Garten+Landschaft 11/2019

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N OVE MB E R 2019

MAGAZ I N F Ü R L ANDSC HAF T SARC HI TEK TUR

GARTEN +

LANDSCHAFT

GROSSE SPRÜNGE MACHEN: WIE WIR BEWEGUNG IN DIE STADT BRINGEN

mit Projekten von

Hackl Hofmann, JAJA Architects, Lohaus Carl Köhlmos und Topotek 1


14 Die Landschaftsarchitekten Hackl und Hofmann gestalteten den Uferpark am Wöhrder See in Nürnberg zu einem Park um, der Lust auf Bewegung macht.

20 Die sogenannten Table Mountains im Westpark

zum Skaten, Radeln,

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Rollerfahren etc.

Park`n`Play nennt sich

Augsburg sind aus Ortbeton und für alle da:

die außergewöhnliche Sport- und Spiellandschaft auf dem Dach eines Parkhauses in Kopenhagen.

52 Holz ist das dominierende Material der vier neuen Spielplätze in Lusail, einer Stadt im Emirat Katar. Aufgrund seiner geringen Wärmeleit fähigkeit kann es auch bei hohen Temperaturen bespielt werden.


INHALT

AK TUELLES 06 11

SNAPSHOTS MOMENTAUFNAHME Bewegungsmoment

STADT IN BEWEGUNG

42 Auf dem Platz vor dem

Große Sprünge machen: Wie wir Bewegung in die Stadt bringen

Hauptgüterbahnhof Hannover bewegt sich was: Auf Wunsch der Stadt realisierten Topotek 1 dort eine Skateanlage.

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DIE STADT ALS PACEMAKER?

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MUCKIBUDE 2.0

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ABGEFAHREN

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STÄHLERNE KÖRPER, FRAGILE RÄUME

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BALANCEAKT

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„FUSSVERKEHR WIRD BELÄCHELT, DABEI IST ER SO WICHTIG “

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ABSOLUTER ÜBERFLIEGER

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Ulrike Böhm findet: Jetzt ist der ideale Zeitpunkt für neue Konzepte für städtische Bewegungsräume Nürnberg: Zu Besuch im Park am Wöhrder See von Hackl Hofmann Landschaftsarchitekten Augsburg: Im Westpark von Lohaus Carl Köhlmos ist nichts von der Stange Essay von Baumeister-Chefredakteur Alexander Gutzmer zum Muscle Beach Venice in L. A. Landschaftsarchitektin Elisabeth Rathjen über die Chancen und Herausforderungen der Trendsportart Parkour

Im Interview mit Leipzigs Fußverkehrsbeauftragten Friedemann Goerl

Kopenhagen: Wie JAJA Architects Sport und Spiel in schwindelerregender Höhe ermöglichen BACK ON TRACK

Hannover: Mit AFF Architekten aus Berlin gestaltete Topotek 1 den Hauptgüterbahnhof zum Freizeitparadies um

„OPTIMAL IST ES, WENN DAS GESAMTE SCHULGELÄNDE BEWEGUNG FÖRDERT “

Interview mit Tilo Eichinger vom Bundesverband für Spielplatzgeräteund Freizeitanlagen-Hersteller e.V.

STUDIO 52

REFERENZ Sommer, Sonne, Wüstenspiel

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LÖSUNGEN Messeneuheiten auf der FSB

RUBRIKEN 60

Stellenmarkt

63

Impressum

63

Lieferquellen

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DGGL

66

Sichtachse

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Vorschau

Herausgeber: Deutsche Gesellschaft für Gartenkunst und Landschaftskultur e.V. (DGGL) Wartburgstraße 42 10823 Berlin www.dggl.org

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DIE STADT ALS PACEMAKER? Bewegungsmangel im urbanen Alltag verbunden mit zunehmenden gesundheitlichen Konsequenzen bei Menschen jeden Alters – damit kämpfen aktuell einige Städte. Und das obwohl Sport im öffentlichen Raum so beliebt ist, wie nie zuvor. Landschaftsarchitektin Ulrike Böhm findet: Jetzt ist der ideale Zeitpunkt für ganzheitliche Strategien und Masterpläne für städtische Bewegungsräume. Manche Städte starten auch schon voll durch. ULRIKE BÖHM

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Freiflächen sind in vielerlei Hinsicht ein entscheidender Faktor für die Lebensqualität in Städten: Sie sind Orte sozialer Integration und ermöglichen die Begegnung und gesellschaftliche Teilhabe – hier treffen sich Menschen aller Bevölkerungsgruppen. Als grüne Inseln verbessern sie das Stadtklima und ermöglichen die ästhetische Erfahrung von Natur und gebauter Umwelt. Und: Sie bilden den Rahmen für Erholung, Spiel und Bewegung. Genau dieser Rahmen nimmt derzeit an Bedeutung zu. Denn das Spektrum an bewegungs- und sportorientierten Aktivitäten in den öffentlichen Freiräumen weitet sich. Zunehmend organisieren sich Initiativen mit den gleichen sportlichen Interessen, oft geschieht das spontan, „bottom-up“ und in losen Verbünden: Sie verabreden sich über soziale Netzwerke zu Calisthenics, Yoga oder Slacklining. Treffpunkt: der nahe gelegene Park. Zahlreiche Fotos und Videos auf Instagram, YouTube und Co. zeugen von dieser Entwicklung. DER PARK WIRD ZUM SPORTPLATZ

Stadtparks und Grünzüge sind die neuen Sportplätze. Sie müssen diese zusätzliche Belastung verkraften. Gleichzeitig sinkt die Nachfrage nach den Angeboten von Vereinen, die mit zweckbestimmten Freiund Sportflächen ausgestattet sind. Und das, wo die öffentlichen Freiräume ohnehin knapp bemessen sind. Mittelfristig verschiebt sich dadurch das Verhältnis zwischen nutzungsoffenen zu zweckbestimmten Bereichen. Großzügige offene Wiesen werden zerlegt in ein Patchwork aus spezifischen Sport- und Erholungsangeboten für ausgewählte Nutzergruppen. Dies geschieht oft ohne Rücksicht auf die vorhandene Gestaltung und ohne den ursprünglich planenden Landschaftsarchitekten. Dass es sich aber lohnt, die Planung einem Landschaftsarchitekten zu übertragen und die Anforderungen bestenfalls bereits beim Entwerfen von Freiräumen mitzudenken, zeigen Projekte wie der Israels Plads in Kopenhagen von Cobe Architekten, der Landhausplatz in Innsbruck von LAAC und der Westpark in Augsburg von Lohaus Carl Köhlmos Landschaftsarchitekten (siehe Seite 20). Erfreulich ist, dass mit der neuen Lust nach Bewegung im öffentlichen Raum auch vernachlässigte Orte neu- oder wiederentdeckt werden. Ein Beispiel ist die Parkgarage Park’n’ Play von JaJa Architekten in Kopenhagen. Auf dem Dach erstreckt sich eine große Tartanlandschaft mit Kletter-


STADT IN BEWEGUNG X ULRIKE BÖHM ÜBER TRENDS UND HERAUSFORDERUNGEN X

stangen und -netzen (siehe Seite 36). Auch Areale, die zunächst wenig attraktiv erscheinen wie Verkehrsinfrastruktur oder ehemalige Industrieanlagen, profitieren von dem Trend. Beispiele hierfür sind der 15 Colonnade Bike Park in Seattle oder der Underpass Park in Toronto. Beides waren ungenutzte Restflächen unter Brücken, die Städter für sich entdeckt haben: als Bike Park und Spielplatz. Anregt durch diese individuelle Aneignung und das Engagement bürgerschaftlicher Akteure, werden die beiden Orte inzwischen offiziell umgenutzt und aufgewertet. Indem solche vormals unattraktiven Bereiche bespielt und belebt werden, ändert sich auch deren öffentliche Wahrnehmung und ihre Konnotation. Anrainer und Nachbarn treffen sich dort. Und schließlich werden Aufwertungsmaßnahmen in Gang gesetzt, die die Qualität des Freiraums verbessern und damit das Nutzerspektrum nochmals erweitern. Doch es gibt nicht nur die Aktiven, die sich treffen, um gemeinsam Sport zu treiben. Eine aktuelle Studie der Deutschen Krankenversicherung (DKV) zeigt: Mehr als die Hälfte der Bundesbürger bewegt sich nicht einmal eine halbe Stunde am Tag. Politik, Verwaltung und Planungsdisziplinen haben diese beiden gegensätzlichen Trends mittlerweile erkannt. Vor allem ein niedrigschwelliges Angebot an Sportmöglichkeiten wäre wichtig. GANZHEITLICHE KONZEPTE GEFRAGT AUTORIN Prof. Ulrike Böhm studierte Landschaftsarchitektur an der Technischen Universität Berlin. Anfang 2003 gründete sie zusammen mit Cyrus Zahiri und Katja Benfer das Büro bbzl böhm benfer zahiri lanschaften städtebau in Berlin. Sie ist Professorin für Freiraumgestaltung am Städtebau-Institut der Universität Stuttgart. Im vergangenen Semester beschäftigte sie sich mit ihren Studenten im Rahmen eines Seminars mit dem Thema Bewegung.

Doch noch sind all diese Fakten kein durchgängiges Entwurfsthema für Freiräume oder Inhalt von städtebaulichen Konzepten. Zudem fehlt es an Förderungen für informelle sport- und bewegungsorientierte Aktivitäten. Erschwerend kommt hinzu, dass die zuständigen Abteilungen in den Verwaltungen zu Fachgebieten gehören. Für ein stadtweites Konzept zur Entwicklung urbaner Bewegungsräume ist eine ressortübergreifende Zusammenarbeit notwendig. Dennoch: Eine Handvoll deutscher Städte hat sich des Themas angenommen. Hamburg zum Beispiel wirbt seit 2018 mit dem Label Global Active City. Voraussetzung, um dieses Label der Active Well-being Initiative zu bekommen, sind Angebote für einen aktiven und gesundheitsbewussten Lebensstil. Die Städte müssen sich erfolgreich einer detaillierten Überprüfung ihrer Sport- und Bewegungsstrategien unterziehen. Auch Stuttgart stellt aktuell einen „Masterplan urbane Bewegungsräume“ auf, um konkrete Lösungsansätze zusammenzutragen. Zwei Ziele stehen dabei im Fokus:

Stadträume sollen so gestaltet werden, dass Bewegung im Alltag einfach möglich ist. Und sollen dann schrittweise miteinander verknüpft werden, um körperliche Bewegung zu fördern. Das Konzept ist ressortübergreifend angelegt. Teil des Prozesses, den ein Planerteam begleitet, war eine umfangreiche Bürgerbefragung und ein interdisziplinär angelegter Fachtag. GEMEINSAME ZIELE

Es wird klar: das Thema ist auf unterschiedlichen Ebenen verankert. Zum einen geht es um die Bewegung im Alltag. Und damit natürlich um entsprechend gestaltete öffentliche Räume. Aber auch ganz schlicht um den Bäcker oder den Supermarkt nebenan. Schließen sie, machen sich die wenigsten noch zu Fuß auf den dann weiteren Weg. Ist doch das Internet nur einen Klick entfernt und das Auto steht auch gleich um die Ecke. Diesen Entwicklungen müssten die Städte und Gemeinden planerisch entgegenwirken, oder zumindest neue attraktive Ziele schaffen. Zum anderen stehen aber auch die ohnehin bewegungsaffinen Menschen im Fokus, die mehr und mehr die Parks erobern und dabei um Fläche konkurrieren. Hier sollten digitale Möglichkeiten geschaffen werden, die es möglich machen, die Aktivitäten zu koordinieren. Wenn gleichzeitig eine Diskussion um die Robustheit und die Potenziale unserer öffentlichen Freiräume angestoßen wird, wäre viel gewonnen. Auch der klassische Vereinssport und das Gesundheitswesen sind gefragt, wenn es um Synergien geht. Gemeinsam zu Strategien zu kommen für ganzheitlich gedachte urbane Bewegungsräume – das ist die große Herausforderung. Die Relevanz des Themas ist in vielen Fachbereichen angekommen. Ein guter Zeitpunkt, um jetzt den Startschuss für eine gemeinsame Strategie zu geben.

+

Mehr zum Studenten-Seminar „ville et sport – urban move“ an der TU Stuttgart: garten-landschaft.de/urban-move

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14 GARTEN+ L ANDSCHAFT


STADT IN BEWEGUNG WÖHRDER SEE – NORIKUS-BUCHT, NÜRNBERG

MUCKIBUDE 2.0 Bewegungsparks bieten Menschen jeden Alters die Möglichkeit, sich ganzjährig an der frischen Luft und vor allem kostenfrei fit zu halten. In Nürnberg haben sie Tradition, und es gibt einige davon. Neu ist der Park am Wöhrder See von Hackl Hofmann Landschaftsarchitekten mit Bewegungs- und Rollschuhparcours, einem Wasser-, beziehungsweise Kletterspielplatz, neuen Wegen zum Joggen und Radeln und Zugang zum Wasser. VANESSA KANZ

AUTORIN Vanessa Kanz ist studierte Kulturwissenschaftlerin mit der Fächerkombination Germanistik und Europäische Geschichte. Nach einem redaktionellen Volontariat im Callwey Verlag arbeitet sie heute als wissenschaftliche

Alle Fotos: Hackl Hofmann Landschaftsarchitekten GmbH

Mitarbeiterin an der Universität Magdeburg, im Bereich Germanistik, und ist nebenberuflich als Journalistin tätig.

Mit angewinkelten Beinen sitzt ein Mann, weißes Haar, weiter Jogginganzug, auf einem Stuhl, der an eine Affenschaukel erinnert. Seine Füße stehen auf Pedalen, seine Hände liegen auf den Beinen. Jedes Mal, wenn er die Beine durchdrückt, ist ein Schnaufen zu hören. Nach der Beinpresse folgt der Stepper. Der ältere Herr nimmt sich akribisch jedes Fitnessgerät des neuen Bewegungsparcours am Wöhrder See in Nürnberg vor. Er ist nicht der Einzige: Mit ihm teilen sich zwei Frauen und ein junger Vater mit Kinderwagen die Geräte. Neben dem Parcours laufen die Jogger vorbei. Es ist Donnerstagmorgen, halb zehn. Auch einige letzte Fahrradpendler nutzen den asphaltierten Hauptweg entlang des Sees, um zur Arbeit zu gelangen. Es bewegt sich viel am Wöhrder See – in jeglicher Hinsicht. Der neue Bewegungsparcours entstand im Rahmen der Um- und Neugestaltung des Südufers und der Norikus-Bucht am Wöhrder See. Das Projekt, geplant und ausgeführt von Hackl Hofmann Landschaftsarchitekten aus Eichstätt, ist Teil des Großprojekts „Wasserwelt Wöhrder See“. Dieses wird seit 2012 in mehreren Bauabschnitten umgesetzt und teilt den See in zwei Zonen: Der Untere Wöhrder

See soll als Erholungs- und Freizeitbereich dienen, während der obere Teil natürlich und unberührt bleibt. BEWEGUNG AM UND IM WASSER

Den See in seinem jetzigen Zustand gibt es erst seit den 1970er-Jahren, als man die Pegnitz aufstaute, um den Nürnbergern einen neuen Freizeitort zu bescheren und im gleichen Zuge den Hochwasserschutz zu verbessern. Nur wenige Jahre später entstand die Wohnanlage Norikus, die direkt am Südufer des Unteren Wöhrder Sees liegt und der Bucht ihren Namen gibt. Es ist das zweitgrößte Hochhaus Nürnbergs. Ein 80 Meter hoher Komplex aus drei Gebäudeteilen. Der Parkplatz vor dem Hochhaus schließt direkt an den Parkeingang an. Von dort blickt man auf die Norikus-Bucht und den in den Sommermonaten begehbaren Leitdamm. Da die Fließgeschwindigkeit des Gewässers zu langsam war und die Bucht kaum durchströmt, entschied sich das Wasserwirtschaftsamt Nürnberg für jenen Damm, der den Flussquerschnitt verengt und dadurch eine höhere Fließgeschwindigkeit fördert. „Das war im Jahr 2016 und der

Die Fitnessgeräte sind in die Betoneinfassungen eines alten Wasserspielplatzes eingebaut. Dadurch ergibt sich die besondere Formsprache des Bewegungsparcours.

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ABGEFAHREN Eine schreiend bunte Calisthenics-Anlage und Betonhügel, die an eine Vulkanlandschaft erinnern, ergänzen seit diesem Sommer das ohnehin schon umfangreiche und vor allem außergewöhnliche Spiel- und Sportangebot im Augsburger Westpark. Nichts ist von der Stange, alles individuell und nie für nur eine Zielgruppe gestaltet – das kommt sehr gut an. GESA LOSCHWITZ-HIMMEL

Himmel ist Landschaftsarchitektin und freiberufliche Autorin. Sie arbeitete viele Jahre als Redakteurin für Garten + Landschaft und topos.

An eine Vulkanlandschaft erinnern die sogenannten Table Mountains aus Ortbeton. Sie wurden mit Profis in Sachen Skateanlagenbau entwickelt, sind aber ausdrücklich auch für Bobbycar-, Rollerfahrer und Radler da.

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Sanft spielt das spätsommerliche Abendlicht mit den hellen Ähren des Gräsermeers im Augsburger Reesepark und bringt die eingestreuten roten Sonnenhüte zum Leuchten. Ein Hauch von Prärie liegt über dem Park. Allerdings eine sehr belebte Prärie: Es sind noch Sommerferien in Bayern an diesem Nachmittag im September, und ganz Augsburg scheint sich hier versammelt zu haben. Um zu toben, spielen, klettern, skaten – oder einfach um dieses Treiben zu beobachten. Der Reesepark ist einer der zwei Bereiche des Augbsurger Westparks, für den das Landschaftsarchitekturbüro Lohaus Carl im Jahr 2005 den Ideen- und Realisierungswettbewerb gewann und der seit 2008 auf dem Areal ehemaliger U.S.-Kasernen entsteht. Nach dem 2014 eröffneten Sheridanpark ist jetzt auch der Reesepark, weiter nördlich im Stadtteil Kriegshaber gelegen, in weiten Teilen Wirklichkeit geworden – und wie der Sheridanpark etwas Besonderes. Denn eine solche Dichte von Sport- und Spielplätzen ist nicht selbstverständlich. Da gehört von Seiten der Stadt einiger Mut dazu, denn das alles muss über Jahre unterhalten und gepflegt werden. „Es bestand von Anfang an eine große Offenheit für Experimente“, betont Irene Lohaus. Vielleicht auch, weil schnell deutlich wurde, dass die jeweils wie

kleine Landschaftsausschnitte gestalteten Spiel- und Sportbereiche ein Alleinstellungsmerkmal in der Stadt garantieren. Der erste, im Sheridanpark realisierte Spielbereich machte bereits das Prinzip deutlich: individuell und nicht nur für eine Zielgruppe gestaltet. Die Holzlandschaft des Matschspielplatzes, in dem tagsüber Kleinkinder nach dem versteckten Katzengold graben, nutzen abends Jugendliche für Parkour. „Bewegung für alle“ lautet das Motto im gesamten Westpark. Und das setzten Lohaus Carl Köhlmos, wie sie heute firmieren, konsequent um. NICHT NUR FÜR EINE ZIELGRUPPE

Schon das helle, mäandrierende Band, das sich durch die Parkabschnitte zieht, sich teilt und wieder zusammenläuft, ist mehr als ein Weg: Dank seiner glatten Oberfläche eignet es sich für sämtliche Fortbewegungsmittel, vom Dreirad über Rollerblades und Fahrrad bis zum Rollstuhl. Zwischen den Bändern, oder sich an diese anschmiegend gestalteten die Landschaftsarchitekten immer wieder die erwähnten Landschaftsausschnitte als Spiel- und Sportareale. Diese Idee zieht sich durch. Nie ist etwas nur für Kinder, oder nur für Jugendliche, nie nur für Erwachsene oder Sportler. Jeder kann alles ausprobieren.

Alle Fotos: © Eckhart Matthäus/Lohaus · Carl · Köhlmos

AUTORIN Gesa Loschwitz-


STADT IN BEWEGUNG REESEPARK, AUGSBURG

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ESS AY

STÄHLERNE KÖRPER, FRAGILE RÄUME AUTOR Alexander Gutzmer wurde am Goldsmiths College, London, in Kulturwissenschaften promoviert. Er ist Chefredakteur des Architekturmagazins Baumeister sowie Editorial Director im Münchner Callwey-Verlag, in dem auch Garten + Landschaft erscheint.

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Nach menschlichen Körperteilen benannt sind weltweit eher wenige städtische Orte. Wenn es also mal einen solchen Ort gibt, so lohnt es, zumal im Kontext dieser Garten + Landschaft, einmal näher hinzuschauen. „Muscle Beach Venice“ nennt sich zumindest inoffiziell ein schmaler Streifen inmitten des Trend-Stadtteils Venice Beach im Westen der Metro pole Los Angeles. Mit „muscle“ sind die pompös schwellenden Muskelberge der dort Gewichte stemmenden Bodybuilder gemeint. Für jene sowie für die Idee des Muskelstählens im Stadtraum insgesamt ist dieser Muscle Beach eine Art Pilgerstätte. Hier haben Sportfreaks schon in den frühen 1950erJahren begonnen, Sport zu treiben und sich dabei zugleich zur Schau zu stellen; und hier nahm in den 1970er-Jahren die Karriere eines jungen österreichischen Bodybuilders namens Arnold Schwarzenegger ihren Anfang. Heute gehört die Promenade in Venice Beach vielen unterschiedlichen SportlerTypen: Skateboardern, Joggern, Akrobaten etc. Doch der Bodybuilder ist in gewisser Hinsicht ihr Spiritus Rector. Das liegt auch daran, dass die dort trainierende Outdoor-Szene früh ihr eigenes mediales Denkmal erhielt: „Pumping Iron“, so der Name des Kultfilms, der 1977 Schwarzenegger und seinen Gegenspieler Lou Ferrigno in Vorbereitung auf einen Mr. Universe-Wettbewerb begleitet – und quasi nebenbei das Bodybuilden als subversive Sportart mit eigenen kulturellen Symboliken inszeniert. Im Kontext dieses Heftes interessant ist Muscle Beach Venice vor allem deshalb, weil sich an diesem Fall die kulturelle Bedeutung des Sporttreibens im Freien zeigt. Denn der Outdoor-Sport hat neben der puren Leibesertüchtigung immer auch eine symbolische, ja medial-kommunikative Komponente. Wir machen Sport und lassen uns dabei beobachten. Das Sportive wird zur metaindividuellen, gesellschaftlich orientierten Handlung. Das ist letztlich bei vielen

Outdoor-Sportarten der Fall. Skateboarding, Parkour, aber womöglich sogar das gute alte Fahrradfahren haben heute auch eine Display-Funktion. Im Falle des Body buildens aber ist die, wenn man so will, „Aussage“ noch eine andere. Hier liegt nämlich die Mechanik des konkreten Sports direkt in der Ausformung des ausgestellten Objekts, des eigenen Körpers. Arnie, Lou und Co. ließen sich beim Eisenpumpen beobachten – und demonstrierten dabei zugleich den Effekt ihrer Schufterei. Die Zurschaustellung von Körpern im städtischen Kontext ist ein Phänomen, das wir global in all unseren Metropolen beobachten. Doch man könnte meinen, dass sie nirgendwo so passend ist wie in Los Angeles. Denn diese Stadt ist, so ließe sich argumentieren, Sinnbild und Treiber des im 20. Jahrhunderts aufkommenden Körperkults. Die Historikerin Heather Addison zeigt in ihrem Buch „Hollywood and the Rise of Physical Culture” auf, wie der menschliche Körper im Zuge des von Los Angeles, speziell natürlich von Hollywood ausgehenden Siegeszugs der Pop- und Filmkultur zum knappen und wertvollen Gut unserer Kultur wurde. Noch einen Schritt weiter geht der Autor Charles Joseph. Er legt in seinem Essay „The Body of Los Angeles, between commodity and identity“ dar, wie Körper und reale Architektur heute inhärent zusammenhängen und einander bedingen. In Los Angeles, so Joseph, tun sie dies in einer speziellen Art und Weise. Passend zur dortigen Dominanz von Hollywood, ist der reale menschliche Körper in L. A. immer auch und zuallererst ein Bild. Der Stadtraum von Los Angeles produziert den perfekten Rahmen für die Verbildlichung menschlicher Körper. Oder, in Josephs Worten: “The body in Los Angeles has served as an image from the very creation of the city and it has always been depicted, exposed or exhibited on cinema and TV screens, in art galleries and street billboards.”


STADT IN BEWEGUNG ESSAY

So weit, so unproblematisch, könnte man nun sagen. Aber damit läge man falsch. Denn natürlich ist die Rolle des menschlichen Körpers und überhaupt des Menschen in L. A. ein Problem. Dies liegt wiederum an dieser sehr speziellen, sehr dezentralen, ja nahezu unwirtlichen Topografie der Stadt. Joseph argumentiert, dass der menschliche Körper im urbanen Gefüge der zentrumslosen Riesenstadt sozusagen untergeht, sich selber verliert. Dem realen Körper fehlt es in der kali fornischen Metropole angesichts von deren immenser Breite, den zahllosen Highways, der mangelnden urbanen Lesbarkeit schlicht an Orientierung. Der Körper als abstraktes Ideal hat in Los Angeles eine hohe Bedeutung. Der reale, lebende Körper geht derweil unter, weil diese Stadt nicht für ein kleinteiliges menschliches Miteinander geplant wurde. Das bedeutet: Körperideal und reale Körperlichkeit arbeiten in Los Angeles gegeneinander. Und diesen Mechanismus könnte man nun, auch getrieben durch die neuen digitalen Plattformen wie Instagram, auf die Metropolen von heute insgesamt übertragen. Immer steht der stilisierte menschliche Körper der realen Korporealität von uns allen im Weg. Für Architektur und Landschaftsarchitektur heißt das, dass wir mit beiden Realitäten zugleich klarkommen müssen. Gebaute Räume sind Orte der Selbstinszenierung, aber zugleich Spielflächen ganz normalen, quasi „ordinär“ gelebten Lebens. Sie müssen ein Stück Erhöhung

liefern, aber zugleich auch ganz pragmatisch funktionieren. In Los Angeles ist dieser Konflikt ganz extrem zu beobachten. Wobei man natürlich sagen kann, dass die Bildmacht dort schon immer stärker war als das reale Funktionieren der Stadt als Stadt. Das Bild hat dort die Macht über den realen Körper übernommen – und zugleich auch über den gebauten Raum. In Venice Beach wird dies nicht zuletzt durch ein rund 20 Meter hohes Wandgemälde an einer an sich schmucklosen Hausfassade symbolisiert. Die Malerei zeigt – den jungen Bodybuilder Arnold Schwarzenegger. Das heißt: Das Körperbild ist größer als der reale Arni-Körper. Und die ästhetische räumliche Stilisierung ist immer mächtiger als die städtebauliche Realität.

LITERATUR

Heather Addison 2003: Hollywood and the Rise of Physical Culture. New York: Routledge Charles Joseph 2015: The Body of Los Angeles, between commodity and identity. In: Angles – New Approaches to the Body

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GARTEN+ L ANDSCHAFT


Die urbane Trendsportart Parkour, die es seit den späten 1980er-Jahren gibt, wird in den Medien, im Diskurs und in der realen Landschaft immer präsenter. Müssen wir als Planer des öffentlichen Raums darauf reagieren? Können wir in Zeiten gesellschaftlicher Bewegungsarmut von dieser ausgeprägten Bewegungsperspektive lernen? Und wie sieht ein parkourtauglicher Freiraum aus? ELISABETH RATHJEN

28 GARTEN+ L ANDSCHAFT

Alle Fotos: © Andy Day/ParkourONE

BALANCEAKT


STADT IN BEWEGUNG TRENDSPORT PARKOUR

AUTORIN Elisabeth Rathjen studierte Landschaftsarchitektur an der FH Weihenstephan und war von 2016 bis 2018 am Lehrstuhl für Landschaftsarchitektur und öffentlichen Raum der TU München tätig. Aktuell arbeitet sie als freiberufliche Landschaftsarchitektin und Autorin.

Sie hechten Mauern hinauf, springen über urbane Abgründe, von Geländer zu Geländer, von Poller zu Poller, jagen über Dächer und Treppen, hangeln sich durchs Geäst der Bäume. „Parkour“ ist ein Hindernislauf durch die urbane Landschaft, eine Bewegungsphilosophie, die die ganze Stadt als Trainingsraum interpretiert. Der Ursprung dieser Sportart liegt in den Pariser Banlieues, den Vororten Sarcelles, Evry und Lisses. In diesen architektonischen Visionen war eine Menge Beton verbaut worden, aber an die Interessen und das Bewegungsbedürfnis von Jugendlichen wurde nicht gedacht. Um der Langeweile zu entgehen, begann eine befreundete Gruppe von Zuwandererkindern der ersten Generation in den Außenanlagen vor ihrer Schule

mit Bewegungsspielen – durchschlagend war dabei die Konsequenz, mit der sie diese intensivierten und perfektionierten. Ihre Vorbilder waren Schauspieler wie Bruce Lee, Jackie Chan oder Jean Claude van Damme. Aber besonders ließen sie sich von Raymond Belle inspirieren, dem Vater von David Belle, einem der Kinder. Belle, ein Ausnahmeathlet, zeigte ihnen ParkoursÜbungen, die er als Kindersoldat in Vietnam und als Militärfeuerwehrmann in Paris erlernte. Bei ihrer täglichen harten Trainingspraxis, die die Jungen entwickelten, standen natürliche Bewegungen wie Klettern, Rennen, Springen und Balancieren im Vordergrund sowie der Ansporn, die Hindernisse des urbanen Raums zu überwinden. Ihre Entwicklung nannten sie

Die Trendsportart Parkour nutzt die ganze Stadt als Sportplatz. Bei den Traceuren beliebt sind Mauern, Stufen, Pergolen: Hindernisse, die sie überwinden, oder Elemente, auf denen sie balancieren können.

29 GARTEN+ L ANDSCHAFT


„FUSSVERKEHR WIRD BELÄCHELT, DABEI IST ER SO WICHTIG“ Friedemann Goerl sorgt in Leipzig als Fußverkehrsbeauftragter für kurze und sichere Fußwege. In den nächsten Jahren soll er ein strategisches Konzept für die Förderung des Fußverkehrs entwickeln. Spoiler: Er setzt dabei auf viele kleine Schritte. Wir haben ihn getroffen und uns mit ihm unterhalten. INTERVIEW: ANNE FISCHER

Sie sind die Basis der Stadt und des urbanen Lebens. Und Fußverkehr ist, verglichen mit anderen Verkehrsarten, kosten- und ressourcensparsam. Er verbraucht wenig Platz und hat positive Auswirkungen auf die Wirtschaft und die soziale Sicherheit. Eine Stadt ist also auf Fußverkehr angewiesen, um lebendig zu bleiben.

verkehrsförderung darf aber nicht zuungunsten der Zufußgehenden erfolgen. Als planerischer Grundsatz gehören Fuß- und Radverkehr nicht auf die gleichen Flächen, weil sie unterschied liche Ansprüche und Geschwindigkeitsniveaus haben. Wir wollen möglichst gute Lösungen für alle Nutzergruppen finden. In Leipzig gibt es deshalb sowohl einen Radverkehrsbeauftragten, als auch einen Fußverkehrsverantwortlichen.

Den meisten ist Leipzig vor allem als Fahrradstadt ein Begriff – ist zu Fuß gehen besser als Fahrrad fahren?

Leipzig soll Stadt der kurzen Wege werden. Welche Aspekte beachten Sie dafür in der Planung?

Herr Goerl, warum sind Fußgänger für Städte so wichtig?

Nein, und es geht auch nicht darum, Fuß- und Radverkehr in Konkurrenz zu setzen. Wir wollen als Stadt den Umweltverbund insgesamt stärken, also ÖPNV, Radverkehr und Fußverkehr. Die Rad32 GARTEN+ L ANDSCHAFT

Besonders drei: Verkehrssicherheit, Barrierefreiheit und Nachhaltigkeit. Die Barrierefreiheit ist ein Ziel, das sämtliche deutschen Städte gemäß der UN-Behindertenkonvention umsetzen. Es geht um

INTERVIEWPARTNER Friedemann Goerl, 29, studierte Geografie mit Schwerpunkt Städtische Räume und Mobilität. Nachdem er sich in der der Stadtverwaltung Chemnitz mit Radverkehr beschäftigte, wechselte er nach Leipzig. Seit 2018 ist er Fußverkehrsverantwortlicher und zuständig für die Förderung des Fußverkehrs. Seine Position ist im Verkehrs- und Tiefbauamt angesiedelt, im Fachbereich Nahverkehr.


STADT IN BEWEGUNG INTERVIEW MIT FRIEDEMANN GOERL

den Anspruch „Design for all“. Wir fangen punktuell an, denken den Wandel als langfristiges Ziel, aber flächendeckend. Die erste Etappe besteht zum Beispiel darin, alle Haltestellen barrierefrei auszubauen. Aber da darf es nicht enden, denn aussteigende Fahrgäste lösen sich ja nicht in Luft auf. Der komplette Fußverkehr muss barrierefrei sein. Dafür brauchen wir eine netzartige Planung, einen Fußverkehr, der der Hauptrichtung des Verkehrs folgt. Wir müssen auch die Prioritäten anders setzen. Ich nehme mal das Beispiel Einkaufsstraße: Da würden durchgezogene Gehwege, die auch über einmündende Nebenstraßen gehen, den Fußverkehr stärken.

Foto: Stadt Leipzig

Und was ist bei den anderen zwei Punkten wichtig?

In puncto Verkehrssicherheit ist unser großes Ziel die „Vision Zero“: keine Verkehrstoten mehr und ebenso die Senkung der Schwerverletzten-Zahl. Wir erreichen es schrittweise, wenn wir besonders Kinder, Senioren und Menschen mit Einschränkungen in den Fokus nehmen. Sie haben ein höheres Sicherheitsbedürfnis als andere Gruppen. Es fängt mit gesicherten Querungsmöglichkeiten an. Früher galt bei Lichtanlagen als oberste Priorität, den Verkehr flüssig zu halten. Nach einer Gesetzesnovelle ist nun

Sicherheit wichtiger als schnelle Abwicklung und Räumzeiten. Die flächenhafte Überprüfung der Anlagen für Fußverkehr wäre hilfreich: Wie lange müssen Fußgänger auf einer Mittelinsel warten? Wie viele Ampeldurchgänge braucht es, damit sie überhaupt queren können? Auch die Gehweg-Instandhaltung ist eine kurzfristig umsetzbare Maßnahme, die zur Sicherheit beiträgt.

Friedemann Goerl in der Leipziger Fußgängerzone. Seit 2018 ist der Geograf Fußverkehrsbeauftragter der Stadt.

Besonders die Sicherheit für kleine Kinder zu gewährleisten, wenn auf der Straße der Verkehr braust, klingt schwierig.

Das stimmt, deshalb müssen Kinder noch viel mehr in die Stadtplanung einbezogen werden. Eine Stadt ist aus Kindersicht erst dann attraktiv, wenn zum Beispiel unbeschwertes Roller- oder Dreiradfahren auf dem Fußweg funktioniert. Dafür müssen wir zwingend umdenken. Die Verantwortung für die Sicherheit darf nicht den schwächsten Verkehrsteilnehmern aufgebürdet werden. Es gibt die bundesweite Debatte um Tempo 50 in bebauten Gebieten. Ist es überhaupt angebracht, wenn Studien zeigen, dass das Unfallrisiko um ein Vielfaches höher ist als bei Tempo 30? Meiner Meinung nach braucht es da umgedrehte Prioritäten: Überall gilt Tempo 30 und die Beweislast, dass auch Tempo 50 funktioniert, liegt bei den Behörden.

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