DER PLATZ, DAS GEFÜHL UND WIR
M AI 2016
M AG AZ IN F Ü R L AN D S C H AF T S ARC H I T E KT UR
GARTEN +
GARTEN + LANDSCHAFT
M A I 2 016
LANDSCHAFT
DER PLATZ, DAS GEFÜHL UND WIR plus
Quo vadis, Superkilen? HOAI Kind, Spiel und Raum
SNAPSHOTS
Der Entwurf „New York Horizon“ von Jianshi Wu und Yitan Sun legt
NEW YORKER UTOPIEN AUTOR Laura Klöser studierte Architektur in Münster und absolviert ihr Volontariat in der Redaktion von Garten + Landschaft.
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Vertikale Architektur versus natürliche und gebaute Umgebung: Die eVolo 2016 Skyscraper Competition rief vor einem Jahr dazu auf, mit Raum-Konventionen zu brechen. „New York Horizon“ ging als Siegerprojekt aus dem Wettbewerb hervor. Auf den ersten Blick hat die Idee wenig mit Wolkenkratzern zu tun: Ihre Schöpfer, die amerikanischen Designer und Künstler Yitan Sun und Jianshi Wu, legen den Central Park in New York um 300 Meter tiefer. Den Park bestimmen nicht mehr Turtle Pond und Great Lawn, sondern die jetzt freigelegten Felsen, auf denen New York errichtet wurde. Ein Gebäude, das als Gegenentwurf zum Hochhaus gedacht ist, bildet eine umlaufende Klippe, die den Freiraum fasst. Dieses „Tiefhaus“ wäre mit 18 Quadratkilometern Geschossfläche 80 Mal größer als das Empire State Building. Seine hochreflektierenden Fensterfronten spiegeln
den Park bis ins Unendliche. Ein neuer Horizont wäre geboren. Abgesehen davon, dass es dieses Mammutprojekt nie in die Realität schaffen würde, ist „New York Horizon“ ein Gedankenanstoß, der den Umgang mit Stadt und Freiraum zur Debatte stellt. Zu kritisieren ist aber die Idee, die dem Entwurf zugrunde liegt: Raum ist in Manhattan durch das Straßennetz begrenzt, hoch und eng, der Central Park steht mit 3,3 Quadratkilometern Grünfläche im Gegensatz dazu. „New York Horizon“ will ihn mehr Menschen zugänglich machen, schafft aber nichts weiter als Luxusimmobilien und Million-Dollar-Views. Der Aushub soll in der Nachbarschaft verteilt werden, die im Gegenzug in den Megabau umziehen soll. Wie lange würde es wohl dauern, bis die neue Landschaft wieder zu Bauerwartungsland würde? Könnten es sich Bewohner und Firmen überhaupt leisten, in die neue Immobilie zu ziehen? „New York Horizon“ lässt viele Fragen unbeantwortet, vieles ist nicht bis zu Ende gedacht. Es zeigt aber auch, welche Möglichkeiten wir Architektur und Landschaft in der Stadt zugestehen wollen und können – und welche nicht.
Visualisierung: Jianshi Wu, Yitan Sun; Plan und Visualisierung (rechts): Tatjana Busch, Elisabeth Stieger
den Central Park 300 Meter tiefer.
L AURA KLÖSER ÜBER ...
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S U S A N NE IS AB EL YACOUB ÜB ER . . .
SCHINKELS TÖCHTER Erst kürzlich prangerte die Präsidentin der Berliner Architektenkammer an, dass es immer weniger freie Wettbewerbe gibt. Schlechte Zeiten für Berufsanfänger und Studierende sich zu profilieren. Eine Ausnahme macht der Schinkel-Wettbewerb. Der Architekten- und Ingenieurverein Berlin fördert in diesem Jahr schon zum 161. Mal junge Talente in einer jährlichen internationalen Ausscheidung. Der Wettbewerb greift immer ein brisantes wie lehrreiches Stück Berlin heraus: 2016 ist es der Stadtrand, wo sich Metropole – der Bezirk Zehlendorf – und Provinz – das brandenburgische Teltow – einsilbig hinter den Ufern des Teltowkanals verschanzen. Die Landschaftsarchitektinnen Tatjana Busch und Elisabeth Stieger, Studentinnen der TU Berlin, bauen Brücken von Ufer zu
Ufer und verlegen kompromisslos eine Automeile zugunsten einer Kanalquerung per Rad und Pedes. Es entstehen hüben wie drüben neue Stadtplätze, Treppen, die ans Wasser führen, nahezu durchgehende Uferwege und neue Stadtviertel. Das ist mehr als bloße Freiraumplanung, setzt ermutigende Infrastrukturimpulse und bestimmt die Verkehrsplanung. Geschickt umgehen die jungen Planerinnen Ost- und Westbefindlichkeiten, dafür erhielt „Teltow Connection“ den Schinkelpreis. Und: Wie in den vergangenen Jahren setzt sich der Trend fort, dass Landschaftsarchitekten immer mehr auch den Städtebau erobern.
AUTOR Susanne Isabel Yacoub ist Landschaftsarchitektin und ausgebildete Gärtnerin. Sie arbeitet als Fachjournalistin und dreht Filme zu Architektur und Landschaftsarchitektur.
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Mehr zu den ausgezeichneten Entwürfen unter garten-landschaft.de/schinkelpreis2016
Tatjana Busch und Elisabeth Stieger verknüpfen mit dem Entwurf „Teltow Connection“ den Berliner Stadtrand mit der Provinz.
7 GARTEN+ L ANDSCHAFT
DER PLATZ, DAS GEFÜHL UND WIR – DIE NEUE RAUMDEUTUNG
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DER PLATZ, DAS GEFÜHL UND WIR DIE NEUE RAUMDEUTUNG
Foto: Julien Lanoo
Der öffentliche Raum erlebt eine Renaissance: In der dichten und heterogenen Stadt ist es wieder wichtig, das Draußen für sich einzunehmen. Hier geht es aber nicht nur um die Frage: Freiraum haben oder nicht haben, schön oder nicht schön. Landschaftsarchitektur muss sich wieder auf ihre soziale Kraft besinnen.
Das weiche Gummigranulat im Park am Gleisdreieck in Berlin ermöglicht verschiedene Bewegungsvarianten.
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DER PLATZ, DAS GEFÜHL UND WIR SUPERKILEN KOPENHAGEN
HINTER DEM HYPE – QUO VADIS, SUPERKILEN? Wohl kaum ein Projekt hat in den vergangenen Jahren so öffentlichkeitswirksame Bilder produziert wie der Superkilen in Kopenhagen. Sein auffälliges Design machte ihn weltweit bekannt – ein Design, das Nutzer aus verschiedenen Kulturen und Milieus zusammenführen sollte. Aber: Funktioniert das? Studenten am Danish Institute for Study Abroad haben hingeschaut.
FAKTEN
Foto: Torben Eskerod
AUFTRAGGEBER Stadt Kopenhagen, Realdania LANDSCHAFTSARCHITEKTUR Topotek 1, Berlin ARCHITEKTUR Bjarke Ingels Group, Kopenhagen WEITERE BETEILIGTE 3Superflex, Help PR & Communication, Lemming & Eriksson FLÄCHE 33.000 Quadratmeter FERTIGSTELLUNG 2012
Der Superkilen in Kopenhagen hat Schwächen – so der Befund studentischer Analysen
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„GUTE PLATZGESTALTUNG HAT VIEL MIT ZURÜCKHALTUNG ZU TUN“ Mit ihrem Konzept für den Berta-Kröger-Platz haben Relais Landschaftsarchitekten Hamburg-Wilhelmsburg zu einer neuen Mitte verholfen. Wir sprachen mit Platzmacher Gero Heck über seine Idee und die Frage: Was sollte ein guter Platz eigentlich erzählen?
BERTA-KRÖGER-PLATZ, HAMBURG-WILHELMSBURG Der Berta-Kröger-Platz hat sich dank der Platzmacher von relais Landschaftsarchitekten von einem unschönen Durchgangsraum in eine klare und überschaubare Platzfläche mit Aufenthaltsqualität verwandelt. Das landschaftsarchitektonische Konzept hält das unstrukturierte Stadtgefüge zusammen. S-Bahnhofsvorplatz, Passage und Marktplatz haben einen einheitlichen Bodenbelag und werden als zusammenhängende Fläche erlebbar. Strömungslinien und Tiden überziehen den Platz, das Wellenmotiv strukturiert und gliedert die fließende Freifläche. Auf dem Marktplatz kommen die dynamischen Formen zur Ruhe und nehmen das alte Baumraster des Platzes wieder auf. Eine Rasentide begleitet den fließenden Raum zwischen Wohngebäuden und Einkaufszentrum und lädt zum Verweilen ein. Eine neue Mitte für Wilhelmsburg ist entstanden.
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Foto: Melanie Dreysse
DER PLATZ, DAS GEFÜHL UND WIR BERTA-KRÖGER-PLATZ HAMBURG
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FR AGE
WIE VIEL FREIHEIT BRAUCHT DER PREIS? Die Europäische Kommission nimmt die HOAI ins Visier. Die Landschaftsarchitektur stünde bei einem Wegfall der Gebührenordnung vor einem Umbruch, meint Dieter Pfrommer, Landschaftsarchitekt und Sachverständiger. Ein Gedankenspiel unter dem Motto: Was wäre wenn?
DIETER PFROMMER
Im Februar 2016 veranlasste die Europäische Kommission die zweite Stufe eines Vertragsverletzungsverfahren gegen Österreich, Zypern, Deutschland und Polen: Sie fordert die Mitgliedsstaaten auf, künftig die Bestimmungen der Dienstleistungsrichtlinie zu reglementierten Berufen einzuhalten. Die Bundesregierung hat jetzt zwei Monate Zeit zu reagieren. Dann muss sie der Kommission mitteilen, welche Maßnahmen sie ergreift, um die an der HOAI beanstandeten Punkte zu beheben. DEUTSCHLAND UND DER FREIE MARKT
Mit der HOAI 2013 sind ausländische Architekten und Ingenieure nicht mehr an das deutsche Preisrecht gebunden, sofern sie ihre Dienstleistungen in Deutschland nicht von einer hiesigen Niederlassung, sondern vom Ausland aus erbringen. Das moniert die Europäische Kommission. Sie sieht die EU-Dienstleistungsrichtlinie missachtet. Die Argumentation: Ein möglicher Preisvorteil für im Ausland eingekaufte Dienstleistungen könnte bei einer Niederlassung in Deutschland nicht mehr zum Tragen kommen, denn die zulässigen Mindestsätze müssten beachtet werden. Die HOAI bewirke also einen ungerechtfertig-
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30 TAUSEND Unterzeichner stellten sich hinter die Petition „HAOI verteidigen!“
STUDIO FRAGE
ten Wettbewerbsnachteil für ausländische Marktteilnehmer, so die Einschätzung in Brüssel. Dort sieht man schon seit vielen Jahren den deutschen Dienstleistungssektor durch nationale Registrierungsvorschriften, Umwelt-, Arbeits- und Gesundheitsstandards, Tarifverträge, um nur einige zu nennen, überreguliert. Aus einer 2015 veröffentlichten umfassenden Bewertung der Regulierung von Unternehmensdienstleistungen geht hervor: Deutschland nimmt in Sachen Restriktivität der einschlägigen Rechtsvorschriften Rang 4 in der EU ein. Die Bundesregierung hat den von der EU formulierten Kritikpunkten an der HOAI in allen Punkten widersprochen. Hierzu hatte sie nicht nur die Rückendeckung vom Bundestag, sondern auch das Votum einer Petition mit über 30.000 Unterzeichnern. Ein Gutachten der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages bestätigte noch dazu, dass die HOAI 2013 mit EU-Recht konform ist. Die Interessengruppen des Mittelstandes, der Freien Berufe und diverse Kammern und Verbände der Architekten- und Ingenieurberufe bekräftigen den Einspruch: Gerade in Märkten mit hoher Angebotsdichte müsse die Qualität des Planens in Mindestsätzen gegen einen ruinösen Preisdruck geschützt werden. Der Verbraucherschutz, den die HOAI vorsieht, ist gerade für Besteller mit wenig Planungs- und Umsetzungserfahrung von großer Bedeutung. Er wird unter anderem mit Form- und Fristgeboten bei Vergütungen über den Mindestsätzen und einer Obergrenze in Form von Höchstsätzen festgeschrieben.
Plan: msa | Münster school of architecture & Stadt Berlin
NATIONALE POSITION: SINNVOLL ODER NICHT?
All dies will die EU-Kommission nicht gelten lassen. Sie argumentiert, es gäbe keinen Zusammenhang zwischen Mindesthonorarsätzen und Qualität. Alternative Regulierungen seien für Qualitätssicherung und Verbraucherschutz mindestens genauso gut geeignet wie die HOAI und würden die Niederlassungsfreiheit weniger beschränken. Sollte die Bundesregierung gegen die Argumente und den Druck Stand halten, wird die EU-Kommission wohl nicht umhin
kommen, eine Klage gegen die Bundesrepublik Deutschland anzustrengen, um ihr Gesicht zu wahren. Vielleicht fügen sich die Dinge aber auch ohne Urteil. Verschiedene Szenarien sind denkbar, wenn es um die Frage geht, was mit der HOAI geschieht. Sie reichen von einer Abschaffung über ihre Degradierung zu einer Art Honorarempfehlung bis hin zu einer Aufweichung der Mindest- und Höchstsätze. WAS WÄRE WENN?
DIETER PFROMMER ist Landschaftsarchitekt und Sachverständiger für Leistungen und Vergütungen für Landschaftsarchitekten. Er hielt für den bdla Seminare zu Änderungen in der HOAI und ist Mitautor des Kommentars zur HOAI.
Je nachdem, welches Szenario einträte, würde sich der Markt den Allokationseffekten von Angebot und Nachfrage folgend selbst bereinigen und neu einspielen. Bezogen auf die Praxis der Landschaftsarchitektur hieße das konkret und im Positiven: Bislang nach HOAI verbindlich verpreiste, aber unauskömmliche Honorare würden sich nach oben anpassen, schlecht bezahlte Leistungen wie etwa Landschaftspflegerische Begleitpläne würden mit Sicherheit teurer. Vergütungen für Flächenund Objektplanungen im unteren Niveau der aktuell gültigen Honorartafeln ließen sich nicht halten, weil sie, würde man sie sorgsam kalkulieren, höher lägen. Wahrscheinlich ist aber auch, dass sich das Honorarniveau für viele Planungsaufgaben infolge eines Preiskampfes zumindest zeitweise nach unten bewegt. Das würde manche Anbieter verunsichern und – mit der Erkenntnis, am Markt keine Zukunftschancen zu haben - auf andere Tätigkeitsfelder ausweichen lassen. In Folge des damit sinkenden Angebots könnten die Preise entsprechend der Regeln des Marktes schließlich wieder steigen. Fiele die HOAI weg, wären auch die in ihr festgeschriebenen und erprobten Leistungsbeschreibungen passé. Nicht trennscharf oder unbestimmt benannte neue Leistungsbegriffe und -umfänge brächten erst einmal gehörige Verunsicherung in den Markt. Bis sich Angebot und Nachfrage auf die neue Situation eingestellt haben, dauert es sicher einige Jahre. In dieser Allokationsphase droht eine Hängepartie: Talente hätten es schwerer, ihre eigene fachliche Zukunft zu finden, wenn zu viele für zu wenig Geld arbeiten. Wettbewerbe als
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