OBEN GRÜN
A UG US T 2016
M AG AZ IN F Ü R L AN D S C H AF T S ARC H I T E KT UR
GARTEN +
LANDSCHAFT
GARTEN + LANDSCHAFT
A U G U S T 2 016
OBEN GRÜN: ÜBER DIE ZUKUNFT UNSERER DÄCHER
plus
Hoerr Schaudt im Portrait Skyline Garden Wie Entwässerung gelingt
12
32
Ist das Dach die Klimalösung schlechthin
Viele Städte setzen auf
für unsere Städte?
langfristig angelegte
Eine Bestandsaufnahme.
Gründachstrategien. Nicht überall geht der Plan auf. Noch nicht.
28 Grüne Kappe für das Biesbosch Museum in den Niederlanden: Ein Besuch nach der Renovierung.
42 Chicagos Dachlandschaft ist die grünste der USA. Hoerr Schaudt Landscape Architects haben daran einen entscheidenden Anteil.
Entwässern in Zeiten des Starkregens: Ein Experte erklärt, auf was zu achten ist.
4 GARTEN+ L ANDSCHAFT
Foto: xxxxx
50
INHALT
ARENA 06 11
SNAPSHOTS MOMENTAUFNAHME Verbogene Wirklichkeit
T ITE L Oben grün: Über die Zukunft unserer Dächer 12
BRAUCHEN WIR ANDERE DÄCHER? Ursache und Wirkung: Ideen für ein besseres Stadtklima
22
GRÜNER KONTRAPUNKT Skyline Garden Frankfurt am Main / Mahan Rykiel und Die Landschaftsarchitekten
28
NEUE WURZELN Biesbosch Museum (NL) / Studio Marco Vermeulen
32
HILFE VON GANZ OBEN Gründachstrategien als Mittel gegen den Klimawandel? Ein Lagebericht aus den deutschen Metropolen
38
TOMATEN VON DER SEINE Paris holt sich Natur aufs Dach und an die Fassade
42
STOLZE PIONIERE Hoerr Schaudt Landscape Architects und die Dächer von Chicago
STUDIO 46
FRAGE Lohnt sich Social Media? Wann Büros über Soziale Netzwerke werben sollten – und wann nicht
50
PRAXIS Naturgewalt unter Kontrolle Fragen und Antworten zum Thema Entwässerung
52
REFERENZ Neue Kante für Bad Segeberg
54
LÖSUNGEN Spielgeräte + Editor’s Pick
Foto: xxxxx
RUBRIKEN 59
Stellenmarkt
63
Impressum
62
Lieferquellen
64
DGGL
66
Sichtachse
66
Vorschau
Herausgeber: Deutsche Gesellschaft für Gartenkunst und Landschaftskultur e.V. (DGGL) Wartburgstraße 42 10823 Berlin www.dggl.org
5 GARTEN+ L ANDSCHAFT
SNAPSHOTS
Die Floating Piers von Christo am Lage d’Iseo
SCHWIMMENDE STEGE AUTOR Stefan Tischer leitet den internationalen Master „Mediterranean Landscape Urbanism“ in Sardinien und arbeitet als Landschaftsarchitekt mit eigenen Büros in Berlin und Rom.
6 GARTEN+ L ANDSCHAFT
Natürlich ist es zunächst die Kraft der unmittelbaren Erfahrung, die besticht, verführt und begeistert: Kilometerweit über den See spazieren, die Bewegung des Wassers ohne die Enge eines Bootes mit unendlicher Weite fühlen, das dramatische Alpenpanorama als Naturraum erleben. Über alle diese Aspekte des Kunstwerks ist genug berichtet worden und die eigene Erfahrung ist dann doch beeindruckender und unvergesslicher. Christos und Jeanne-Claudes „Floating Piers“ am Lago d’Iseo bei Sulzano und Monte Isola setzen einen Meilenstein in der Kunst. Die Idee zu den „Floating Piers“ stammt aus den 1970er Jahren und unterscheidet sich von den Frühwerken, die im Esprit der wahren Land-Art keinerlei soziale Zwecke erfüllen sollten, sondern im Gegenteil die maximale Distanz des Künstlers zur städtischen Kultur der Galerien, der Besucher, der Nutzer suchten. Von Anfang an war klar, dass hier das Element „Mensch“ als Individuum und Masse eine entscheidende Rolle spielt. Etwa 25 000 Besucher täglich eigneten sich den neuen Freiraum an, was einen gewissen Pragmatismus bezüglich Sicherheit und Müll mit sich brachte. Aber die Besucher als Statisten und Teil des
„großen Landschaftsbildes“ – so der italienische Kurator Germano Celant – sind eben essentieller Teil, die den dritten Teil im Dreiklang Natur-Installation-Mensch stellt. Was muss man als Landschaftsarchitekt noch hinzufügen? Die perfekte Kenntnis im Umgang mit Sichtachsen, die kurz vor Erreichen des Ziels nochmals leicht gebrochen werden. Der perfekte technische Umgang mit den recycelbaren Schwimmkörpern und die Materialität des Textils, das die unglaublichsten Farbeffekte mit Licht und Wasser erzeugt. Die intelligente Planung und schnelle Genehmigung des Projekts durch gute Partner. All das fasziniert und inspiriert , auch der monumentale Minimalismus, mit nur einem einzigen Element den Dialog mit der Naturlandschaft aufzunehmen. Manchmal brauchen wir diese Anstöße, um Mut zu finden, den echten Maßstab der Landschaft zu verstehen und zu planen – auch wenn er übermenschlich erscheint.
+
Weitere Fotos zu Christos Floating Piers sehen Sie unter garten-landschaft.de/floating-piers
besuchten etwa 25 000 Menschen täglich.
Fotos: Boris Storz; Wolfgang Volz/Christo; André Grossmann/Christo
S T E FA N T I S C H E R Ü B E R . . .
ARENA SNAPSHOTS
AUFBRUCH INS UNGEWISSE Der Schock über das Votum der Briten für den Brexit ist verdaut – einigermaßen. Was bedeutet der Austritt aus der EU für die Landschaftsarchitektur? Wir haben in der Profession nachgefragt.
T ILM A N L AT Z Ü B ER .. .
BRITAINS FIRST? Wir arbeiten viel in England und mit dortigen Büros zusammen. Meine Reaktion auf den Brexit? Natürlich sind wir traurig. Aber eigentlich muss man sagen, dass England im alltäglichen Umgang ohnehin kein Teil der EU ist. Denn alle Sonderregelungen führen faktisch dazu, dass es ein Land alter Prägung ist; mit klassischen Grenzen, eigener Währung und Linksverkehr, um nur einige wenige Punkte zu nennen. Und daran ändert sich nun auch nicht wirklich etwas. In den wirtschaftlichen Makro- und Mikrobeziehungen, die der einzige Grund für England waren der EU beizutreten, und die von größtem Gewinn für beide Seiten sind, wird man dahingehend schon bald dramatische Veränderungen wahrnehmen. Insbesondere schwierig wird es, wenn sich die extremen Ansichten der Brexit-Befürworter auch politisch durchsetzen. Zu befürchten ist dann, dass immer weniger die Qualität, sondern „Britains first!“ wesentliches Urteilskriterium wird; mit allen damit verbundenen Konsequenzen im Wettbewerb, im täglichen Geschäft und im Umgang miteinander. Davor kann uns nur grauen. Darüber hinaus befürchte ich, dass wir einen Dominoeffekt auf andere Länder und die dortigen Anti-EU Stimmungen hervorrufen könnten. Schon jetzt ist in einigen Ländern die Stimmung gegen die internationale Zusammenarbeit und daher eben auch gegen uns zu spüren. Ich muss aber auch zugeben, dass solche Anti-was-weiß-ich-Stimmungen auch in Deutschland nicht selten anzutreffen sind. Nun ja, Schottland und Nord-Irland haben ja vor, demnächst überzulaufen. Dann könnte der Prozess vielleicht glimpflicher verlaufen.
plötzlich Unwohlsein beim Anblick von Ausländern empfinden? Das erscheint unlogisch und spiegelt doch eine Entwicklung wider, mit der wir auch in Deutschland bei unserer Arbeit als Landschaftsarchitekten täglich konfrontiert werden. Lange Zeit herrschte gegenüber der Freiraumplanung ein positives Vorurteil. Zurecht, denn landschaftsarchitektonische Maßnahmen ziehen fast immer einen Mehrwert für die Bevölkerung nach sich: Das Stadtbild wird aufgewertet, öffentlicher Raum wird besser nutzbar und die Lebensqualität im Quartier steigt. Doch aktuell finden diese Qualitäten kaum Eingang in die öffentliche Diskussion, stattdessen fokussieren sich Bürger wie Politiker auf einzelne Bäume, Parkplätze oder die Interessen durchsetzungsstarker Anlieger. Immer mehr tolle Projekte scheitern an Veränderungsangst und Interessenpolitik. Man sollte den Brexit deshalb nicht als lokales Problem der Engländer abtun, sondern anfangen, sich auf allen Ebenen gegen Nischendenken und Klientelpolitik zu stemmen. An die Stelle von Zukunftsskepsis und negativen Vorurteilen muss wieder Stolz auf das Erreichte und Vorfreude auf positive Veränderungen treten! Auch die EU kann ihren Teil dazu beitragen, dass den Protestlern nicht unnötig Argumente geliefert werden. Wahrscheinlich hätten viele aufgeklärte deutsche Architekten ebenfalls aus Ärger über die Angriffe auf die HOAI für den „Exit“ gestimmt. Brüssel sollte sich zukünftig auf die Projekte fokussieren, die Begeisterung für die europäische Idee wecken und unnötige ordnungspolitischen Eingriffe zurückstellen. AUTOR Rainer Sachse ist Geschäftsführer von scape Landschaftsarchitekten und Professor für Landschaftsarchitektur, Umwelt- und Stadtplanung an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt in Nürtingen.
AUTOR Tilman Latz ist Partner und Geschäftsführer von Latz+Partner und studierte Landschaftsarchitektur und Architektur in Kassel und London. Sein Büro gewann den Wettbewerb für die Umgestaltung des St. Peter’s Square in Manchester, der seit 2012 umgesetzt wird.
R A IN ER S AC HS E Ü BE R . ..
EINEN WECKRUF Die EU hat 30 Jahre Frieden und Wohlstand gebracht, auch für Großbritannien. Kann es größere Verdienste geben? Und jetzt tritt das Land aus dem Staatenbund aus, weil einige Fischer mit Ihren Fangquoten unzufrieden sind? Weil Bürger einer ehemaligen Kolonialmacht, die immer stolz auf ihr Commonwealth waren,
B AUCHPL AN ÜBER ...
GROSSE FRAGEN Viele unserer Projekte setzen sich mit geöffneten innereuropäischen Grenzlandschaften auseinander. Der aktuelle, gegenläufige Trend der neuerlichen Abgrenzung beschränkt die Interaktionspotenziale künftiger Generationen. Als Generation Mauerfall stehen wir ungläubig vor diesem Phänomen. Eine positive Transformation im beruflichen Alltag erscheint uns zunächst als große Herausforderung. AUTOREN Bauchplan ist ein freies Netzwerk von Architekten, Landschaftsarchitekten und Stadtplaner mit Büros in München und Wien. Das Team arbeitet auch international, unter anderem in Spanien und Italien.
7 GARTEN+ L ANDSCHAFT
12 GARTEN+ L ANDSCHAFT
OBEN GRÜN BRAUCHEN WIR ANDERE DÄCHER?
OBEN GRÜN – BRAUCHEN WIR ANDERE DÄCHER?
Foto: HafenCity Universtität Hamburg
Der Klimawandel und seine Folgen stürzt viele Städte in die Extreme. Starkregen und Urban-HeatIsland-Effekt schreien geradezu nach mehr Grün. Aber wo, wenn Raum in Zeiten von Zuwanderung und Verdichtung immer knapper wird? Ein Blick nach oben lohnt sich. Der Ausweg ist: das Dach.
Im neuen Europaviertel in Frankfurt am Main bietet das Einkaufzentrum Skyline Plaza mit dem Skyline Garden auf dem Dach eine der wenigen Grünanlagen.
GRÜNER KONTRAPUNKT Im neuen Europaviertel in Frankfurt am Main drängen sich Wohn- und Bürobauten dicht an dicht, für Grün ist wenig Platz. Statt noch mehr Verkaufsflächen zu schaffen, entschieden sich die Geschäftsführer des Einkaufszentrums Skyline Plaza für: einen Dachpark.
MECHTHILD HARTING
Frankfurt wächst. Mitten in der Stadt ist in den vergangenen Jahren ein neuer Stadtteil entstanden: das Europaviertel. Es grenzt unmittelbar an die Frankfurter Messe mit dem hoch aufragenden Messeturm, der längst zu einem Wahrzeichen der Bankenmetropole geworden ist. Vor Jahren wurden die Flächen des früheren Hauptgüterbahnhofs frei. Seit zehn Jahren entstehen dort in dichter Bebauung Wohnungen und Büros. Mindestens 10 000 Menschen sollen dort eines Tages ihr Zuhause haben, mehr als 20 000 ihren Arbeitsplatz. Den Auftakt in den neuen Stadtteil bildet das Einkaufszentrum Skyline Plaza, das die Bewohner des Europaviertels und der angrenzenden Stadtteile versorgen soll. Vor allem aber will es die vielen Beschäftigten in den Büros der benachbarten Türme 22 GARTEN+ L ANDSCHAFT
anziehen – und sei es nur, damit sie dort ihre Mittagspause verbringen. Entsprechend viele gastronomische Angebote gibt es. Den Planern war schnell klar, dass ein Zentrum etwas Besonderes bieten muss, das nur wenige U-Bahn-Minuten von der Zeil entfernt liegt – eine der umsatzstärksten Einkaufsmeilen Deutschlands. Es entstand die Idee, auf dem Einkaufszentrum einen begrünten, öffentlich zugänglichen Dachgarten zu schaffen. Am 29. August 2013 wurde er zusammen mit dem Einkaufszentrum eröffnet. „Es ist einfach schön, draußen sein zu können“, sagt einer aus der Dreiergruppe von Anzugträgern, die sich in ihrer Mittagspause auf den Weg gemacht haben, um im „Skyline Garden“ in 30 Metern Höhe ihre Mittagspause zu verbringen. Das Besondere
Foto: Lukas Kreibig
OBEN GRÃœN SKYLINE GARDEN, FRANKFURT
23 GARTEN+ L ANDSCHAFT
42 GARTEN+ L ANDSCHAFT
OBEN GRÜN HOERR SCHAUDT
STOLZE PIONIERE Chicago ist die Geburtsstadt des Hochhauses. Chicago ist aber auch die US-Stadt mit den meisten – Gründächern. Hoerr Schaudt Landscape Architects arbeiten an vorderster Front daran mit, dass das auch so bleibt.
ANETTE KOLKAU
Hoerr Schaudt Landscape Architects entwerfen neben Parks und Gärten viele Dachgärten. Das Projekt 900 North Michigan Avenue in Chicago zeigt: Mit Standard-Grün geben sie
Fotos: Scott Shigley; Hoerr Schaudt
sich nicht zufrieden.
Chicago: wunderbare 2,7 Millionen-Stadt am Michigan-See. In der Geburtsstadt der Wolkenkratzer – hier wurde 1885 mit dem zehnstöckigen Home Insurance Building das erste Haus mit Stahlskelett errichtet – gibt es viel oben. Und „oben“ gibt es in Chicago viel zu tun. Aus rund 40 Mitarbeitern besteht das interdisziplinäre Team von Hoerr Schaudt Landscape Architects in Chicago, das sich mit Projekten in luftiger Höhe beschäftigt: Es umfasst Landschaftsarchitekten, Architekten, Gartenbauer. Menschen und Landschaft auf inspirierende Weise miteinander zu verbinden, diesen Anspruch hat das Büro bei jedem Projekt. Jedes von ihnen neu geschaffene Stück Landschaft soll Menschen motivieren, sie zu entdecken. Es soll bleibende Eindrücke
hinterlassen und gerade in den Steingebirgen riesiger Städte ein Stück Natur- und Selbsterfahrung vermitteln. Eine sympathische Aufgabenstellung, die in Chicago nach Erledigung schreit. Grüne Aufenthaltsorte zu entwickeln und grüne Erlebnisorte auf den Dächern einer solchen Hochhausstadt zu generieren, das hat nebenbei noch den Effekt, das Stadtklima zu verbessern. Und: Schätzungsweise bis zu 40 Prozent Energieersparnis bedeutet ein Dachgarten für die darunter liegenden Geschosse. „Chicago hat mehr Gründächer als jede andere US-Stadt – und wir führen diesen Wandel mit an“, präsentieren sich Hoerr Schaudt stolz auf ihrer Webseite. URBANE OASEN
Das wohl bekannteste Projekt der Landschaftsarchitekten liegt auf dem Gebäudekomplex 900 North Michigan Avenue. 265 Meter hoch ist der zentrale Turm, das Dachgrün befindet sich auf drei sehr viel niedrigeren, rund zehn Stockwerke hohen, angrenzenden Hochhäusern. Die Luftbilder zeigen klare rechtwinklige Strukturen, Beete in unterschiedlichen Grüntönen, Minifelder mit Gräsern, die sich für diese sonnigen und trockenen Standorte eignen, und dazwischen Wege und kleine Plätze, die sich in das Muster fügen. Nachempfunden wurde die Gestaltung den Bildern von Äckern und Feldern des Mittleren Westens, die so en miniature in die Stadt geholt wurden. Und sie nehmen natürlich die Orthogonalität der Straßenstrukturen und Baukörper auf. Von unten nicht einsehbar wachsen hier versteckte 43 GARTEN+ L ANDSCHAFT