nach Heinrich Jeremias Kreutzkamms Tod im Jahr 1850 sein einziger Sohn, Heinrich Julius, mit nur 24 Jahren den Betrieb. Unterstützung bekommt er von seiner Mutter Juliane, die auch bereits während der Leitung des Geschäfts durch ihren Ehemann, kräftig mit angepackt hat. Sie begründet
Bürgerrecht der 2. Generation Heinrich Julius Kreutzkamm
damit, ohne es damals zu wissen, eine Kreutzkamm-Tradition. Denn die Frauen der Familie werden später noch eine große Rolle für den Erhalt und die wirtschaftliche Stabilität des Unternehmens spielen.
Aber wir wollen der Geschichte nicht vorgreifen. Es zeigt sich bald, dass Heinrich Julius ein glückliches Händchen fürs Geschäft hat. Unter seiner Leitung und seinen Qualitätsanforderungen werden die Konditoreiwaren von Kreutzkamm bald stadtbekannt. Und auch in höheren Kreisen äußerst beliebt. So verleihen ihm 1867 Kronprinz Albert und Prinz Georg, Herzog zu Sachsen, den Titel eines Hofconditor, siehe Urkunde. Sechs Jahre darauf wird Kreutzkamm sogar zum „Königlichen Hoflieferanten“ ernannt. Ein Prestigegewinn von heute unvorstellbarer Dimension. Innerhalb von zwei Jahrzehnten ist es Heinrich Julius gelungen, den Betrieb und seine Produkte unverwechselbar zu machen und in die alleroberste Handwerksliga des Landes aufzusteigen. Eine Leistung, auf die das Unternehmen bis heute aufbaut.
Noch eine wegweisende Entscheidung ist dem Geschick und der Weitsicht von Heinrich Julius zu verdanken: Durch
einen glücklichen Zufall ergibt sich die Chance, eines der stattlichen Häuser am Dresdner Altmarkt zu kaufen, das sogar schon auf Stichen des berühmten venezianischen Künstlers Canaletto (1697–1768) verewigt ist. Heinrich Julius weiß, wie wichtig die Lage eines Geschäfts für den Erfolg ist. Eine Tatsache, die auch all seine Nachfolger bei Kreutzkamm beherzigen werden. Das Königliche Rentamt gewährt ihm sogar, mit ausdrücklicher Genehmigung des Königs, eine Hypothek „zu günstigen Bedingungen“. Mit dem Sitz im Herzen der Stadt gedeiht der Familienbetrieb weiterhin. Und so übergibt Heinrich Julius im Jahr 1890, nach vier Jahrzehnten aufopferungsvoller und erfolgreicher Arbeit, seinem Sohn Max ein etabliertes, solides und prosperierendes Unternehmen.
Aus der Zeit von Heinrich Julius ist auch der Brief einer Kundin überliefert, der ein wunderbares Zeitzeugnis ist:
„Meine Großmutter (geboren 1858) führte – wie das früher so üblich war – ein Wirtschaftsbuch, in das alle Ausgaben des kinderreichen und lebhaften Haushalts sorgsam eingeschrieben wurden. Das Buch lag auf ihrem Schreibtisch, meist aufgeschlagen, damit sie jederzeit rasch neue Ausgaben nachtragen konnte. Ab und zu erschien zwischen Vogelfutter am 2. Februar M (*Mark) 0,25 – einem Bettler am 4. Februar M 0,20 – neue Schuhe für Roderich (so hieß mein Vater) am 5. Februar M 12,00 – ein Zeichen etwa so X (das X wurde aber aus zwei Kämmen gebildet) am 8. Februar M 1,20 oder M 1,95.
Eines Tages fragte mein Großvater, was das denn heißen solle. Da vertraute ihm seine Frau hinter vorgehaltener Hand an, dass sie in der Conditorei Kreutzkamm gewesen sei und zwei gekreuzte Kämme zeichne, damit die Dienstmädchen und die größeren Kinder das nicht lesen können.
Denn damals galt ein Besuch in der Konditorei noch als ein klein wenig verschwenderisch, und die Hausfrauen legten Wert darauf, für sparsam gehalten zu werden. Schon wegen des guten Beispiels!
Doch Kaffee und Kuchen bei Kreutzkamm am Altmarkt waren gar so verführerisch, dass sie die „eisernen“ Grundsätze über den Haufen warfen.
Heinrich Julius Kreutzkamm sind nach der Geschäftsübergabe noch 24 gesunde und glückliche Jahre im Ruhestand gegönnt. Er zieht in ein Altersheim in Moritzburg, direkt gegenüber dem Kurfürstlichen Jagdschloss. Was für ihn wunderbare Erinnerungen weckt. Denn als passionierter Jäger hatte er die Ehre, an so einigen Hofjagden teilnehmen zu dürfen. 1914 stirbt Heinrich Julius Kreutzkamm im betagten Alter von 89 Jahren.
Im jungen Alter von 24 Jahren übernimmt
Heinrich Julius Kreutzkamm das Unternehmen und leitet es vier Jahrzehnte lang mit großem Erfolg.
Die besiegelte Urkunde, mit der Kreutzkamm 1873 zum „Hofconditor” ernannt wird.
KÖNIGLICHE EHRE
Ernennung zum Königlichen Hoflieferanten
Es sind wahrlich große Fußstapfen, in die sein Sohn Max Kreutzkamm
1891 tritt. Aber auch der Mann der dritten Generation erweist sich als großes Talent. Was er auch anpackt, das gelingt. 1905 erweitert er das beliebte Café in Dresden durch die Hinzunahme des ersten Stockwerks. Von dort bietet sich ein besonders schöner Blick auf den Altmarkt mit seinen farbenprächtigen Blumenständen und den inzwischen weltberühmten Striezelmarkt zur Weihnachtszeit.
Jeden Morgen, noch weit vor der Öffnung des Cafés, geht König Friedrich August III. über den Altmarkt, begleitet von seinem geliebten Collie. Sein Leibjäger folgt erst mit Abstand. Der König erfreut sich an der Schönheit der Stadt, die damals ihre Blütezeit erlebt. Nicht nur wirtschaftlich, sondern ebenso als Stadt der schönen Künste, mit prächtigen Barockbauten und einer Gemäldegalerie, die unvergleichliche Schätze birgt. Und auch die Semperoper genießt Weltruhm. In dem Opernhaus, in dem schon Richard Wagner wirkte und einige seiner Werke wie „Tannhäuser“ oder „Der fliegende Holländer“ erstmals präsentierte, werden damals nahezu alle Opern von Richard Strauss uraufgeführt.
Die gutbürgerliche Familie Kreutzkamm nimmt selbstverständlich an diesen Premieren teil, zum Beispiel 1911 an der Uraufführung der Oper „Der Rosenkavalier“. Was für ein bemerkenswerter historischer Moment! Auch vor dem Hintergrund, dass Richard Strauss ein gebürtiger Münchner ist und in Garmisch lebt, ein Bezug, der später noch von großer Bedeutung werden soll.
Es erfüllt Max Kreutzkamm mit Stolz, dass Kronprinz Albert und König Friedrich August ihn wiederum zum „Königlichen Hoflieferanten“ ernennen. Einen nicht unwesentlichen Teil des Erfolgs, und damit sind wir auch wieder bei den Frauen des Kreutzkamm-Imperiums, hat er seiner Ehefrau Margarethe zu verdanken. Während Max Kreutzkamm über ausgezeichnete Fachkenntnisse verfügt, übernimmt
sie die interne Führung des Betriebes, und von den Kunden wird sie wegen ihrer sachkundigen und liebenswürdigen Art sehr geschätzt.
Das gesellschaftliche Leben in Dresden ist damals auf einem Höhepunkt angekommen und von feiner Lebensart und Kultur geprägt. Die Patrizierfamilien der Stadt führen gepflegte Haushalte mit hervorragenden Küchen. An die Konditoreiwaren werden gleichermaßen hohe Anforderungen gestellt. Und Kreutzkamm kann diese erfüllen. Herausragende Konditoren werden eingestellt, die in anderen Ländern gearbeitet haben und daher neue Erfahrungen und Rezepte einbringen können. Auch das Unternehmen Kreutzkamm erlebt eine Blütezeit.
Max nimmt sich viel Zeit für seine Kinder und begeistert sie unter anderem für die Natur und insbesondere die Berge, die er über alles liebt. Wann immer es sein Beruf erlaubt, unternimmt er Bergtouren. Zeugnis davon gibt heute noch die Dresdner Hütte im Stubaital, die Max mitbegründet hat. Es gibt dort sogar eine „Kreutzkamm-Stube“. Es ist eine glückliche und friedliche Zeit. Bis das eintritt, was schon länger in der Luft lag und nun zur blutigen Realität wird: Mit der Kriegserklärung von Österreich-Ungarn am 28. Juli 1914 an Serbien beginnt der Erste Weltkrieg. Er dauert von 1914 bis 1918 und kostet geschätzt 17 Millionen Menschen in Europa das Leben. Er bringt unendliches Leiden, Zerstörung, Flüchtlingsströme und Hunger
über den Kontinent, und damit auch über Deutschland. Als Betrieb, der den luxuriösen Seiten des Lebens zugewandt ist, trifft der Krieg Kreutzkamm besonders hart. Und viele der erfahrenen Mitarbeiter werden einberufen. Plötzlich geht es nur noch um die Grundversorgung mit Nahrungsmitteln, ums Überleben. Die Bevölkerung hat kaum Geld, um sich Brot leisten zu können. Zudem herrscht bei der Lebensmittelherstellung akuter Rohstoffmangel. Die Verwendung von Mehl, Milch, Butter, Zucker, aber auch von Kaffee wird schließlich bei hohen Strafen verboten. Mit Improvisationskunst, Anpassung und Einfallsreichtum rettet sich Kreutzkamm, wie so viele andere Unternehmen, über diese schwere Zeit. Zum Beispiel mit Bohnenkaffee-Ersatz aus Eicheln, auch Muckefuck genannt, oder mit Mehl auf der Basis von Kartoffeln. Es gelingt, den Betrieb über die Kriegsjahre hinweg mehr oder weniger aufrechtzuerhalten.
Von 1890 bis 1926 leitet Max Kreutzkamm das Unternehmen und verwandelt es in einen modernen Betrieb.
Eine Litfaßsäule vor der Conditorei am Altmarkt zeigt die Attraktionen der damaligen Zeit.
Auch Max Kreutzkamm durfte den Ehrentitel „Königlicher Hoflieferant” tragen.
Auch die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg ist von Mangel geprägt – und dazu von der Hyperinflation, die eine geordnete Unternehmensführung so gut wie unmöglich macht. Einen markanten Einschnitt stellt für Kreutzkamm der 23. Oktober 1923 dar, an dem die Reichswehr unter der Führung von General Müller Dresden besetzt, der Beginn des Deutschen Roten Oktobers. Die Tumulte spielen sich auch direkt vor dem Café ab, sodass wochenlang die Fensterplätze nicht belegt werden können, weil die Gefahr dort zu groß ist. Max Kreutzkamm, ein besonnener Mann, der immer auf Ausgleich bedacht ist, muss nun jeden Tag befürchten, dass sein Geschäft von den Demonstranten angegriffen und verwüstet wird. Mit einem Einsatz bis an seine Leistungsgrenzen gelingt es Max, den Familienbetrieb auch durch diese stürmische See zu schippern. Und mit jedem Jahr kehrt wieder mehr Normalität ins Leben zurück. Doch im August 1924 stirbt völlig unerwartet seine Tochter Lies an den Folgen einer Stirnhöhlenoperation. Max kommt nie über den Verlust hinweg. Zwar wird er anlässlich des 100-jährigen Firmenjubiläums nochmals gefeiert und mit Ehrungen überhäuft. Die Konditoreien-Kreis-Innung bittet, auf das neue geweihte Banner den Wahlspruch des Hauses Kreutzkamm schreiben zu dürfen:
Empor zum Licht
Mit klarem Blick.
Ein Vorwärts stets,
Nie ein Zurück!
Eine große Ehre und Hommage an das Lebenswerk von Max, der dem einzigen Betrieb in Dresden vorsteht, der auf 100 Jahre Geschichte zurückblicken kann. Die Tage des Feierns sind für ihn persönlich nochmals ein Höhepunkt. Aber ein Herzleiden, das er schon länger mit sich trägt, verschlimmert sich zusehends. Max stirbt am 6. Januar 1926. Damit ist auch die dritte Generation Kreutzkamm Geschichte. Die vierte steht schon bereit, und es wird eine ganz besondere und prägende werden, so viel sei schon verraten.
Max Kreutzkamms Sohn Fritz Kreutzkamm geht nach seiner Schulzeit bei einem befreundeten Fachkollegen seines
Vaters in Erfurt in die Lehre. Er befolgt also das bewährte Motto, zuerst in anderen Unternehmen Erfahrung zu sammeln, bevor er irgendwann selbst einmal den Familienbetrieb übernimmt. Ihm schwebt eigentlich vor, seine Fachkenntnisse außerdem noch im Ausland zu erweitern. Er hat absolut keine Eile, wieder nach Dresden zurückzukehren. Denn, das sei gesagt, Fritz ist schon immer den schönen und angenehmen Seiten des Lebens zugetan. Die Frauenherzen fliegen ihm zu, und er geht keinem Abenteuer aus dem Weg. Der hochgewachsene junge Mann ist so gutaussehend, dass er sicher auch als Filmschauspieler Karriere hätte machen können. Durch den Tod seines Vaters muss Fritz jedoch viel früher Verantwortung übernehmen, als das in seiner persönlichen Lebensplanung vorgesehen war. Nun, die Familie geht vor! Er stellt sich der Verpflichtung und kehrt nach Dresden zurück. Wieder ist es eine Frau, die ihm beisteht: seine Mutter Margarethe. Die Herausforderungen, vor denen die beiden stehen, sind enorm. Deutschland erlebt Ende der 1920er-Jahre eine nie dagewesene Rezession. Mit der Folge eines rapiden Preisverfalls, Geldknappheit und Massenarbeitslosigkeit. Das geht auch an der Firma Kreutzkamm nicht spurlos vorbei. Viele Stammkunden brechen weg. Und es wird immer schwieriger, das Geschäft bei gleichbleibender Qualität der Produkte rentabel zu führen. Deshalb kann die Kapazität des Betriebes nicht mehr voll ausgenutzt werden. Eine existenzgefährdende Abwärtsspirale. Aber wieder einmal bewahrheitet sich die altbekannte Volksweisheit: „In jeder Krise steckt eine Chance.“ Fritz, ein Hansdampf in allen Gassen, wie man zu dieser Zeit zu sagen pflegt, hat die rettende Idee. In den zurückliegenden Jahren bekam die Konditorei wiederholt Anfragen von führenden Feinkostgeschäften in ganz Deutschland. Besonders begehrt sind die Christstollen, Baumkuchen und Pralinen. Also baut Fritz diesen Sektor aus, und das mit Erfolg. Einer der ersten und treusten Kunden ist das Feinkosthaus Alois Dallmayr in München. Bis heute gibt es eine gute Geschäftsbeziehung. Kreutzkamm konsolidiert sich, alles läuft wieder gut.
Bis heute wird der legendäre Baumkuchen Schicht für Schicht an der Walze über einer Gasflamme mit 400 Grad Hitze gedreht. Mindestens 90 Minuten dauert allein dieser Arbeitsschritt.
DIE GROSSE ZÄSUR
Der Zweite Weltkrieg
Doch das nächste Weltendrama steht bevor: der Zweite Weltkrieg. Fritz wird zum Militär eingezogen und überlässt den Betrieb seiner Mutter. Bei der Bombennacht vom 13. auf den 14. Februar 1945 wird auch das Kreutzkamm-Gebäude am Dresdner Altmarkt in Schutt und Asche gelegt und damit das Lebenswerk von Generationen vernichtet.
Fünf langjährige Mitarbeiter lassen im Feuersturm ihr Leben, Margarethe und die Töchter sind gerade noch rechtzeitig ins Erzgebirge geflohen. Es scheint in diesem Moment, als sei das Unternehmen für alle Zeiten Geschichte.
Blicken wir also auf Fritz, den Hoffnungsträger des Betriebs. Am 2. Mai 1945 wird er von den Amerikanern als Kriegsgefangener ins Lager Regensburg gebracht. Da er gut Englisch spricht, wird er der Dolmetscher-Kompanie zugeteilt. Eine seiner Aufgaben ist die Ausstellung von Entlassungspapieren für seine Mitgefangenen. Fritz nutzt die Gunst der Stunde und stellt, ein bisschen in der Tradition des braven Soldaten Schwejk, auch sein eigenes Entlassungspapier aus. In zerrissener Uniform landet er schließlich in Landshut. Aber was soll er nun tun?
Von seinen Angehörigen in Dresden hat er in diesen unüberschaubaren Zeiten bisher keine Nachricht erhalten. Ins zerbombte Dresden zurückzukehren macht für ihn auch keinen Sinn. Also hilft er erst einmal auf einem Bauernhof bei der Heuernte aus. Und hat seitdem sein Leben lang großen Respekt vor körperlicher Arbeit. Dann zieht er weiter 100 Kilometer, weiter nachVilsbiburg, wo er von den Amerikanern als Chefsekretär eingestellt wird. Fritz erhält jetzt auch endlich Nachricht von seinen Angehörigen, die ihn für vermisst hielten. Im Dezember steht eines Tages morgens
plötzlich und unvermutet seine inzwischen 74-jährige Mutter Margarethe vor ihm. Drei Tage war sie von Dresden aus teilweise in ungeheizten Güterzügen unterwegs, um ihren geliebten Sohn zu besuchen. Ein Wiedersehen, das für die beiden zu den emotionalsten Momenten ihres Lebens gehört.
Es ist ein skurriler Zufall, der den seidenen Faden, an dem das Unternehmen Kreutzkamm hängt, zu einem tragfähigen Strick macht. Ein Freund erzählt Fritz, dass es in dem Fluss Vils unendlich viele Krebse gibt, die nur darauf warten, gefangen zu werden. Was Fritz Kreutzkamm auf die Idee bringt, die alten Feinkost-Kontakte nach München zu aktivieren. Mit zwei Fahrradfelgen, langen Stangen und einem Köder fängt er die Krebse und schickt sie, in Brennnesselblätter verpackt, um fünf Uhr mit dem Frühzug-Express lebend nach München. Da die Krebse ungewöhnlich groß sind, läuft das Geschäft glänzend. Fritz verdient bald weit mehr als bei den Amerikanern. Nur ist die Erfolgsgeschichte zeitlich begrenzt, denn die Sommermonate ohne „r“ im Namen rücken näher: Dann sind die Flusskrebse ungenießbar.
Wieder einmal muss Fritz sich neu erfinden. Das tut er in Garmisch, wo er sich im September 1946 beim Personalbüro der US-Streitkräfte bewirbt. Seine Englischkennt-
nisse und sein unwiderstehlicher Charme wirken erneut. Er wird als General-Manager für das Garmischer Eisstadion eingestellt. Sein Aufgabengebiet umfasst unter anderem die Oberaufsicht über die Kantine und das angeschlossene amerikanische Lebensmittellager. In diesen Zeiten entspricht das einem Lotteriegewinn, denn damit hat er keinerlei Nahrungssorgen mehr.
Aus dieser Zeit stammt ein Briefwechsel mit Maria Bogner, Modedesignerin und Mutter des später so berühmten Skirennfahrers und Filmemachers Willy Bogner – heute wäre Maria Bogner mit ihren visionären Ideen und ihrem wegweisenden Modegeschmack wohl eine erfolgreiche Influencerin. Fritz Kreutzkamm und Maria Bogner pflegten lebenslang eine enge Freundschaft. In einem Brief bedankt sich Maria dafür, dass Fritz sich um ein „Pelzjackerl” für sie kümmert. Und sie gibt ihm, für die damalige Gepflogenheiten sehr mutig, einen tiefen und offenen Einblick in ihr Seelenleben. Was beweist, dass Fritz ein Mann ist, dem seine Freundinnen und Freunde vertrauen können – und es auch tun. Was auch ein weiterer Brief bestätigt, in dem Maria Bogner anfragt, ob Fritz Treuhänder und Geschäftsführer des Unternehmens Bogner werden möchte, das sie selbst aus politischen Gründen nicht führen darf. Wäre er eingestiegen, hätte alles ganz anders kommen können mit Kreutzkamm, und der fesche Fritz hätte sicher auch die Firma Bogner erfolgreich geleitet.
Doch er möchte seine komfortable Lage in Garmisch ungern aufgeben und holt auch seine Mutter nach. Die beiden erleben zwei harmonische Jahre, bis Margarethe Kreutzkamm im Dezember 1948 einem Herzleiden erliegt. Für Fritz, der sehr an seiner Mutter hing, ein schwerer Moment. Aber sein kurvenreiches Leben muss weitergehen. Und geht auch weiter, als 1948 das Eisstadion von den Amerikanern an die Gemeinde zurückgegeben wird. Er wird in eine andere Abteilung versetzt, als „Assistent-Manager of Supply“ kommt er nun oft nach München, wo sich nach dem Wiederaufbau der Innenstadt ein reges Geschäftsleben entwickelt. Eine Beobachtung beschäftigt ihn ganz besonders: Nach langen Jahren der Entbehrungen ist die Nachfrage nach Süßigkeiten und Konditoreiwaren extrem groß. Es herrscht ein Nachholbedarf, und der Branche scheint eine glänzende Zukunft bevorzustehen. Fritz würde nichts lieber tun, als sich wieder als Konditor selbstständig zu machen – in München. Aber seine kleinen Ersparnisse sind mit der Währungsreform 1948 zerschmolzen.
Wieder kommt ihm der Zufall zu Hilfe. Auf der Straße in Garmisch trifft er Herrn Merath, den Vertreter einer namhaften Münchner Firma, den er noch aus der Zeit vor dem Krieg kennt. Der bietet ihm völlig unerwartet und ohne jegliche Sicherheiten eine größere Summe als Startkapital für ein eigenes Geschäft an. Was für eine Chance! Sofort nimmt Fritz Kontakt zum ehemaligen Dresdner Betriebsleiter auf und beschwört ihn, sofort nach Garmisch zu kommen. Und wirklich gelingt es den beiden, noch vor der Weihnachtszeit mit der Produktion von Stollen zu beginnen. Ein befreundeter Bäckermeister stellt ihnen am Nachmittag seine Arbeitsräume zur Verfügung. So kann Fritz tagsüber weiterhin bei den Amerikanern tätig sein. Danach steht er ab dem späten Nachmittag bis weit in die Nacht hinein, am Backofen. Die Aktion ist ein Erfolg und wieder hat sich Fritz über ein Jahr gerettet. Aber was macht er im nächsten?
Fritz Kreutzkamm
Ein unverzichtbares Buch für KonditoreiEnthusiasten, Backliebhaber und alle, die die Liebe zum Detail schätzen.
„Das Original Kreutzkamm Backbuch“ nimmt uns mit auf eine faszinierende Reise durch die Geschichte, die Produkte und die Handwerkskunst eines der ältesten bestehenden Familienunternehmens. Kreutzkamm steht auch heute noch für die Herstellung erstklassiger Konditorwaren und bleibt den 200 Jahre alten Erfolgsrezepten treu. In diesem Callwey Buch ist nun das gesamte Wissen der Conditorei Kreutzkamm vereint. Angefangen bei den wichtigsten Basisrezepten wie Hefeteig, Mürbteig und Blätterteig, über Pralinen, Strudel, Kuchen, Teegebäcke und Plätzchen bis hin zu aufwendig geschichteten und dekorierten Torten. Daneben werden die besten Tipps und Tricks aus über 200 Jahren gesammeltem Wissen geliefert – damit jedes Rezept garantiert gelingsicher ist!
Die geheimen Traditionsrezepte einer der ältesten Konditoreien