MAI 2020
MAGAZ I N F Ü R L ANDSC HAF T SARC HI TEK TUR U ND S TADT P L AN UN G
GARTEN +
STÄDTE FÜR MORGEN
LANDSCHAFT
WAS MULTICODIERUNG MIT BADEWANNEN VERBINDET? FINDEN SIE ES RAUS.
mit multicodierten Projekten aus Grafenau, Hamburg, Kopenhagen, Region Köln/Bonn und Rotterdam
24 Eigentlich im Besitz der
bauchplan ).( den Campusplatz in Grafenau für die Stadtbevölkerung.
verschiedenen Layern ermöglicht individuelle Nutzungen für unterschiedliche Stakeholder.
32 BlueGreenStreets, gefördert
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durch das
Der Benthemplein in
Bundesministerium für
Rotterdam von De
Bildung und Forschung,
Urbanisten war international
entwickelt Strategien,
der erste Wasserplatz. Hat
Straßenräume multicodiert
sich die Kombination aus
neu zu denken.
Regenwassermanagement
Das Forschungsprojekt
und Freitzeitnutzung bis heute bewährt?
58 Eine Dachlandschaft, die Spaß macht. BIG-Architekten verwandelten mit SLA-Landschaftsarchitekten und dem Gründach-Systemhersteller ZinCo die Müllverbrennungsanlage Amager Bakke in Kopenhagen zum multicodierten Architektur-Wunder.
INHALT
AK TUELLES 06 13
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SNAPSHOTS MOMENTAUFNAHME #cestesospese
MULTICODIERUNG
Im Rahmen von RISA entwickelte Hamburg in den vergangenen Jahren einige Projekte, die das
Was Multicodierung mit Badewannen verbindet? Finden Sie es raus.
Regenwassermanagement mit Spiel- und Sportnutzungen verbinden, so auch den Regenspielplatz in Neugraben-Fischbeck.
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CORONA-SPEZIAL: STIMMEN AUS DER PROFESSION
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ZEHN JAHRE MULTICODIERUNG
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Wir haben mit Institutionen und Büros über die aktuelle Lage gesprochen Carlo W. Becker von bgmr Landschaftsarchitekten zum Titelthema WÜNSCH DIR WAS!
Grafenau: bauchplan ).( und die Multicodierung eines Campusplatzes „WIR HABEN UNS ANTRAINIERT, ALLES ZU CODIEREN“
Kommentar von Herbert Dreiseitl URBANE MULTITALENTE
Zum Forschungsprojekt BlueGreenStreets und der Gestaltung multicodierter Straßenräume STARKREGENVORSORGE MIT SPIELSPASS
Hamburg: Wie es der Hansestadt gelingt, Regenwassermanagement und Freitzeitnutzung zusammenzubringen FAHRPLAN ZUR MULTICODIERUNG
Region Köln/Bonn: Wie die Rheincharta Multicodierungsprozesse zwischen Bad Honnef und Meerbusch in Gang trat BLUEPRINT FÜR WASSERPLÄTZE
Wie geht es dem ersten Wasserplatz sieben Jahre nach seiner Entstehung? Ein Besuch des multicodierten Benthempleins der Urbanisten in Rotterdam
STUDIO 52
LÖSUNGEN Spielgeräte und Sportanlagen
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PRAXIS Inklusion trifft Matrix
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REFERENZ Steil bergauf
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NEW MONDAY Bürohund 2020
RUBRIKEN 62
Stellenmarkt
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Impressum
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Lieferquellen
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DGGL
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Sichtachse
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Vorschau
Herausgeber: Deutsche Gesellschaft für Gartenkunst und Landschaftskultur e.V. (DGGL) Wartburgstraße 42 10823 Berlin www.dggl.org
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CORONA-SPEZIAL: STIMMEN AUS DER PROFESSION Ende März veröffentlichte das Marktforschungsinstitut BauInfoConsult einen Bericht zu den Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Baubranche. In diesem zeigte sich das Institut vorsichtig optimistisch: "Der brachiale Einbruch der deutschen Bauwirtschaft ist noch keine ausgemachte Sache", hieß es im Bericht. Wie schätzen BDLA, BSLA, ÖGLA oder die Bundesstiftung Baukultur die Lage ein? Wir haben für Sie verschiedene Stimmen aus der Profession eingefangen.
BUND SCHWEIZER .LANDSCHAFTSARCHITEKTEN Peter Wullschleger ist Geschäftsführer des Bundes Schweizer Landschaftsarchitekten und Landschaftsarchitektinnen BSLA.
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Der BSLA ist bemüht, seine Mitglieder mit aktuellen Informationen zu bedienen und Hilfestellungen anzubieten. Wir arbeiten dafür eng mit den anderen Planerverbänden zusammen. Die Mitglieder finden auf www.bsla.ch/de/corona. php umfassende Informationen. Am 30.03.2020 hat der BSLA zusammen mit dem Bund Schweizer Architekten eine Mitteilung verfasst, welche Behörden und Auftraggeber auffordert, Planungen nicht einzustellen oder zu verzögern. Der Bundesrat wurde aufgefordert, die finanzielle Hilfe auch auf Selbstständigerwerbende auszuweiten, welche nicht direkt durch Schließungsmaßnahmen betroffen sind, aber dennoch starke Einkommenseinbußen verzeichnen.
Fotos: BSLA; Bundesstiftung Baukultur/Till Budde
VON VERA BAERISWYL, TANJA GALLENMÜLLER UND THERESA RAMISCH
CORONA-SPEZIAL STIMMEN AUS DER PROFESSION
„WIR WERDEN ALLE EXPERTEN FÜR WOHNUND ARBEITSKULTUR“ Ende März meldete das Online-Magazin von t-online, dass in Deutschland mehr und mehr Airbnb-Vermieter ihre Wohnungen zur Zwischenmiete auf Immobilien-Portale wie Immobilienscout24 oder ImmoWelt stellen. Für Reiner Nagel könnte das ein positiver Effekt der Corona-Pandemie sein. Wir haben mit dem Vorstandsvorsitzenden der Bundesstiftung Baukultur telefoniert und ihn gefragt, welche weiteren Chancen er sieht und welche Sorgen ihn in diesen Tagen begleiten. INTERVIEW: THERESA RAMISCH
Reiner Nagel, wie arbeitet die Bundesstiftung Baukultur dieser Tage?
INTERVIEWPARTNER Reiner Nagel ist Architekt und Stadtplaner und seit 2013 Vorstandsvorsitzender der Bundesstiftung Baukultur. Er ist Lehrbeauftragter an der TU Berlin im Bereich Urban Design und Mitglied der Deutschen Akademie für Städtebau und Landesplanung.
An unserem Stiftungssitz in Potsdam und in den Räumlichkeiten unseres Fördervereins beim Berliner DAZ gibt es eine Notbesetzung, die aufgrund von Fahrradwegdistanzen und Raumgrößen machbar ist. Die meisten Kolleginnen und Kollegen arbeiten aber von zu Hause aus. Wir sind alle im ständigen Kontakt. Über digitale Plattformen als Ersatz für den „Flurfunk“, über Videogespräche, per E-Mail, SMS, und es wird auch wieder mehr telefoniert. Trotzdem fehlen natürlich der direkte Kontakt und ein Großteil der nonverbalen Kommunikation. Am schwierigsten finde ich, dass unser Kommunikationsauftrag nach außen leidet oder stärker formalisiert wird. Alle Veranstaltungen, Meetings oder Netzwerktreffen sind abgesagt. Manche schon Monate im Voraus. Jeder kann den Anlass und die Notwendigkeit nachvollziehen, trotzdem ist das nicht gut für die Motivation, und es braucht jetzt mehr Disziplin, um engagiert weiterzumachen. Wir erarbeiten derzeit verschiedene Formate, die den Verlust kompensieren und einen branchenübergreifenden Austausch und Kontakt der unterschiedlichen Akteure der Baukultur auch in dieser veränderten Situation ermöglichen sollen.
Welche Sorgen beschäftigen Sie derzeit?
Das betrifft natürlich im persönlichen Bereich die Familie, Eltern, Freunde. Und dann denke ich beim jetzigen Stillstand vieler Dynamiken, ob es einfach so weitergeht, wenn der Motor wieder angeschmissen wird, oder ob sich etwas ändert. In unserer Nachbarschaft wird gerade ein Haus aus dem Jahr 1929 abgerissen. Das Dach ist schon weg, und jetzt ruhen die Arbeiten. Jeden Tag, den die Ruine da in der Sonne steht, erkennt man stärker die ursprünglichen Qualitäten, und selbst Laien sehen, dass der Abriss ein Fehler ist. Es wäre schön, wenn das Innehalten im jetzigen Ausnahmezustand zu mehr Achtsamkeit und Vernunft und einer auch baukulturell reflektierten Verhaltensweise in der Zukunft führt. Manch einer stellt sich derzeit die Frage, ob er nach der Krise noch einen Job haben wird …
Ja, und die Gefahr besteht. Es gibt schon jetzt einschneidende Folgen für die Weltwirtschaft und damit für viele Jobs bei uns. Hinzu kommt, dass die tragende Säule der Konsumgüterindustrie weiter leiden wird, weil viele Menschen merken, es geht ja auch so – mit Ausnahme natürlich von Toilettenpapier. Hier rächt
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ZEHN JAHRE MULTICODIERUNG Der erste Artikel zum Thema „Multicodierung“ in der Garten + Landschaft erschien im Märzheft 2012. Damals waren der Begriff und der damit verknüpfte Planungsansatz noch Neuland. Dies änderte sich im Zuge erster Strategien und Konzepte wie der Rheincharta 1.0 aus dem Jahr 2011 oder der Strategie Stadtlandschaft Berlin von 2012. Aber auch wenn das Weißbuch Stadtgrün von 2017 die Förderung von „multicodierten Grün- und Freiräumen“ postuliert und die Erarbeitung eines Leitfadens zur multicodierten Freiraumnutzung angekündigt hat, so vollumfänglich in der Gegenwart angekommen ist die Akteursstrategie immer noch nicht. Carlo W. Becker von bgmr Landschaftsarchitekten über die Herausforderungen, denen sich die Multicodierung heute stellt.
AUTOR Dr. Carlo W. Becker studierte Landschaftsplanung an der TU
CARLO W. BECKER
Berlin. Seit 1987 ist er Gesellschafter im Büro bgmr Landschaftsarchitekten, Berlin.
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Beide Visualisierungen: bgmr Landschaftsarchitekten, yellowZ, Giseke
MULTICODIERUNG CARLO W. BECKER ZU ZEHN JAHREN MULTICODIERUNG
Was ist Multicodierung? 2012 habe ich diese Frage am Beispiel einer Badewanne erklärt: Stellen Sie sich eine Badewanne vor. Wozu ist diese zu gebrauchen? Na klar – zum Baden, zum Reinigen. Ja vielleicht auch zum Entspannen, einfach mal abschalten. Und wenn Sie viele Gäste einladen, dann ist sie mit Eis gefühlt ein Kühlschrank. Für andere ist die Badewanne ein Prestigeprojekt oder ein Dekorationsstück im Bad. Die Interessenlagen oder Codes an einer Badewanne sind sehr unterschiedlich und hängen von den Lebensstilorientierungen, individuellen Wünschen oder auch von zu vertretenden Belangen der Lobbyisten ab. Das Bild der Badewanne lässt sich auch auf den städtischen Raum übertragen, wobei die Interessenlagen am städtischen Raum um ein Vielfaches größer, komplexer und mehrdimensionaler sind. Wenn wir über Multicodierung sprechen, dann beziehen wir die Interessen der Akteure im städtischen Raum mit ein. Wir haben es mit Einzelpersonen, Anwohnergruppen, Lobbyisten, Verwaltungen und Politik zu tun, mit denen über Akzeptanz, Verantwortung, Mitwirkung und Teilhabe an öffentlichem Raum verhandelt werden kann. Damit unterscheidet sich die Multicodierung auch von der Multifunktionalität. Mit dem Begriff der Multifunktionalität wird so
getan, als wenn objektive Funktionen identifiziert werden, die es im Raum zu organisieren gilt. Die Multicodierung fragt hingegen nach den Interessenlagen der Akteure der Stadtgesellschaft, somit ist sie eine Akteursstrategie. Multicodierung meint damit auch immer den Verhandlungsprozess von Interessenlagen. Ein Park zeichnet sich durch die Gleichzeitigkeit von Überlagerungen von Ansprüchen und Nutzungen aus. Er ist Erholungsraum, ein Ort der Kommunikation und Interaktion, Sportraum, Ort der Biodiversität, Kühlraum in der Hitzestadt, Retentionsraum bei Starkregen oder Standortfaktor und vieles mehr. Im Freiraum kumulieren sich die Interessenlagen.
Im Auftrag des Bezirksamts FriedrichshainKreuzberg entwickelten die bgmr und yellow Z konkrete Projektvorschläge für mehr grüne Stadtoasen, Klimaschutz und Lebensqualität. Das Bild oben visualisiert das Hallesche Ufer in Berlin als multicodierten Raum.
„MULTICODIERUNG STEHT AUCH IN DER KRITIK. MIT RECHT.“
Warum Multicodierung für uns als Gesellschaft solch bedeutende Relevanz hat? Flächen sind begrenzt, vor allem in den wachsenden Städten ist die Fläche eines der knappsten Güter. Wenn es nicht ein Mehr an Fläche gibt, dann bedarf es einer Qualitätsstrategie. Die doppelte Innenentwicklung kann nicht mehr Flächen erzeugen, aber im Sinne der Multicodierung ein Mehr an Freiraumqualität und Nutzungsvielfalt. In der dichten Stadt ist 21 GARTEN+ L ANDSCHAFT
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Grafik: bauchplan ).(, Yuji Oshima
WÃœNSCH DIR WAS!
MULTICODIERUNG TECHNOLOGIE CAMPUS GRAFENAU
Der Platz und seine Beziehungen: Per
Als im Juli 2018 Frank-Walter Steinmeier die Forschungseinrichtung der Technischen Hochschule Deggendorf in Grafenau besuchte, zeigte der Technologie Campus Grafenau, dass er selbst für Staatsbesuche geeignet ist. Die ehemalige Problemregion im Bayerischen Wald lag im Zentrum der medialen Aufmerksamkeit und glänzte als Vorzeigebeispiel für öffentlichen Raum, dem mehr als nur eine einzige Funktion zugeschrieben werden kann. Das Büro bauchplan ).( über sein Projekt, den multicodierten „Campus Grafenau“.
Sprechblasen stellte bauchplan ).( mögliche Nutzungen und Potenziale auf dem Campus dar.
AUTOREN: BAUCHPLAN ).(
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URBANE MULTITALENTE Straßenplanung orientiert sich bislang stark an den Bedürfnissen des motorisierten Verkehrs. Nutzungen werden funktionsgetrennt geplant. Dass dieser Planungsansatz nicht sonderlich zukunftsgerichtet ist, versteht sich von allein. Das Forschungsprojekt BlueGreenStreets, gefördert durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung, nutzt das Prinzip der Multicodierung, um Nutzungsansprüche neu zu denken. AUTOREN: SVEN HÜBNER & LENA FLAMM
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Alle Grafiken: ©: BlueGreenStreets, bgmr Lanschaftsarchitekten GmbH
MULTICODIERUNG FORSCHUNGSPROJEKT BLUEGREENSTREETS
Die Mobilitätswende erfordert eine Neuverteilung der Verkehrsflächen zugunsten umweltschonender und gesundheitsfördernder Verkehre. Urbane Trends wie Cornern, Urban Gardening oder urbane Sportaktivitäten wie Parcours sind Ausdruck für den zunehmenden Anspruch an Straßen und Plätze als Ressource an öffentlichem Raum1. Nicht zuletzt erfordert der Klimawandel den Umbau der Straßen zur blau-grünen Infrastruktur, um die lokalen Wasserkreisläufe zu stabilisieren, Überflutungsschäden bei zunehmenden Starkregenereignissen vorzubeugen und die überhitzten Städte mit vitalem Stadtgrün zu kühlen. Das Forschungsprojekt BlueGreenStreets
(BGS) nutzt die Multicodierung als neue Raumtaktik, um diese Nutzungsansprüche miteinander zu synchronisieren und räumlich zu verschränken. Anhand von Pilotprojekten in den Städten Berlin, Bremen, Hamburg, Solingen und der Gemeinde Neuenhagen wird mit der Methode des research by design erprobt, wie Straßenräume zu Multitalenten der Stadtentwicklung werden können. STRASSENRAUMGESTALTUNG IST FREIRAUMGESTALTUNG
Das Forschungsprojekt "BGS" untersucht, wie in urbanen Quartieren Straßenräume multifunktional gestaltet werden können. Wichtige Stellschrauben dabei sind der richtige Umgang mit Vegetation, Verdunstung, Starkregenmanage-
In den von Freiraummangel und Hitzestress besonders betroffenen innerstädtischen Quartieren machen Straßen bis zu
ment und die
Aufenthaltsqualität.
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STARKREGENVORSORGE MIT SPIELSPASS Hamburg machts vor: Bereits seit über zehn Jahren widmet sich die Hansestadt auf Basis des Projekts RISA einem Regenwassermanagement, das nicht nur rein technischer Natur ist, sondern auch Aspekte wie Spiel und Naherholung integriert und damit die Mehrfachnutzung öffentlicher Freiräume vorantreibt. KATJA DEUTSCH
AUTORIN Katja Deutsch ist Diplomdesignerin und Journalistin und lebt seit 20 Jahren mitten in Hamburg. Sie schreibt viel über Digitalisierung, Bauen, Wohnen, Reisen und Juniorthemen.
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Im Mai 2018 prasselte auf den Osten Hamburgs innerhalb weniger Stunden so viel Regen nieder wie nur alle 300 Jahre einmal. Die Feuerwehr wurde über 1 000 Mal gerufen und rettete verängstigte Menschen aus ihren Autos und ihren plötzlich überfluteten Häusern. Gehwege sackten ab, Straßen brachen weg. Auch im dicht bebauten Stadtteil Eimsbüttel steht bei Starkregen regelmäßig das Wasser in den Straßen und auf den Grünflächen. Verdichtung und Versiegelung führen in Hamburg immer öfter zu Überflutungen. Die Tendenz ist eindeutig: „Der Februar 2020 war der nasseste Februar in Hamburg seit Beginn der Wetteraufzeichnungen“, sagt Franziska Meinzinger, Leiterin Integriertes Regenwassermanagement bei HAMBURG WASSER, dem Wasserver-
Foto: HAMBURG WASSER
MULTICODIERUNG HAMBURGS STARKREGENVORSORGE
Das Projekt RISA ermöglichte es, ein neues Regenwassermanagement für Hamburg zu entwickeln.
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FAHRPLAN ZUR MULTICODIERUNG die sogenannte Rheincharta und damit eine gemeinsame Strategie für den Raum am Rhein zwischen Bad Honnef und Meerbusch integriert und multicodiert zu entwickeln. Die Entstehung der Charta war ein Lernprozess, der zum einen die Akzeptanz divergierender Interessen sowie zum anderen deren kombinierte Behandlung beförderte. Anette Kolkau über die Charta und ihr Potenzial, Multicodierung regional und kooperativ zu gestalten. ANETTE KOLKAU
Pädagogin und Journalistin. Sie arbeitet für regionale Strukturprogramme in NRW, so auch die IBA Emscher Park. Aktuell für das Bergische Städtedreieck.
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Sie ist Selbstverpflichtung, feierliche Urkunde, ein verschriftlichter Akt gemeinsamer Verabredungen oder Handlungsrahmen: die Rheincharta. Die Bandbreite der Interpretationen ist enorm: Sie kann sowohl Verfassung als auch Richtlinie sein. Im Dezember 2011 wurde das umfangreiche Papier in Wesseling am Rhein von zahlreichen Kommunen, Kreisen, den Industrie- und Handelskammern zu Köln und Bonn/Rhein-Sieg, der Landwirtschaftskammer NRW, der Handwerkskammer zu Köln, dem Wasser- und Schifffahrtsamt, dem HochwasserKompetenzCentrum e.V. und der Häfen und Güterverkehr Köln AG und vielen mehr unterzeichnet. Alle Unterzeichner „wollen“ etwas von und mit dem Raum am Rhein zwischen Bad Honnef und Meerbusch. Die einen denken an flussnahen Wohn-, Freizeit- und Lebensraum. Die anderen an hafennahe Industriegebiete oder Logistikstützpunkte. Ein enormer Nutzungsdruck lastet auf den schmalen Uferregionen in der dicht besiedelten Fläche. Eine sektorale
Zerteilung der knappen Lagen kann deshalb nicht die Lösung sein. „... im Sinne einer gemeinsamen Strategie (wird) es zukünftig darum gehen, die Räume integriert, multicodiert und entkoppelt von negativen Auswirkungen auf Umwelt und Lebensqualitäten zu entwickeln“, heißt es in der gemeinsamen Erklärung. RICHTLINIE FÜR KONSEQUENTE UMSETZUNG
Sie soll die Grundlage künftiger Planungen sein, eine Orientierung, wie die Entwicklung der Areale am Rhein qualitätsvoll und zukunftsorientiert ausgerichtet werden kann. Sie ist eine Verabredung für abgestimmte Planungsaktivitäten, bei denen die widerstreitenden Interessen am und Ansprüche auf den knappen Rheinraum miteinander koordiniert werden – im Sinne einer ganzheitlichen Entwicklung. Sie ist ein informelles gemeinsames Instrument, das Richtlinie für konsequente Anwendung in der integrierten Raumentwicklung ist und das kontinuierlich fortgeschrieben wird.
Alle Abbildungen: © bgmr
AUTORIN Anette Kolkau ist
MULTICODIERUNG RHEINCHARTA
REDEN, UM WEITERZUKOMMEN
Der Arbeitskreis Rhein beim regionalen Entwicklungsinstrument Region Köln/ Bonn e. V. hat den Prozess der Verständigung auf eine Charta initiiert. bmgr Landschaftsarchitekten aus Berlin wurden mit der Durchführung des Findungsprozesses beauftragt. Der Ansatz eines dialogorientierten Verständigungsprozesses, wie er 2010 startete, war damals neu. „Etliche der Akteure setzten sich das erste Mal mit der Fragestellung zusammen, wie aus den unterschiedlichen Perspektiven und Interessenlagen, den ‚Codes‘, eine Zusammenarbeit am Rhein erfolgen könnte. Sektorales Denken und Flächennutzung nebeneinander in Multicodierung zu überführen, wird heute zumindest breit diskutiert, war vor zehn Jahren aber durchaus noch Neuland“, so Carlo W. Becker von bmgr. Neben den oben genannten Gebietskörperschaften waren auch Planerverbände, Hochschulen, Stiftungen, Vereine, Klimafachleute dabei. Das heißt: Der erste und wichtigste Schritt in diesem Projekt war Kommuni-
kation – mit zahlreichen Workshops und fach- und institutionell übergreifenden Veranstaltungen. Standpunkte und Nutzungsansprüche mussten formuliert, verknüpft und übereinandergelegt werden. Abstraktion und Aufsicht mussten initiiert werden, um letztlich einer ressortübergreifenden Kooperation die Türen zu öffnen. FOKUS: ENTWICKLUNG VON FLUSSUND SIEDLUNGSNAHEN FLÄCHEN
Was addiert und kombiniert die Charta? Wassersensible Stadtentwicklung ist ein Punkt, der unter mehreren Vorzeichen berücksichtigt werden muss: Unter anderem geht es darum, Negativwirkungen auf den Fluss, Hochwasser-, aber auch Grundwasserschutz bei allen Baumaßnahmen mitzudenken. Es geht um die Sicherung und Vernetzung von gleichermaßen fluss- und siedlungsnahen Naherholungsflächen – auch mit dem Hinterland. Erlebbare und gleichermaßen wertvolle Naturräume zu erhalten – auch das ist Bestandteil abgestimmten
Rheinabschnitt zwischen Bad Honnef und Meerbusch im Abendlicht
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