GARTEN + LANDSCHAFT 10/2020

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OK TOB E R 2020

MAGAZ I N F Ü R L ANDSC HAF T SARC HI TEK TUR U ND S TADT P L AN UN G

GARTEN +

LANDSCHAFT

NEUE PERSPEKTIVEN: DAS VERHÄLTNIS ZWISCHEN TIER UND MENSCH

mit Projekten aus

Kopenhagen, Amsterdam, Zürich, München und Bern


E D I T ORIAL

Das neue Must-Have für Großstädter*innen von heute? Das Huhn. Das meldeten die Medien diesen Sommer. Demnach ist die Hühnerhaltung der neue große Trend in unseren Städten. Und das Ganze hat schon einen Namen: Urban Chickening (kein Witz, googlen Sie es gerne). Als Hintergrund für den Trend wird ein Generationenwechsel bei Großstädter*innen angeführt: Immer mehr junge Familien verschreiben sich einer bewussten und ökologisch vertretbaren Ernährung. Sie wollen wissen, wo ihr Essen herkommt, was „drin“ steckt. Hühner sind darüber hinaus zum Einstieg in die Nutztierhaltung gut geeignet und der Pandemie bedingte Lockdown kurbelte den Verkauf von Hühnern dieses Jahr zusätzlich an.

In ihren Szenarien skizziert die nieder-

Tierschützer*innen beobachten die Entwicklung kritisch. Erste Hühner würden bereits in Tierheimen landen, nachdem sie auf einem Hochhausbalkon in Kartons gehalten wurden. Wie immer, wenn es um Tiere in der Stadt geht, muss auch beim Urban Livestock Farming die Frage nach der artgerechten Haltung gestellt werden. Und das führt uns zur Kernfrage des vorliegenden Hefts: Vom gackernden Nachbarshuhn über Kanadagänse, Rehe und Wildschweine im Park bis hin zu den Steinböcken im Zoo, diskutieren wir in dieser G+L, wie wir Planer*innen artgerechte Rahmenbedingungen von Nutz und wildlebenden Tieren im urbanen Raum fördern können.

ländische Arbeitsgemeinschaft ZOOOF das Aufbrechen gewohnter Stadtstrukturen, sodass urbane Räume nicht nur von Menschen, sondern auch von Tieren genutzt werden. Mehr dazu ab Seite 30.

Konkrete Ansätze LIEFERN UNS THOMAS E. HAUCK, STEFANIE

HENNECKE, WIEBKE REINERT UND ANNETTE VOIGT IM LEITARTIKEL AB

Die vier Planer*innen forschen an der Universität Kassel am Fachbereich Architektur – Stadtplanung – Landschaftsplanung zur Steuerung und Planung von Tier-Mensch-Relationen. Verschiedene Initiativen und Projekte, die wildlebenden Tiere in der Stadt unterstützen, stellt Juliane von Hagen ab Seite 24 vor und mehr zu der Planungsmethode ANIMAL-AIDED DESIGN FINDEN SIE AB SEITE 30. SEITE 12.

Animal-Aided Design ist eine Planungsmethode, die helfen soll, die Bedürfnisse von Wildtieren besser in die städtebauliche und landschaftsarchitektonische Planung zu integrieren.

Beim Thema „Zoo“ scheiden sich die Geister. Und das ist nur verständlich. Vermutlich fällt es Ihnen, liebe Leser*innen ebenso schwer wie uns in der Redaktion eine klare Haltung zur Daseinsberechtigung von Zoos zu finden. Spannend finden wir hier die VISIONEN VON ZOOOF. Die niederländische Arbeitsgemeinschaft hat Szenarien entwickelt, wie der Zoo der Zukunft aussehen könnte. Und wer weiß, vielleicht geht es ja doch, ein durch und durch artgerechter Zoo? Denn wenn wir Eines in diesem Corona-Jahr gelernt haben, dann wie schnell sich alles ändern kann. Warnwesten für Hühner gibt es ja mittlerweile auch schon (ebenso kein Witz, ab 9,65 Euro im Internet).

In dem Artikel fordert das Team von Thomas E. Hauck, das Dogma der Stadt-NaturDichotomie aufzubrechen.

ZOOOF bricht mit traditionellen Zookonzepten und provoziert mit Visionen, um Zoos eine Zukunft zu geben.

THERESA RAMISCH REDAKTION

Coverbild: ZOOOF

t.ramisch@georg-media.de

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INHALT

AK TUELLES 06 11

SNAPSHOTS MOMENTAUFNAHME Wo Bäume an Fassaden wachsen

TIERE IN DER STADT

44 Die neue Steinbock-Anlage

Neue Perspektiven: Das Verhältnis zwischen Tier und Mensch

im Tierpark Bern von Weber+Brönnimann ist nicht nur größer und artgerechter, sondern auch

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publikumsfreundlicher.

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URBANE MENSCH-TIER-GESELLSCHAFTEN

Warum und wie Planung und Verwaltung ihr Verhältnis zu Tieren ändern müssen LEBENSRAUM SCHROTTPLATZ?

Fotostrecke: Künstler Bordalo II macht mit dreidimensionalen Tierskulpturen auf Umweltprobleme aufmerksam ALS DIE TIERE DEN WALD VERLIESSEN

Ein Überblick zu „tierischen“ Projekten und Initiativen in der Stadt WER HIER WOHL WOHNT?

Animal-Aided Design (AAD) im Wohnumfeld

„KOMMUNEN SOLLTEN DEN MUT HABEN, NATUR RAUM ZU GEBEN“

Interview mit Stefan Petzold, Referent für Siedlungsentwicklung und Stadtnatur beim NABU Bundesverband DIE STADT ALS ZOO

Die niederländische Arbeitsgemeinschaft ZOOOF bricht mit traditionellen Zookonzepten und experimentiert mit Zukunftsvisionen JENSEITS VON AFRIKA

Lewa-Savanne, Zoo Zürich: Sieben verschiedene Tierarten auf 5,6 Hektar FELSENFESTES ZUHAUSE

Steinbock-Anlage, Tierpark Dählhölzli: Mehr Klettern in den „AareAlpen“ SEHEN UND GESEHEN WERDEN

Pandahaus, Zoo Kopenhagen: Warum der BIG-Entwurf nicht überzeugt

STUDIO 52

REFERENZ Sea Life Bangkok: Trittsicherheit für Pinguine

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LÖSUNGEN Digitalisierung

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NEW MONDAY urbanegestalt

RUBRIKEN 62

Stellenmarkt

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Impressum

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Lieferquellen

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DGGL

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Sichtachse

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Vorschau

Herausgeber: Deutsche Gesellschaft für Gartenkunst und Landschaftskultur e.V. (DGGL) Wartburgstraße 42 10823 Berlin www.dggl.org

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URBANE MENSCH-TIERGESELLSCHAFTEN In der Planungspraxis zeichnet sich zurzeit eine Transformation im Umgang mit wild lebenden Tieren in der Stadt ab: von einem exkludierenden und zugleich defensiv-bewahrenden Umgang, zu einem integrierenden, die Wirkmächtigkeit von Tieren anerkennenden und nutzenden sowie offensivgestaltenden Umgang. Unter Schlagwörtern wie Natureoder Wildlife-Inclusive (Urban) Design, Biodiversity Sensitive Urban Design oder Animal-Aided Design (AAD) werden Ansätze entwickelt, durch die das Vorkommen von wild lebenden Tieren in der Stadt miteinbezogen und gefördert werden soll. Trotz prominenter Vorfahren wie McHarg, Le Roy, Latz oder der Naturgartenbewegung können die Ansätze jedoch nur wenige Modellprojekte vorweisen. Welche Verantwortung müssen jetzt Planung und Verwaltung übernehmen? THOMAS E. HAUCK, STEFANIE HENNECKE, WIEBKE REINERT UND ANNETTE VOIGT

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Unser Blick auf die tierischen Mitbewohner der Städte ist facettenreich. Er wird weniger von der biologischen Taxonomie als vielmehr von kulturellen Wertsetzungen bestimmt. Welcher Wert wird einem Tier zugesprochen – gilt es als Schädling oder Nützling, wird es bekämpft oder geschützt? Der traditionsbedingte Gegensatz von Natur und Stadt, von Wildnis und Zivilisation führt zu Konflikten darüber, welche Räume der Mensch den Tieren zugesteht und welche Räume sie tatsächlich einnehmen und nutzen. So sind etwa Wildschweine in Stadtwäldern aus Sicht der Menschen am „richtigen“ Ort, in den Freiräumen von Wohnsiedlungen aber nicht. Diese Diskrepanz führt zu bestimmten Erwartungen, wie sich Tiere in der Stadt zu verhalten oder nicht zu verhalten haben: Entspricht ein Wildtier, das sich von weggeworfenen Fast-Food-Resten ernährt, noch unseren Erwartungen an das Wildsein? Der Dualismus im Naturverständnis westlicher Gesellschaften findet sich in der lebensweltlichen und damit wertegeprägten Alltagstaxonomie der Tiere wieder (der Philosoph und Biologe Kristian Köchy hat dafür den Begriff der kulturellen Tiertypen eingeführt), in der man zwei Gruppen unterscheiden kann: Zum einen die sich autonom verhaltenden Wildtiere, die als Schädlinge, Parasiten, jagdbares Wild, seltene oder geschützte Arten sowie als Kulturfolger in einem besonderen Außenverhältnis zur menschlichen Gesellschaft stehen. Zum anderen sind es Tiere, die in Innenverhältnissen zur Gesellschaft stehen und als Nutz-, Haus-, Gefährten- oder Zootiere in diese integriert sind. Man könnte hier auch von einer Differenzierung zwischen wild und „zivilisiert“ lebenden Tieren sprechen. Um diese Innen- und Außenbeziehungen von Menschen und


TIERE IN DER STADT URBANE TIER-MENSCH-GESELLSCHAFTEN

AUTOREN Thomas E. Hauck, Stefanie Hennecke, Wiebke Reinert und Annette Voigt forschen an der Universität Kassel am Fachbereich Architektur – Stadt-

Tieren zu regeln und zu steuern, gibt es zahlreiche sich überschneidende, ergänzende, aber auch sich teilweise widersprechende Praktiken, Regeln und administrative Zuständigkeiten. WILD LEBENDE TIERE IN DER STADTPLANUNG

planung Landschaftsplanung aus ideengeschichtlicher und planungswissenschaftlicher Perspektive zur Steuerung und Planung von Tier-Mensch-Relationen im „Habitat Großstadt“. Teile des Artikels sind in abgeänderter Form erschienen in sub/ urban 2020, band 8, heft 1/2 und als Dossier Stadt und Gesellschaft/ Biodiversität der Städte der Bundeszentrale für politische Bildung.

Stadtplanung und -verwaltung formen in der Praxis die Räume, die das Leben von Menschen und Tieren beeinflussen, ihr Verhalten kontrollieren und steuern. Aufgabe der räumlichen Planung ist es, das Vorkommen von Tieren als Stadtbewohnerschaft zu schützen, zum Beispiel durch den Bau, die Erhaltung oder Optimierung von Habitaten, die Ausweisung von Schutzgebieten und die damit verbundenen Nutzungseinschränkungen für Menschen. Andererseits beschränkt man die Bewegungsfreiheit bestimmter Tierarten, indem man räumliche Barrieren (etwa durch Taubennetze oder Wildzäune) schafft. Regularien wie Fütterungsverbote oder lokale Maßnahmen zur Bekämpfung bestimmter Tiere sollen zudem den Tierbestand steuern und gegebenenfalls verringern. Dennoch: Tiere, die sich autonom bewegen und verhalten, die lern- und anpassungsfähig sind, sind schwer zu „disziplinieren“. Sie sind von ökologischen Umweltbedingungen abhängig (die nicht einfach zu kontrollieren sind), können gesetzliche, räumliche und soziokulturelle Ordnungssysteme überschreiten und erscheinen so „unkontrollierbar“. Ihre Wirkmächtigkeit lässt sich den ökologischen Diskursen entnehmen, in denen man Arten- und Individuenzahlen, räumliches Vorkommen und das beobachtete Verhalten im Habitat „Großstadt“ mit seinen spezifischen Bedingungen wie Lärm, künstliches Licht, Autoverkehr dokumentiert und analysiert. Sie zeigt sich auch in den Konflikten, die durch die Nutzung urbaner Habitate durch Tiere entstehen und die – oft emotional aufgeladen – in der Boulevardpresse thematisiert werden: Wildschweine verwüsten bei der Futtersuche Gärten, Krähen attackieren Menschen, Tauben übertragen Krankheiten, Fledermäuse verschmutzen Dachböden. HYGIENE, JAGD, NATUR- UND ARTENSCHUTZ ALS REGIME

Die rechtlich-administrative und räumlichplanende Steuerung des Vorkommens wild lebender Tiere im urbanen Raum lässt sich

drei historisch gewachsenen Handlungssettings, sogenannten Regimen, zuordnen: der Hygiene, der Jagd sowie dem Naturund Artenschutz. Je nach Regime und Werthaltung gegenüber einzelnen Arten kristallisieren sich unterschiedliche kulturelle Typen von wild lebenden Tieren in der Stadt heraus. Für das Regime der Hygiene ist der medizinische und biologische Diskurs über Parasiten und Tiere als Überträger von Krankheitserregern auf Menschen und Nutztiere als Grundlage administrativen und planerischen Handelns wichtig. Spezifisch für den großstädtischen Raum wird dieser Diskurs dann, wenn städtische Strukturen die Verbreitung tierischer Wirte und die Übertragung auf den Menschen beeinflussen. In Städten diskutiert man beispielsweise das Vorkommen des Rotfuchses kontrovers, da er Krankheiten auf Haustiere und Menschen übertragen kann, vor allem aber, weil er Wirt des Fuchsbandwurms ist. Auch in der Diskussion um die Corona-Pandemie thematisiert man die Frage der räumlichen Nähe von Menschen und wild lebenden Tieren in einer zunehmend urbanisierten Welt mit neuer Intensität und auch Sorge. Weiterhin ist der Diskurs über Schädlinge und Lästlinge für das Regime der Hygiene relevant: Wenn etwa Ratten oder Schaben in bestimmten Stadträumen vorkommen, gilt dies als Hinweis auf soziale Ungleichheiten und Diskriminierungen. Zudem verursachen Material-, Vorrats- oder Pflanzenschädlinge ökonomischen Schaden. Lästlinge (zum Beispiel Silberfischchen) können Ekel oder Angst hervorrufen oder unangenehme Gerüche verbreiten. Für das Regime der Jagd ist relevant, dass Siedlungsgebiete aus Sicherheitsgründen den Status von „befriedeten Gebieten“ innehaben. Jagen ist hier verboten. In Ausnahmefällen kann die Jagdbehörde jedoch das Jagen in Stadtwäldern, großen Parkanlagen oder auf Friedhöfen, insbesondere zur Abwehr von Gefahren und zur Bekämpfung von Seuchen, beschränkt genehmigen. Bei der Jagd in der Stadt kommen auch spezielle Methoden, wie die Jagd unter Assistenz von domestizierten Tieren (zum Beispiel Frettchen) zum Einsatz. Das Regime der Jagd konstituiert wild lebende Tiere durch das Jagdrecht in zwei Klassen von Wild: zum einen das essbare Nutzwild wie Reh und Wildschwein und zum anderen das Raubwild wie Fuchs, Marder, Dachs und Greifvögel. Letztere werden als „Jagdkonkurrenten“ angesehen, die es zu kontrollieren und „kurzzuhalten“ 13 GARTEN+ L ANDSCHAFT


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TIERE IN DER STADT FOTOSTRECKE BORDALO II

LEBENSRAUM SCHROTTPLATZ? Der portugiesische Künstler Bordalo II sammelt Schrott in Städten, um daraus dreidimensionale Tierskulpturen zu bauen – und so auf Umweltprobleme und die Verschmutzung von Lebensräumen aufmerksam zu machen.

Alle Fotos: Bordalo II

CAROLIN WERTHMANN

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AUTORIN Carolin Werthmann ist freie Journalistin und hat Literatur-, Kunst- und Medienwissenschaft in Konstanz und Kulturjournalismus in München studiert. Seit 2018 schreibt und arbeitet sie für die Süddeutsche Zeitung, das Münchner Feuilleton und die Fachmagazine der Georg Media GmbH.

Artur Bordalos Kunst ist Schrott, könnte man sagen: Die Installationen des Portugiesen, seit einigen Jahren unter dem Titel „Big Trash Animals“ bekannt, sind aus Müll zusammengesetzt. Bordalo II, so sein Künstlername, bereist Städte wie Dublin, Hamburg und Paris und sammelt dort alte Autoreifen, Staubsauger, Stoßstangen und Plastik zusammen, all das also, was keiner mehr haben will und das die Welt verschmutzt. Den gesammelten Müll formt Bordalo zu riesigen dreidimensionalen Tieren: ein Wiesel mit Augen aus alten Bällen, Füchse mit Ohren aus Wellblech, Seehunde mit Pfoten aus Abfalleimern. Wie Graffitis zieren sie Hauswände, Fabrikfassaden, Zäune, manchmal sogar Schiffe. Beeindruckend plastisch erheben sie sich über die Straßen und starren auf die kleinen Menschen hinab, aus deren Abfall sie geschaffen sind. Einen Teil seiner Bausteine besprüht Bordalo mit Farbe, gestaltet seine Kreationen zu bunten, ja fast zu schönen Kunstwerken, die, auf Fotos oder aus der Distanz betrachtet, kaum noch an das schmutzige Fundament erinnern, auf dem sie fußen. PROVOKATIVE KUNST

Bordalo, geboren in Lissabon, erschafft Tiere aus demselben Material, das ihre Umwelt zerstört, sie oft auch tötet. Er möchte einen kritischen Blick auf unser Konsumverhalten provozieren. Er wählt heimische Tierarten und heimischen Müll für seine Motive aus, je nachdem, in welcher Stadt Bordalo sein Werk errichtet, um zu zeigen: Das hier landet in euren Meeren, in euren Flüssen, in euren Wäldern, auf euren Straßen, und es ist zu viel davon für den Lebensraum unserer Wildtiere. Bordalos Kunst ist nichts, was sich wegwischen oder übermalen lässt. Seine Gebilde verfallen, werden weggeräumt, irgendwann. Tiere sterben, der Müll bleibt. Traurig, dass er die langlebigste Hinterlassenschaft der Menschheit ist. 18 GARTEN+ L ANDSCHAFT


TIERE IN DER STADT FOTOSTRECKE BORDALO II

Half Seagull, 2018 Farbe auf Plastik, Holz, Stahl und anderen Materialien

S.16/17 Weasel, 2015 Farbe auf Plastik, Holz, Stahl und anderen Materialien

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Ein Graureiher am Gartenteich, Kanadagänse am Büroturm, Rehe im Park: Das ist Normalität in unseren Städten. Und nicht nur in ruhigen Corona-Zeiten. Mehr und mehr Tiere finden ihren Weg in unsere urbanen Räume und siedeln sich an. Zahlreiche Projekte und Initiativen helfen dabei. JULIANE VON HAGEN

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Foto: picture alliance/blickwinkel/S. Ziese

ALS DIE TIERE DEN WALD VERLIESSEN


TIERE IN DER STADT PROJEKTE UND INITIATIVEN

AUTORIN Dr. Juliane von Hagen ist Stadtplanerin und -forscherin. Sie setzt sich seit Jahren mit öffentlichen Räumen auseinander; zunächst an verschiedenen Hochschulen und mittlerweile im eigenen Büro stadtforschen.de.

Zwei Kanadagänse am Phoenix-See in Dortmund. Ihr ursprüngliches Verbreitungsgebiet ist Nordamerika.

Neue, Corona-bedingte Lebensgewohnheiten haben die öffentlichen Räume unserer Städte verändert. Noch immer fahren weniger Autos auf den Straßen, und viele Menschen arbeiten von zu Hause. Da wundert es nicht, dass manch ein Bürogebäude verlassen dasteht und Kanadagänse dort spazieren, wo bis vor Kurzem schwarze Konzern-Limousinen vorfuhren. Nur wenige Kilometer weiter ruft die Pförtnerin am Parkeingang zur Vorsicht. Rehe seien unterwegs, man möge langsam fahren. Wenn dann noch ein Graureiher am Gartenteich landet, spätestens dann ist klar: Tiere sind fester Bestandteil unserer Städte. Die Artenvielfalt ist in Metropolen sogar oft größer als in deren Umland. Und zu dieser urbanen Biodiversität tragen nicht nur Insekten, Vögel und andere Krabbeltiere bei. Auch Nutz- und Wildtiere finden vermehrt den Weg bis in städtische Gärten und Grünanlagen. Eigentlich nimmt die biologische Vielfalt seit vielen Jahrzehnten ab. Bereits 1992 haben sich die Vereinten Nationen darauf geeinigt, Maßnahmen zum Schutz der Biodiversität auf nationalen Ebenen einzuführen. In der Bundesrepublik dauerte es aber bis 2007, bis eine Nationale Strategie zur biologischen Vielfalt stand. Die Geschwindigkeit, mit der agiert wird, macht den Eindruck, als wäre das Thema Nebensache. 2019 weist das Bundesforschungsministerium jedoch darauf hin, dass „der Artenrückgang […] als eine unterschätzte Bedrohung und als ebenso große Herausforderung wie der Klimawandel betrachtet werden“ muss. Das sehen zahlreiche Akteur*innen und Initiativen genauso. Insbesondere im urbanen Raum bemühen sie sich, Tieren Platz zum Leben zu geben. Diesen finden sie nicht nur auf Brachflächen, in naturnah gestalteten Grünflächen oder Gärten. Auch auf Dächern von Bushaltestellen, in Kunstinstallationen oder blühenden Bändern entstehen neue Lebensräume. 25 GARTEN+ L ANDSCHAFT


WER HIER WOHL WOHNT? Animal-Aided Design (AAD) ist eine Planungsmethode, die helfen soll, die Bedürfnisse von Wildtieren besser in die städtebauliche und landschaftsarchitektonische Planung zu integrieren. Konkret bedeutet das, Zielarten bereits zu Beginn der Planung von Neubauten oder bei Sanierungsmaßnahmen ortsspezifisch zu identifizieren, sodass deren Ansprüche in die Hochbau- und Freiraumplanung einbezogen werden können. Ein besonderer Schwerpunkt der Forschungsarbeit lag zuletzt im Bereich des Wohnumfeldes. Wie AAD dort aussehen und gelingen kann, zeigt ein aktuelles Modellprojekt in München. WOLFGANG W. WEISSER, STEFAN FELLER, THOMAS E. HAUCK

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TIERE IN DER STADT ANIMAL-AIDED DESIGN

AUTOREN Prof. Dr. Wolfgang W. Weisser ist Biologe und Inhaber des Lehrstuhls für Terrestrische Ökologie an der TU München.

Stefan Feller ist Landschaftsarchitekt und Projektleiter Sonderprojekte und GIS, Mobilitätsmanager im Bereich Projektentwicklung der GEWOFAG Service GmbH.

Dr. Thomas E. Hauck forscht und lehrt an

Foto: Thomas E. Hauck

der Uni Kassel und leitet das Berliner Büro Polinna Hauck. Er gründete zusammen mit W. Weisser das Studio Animal-Aided Design.

Ein Hauptmerkmal von Animal-Aided Design (AAD) ist, tierökologische Maßnahmen gestalterisch in Architektur und Freiraumplanung zu integrieren. Dass es möglich ist, Wohnungsbau und die Förderung biologischer Vielfalt miteinander zu verbinden, zeigt eine vom Bundesamt für Naturschutz (BfN) geförderte Untersuchung. Bei Neubauten sind die Möglichkeiten am größten, aber auch die Sanierung von Gebäuden oder eine Änderung der Pflegeroutinen bieten große Chancen, Wildtiere in der Stadt zu fördern. Hindernisse oder Konflikte, die durch die Ansprüche der Tiere an ihr Habitat auftreten – etwa die Notwendigkeit einer Wasserstelle, oder die Verschmutzung von Fassaden – können durch innovative Lösungen überwunden werden. Kommunale und private Wohnungsbauunternehmen, die für einen Großteil des gebauten Raumes in der Stadt verantwortlich sind, zeigten sich in einer deutschlandweiten Umfrage innerhalb der Branche offen gegenüber neuen Ansätzen wie Animal-Aided Design, die es schaffen, attraktives Bauen und erlebbare Natur miteinander zu verknüpfen. Die Chancen

stehen also gut, dass bauliche und gestalterische Lösungen, die die Vorteile des Zusammenlebens von Menschen mit Tieren aufzeigen, von Wohnungsbauunternehmen aufgenommen und umgesetzt werden. BRANTSTRASSE, MÜNCHEN

Ein erstes beispielhaftes Projekt, bei dem die Forschung bereits in der Realität erprobt wird, liegt in der Brantstraße im Münchner Stadtteil Laim. Im Frühjahr 2019 konnten die ersten Bewohner*innen drei Wohngebäude des kommunalen Münchner Wohnungsbaukonzerns GEWOFAG mit zwei integrierten Kindertagesstätten und einer gemeinsamen Tiefgarage beziehen. Die Wohnanlage umfasst 99 Einheiten, die über verschiedene Programme des sozialen Wohnungsbaus gefördert werden. Das Projekt wurde bereits in der Planungsphase durch ein vom Bayerischen Staatsministerium für Umwelt und Verbraucherschutz gefördertes Forschungsvorhaben von den Forschungspartnern der TU München und der Universität Kassel begleitet. Ziel war es insbesondere zu überprüfen, wie sich AAD

Beim Modellprojekt in der Münchner Brantstraße werden in den Nebengebäuden der Kitas sogenannte Igelschubladen erprobt. Sie sollen Braunbrustigeln ein vor Mardern geschütztes Winterquartier und Brutmöglichkeit bieten.

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JENSEITS VON AFRIKA Zoos erzeugen Welten für Menschen und Tiere – Erlebnisräume für die einen, Habitate für die anderen. Und immer zeigt die Perspektive auf die konstruierte Natur auch eine moralische Haltung gegenüber dieser. Die Lewa-Savanne im Zoo Zürich, im Juni 2020 eröffnet, demonstriert all diese Ebenen der Zooplanung. CHRISTINA KATHARINA MAY

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TIERE IN DER STADT LEWA-SAVANNE, ZÜRICH

AUTORIN Dr. Christina Katharina May arbeitet als Kunsthistorikerin und Kuratorin in Schwerin und Rostock. Den Theodor-Fischer-Preis 2020 des Zentralinstituts für Kunstgeschichte erhielt sie kürzlich für ihre Dissertation „Die Szenografie der Wildnis – Immersive Techniken in

Foto: © Zoo Zürich, Goran Basic

Zoologischen Gärten im 20. und 21. Jahrhundert.“ Berlin: Neofelis 2020.

In der Züricher Lewa-Savanne beginnt der Rundgang oberhalb des Giraffenhauses im Nordwesten der Anlage. Die Besucher*innen steigen in eine Schlucht, der Ausblick öffnet sich, verrät jedoch nicht alles. Durch den geschickten Wechsel von Verdecken und Enthüllen bieten sich vielfältige Einblicke in die Savannenlandschaft. Als Orientierungspunkt dient der 19 Meter hohe Baobab, ein Affenbrotbaum am Wasserloch. Dort erhebt sich auch der Aussichtsfelsen, der einen Ausblick auf die gesamte Anlage ermöglicht. Von ihm führt der Weg wieder ins Landschaftsbild hinein nach Südosten durch die labyrinthischen Gesteinsformationen der Kopje-Felsen, der größte 13 Meter hoch. Die Kunstfelsen verdecken das Haus für die Stachelschweine, bieten aber Durchblicke in das Hyänengehege. Die Topologie der Savanne interessierte bereits den Geografen Jay Appleton für die Formulierung der „Prospect-Refuge-Theory“: Es geht um Blickbeziehungen. Das Sehen und Gesehen-Werden bildet das RäuberBeute-Verhalten ab. Ein ständiges Wechsel-

spiel zwischen offenen und geschlossenen Räumen, so die Theorie, ist elementar, um eine „aesthetisch befriedigende“ Wahrnehmung der Landschaft herzustellen. Die Lewa-Savanne basiert auf einer Übersetzung von Bildern der originalen Landschaft, der Verdichtung der visuellen Eindrücke zu Leitmotiven wie den Baobabs und schließlich ihrer Übersetzung in die dritte Dimension. Das Publikum wird in ein möglichst authentisch inszeniertes, scheinbar echtes Szenario versetzt. Die Besucher*innen sollen in eine Welt eintauchen, die den Tieren zu gehören scheint. Entwickelt und umgesetzt wurden diese Techniken erstmals in den 1970er-Jahren in den USA, unter anderem vom New Yorker Zoodirektor Bill Conway oder, mit einer umfassenden Dokumentation in Form des „Long Range Plan“, 1976 von Jones & Jones im Woodland Park Zoo von Seattle. Für den Masterplan des Züricher Zoos orientierte sich das Büro vetschpartner an den Planungsprinzipien aus Seattle. Markante Aussichtspunkte, versteckte Schlängelwege und die prägnante Landschaftsgestaltung gehören ebenso zum Programm dieser „Landscape Habitat Immersion“, also das Eintauchen in die Landschaft, wie die Vermeidung von sichtbaren Hochbauten. Das Publikum soll über das dramaturgisch gelenkte Tiererlebnis seine Wahrnehmung schärfen und zugleich davon berührt werden. Die Faszination soll zum Engagement für den Artenschutz führen. Das Gehege soll jedoch nicht nur Bühne, sondern vor allem auch Lebensraum für die Tiere sein, mit Komfortstellen zum Suhlen oder Möglichkeiten, Duftmarken zu setzen. Bereits Heini Hediger, von 1954 bis 1973 Direktor des Züricher Zoos, legte mit seinen tierpsychologischen Studien, insbesondere über das Fluchtverhalten, wichtige Grundlagen für die Zootierhaltung und das Verständnis für die Qualität des Raums. Durch Formen und Materialien werden den Tieren komplexe Räume angeboten, die sich aus deren Verhalten ableiten. Aus Hedigers Studien wurde die Theorie der Verhaltensbereicherung, des Environmental Enrichment entwickelt. Diese Komplexität wird in der LewaSavanne durch eine vielfältige Geländestruktur hergestellt und eine Bepflanzung, die die Tiere zumindest teilweise nutzen und essen können. Außerdem sind in den Baobabs Automaten integriert, die die Tiere bis zu drei Tage lang mit Futter versorgen. Für die Besucher*innen ergibt das Zusammenspiel von Tieren und Baum ein wirkmächtiges Erinnerungsbild.

Prägende gestalterische Elemente der neuen Lewa-Savanne im Züricher Zoo von vetschpartner sind der 19 Meter hohe Baobab (Affenbrotbaum) und die bis zu 13 Meter hohen künstlichen Kopje-Felsen.

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TIERE IN DER STADT STEINBOCKANLAGE AAREALPEN, BERN

FELSENFESTES ZUHAUSE Das Steinwild im Schweizer Tierpark Dählhölzli in Bern hat seit Frühjahr 2020 ein neues Zuhause. Die Anlage „AareAlpen“ von Weber+Brönnimann ist eine Mischung aus Naturstein und Kunstfels und mit hohen Zinnen versehen, die den Steinböcken mehr Klettermöglichkeiten und Raum bringen. Sie ist nicht nur größer und artgerechter geworden, sondern auch publikumsfreundlicher. CAROLIN WERTHMANN

AUTORIN Carolin Werthmann ist freie Journalistin und hat Literatur-, Kunst- und Medienwissenschaft in Konstanz und Kulturjournalismus in München studiert. Seit 2018 schreibt und arbeitet sie für die Süddeutsche Zeitung, das Münchner Feuilleton und die Fachmagazine der

Alle Fotos und Pläne: Weber+Brönnimann AG

Georg Media GmbH.

Der Steinbock wird gern als „König der Alpen“ bezeichnet – so flink, so selbstverständlich, wie er sich in den Höhen der Berge bewegt und mit Leichtigkeit von einem zum nächsten Felsen springt. Dabei ist seine Existenz, zumindest in der Schweiz, alles andere als selbstverständlich. Dort war das Tier Anfang des 19. Jahrhunderts ausgerottet, nach jahrzehntelanger Jagd und der ewigen Gier auf sein Horn, sein Fleisch, seine Hufe, auf alles, was einer Trophäe gleichkam. Der Schweiz ist es gelungen, die Steinböcke wiederanzusiedeln, mit durchaus spektakulären, eigentlich illegalen Manövern: Angeheuerte Wilder*innen kaperten mehrere Dutzend Jungtiere in Italien, brachten sie in die Schweiz, wo sie aufgezogen, weiter gezüchtet und ausgewildert werden konnten. So repräsentativ, wie der Steinbock für die Schweiz ist, darf er in einem heimischen Tierpark nicht fehlen. Allein historisch bedingt gebührt ihm ein anständiges Zuhause. Das dachte sich auch die Zoodirektion des Tierparks Dählhölzli in Bern. Seit ihrem Bau im Jahre 1937 war die Anlage für Steinwild, wunderschön gelegen am Uferweg der Aare, bis auf kleine Sanie-

rungsarbeiten nie modernisiert worden. Das sollte sich im Zuge einer umfassenden Umbaumaßnahme ändern, mit einer rein aus Drittmitteln finanzierten Bausumme von 4,3 Millionen Schweizer Franken. MEHR PLATZ FÜR WENIGER TIERE

2015 wurde ein Wettbewerb ausgeschrieben, den die Landschaftsarchitekt*innen und Ingenieur*innen der Weber+Brönnimann AG für sich entscheiden konnten. 4,5 Jahre später, im Frühjahr 2020, bezogen fünf Berner Steinböcke sowie Alpenkrähen, Gämsen und Murmeltiere des Dählhölzli nach einem längeren Urlaubsaufenthalt in Bayern ihr neues Revier – die „AareAlpen“. Aus den fünf Steinböcken sind mittlerweile zehn geworden. Platz für mehr Tiere wäre in der neuen Anlage durchaus. Der Tierpark aber hält sich an seine Leitlinie, die „mehr Platz für weniger Tiere“ verspricht. Nun ist die von Weber+Brönnimann geplante und umgesetzte Anlage nicht nur größer geworden, sondern auch, um es mit den Worten von Zoodirektor Bernd Schildger auszudrücken: weniger langweilig. „Wir wünschten uns eine Lösung, die das

AareAlpen: Die Landschaftsarchitekt*innen und Ingenieur*innen der Weber+Brönnimann AG holten für die Steinböcke des Tierparks Dählhölzli in Bern die Alpen an die Aare.

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