Garten+Landschaft 04/2019

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AP RI L 2019

MAGAZ I N F Ü R L ANDSC HAF T SARC HI TEK TUR

GARTEN +

STÄDTE FÜR MORGEN

LANDSCHAFT

MEHR ALS GRÜNE DÄCHER: WIE WIR IN ZUKUNFT WOHNEN WOLLEN

mit Projektberichten zu

BUGA Heilbronn, Schumacher Quartier in Berlin und Hamburg-Jenfeld


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Auf einer innerstädtischen Brache in Heilbronn entsteht im Rahmen der BUGA

Unter dem städtebaulichen

2019 ein nachhaltiges

Konzept des Rotterdamer Büros

Wohnquartier für

West 8 verborgen, liegt in

3 500 Bewohner.

Hamburg-Jenfeld das neue Abwasserwirtschaftskonzept „Hamburg Water Cycle“ zur Gewinnung von Biogas und Phosphor.

34 Gründächer mit

Zusammenwohnen,

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verzahnte private und

In einem modularen

öffentliche Freiräume sowie

Forschungsbau in der Schweiz

Rentner auf Segways: Mit

untersucht das Projekt „UMAR“

dem Schumacher Quartier

modellhaft, wie sich Wohn-

plant Berlin Großes.

gebäude zu 100 Prozent

Wasserspeichern, generationsübergreifendes

in technische oder biologische Kreisläufe zurückführen lassen.

52 Die Bewohner der Bergmannstraße in Berlin testen im Parklet-Pilotprojekt die temporäre Umgestaltung von A24 Landschaft zur Begegnungszone.


INHALT

AREN A 06 11

SNAPSHOTS MOMENTAUFNAHME Halb voll oder halb leer?

T I T EL Mehr als grüne Dächer: Wie wir in Zukunft wohnen wollen 12

„DAS PERFEKTE NACHHALTIGE QUARTIER GIBT ES (NOCH) NICHT”

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WELLENSCHLÄGER

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Anja Koller im Interview mit Christine Lemaitre, Geschäftsführernder Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen e.V.

Neckarbogen, Heilbronn: Auf 40 Hektar bringen sinai Landschaftsarchitekten Menschen mit Artenschutz zusammen MODELLHAFT INTEGRIERT

Jenfelder Au, Hamburg: West 8 überzeugen mit neuen Wohnformen und einer Energieversorgung, die aus Abwasser Biogas macht

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NACHHALTIGKEITS-CHECK

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ICH WILL DOCH NACH BERLIN

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SELBST IST DAS DORF

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REPARIERT DAS SYSTEM

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DAS RAUMLABOR

Eike Richter von LA.BAR Landschaftsarchitekten über den neuen „Leitfaden Nachhaltige Freianlagen“ der FLL Schumacher Quartier, Berlin: bgmr plant Berlins erstes Schwammstadt-Quartier Hitzacker, Niedersachen: Auf einem Feld entsteht ein nachhaltiges Dorf, in dem ein Drittel ältere, jüngere und geflüchtete Menschen zusammenleben Ein Kommentar zu Tiny Houses von Baumeister-Redakteur Alexander Russ Über die „Urban Mining & Recycling“-Unit von Werner Sobek und Kollegen

STUDIO 50

PRAXIS Hitze unter Dach und Fach

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REFERENZ Streetstyle in Kreuzberg

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LÖSUNGEN Lösungen des Jahres

RUBRIKEN 60

Stellenmarkt/Auslobung

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Impressum

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Lieferquellen

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DGGL

66

Sichtachse

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Vorschau

Herausgeber: Deutsche Gesellschaft für Gartenkunst und Landschaftskultur e.V. (DGGL) Wartburgstraße 42 10823 Berlin www.dggl.org

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„DAS PERFEKTE NACHHALTIGE QUARTIER GIBT ES (NOCH) NICHT“ Wie baut man nachhaltige Stadtquartiere? Und was bedeutet Nachhaltigkeit im Planungsprozess? Mit ihrem Zertifizierungs­ modell will die Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB) qualitatives Bauen fördern, das sich an ökologischen, ökonomischen und sozialen Prämissen orientiert. Wir sprachen mit Geschäftsführerin Christine Lemaitre darüber, wie man Nachhaltigkeit in der Freiraumplanung misst, warum die Zertifizierung für mehr Transparenz und Interdisziplinarität in der Planung sorgen kann und welche Neuerungen die aktuelle Überarbeitung des Zertifizierungssystems für Quartiere mit sich bringt. ANJA KOLLER

INTERVIEWPARTNERIN Christine Lemaitre studierte Bauingenieurwesen an der Universität Stuttgart. Ab 2003 war sie am Institut für Leichtbau, Entwerfen und Konstruieren der Universität Stuttgart tätig, ab 2007 bei der Bilfinger Berger AG. 2009 übernahm sie die Leitung der Abteilung System bei der DGNB. Seit Februar 2010 ist sie dort Geschäftsführender Vorstand.

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NACHHALTIGE WOHNQUARTIERE TITELTHEMA

Was bedeutet nachhaltiges Bauen für die DGNB?

Nachhaltig Bauen geht für uns immer mit Qualität einher. Wir müssen über Qualität und unser Verständnis davon sprechen, weil das Thema Nachhaltigkeit so überstrapaziert ist. Nachhaltigkeit ist für uns also qualitatives Bauen, bei dem wir ökologische, ökonomische und auch soziale Gesichtspunkte berücksichtigen. Und: Wir betrachten das Gebäude, das Stadtquartier immer in seinem Kontext, nie separat. Wer sind die Auftraggeber einer Zertifizierung? Und was haben diese davon, ein Gebäude oder ein Stadtquartier nach DGNB­Kriterien zertifizieren zu lassen?

Das sind Investoren, Bauherren, Planer, Architekten. In erster Linie ist es natürlich ökonomisch interessant, denn nachhaltige Gebäude und Quartiere sind werthaltiger bei geringeren Betriebs- und Unterhaltskosten. Planern und Architekten versprechen wir zudem eine höhere Planungseffizienz. Jemand muss irgendwann Entscheidungen treffen, Empfehlungen abgeben. Das kann einem das DGNBSystem nicht abnehmen, aber es kann unterstützen. Und ehrlich gesagt: Es macht sogar noch schneller transparent, wenn ökologische, ökonomische, soziokulturelle Aspekte nicht im Einklang sind. Seit 2012 gibt es zusätzlich zum Gebäudezertifikat, das sich auf Bestands­ und Neubauten bezieht, noch das Quartierszertifikat. Bietet dieses die Chance, Nachhaltigkeit in der Freiraumplanung zu operationalisieren?

Ein Zertifikat kann nicht die Verantwortung übernehmen, die ein Planer hat. Unser Zertifikat ist ein Leitfaden, ein Optimierungstool, mit dem man schon sehr früh in der Planung alle relevanten Themen sichtbar macht und zusammenbringt und die individuellen Zielvorstellungen definiert. Vor allem bei der Stadtentwicklung, bei der Prozesse oftmals sehr langwierig und viele verschiedene Akteure involviert sind, kann man so Ziele konsequent verfolgen. Aber wie nachhaltig das Gebäude, das Stadtquartier letztendlich ist, diese Verantwortung liegt beim Planer, nicht bei uns.

Welche Kriterien betreffen denn die Freianlagen im Einzelnen?

Wir sind gerade dabei, das Quartierssystem zu überarbeiten. Uns geht es darum, dass wir die Themen aus unterschiedlichen Perspektiven gleichgewichtet betrachten. Freiraumthemen werden tangiert, wenn wir eine Ökobilanzierung vornehmen. Wir schauen die Umweltwirkungen – von der Erstellung, über den Betrieb bis hin zum Rückbau – an, die Lebenszykluskosten, die Außenraumqualität. Wir analysieren, wie man Orte zwischen den Gebäuden gestaltet. Das DGNB-Zertifikat ist keine Checkliste; Freiraumgestaltung wird in unterschiedlichen Qualitätsgruppen bewertet. Es kann auch sein, dass man bei einer aufwendigen Außenraumgestaltung in der Ökobilanzierung vielleicht ein wenig schlechter abschneidet, dafür aber auf soziokultureller Ebene besser. Das muss man abwägen als Planer. Keine Schwarz-Weiß-Bewertung also...

Genau. Eher eine ganzheitliche Betrachtung unterschiedlicher Qualitätsaspekte, die man abwägen muss, die einem aber auch dabei helfen, den Nachhaltigkeitsbegriff für Gebäude, für Quartiere zu formulieren. Was wird nach der Überarbeitung der Quartierssysteme Neues auf die Planer zukommen?

Wir übertragen die Logik der Quartierssysteme auf die der Gebäudenutzungsprofile, die es schon auf dem Stand der Version 2018 gibt. Hier sehen wir beispielsweise Innovationsräume vor. Die Planer haben entweder die Möglichkeit, die Anforderungen an ihre Planungen so zu erfüllen, wie es im DGNB-Kriterienkatalog formuliert ist. Sie können aber auch eigene Vorschläge machen und damit verdeutlichen, wie sie das Grundziel des jeweiligen Kriteriums erreichen. Wie funktioniert das im Planungsprozess? Bedeutet das mehr Individualität und Flexibilität?

Ja, nehmen wir als Beispiel einmal das Thema der Außenraumqualität. Im DGNB-System fragen wir: Gibt es Flächen, auf denen die Menschen sich

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Blick auf das BUGAGelände mit der temporären „Sommerinsel“ und den sogenannten „Ripples“ (leichte Wellen) von LOMA aus Kassel. Die Fläche wird nach der Schau Baufeld sein. Der Karlssee rechts davon dient als Speicher für das Niederschlags-

links des Neckarkanals gestaltete sinai als Lärmschutzwall. Dieser enthält auf der anderen Seite eine Spielklippe.

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Foto: Nikolai Benner

wasser. Die Böschung


NACHHALTIGE WOHNQUARTIERE NECKARBOGEN, HEILBRONN

WELLENSCHLÄGER Als „Stadt am Fluss“ möchte sich Heilbronn aus der Mitte heraus erneuern. Dafür nutzt die Stadt im Rahmen der BUGA 2019 eine 40 Hektar große innerstädtische Brache und entwickelt auf dieser ein modellhaftes Wohnquartier. Das Freiraumkonzept ist dabei wesentlicher Bestandteil, es vereint die Sehnsüchte des Menschen nach Stadt- und Naturerleben auf engstem Raum. THOMAS ARMONAT

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MODELLHAFT INTEGRIERT Stadtteile wie Jenfeld gibt es in vielen Großstädten. Sie sind in den 1950er- bis 1970er-Jahren an den Stadträndern hoch hinausgeschossen, und sie sehen sich zum Verwechseln ähnlich. Großmaßstäbliche Wohnsiedlungen an der Grenze zu Schleswig-Holstein ließen das Hamburger Bauerndorf Jenfeld zu einem Stadtteil von heute etwa 25 000 Einwohnern anwachsen. Die Dorfmitte verschwand. Mit der Schließung der LettowVorbeck-Kaserne im Jahr 1999 eröffnete sich dem Bezirk Wandsbek die Chance, auf 35 Hektar mit ambitionierten Ideen ein neues Stück Stadt zu gestalten. Noch ist das Projekt nicht abgeschlossen. Ein Zwischenbericht. LJUBICA HEINSEN

AUTORIN Ljubica Heinsen studierte Landschaftsplanung an der TU Berlin und arbeitete in mehreren Hamburger Landschaftsarchitekturbüros. Seit 2010 ist sie als freiberufliche Journalistin tätig.

35 Hektar umfasst das neue Wohnquartier Jenfelder Au. West 8 entschieden sich für Backsteinfassaden in unterschiedlichen Farbtönen für die verschiedenen Gebäudetypen.

Visualisierungen: West 8

Das Büro West 8 urban design & landscape architecture b.v. aus Rotterdam schrieb das Konzept zum Stadtentwicklungsgebiet „Jenfelder Au“. Nachdem sich seine Ideen beim städtebaulichen Wettbewerb im Jahr 2006 durchsetzen konnten, erntete das Projekt bereits in der Planungsphase Vorschusslorbeeren. 2010 wurde es mit dem International Urban Landscape Award der Zeitschrift topos in Kooperation mit dem Immobilienfinanzierer Eurohypo ausgezeichnet. Zudem nahm die IBA Hamburg die Jenfelder Au in die Liste ihrer Referenzobjekte auf. „Das neue Quartier vereint hochwertigen neuen Städtebau unter Einbeziehung der historischen Bausubstanz der Kaserne mit hohen freiräumlichen und ökologischen Ansprüchen“, so IBAGeschäftsführer Uli Hellweg im Jahr 2012. Ein zentrales Thema des prämierten Städtebaus ist, neue Wohnformate im Stadtteil zu etablieren. „In Jenfeld gibt es

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NACHHALTIGE WOHNQUARTIERE JENFELDER AU, HAMBURG

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Sobald der Flughafen Tegel schließt, soll am Berliner Kurt-SchumacherPlatz ein Wohnviertel entstehen: das Schumacher Quartier. Neben innovativen Konzepten für gemeinschaftliches Wohnen und Verkehr hält es ungemein viel Grün für ein zukunftsfähiges Regenwassermanagement bereit. SUSANNE ISABEL YACOUB

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Visualisierung: Tegel Projekt GmbH

ICH WILL DOCH NACH BERLIN


NACHHALTIGE WOHNQUARTIERE SCHUMACHER QUARTIER, BERLIN

AUTORIN Susanne Isabel Yacoub ist Landschaftsarchitektin und Gärtnerin. Sie arbeitet als Fachjournalistin und dreht Filme zu Architektur und Landschaftsarchitektur.

Gemeinschaftlich genutzte Dachgärten und Straßenzüge, die zu Pocket-Parks werden, wo sich die Bewohner auf Liegestühlen räkeln, am Straßenrand Blumen heranziehen und Kinder bei Regen durch XXL-Pfützen hüpfen. Sobald der Flughafen Tegel geschlossen ist – alle hoffen auf 2021 – wird dort, im neuen Schumacher Quartier, Berlins erstes radikales Schwammstadtmodell Wirklichkeit: 5 000 Wohnungen, zumeist in Fünfgeschossern, errichtet für 10 000 Bewohner – ein aus dem Boden gestampfter, verdichteter Kiez. Und doch versprechen die Planer scheuvens + wachten plus aus Dortmund mit ihrem 2016 prämierten Entwurf eine entspannte Idylle. Denn in der Schwammstadt von morgen fahren

kaum noch Autos, Frei- und Grünräume spielen dagegen eine entscheidende Rolle. Grund dafür ist der Klimawandel, der neuerdings auch in unseren Breiten Hitze und phasenweise Dürre mit Überschwemmungen nach sintflutartigen Regengüssen paart. Städte und Kommunen müssen und wollen darauf reagieren. Doch aller Anfang ist schwer. GRÜN ERSETZT STRASSEN

Idylle statt Flughafen: Ab 2021, so die Hoffnung, soll in

„Das Quartier wird extrem begrünt sein, das Regenwasser wird vor allem zur Verdunstungskühlung eingesetzt. Für Extrem-Regenereignisse nutzen wir die Straßen als Notwasserwege und den Park zur Versickerung. Voraussetzung ist, dass

Berlin-Tegel das Schumacher-Quartier mit viel Grün, ohne Autos und nach dem Prinzip einer Schwammstadt entstehen.

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Die Idee, im Sinne nachhaltigen Bauens, Material beim Objektabbruch wieder dem Kreislauf in Form von Recycling oder Upcycling zurück­ zuführen, liegt förmlich auf der Hand. Doch sind die entsprechenden Ansätze noch nicht im Planungsalltag angekommen. Mit dem Forschungsprojekt "UMAR" testen Werner Sobek und Kollegen, wie Wohnbauten künftig zu 100 Prozent in technische oder biologische Kreisläufe zurückgeführt werden können und sammeln dabei Erkenntnisse, die auch die Freiraumplanung revolutionieren könnten. MELANIE SCHLEGEL

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Foto: zooey braun FOTOGRAFIE

DAS RAUMLABOR


NACHHALTIGE WOHNQUARTIERE PORTRÄT: URBAN MINING & RECYCLING

AUTORIN Melanie Schlegel ist studierte Architektin. Sie arbeitet seit 2012 als freie Redakteurin und Autorin. Schwerpunkte ihrer Tätigkeit sind die Themen Architektur, Design, Bauhandwerk und Stadtplanung.

Seit 2016 steht im schweizerischen Dübendorf der Basisbau des Forschungs- und Innovationsgebäudes mit dem Kunstnamen „NEST” – Next Evolution in Sustainable Building Technologies. Es handelt sich hierbei um einen modularen Gebäudetyp, bestehend aus einem Hauptgebäude – dem sogenannten „Backbone“ – mit drei offenen Plattformen und einem knappen Dutzend sogenannter „Units“. Diese Units sind belebte Versuchslabore. Sie befassen sich mit einer Fülle an Forschungsbereichen – unter anderem mit Holzinnovationen, dem Büro der Zukunft, mit digitalem Bauen und Wohnen, mit Abfall und Recycling-Materialien oder mit urbanem Wasser- und Abwassermanagement. Acht der Units wurden bis heute realisiert. In ihnen wird gearbeitet und gewohnt, aber auch bautechnologisch experimentiert, indem neue Produkte modellhaft unter realen Bedingungen validiert, verbessert und demonstriert werden. Internationale Forscherteams aus Universitäten und Fachhochschulen, Architekturbüros, innovative Unternehmen aus der Baubranche und die öffentliche Hand erarbeiten daran gemeinsam die Zukunft des Bau- und Energiebereichs. Das NESTProjekt hat die Eidgenössische Materialprüfungs- und Forschungsanstalt (EMPA) als Forschungsprojekt ins Leben gerufen, finanziert aus staatlichen Forschungsgeldern und Drittmitteln.

NEST ist ein

bautechnologische Experimente ermöglicht und Gäste beherbergt. Der Bau ist als vertikale Stapelung von Bauparzellen

TRIPLE ZERO

Für den viergeschossigen Basisbau des infrastrukturellen Gebäudes zeichnet das Architekturbüro Gramazio Kohler aus Zürich verantwortlich. Im NEST sind Bauparzellen um einen zentralen Atrium- und Erschließungskern angeordnet. Im Erdgeschoss befinden sich Foyer-, Lounge- und Ausstellungsflächen sowie Sitzungs- und Vortragsräume, im Untergeschoss großzügig dimensionierte Technikräume und auf dem Dach stehen die für die bautechnologischen Experimente nötigen, technischen Apparate bereit, an denen unter anderem Sonnenkollektoren installiert werden können. Auf den Bauparzellen wurden voneinander unabhängige, ein- bis zweigeschossige, experimentelle Bauten – die Units – errichtet.

Für Sobek sind solche Ideen zwar nicht neu, aber aktuell so wichtig wie nie: „Bereits Ende der 1990er-Jahre habe ich mit meinem eigenen Wohnhaus R128 in Stuttgart das von mir entwickelte Triple-Zero-Konzept voll umgesetzt.“ Gebäude, die nach diesem Konzept errichtet werden, verbrauchen keine fossil oder nuklear basierte Energie (zero energy), erzeugen keine Emissionen von CO2 oder anderen für Mensch oder Umwelt schädlichen gasförmigen Abfällen (zero emissions), und sie können bis zu 100 Prozent in technische oder biologische Kreisläufe zurückgeführt werden (zero waste). „Meinen Entwürfen und Planungen lege ich, wo immer möglich, das TripleZero-Konzept zugrunde“, erläutert Sobek, „denn nur mithilfe dieses Nachhaltigkeitskonzepts kann ich definieren, welche Anforderungen ein Gebäude in energetischer und materieller Hinsicht erfüllen sollte, um wirklich nachhaltig zu sein.“

„URBAN MINING & RECYCLING“

INNOVATION IN DEN VERBINDUNGEN

Eine der Units heißt „Urban Mining & Recycling“ („UMAR“). Das Wohnmodul wurde aus sortenrein wiederverwendbaren, wiederverwertbaren oder kompostierbaren Materialien nach den Plänen von Werner

Wie schon bei seinem Wohnhaus R128 steckt auch die Innovation des UMARs in den Verbindungen. Zwar bestehen das Tragwerk und große Teile der Fassade aus unbehandeltem Holz und nicht aus Stahl,

DAS NEST-BACKBONE

Forschungsbau, der

Sobek, Dirk E. Hebel und Felix Heisel realisiert. Besonders im Hinblick auf immer knapper werdende Ressourcen setzt UMAR die Ideen zur Mehrfachnutzung und Rezyklierbarkeit von Materialien ebenso konsequent um wie die zu alternativen Konstruktionsmethoden. „Bei unserem Projekt UMAR haben wir das erste Gebäude errichtet, das zum überwiegenden Teil aus Rezyklaten besteht“, sagt Sobek und führt fort: „Wir haben so gezeigt, wie mit den aktuell am Markt verfügbaren Materialien und Technologien schon heute so gebaut werden kann, dass die erforderliche Kreislaufgerechtigkeit gewährleistet ist.“ Auf dem Weg zu einer nachhaltigeren Bauwirtschaft ist der Kreislaufgedanke von hoher Bedeutung. Die im UMAR verwendeten Materialien – sorten- und rückstandsfrei – werden nicht verbraucht und dann entsorgt, sondern vielmehr für eine bestimmte Zeit ihrem Kreislauf entnommen und später in diesen zurückgeführt. Unter anderem werden neuartige Dämmplatten aus Pilz-Myzelium, innovative Recyclingsteine, wiederverwertete Isolationsmaterialien sowie geleaste Teppichböden verwendet.

konzipiert. Eine dieser Parzellen nutzt das Team von Werner Sobek für sein Projekt „Urban Mining & Recycling“.

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