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Seite 24: In München gestalten die Nutzer das Kreativquartier wesentlich mit. Teleinternetcafé und Treibhaus
Verlag: Callwey Verlag Streitfeldstraße 35 D-81673 München Fon +49 89 /43 60 05-0 Fax +49 89/43 60 05-113 www.garten-landschaft.de
126. Jahrgang
Für die Zukunft gestalten.
Garten + Landschaft
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Nachdenken über Heimat Tanja Braemer
Journal
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Gesichter der Dortmunder Nordstadt Regina Schubert Der Fotograf Peyman Azhari hält für ein Buchprojekt Menschen aus 132 Nationen fest
4 Peyman Azhari fotografierte Menschen aus 132 Nationen in Dortmund.
Herausgeber: Deutsche Gesellschaft für Gartenkunst und Landschaftskultur e.V. (DGGL) Wartburgstraße 42 10823 Berlin www.dggl.org
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Editorial
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10 Architekten, Landschaftsarchitekten und Stadtplaner spielen eine wichtige Rolle in der Willkommenskultur.
22 Studenten verschiedener Universitäten hinterfragen mit dem Projekt „Home not Shelter!“ gängige Wohnmuster.
Stadt | Begegnung | Vielfalt
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Es geht um alle Flavia Alice Mameli und Andra Lichtenstein Frei- und Stadtraum als Integrationsraum
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„Wir müssen die Nöte und kulturellen Differenzen kennen“ Interview mit Sophie Wolfrum, Professorin an der TU München
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Dichter heißt bunter Heiner Stengel „Home not Shelter!“: Neue Wohnformen für Geflüchtete
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Basis macht Stadt Andreas Krauth, Verena Schmidt, Gerko Schröder Prozessuale Entwicklung im Münchner Kreativquartier
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Vom Rand in die Mitte Regina Schubert Temporäre Wohnregale in Wien
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Kunst der Balance Marieke Berkers Stadtentwicklung in Amsterdam und Rotterdam
Nachrichten Produkte Wettbewerbe Projekt Campus DGGL Nachrichten Vorschau, Autoren, Nachtrag, Impressum
40 47 50 54 57 58 64
Termine www.garten-landschaft.de
24 In München gestalten die einstigen Zwischennutzer eines Gewerbegebiets wesentlich mit – dort entsteht das neue Kreativquartier.
30 PPAG Architects wollen mit Hilfe so genannter Wohnregale Restflächen im Zentrum Wiens als Wohnraum nutzen.
34 Amsterdam und Rotterdam verfolgen unterschiedliche Ansätze der Stadtentwicklung.
Bilder: Peyman Azhari; Robert A. Fishman, dpa picture alliance; Home not Shelter!; Teleinternetcafé und Treibhaus; PPAG architects; Jenneke Boeijink
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Integration
Basis macht Stadt München wagt Ungewohntes. Auf einem ehemaligen Gewerbe- und Kasernenareal haben sich in den vergangenen Jahren Zwischennutzer aus der Kunst- und Kulturszene angesiedelt. Statt eines klassischen Investoren-Neubaugebiets soll dort mit einer prozessualen und auf den Ort abgestimmten Entwicklungsstrategie ein Stadtquartier entstehen, das die Nutzer wesentlich mitgestalten – das Kreativquartier.
Der Charakter Münchens ist eng verknüpft mit der Qualität seiner Freiräume. Ludwigund Maximilianstraße, Viktualienmarkt, Marien- und Jakobsplatz und der Englische Garten prägen das Bild dieser Stadt. Neben den klassischen Orten tragen die Isarauen, das Olympiazentrum oder auch die Biergärten viel zu ihrer Identität bei. In puncto Lebensqualität liegt München daher in den Rankings stets vorn, mehr und mehr Menschen ziehen hierher. Um die Nachfrage nach Wohnraum zu stillen, entstehen große Neubauareale, aber auch Bestandsareale und Brachflächen werden nachverdichtet. In diesem Prozess kommt den Freiräumen eine entscheidende Bedeutung zu. Die öffentlichen Areale bestimmen das Zusammenleben innerhalb eines Quartiers und seine Vernetzung mit der Stadt. Bei ihrer Gestaltung geht es nicht nur darum, Bewegungsräume, Grünflächen und Sitzgelegenheiten anzubieten, sondern unverwechselbare, charakterstarke Begegnungsorte zu schaffen. Eine wichtige Rolle kommt der Frage zu, wie die Stadt möglichst vielen Lebensmodellen und dem Wunsch nach Teilhabe gerecht werden kann. Nischen und informelle Orte Im Kontext der Stadt sind dementsprechend nicht nur „repräsentative“ Plätze von Bedeutung. Das Urbane lebt ebenso sehr von undefinierten Nischen und informellen Orten.
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Bleibt trotz des Entwicklungsdrucks noch Raum dafür? Ist man gewillt die gewohnten, sauber gefegten Wege zu verlassen, dann kann man durchaus ein anderes München entdecken. Einer dieser Orte ist das frühere Kasernengelände und ehemalige Gewerbeareal an der Dachauer Straße, zwischen Hauptbahnhof und Olympiapark. Folgt man den nicht mehr genutzten Bahngleisen in das Gebiet, so gelangt man in ein verschachteltes Gefüge. Von der üblichen Abgrenzung wie Bordsteinen, Einfriedungen, Hecken keine Spur. Aneignung und vielfältige Nutzung des Stadtraums scheinen hier möglich und nicht nur Theorie. Der unprätentiöse Gebäudebestand, der von kleinteiligen Lagerräumen bis hin zu großzügigen Hallen reicht, wurde zur Keimzelle einer lebhaften Zwischennutzungskultur mit Ateliers, Tanzwerkstätten und Theatern. Das Unfertige und Improvisierte ist dabei kein Manko, sondern macht den Ort aus. Gerade die rohen, offenen Freiräume scheinen das Potenzial zu haben, eine städtische Mischung und ein Miteinander unterschiedlicher Lebensvorstellungen zu ermöglichen. Das zwischengenutzte Areal wurde als Teil einer 20 Hektar großen Fläche unter dem Titel „Kreativquartier“ ins Visier der Stadtentwicklung genommen. Langfristig soll hier ein Quartier mit 900 Wohneinheiten, Hochschule, Gewerbe, Kunst und Kultur entstehen. Wie können die Voraussetzungen für ein vielfältiges, gemischtes Quartier geschaffen
Simon Jüttner und Sebastian Schels
Andreas Krauth, Verena Schmidt, Gerko Schröder
Im Münchner Kreativquartier, in dem sich bereits Zwischennutzer angesiedelt haben, spielen die öffentlichen Räume eine entscheidende Rolle.
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Integration
Es geht um alle 2015 flohen Hunderttausende aus Kriegsgebieten nach Deutschland. Viele Architekturfakultäten arbeiten jetzt an Wohnlösungen und kultivieren so das Bewusstsein, dass die Art der Bauqualität über Möglichkeiten des Ankommens und der Integration mit entscheidet. Welche Rolle dem Frei- und öffentlichen Raum hier zukommt, wird dagegen noch zaghaft diskutiert. Welche Ansätze für eine Debatte über eine zukunftsweisende Raumkultur gibt es?
Der aktuelle Flüchtlingszustrom bietet die einmalige Chance, ein neues Zukunftsbild der Stadt zu entwerfen und in dieser akut katalytischen Situation auch tatsächlich umzusetzen. Mit Wohncontainern weitab vom Stadtzentrum, Augéschen Nicht-Orten und damit zukünftigen Banlieues, Slums und Gettos wird das aber nicht gelingen. Es sind planerisch und bauwirtschaftlich nachhaltige und gesellschaftlich zukunftsfähige Konzepte nötig, die dem hastig aufgestellten Container, der standardisierten Minimal-Lösung etwas Tragfähiges entgegensetzen. Der Auftrag geht natürlich in Richtung Architektur – auch. Landschaftsarchitektur und Stadtgestaltung sind aber mindestens in gleichem Maße angesprochen. Darauf weist auch BDLA-Vizepräsidentin Irene Burkhardt hin: „Ein ‚Dach über dem Kopf’ für Flüchtlinge ist zweifelsohne kurzfristig wesentlich, aber mittelfristig eben nicht ausreichend.“ Aber wie gelingt grüne Lebensqualität in Städten, in denen die Fläche begrenzt ist und öffentliche Gelder knapp sind? Die hohe Zahl an Flüchtlingen, die 2015 nach Deutschland gekommen ist, und die Bereitstellung der nötigen Unterkünfte für Asylbewerber stellt für viele Kommunen, besonders in Ballungszentren mit ohnehin angespanntem Wohnungsmarkt, eine Herausforderung dar.
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Flächenpotenziale sind hier entweder nicht vorhanden oder müssen erst in langen Prozessen verhandelt und entwickelt werden. Der Ruf nach einer gekonnten Wiederbelebung des sozialen Wohnungsbaus liegt nahe. Umso mehr gilt es, die Fehler der Vergangenheit zu vermeiden. „Wir sollten neben innovativen Wohnstrategien vor allem auf soziale Mischung, Integration von städtischer Infrastruktur und auch auf die architektonische Gestaltung achten. Wir brauchen nachhaltige Strategien im besten Sinne, denn diese Lösungen sind für 80 Jahre projektiert“, so Simon Takasaki und Peter Haslinger, Architekten und wissenschaftliche Mitarbeiter der Universität Hannover. Nachverdichtung in Städten sei ein wesentlicher Schritt in die richtige Richtung, sowohl um den Bestand der Städte positiv weiterzuentwickeln, als auch um das Wohnproblem in den Griff zu bekommen. Alte Debatte neu belebt Die in München lebende Stadtplanerin und Professorin Sophie Wolfrum sieht in der Debatte über Wohnungsnot eine Aktualisierung eines lange existierenden, großen Problems. Dieses zu lösen sei auch ohne die Frage nach dem zusätzlichen Wohnbedarf für anerkannte Flüchtlinge notwendig. Wolfrum hofft, „dass jetzt eine große Wohnungs-
picture alliance, Gert Eggenberger, Apa, picturedesk.com
Flavia Alice Mameli und Andra Lichtenstein
FlĂźchtlinge kommen aus Slowenien am Bahnhof in Villach, Ă–sterreich, an. Sie reisen weiter nach Deutschland.
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Projekt
Spiel-Oase an Krisenorten Spielplatz von CatalyticAction schafft Raum für Kinder in Flüchtlingscamp Bar Elias im Libanon
Raum überlassen wird. Hier setzte ihre Arbeit für das Camp Bar Elias an. Der Spielplatz wurde in zwei Phasen entwickelt. Zuerst wurde das Grundgerüst entworfen, im nächsten Schritt ging es um die Ausstattung. CatalyticAction setzten auf die Partizipation der Kinder. Ihre Ideen und Wünsche flossen in das Design ein, sie entschieden sich unter anderem für einen Gemüsegarten. Die Teilhabe gab ihnen das Gefühl, Teil von etwas Größerem zu sein. „Ich arbeite an dem Spielplatz, damit ich zu Hause in Syrien selbst auch einen bauen kann, wenn ich zurückgehe“, erzählt der fünfjährige Shahd stolz. Die Holzkonstruktion ist schnell auf- und abzubauen, so kann auf Notfälle reagiert werden. Die Einzelteile können später erneut aufgebaut oder wiederverwertet werden. Freiwillige errichteten den Spielplatz während eines internationalen Design-Build-Workshops in dem Camp in Libanon. Catalytic-Action verstehen ihren Spielplatz nicht nur als Projekt für Kinder, sondern als Raum der Verständigung, ein Ort, der die
catalyticaction (3)
Der Syrien-Konflikt hat die größte Flüchtlingskrise der Geschichte hervorgerufen. Im Libanon arbeitet das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen bereits seit 25 Jahren daran, die humanitäre Lage für die aus Syrien Fliehenden zu verbessern. Die Hälfte der über 1,2 Millionen Menschen, die in den Libanon geflohen sind, sind Kinder. Doch die Zeltstädte, die vorrübergehend Schutz bieten sollen, sind kein Raum, in dem sich Kinder entfalten können. 2015 wurde die Non-Profit-Organisation CatalyticAction auf die Situation aufmerksam und rief das Pilotprojekt Ibtasem ins Leben. Kern ist die Entwicklung eines Spielplatzkonzepts für Auffangstationen in Krisengebiete. Der Entwurf geht weit darüber hinaus, was standardmäßig in solchen Notsituationen als wichtig und nötig erachtet wird. Laut UN-Kinderrechtskonvention, Artikel 31, hat jedes Kind das Recht auf Ruhe, Freizeit und Spiel. Die Gruppe CatalyticAction besuchte einige Auffangstationen und beobachtete, dass Kindern dort kein eigener
Die Kinder im Flüchtlingscamp Bar Elias im Libanon haben jetzt einen eigenen Raum, um sich zu entfalten.
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Menschen wieder mündig macht. Seit der Eröffnung im August steigerte das Projekt die Aufmerksamkeit für die Belange der Kinder erheblich. Das Team plant bereits weitere Spielplätze im Libanon. CatalyticAction setzt sich zusammen aus einer internationalen Gruppe von Architekten, Künstlern und Soziologen. Ibtasem wurde von der Organisation „Architektur ohne Grenzen“ mit dem ASF Award 2015 ausgezeichnet. Laura Klöser
aufgemöbelt
Ulrich Paulig & Co. merry go round OHG
fon: 03328 33102-0 info@merrygoround.de
CatalyticAction beteiligte die Kinder am Planungsprozess für den Spielplatz. Die modulare Holzkonstruktion lässt sich schnell auf- und abbauen.
in Zusammenarbeit mit Büro Weidinger Landschaftsarchitektur und Büro Rehwaldt Landschaftsarchitekten
www.merrygoround.de
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