Garten+Landschaft 07/2020

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VORWORT

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+ BARBARA STEINER

_ KUR A _TIERT _VON _TOPO _TEK 1

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»WARUM NUTZEN WIR LANDSCHAFTS11 »VON ARCHITEKTEN NICHT ANFANG DIE FREIHEIT, DIE WIR AN HABEN WIR DEN HABEN KÖNNTEN? BEGRIFF DES DAMIT WÄREN FREIRAUMS IN ALLE WIR NÄHER AN RICHTUNGEN DER KUNST.«* ERWEITERT. « 22

» GÄRTEN HABEN IMMER SCHON DAS FREMDE IMPORTIERT, ES IST TEIL IHRER TRADITION. «

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» MICH INTERESSIERT ES GENERELL, EINEN ZUSAMMENPRALL VON PERSPEKTIVEN, ELEMENTEN UND MATERIALIEN ZU ERZEUGEN – IN UNSEREN ARBEITEN UND IN MEINEN AUSSAGEN. «

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» WENN ALLES DEFINIERT UND DAMIT FESTGELEGT IST, DANN FINDET KEINE KREATIVE ANEIGNUNG STATT. «

» MICH INTERESSIERT DER FETISCH, DIE LUST AM DINGLICHEN. «

Foto: xxxxx

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INHALT

32 » IN DER KUNST NIMMT MAN SICH

DIE FREIHEIT, DAS NICHT-BEACHTETE, NICHT-AUF-DER-HAND-LIEGENDE 34 IN DEN BLICK ZU NEHMEN. MAN MARKIERT UND » EINEN ORT ERZEUGT WIDERSPRÜCHE. « ÜBER BILDER

AUFZUWERTEN, KANN DURCHAUS » FIKTIONEN NEGATIVE, ABER ERZEUGEN AUCH POSITIVE REALITÄT UND FOLGEN HABEN. «

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» DAS ZUSAMMENFÜHREN VERSCHIEDENER BIOGRAFISCHER HINTERGRÜNDE UND FACHLICHER QUALIFIKATIONEN MACHT AUSSERGEWÖHNLICHE UND AUCH QUALITATIV HOCHWERTIGE VORHABEN ERST MÖGLICH. «

BETEILIGTE AN DIESER AUSGABE

IDENTITÄT! «

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* Alle Zitate: Martin Rein-Cano, Topotek 1

STUDIO

Foto: xxxxx

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NEW MONDAY EGL Landshut

RUBRIKEN 70

Lieferquellen

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Impressum Stellenmarkt

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REFERENZ Wohnen in leuchtender Wasserlage

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DGGL

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LÖSUNGEN Best Products

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Sichtachse

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Vorschau

Herausgeber: Deutsche Gesellschaft für Gartenkunst und Landschaftskultur e.V. (DGGL) Wartburgstraße 42 10823 Berlin www.dggl.org

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VOR _ WORT LORENZ DEXLER, TOPOTEK 1

Eine Ausgabe von Garten + Landschaft zu kuratieren ist eine reizvolle Aufgabe. Für uns war von Anfang an klar, dass es um mehr gehen muss als nur um die Präsentation der eigenen landschaftsarchitektonischen Projekte. Ursprünglich hatten wir sogar daran gedacht, überhaupt keine Arbeiten des Büros zu zeigen, sondern den Schwerpunkt ganz auf die Kunst zu legen. Somit entschieden wir uns, erneut mit Barbara Steiner zu arbeiten, Kuratorin und Kunsthistorikerin und heute Direktorin des Kunsthauses Graz. Sie kennt unsere Projekte sehr gut und ist Herausgeberin der Publikation über Superkilen (2014) und unserer Monografie mit dem Titel „Creative Infidelities” (2016). Beide Bücher setzten auf Vielstimmigkeit und einen Disziplinen übergreifenden Diskurs, und das ist für uns sehr stimulierend. Es war Barbara Steiner, die uns vorgeschlagen hat, von der eigenen Praxis auszugehen und von dort Verbindungen zu künstlerischen Positionen aufzuzeigen, die uns begleitet haben beziehungsweise im Moment begleiten. Bildende Kunst und auch Musik spielten für uns praktisch von Anfang an eine wichtige Rolle, und zwar in mehrfacher Hinsicht: ob es nun künstlerische Anregungen sind, die wir aufgenommen haben, oder die direkte Zusammenarbeit mit Künstlerinnen und Künstlern wie Rosemarie Trockel, Superflex oder Jun Yang. Im Grunde genommen begann unser vertieftes Interesse an der Kunst mit 6 GARTEN+ L ANDSCHAFT

Rosemarie Trockel. Per Zufall hatte ich Anfang 2002 ihre Assistentin Catherine Venart bei einem Workshop im Ruhrgebiet kennengelernt, die uns dann mit der Künstlerin in Kontakt brachte. WIR SCHÄTZEN KUNST, WEIL SIE WIDERSPRÜCHE ALS ANREGEND EMPFINDET

Als Landschaftsarchitekten interessiert es uns, mit räumlich-ästhetischen Setzungen sozial vielschichtige Begegnungen sowie sinnliche und intellektuelle Erfahrungen zu ermöglichen. Im Prinzip handelt es sich um Bühnen für sehr unterschiedliche Vorstellungen von Identität, Authentizität und Natur, die öffentlich zur Verhandlung stehen. Konflikte eingeschlossen. Den Kunstbereich schätzen wir, weil Widersprüche dort nicht geglättet, sondern als anregend empfunden, mitunter sogar präzise gesetzt werden und dies zu Auseinandersetzungen und Diskursen führt, die wir in unserem Bereich manchmal vermissen. Dabei geht es um mehr als um einen reinen Nützlichkeitsdiskurs. Uns beide, sowohl mich als meinen Partner Martin Rein-Cano, stört an unseren Professionen Landschaftsarchitektur und Architektur, dass sie sich so dermaßen funktionalisiert und ökonomisiert haben und sich primär darüber legitimieren. Für die Landschaftsarchitektur gilt dies insofern, als sie im Laufe der Jahre immer näher an die Architektur gerückt ist. In der


__ Kunst beobachten wir hingegen, dass Nützlichkeitsdiskurse immer wieder ein Stück weit herausgefordert werden. Und selbst im Scheitern liegt kein Makel. Hinzu kommt, dass utilitaristische Räume selten sinnlich sind. Wenn alles definiert und damit festgelegt ist, dann finden keine kreativen Aneignungen statt. Man braucht Freiräume, und auf diesen muss man auch bestehen. Künstlerinnen und Künstler machen uns durch ihre Arbeit die Bedeutung dieser Räume bewusst.

Porträt: Hanns Joosten

WIR LERNEN DURCH DEN AUSTAUSCH MIT KÜNSTLERN

Es ist bestimmt so, dass man dem eigenen Feld kritischer gegenüber steht als anderen Disziplinen, selbst wenn es Nachbardisziplinen sind. Und sicherlich ist das eine oder andere, das wir an der bildenden Kunst gut finden, etwas eindimensional betrachtet und vielleicht auch zu verallgemeinernd. Doch wir lernen dazu, vor allem durch die Begegnungen mit Menschen aus dem Kunstbereich, die glücklicherweise auch keine Scheu haben, uns und unsere Projekte heftig zu kritisieren. Wir sehen Landschaftsarchitektur und Architektur durchaus auch als künstlerische Praxen, wissen jedoch, dass unsere Traditionen und Konventionen andere sind. Als Landschaftsarchitekten arbeiten wir durchgängig auftragsorientiert und stehen unter anderen Zwängen als Künstler und Künstlerinnen, was es nicht

immer einfach macht, jene Freiräume zu erkämpfen, die uns so nötig scheinen. Mit diesem Heft wollen wir die Leserinnen und Leser an unserem Interesse an Kunst und auch an unserem Weg als Landschaftsarchitekten teilhaben lassen. Das Gespräch mit Barbara Steiner hat Martin Rein-Cano geführt, der von seinem Ausbildungsweg her mehr mit bildender Kunst verbunden ist, als ich es bin. Mich zog es in jungen Jahren stärker zur Gartengestaltung, Architektur und Stadtplanung. Die durch meinen Vater sehr präsente Kunst und Kunstpädagogik erschien mir damals weniger praktisch umsetzbar als beispielsweise die Architektur. Im Laufe meiner Arbeit als Landschaftsarchitekt hat sich diese Wertung dann deutlich relativiert. Aus meiner Perspektive kann man die einzelnen Bereiche ohnehin nicht wirklich voneinander trennen. Und als Topotek 1 haben wir immer den disziplinären Brückenschlag gesucht. Ich bedanke mich vor allem bei Barbara Steiner, die mit uns diese Ausgabe erarbeitet hat. Ohne ihre Expertise, Anregungen und kritischen Anmerkungen wäre dieses Heft nicht zustande gekommen. Außerdem danke ich Tanja Gallenmüller und der Redaktion von Garten + Landschaft für ihr Vertrauen, Daniel Sluka für seine großartige grafische Gestaltung und in unserem Büro Ippolita Nicotera und Julia Dölker für die Bild- und Textredaktion sowie die bürointerne Koordination und Abwicklung. 7 GARTEN+ L ANDSCHAFT


» WARUM NUTZEN W SCHAFTSARCHITEKT DIE FREIHEIT, DIE WI KÖNNTEN ? DAMIT WIR NÄHER AN DER MARTIN REIN-CANO, TOPOTEK 1*

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Porträts: Goethe-Institut Korea/Guen-Young Lee; Universalmuseum Joanneum/J. J. Kucek * Alle Zitate im Heft: Martin Rein-Cano, Topotek 1

WIR LANDKTEN NICHT WIR HABEN T WÄREN ER KUNST.«

Kunst spielt in der Arbeit des Berliner Landschaftsarchitekturbüros Topotek 1 eine bedeutende Rolle – ob als Anregung für ihre Entwürfe oder durch die regelmäßige Zusammenarbeit mit Künstlerinnen und Künstlern. Auch mit Barbara Steiner, Direktorin des Kunsthauses Graz, verbindet sie weit mehr als zwei gemeinsame Bücher, eine Ausstellung und der Vorplatz des Kunst hauses: das gegenseitige große Interesse an der Profession des anderen. Da liegt es nahe, einmal über das Verhältnis zwischen Landschaftsarchitektur und Kunst zu diskutieren: ein Gespräch zwischen Martin Rein-Cano und Barbara Steiner über Utilitarismus, Freiräume, Fakes und darüber, warum Scheitern so wichtig ist.

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»VON ANFANG AN HABEN WIR DEN BEGRIFF DES FREIRAUMS IN ALLE RICHTUNGEN ERWEITERT. « GESPRÄCHSPARTNER: BARBARA STEINER, MARTIN REIN-CANO

Barbara Steiner: Martin, Kunst und Musik spielen in den Projekten von Topotek 1 eine wichtige Rolle, ob es nun künstlerische Anregungen sind, die ihr aufgenommen habt, oder die Zusammenarbeit mit Künstlerinnen und Künstlern. Lorenz Dexler, mit dem du 1996 das Büro gegründet hast, fühlte sich anfangs mehr zur Gartengestaltung und Architektur hingezogen. Dich hingegen begleitet die Begeisterung für bildende Kunst seit deiner Schulzeit. Du hast zwei Jahre lang Kunstgeschichte studiert und kurzzeitig in einer Galerie gearbeitet.

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Martin Rein-Cano: Ich hatte sogar erwogen bei Peter Kubelka an der Städelschule in Frankfurt a. M. zu studieren: Klasse für Film und Kochen als Kunstgattung. Dass ich zur Landschaftsarchitektur gekommen bin, verdankt sich einigen Zufällen: Zum einen ist die Mutter meiner damaligen Freundin Landschaftsarchitektin, und zum anderen gab es am kunstgeschichtlichen Institut in Frankfurt Seminare zur Geschichte der Gartenkunst, die ich besuchte. Exkursionen zu italienischen Renaissancegärten, etwa der Villa Lante, Villa d'Este oder Villa Gamberaia, verstärkten nach und nach mein Interesse an gestalteter Landschaft.


Wie und wo hast du Lorenz Dexler kennengelernt, und was verband euch?

Die Faszination für die Spuren der Zeit teilen Lorenz und ich, auch unsere Begeisterung für Geschichte und Geografie. Wir lernten uns am ersten Tag unseres damals sogenannten Studiums der Landespflege in Hannover kennen. Von Anfang an haben wir beide den Begriff des Freiraums soweit wie irgendwie möglich in alle Richtungen erweitert – also auch in Richtung Kunst und Architektur. Zudem fingen wir beide während des Studiums an zu arbeiten, er in Hamburg bei Hinnerk Wehberg, ich ging erst nach Berlin und machte dann ein Praktikum bei Peter Walker und Martha Schwartz in den USA. Die beiden waren sehr kunstaffin. Über sie entdeckte ich Minimal, Pop und Land Art und lernte die Arbeiten von Ian Hamilton Finlay kennen. Er hat das Thema der Gartenkunst in die damals aktuelle Kunst gebracht. Finlay ließ Elemente und Bedeutungen kollidieren, denkt man zum Beispiel an den Flugzeugträger als Vogeltränke (S. 12). Ich erinnere mich heute noch an eine Abbildung, die einen Baum mit Hakenkreuzbinde und einer Axt zeigt. Damit konfrontierte er nicht zuletzt die Romantisierung der Natur mit dem Faschismus. Finlay arbeitete sehr gezielt mit Maßstäblichkeiten. Das Große – der Flugzeugträger – wird im doppelten Sinn „klein“ – von seiner Größe her, aber auch in seiner Funktion als Vogeltränke. Umgekehrt schreckte Finlay vor monumentalen Gesten nicht zurück. Mich hat beeindruckt, wie er in diesem Zusammenhang Sprache einsetzt. Sie spielt eine wesentliche Rolle, wenn es darum geht, eine Geste monumentaler zu machen, aber auch um Monumentalität wegzunehmen. Finlay erzeugte kluge Konstellationen zwischen Sprache und Objekt, zwischen Objekten und zwischen Objekten und Natur – das hat mich damals ebenfalls sehr angesprochen. Das Denken und Arbeiten in Zusammenhängen ist auch ein sehr kuratorischer Ansatz.

Für mich war damals in erster Linie bedeutend, dass Finlay das Zerstörerische und das Lebenserzeugende der Natur sehr gut thematisiert, Terror und Terrorismus buchstäblich in den Garten getragen hat. Denn Furcht und Schrecken in einem Garten aufzurufen, das hat ein jahrhundertealtes Paradigma der Gartenkunst herausgefordert. Finlay baute ja sogar, seinen eigenen Vorstellungen folgend, einen Garten in Schottland, den er „Little Sparta“ nannte. Mich haben stets Vorstellungen eines Idyllischen und Versöhnlichen genervt, die in der Landschaftsarchitektur bis heute vor sich hergetragen werden.

» ICH HABE LANDSCHAFT IMMER ALS KÜNSTLERISCHES MEDIUM GESEHEN. «

Bereits der Name „Little Sparta“ ist Programm. Eine Referenz auf die größte Militärmacht im alten Griechenland einzubauen und dann ein „Little“ davor zu setzen, das zeigt Finlays Herangehensweise sehr gut. Vom historischen Sparta weiß man wenig, weshalb ja die Idealisierung und Ideologisierung von Tapferkeit, Heldenmut und Gesetzesgehorsam besonders gut gedeihen konnten. Und da setzt Finlay an. Seine Verweise reichen von der Aufklärung, der Französischen Revolution bis zum Heldenkult im Nationalsozialismus. Finlay ist einer der anspielungsreichsten Künstler, die ich kenne.

Mich begleitete lange Zeit, dass er, wie kaum ein anderer, zahlreiche Themen aus Kunst und Landschaft zusammenbringt. Ich habe Landschaft immer als künstlerisches Medium gesehen. In der eigentlichen Gartengestaltung blieb Finlay für mich jedoch sehr romantisch. Mich hingegen interessierte, was passiert, wenn ich die Pflanze nicht Pflanze sein lasse, sondern sie zwinge, etwas anderes zu sein, etwas, das sie nicht sein will, etwa eine Skulptur, eine Zeichnung oder ein Broderieparterre. Deshalb mochte ich auch immer den Barock, vor allem seine Simplizität. Wenn man sich die Reichhaltigkeit des Bildprogramms anschaut, dann klingt das zunächst nach einem Widerspruch. Doch für mich ist der Barock das Bauhaus der Landschaftsarchitektur, weil es diese formale Strenge und starke Geometrisierung gibt, die in der Gartengestaltung besonders sichtbar wird. 11 GARTEN+ L ANDSCHAFT


Vielleicht sollte ich zunächst erwähnen, dass der englische Landschaftsgarten selbst von Gemälden, etwa von Claude Lorrain oder Nicolas Poussin, inspiriert war. Er wurde zur Reproduktion, zur Nachahmung eines Bildes, das real nicht existiert; ein Wunschbild, das in die Realität übersetzt wurde. Dazu gehören auch bereits erwähnte griechische Tempel, chinesische Pagoden und exotische Pflanzen. In der Anlage des englischen Landschaftsgartens findet sich eine 38 GARTEN+ L ANDSCHAFT

pittoreske Sequenz von Bildern. Mit den sich ständig verändernden Blickachsen, neuen visuellen Verbindungen und der sich wandelnden Raumwahrnehmung ist dieser buchstäblich ein „Motion Picture“. Man bewegt sich von einer Szene zur anderen. Im Unterschied zum Film, der vor einem abläuft, bewegt man sich durch den Film hindurch, von einem Bild zum nächsten. Bei den von dir erwähnten Projekten haben wir tatsächlich einige sehr cinematografische Ausblicke erzeugt. Wie sahen in Wolfsburg und Lorsch eure landschaftsarchitektonischen Strategien im Umgang mit dem englischen Landschaftsgarten konkret aus?

In Wolfsburg ging es darum, eine zeitgemäße Interpretation des englischen Landschaftsgartens zu schaffen, eine Landschaft, die sich in nacheinander folgenden Szenen entwickelt. Wir haben dabei verstärkt mit dem traditionellen

Oben: Der englische Landschaftsgarten ist von Gemälden wie Claude Lorrains „Landschaft mit Aeneas in Delos“ (1600–1682) inspiriert. Topotek 1 setzen dessen Prinzip des Malerischen und der

zum Beispiel beim Schlosspark Wolfsburg (2002–2004, rechts). Sie erzeugen aber auch bewusst Brüche und akzeptieren historische Dissonanzen wie beim Welterbe Kloster Lorsch (2010–2017, ganz rechts).

Fotos: culture-images/fai (oben); Hanns Joosten (2)

In einem Gespräch 2009 mit dem Berliner Landschaftsarchitekten und ehemaligen Topotek-1-Mitarbeiter Thilo Folkerts über den Bahndeckel führst du den Gedanken aus, dass ein Garten selbst eine Art Film sei. Nimmt man euer Projekt für den Schlosspark in Wolfsburg oder für die ehemalige Klosteranlage Lorsch, kann man nachvollziehen, warum ihr den englischen Landschaftsgarten als einen Vorläufer des Films bezeichnet.


» EINEN ORT ÜBER BILDER AUFZUWERTEN, KANN DURCHAUS NEGATIVE, ABER AUCH POSITIVE FOLGEN HABEN. « Mittel der optischen Täuschung gearbeitet: Drei kreisförmige Strukturen aus rostfreiem Stahl spiegeln mit ihren geschwungenen, polierten Oberflächen die Umgebung in verschiedenen Ansichten wider und erzeugen so eine Illusion von Weite und Größe. In Lorsch haben wir hingegen Dissonanzen und Brüche bewusst belassen oder sogar noch verstärkt. Exemplarisch dafür ist eine Straße aus der Mitte des 19. Jahrhunderts, die brutal jene gigantische Sanddüne durchschneidet, auf der das Kloster einst errichtet wurde. Wir haben den Eindruck des durchschnittenen Terrains durch einen steil abfallenden Hang noch betont. Eure frühe Neigung zum Barockgarten hatte ja wesentlich damit zu tun, dass die Setzungen deutlich sichtbar blieben,

während sie im englischen Landschaftsgarten unsichtbar wurden. Erst die Landesgartenschau in Wolfsburg hat eure Sicht verändert, da hattet ihr die Möglichkeiten des englischen Landschaftsgartens für euch entdeckt.

Mit der Landesgartenschau in Wolfsburg haben wir in der Tat den englischen Landschaftsgarten für uns entdeckt. Das hatte aber vor allem damit zu tun, dass wir von der Ausschreibung her angehalten waren, mit der Situation vor Ort und dem Denkmalschutz zu arbeiten. Mich stört aber, dass im englischen Landschaftsgarten der Fake heute nicht mehr als solcher erkennbar ist. Man muss wissen, dass diese Bäume nicht immer da waren. Damals konnte man deren Exotik noch lesen, man sah, dass sie importiert waren. Später nicht mehr. Man erlebt den Landschaftsgarten als „natürlich“, aber er

ist es nicht. Die Realitäten haben sich verschoben. Das ist zwar eher ein Rezeptionsproblem und weniger eines seiner ursprünglichen Konzeption, doch leider hat dies Konsequenzen für die Profession der Landschaftsarchitektur: Man erlebt den Fake nicht mehr als Fake. Es ist einfach toll, den Leuten offen ins Gesicht zu lügen. Scherz beiseite: Man wird damit ja nicht wirklich an der Nase herumgeführt. Man kann sogar ein gewisses Vergnügen dabei entwickeln, den Fake als Fake und das Verrücken der Realitäten offen darzustellen. Deshalb schätze ich den Künstler Thomas Demand so (S. 40). Er faked mit einer unendlichen Akribie unsere Realität, und trotzdem erlebe ich den Fake als solchen. Das macht Freude!

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» WIR SEHEN DEN ÖFFENTLICHEN RAUM ALS BÜHNE FÜR SEHR UNTERSCHIEDLICHE VORSTELLUNGEN UND LEBENSWEISEN. « Das hat mit der Abstraktion des Dargestellten zu tun, konkret erkennbar und doch bis zur Ausreizung abstrakt. Das ist schon faszinierend! Bei Demand geht es ja nicht darum, Menschen zu täuschen, sondern darum, Wahrnehmung, Erinnerungsvermögen und Gedächtnis herauszufordern. Es ist im Wesentlichen ein Akt der Überüber das dreidimensionale Modell zum wird. Ich nehme an, dass auch die Zusammenarbeit Jun Yang mit deinem Interesse am offenen Faken zu tun hat?

Ich habe mich regelrecht in Juns Pflanzen verliebt. Sie sind toll! Sansevieria, Spinnenpflanze und Buschlilie aus Karton, Klebeband, Draht, mit Farbe bemalt, also wie bei Demand aus einfachsten Materialien gebaut. Auf den ersten Blick wirken die Pflanzen überaus echt. Auf den zweiten Blick erkennt man den Fake und deren unglaublich hohe skulpturale Qualität. Der Clou ist, dass seine nachgebauten lebige Massenware zum Ausgangspunkt haben – Ware, die man bei uns in jedem Supermarkt bekommt. Nun werden diese ten Einzelstücken, zu teuren Originalen, wenn man so will. Doch es ist mehr als das: Die Nachahmungen entpuppen sich auf den zweiten Blick als eigenständige und eigenwillige Interpretationen – ohne die Banalität der Herkunft vollends zu Werkserie „Paris Syndrome“. Im dazugehörigen Film sieht man, dass das Faken in China im großen Stil betrieben wird. Guangzhou ist voller Kopien ikonischer europäischer Architekturen. Das

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Sezessionsgebäude in Wien wurde zur Eingangslobby eines Wohnkomplexes; venezianisch anmutende Kanäle und einer Wohnanlage. Und selbst die Natur hat in diesen idealtypischen Räumen rein dekorative Funktion; sie ist ähnlich einem Bild komponiert. Hier schließt sich der Kreis zu euch und eurer Aktualisierung des englischen Landschaftsgartens. Schade, dass sich euer gemeinsames Projekt „Unser Platz – Unser Haus“ in München nicht umsetzen ließ.

Wir hätten „Unser Haus“ (S. 44) natürlich sehr gerne umgesetzt, weil es die Vorstellung dessen, was öffentlicher Raum sein kann, enorm erweitert. Am Domagkpark sollte ein neues Wohnquartier entstehen, und der Bauhausplatz war als ein künftiges Zentrum und Treffpunkt des neuen Quartiers gedacht. Deswegen hätten wir den Platz visuell stark hervorgehoben – im Sinne eines „Eyecatchers“, und ihn damit als Gemeinschaftsfläche, markiert – ausgestattet mit Bäumen, Sitzen und einer Wasserfläche zum Spielen. Diagonal versetzt, hatten wir ein „Haus“ geplant, das die Bewohnerinnen und Bewohnern des Quartiers hätten nutzen können, ein Haus, das den Platz gewissermaßen von außen nach innen zieht. Daran sollte ein kleineres Gebäude, ein Kiosk, angeschlossen sein – eine Verkaufsstelle für Zeitungen, Lebensmittel, Getränke, wie man sie früher aus vielen Städten kannte. Die Leute sollten dort Geburtstag feiern! Es fehlt uns hierzulande immer mehr an diesen wirklichen Gemeinschaftsräumen. Orte, die den privaten und öffentlichen Raum miteinander kreuzen und sich nicht gegenseitig ausklammern. Man muss sich überlegen, wo man diese Orte schaffen kann.

Den „gfzk garten“, den Jun Yang in Leipzig realisierte, sehe ich durchaus als eine Art Vorgängerprojekt (S. 46): Es reagierte auf die Entwicklung, dass immer mehr öffentliche Räume privatisiert werden und dadurch oft ihre Funktion verlieren, Orte für alle zu sein, da man direkt oder indirekt lediglich zum Konsum aufgefordert wird. Doch Jun stellte nicht nur Fragen nach dem Verhältnis von öffentlich und privat. Mit dem Hei-Di-Kiosk brachte er die kommerzielle Sphäre klug ins Spiel und machte diese ebenfalls zum Thema. Es ging ganz praktisch um Preispolitik, Verfügbarkeit von bestimmten Produkten und Monopole – gegen den Strich gebürstet, denn das Angebot war sehr ungewöhnlich. Das Grundstück war jedenfalls frei zugänglich, und die Möbel und Plattformen standen allen gleichermaßen zur Verfügung. Was viele seiner Arbeiten verbindet: Es sind Bühnen, die dazu dienen, bestimmte Vorstellungen von Identität, Authentizität und Natur auszustellen und auch verhandelbar zu machen.

Wir sehen den öffentlichen Raum definitiv auch als Bühne, als Bühne für sehr unterschiedliche Vorstellungen und Lebensweisen. Der öffentliche Raum ist ohnehin wenig harmonisch und tendenziell konfliktreich. Nach meiner Beobachtung neigen zeitgenössische, vor allem nordeuropäische Gesellschaften dazu, Konflikte vermeiden zu wollen, auch wenn sich diese nicht wirklich vermeiden lassen. Wir als Topotek 1 sind wie Jun davon überzeugt, dass es räumliche und ästhetische Settings braucht, in denen Konflikte ausgedrückt und ohne Gewalt ausgelebt werden können. Ich nenne dies: die Ästhetik des Konflikts. Wir wollen den Konflikt kultivieren, dann wird er produktiv.


JUN YANG PARIS SYNDROME, 2007–2008

Fotos: Jun Yang

Der Titel der Werkserie „Paris Syndrome“ bezieht sich auf ein Trauma japanischer Touristinnen, die bei ihrem ersten ParisBesuch von der Wirklichkeit so enttäuscht sind, dass sie erkranken. Davon ausgehend, widmet sich Jun Yang der Kluft zwischen Realität und Bild, Begehren und Enttäuschung sowie den Versuchen, diese mithilfe von Ersatzrealitäten und Traumbildern zu überbrücken. Durch alle Teile der Werkserie zieht sich der rote Faden der „Fälschung“ (Fakes): Nichts ist, was es auf den ersten Blick zu sein scheint. Im Film „Paris Syndrome“ zeigt Yang Wohn- und Gartenanlagen der chinesischen Stadt Guangzhou. Sie sind Ausdruck einer aus Traumbildern gespeisten Sehnsucht nach einer heilen und perfekten Welt. Dazu gehören Kopien ikonischer europäischer Architekturen: Das Gebäude der Wiener Secession ist etwa zum Eingangsbereich Versatzstücke venezianischer Palazzi und anmutende Kulisse für das Leben einer wohlhabenden Mittelschicht. 43 GARTEN+ L ANDSCHAFT


Der neue Konzertsaal ergänzt als Solitär das Ensemble der älteren Meistersingerhalle, entworfen und umgesetzt in den frühen 1960er-Jahren von Harald Loebermann (Gebäude) und Wunibald Puchner (Innenausstattung). Das Konzept greift das typologische Prinzip des bestehenden Gebäudes und seine Einbettung in die Landschaft auf und erweitert das räumliche sowie akustische Erleben. Städtebaulich erhält das Ensemble durch das neue Gebäude eine größere Präsenz. Sämtliche Eingänge werden von einem neuen großzügigen Platz er-

neuen Konzertsaal sowie zur Meistersingerhalle. Im Gegensatz zu dieser wird das neue Gebäude von einer transparenten Haut umhüllt, die das Innere mit dem Außenraum verbindet und das Gebäude zum städtiliegenden Bäume in der Fassade des Gebäudes, während nachts das Volumen des Konzertsaals im Dunkeln schimmert.

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Abschließend möchte ich noch auf euer erstes Hochbauprojekt zu sprechen kommen: das Konzerthaus in Nürnberg. Mit euren Nürnberger Partnerbüros Super Future Collective und Johannes Kappler gestaltet ihr das gesamte Areal. Euer Konzerthaus schließt an das alte Gebäude, die Meistersingerhalle, an, Innen- und Außenräume verzahnen sich. Gibt es etwas, das euren architektonischen Ansatz aufgrund eurer landschaftsarchitektonischen Erfahrungen von anderen Architekten unterscheidet?

Ich behaupte: ja! Unsere Herangehensweise an die Architektur, besonders in diesem Fall, ist deutlich geprägt von unseren landschaftsarchitektonischen Erfahrungen. Das ist zum einen die Sensibilität für den Kontext: Als Landschaftsarchitekten sind wir natürlich immer wieder gezwungen, mit der Umgebung zu arbeiten. Ein Gebäude kann sich notfalls auch alleine behaupten nach dem Motto: „Fuck the context!“ Landschaftsarchitektonische Projekte können das nur ganz selten, sie müssen den Kontext immer – und sei es nur in klimatischer Hinsicht – berücksichtigen. Auch in Nürnberg spielt die Umgebung eine besondere Rolle. Das Ensemble der Meistersingerhalle war für uns die Referenz, das neue Konzerthaus haben wir als dessen Erweiterung begriffen. Die Themen des bestehenden Konzerthauses haben wir quasi als DNA übernommen und weitergedacht, sodass man tatsächlich ein Gefühl des „Weiterbauens“ hat. Doch, auch wenn der Neubau sich in der innen- und außenräumlichen Typologie ganz stark an den Altbau

Visualisierungen: ARGE Johannes Kappler, Super Future Collective, Topotek 1 (2)

TOPOTEK 1 SUPER FUTURE COLLECTIVE, JOHANNES KAPPLER, KONZERTHAUS NÜRNBERG, 2018–2023


Seilspielgeräte – seit 1993

anlehnt, handelt es sich um ein neues und zeitgemäßes Gebäude, das besonders in der Materialwahl eine eigene Sprache sucht. Ich würde sagen: Sich kontextuell zu verhalten, ist eine typische Herangehensweise von Landschaftsarchitekten. Gibt es darüber hinaus noch einen weiteren Unterschied in eurer architektonischen Praxis?

Der zweite Ansatz hat etwas mit Bewegung im Raum zu tun. Als Landschaftsarchitekten interessiert es uns, Raumerfahrung in fließenden Sequenzen zu denken. Die Bewegung durch einen Park ist das, was den Park ausmacht, sie ist essenziell für ihn. Diese fließenden Räume haben wir versucht, in Nürnberg umzusetzen. Zum einen durch das komplett transparente Erdgeschoss und zum anderen durch die stark inszenierte Bewegungsabfolge zwischen Foyer und dem eigentlichen Konzertsaal. Die „Himmelstreppe“ beispielsweise – das Hinaufsteigen ins Licht, wie man es auch aus der Villa d'Este kennt – und die Transformation, die man auf mehreren Ebenen selbst erlebt – vom Foyer in den Saal, von kalt zu warm in sanften Übergängen – ist uns bei diesem Projekt besonders wichtig. Ich frage mich bei Hochbauprojekten generell, wie ich die Dynamik der Landschaft in die statische Architektur bringe. Wir denken Architektur immer prozessual. Das Gefühl, von einem Raum in den anderen zu gehen, ist für mich und unsere Herangehensweise ausschlaggebend.

Topotek 1, Modell des Konzerthauses Nürnberg und Visualisierung der „Himmelstreppe“.

Hurra – der Neue ist da! Jetzt noch übersichtlicher – unser neuer Seilspielgeräte-Katalog Nr. 26. Wir laden Sie in unsere vielfältige Produktwelt ein, die mit aktuellen Trends, höchsten Sicherheitsstandards, hochwertigen Materialien und individuellem Design für alle Bedürfnisse die passenden Spielgeräte bietet. Freuen Sie sich auf spannende Innovationen und bewährte Klassiker in einzigartiger HUCK-Qualität. Schreiben Sie uns eine E-Mail und bestellen Sie den „Neuen“.

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