JUNI 2020
MAGAZIN FÜR L ANDSC HAFT SARC HI TEK TUR U ND S TADT P L AN UN G
GARTEN +
STÄDTE FÜR MORGEN
LANDSCHAFT
LEBENSQUALITÄT FLUSS: URBANE WASSERKANTEN RICHTIG GESTALTEN
mit Beispielen aus
Basel, Bern, Bremen, Genf, Hamburg, Kopenhagen, Offenbach, Rostock, Wien und Zürich
E D I T ORIAL
„Lebensqualität“ ist ein Begriff, der uns in der Redaktion in den vergangenen Wochen ungewöhnlich häufig beschäftigt hat. Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, ging es da vermutlich nicht anders. Viele von uns verbinden mit Lebensqualität vor allem draußen sein, unterwegs sein, Leute treffen. Und gerade das war in letzter Zeit eben nicht möglich. Fast brutal hat uns der Lockdown die Bedeutung von Bewegungsfreiheit vor Augen geführt. Und nun, wo nach und nach die Lockerungen einsetzen, stellt sich ein erstes Gefühl einer neugewonnenen Normalität ein, während man sich mulmig fragt, ob das alles gut ausgeht. Was sicher ist: Der Sommer 2020 wird definitiv anders aussehen, als wir ihn uns vorgestellt haben. Bis jetzt ist unter anderem nicht klar, unter welchen Auflagen Schwimm- und Spaßbäder wieder öffnen können. Im Gegensatz zu deutschen Städten sind die Schweizer Städte Basel, Bern, Genf und Zürich da klar im Vorteil. Hier grüßten bereits im Mai wieder die ersten Schwimmer – vom Fluss aus. In den vergangenen Jahren hat sich Flussschwimmen in der Schweiz zum urbanen Trend entwickelt. Abstandseinhaltungen sind hier leichter möglich.
Lebensqualität pur in Basel. Die Aufnahme zeigt einen typischen Sommertag in der Schweizer Stadt – aufgenommen von Lucia deMosteyrin für die Ausstellung „Swim City“.
Mit der Stadtverwaltung Rostock haben wir uns im Interview über die BUGA 2025 und das Warnowquartier unterhalten. Ab Seite 48.
Wir haben das Schweizer Phänomen zum Anlass genommen, uns im vorliegenden Heft – der dritten und somit letzten Stadt-SpezialAusgabe in diesem Jahr – mit der Frage zu beschäftigen, wie man Flussufer in der Stadt richtig gestaltet und welche Bedeutung Wasser für die Lebensqualität einer Stadt hat. Hierfür diskutieren wir das PROJEKT „COPABEACH“ IN WIEN VON LAAC ARCHITEKTEN, die Hafengestaltung von Studio Ramboll Dreiseitl in Offenbach, die Strandgestaltung von A24 Landschaft in Bremen, die Idee der Copenhagen Islands von Marshall Blecher und Fokstrot sowie entsprechende Strategien in Hamburg und ROSTOCK. Besonders freut es uns, dass sich außerdem die KURATOREN DER „SWIM CITY“-AUSSTELLUNG in unserem Heft zu Wort melden. Die Ausstellung hatte im Schweizerischen Architekturmuseum, kurz S AM, in Basel vergangenes Jahr erstmals Flussschwimmen als urbanes Phänomen thematisiert und diskutiert. Und für all diejenigen, die die Ausstellung letztes Jahr verpasst haben, hier die guten Neuigkeiten: Erst kürzlich wurde bestätigt, dass Swim City ab dem 20. Juni bis zum 2. August 2020 im Deutschen Architektur Zentrum DAZ in Berlin zu sehen sein wird. Vielleicht wird es ja dann doch bald mal etwas, mit diesem Flussbad in Berlin …
Coverbild: © Lucía deMosteyrín
Außerdem, und darauf möchten wir Sie gerne bereits schon hier aufmerksam machen: In der nächsten Ausgabe geben wir das redaktionelle Zepter an TOPOTEK 1 ab. Gemeinsam mit Barbara Steiner, Leiterin des Kunsthaus Graz, kuratiert das Berliner Büro die Juliausgabe. Lassen Sie sich überraschen!
Das Projekt auf der Wiener Donauinsel diskutiert für uns Rosa Schaberl ab Seite 28.
Was andere Städte von den Schweizern lernen können, dazu nehmen die „Swim City“-Kuratoren der Ausstellung ab Seite 18 Stellung.
Bestellen Sie sich die kuratierte Ausgabe 7/20 schon vorab unter: garten-landschaft.
THERESA RAMISCH
de/shop
REDAKTION
t.ramisch@georg-media.de
3 GARTEN+ L ANDSCHAFT
INHALT
AK TUELLES 06 11 12
SNAPSHOTS MOMENTAUFNAHME Stoßstange an Stoßstange SPEZIAL: LANDESGARTENSCHAUEN 2020
Zu den Schauen in Überlingen, Ingolstadt und Kamp-Lintfort
WASSER Lebensqualität Fluss: Urbane Wasserkanten richtig gestalten. 18
EIN LAND GEHT BADEN – UND DIE WELT MACHT MIT
24
FLÜSSIGER RAUM FÜR ALLE
28 34
38
42 46 48
Flussschwimmen als neues urbanes Phänomen in Schweizer Städten In Hamburg fehlt eine übergeordnete Strategie, wie wäre es mit einem Blauplan? COPABEACH WIEN
Zum Masterplan von LAAC Architekten für die Donauinsel Wien COPENHAGEN ISLANDS
Mit schwimmenden Inseln definieren die Architekten Marshall Blecher und Fokstrot die Hafenlandschaft Kopenhagens neu HAFEN OFFENBACH
Offenbachs Hafen hat ein neues Gesicht – dank Ramboll Studio Dreiseitl und Club L94 WALLER SAND
A24 Landschaft in Bremen verwandelt Deichbau in Freiraum WASSER IN DER STADT VON MORGEN
Porträt zur Zukunftsinitiative „Wasser in der Stadt von morgen“
„WARNOW BIETET ROSTOCK EINE EINMALIGE CHANCE“
Interview mit Anja Epper, Sachgebietsleiterin im Rostocker Amt für Stadtentwicklung, Stadtplanung und Wirtschaft
STUDIO 52
LÖSUNGEN Stadtmobiliar
58
REFERENZ Grüne Mitte für Altona
60
NEW MONDAY Wie Corona die Mitarbeiterfindung beeinflusst
RUBRIKEN 62
Lieferquellen
62
Impressum
64
DGGL
66
Sichtachse
66
Vorschau
Herausgeber: Deutsche Gesellschaft für Gartenkunst und Landschaftskultur e.V. (DGGL) Wartburgstraße 42 10823 Berlin www.dggl.org
5 GARTEN+ L ANDSCHAFT
GARTEN+ L ANDSCHAFT
Die Landesgartenschau in Überlingen am Bodensee wurde aufgrund von Corona auf 2021 (9. April bis 17. Oktober) verschoben, doch für die Stadt ist sie schon jetzt ein Gewinn: Dem neuen Uferpark gelingt, Nutzung und Ökologie zu vereinen. Und auch bestehende, bisher wenig bekannte Freiräume bekommen Aufmerksamkeit und eröffnen neue Perspektiven auf den See. KARL H.C. LUDWIG
AUTOR
studierte Landschaftsarchitektur, arbeitete im In- und Ausland und lehrte als Professor an der
Wie Schmuckstücke in einer Schatulle liegen die Orte und Städte am Bodensee. Dazu zählt auch Überlingen mit seinen knapp 25 000 Einwohnern am Nordufer des Sees. Die Stadt hat eigentlich alles, was man sich nur wünschen kann: eine attraktive Lage direkt am Seeufer mit weitem Blick nach Süden bis hin zu den Alpen, eine gepflegte Altstadt und jahrein jahraus viele Besucher und Gäste. Doch deren Frei- und Grünräume waren in die Jahre gekommen, ebenso die stadtbildprägende Uferpromenade und die öffentlichen Zugänge zum Seeufer. Das war die Spielwiese, auf deren Grundlage die Idee einer Landesgartenschau entstand. Ursprüng-
lich nur Teil eines für 2017 geplanten und letztlich nicht realisierten, internationalen Gartenschauprojekts, nutzte Überlingen die dafür erarbeiteten Grundlagen für die Bewerbung um eine Landesgartenschau. Mit ihrer Idee, dem urbanen Ufer in der Altstadt einen landschaftlich geprägten Bürgerpark am westlichen Stadteingang gegenüberzustellen, gewannen 2012 relais Landschaftsarchitekten aus Stuttgart und Berlin den europaweit ausgelobten Wettbewerb. Dabei und für den daran anschließenden Planungsprozess war insbesondere die Frage wichtig, welche Bedeutung das Seeufer als Schnittstelle heute für die Stadt überhaupt hat, welche Perspekti-
Plan/Fotos: relais Landschaftsarchitekten/LGS Überlingen 2020 GmbH/Jürgen Heppeler, Achim Mende
SPEZIAL: LGS 2020 12
NEUE PERSPEKTIVEN AM BODENSEE
AKTUELLES SPEZIAL – LANDESGARTENSCHAUEN 2020
ven sich daran knüpfen lassen und wie Freiraumnutzung und Ökologie sich nicht als Gegensätze zeigen, sondern gemeinsam entwickeln lassen. Neben dem Projekt Uferpark war die Landesgartenschau zudem ein Anlass, in der Stadt bestehende, aber nur wenig bekannte und zugängliche Freiräume auf Dauer zu öffnen und mit neuen Perspektiven auf den See erleben zu lassen. Das gilt vor allem für die Menzinger Gärten und Rosenobelgärten hoch über der Altstadt, bearbeitet vom Überlinger Büro 365 °. Sie werden ergänzt von den drei Korrespondenzprojekten Landungsplatz, Mantelhafen und der Uferpromenade in der Altstadt selbst, feinfühlig aktualisiert von relais. TRAGFÄHIGES FUNDAMENT DURCH BÜRGERBETEILIGUNG
Bereits ab 2011 gab es Bürgerworkshops zu den Ausstellungsorten sowie Ideenpools. Deren Ergebnisse wurden in der Auslobung zum Ideen- und Realisierungswettbewerb zur Landesgartenschau aufgenommen. Sie boten ein tragfähiges Fundament, das Projekt auch umzusetzen. Denn nicht alles, was verändert werden sollte, fand gleich begeisterte Zustimmung. Aber Proteste und Widerstand gehören zu einem Projekt von einer solch weitreichenden städtebaulichen Bedeutung, etwa beim Räumen und Remake von Kleingärten oder dem Fällen von rund hundert Bäumen, darunter 43 alten Platanen. Doch das gemeinsame Ziel, so Roland Leitner, einer der beiden Geschäftsführer der Landesgartenschau, habe alle Beteiligten aktiviert und trotz der Diskussionen letztlich dafür gesorgt, dass alle an einem Strang gezogen hätten. Grundlegende Voraussetzung dafür war nicht zuletzt die Gesprächsbereitschaft der Bürger und Planer und deren Suche nach pragmati-
schen Lösungen, die nachhaltig und für alle mach- und tragbar waren. Dass und wie sich sinnvolle Synergien sogar zwischen Freiraumnutzung und Ökologie ergeben haben, zeigt sich anschaulich im neuen Uferpark: Vor wenigen Jahren bestimmte den Uferbereich noch eine weithin versiegelte Fläche mit einer Mauer aus Beton, ein Baustoffhandel und -lager sowie ein Park- und Campingplatz. Die Ufermauer wurde abgerissen, die Bahnhofstraße verlegt, und so entstand Platz für ein renaturiertes Bodenseeufer, bei dem sich nun Flach- und Steiluferbereiche abwechseln. Die Uferlinie wurde um 7 bis 40 Meter in das Parkinnere verschoben. So sind nicht nur die wechselnden Wasserstände des Sees besser erlebbar, sondern es entstanden zudem vielfältige Lebensräume für Pflanzen und Tiere in der Uferzone; etwa durch Strandrasenpflanzungen im Wechselwasserbereich, dessen Bestand durch Betreten sogar gefördert wird und der eine ortspezifische Ästhetik zeigt, der diese zugleich im Sinne der Biodiversität verbessert. Man wird nun sehen – zwar leider noch nicht in diesem Jahr, doch in den Jahren nach Corona.
Der neue Uferpark mit renaturiertem Wassersaum bildet den
Gartenschau in Überlingen. Darüber hinaus wurden bestehende, bisher weniger bekannte
bieten neue Perspektiven auf den See.
die Betoneinfassungen eines alten Wasserspielplatzes eingebaut. Dadurch ergibt sich die
des Bewegungsparcours.
13 GARTEN+ L ANDSCHAFT
EIN LAND GEHT BADEN – UND DIE WELT MACHT MIT In Sachen Flussschwimmen haben sich in den vergangenen Jahren die Schweizer Städte zu weltweiten Vorreitern entwickelt. Während Berlin und München ebenso wie London und Paris seit Jahren um ihre Flussbäder ringen, ist „Urban Swimming“ in Basel, Bern, Genf und Zürich inzwischen Alltag. In der Ausstellung „Swim City“ stellte das S AM Schweizerisches Architekturmuseum in Basel vergangenen Sommer das Schweizer Phänomen „Flussschwimmen“ vor und diskutierte seine historische Entwicklung, heutige Ausprägung und Relevanz für die Schaffung lebenswerter Städte. Vom 20.6. bis 2.8.2020 wird die Ausstellung im Deutschen Architektur Zentrum DAZ in Berlin zu sehen sein. Weitere Stationen in Europa sind ebenso geplant. Was andere Städte von den Schweizern lernen können, dazu nehmen die Kuratoren der Ausstellung hier Stellung.
AUTOREN Barbara Buser ist Architektin und Partnerin im Schweizer Baubüro in situ, Andreas Ruby, Architekturtheoretiker, Ausstellungsmacher und Publizist, leitet seit 2015 als Direktor das S AM Schweizerisches Architekturmuseum in Basel. Yuma Shinohara
BARBARA BUSER, ANDREAS RUBY, YUMA SHINOHARA
ist Assistant Curator am S AM. Gemeinsam kuratierten Buser, Ruby und Shinohara die Ausstellung „Swim City“ in Basel.
18 GARTEN+ L ANDSCHAFT
Alle Bilder: Lucía deMosteyrín
WASSER LEITARTIKEL ZUM TITELTHEMA
Überall auf der Welt entdecken die Menschen die Flüsse, Häfen und Kanäle in ihren eigenen Städten als Freizeit- und Sozialräume. In Städten wie London, New York, Berlin und Paris schlagen junge Designer und Aktivisten Interventionen vor und inszenieren Aktionen im öffentlichen Raum, um urbane Wasserwege als Räume für Menschen zurückzugewinnen. Auch wenn es oft noch Hindernisse gibt wie suboptimale Wasserqualität, technokratische Vorschriften, eine reservierte Politik oder eine skeptische Öffentlichkeit: Das urbane Flussschwimmen ist zu einer Bewegung geworden, die immer mehr Fahrt aufnimmt. Die Schweiz kann in vielerlei Hinsicht als Pionierin dieser Bewegung angesehen werden. In den letzten Jahrzehnten haben Städte wie Basel, Bern, Zürich und Genf ihre Flüsse als natürliche und ökologische Ressource innerhalb der gebauten Umwelt erfolgreich zurückgewonnen. Einst für die Industrie reservierte Wasserstraßen werden heute als alltägliche Erholungsgebiete genutzt. Sie liegen mitten in der Stadt und bilden einen festen Bestandteil im Alltag ihrer Bewohner. Nirgends findet die Vorstellung des „Rechts auf die Stadt“ einen sinnfälligeren Ausdruck als in den Flüssen der Schweiz: Menschen, die in den Mittagspausen kurz in den Fluss eintauchen, sind für das Bild der modernen Schweizer Stadt ebenso wichtig wie viele berühmte Gebäude. Aber was heute so selbstverständlich erscheint, ist in Wirklich-
keit das Ergebnis einer langen Geschichte der Konsensbildung zwischen Bürgern, Institutionen und der Regierung, die oft von der Basis aus initiiert wurde.
Swim City hat die
Phänomen
FLUSSSCHWIMMEN IN DER SCHWEIZ den vier Städten
Das urbane Schwimmen in der Schweiz ist keine einheitliche nationale Bewegung, sondern in verschiedenen Städten relativ unabhängig voneinander entstanden. Jeder Ort hat dabei seine eigene lokale Tradition begründet, die oft von den jeweiligen topografischen und kulturellen Besonderheiten der Stadt geprägt ist. In Bern gibt es eine seit Jahrhunderten ununterbrochene Tradition des Schwimmens in der Aare. Der Fluss hat eine relativ schnelle Strömung und eine ziemlich kalte Wassertemperatur. In Zürich ist das Schwimmen in der Limmat oft über Badehäuser mit Duschen und Umkleidekabinen organisiert, wie man sie von Freibädern kennt. In Basel dagegen schwimmt man fast 2 Kilometer lang im offenen Fluss und führt seine Kleider in einem wasserdichten Kleidersack mit sich mit. In Genf schließlich hat sich das Schwimmen in der Rhone erst seit kurzer Zeit entwickelt als ein urbanes Echo auf das schon viel länger etablierte Baden im Genfersee. Was alle vier Orte gemeinsam haben, ist die Tatsache, dass der Fluss durch das alltägliche Schwimmen zu einem wichtigen öffentlichen Raum wurde, der aus dem Selbstverständnis, aber auch der
Basel, Bern, Genf und Zürich festgehalten. Das Bild oben zeigt Badende in der Altstadt von Bern.
19 GARTEN+ L ANDSCHAFT
FLÜSSIGER RAUM FÜR ALLE Auch Hamburgs Stadtgesellschaft schwamm vor mehreren hundert Jahren in Alster und Co. Industrialisierung und autogerechte Stadt veränderten die Flüsse, Fleete und Kanäle der Hansestadt nachhaltig. Erst seit wenigen Jahren entdeckt sie wieder ihre Wasserlandschaften als Lebensräume. Bisherige Projekte sind informell, kleinräumig und temporär, eine übergeordnete Strategie fehlt. Antje Stokman, Amelie Rost und Martin Kohler von der HafenCity Universität Hamburg schlagen daher einen sogenannten „Blauplan“ für Hamburg vor. AUTOREN: ANTJE STOKMAN, AMELIE ROST, MARTIN KOHLER
Landschaftsarchitektin, Mitglied des
Professorin für Architektur und Landschaft an der -
Erforschung und Gestaltung urbaner
schwerpunkte.
24 GARTEN+ L ANDSCHAFT
Nach der Arbeit direkt aus dem Büro aufs Boot oder ab ins Flussbad? Das ist kein Aussteigertraum, sondern war im 19. Jahrhundert Realität für viele Bürgerinnen und Bürger Hamburgs. Damals waren die Gewässer nicht nur ökonomische, sondern auch soziale Lebensadern: Sie wurden genutzt für schwimmende Jahrmärkte, Konzerte und Ausflüge. Und auch das Alsterfest 1841 war kein Fest zum Aufs-Wasser-Gucken, sondern zum auf-dem-Wasser-Sein. Da Gewässer fast acht Prozent von Hamburgs Gesamtfläche und sogar 24 Prozent der Innenstadt ausmachen, bedeutet eine derartig intensive Nutzung einen massiven Zugewinn an öffentlich genutzten Räumen. Nicht nur für Hamburg, sondern auch in anderen Städten nehmen Wasserflächen viel Raum ein – wie zum Beispiel in Berlin mehr als sechs Prozent der Gesamtfläche des Stadtgebiets. Gewässer sind also angesichts
knapper urbaner Freiräume und sich verdichtender Städte eine zunehmend wichtigere Ressource und Lebensraum für Bootsbesitzer und Schwimmer wie auch für Pflanzen und Tiere. HAMBURGER WASSERRÄUME IM WANDEL
Hamburg ist eine Wasserstadt. Die Wasserflächen und Uferzonen der Elbe, Alster, Bille und der vielen kleineren Flüsse, Bäche, Fleete sowie die Hafenbecken und Kanäle bilden ein eigenes Raumsystem in der Stadt. Das durch hohe Geestrücken und weite Marschen geprägte Urstromtal der Elbe, der spannungsvolle Gegensatz zwischen Stadt und Hafen und die durch natürliche Elbnebenarme und Nebenflüsse im Zusammenspiel mit menschlich angelegten Gewässern gegliederte Stadt- und
Foto: Helga Lorbeer
AUTORIN Antje Stokman ist
WASSER BLAUPLAN FÜR HAMBURG
Landschaftsstruktur schaffen ein vielfältiges Miteinander von Wasser und Land. Und selbstverständlich waren Hamburgs Wasserlandschaften wichtiger Gegenstand der Stadtplanung. In den 1920/30er-Jahren schuf Fritz Schumacher als Hamburgs Oberbaudirektor durch die Kanalisierung der Alster und die Anlage zahlreicher neuer Kanäle und Becken mit gestalteten, teilweise öffentlichen Ufern eine zusammenhängende Wasserlandschaft im Hamburger Norden. Seinem Kollegen Gustav Oelsner gelang es, die privaten Elbparks entlang der Geestkante Altonas für die Öffentlichkeit zu erwerben und einen durchgehenden Elbuferweg mit Parkanlagen zu entwickeln. Spätestens nach dem Zweiten Weltkrieg führten jedoch die veränderten Paradigmen des auto- und funktionsgerechten Städtebaus in Verbindung mit der rasanten Ausdehnung von Hafen und Industrie und den daraus resultierenden Gewässerbelastungen zu einem Paradigmenwechsel: Viele Fleete und Kanäle wurden zugeschüttet und in Straßen umgewandelt. Die Elbufer wurden befestigt, die Elbe zur Wasserstraße ausgebaut und der Hochwasser-
schutz immer massiver und höher. Aufgrund der schlechten Wasserqualität wurden nach dem Zweiten Weltkrieg die letzten Flussbäder geschlossen und durch städtische Hallen- und Freibäder an Land ersetzt. Die Kultur der Nutzung des Wassers als Lebensraum der Stadtbevölkerung ging verloren. Perlenkette, HafenCity, Kleiner Grasbrook, Stadteingang Elbbrücken – erst mit der Verlagerung des Hafens stromabwärts und auf die gegenüberliegende Elbinsel rücken seit den 1990er-Jahren die städtischen Wasserkanten der Elbe wieder in den Fokus der Stadtentwicklung. Aber Promenaden sind noch keine Wasserzugänge. In Hamburg beginnt erst jetzt die Wiederentdeckung seines großen, flüssigen Freiraumsystems.
Eroberung des Wassers als sozialer Raum im
NUTZUNGSANSPRÜCHE IM SPANNUNGSFELD
Anlässlich eines Bürgerwettbewerbs wurde vor 18 Jahren damit begonnen, Standorte und Konzepte für Hausboote zu prüfen und erste schwimmende Siedlungen zu entwickeln, wie die privaten Wohn- und 25 GARTEN+ L ANDSCHAFT
Die Neue Donau und die Donauinsel gehören zu den größten Naherholungsgebieten der Stadt Wien. Naturnahe Bereiche, Badestrände, Möglichkeiten für Sport- und Freizeitaktivitäten sowie gastronomische Betriebe bieten ein ganzheitliches Angebot für eine diverse Nutzergruppe. Nur ein Teilgebiet – der CopaBeach – hat sich nicht so entwickelt wie gewünscht. 2015 hat sich die Stadt deswegen entschlossen, das Gebiet ganzheitlich zu überarbeiten. Nach einem Masterplan von LAAC Architekten. ROSA SCHABERL
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Visualisierung: LAAC Architekten, Inssbruck
COPABEACH WIEN
WASSER COPABEACH, WIEN: LAAC ARCHITEKTEN
AUTORIN Rosa Schaberl hat an der Universität für Bodenkultur Wien Landschaftsarchitektur und Landschaftsplanung studiert. Seit 2010 ist sie als freie Autorin tätig und als Chefredakteurin für die Magazinreihe „100 SPACES“ verantwortlich.
Sobald die Donau die Stadtgrenze zu Wien überfließt, wird sie begleitet: Einem Bodyguard gleich führt die Neue Donau den Hauptstrom durch das Stadtgebiet und sogar ein wenig darüber hinaus. Sie beschützt jedoch nicht den Strom, sondern die Stadt. Denn die Neue Donau ist ein rund 200 Meter breites, über 21 Kilometer langes Entlastungsgerinne. Sie wurde in den 1970er-Jahren gebaut, um die Hochwassergefahr für die Stadt zu bannen. Über 28 Millionen Kubikmeter Material wurden zu diesem Zweck ausgehoben und – fast an Ort und Stelle – zu einer künstlichen Insel aufgeschüttet. Die heutige Donauinsel. Neue Donau und Donauinsel verlaufen parallel zum Hauptstrom durch das Stadtgebiet und beide beeindrucken nicht nur durch deren Größe, sondern auch in ihrer Doppelfunktion aus Hochwasserschutz und Naherholungsgebiet. So ermöglicht die Neue Donau nicht nur, im
Falle des Falles eine Durchlaufkapazität von bis zu 14 000 Kubikmeter Wasser pro Sekunde durch die Stadt zu leiten (eine Wassermenge, die zuletzt beim Hochwasser im Jahr 1501 gemessen wurde), sondern weist auch auf ihrer Gesamtlänge Badewasserqualität auf. Und genau hier am Ufer der Neuen Donau, und mit Blick auf die Donauinsel, finden wir heute das 43 000 Quadratmeter große Projektgebiet von LAAC. MASTERPLAN ERMÖGLICHT LAUT LAAC DIVERSITÄT
CopaBeach, Neue Donau, Donauinsel, Donaustrom und dann der Panoramablick über Wien: ein toller Ausblick, ein guter Überblick und trotzdem nur ein kleiner Ausschnitt des 43 000 Quadratmeter großen Projektgebietes von LAAC.
„Bei allen Überlegungen, wie sich das Gebiet rund um Neue Donau und Donauinsel entwickeln kann und soll, darf man eines nie vergessen: warum sie entstanden ist. Die Maßnahmen von damals ermölichen es uns heute, Hochwasserereignisse relativ gefahrlos durch Wien zu leiten. In 29 GARTEN+ L ANDSCHAFT
Das Projekt führt einen neuen Archetyp im städtischen Raum ein: einen sogenannten „Parkipelago“ (abgeleitet vom Englischen „archipelago“, zu Deutsch: Archipel) aus schwimmenden Inseln, der von
Kajakfahrern, Sternenguckern und Schwimmern genutzt werden kann.
34 GARTEN+ L ANDSCHAFT
WASSER COPENHAGEN ISLANDS, KOPENHAGEN: MARSHALL BLECHER UND FOKSTROT
COPENHAGEN ISLANDS Mit ihrem Projekt der Copenhagen Islands reagieren die Architekten Marshall Kopenhagener Hafens. Es ist ein Bottom-up-Projekt, das sowohl die verschiedenen Hafengebiete neu beleben als auch mehr Grün im Stadtraum schaffen soll. Der erste Prototyp steht schon. Anna Aslaug Lund stellt uns hier das dänische Projekt vor. ANNA ASLAUG LUND
AUTORIN Anna Aslaug Lund ist Landschaftsarchitektin und lebt in
Fotos: Airflix (airflix.com); Visualisierungen: MIR (www.mir.no)
Kopenhagen.
Die Geschichte einer Stadt kann oftmals anhand ihrer Beziehung zum Wasser erzählt werden. Unabhängig davon, ob sich das zentrale Thema der Geschichte um Transport, Fischerei, Verteidigung, Brunnen, Kanalisation oder Bewässerung dreht, spiegelt diese Beziehung immer die einer Gesellschaft zugrunde liegenden Werte, Machtverhältnisse und technologischen Entwicklungen wider. Die sich derzeit wandelnde Beziehung von Wasser und Stadt liefert wiederum den Schlüssel zum Verständnis der Werte, Ideen und Träume, die sich in unseren heutigen Städten offenbaren. Ein Beispiel für den Wandel in eine neue Richtung sind die Copenhagen Islands des australischen Architekten Marshall Blecher und des dänischen Architekturbüros Fokstrot. Mit ihrem der Öffentlichkeit frei zugänglichen „Parkipelago“ aus schwimmenden Inseln präsentierten die Architekten eine neue Typologie urbaner öffentlicher Hafenräume. Im Jahr 2018 wurde ein Prototyp errichtet, dem bald weitere Inseln folgen. Das Projekt erlangte internationale Anerkennung und wurde mit dem Taipei International Design Award für den öffentlichen Raum sowie dem Preis für soziales Design ausgezeichnet. WANDEL DER HAFENKANTE
Die Stadt Kopenhagen ging aus einer kleinen Siedlung auf Salzwiesen hervor, die an einem natürlichen Hafen lagen. An diesen Salzwiesen konnten kleine Fischerboote ohne Kiel leicht an Land gezogen werden. Man kann also von einer unmittelbar körperlichen
Wahrnehmung der spezifischen Eigenschaften dieser Küstenlandschaft sprechen, aus der sich die kleine Siedlung herausbildete. Das Wachstum der Stadt im Laufe der Jahre und die damit einhergehende technologische Weiterentwicklung der Schiffe erforderte neue und zunehmend konstruierte Schnittstellen von Wasser und Land. Während des 19. und 20. Jahrhunderts wurde der Hafen allmählich industrialisiert und entfernte sich immer weiter vom Stadtzentrum, wodurch sich wiederum die innerstädtischen historischen Hafengebiete neuen Nutzungen öffneten. Im späten 20. Jahrhundert wandelte sich das Verhältnis der Bürger Kopenhagens zur Uferpromenade der Stadt drastisch. In den 1990er-Jahren gewann die Qualität des öffentlichen Raums an Bedeutung, was sich auch auf die nun so gut wie unbenutzten Hafenräume im Zentrum der Stadt auswirkte. Die Stadt Kopenhagen unternahm große Anstrengungen, um die Wasserqualität des Hafens zu verbessern. So wurde der Weg für die Entstehung neuer Typologien des öffentlichen Raums entlang der Kais von Kopenhagen geebnet. Ein Beispiel dafür ist das sogenannte „Hafenbad“ von Islands Brygge in Kopenhagen, wo man direkt in den Hafen springen kann. Diese urbanen Transformationen trugen dazu bei, dass sich das öffentliche Leben entlang der Hafenkante wandelte. Es sind nun nicht mehr die frühere Produktionstätigkeit, sondern die Freizeitaktivitäten, die diese Räume definieren. In den letzten Jahren beeinflussten vor allem Themen wie der Klimawandel und der Anstieg des Meeresspiegels die neuen 35 GARTEN+ L ANDSCHAFT
HAFEN OFFENBACH Für Ramboll Studio Dreiseitl ist Wasser Gestaltungselement, Spielgelegenheit und Sehnsuchtsort. Immer wieder integriert das Büro Retentionsräume, in neue Stadtteile, Plätze oder Parkanlagen. So auch im Hafen Offenbach, für dessen Gestaltungskonzept Ramboll Studio Dreiseitl 2018 den German Design Award erhielt. 2020 soll das Projekt seinen Abschluss Blick auf die benachbarten Freianlagen – die gestaltete das Büro Club L94 und erhielt dafür vergangenes Jahr den Deutschen Landschaftsarchitektur Preis. MECHTHILD HARTING
Redakteurin der
seit fast zwei Jahrzehnten über das Grün in der Natur und in den Städten. Dazu gehören auch die bisherigen Landes- und Bundesgartenschauen insbesondere im Rhein-Main-Gebiet.
38 GARTEN+ L ANDSCHAFT
Vor 20 Jahren beschloss Offenbach, dem Beispiel vieler Städte zu folgen und den alten Industriehafen aufzugeben und als neuen Stadtteil zu entwickeln. Auf der langgestreckten Halbinsel, wo früher rund hundert Jahre Kohle und Mineralöl umgeschlagen wurden, sollte ein modernes Quartier mit viel Grün entstehen, in dem man gleichermaßen wohnen und arbeiten sowie seine Freizeit verbringen kann. Ein neues Stadtviertel in optimaler Lage: direkt am Main und mit Blick auf die Frankfurter Skyline. Einziger Wermutstropfen: Hohe Kaimauern trennten zu diesem Zeitpunkt das 34 Hektar große Hafengelände fast überall von dem, was zum neuen Anziehungspunkt des Viertels werden sollte: dem Wasser. Im Jahr 2007 begann die Stadt Offenbach, die Entwicklung des Hafens voranzutreiben, und beauftragte das Büro Ramboll Studio Dreiseitl mit der Entwicklung eines grünen Masterplans – sowohl für die Hafeninsel als auch für die „Festland-Seite“. Die Freiraumplanung bildete das zentrale Gerüst des
Offenbach-Projekts. Nach dem Willen der städtischen Projektentwicklungsgesellschaft entfiel fast die Hälfte der Flächen auf Grünanlagen, die künftig auch Anziehungspunkt für benachbarte Stadtteile sein sollten. Eine Entscheidung, die sich auf mehreren Ebenen auszahlte. Sie brachte so der Entwicklungsgesellschaft 2011 eine Auszeichnung der Deutschen Gesellschaft für nachhaltiges Bauen ein. FÜSSE IM MAIN – EIN HIGHLIGHT FÜR OFFENBACH
„Offenbachs Ziel war eindeutig: Die Stadt wollte auf der Fläche mit der Lage am Wasser spielen“, sagt Dieter Grau von Ramboll Studio Dreiseitl. Diesen Wunsch erfüllten die Planer der Stadt und ihren Bürgern: Herzstück des neuen Stadtteils ist die Hafentreppe mit angrenzendem Hafenplatz. Im Frühjahr 2013, ehe die erste Wohnung fertiggestellt war, entstand die breite, zum Wasser hin abfallende Treppe,
Foto: Alex Habermehl
AUTORIN
WASSER HAFEN OFFENBACH, RAMBOLL STUDIO DREISEITL
deren Stufenkanten die Form von Wellen nachempfinden. Kleine Birkengruppen auf der Treppe bieten im Sommer Schatten. Erstmals konnte man in Offenbach die Füße ins Wasser halten. Am angrenzenden Hafenplatz nahm Ramboll Studio Dreiseitl das Wellenmuster der Treppe auf. So wirkt es heute, als schwappe das Wasser vom Hafenbecken über die Treppe bis auf den Platz und darüber hinaus auf der anderen Seite wieder in den Main. Ein Wasserspiel unter Bäumen macht auch auf dem Platz die unmittelbare Berührung und Erfahrung mit dem kühlen Nass möglich. Eine Vielzahl von Durchblicken, zum Teil sogar vom Festland, über die Hafeninsel bis zum Main, definieren den neuen Stadtteil, der heute als Hafen Offenbach firmiert. Dieter Grau spricht von Fugen, die aufgenommen wurden aus den Straßenfluchten des benachbarten Stadtteils, um sie durch Parks auf der Hafeninsel bis zum Wasser des Mains zu führen. Praktisch sind es Sichtachsen.
AUSSICHTSPLATTFORM MIT WASSERZUGANG
Blick in die von Ramboll Studio Dreiseitl neu
„Der Gedanke, wie kommt man ans Wasser“, trieb die Landschaftsarchitekten trotz Hafentreppe um. So entstand ein Steg in der Steinböschung, die die Bebauung auf der Insel zum Hafenbecken hin abgrenzt. „Sonnenweg“ nennen ihn die Offenbacher: 3 Meter breit, insgesamt 2,6 Kilometer lang und öffentlich zugänglich. An der Inselspitze wird sich den Besuchern bald eine dritte Möglichkeit bieten, das Wasserfeeling im Offenbacher Hafen zu genießen. Noch während die letzten Unternehmen ihre Geschäfte auf dem Hafenareal abwickelten, ermöglichte die Stadt dort die erste Zwischennutzung: einen Beach-Club. Der lag zwar meterhoch über der Wasserlinie, doch der Reiz der Inselspitze bestand und besteht bis heute in der einmaligen Aussicht auf die Frankfurter Skyline. Mit ein bisschen Glück erlebt der Besucher 39 GARTEN+ L ANDSCHAFT