FEBRUAR 2020
MAGAZ I N F Ü R L ANDSC HAF T SARC HI TEK TUR U ND S TADT P L A N UN G
GARTEN +
LANDSCHAFT
FRAUEN IN DER PLANUNG: UNSCHUBLADISIERBAR.
mit
Doris Damyanovic, Doris Grabner, Julia Hinderink, Hiltrud Lintel, Tanja Mölders, Ulrike Neumann, Edith Schütze, Laura Vahl und Christine Wolf
E D I T ORIAL
Die Gleichberechtigung der Geschlechter? Die befürworten wir fast alle. Derzeit ist es sogar regelrecht hip, sich für Frauenrechte einzusetzen, und ein absolutes No-Go, sich nicht an den entsprechenden Debatten zu beteiligen. Feministische Fragestellungen sind in Diskussionen mit Familie und Freunden angekommen. Sieht man sich jedoch im eigenen beruflichen Umfeld mit Fragen zu egalitären Geschlechterverhältnissen konfrontiert, wird es schon kniffliger. Tatsächlich braucht es Mut und Überwindung, vor dem eigenen Arbeitgeber oder den Kollegen Forderungen nach Gleichberechtigung zu vertreten. Eine ähnliche Erfahrung haben wir auch bei der Arbeit mit dem vorliegenden Heft gemacht. Wir fragten bei zahlreichen Planerinnen und Planern Statements zum Themenfeld „Frauen in der Planung“ an. Die Resonanz war verhalten, um es gelinde auszudrücken. Ein Planer schrieb uns in einer Mail, dass das Thema für ein Statement zu komplex sei. Wenn dem so ist, dann wollen wir in der Redaktion erst recht die Diskussion eröffnen.
Das Kunstwerk mit einer Wand von Schubladen war 2016 Teil einer Kunstausstellung im Marubi National Museum of Photography in Shkoder, Albanien. Für die Ausstellung verantwortlich war das niederländische
Im vorliegenden Heft betrachten wir einerseits die Arbeits- und Lebenswelt von Planerinnen im Jahr 2020, und andererseits, ob und wie Planerinnen und Planer auf Frauen als eigene Anspruchsgruppe in unseren Entwürfen reagieren müssen.
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Wir holen uns im INTERVIEW FACHLICHEN INPUT VON TANJA
MÖLDERS, JUNIORPROFESSORIN FÜR GENDER UND RAUM AN DER
05
2 019 M
Architekturbüro Casanova+Hernandez.
und sprechen mit ihr über Gender Pay Gap, Elternzeit und Quoten. Die Profession lassen wir direkt zu Wort kommen, darunter DORIS GRABNER VON GRABNER HUBER LIPP, die ihre positiven Erfahrungen im Berufsstand beschreibt, und LAURA VAHL VON LAVALAND, die dafür plädiert, dass die Politik mehr Vorgaben für geschlechtergerechte Freiräume macht. Nur so würden diese Realität werden. LEIBNIZ UNIVERSITÄT HANNOVER,
Der Artikel von Doris Grabner beginnt auf
B
Seite 22.
Was wir aus der Arbeit mit dem Heft gelernt haben? Bezogen auf Gehalt, Karriere und Familienplanung besteht auch in der Planung ein Ungleichgewicht zwischen Männern und Frauen – zum Nachteil der Frauen. Die Profession selber nimmt das jedoch kaum wahr. Sie wiegt sich in Sicherheit. Dadurch fehlt der Grund, sich mit dem Thema stärker auseinanderzusetzen. Das möchten wir mit diesem Heft ändern und bitten Sie, sich den KOMMENTAR AUF SEITE 21 zu Herzen zu nehmen, denn: Wir müssen offener diskutieren.
Das Interview mit Tanja Mölders finden Sie ab Seite 16.
Laura Vahl zu ihrem Projekt in der Seestadt Aspern ab Seite 38.
VERA BAERISWYL, THERESA RAMISCH REDAKTION
Coverbild: © picture alliance/VIEW
redaktion@garten-landschaft.de
3 GARTEN+ L ANDSCHAFT
INHALT
AK TUELLES 06 11 12
SNAPSHOTS MOMENTAUFNAHME Alles im Fluss SPEZIAL: NACHWUCHS Chancen nutzen
FRAUEN IN DER PL ANUNG: Unschubladisierbar. 16
„MAN MUSS KEIN FEMINIST SEIN, UM LOHNUNGLEICHHEIT UNGERECHT ZU FINDEN“
Im Interview mit der Gender-Planning-Expertin Tanja Mölders
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WIR MÜSSEN OFFEN DISKUTIEREN
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ENTGEGEN ALLER KLISCHEES
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GESCHÄFTSFÜHRERIN, MUTTER, VORBILD.
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Kommentar von Baumeister-Chefredakteur Alexander Gutzmer Doris Grabner von grabner huber lipp über ihr erstes Projekt als Selbstständige Ulrike Neumann, Christine Wolf und Hiltrud Lintel im Porträt
OBEN GIBT'S NOCH PLATZ FÜR FRAUEN
Wie Kommunikation die Projekte von Christine Wolf und wbp bereichert ZAHLEN UND FAKTEN
Zu erwiesenen Tatsachen
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ENGAGIERT EUCH IN NETZWERKEN
38
DIE ROSA BRILLE HILFT NICHT
42
44
48
Kommentar von Vanessa Kanz
Laura Vahl von lavaland über gleichberechtigte Freiräume
„ICH BIN FÜR EGALITÄRE MACHTVERHÄLTNISSE“
Elisabeth Rathjen im Interview mit Gender-Mainstreaming-Expertin Doris Damyanovic IN DER RUHE LIEGT DIE KRAFT
Edith Schütze von faktorgruen über ihr Laufbahn-prägendes Projekt, das Entwicklungskonzept für die Insel Reichenau WE ARE MORE
Julia Hinderink zum Seminar „Women in Art, Architecture & Design“ an der Hochschule München
STUDIO 50
PRAXIS Verschmelzung
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REFERENZ Das soll eine Baustelle sein?
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LÖSUNGEN Stadtmobiliar
RUBRIKEN 61
Stellenmarkt
63
Impressum
63
Lieferquellen
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DGGL
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Sichtachse
66
Vorschau
Herausgeber: Deutsche Gesellschaft für Gartenkunst und Landschaftskultur e.V. (DGGL) Wartburgstraße 42 10823 Berlin www.dggl.org
5 GARTEN+ L ANDSCHAFT
SPEZIAL: NACHWUCHS 12 GARTEN+ L ANDSCHAFT
CHANCEN NUTZEN Eine ganze Generation geht auf die Straße, um für Klimaschutz und die Umwelt zu kämpfen. Alle reden von der Bedeutung des Grüns für die Städte, um sie in Zeiten des Klimawandels noch als lebenswerte Orte zu erhalten. Trotzdem: Abiturientinnen und Abiturienten rennen den Hochschulen nicht gerade die Türen ein, um Landschaftsarchitektur zu studieren. Warum nicht, fragen sich Berufsverbände und Hochschulen, zumal aus Büros und Verwaltungen die Klagen über fehlenden Nachwuchs immer lauter werden. MECHTHILD HARTING
AKTUELLES SPEZIAL: NACHWUCHS
AUTORIN Mechthild Harting ist Redakteurin der F.A.Z. und schreibt seit fast zwei Jahrzehnten über das Grün in der Natur und in den Städten. Dazu gehören auch die bisherigen Landes- und Bundesgartenschauen insbesondere im Rhein-Main-Gebiet.
Sonja Lütgehetmann hat sich schon in der Schulzeit für Umwelt, Natur, Pflanzen und Boden interessiert. Da ahnte noch niemand, dass wenig später eine Greta Thunberg eine weltweite Klima-Protestbewegung auslösen würde. Mit einem Praktikum in einem Landschaftsarchitekturbüro wollte sie sich Klarheit verschaffen, ob dies der richtige Beruf für sie sein könnte. Für die heute 20 Jahre alte Lütgehetmann stand schnell fest: „Für die Menschen den Raum mit Grün auszustatten“, das deckte sich nicht mit ihren Interessen. Sie wollte mehr wissen über Natur- und Klimaschutz, grundlegende Kenntnisse über die Stoffkreisläufe der Natur erwerben, das Große und Ganze in den Blick nehmen. Sie entschied sich 2017 Biologische Diversität und Ökologie in Göttingen zu studieren. Lütgehetmann hat ihre Entscheidung bisher nicht bereut. Sie weiß zwar noch nicht, wo sie anschließend Arbeit finden wird. Sorgen bereitet ihr das aber nicht. Die Themen Ökologie und Biodiversität, „die sind so unglaublich wichtig, dass ich mir sicher bin, dass ich etwas finden werde“, sagt sie. Und die Landschaftsarchitektur? Das sei „ein toller Studiengang“, wenn auch nicht für sie, sagt die Zwanzigjährige. Sie ist auch überzeugt, dass die wenigsten in ihrer Generation von dem Berufsfeld wüssten. Abiturientinnen und Abiturienten sei nicht bewusst, wie stark mit diesem Beruf die Möglichkeit verbunden sei, übers Grün, über die Gestaltung in den Städten etwas zu verändern. Und das wollten die meisten, da müsse sich in der Außendarstellung des Berufs und des Studiengangs etwas ändern. LANDSCHAFTSARCHITEKTUR PROFITIERT NICHT VOM HYPE
Dass es den Landschaftsarchitekten in den vergangenen Jahrzehnten nicht gelungen ist, sich mit ihrem Können in der Gesellschaft eine feste Reputation zu erarbeiten, beklagen viele Büros. Sie werfen dem Berufsverband vor, nicht laut genug aufzutreten, um die Interessen der Profession in die Öffentlichkeit zu tragen. Diese Botschaft ist beim bdla in Berlin angekommen, bestätigt man dort und weiß, dass man vom Hype um Umwelt- und Artenschutz, Klimawandel und Diversität (noch) nicht profitiert. Nicht zuletzt aufgrund des Drängens von Inhabern namhafter Planungsbüros, die zunehmend Schwierigkeiten haben, qualifizierte Kräfte auf dem Arbeitsmarkt zu finden, denkt der Verband derzeit über Strategien nach, wie man Schüler besser erreicht, um auf den Beruf aufmerksam zu machen. Schließlich ist man überzeugt, dass „Landschaftsarchitekten mit ihren Ideen die Welt verändern“, wie es auf der Homepage des Bundesverbands unter dem Stichwort Studium-Beruf heißt. In den Hochschulen selbst wundert man sich erstaunlicherweise noch nicht, warum die junge Generation die Fachbereiche nicht stürmt, so wie es in den Achtzigerjahren der Fall war, als sich die damals zum Teil noch jungen Fachbereiche nur über die Einführung eines hohen Numerus clausus (NC) und lange Wartelisten zu helfen wussten. Es ist ja auch nicht so, dass die Zahl der Studienbewerberinnen und -bewerber rückläufig ist – zumindest an den 13 Hochschulen in Deutschland, die den Studiengang Landschaftsarchitektur anbieten.
13 GARTEN+ L ANDSCHAFT
ENTGEGEN ALLER KLISCHEES Doris Grabner ist eine erfolgreiche Bürogründerin und Geschäftsführerin. Sie beschreibt anhand ihres ersten eigenen Projektes — dem Bau der Freianlage für die neue Staatliche Realschule Kösching — ihren Weg in die Selbstständigkeit. Ein Geheimnis ihres Erfolgs? Die Tatsache, dass sie als alleinerziehende Mutter in den Beruf einstieg.
Foto: xxxxxxxxxxxx
DORIS GRABNER
22 GARTEN+ L ANDSCHAFT
FRAUEN IN DER PLANUNG DORIS GRABNER, FREIANLAGE STAATLICHE REALSCHULE KÖSCHING
AUTORIN Doris Grabner ist gemeinsam mit zwei Partnern Geschäftsführerin bei grabner huber lipp landschaftsarchitekten und stadtplaner partnerschaft mbb. Sie ist Mutter von drei Kindern.
Oben: Pausenhof der zweiten Erweiterung aus Bauteilen der ursprünglichen Freianlagen (Betonfertigteile, Plattenbeläge, Mobiliar)
Unten links: Jurakalk-Sitzstufen am Freisportgelände, im Hintergrund
Fotos: Jürgen Huber
„Botanicum“
Unten rechts: Freisportanlagen am Bau der zweiten Erweiterung
Die Frage, ob mein Frau-Sein meine Laufbahn und mein Schaffen als Landschaftsarchitektin und Stadtplanerin beeinflusst, hatte ich mir noch nie gestellt und fand es spontan abwegig, darüber zu schreiben. Tatsächlich konnte ich mich an keine berufliche Situation erinnern, in der ich mich als Frau bevor- oder benachteiligt gefühlt hatte. Gerade deshalb nutze ich die Chance, meine Erfahrungen mit einem gleichgestellten Berufsstand zu beschreiben. Ich begann das Studium der Landschaftsarchitektur alleinerziehend, was kurzfristig betrachtet einen Nachteil für meine Berufsbildung darstellte. Jedoch hat mich diese Herausforderung auf lange Sicht fit gemacht für die Selbstständigkeit – in vielerlei Hinsicht: Ich lernte, mich auf das Wesentliche zu konzentrieren und viele parallel laufende Aufgabenbereiche zu strukturieren. Mir wurde zudem schnell bewusst, dass es ohne Netzwerk und Personen, auf die ich mich stützen kann, nicht gut zu schaffen ist, und wurde zur Teamplayerin. Insofern war es tatsächlich so, dass ich auf eine absurde Weise einen Vorteil als Frau hatte. Denn als Mann hätte ich damals vermutlich nicht die Rolle eines Alleinerziehenden übernommen und diese persönliche Entwicklung durchleben können. Bereits im Studium konnte ich Büroinhaber, die als Assistenten an Lehrstühlen arbeiteten, von mir überzeugen – zahlreiche Einsätze als Werkstudentin folgten. Das Kind zu schaukeln, halfen mir eine Elterninitiative, Freunde und zur Diplomzeit auch verstärkt meine Eltern. Nach meinem Hochschulabschluss Ende der 90er-Jahre, bei katastrophaler Arbeitsmarktsituation für Absolventen der Architekturbranche, musste ich nicht lange nach Arbeitgebern suchen. Als Freelancerin war ich weiterhin für diese Büros tätig – allesamt waren sie von Frauen geführt. Ein Zufall? Ich weiß es nicht, zumindest absolut kein Nachteil. Ich fühlte mich in jedem Moment gefördert, und man nahm größtmögliche Rücksicht auf meine private Situation. Auf der Suche nach mehr beruflicher und wirtschaftlicher Stabilität nahm ich eine Teilzeitanstellung in München an – wieder bei einem von einer Frau geführten Büro, die mir viele Freiheiten einräumte, von Nebentätigkeiten bis hin zu einem halben Homeoffice-Tag pro Woche. Die Sache hatte einen Haken: Die Zeit, die ich beim Pendeln verlor, der Druck, einen bestimmten Zug zu erreichen, um rechtzeitig
zu Hause zu sein, waren auf Dauer ein zu großer Verlust an Arbeits- und Lebensqualität und der Grund, mich selbstständig zu machen – als One-Woman-Show mit Zentrale im Wohnzimmer. Schon wieder war der „Vorteil“ der jungen Mutterschaft da: Ich hätte diesen Schritt vermutlich nicht oder zumindest nicht so früh gemacht, wäre ich kinderlos gewesen und das tägliche Zeitmanagement nicht so wichtig. BERUFLICHE REIFEPRÜFUNG
Die Chance zur Selbstständigkeit bot sich kurz nach Kammerzugehörigkeit mit einem Wettbewerbsgewinn, und entgegen aller Klischees war es ein um ein paar Jahre älterer Herr, Leiter eines Bauamts, der mir keine Fragen zu meiner Berufserfahrung, Jahresumsätzen, Mitarbeiterzahlen und Büroausstattung stellte, sondern mir voller Vertrauen ein großes Projekt übergab. Mit Sicherheit half dabei der Umstand, dass ich in Arbeitsgemeinschaft mit ihm vertrauten Architekten auftrat. Ich habe damals nur kurz mit meinem Partner abgewogen, ob es nicht doch sicherer wäre, das Projekt in meiner bisherigen Arbeitsstelle zu bearbeiten. Heute ist mir eher bewusst, was alles hätte schiefgehen können beim Bau der Freianlagen für die neue Staatliche Realschule in Kösching. Doch mein Netzwerk aus Studium und Büromitarbeit kam mir dabei zugute, für die mir noch nicht ganz geheuren Leistungsphasen 5 bis 8 Unterstützung zu bekommen. Es gab Situationen, in denen ich umfangreich und honorarfrei Sportplatz-Bauberatung von einem anerkannten Experten bekam, dem meine Ambitionen offensichtlich gefielen. Steinbruch-Inhaber freuten sich über mein jugendliches Interesse an örtlichem Kalkstein und gaben mir nicht nur eine Exklusiv-Führung durch die Abbruchhorizonte, sondern als Andenken auch ein paar Ammoniten, die ich bis heute aufbewahre. Ich vermied weibliche Koketterie, und bei diesem Erstlingswerk stärkte mich durchaus auch der Wille, mit Klischees aufzuräumen. Das Projekt stellte für mich eine berufliche Reifeprüfung dar, für die ich Tag und Nacht büffelte. Technische Nachhilfe holte ich mir von außen und inhaltliche von meinem Partner – heute auch Büropartner. Die Schülernachhilfe für den Sprössling kaufte ich derweil zu. Einigermaßen stolz blicke ich darauf zurück, wie nachhaltig ich beim Entwerfen vorging. Kein Tropfen Wasser der versiegelten Flächen gelangt auf dem Schulgelände 23 GARTEN+ L ANDSCHAFT
GESCHÄFTSFÜHRERIN, MUTTER, VORBILD. Wie in vielen Branchen sind die Frauen in den Führungsetagen der Landschaftsarchitektur unterrepräsentiert. Unsere Hypothese: Weil die Vorbilder fehlen, entschließen sich nur wenige Nachwuchs-Landschaftsarchitektinnen für diesen Weg. Wir brauchen mehr Sichtbarkeit für die Frauen an der Spitze. Juliane von Hagen hat mit drei erfolgreichen Geschäftsführerinnen gesprochen: Über ihren Weg in die Führungsetage, wie sie Familie und Beruf verbinden und wie sie junge Frauen fördern.
AUTORIN Dr. Juliane von Hagen ist Stadtplanerin und -forscherin. Sie setzt sich seit Jahren mit öffentlichen Räumen auseinander; zunächst an verschiedenen Hochschulen und mittlerweile im eigenen Büro stadtforschen.de.
26 GARTEN+ L ANDSCHAFT
Mitte der 1990er-Jahre schrie der Dekan einer nordrhein-westfälischen Architekturfakultät entsetzt auf. Es hatten erstmalig mehr Frauen als Männer das Studium erfolgreich abgeschlossen. Wo das hinführen solle, er könne sich Frauen auf der Baustelle einfach nicht vorstellen, verkündete der Hochschullehrer und Inhaber eines großen Büros. Wenige Jahre später zwang ein Landesgesetz Architekturfakultäten, über Gleichstellung zu diskutieren. Wieder ging ein Entsetzensschrei durch die Runde. Wenn die Hälfte der Professuren von Frauen besetzt würden, würde die Lehre auf Grundschulniveau fallen, rutschte einem Professor heraus. Diese persönlichen Erinnerungen daran, dass die Profession nicht glaubte, dass Frauen fähig seien, mögen Ausnahmen sein. Seitdem sind fast zwanzig Jahre vergangen, es hat sich viel verändert. Aber hat sich die Situation von Frauen im Berufsfeld Architektur, Stadtplanung und Landschaftsarchitektur
wesentlich verbessert? Sind heute mehr Frauen in die akademische Ausbildung eingebunden und lehren als Professorinnen? Haben mehr Frauen führende Rollen in der Praxis und lenken die Geschicke von Büros? Verfolgen mehr Frauen ihre Berufstätigkeit und praktizieren nach erfolgreichem Studium auch in Positionen, die ihren Potenzialen entsprechen? Das sind große Fragen. Leider lauten die ersten, schnellen Antworten: Nein. Auch im Jahr 2020 haben Frauen nicht die Hälfte der Professuren an Fakultäten der Landschaftsarchitektur inne. Ganz im Gegenteil. Meist liegt ihr Anteil in den oberen akademischen Etagen nur zwischen 15 und 30 Prozent. Nein, auch heute liegt die Geschäftsführung nur weniger Büros in Frauenhänden. Und das wird sich trotz guter Konjunktur absehbar nicht ändern. In einer Umfrage gaben 50 Prozent der angestellt arbeitenden Architektinnen an, kein Interesse an einer
Foto: Paul Glaser
JULIANE VON HAGEN
FRAUEN IN DER PLANUNG ULRIKE NEUMANN, CHRISTINE WOLF UND HILTRUD LINTEL IM PORTRÄT
Ulrike Neumann gründete 2000 das Büro Neuland. Sie ist Mutter von zwei Kindern und ärgert sich, dass ihr Mann nie gefragt würde, wie er Familie und Beruf unter einen Hut kriegt.
Bürogründung oder -übernahme zu haben. Und nein, auch heute gehen zahlreiche Absolventinnen auf dem Weg in die Berufstätigkeit verloren. Und das, obwohl der Anteil der Frauen unter den Studierenden und Absolventen ständig steigt. Das ist kein „Gedöns“, wie es im Deutschen Architektenblatt heißt, sondern ein „volkswirtschaftlicher Schadensfall“. Es ist aber auch ein gesellschaftlicher Verlust, wenn ein großer Teil der gut ausgebildeten und tatkräftigen Landschaftsarchitektinnen keine tragende Rolle in ihrem Berufsfeld spielt. MUTIG, FLEXIBEL, FÄHIG
Woran liegt das? Was steckt dahinter? Eigentlich bräuchte es umfassende Forschungsprojekte, um die anhaltende Unausgewogenheit in der Branche zu ergründen und vor allem um das riesige Potenzial „Frauen“ für das Berufsfeld zu aktivieren. Denn dass Frauen das Zeug haben, wichtige Beiträge zur Gestaltung unserer Lebensräume zu leisten, zeigen drei engagierte und erfolgreiche Vertreterinnen der Branche: Hiltrud Lintel, Mitgründerin und Geschäftsführerin des Büro scape Landschaftsarchitekten in Düsseldorf, Christine Wolf, die 1998 wbp Landschaftsarchitekten in Bochum gründete und das Büro seit fast 20 Jahren mit Rebekka Junge führt, und Ulrike Neumann, Inhaberin des Landschaftsarchitekturbüros Neuland in Oppach in der Oberlausitz. Sie alle gestalten mit ihrem Wissen und Engagement Lebensräume für Menschen. Und nicht nur das. Oft engagieren sie sich als Unter-
nehmerinnen in Verbänden und nicht zuletzt auch als Mütter und Chefinnen kleiner Familienclans. So ähnlich ihre Rollen in der Landschaftsarchitektur derzeit sind, so unterschiedlich sind ihre Wege dorthin. Scheinbar gibt es kein Patentrezept auf dem Weg in die Führungsetage. Während für Ulrike Neumann die Gründung eines eigenen Büros beinahe eine Notlösung war, um nach dem Studium in der Heimat bleiben zu können, hat Christine Wolf nach jahrelanger Tätigkeit als Landschaftsarchitektin in einem großen Hochbaubüro eines Tages eine neue Unabhängigkeit gesucht. Ihre langjährige Erfahrung darin, große Projekte zu bearbeiten, Bauherren zu betreuen und Mitarbeiter zu führen, war dabei ein wichtiges Fundament. Dieses Wissen, aber auch den Auftrag zur Umgestaltung einer Fußgängerzone, durfte sie in ihr eigenes Büro mitnehmen. Für sie war nach fünf Jahren als Angestellte und weiteren fünf Jahren als Partnerin in demselben Büro „die Zeit einfach reif“, erinnert sie sich. Der Ausschlag für diesen Schritt in die Selbstständigkeit kam fast zufällig, als sie über ihre Unzufriedenheit sprach und ihr Gegenüber fragte: „Sie haben doch alle Fähigkeiten sich selbstständig zu machen. Warum machen Sie das nicht?“ Rückblickend war auch für Ulrike Neumann die Gründung des eigenen Büros „der Weg 27 GARTEN+ L ANDSCHAFT
Knapp ein Viertel der Büros wird alleine von Frauen geführt. Fast zwei Drittel nur von Männern. Die restlichen Büros haben Inhaber und Inhaberinnen.2
Die Büros sind mit einem InhaberinnenAnteil von 30 % klar in männlicher Hand. 2 Ausgewogen: Unter den Angestellten sind gut die Hälfte Landschaftsarchitektinnen. (51 %)1 Von den Landschaftsarchitektinnen waren 2017 4 % freiwillig nicht beschäftigt.3
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Nur der Trägerinnen und Träger des SckellEhrenrings sind weiblich.4
8 000 Euro verdienten vollzeit-
tätige Landschaftsarchitektinnen 2017 im Schnitt weniger pro Jahr als ihre Arbeitskollegen.3 34 GARTEN+ L ANDSCHAFT
FRAUEN IN DER PLANUNG ZAHLEN UND FAKTEN
Lieber festangestellt: Nur 35 % der selbstständigen LandschaftsarchitektInnen sind weiblich.1
Illustration: Elisabeth Moch; Quellen: 1www.bak.de, 2BDA Strukturuntersuchung 2017; © Reiß & Hommerich, 3BDA Strukturuntersuchung 2016, 4www.bdask.de
Es steht ein Wandel bevor: Während in der Sparte der über 50-Jährigen die Landschaftsarchitekten mit 63 % klar dominieren, sind von den unter 35-Jährigen 63 % weiblich.3
An den Unis sind die Frauen in der Überzahl: 57 % der Landschaftsarchitektur-Studierenden sind weiblich.1
Fast zwei Fünftel aller Landschaftsarchitektinnen arbeiten Teilzeit. Bei den Landschaftsarchitekten sind es nicht einmal 10 %.2
Vollzeit tätige Landschaftsarchitektinnen arbeiten im Schnitt 46,3 h/Woche. Das sind 4,4 Stunden weniger, als ihre männlichen Kollegen Vollzeit arbeiten. 2 35 GARTEN+ L ANDSCHAFT
DIE ROSA BRILLE HILFT NICHT Laura Vahl, Geschäftsführerin von lavaland GmbH, fühlte sich in der Profession immer gleichberechtigt. Bis die G+L nachfragte und sie darüber nachzudenken begann. Anhand der Seestadt Aspern beschreibt sie, wie lavaland gleichberechtigte Freiräume für alle entwickelt. Dafür gibt es verbindliche Vorgaben vonseiten der Politik – trotzdem ist es noch ein weiter Weg. Bestes Beispiel? Personalisierte Straßennamen.
AUTORIN Laura Vahl studierte Landschaftsarchitektur an der TU Berlin. Im Jahr 2011 gründete sie das Büro Lavaland in Berlin. Seit 2019 vertritt Laura Vahl die Belange der Gestaltung von Freiräumen auch in der Lehre als Professorin für landschaftsarchitektonischen Entwurf an der Beuth-Hochschule in Berlin.
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Von der Redaktion der G+L kam die Anfrage, ob ich anhand eines von mir oder meinem Büro bearbeiteten Projekts Situationen oder Erlebnisse beschreiben könnte, die explizit mit meinem „Frau-Sein“ zu tun hatten. Mein Partner und ich richten uns sowohl beruflich als auch privat nach dem Grundsatz „fifty-fifty“ – und fahren ganz gut damit. Aber in meiner Profession als Landschaftsarchitektin hatte ich mir bis dato nur am Rande Gedanken gemacht. In den darauffolgenden Wochen habe ich mich also damit auseinandergesetzt: Gab es Situationen im Verlauf unserer bisherigen Projekte, bei denen das Geschlecht der jeweiligen Akteure eine Rolle gespielt hat? „Nein. Es lief immer alles gleichberechtigt!“, ruft die Optimistin in mir. „Vielleicht doch ein bisschen?“ Gesteht sich die Skeptikerin in mir flüsternd ein, die sich die Pin-up-Posterwände im Bauwagen einer deutschen Baustelle in Erinnerung ruft.
„Hatten diese Poster nicht vielleicht doch Einfluss darauf, wie kompetent du auf der Baustelle eingestuft wurdest?“ Gleichzeitig zieht die Frage nach dem „Frau-Sein“ auch die Frage nach Gleichberechtigung nach sich – ein Thema, das für die Landschaftsarchitektur relevant und aktuell ist. Mit unseren aktuellen Projekten in der Seestadt Aspern in Wien möchte ich aufzeigen, wie aus der Umsetzung von Planungsvorgaben gleichberechtigte Freiräume entwickelt werden können. In Wien entsteht mit der Seestadt Aspern ein neuer Stadtteil für 20 000 Bewohner. Seit unser Büro im Jahr 2011 den Wettbewerb zu den zentralen Freianlagen der Seestadt gewann, sind wir mit der Planung und Realisierung verschiedener urbaner Freiflächen in Aspern betraut. Zeitgleich zum Einzug der ersten Bewohner des neuen Quartiers wurden in 2015 alle Freiräume der
Fotos: Deniz Dizici; lavaland GmbH und TH Landschaftsarchitektur Berlin
LAURA VAHL
FRAUEN IN DER PLANUNG LAURA VAHL, SEEPARK ASPERN
Räume für alle mit Blick auf den
ersten Bauetappe fertiggestellt – strategisch, um den Seestadt-Pionieren mit dieser grünen Infrastruktur die Grundlage für das Entwickeln einer positiven Urbanität zu bieten. WIE FRAUEN SICHTBARER MACHEN?
Die Bewohner adaptierten sowohl den Seepark mit seinem kristallblauen Baggersee als auch den von uns gestalteten Quartierspark schnell. Seit der Fertigstellung des Parks arbeiten wir an den nächsten Entwicklungsstufen der weiterwachsenden Seestadt. Die weiteren Bauetappen sind bis zum Jahr 2027 projektiert. Auf der Nordseite des Sees entsteht eine urbane Promenade mit verschiedenen großzügigen Aufenthaltsbereichen zum sonnenverwöhnten Ufer hin sowie ein zentraler Stadtplatz, der die zukünftige Geschäftsmeile der Seestadt mit dem See verbindet.
Die vorgegebenen Grundlagen für die Planung waren unter anderem, breite und gut ausgeleuchtete Gehwege, viele offene Bereiche und Angebote für verschiedenste Menschen zu schaffen, Angsträume zu vermeiden sowie Barrierefreiheit umzusetzen. Es war unser aller Konsens, diese Voraussetzungen zu berücksichtigen, da die Vorgaben einen Planungsansatz vertreten, der einen gleichberechtigen und von allen Gesellschaftsteilen gleichsam erlebbaren Freiraum zum Ziel hat. Es handelt sich um Faktoren und Wegbereiter einer menschengerechten Stadt. Für ein Stadtbild, das alle Menschen gleichberechtigt zu berücksichtigen versucht. Dieses Leitbild für die Gestaltung des öffentlichen Freiraums sollte jede pluralistische, aufgeklärte und offene Gesellschaft zum Ziel haben. Gleichzeitig bedeutet Gleichberechtigung aber auch Gleichgewicht, und das ist in den meisten Lebensbereichen und
zukünftigen Jane-Jacobs-Steg
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Mehr Fotos zum Projekt finden Sie hier: gartenlandschaft.de/seestadtaspern
39 GARTEN+ L ANDSCHAFT
Wir haben Edith Schütze, Geschäftsführerin bei faktorgruen, nach einem Projekt gefragt, das ihre Laufbahn geprägt hat. Sie berichtet von der Insel Reichenau: einer Welterbestätte der UNESCO, auf der nach dem Zweiten Weltkrieg plötzlich Gewächshäuser die Landschaft dominierten. Gemeinsam mit Stadtplanerin Bettina Nocke erstellte sie ein Entwicklungskonzept — und navigierte dabei die verschiedenen Interessen, juristischen Vorgaben und Rahmenbedingungen. Was dabei geholfen hat? Stereotypisch weibliche Arbeitsweisen. EDITH SCHÜTZE
44 GARTEN+ L ANDSCHAFT
Foto: picture alliance/Westend61
IN DER RUHE LIEGT DIE KRAFT
FRAUEN IN DER PLANUNG EDITH SCHÜTZE, INSEL REICHENAU IM BODENSEE Gewächshäuser überall: Die Insel Reichenau im Bodensee hatte mit einer ungesteuerten Zunahme der Glashäuser zu kämpfen.
AUTORIN Edith Schütze ist seit 1996 eine von sechs Partnerinnen und Partnern bei faktorgruen Landschaftsarchitekten. Sie ist verantwortlich für den Fachbereich Landschaftsplanung an den Standorten Freiburg und Stuttgart. Sie hält außerdem Vorträge und Seminare.
Seit Jahrhunderten ist die Insel Reichenau im Bodensee geprägt von einem einzigartigen Landschafts- und Siedlungsmuster. Die drei Klosteranlagen, Streubebauung mit Höfen, Fischerhäusern, Wohngebäuden, Gemüsefeldern, Reben und Riedflächen – dies alles ist ein herausragendes Zeugnis der Kultur- und Landschaftsentwicklung Mitteleuropas, eine Welterbestätte der UNESCO. Seit den 1950er-Jahren hat sich jedoch die Struktur der Insel dramatisch verändert: Wohn- und Ferienhäuser entstanden überall auf der Insel, bevorzugt entlang des Seeufers. Der Gemüseanbau entwickelte sich großflächig: Aus kleinen Glashäusern im Umfeld eines Hofes wurden mehrere Hektar große Gewächshauskomplexe in der freien Landschaft. Während sich in Deutschland die Überbauung in den letzten 70 Jahren gegenüber dem Zustand vor dem ZweitenWeltkrieg verdoppelte, hat sie sich auf der Insel Reichenau vervierfacht. Die ungesteuerte und unsteuerbare Zunahme von Wohn- und Glashäusern auf der 430 Hektar großen Insel beunruhigte und mobilisierte Bürger, Politik, Verwaltung und Naturschutzverbände. Nachdem auch nach
höchstrichterlichen Überprüfungen einige umstrittene Bauvorhaben genehmigt worden waren, verfestigte sich auf der Insel die Idee, mit strategisch-planerischen Instrumenten der Flächeninanspruchnahme Einhalt zu gebieten. Die Gemeinde Reichenau beauftragte 2006 Bettina Nocke, selbstständige Stadtplanerin in Konstanz, mit der Aufstellung eines Entwicklungskonzepts für die gesamte Insel. Durch langjährige gemeinsame Planungsprojekte kam ich als Landschaftsarchitektin von faktorgruen mit ins Boot. Für unsere Aufgabe auf der Reichenau war es von Vorteil, dass Bettina Nocke und ich als Büroinhaberinnen Erfahrungen, Autorität und Führungswillen besitzen, um uns in dem unübersichtlichen Knäuel von verschiedenen Interessen, rechtlichen Vorgaben und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen zu orientieren und Handlungsoptionen aufzuzeigen. Ich freue mich über jede junge Landschaftsarchitektin, die sich entscheidet, Büroinhaberin zu werden, erweitert doch die Übernahme von fachlicher, finanzieller und sozialer Verantwortung die Einflussnahme, die Gestaltungsmöglichkeiten und das selbstbestimmte Arbeiten entscheidend. Wie sind wir an die Aufgabe herangegangen? Reichte es nicht aus, einen Bebauungsplan mit Umweltbericht/Grünordnungsplan aufzustellen, um dadurch die Siedlungsentwicklung zu steuern? Auf der Reichenau war die Sache komplizierter: Das Siedlungsmuster der Insel lässt die klassische Aufteilung in Außen- und Innenbereich nicht eindeutig erkennen. Jedes Gemüsefeld zwischen zwei Häusern war für die Eigentümer „gefühlt“ ein Bauplatz, der hohe Rendite versprach. Zahlreiche Baugenehmigungen waren erteilt worden, und jedes neu entstandene Gebäude verfestigte den Innenbereich und zog weitere Baurechte nach sich. Hinzu kam der ungebremste Bau von Glashäusern, die im Außenbereich privilegiert zulässig sind. Strategisches Planungsziel war daher für uns insbesondere, Außen- und Innenbereich klar zu identifizieren sowie ausgewählte Landwirtschaftsflächen festzulegen, die frei von Gewächshäusern bleiben sollen. Im Entwicklungskonzept konnten wir so die weiteren Bebauungsmöglichkeiten deutlich auf nur wenige Baulücken begrenzen. Grünzäsuren, Blickbeziehungen zum See oder den Klosteranlagen, Freilandgemüseanbau und Uferzonen erhielten Vorrang. Dass für jede Linie auf dem Plan nicht nur die politische Zustimmung, sondern auch eine aufwendige juristische Expertise erforderlich war, leuchtet ein. Der Reichenauer Gemeinderat beschloss das Entwicklungskonzept als 45 GARTEN+ L ANDSCHAFT