Garten+Landschaft 02/2019

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BAHNHOFSVIERTEL

FE BRUAR 2019

MAGAZIN FÜ R L ANDSC HAFT SARC HIT EK TUR

GARTEN +

LANDSCHAFT

GA R T E N + L A N D S C H A F T

F E B R UA R 2 019

NICHT SCHÖN, ABER SCHÖN KOMPLEX – BAHNHÖFE UND IHRE VIERTEL

mit

Projekten aus Arnheim, Augsburg, Dortmund und London


EDI T ORIAL

Wie heißt es so schön? „Es ist der erste Eindruck, der zählt.“ Wenn das auf unsere Städte zutrifft, könnten eigentlich viele Zugreisende auf dem Absatz kehrtmachen, sobald sie aus der Bahnhofshalle in Richtung Stadt treten. Der ambivalente Charme eines Bahnhofsviertels ist nicht jedermanns Sache. Und auch den Städten sind ihre Bahnhofsareale oftmals ein Dorn im Auge. Frankfurt, München, Stuttgart – die hohe Anzahl von Bahnhofsprojekten bestätigen dies. Das interessante an den Projekten ist, dass trotz aller Unterschiede die Städte in der Regel die selben Ziele verfolgen: Sie wünschen sich identifikationsstiftende Areale, die als „Visitenkarte der Stadt“ fungieren. Für mich ist das Dampfplauderei. Denn die Entwürfe sind letztlich stets alle gleich: schön, funktional, clean. Von identifikationsstiftenden Maßnahmen keine Spur.

Wir geben zu: Wir hatten schon schönere Cover. Aber das Bild des Dortmunder Hauptbahnhofs (aus dem Buch "Bahnhöfe von oben", S. 46) thematisiert genau das, was deutsche Bahnhöfe und ihre Bahnhofsviertel alles beinhalten: eine gewisse Tristesse gepaart mit morbider Urbanität.

Was nutzt uns der schönste Stadteingang, wenn er mit den Menschen, die sich dort tagtäglich aufhalten, die dort leben, nicht harmoniert? Wir Planer und unser latenter Drang zur ästhetischen Kontrolle. Alles soll geordnet sein, ineinandergreifen und gut aussehen. Dabei lebt doch gerade das Bahnhofsviertel von seiner Vielfalt, von seinem Chaos. Zugegeben, diese Vielfalt ist nicht immer leicht zu ertragen. Verkehr, Spielcasinos und Hotels, Junkies, Obdachlose und Prostituierte – schnell fühlt man sich unsicher, vielleicht sogar überfordert, weil die eigene Realität auf eine unbekannte prallt. Aber es ist diese Vielfalt, die das Bahnhofsviertel zur festen Institution im städtischen Gefüge macht. Als Knotenpunkt, Treffpunkt und Zufluchtsort. Auch für Menschen, die in unserer Realität sonst keinen Platz finden.

Den Artikel zum Bahnhof Arnheim finden Sie auf Seite 24.

Coverbild: Geramond Verlag / Gerhard Launer

Der Bildband „Bahnhöfe von oben“ aus dem GeraMond Verlag zeigt fantastische Luftbilder von

Aber dies ist kein Abgesang auf die Planung. Es geht vielmehr darum, die bestehenden Strukturen zu schützen, indem man Platz für alle zulässt – für Anwohner, Stadtbewohner und Reisende. Wie das gelingen kann, stellen wir Ihnen im diesem Heft anhand zweier Projekte vor: Das von Townshend Landscape Architects in LONDON gestaltete BAHNHOFSQUARTIER VON KING’S CROSS UND ST PANCRAS sowie das BAHNHOFSAREAL IM NIEDERLÄNDISCHEN ARNHEIM stehen exemplarisch dafür, wie man in Bahnhofsnähe Räume für Menschen schafft, die Aufenthalt und alternative Entwicklungen ermöglichen. Sie sind Beispiele, von denen sich die gerade (an)laufenden Projekte in Augsburg, Dortmund oder Hamburg etwas abschauen können.

THERESA RAMISCH

idyllischen Nebenbahn-

REDAKTION

Österreich und der Schweiz.

Projekten von Townshend Landscape Architects in London ab Seite 42.

Spielt man diesen human-zentrierten Ansatz bis zum Ende durch, entwickelt sich im besten Fall im Bahnhofsquartier eine eigenständige, durch die Menschen vor Ort getragene Identität, die dann wiederum den jeweiligen Bahnhof und sein Umfeld zum USP der Stadt macht. Ergo: Der Planer hat seine Visitenkarte, die Menschen ihre Räume - und alle sind glücklich. Oder?

großen Bahnknoten bis zu

stationen aus Deutschland,

Alles zu den

t.ramisch@callwey.de

+

Mehr zum Bildband finden Sie hier garten-landschaft.de/bahnhoefe-von-oben

3 GARTEN+ L ANDSCHAFT


16 Das Architekturbüro raumwerk setzt bei

24

seinem Entwurf für den Dortmunder Hauptbahnhof auf

Der Bahnhof im

Topografie und offene

niederländischen Arnheim gilt

Freiräume.

als Beispiel dafür, Raum für Randgruppen zu schaffen und zu lassen. Wir untersuchen, wie Bureau B+B das Interesse der Skater weckten.

30 Bis 2022 sollen der Augsburger

Loidl entwickelte die Gestaltung für

42

den östlichen Bahnhofsvorplatz.

Über die letzten zwanzig Jahre

Hauptbahnhof und seine Vorplätze umgestaltet werden – das Atelier

entwickelten Townshend Landscape Architects das Umfeld der Londoner Bahnhöfe King's Cross und St Pancras zu einem Quartier für Menschen. Nun steht das Projekt vor der Fertigstellung.

52 Der Spielplatz der Berliner Seilfabrik bildet den krönenden Abschluss auf dem Dach des Kopenhagener Parkhauses "Park'n'Play".


INHALT

AR EN A 06 11

SNAPSHOTS MOMENTAUFNAHME Stillleben

T ITEL Nicht schön, aber schön komplex – Bahnhöfe und ihre Viertel 12

DIVERSITÄT AUSHALTEN

16

SPIELFELD BAHNHOF

23

BILLIG KOMMT TEUER

24

IN SLOW MOTION

29

HYPERLOOP: BITTE ZUSTEIGEN!

30

AUGSBURG GLEIST AUF

36

„ES GEHT IMMER AUCH UM ÖFFENT LICHE ORDNUNG UND SICHERHEIT“

42

BLICKPUNKT MENSCH

Phänomen Bahnhofsviertel: Eine sozialräumliche Analyse Dortmund: Endlich gibt es einen guten Entwurf für den Hauptbahnhof. Das jahrelange Hin und Her zwischen Bahn und Stadt wirkt sich aber auf ihn aus Hamburg, Altona: Warum die Bahn für den Bahnhofsumzug ihre Rolle als Stadtplanerin ernster nehmen muss – ein Kommentar von Christoph Twickel Arnheim, Niederlande: Wie die Planer von Bureau B+B Voraussetzungen für vielfältige Nutzergruppen auf dem Bahnhofsplatz möglich machten Alexander Gutzmer im Kommentar, warum der Hyperloop auch die Raumplanung angeht Augsburg: Entwurfsbeschreibung zur großmaßstäblichen Umgestaltung des Bahnhofareals von Atelier Loidl und WES LandschaftsArchitektur Im Interview mit dem Augsburger Ordnungsreferenten Dirk Wurm King's Cross und St Pancras, London: Wie aus einer No-go-Area ein Stadtviertel für Menschen entstand

STUDIO 50

PRAXIS Bio-Beton verbindet

52

REFERENZ Rot hinaus

54

LÖSUNGEN Spielgeräte und Sportanlagen

RUBRIKEN 60

Stellenmarkt

62

Impressum

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Lieferquellen

64

DGGL

66

Sichtachse

66

Vorschau

Herausgeber: Deutsche Gesellschaft für Gartenkunst und Landschaftskultur e.V. (DGGL) Wartburgstraße 42 10823 Berlin www.dggl.org

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SPIELFELD BAHNHOF Wenn wir an Dortmund denken, denken wir an Fußball, den BVB und an mehr oder weniger herausragende Spiele. Die Assoziation mit einem wegweisenden Hauptbahnhofprojekt für Stadt und Bahn bleibt aus. Dabei hätte es ein spannendes Match werden können, das um die Planung des Hauptbahnhofs und dessen Umfelds. Hätte die Bahn fairer gespielt. Dank des engagierten Einsatzes des Büros raumwerk konnte die Stadt nun die Partie für sich entscheiden. Rainer Johann, Lehrstuhlvertreter der Professur für Stadt- und Regionalplanung an der TU Dortmund und Urbanist in Berlin, zeichnet den Spielverlauf nach.

Visualisierung: raumwerk

RAINER JOHANN

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BAHNHOFSVIERTEL HAUPTBAHNHOF DORTMUND, RAUMWERK

Für die Neugestaltung der Nordseite des Dortmunder Hauptbahnhofs nutzt das Büro raumwerk in seinem Entwurf die Topografie vor Ort: Eine grüne Spange zieht sich als attraktiver Freiraum über die komplette Gebäudeanlage.

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IN SLOW MOTION Inzwischen dauern die Arbeiten am Hauptbahnhof der niederländischen Stadt Arnheim 20 Jahre an. Trotz laufender Bauarbeiten hat sich eine Nutzergruppe das Areal angeeignet, die der Planer als unberechenbar einschätzt und die oft keinen Raum findet: die Skater. Ein Erfolg für die verantwortlichen Landschaftsarchitekten von Bureau B+B. Aber woher kommt dieser? CHARLIE CLEMOES

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AUTOR Charlie Clemoes ist Autor, Redakteur und macht Podcasts für das Onlinemagazin „Failed Architecture“. Ursprünglich aus Südwest-England stammend, lebt er nun in Amsterdam.

Skater nutzen die Natursteinbänke für ihre Kunststücke. Im Hintergrund die Bahnhofshalle.

Foto: Frank Hanswijk

Kommt man am Bahnhof im niederländischen Arnheim an, erkennt man auf den ersten Blick kaum, was ihn von anderen Bahnhöfen unterscheidet. Vom Bahnsteig aus betrachtet, erscheint der Ort vielleicht ein wenig nüchterner als die monumentalen Gewölbe traditioneller Hauptbahnhöfe – mehr aber auch nicht. Der erste Eindruck verändert sich, je weiter der Besucher in Richtung Bahnhofshalle vordringt – über den unterirdischen Korridor, der die Bahnsteige miteinander verbindet. Im Bahnhofsfoyer empfängt den Reisenden eine großflächige, auskragende Fensterfront, die ihn unweigerlich auf den Bahnhofsvorplatz zieht. Dieser wimmelt nur so von Passanten und Verweilenden – und das obwohl noch nicht einmal alle Bauabschnitte fertiggestellt sind. Unter den Nutzern fällt eine Gruppe besonders auf: die Skater. Sie offenbaren dem Besucher


BAHNHOFSVIERTEL BAHNHOF ARNHEIM, BUREAU B+B

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Augsburg hat sich einiges vorgenommen: Der neue Hauptbahnhof ist Herzstück und Vorzeigeprojekt eines langfristigen Erneuerungskonzepts, mit dem sich die wachsende Stadt im Metropolraum München fit für die Zukunft macht. PHILIP SCHMOEGER

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Foto: projekt augsburg city/Stadt Augsburg

AUGSBURG GLEIST AUF


BAHNHOFSVIERTEL HAUPTBAHNHOF AUGSBURG, ATELIER LOIDL + WES LANDSCHAFTSARCHITEKTUR

AUTOR Philip Maximilian Schmoeger studierte Landschaftsarchitektur an der TFH Berlin, FH Weihenstephan und BOKU Wien. Nach dem Studium arbeitete er in verschiedenen Landschaftsarchitekturbüros im Großraum München. Seit 2016 ist er bei Planstatt Senner in München tätig.

Augsburg ist im Aufwind. Die Fuggerstadt hat sich in den vergangenen zehn Jahren grundlegend gewandelt. Noch bis Anfang der 2000er stand sie im Schatten der Nachbarmetropole München – und das trotz ihrer 2000-jährigen Geschichte. Es gelang Augsburg lange Zeit nicht, ein eigenständiges und modernes Profil zu vermitteln. Doch seit 2016 wird die Stadt mit ihren bald 300 000 Einwohnern neben München und Nürnberg als dritte bayerische Metropole im Landesentwicklungsprogramm geführt. Und der Zuschlag für den Standort der Uniklinik samt Campus, der Umbau des Staatstheaters und die Chancen auf die Anerkennung als UNESCO-Welterbe-

stätte brachten wichtige Impulse für Kunst, Kultur und Wissenschaft. Um den Herausforderungen der wachsenden Großstadt zu begegnen, hat die Verwaltung zusammen mit der Bahn und den Stadtwerken die städtebauliche Vision „projekt augsburg city“ aus dem Langzeitvorhaben „Mobilitätsscheibe Augsburg“ heraus entwickelt. Zahlreiche Plätze und Straßen der Innenstadt, um die sich Augsburg lange wenig zu kümmern schien, wurden zu modernen und gut nutzbaren Freiräumen entwickelt. Dazu gehören unter anderem so prominente Orte wie der ÖPNVKnotenpunkt Königsplatz, die Fußgängerzone, die historisch bedeutende

Das „projekt augsburg city“ umfasst zahlreiche, miteinander vernetzte Baumaßnahmen in der Innenstadt. Das Herzstück bildet der Hauptbahnhof.

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„ES GEHT IMMER AUCH UM ÖFFENTLICHE ORDNUNG UND SICHERHEIT“ Bahnhofsplätze gelten oft als sozialer Brennpunkt einer Stadt. Der Augsburger Ordnungsreferent Dirk Wurm erklärt, warum das so ist und was die Stadt Augsburg in ihren öffentlichen Räumen allgemein und künftig auch am neuen Bahnhofsvorplatz für ein friedliches Miteinander und eine lebenswerte Stadt tut. TANJA GALLENMÜLLER

INTERVIEWPARTNER Dirk Wurm ist vom Augsburger Stadtrat gewählter Referent für Ordnung, Gesundheit und Sport für die Ratsperiode von 2014 bis 2020; zum Aufgabenbereich des Referats gehört u.a. das Ordnungswesen und das Büro für Kommunale Prävention als Stabsstelle.

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Zwei maßgebliche Faktoren entscheiden darüber. Der erste ist städtebaulicher beziehungsweise stadtplanerischer Art: Bestimmte Gruppen bevorzugen Plätze aufgrund ihrer baulichen Ausgestaltung – weil sie abseits liegen, nicht einsehbar oder am Abend schummrig sind. Dort treffen sich diejenigen, die ihre Ruhe haben wollen, egal aus welchen Gründen. Andere Gruppen bevorzugen Plätze mit hoher Fluktuation, sozialer Durchmischung und Offenheit. Sie wollen gesehen werden. Das sind generell zwei ganz unterschiedliche Nutzungsverhalten, die dazu führen, dass unterschiedliche Gruppen auch verschiedene Plätze aufsuchen. Und der zweite Faktor?

Das ist die Frage des Angebots. Familien zum Beispiel halten sich nicht an Orten auf,

die an eine vielbefahrene Straße grenzen oder nichts außer Bänken bieten. Dort ist es zu gefährlich beziehungsweise für Kinder zu langweilig. Gibt es dagegen einen angrenzenden Park mit einer Pumptrack, können sich größere Kinder austoben, während die Eltern auf einer Bank ihren Coffee-to-go trinken. Nur wenn man es schafft, Angebote im Raum zu formulieren, die unterschiedliche Zielgruppen ansprechen, bekommt man auch eine gute Durchmischung auf den öffentlichen Plätzen und in den Parks. Woran liegt es, dass sich gerade das Umfeld von Bahnhöfen oft zum sozialen Brennpunkt entwickelt?

In der Regel liegt es an der Verfügbarkeit von Alkohol. Ein öffentlicher Platz, in dessen Nähe eine Tankstelle oder ein Supermarkt ist, zieht diejenigen an, die Alkohol brauchen, um miteinander zu kommunizieren. Das beobachten wir in

Foto: Ruth Plössel, Stadt Augsburg

Herr Wurm, was ist ausschlaggebend dafür, wer sich wo im öffentlichen Raum aufhält?


BAHNHOFSVIERTEL INTERVIEW MIT DIRK WURM

Augsburg zunehmend auch am Rathausplatz: So groß die Vorteile sind, dass es dort seit Kurzem einen City-Supermarkt gibt, bringt es auch Nachteile mit sich. Wir brauchen diese Nahversorgung in der Innenstadt, denn sie soll ja auch wohnortnah sein. Wir müssen dann aber auch mit den Herausforderungen umgehen können. 2014 wurde der Königsplatz, Augsburgs ÖPNV-Verkehrsknoten, und seine angrenzenden Flächen neu gestaltet – offen und weitläufig. Warum wird er immer noch gerne von Randgruppen genutzt?

Der Königsplatz hat eine Historie wie jeder Platz und eine gewisse verfestigte Nutzerstruktur, die bereits vor dem Umbau existierte: Im Kö-Park gab es immer schon Dauersteher. Wenn man das weiß, muss man inhaltlich und städtebaulich viel dafür tun, diesen Ort auch anderen Nutzern schmackhaft zu machen. Wie erreicht man diese Mischung unterschiedlicher Nutzergruppen konkret?

Man braucht additive Elemente und Angebote temporärer Art, damit auch andere Nutzer positiv auf einen Platz aufmerksam werden. Eine Eisbahn, wie sie diesem Winter zum Beispiel am Königsplatz angeboten wurde, ist eine gute Idee, die weiterentwickelt werden muss – auch mit Blick auf den Sommer. Wir haben unter anderem eine temporäre Gastronomie vorgeschlagen, ein Pop-up-Café. Das sind kleine Maßnahmen, die dem Platz ein anderes Ansehen bei der Bevölkerung verleihen, und die ihn dadurch auch eher nutzt. Ich habe in den vergangenen Jahren eines gelernt: Wenn sich unterschiedliche Nutzergruppen zwar vielleicht nicht mischen, aber zumindest berühren, dann tolerieren oder akzeptieren sie sich. Damit verringern sich auch die Konflikte. Das nennt man soziale Kontrolle. Ziel ist es also, Randgruppen ihren Raum zu belassen, ihn aber zusätzlich auch für andere Nutzer attraktiv zu machen. Funktioniert das wirklich, oder werden Randgruppen am Ende doch verdrängt?

Es wird immer Mitglieder einzelner Gruppen geben, die lieber unter sich sind

und bei Veränderungen auf andere Räume ausweichen. Dass es diese Gruppen im öffentlichen Raum gibt, das ist so. Damit muss sich eine Stadt zurechtfinden. Das heißt aber nicht, dass man nicht konzeptionell und programmatisch arbeiten muss, um diesen Menschen zu helfen und sie zu unterstützen. Auch diese Gruppen brauchen Angebote. Wenn man diese Angebote nicht schafft, dann sind sie im innerstädtischen öffentlichen Raum präsent oder man verdrängt sie auf kleinere Stadtteilplätze mit genau derselben Problematik: dass sich die Anwohner in ihrem Sicherheitsempfinden gestört fühlen. Temporäre Lösungen sind eine Möglichkeit, aber wünschenswert wäre doch, bereits durch die Planung diese Mischung zu erreichen. Wie kann das aus Ihrer Sicht besser gelingen?

Ich bin kein Planer, aber meine Erfahrung aus Gesprächen mit Vertretern anderer Städte zeigt, dass es immer auch um öffentliche Ordnung und Sicherheit im öffentlichen Raum geht. Dabei spielt die städtebauliche Kriminalprävention eine wesentliche Rolle. Stadtplanung und -entwicklung ist das A und O für ein friedliches Zusammenleben in einer Stadt. Deshalb muss man sich bereits in einem frühen Planungsstadium wie gerade am Augsburger Hauptbahnhof überlegen, welche Zielgruppen man ansprechen möchte und was diese wollen. Wie muss ich einen Ort gestalten, dass ich mich nicht zu eindimensional auf eine Zielgruppe fokussiere, also nicht zu spezialisiert plane, sondern relativ einfach, aber auch veränderbar? Wie war die Situation am Augsburger Hauptbahnhof vor dem Umbau?

Vor dem Umbau war der Bahnhofsvorplatz in die Jahre gekommen. Eigentlich war er ein temporärer Parkplatz mit einer sehr unstrukturierten Abstellsituation für Fahrräder. Als der Platz geplant wurde, war nicht absehbar, dass so viele das Fahrrad wieder als günstiges und umweltfreundliches Verkehrsmittel für sich entdecken. Auf den Bänken, die es gab, hielten sich Dauersitzer auf, mehr oder weniger unkontrolliert. 37 GARTEN+ L ANDSCHAFT


PR A X IS

BIO-BETON VERBINDET Ein deutsch-nigerianisches Forscherteam hat einen biobasierten Beton entwickelt und hierfür Rohstoffe aus den Schalen der Maniokwurzel verwendet. Letztes Jahr haben die Wissenschaftler für ihr Projekt den Innovationspreis des Bundesforschungsministeriums erhalten. Wir haben uns den Ansatz erklären lassen und untersucht, wie nachhaltig der Beton wirklich ist.

Dr. Wolfram Schmidt forscht mit seinem Team an der Herstellung von nachhaltigem Beton mithilfe von Pflanzenstärke (Bild links). 2018 erhielten Schmidt und sein nigerianischer Kollege Dr. Kolawole Olonade von Ministerin Anja Karliczek den deutsch-afrikanischen Innovationspreis.

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„Beton an sich ist schon nachhaltiger als andere Baustoffe“, beginnt Wolfram Schmidt, der an der Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung (‚BAM‘) in Berlin arbeitet, das Gespräch. Gemeinsam mit seinem Kollegen Kolawole Olonade leitet er das deutsch-nigerianische Forscherteam, das 2018 den Innovationspreis abräumte. Der CO2-Fußabdruck des Betons sei im Vergleich zu anderen Massenbaustoffen gering, so Schmidt. „Wir produzieren sehr viel Beton. Ungefähr die Hälfte von allem, was die Menschheit herstellt, besteht aus diesem Baumaterial. Doch Beton ist nur für zehn Prozent des CO2-Ausstoßes der Welt verantwortlich“, erklärt er. „Die Zahl ist eigentlich relativ beeindruckend. Aber zehn Prozent sind immer noch zu viel“,

findet Schmidt. Da die weltweite Nachfrage an Beton rapide wächst, wird sich dies auch auf das globale Klima auswirken. Deshalb hat es sich das Forscherteam, das aus Wissenschaftlern der BAM und der Universität von Lagos in Nigeria besteht, zur Aufgabe gemacht, die Ökobilanz des Betons zu verbessern. „Um Beton insgesamt nachhaltiger zu machen, muss man Zement einsparen“, erläutert er. „Das Problem ist, dass wir Kalkstein als Grundstoff abbauen müssen. Das Calciumkarbonat muss in reaktives Calciumoxid umgewandelt werden, und durch diese chemische Reaktion entsteht CO2. Das ist unvermeidlich“, so Schmidt. Aber wie kann man Zement einsparen, ohne den Beton weniger dauerhaft, weniger stabil oder durchlässiger zu machen?

Fotos: BAM

TANJA SLASTEN


© DHM Sportsmarketing

Heiner Brand

„Es gibt verschiedene Ansätze. Erstens, man versucht Rohstoffe zu finden, die ähnliche Eigenschaften wie Zement haben oder den Zement irgendwie verbessern können“, verrät er. „Zweitens, man optimiert die Betonrezeptur dahingehend, dass man insgesamt mit weniger Zement auskommt. Beides geht heutzutage, und der ideale Weg ist natürlich, diese zu kombinieren.“ WASSER EINSPAREN, ZEMENT BESSER AUSNUTZEN

In Europa ersetzt man einen Teil des Portlandzements durch anfallende Reststoffe der Schwerindustrie, wie Steinkohleflugaschen oder Hüttensande. Aber in Afrika zum Beispiel sind diese Aschen nicht vorhanden. Und es macht ökonomisch und ökologisch keinen Sinn, wenn man sie exportiert. Die Lösung liegt in lokalen Rohstoffen, vor allem in ungenutzten Reststoffen der Agrarwirtschaft. Für ihre Studien verwendeten die Forscher daher Maniokschalen. In Afrika und Südamerika ist Maniok eine bedeutende Nutzpflanze und ein wichtiger Stärkelieferant. „Zwanzig Prozent des Weltbedarfs wird aus Nigeria gedeckt. Das ist dort eine gewaltige Rohstoffquelle“, erläutert Schmidt. Die Schalen der Wurzeln finden dagegen keine Verwendung, denn sie sind unverdaulich und somit als Tierfutter ungeeignet. Die Wissenschaftler konnten aber nachweisen, dass die Asche der Maniokschalen puzzolanische Eigenschaften aufweisen und daher als Zementersatzstoff geeignet sind. Doch wie viel Zement kann man mit der pflanzlichen Asche einsparen? „Aktuell nutzt man diese Schalen gar nicht. Aber ich denke, es ist realistisch, dass man bis zu 20 oder 25 Prozent des Zements durch Maniokschalenasche austauschen kann“, so Schmidt. Andere auf pflanzlicher Basis basierte Rohstoffe könnten Reisschalenasche oder Zuckerrohrbagasseasche sein. Auch an diesen Themen forschen Schmidt und seine Kollegen an der BAM mit vielversprechenden Ergebnissen. „Es gibt bestimmt viele bis heute nicht bekannte Rohstoffquellen auf Pflanzenbasis, die von großem Interesse sein könnten“, ist er überzeugt. Und wie kann man die Betonrezeptur optimieren? „Man versucht, mit weniger

Zement auszukommen. Das macht man, indem man Wasser einspart und dadurch den Zement wesentlich besser ausnutzt“, antwortet Schmidt. Denn ein hoher Wasseranteil beeinträchtigt die Festigkeit und die Dauerhaftigkeit des Betons. Damit man trotzdem die gewünschte Fließfähigkeit erhält, fügt man dem Beton geringe Mengen an Fließmitteln zu. In Europa verwendet man hierfür erdölbasierte Polymere. Doch die Stärkereste der Maniokschalen lassen sich, extrahiert, ebenfalls als Verflüssiger einsetzen. „Man kann mit guten Verflüssigern 30 vielleicht auch 50 Prozent an Wasser einsparen“, betont er. „Und ich kann die gleichen Betoneigenschaften mit weniger Zement erreichen.“ Aber auch andere Pflanzenstoffe könnte man als Verflüssiger einsetzen: Akaziengummis. Hierbei handelt es sich um getrocknete Pflanzensäfte der Akazie. Studien belegen ihre verflüssigende Wirkung. Allerdings sind noch unzählige Studien notwendig, um die exakten Mechanismen zu verstehen und sie gezielt nutzen zu können.

LIEBLINGSPLÄTZE IM WANDEL Wie die Stadtentwicklung die Herausforderung der Zukunft annimmt.

Dipl. Ing. Stefan Schurig

Dipl. Ing. Harald Fugmann

BLICK IN DIE ZUKUNFT

In Afrika verwendet man Maniokschalen bisher nicht, denn Infrastruktur und Logistik fehlen. Zudem setzt man hier meist auf europäische Normen, was die Rezeptur des Betons und deren Inhaltsstoffe angeht. Doch die Forscher wissen, dass es technologisch funktioniert. Und wie sieht es in Europa mit lokalen Rohstoffen für biobasierten Beton aus? „Ich könnte mir vorstellen, dass es die gibt. Aber ich muss gestehen, ich weiß nicht, was es ist“, gibt Schmidt zu. Bislang verwendet man Stoffe wie Polymere zum Verflüssigen sowie Hüttensande und Steinkohleflugaschen als Zementersatz, über die man hierzulande noch ausreichend verfügt. Das Interesse des hiesigen Markts an biobasiertem Beton scheint (noch) nicht vorhanden zu sein. „Aber wenn wir unsere Klimaziele erreichen wollen, müssen wir noch mehr Portlandzement ersetzen. Die uns bekannten Rohstoffe werden zusätzlich immer knapper“, fasst er zusammen und erklärt abschließend: „Man muss irgendwie eine dritte Möglichkeit finden. Mindestens.“

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Prof. Dr.-Ing. habil. Frohmut Wellner

www.kann.de


REFE R E N Z

ROT HINAUS Für den Kopenhagener Stadtteil Nordhavn entwickelten die Architekten von JAJA Architects 2016 mit dem Parkhaus „Park’n’Play“ einen absoluten Hingucker. Das eigentliche Highlight befindet sich jedoch auf dem Dach. Denn hier liegt ein weitläufiger öffentlicher Platz für Spiel und Freizeit – mit Geräten der Berliner Seilfabrik. Der Spielplatz ist der krönende Abschluss eines wortwörtlichen roten Fadens, der sich über die Fassaden- und Dachgestaltung zieht. DÉSIRÉE BALTHASAR

Parkhauses von JAJA Architekten zieht sich mittels knallroter Stangen vom Erdgeschoss bis auf das Dach. Hier greifen wiederum die Geräte des Spielplatzes Tonalität und Form auf.

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LEUCHTEND ROTE STANGEN AUF ROSTROT

Beim Blick in die Umgebung sticht eine Farbe besonders hervor: Rot. Das gesamte Hafenareal ist durch rote Ziegelbauten geprägt. Ebenso greifen die diversen Luxusimmobilien und modernen Bürobauten, die in den letzten Jahren neu hinzukamen, die Farbtonalität auf. Dieses Farbschema greift auch Park’n’Play auf. Der rostrote Farbton ist charakteristisch für das Parkhaus, unterbrochen von vertikaler Bepflanzung. Davon setzen

Fotos: UNO UNIQA Group

Der rote Faden des

Nicht nur Fläche nehmen, sondern auch Fläche geben – diesen Anspruch verfolgten die Architekten von JAJA Architects beim Projekt „Park’n’Play“. Dementsprechend konzipierten sie das Flachdach des Parkhauses als öffentliche Freizeitfläche. Im Herzen des Hafengebiets von Nordhavn bietet heute der Spielplatz ganze 24 Meter über dem Meeresspiegel, oberhalb des achten Stockwerks, auf einer Fläche von 2 400 Quadratmetern einen Rundumblick auf den Hafen, das Wasser, die Windkraftanlagen und die umliegenden Wohn- und Geschäftsgebäude.


STUDIO REFERENZ

sich knallrot leuchtende Eisenstangen ab, mit denen die Architekten von JAJA Architects einen roten Faden materialisierten, der sich um das Gebäude und über die Freifläche windet. Er beginnt als Treppenlauf auf der Straßenebene, begleitet Spielplatzbesuchende auf ihrem Weg nach oben und schlängelt sich dort weiter über die gesamte Dachfläche um Freiflächen, Spielgeräte und Sitzelemente, um auf der gegenüberliegenden Seite an einer zweiten Treppe wieder hinunterzufließen. Ebenso bestimmt er den Look der mittig platzierten Kletterpyramide. SICHER HOCH HINAUS

Genauso rot leuchtend wie die weiteren Spielgeräte dreht sich die stählerne Kletterschraube acht Meter hoch in den Himmel. Den Aufstieg an die Spitze der Pyramide bildet ein schwarzes Flächennetz, welches sich spiralförmig um den

Mittelmast windet und an der Spitze eng zuläuft. Die gebogenen Stahlrohre halten an der Außenseite die Flächennetze zusammen. Die U-Ropeseile ihrer Klettergeräte fertigt die Berliner Seilerei in der eigenen Seilerei. DOPPELT GESICHERT

Für die nötige Sicherheit ist ebenso gesorgt: Die Pyramidenform ermöglicht, dass trotz der Höhe von acht Metern die freie Fallhöhe lediglich 2,10 Meter beträgt. Denn die unteren Flächennetze sind breiter als die oberen, womit bei einem Sturz immer ein darunterliegendes Netz die fallende Person auffangen würde. Eine weitere Besonderheit der roten Kletterpyramide stellt die Befestigung an der Dachhaut dar. Die Verankerung besteht aus insgesamt 16 Abspannpunkten, die die Zugkräfte verteilen und den Eingriff in die Dachkonstruktion minimieren.

FAKTEN

Nordhavn, Kopenhagen, FERTIGSTELLUNG 2016 ARCHITEKT JAJA Architects, Kopenhagen KLETTERPYRAMIDE Berliner Seilfabrik MATERIALIEN Seil, Stahl HÖHE acht Meter STANDORT

Dänemark

24 Meter über dem Meeresspiegel, oberhalb des achten Stockwerkes befindet sich eine leuchtend rote Kletterpyramide der Berliner Seilfabrik.

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