Garten + Landschaft 01/2019

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JA NUA R 2019

MAGAZ I N F Ü R L ANDSC HAF T SARC HI TEK TUR

GARTEN +

LANDSCHAFT THE SKY IS THE LIMIT: ÜBER DIE ZUKUNFT DER LANDSCHAFTSARCHITEKTUR

mit

Statements von Till Rehwaldt, Herbert Dreiseitl, Doris Grabner, scape, bbzl, HHVH und vielen weiteren


12 Regine Keller im Gespräch mit Julia Ulrich, Jung-Landschaftsarchitektin bei bauchplan in München, und Tanja Gallenmüller, Redakteurin

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bei G+L (v.r.n.l.).

Martin Rein-Cano (rechts) ist überzeugt: Die Landschaftsarchitektur muss sich verwandten Themenfeldern öffnen.

ab 20 Neun Vertreter der Landschaftsarchitektur beantworten über das Heft verteilt die Fragen, denen sich die Profession künftig stellen muss. Sie

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erkennen die Statements an den Ausrufezeichen.

Tanja Slasten fasst zusammen, was die BAU 2019 beim Thema Digitalisierung zu bieten hat.

34 Thomas Armonat sprach mit acht Nachwuchsbüros über die Selbstständigkeit. Darunter auch die Grüne Welle: Das Büro gewann 2017 den städtebaulichen Ideenwettbewerb zum Neckarknie Stuttgart in Bad Cannstatt.


INHALT

AREN A 06

TITEL

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SNAPSHOTS MOMENTAUFNAHME Spuren im Schnee

The sky is the limit: über die Zukunft der Landschaftsarchitektur 12

„WIR SIND DIE OPERATEURE AM PATIENTEN GLOBUS“

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TILL REHWALDT UND DORIS GRABNER

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NEUE HORIZONTE

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SCAPE LANDSCHAFTSARCHITEKTEN UND MICHAEL GLÜCK

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BACHELOR UND MASTER – EINE BILANZ

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RENÉ RHEIMS UND TANCREDI CAPATTI

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SELBSTSTÄNDIGKEIT – JETZT ODER NIE?

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BBZL UND HAHN HERTLING VON HANTELMANN

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HERBERT DREISEITL

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KLIMAANPASSUNG: UNS FEHLT DIE ZUVERSICHT

Drei Generationen von Landschaftsarchitektinnen im Gespräch Über die künftigen Herausforderungen der Profession Warum sich die Landschaftsarchitektur verwandeten Themenfeldern annähern muss – Ein Text von Martin Rein-Cano Über Digitalisierung und wachsende Städte

Wie sich die Studienkultur mit der Bologona-Reform verändert hat – Martin Prominksi fasst zusammen Über die nächste Generation Landschaftsarchitekten und Bürgerbeteiligung Warum man sich als junger Landschaftsarchitekt selbstständig macht, oder auch nicht – Thomas Armonat hat nachgefragt Über die Zukunftsaufgaben der Lehre und Profession Über die Verantwortung dem Klimawandel aktiv zu begegnen Ein Kommentar von Stephan Lenzen

STUDIO 46

FRAGE Was zeichnet einen Bauleiter heute aus?

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PRAXIS Digitales auf der BAU

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REFERENZ Klinker im Parkettformat

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LÖSUNGEN BAU 2019 Spezial

RUBRIKEN 59

Stellenmarkt

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Impressum

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Lieferquellen

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DGGL

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Sichtachse

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Vorschau

Herausgeber: Deutsche Gesellschaft für Gartenkunst und Landschaftskultur e.V. (DGGL) Wartburgstraße 42 10823 Berlin www.dggl.org

5 GARTEN+ L ANDSCHAFT


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LANDSCHAFTSARCHITEKTUR MORGEN IM GESPRÄCH MIT REGINE KELLER UND JULIA ULRICH

LANDSCHAFTSARCHITEKTUR MORGEN –

„WIR SIND DIE OPERATEURE AM PATIENTEN GLOBUS“ Welche Themen beschäftigen die Profession heute, welche werden es morgen sein? Wie haben sich Büroalltag und Ausbildung gewandelt? Und wie tickt die neue Generation von Landschaftsarchitekten? Antworten geben die Landschaftsarchitektin und Professorin Regine Keller und Berufseinsteigerin Julia Ulrich. TANJA GALLENMÜLLER

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NEUE HORIZONTE Der Aufgabenbereich der Landschaftsarchitektur lässt sich schon seit vielen Jahren nicht mehr leicht zusammenfassen. Zu komplex ist die Welt geworden, in der wir leben. Die Aufgaben der unterschiedlichen Planungsdisziplinen – und darüber hinaus – verschwimmen. Martin Rein-Cano fasst zusammen, warum für ihn die Profession in der Gefahr steht, ihre eigentliche Kernkompetenz, das Entwerfen, aus den Augen zu verlieren. Und: Warum die Landschaftsarchitektur – auch in der Lehre – über ihren Tellerrand hinaus, sich anderen Themen öffnen sollte. MARTIN REIN-CANO

1967 in Buenos Aires geboren, studierte Kunstgeschichte in Frankfurt und Landschaftsarchitektur in Hannover und Karlsruhe. 1996 gründete er das Büro TOPOTEK 1. Er unterrichtet am Dessau Institute for Architecture.

Die Ausstellung „Creative Infidelities“ zeigte bis September 2018 in Leipzig eine immersive Installation, die von TOPOTEK-1Projekten inspiriert war – die Interaktion von Landschaftsarchitektur, Kunst und Ausstellungsdesign stand im Mittelpunkt.

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Ein Blick auf die gegenwärtige Situation des Berufsstandes der Landschaftsarchitektur lässt ein stark geweitetes Spektrum an Themen- und Aufgabenfeldern erkennen, zwischen denen diese sich heute bewegt. Durch die Einbindung ökologischer, sozialer sowie städtebaulicher Themen entzieht sich das Berufsfeld mehr und mehr einer eindeutigen Klassifizierung. Die aus der Vielschichtigkeit der Themen resultierende Gemengelage spiegelt sich in vielen Projektbeispielen in gestalterischer und inhaltlicher Beliebigkeit wider. Der Berufsstand sieht sich verstärkt mit der Herausforderung konfrontiert, qualitative Entwürfe und Konzepte hervorzubringen und gleichzeitig der Vielzahl an Planungsanforderungen gerecht zu werden und diese adäquat zu bedienen. Die heutige Komplexität der relevanten, zu bearbeitenden Bereiche innerhalb der Profession birgt die Gefahr der Vernachlässigung ihrer eigentlichen Kernkompetenz – das Entwerfen. Entscheidend für qualitative Resultate ist ein notwendiger Tiefgang im Entwurfsprozess, eine intensive Auseinandersetzung mit der jeweiligen Aufgabe, dem Ort, seinen Bedingungen und seiner Historie. Dieser

Tiefgang geht, angesichts der vielen Themen, die im Rahmen der Landschaftsgestaltung inzwischen einbezogen und berücksichtigt werden müssen, heute oft verloren. Eine bewusste Rückbesinnung auf das Herzstück – die gestalterische Formgebung und das konzeptionelle Entwerfen – als klassische Kernkompetenz der Disziplin muss in höherem Maße stattfinden, um die historisch verankerten Qualitäten in der Gestaltung von Freiräumen aufrechtzuerhalten, deren Vernachlässigung und einer zu starken Verzettelung entgegenzuwirken. WARUM MAN WIDERSPRÜCHE AUCH MAL AUSHALTEN SOLLTE

Als kontextuell ausgerichtete Disziplin, die Freiräume und Architektur zusammenfügt und verbindet, ist die Landschaftsarchitektur dazu prädestiniert, differenziert zu agieren, sich verwandten Themenfeldern zu nähern und sich diesen zu öffnen. Grenzüberschreitungen zwischen Betätigungsfeldern im Sinne einer eklektischen, universellen Arbeitsweise bieten die Chance, durch die Erweiterung des klassischen Repertoires und der eigenen Kompetenzen außer-

Foto: ©Topotek 1

AUTOR Martin Rein-Cano,


LANDSCHAFTSARCHITEKTUR MORGEN NEUE HORIZONTE – MARTIN REIN-CANO

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SELBSTSTÄNDIGKEIT – JETZT ODER NIE? Die Baukonjunktur in Deutschland brummt, es gibt viel Arbeit für Landschaftsarchitekten. Ideale Voraussetzungen also, um sich als junger Landschaftsarchitekt aus der Deckung zu wagen und selbst ein Büro zu eröffnen? Der Schein trügt. Ein Stimmungsbild über die Chancen und Tücken, als NachwuchsLandschaftsarchitekt durchzustarten.

AUTOR Thomas Armonat studierte Landschaftsarchitektur an der FH Weihenstephan. Von 2010 bis 2015 war er Redakteur bei Garten + Landschaft, von 2015 bis Mai 2018 arbeitete er für die Zeitschrift „selber machen“. Aktuell ist er freiberuflicher Redakteur.

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Die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen des Markts sind für Landschaftsarchitekten so gut wie schon lange nicht mehr. Zahlreiche Wettbewerbe, Ausschreibungen und Aufträge winken. Doch die Zahl der Bürogründungen in Deutschland war in den vergangenen Jahren stets rückläufig. Gerade junge Berufskollegen scheinen wenig Anreize zu finden, sich beruflich auf eigene Beine zu stellen. Das bestätigt auch die jüngste Jahresumfrage der Berliner Architektenkammer. Anstatt Neugründungen zu fördern, bewirkt die gute Auftragslage eher das Gegenteil: Bestehende Büros mit vollen Auftragsbüchern durchstöbern den leergefegten Markt händeringend nach qualifizierten Mitarbeitern. Als potenzieller Angestellter ist man daher in einer komfortablen Verhandlungsposition wie lange nicht mehr. Ansprechende Gehälter und die Möglichkeit, auch als Angestellter ohne eigenen Akquiseaufwand an attraktiven

Projekten zu arbeiten, stehen dem wirtschaftlichen Risiko und dem steinigen Weg entgegen, als Neueinsteiger an Aufträge zu kommen und diese auch umsetzen zu können. Und nicht zuletzt lässt sich ein stärkeres Bewusstsein der Nachkömmlinge für geregelte Arbeitszeiten und die damit verbundene Lebensqualität feststellen. Franz Reschke, seit 2011 Büroinhaber in Berlin, sieht für junge Büros außerdem schwierigere Rahmenbedingungen als noch vor zehn Jahren. Damals herrschte in der Berliner Verwaltung eher die Meinung vor, „lass sie mal machen“. Heute gibt es größeren Zeitdruck und eine dünnere Personaldecke in Verwaltungen. Das geht auf Kosten der Vielfalt und Innovationskraft in der Branche. Warum und mit welchen Strategien schaffen es junge Büros aber trotzdem, sich am Markt zu etablieren? Es ist kein Geheimnis, dass auch aktuell die Gründung eines Landschaftsarchitekturbüros

Plan: Franz Reschke

THOMAS ARMONAT


LANDSCHAFTSARCHITEKTUR MORGEN SELBSTSTÄNDIGKEIT – JETZT ODER NIE?

nicht geldgetrieben stattfindet. „Geld als Motivation kann man ausschließen“, bringt es Paul Giencke, Mitinhaber des 2013 gegründeten Berliner Büros GM013 auf den Punkt. Nach ersten Aufträgen, einem Hausgarten und dem ersten größeren Wettbewerbsgewinn begab er sich mit seinem Büropartner Marco Mattelig zur Bank, um auszuloten, wie man einen Angestellten und Rechner finanzieren könnte. Das Gespräch war eher ernüchternd. Auch die Förderung über die Kreditanstalt für Wiederaufbau (kfw) zu beantragen, stellte sich für Giencke als kaum praktikabel dar. Über einen Mikrokredit der Bank ließ sich das Nötige dann bewältigen. Doch es gibt Angebote, die es Neulingen an dieser Stelle leichter machen. Mit einem Jahr Vorlauf gelang es beispielsweise Roberto Kaiser vor der Gründung im Jahr 2014 für das Büro silands in Ulm die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen

vorzubereiten. Er konnte ein Büroberatungsprogramm der Architektenkammer Baden-Württemberg in Anspruch nehmen. Das beinhaltete, dass der Architekt und Wirtschaftsingenieur Hansjörg Selinger ihm Tipps zur Gründung, Buchhaltung, Akquise und zur Schärfung des Büroprofils gab. Mit seiner Hilfe gelang es Kaiser, neben dem Gründungszuschuss vom Arbeitsamt auch einen Gründungskredit der L-Bank Baden-Württemberg zu bekommen. Generell bleibt es aber dabei, dass die anfängliche Lebensgrundlage vieler Bürogründer nur durch die freie Mitarbeit an Projekten anderer Büros oder eine parallele wissenschaftliche Tätigkeit an Hochschulen gewährleistet ist. Diese werden dann genutzt, um „nebenher“ über Wettbewerbsteilnahmen Aufträge an Land zu ziehen. Was das für eine Initialzündung sein kann, dafür gibt Laura Vahl mit ihrem Berliner

Lageplan zu „The Space of Synagogues“ in Lviv, Ukraine. Das Büro von Franz Reschke (Bild) gewann 2010 den Wettbewerb zur Gestaltung des Gedenkortes Synagogenplatz.

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FR AGE

WAS ZEICHNET EINEN BAULEITER HEUTE AUS? Planungsaufgaben und die Realisierung der Projekte auf der Baustelle werden zunehmend komplexer. Das wirkt sich auch auf das Arbeitsfeld der Bauleitung aus. Ein Gespräch darüber, was sich in der Bauausführung verändert hat und wie man als Bauleiter trotzdem Spaß bei der Arbeit haben kann.

Grafik: Adobe Stock

DANIEL CZECHOWSKI

46 GARTEN+ L ANDSCHAFT


STUDIO FRAGE

Was hat sich in der Bauausführung verändert?

Der Termin- und Kostendruck ist heute auf jeden Fall höher als früher. Noch vor zehn Jahren hat es ausgereicht, 100 000 bis 150 000 Euro im Monat auf der Baustelle umzusetzen, heute sind es schon mal mindestens 250 000 Euro. Man muss also in sehr viel kürzerer Zeit bauen. Des Weiteren sind die bautechnischen Anforderungen gestiegen: Fassaden zum Beispiel sind aufgrund der Energieverordnung in der Regel deutlich aufwendiger geworden. Dadurch werden sie später fertig und sind auch empfindlicher. Das Risiko, durch die Landschaftsbauarbeiten am Gebäude einen Schaden zu verursachen, hat sich dadurch deutlich erhöht im Vergleich zu früher, als es vorwiegend Ziegelfassaden gab. Welche Entwicklungen werden künftig die Arbeit in der Bauleitung beeinflussen?

Bereits jetzt gibt es mehr unterbaute Flächen in den Freianlagen und auch mehr intensive Dachgärten. Dieser Trend wird zunehmen und macht die Arbeit auf der Baustelle anspruchsvoller. Gebäude und Freianlagen hängen heute also stärker zusammen?

Ja, auf jeden Fall. Die Schnittstellen sind vielfältiger und komplexer geworden. Um den Anforderungen gerecht zu werden, braucht es auch kompetente Firmen. Doch ich beobachte immer häufiger, dass die Firmen erhebliche Probleme haben Nachwuchs zu generieren und damit Führungspersonal mit der entsprechenden Fachkompetenz auszubilden. Diese aber ist wesentlich, um die komplexer werdenden Aufgaben auf der Baustelle zu meistern. Was heißt das für die Landschaftsarchitekten? Welche Kompetenzen und Fähigkeiten benötigt man für die Bauleitung?

Die Bauleitung muss die höheren

Anforderungen auf der einen Seite und die weniger werdende Fachkompetenz der Firmen auf der anderen Seite kompensieren. Das heißt: Man muss mehr überwachen, mehr kommunizieren und mehr koordinieren. Die Abhängigkeiten zwischen den Firmen und der Bauleitung sind gestiegen. Man muss die Beziehung konstruktiv pflegen und einen möglichst kooperativen Umgang herstellen. Die Firmen erwarten, dass der Bauleiter ihnen die Probleme aus dem Weg schafft. Man muss viel mehr vor Ort bewerten, weil viele Planungen nicht zu Ende gedacht sind, nicht mehr für jede bauliche Sonderlösung ein Detail erstellt werden kann und damit leider auch planerische Entscheidungen in die Bauleitung verschoben werden.

AUTOR Daniel Czechowski hat Landschaftsplanung an der TU Berlin studiert. Nach der Mitarbeit in unterschiedlichen Landschaftsarchitekturbüros in Berlin und München war er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der TU München, Professur für Landschaftsarchitektur regionaler Freiräume (LAREG). Seit 2015 ist er Teamleiter bei der Planstatt Senner in München.

Weil es den allwissenden Baumeister nicht mehr gibt, der Entwurf und Ausführung gleichermaßen beherrscht?

Das ist auch schwierig. In der Objektplanung werden genau wie in der Bauleitung immer spezifischere Kenntnisse verlangt. Man sitzt den ganzen Tag vor dem Computer und soll schnell reagieren, wenn es ein Problem auf der Baustelle gibt. Dieses schnelle Umschalten beherrschen nicht viele. Deshalb ist es wichtig, als Bauleiter ein Verständnis für die entsprechende Planung zu entwickeln und frühzeitig zu erkennen, wenn etwas nicht funktioniert oder hässlich wird. Eine Zwischenfrage, da Sie den Computer ansprechen. Wie schreitet die Digitalisierung der Baustelle in Zeiten von BIM voran?

Die Baustellen werden sicherlich smarter, aber der Maschinisierungsgrad hat seine Grenzen. Der Aufwand ist hoch, die ganzen Datenschnittstellen einzurichten und umzusetzen. Außerdem gibt es beim Bauen immer unvorhersehbare Ereignisse und Störungen, die kurzfristig zu Änderungen der Ausführung führen oder Handarbeit erfordern.

INTERVIEWPARTNER Stephan Huber studierte nach seiner Ausbildung im Garten + Landschaftsbau und sechs Jahren Selbstständigkeit als Landschaftsgärtner Landschaftsarchitektur an der TU München, Weihenstephan. Er ist Mitbegründer der Bürogemeinschaft t17 Landschaftsarchitekten in München. Seit 2017 führt er sein eigenes Büro Stephan Huber Landschaftsarchitekten mit Schwerpunkt Bauleitung, Ausschreibung und Vergabe.

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RE FE R EN Z

KLINKER IM PARKETTFORMAT Zwar säumen die Alte Straße im niedersächsischen Bremervörde viele Geschäfte, Restaurants, Kultureinrichtungen und Unternehmen, aber viel Betrieb war hier dennoch selten. Im Zuge eines mehrstufigen Bauplans gestalteten die Planer schaper+steffen+runtsch in Zusammenarbeit mit Landschaftsarchitektur+ die Straße zur verkehrsberuhigten Zone um. Für den Bodenbelag entwickelten sie dabei eigens ein neues Konzept.

Die Sanierung der Alten Straße soll das Quartier aktivieren. Präzise und elegant wirkt dabei der rötliche Pflasterbelag aus Klinker und Naturstein im Fischgrätenmuster. Die Oberflächen sind rutschsicher, abriebund druckfest.

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Mit knapp über 19 000 Einwohnern zählt Bremervörde zu Deutschlands kleineren Städten. Klein, aber fein, könnte man sagen. Denn das Städtchen, das man zwischen Bremerhaven und Hamburg findet, weist eine beeindruckende Historie auf, die bis in das 12. Jahrhundert zurückreicht. Um das zu erkennen, muss man gar nicht aus Bremervörde sein. Jeder Blick auf den lokalen Städtebau, auf die Architektur in der Innenstadt bestätigt dies: Die Straßen, Plätze und Gebäude geben dem Stadtbild durch traditionelle

Bauweisen wie Fachwerk und Ziegelbau ihren geschichtsträchtigen Charakter. Dass dieser erhalten bleibt, wünschte sich die Stadt Bremervörde in ihrer 2009 beschlossenen städtebaulichen Rahmenplanung „Innenstadt Süd“. Sie lobte 2010 einen Realisierungswettbewerb aus, der die Sanierung der Alten Straße zum Bestandteil hatte. Die Aufgabe war es, das Quartier zu aktivieren und in hoher Qualität an das Stadtzentrum anzubinden. Hierfür wandelte man die Alte Straße im Abschnitt zwischen Bremer Straße

Fotos: Anke Müllerklein

KELLY KELCH


STUDIO REFERENZ

und Ernst-Bode-Straße sowie in der Einmündung zur Bahnhofstraße in einen verkehrsberuhigten Geschäftsbereich um. Bei der Neugestaltung der Straßen-, Platz- und Gehwegbeläge wollte man besonders sensibel und zeitgleich zeitgenössisch mit den historischen Wurzeln der Stadt umgehen. Dafür entwickelten schaper+steffen+runtsch Landschaftsarchitekten in Zusammenarbeit mit Landschaftsarchitektur+ ein Bodenbelagskonzept aus Klinker- und Natursteinpflaster. In Kombination mit ineinander verlaufenden Farbnuancen der Steine und deren verschiedenen Material- und Verlegevarianten vereinen sich Tradition und Moderne. Die entsprechenden Klinker- und Ziegelsteine lieferte der Fertigungsspezialist für Tonbaustoffe Gima. FAST WIE WOHNPARKETT

Die Fahrbahnen prägen farblich differenzierte Naturstein-Großpflastersteine im Passe-Verband. „Parkett“-Flächen mit langformatigen Pflasterklinkern kennzeichnen die Bürgersteige und Platzflächen. Die Kreuzungsflächen heben sich durch Klinkerbeläge im Fischgrätenmuster hervor. Eine Reihe von Robinien und Mastleuchten mit indirekter Beleuchtung betonen den multifunktionalen Streifen auf der Südseite. Für die Gehwege und Plätze wählten die Planer Pflasterklinker im Riegelformat. Die Kantenschärfe und Maßgenauigkeit der langgestreckten Formgebung verleihen dem optischen Erscheinungsbild eine präzise Anmutung. Gewährleistet wird das akurate Design durch verschiedene Prüfraster im werkseigenen Labor. Mittels eines speziellen Reduktionsbrandverfahrens

bis zu 1 200 Grad Celsius und einer Salzglasur erhalten die hartgebrannten Pflasterklinker nicht nur ihre spezielle Erscheinung, sie erweisen sich zudem gegenüber Hitze und Kälte, UV-Licht, Öl, Salzstreugut für den Winter sowie Säuren und Laugen als lebenslang resistent. Die rutschsicheren, abrieb- und druckfesten Oberflächen halten selbst starken mechanischen Dauerbelastungen stand. Dass die Wahl auf den Klinkerstein fiel, obliegt noch einem anderen Grund: Die Niederschlagsmengen sowie deren Intensität nahmen in den letzten Jahren deutlich zu. Da der Pflasterklinker zu den sickerfähigen Bodenbelägen gehört, kann er einen Teil des anfallenden Regenwassers dem Boden wieder zuführen und entlastet somit das Kanalnetz. Ergänzend dazu, planten die Architekten eine offene Entwässerungsrinne mit einem leichten Höhensprung von etwa drei Zentimetern. Die abgesenkte Rinne dient zum einen der Führung und Zonierung des Individualverkehrs, ohne die Barrierefreiheit für Fußgänger und Rollstuhlfahrer einzuschränken, zum anderen gewährleistet die Rinne ein zuverlässiges Abfließen des anfallenden Oberflächenwassers. Nach nur elfmonatiger Umbauzeit weihte die Stadt Bremervörde ihre neue Alte Straße ein. Und dies, obwohl im Bearbeitungsprozess alte Grundmauern und sogar nicht richtig zugeschüttete Kellerräume überraschend freigelegt wurden. „Die kurze Bauzeit ließ sich nur bewerkstelligen, weil die Gewerke und die Stadt Bremervörde ausgezeichnet zusammengearbeitet haben. Das ist bei öffentlichen Projekten nicht oft der Fall“, erklärte Lothar Steffen von den Landschaftsarchitekten schaper+steffen+runtsch und leitender Architekt der ARGE.

FAKTEN

nicht öffentlich Stadt Bremervörde PLANER schaper+steffen+runtsch Landschaftsarchitekten / Landschaftsarchitektur+ AUSFÜHRENDE FIRMA Wilhelm Henn, Straßen- und Tiefbau GmbH, Helmste BAULEITUNG SSR & TwoWorks PROJEKTBEGINN Februar 2015 PROJEKTENDE Dezember 2015 PROJEKTKOSTEN circa 1,8 Mio. Euro AUSSCHREIBUNG BAUHERR

WIE VIEL KLINKER WURDE VERLEGT

14 000 Quadratmeter / 180 000 Klinkersteine PRODUKTDETAILS GIMA Pflasterklinker, Format: 320/52/115 Millimeter

Das Bodenbelagskonzept setzt auf Klinker- und Natursteinpflaster. Die unter­ schiedliche Materialienund Verlegevarianten bringen dabei die örtliche nordische Pflastertradition mit modernen Elementen in Einklang.

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