Garten + Landschaft 05/2019

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M AI 2019

MAGAZ I N F Ü R L ANDSC HAF T SARC HI TEK TUR

GARTEN +

STÄDTE FÜR MORGEN

LANDSCHAFT EIN HERZ, DAS KANN MAN REPARIEREN – STRATEGIEN FÜR EINEN BESSEREN TOURISMUS

mit Best Practices aus

der Sächsischen Schweiz, dem Hochschwarzwald sowie Leipzig und Region


20 Sanft durch Berg und Tal: Die österreichischen

24

Gemeinden Werfenweng, Weissensee und Mallnitz entwickeln sich zu

Die Schweizer Architektin

Vorreitern in Sachen

Fiona Pià analysierte in

ökologische Mobilität.

einer Studie repräsentative Bergstädte auf ihren Zersiedlungsgrad und entwickelt die Idee einer neuen Form von alpiner Urbanisierung.

CARTE COMPARATIVE

VERBIER

ZERMATT

AVORIAZ

La densité bâtie

pp. 40-46

pp. 71-73

pp. 102-103, 106-107

2014

0,40

0,61

0,71

60 %

40 %

3%

2030 pour Andermatt Swiss Alps

Verbier : 963’000m 2 construits sur 235 ha de surface à bâtir. Zermatt : 1’135’360m 2 construits sur 185 ha de surface à bâtir. Avoriaz : 290’000m 2 construits sur 41 ha de surface à bâtir. Whistler-Blackcomb : 813’460m 2 construits sur 59 ha de surface à bâtir. Andermatt Swiss Alps : 260’000m 2 construits sur 30 ha de surface à bâtir, en comptant l’infrastructure du podium 365’000m 2 construits sur 30 ha de surface à bâtir.

0

500 m

Zoom sur la densité bâtie

2014

2030 pour Andermatt Swiss Alps

Pourcentage de chalets individuels sur la totalité des m 2 construits

34

0

50 m

Bernadette Spinnen macht es vor: Die Leiterin von

Tourismus. Hierfür stellt sie

42

die Bedürfnisse der

Die Berliner Innenstadtquartiere

Münster Marketing engagiert sich für gesunden

werden touristifiziert. Ihre

Bewohner vorne an – durch Aktionen wie dem Hansemahl in Münster.

Mixité du programme

0

500 m

pp. 55, 64-65

Charaktere ändern sich, 90,3 % sie

pp. 112, 120-121

81,5 %

de logements

de logements

69,5 %

de logements

4,8 % d’hôtels

17,6 % d’hôtels

2%

4,9 %

12,9 %

16,5 %

werden lauter und lassen den Bewohnern kaum noch Raum. d’équipements publics

d’hôtels

d’équipements publics

d’équipements publics

46 Als Digitalstrategen beraten sie Tourismusorganisationen bei ihrem Onlineauftritt: das Hamburger Büro netzvitamine.


INHALT

AREN A 06 11

SNAPSHOTS MOMENTAUFNAHME Erinnerungslücke schließen

T I T EL Ein Herz, das kann man reparieren – Strategien für einen besseren Tourismus 12

„DEN GAST HOLT MAN AUF DER COUCH AB “

16

WEITSICHT IN GRÜN ANDERMATT SWISS ALPS

20

0,87 ELEKTRO-PARTY IN DEN BERGEN

24

DICHTE DURCH KONTEXT

30

KUCKUCK RUFTʼS AUS DEM WALD

34

EIN HOCH AUF UNS

38

4% BLAU IST EINE WARME FARBE

42

SCHLAFLOS IN BERLIN

45

WIR SIND ALLE TOURISTEN

46

VITAMIN-D-SPRITZE

WHISTLER-BLACKCOMB pp. 133-135

1,37

Whistler : 1,09 Blackcomb : 2,39

0%

Best Practice: Sächsische Schweiz pp. 178-183

0,20

densité de l’étalement urbain alentour

Interview mit dem Tourismusstrategen Alexander Schuler

Whistler : 1,09 Blackcomb : 2,39

1,22 Sanfte Mobilität in Werfenweng, Weissensee und Mallnitz sur l’infrastructure du podium

Die Architektin Fiona Pià über die Zersiedlung alpiner Regionen Best Practice: Hochschwarzwald Warum Stadtmarketing sich auf den Bewohner konzentrieren sollte – ein Plädoyer Best Practice: Leipzig und Region Die Auswirkungen von „overtourism“ in Berlin und was die Stadt dagegen macht G+L-Redakteurin Vanessa Kanz über Airbnb in unseren Städten Die digitalen Strategen „netzvitamine“ im Porträt

STUDIO

pp. 127, 132, 138-139

de logements

31 %

de logements

48 % d’hôtels

20 %

21 %

40 %

d’équipements publics

40 %

50

PRAXIS Kein Kinderspiel

52

REFERENZ Schritt für Schritt

54

LÖSUNGEN Bodenbeläge im Außenbereich

d’hôtels

d’équipements publics (10 % + 30 % infrastructure du podium)

RUBRIKEN 60

Stellenmarkt

63

Impressum

63

Lieferquellen

64

DGGL

66

Sichtachse

66

Vorschau

Herausgeber: Deutsche Gesellschaft für Gartenkunst und Landschaftskultur e.V. (DGGL) Wartburgstraße 42 10823 Berlin www.dggl.org

5 GARTEN+ L ANDSCHAFT


„DEN GAST HOLT MAN AUF DER COUCH AB“ Es ist statistisch erwiesen: Die Touristenzahlen in deutschen Städten haben zugenommen. Ebenso hat sich das Reiseverhalten der Gäste geändert. Unsere Kommunen kämpfen mit den Veränderungen. Sie haben es versäumt, die entsprechenden Transformationsprozesse einzuleiten. Gemeinsam mit der ­Beratungsfirma­BTE­Berlin­suchen­die­Vorreiter­unter­ihnen­nach­ neuen Strategien. Wir sprachen mit Alexander Schuler, geschäftsführender Gesellschafter der Tourismus- und Regionalberatung, was unsere Städte heute in puncto Tourismus tun müssen. THERESA RAMISCH

INTERVIEWPARTNER Dr. Alexander Schuler studierte Wirtschaftsund Sozialgeografie, Soziologie und Umweltwissenschaften an der Uni Potsdam und promovierte berufsbegleitend an der Leuphana Universität Lüneburg in Wirtschaftswissenschaften.

12 GARTEN+ L ANDSCHAFT


TOURISMUS INTERVIEW ZUM TITELTHEMA

Keiner mag Touristen. Geben Sie es zu, Herr Schuler, Sie doch auch nicht, oder?

Das kommt auf die Touristen an. Aber ich gebe zu: Wenn ich reise, dann möchte ich neue Kulturen kennenlernen, suche den kulturellen Austausch. Den Kontakt zu dem Berliner aus meinem Kiez suche ich dann nicht. Touristen haben derzeit einen denkbar schlechten Stand. Stichwort: „overtourism”.

Sicher, in vielen Städten wie in Berlin diskutiert man gerade intensiv über vermeintlich zu viele Touristen, ähnlich wie in Venedig und in Barcelona. Das muss ernst genommen werden. Bei genauer Betrachtung zeigt sich allerdings, dass „overtourism“ kein Problem einer Stadt in der Fläche ist, sondern das von Stadtteilen und Quartieren. So wie es aktuell diskutiert wird, ist es zu heiß gekocht. Wie meinen Sie das?

Gerade hat jeder etwas dazu zu sagen, doch das Thema Kapazitätsgrenzen kennen wir seit Anbeginn der Tourismusplanung. Es ist nichts Neues. Man könnte meinen, das Phänomen bricht wie eine Welle über uns herein. Fakt ist jedoch: Es war früh erkennbar, dass der Tourismus gerade in den Städten so stark zunehmen würde. Das sind die Geister, die wir riefen – unter anderem durch entsprechendes Marketing. Wir sind also an unseren vollen Innenstädten selber schuld?

Ja, der Tourismus hat zugenommen, weil wir wohlhabender geworden sind, weil wir viel mehr Möglichkeiten im Bereich der Mobilität haben – denken Sie nur an all die Billigairlines und die neuen Flugverbindungen – und weil sich das Volumen an internationalen Gästen, insbesondere der asiatischen, drastisch erhöht hat. Tourismus ist ein Luxusgut, das wir uns leisten können. Und Reisen ist Lifestyle.

Es gehört einfach dazu. Früher ist man aus bildungstechnischen Gründen gereist. Heute reisen wir, um zu berichten und um unsere Fotos auf Instagram zu posten. Das ist die Instagrammability, von der alle sprechen. Millenials suchen ihre Urlaubsziele nach deren Social-Media-Verwertbarkeit aus. Und ein Musikclip von Justin Bieber führte dazu, dass eine ganze Schlucht in Island gesperrt werden musste. Sie hält den neuen Besuchermassen nicht stand. Schauen wir der Wahrheit ins Gesicht: Wir sind alle Touristen und wenn wir reisen, wollen wir alle unseren persönlichen Vorteil.

Ja, und unsere Städte und Regionen verändern sich dadurch. Es hat alles zwei Seiten. Als

Bewohner einer Stadt wünschen wir uns kulturelle Angebote, Bars, Clubs und Cafés. Diese brauchen Touristen als Einnahmequelle. Wenn dann deren Kapazitätsgrenze erreicht ist, beschweren wir uns. Das ist Messen mit zweierlei Maß. Abgesehen vom Finanziellen, was hat eine Stadt, eine Region von Tourismus?

Kulturellen Reichtum. Für uns Stadtbewohner heißt das, dass wir nicht immer in ferne Länder reisen müssen, wir haben das Fremde bei uns zu Gast. Das ist bereichernd und fördert die persönliche Entwicklung. Und wenn man das Monetäre mitdenkt?

Eine funktionierende und vielfältige Kultur-, Freizeit- und Gastronomieszene, von der auch die Einwohner profitieren und die nur durch die Einwohner nicht überleben könnte. Gleiches gilt auch für Parks, Wanderwege, Radwege oder Spielplätze. Ein funktionierender Tourismus steigert die Lebensqualität auch und gerade für die Bewohner einer Stadt oder Region. Letzten Endes werten all diese Einrichtungen den Imagefaktor und die Lebensqualität eines Standorts auf. Eine Person, die sich bei einem gleichwertigen Job zwischen zwei Städten entscheiden kann, wird sich immer für die Stadt mit der höheren Lebensqualität entscheiden. Eine Stadt tut gut daran, sich für den Tourismus und den Freizeitwert vor Ort zu engagieren. BTE berät Kommunen, Landkreise, Ministerien und Tourismusorganisationen bei der Entwicklung von Tourismuskonzepten und -strategien. Welchen Herausforderungen stellen diese sich derzeit?

Viele dieser Institutionen kämpfen damit, dass sich unser Informations- und Reiseverhalten stark verändert hat. Früher hat der Gast eine Broschüre gelesen, ist in den Ort gefahren und hat in der Touristeninformation nachgefragt, was er vor Ort machen kann. Dann kam das Smartphone. Heute haben wir einen optimal informierten Gast, der schon vor Reisebeginn von seinem mobilen Endgerät auf sämtliche Destinationswebseiten zugreifen möchte. Da muss die Stadt oder Region mithalten können. Wo hakt es außerdem?

Es gibt nicht mehr den einen Gast, die eine Zielgruppe, sondern ein sehr differenziertes Zielgruppenverhalten. Der Tourist von heute verreist vielleicht mit der Billigairline, übernachtet aber trotzdem im Vier-Sterne-Hotel. Hinzukommen die Veränderungen durch den Klimawandel. Das Mittelgebirge kann nicht mehr per se auf Skitourismus setzen, es braucht ein Angebot, das ganzjährig ist. Und: 13 GARTEN+ L ANDSCHAFT


Sonnenaufgang über

gebirge in der Sächsischen Schweiz: Die Besucherzahl hält sich zu dieser Tageszeit noch in Grenzen.

16 GARTEN+ L ANDSCHAFT

Foto: Philipp Zieger

dem Elbsandstein-


TOURISMUS BEST PRACTICE: SÄCHSISCHE SCHWEIZ

WEITSICHT IN GRÜN Die jährliche Besucherzahl von sieben Millionen Menschen geht an der Naturlandschaft der Sächsischen Schweiz nicht spurlos vorbei. Um die Region rechtzeitig und vor allem langfristig zu schützen und sie gleichzeitig als attraktive Urlaubsdestination zu erhalten, setzt der Tourismusverband auf eine Nachhaltigkeitsstrategie, die das vorrangige Ziel des Naturschutzes mit den Interessen der Bewohner, der Besucher und der Tourismuswirtschaft vereint. YVONNE BETHAGE

Wie viele Gäste verträgt das Elbsandsteingebirge? Mit dieser Frage befasst sich der Tourismusverband Sächsische Schweiz seit geraumer Zeit. Jährlich lockt die zerklüftete, kreidezeitliche Erosionslandschaft mit ihren faszinierenden Landschaftsformen auf engstem Raum – Felsen, Tafelberge, Ebenen, Schluchten und Täler – Millionen von Menschen an, die hier Natur erleben wollen. Das Elbsandsteingebirge erstreckt sich über die Grenze hinaus nach Tschechien und umfasst zwei Nationalparks: die Sächsische Schweiz in Deutschland und die Böhmische Schweiz in Tschechien. Der Tourismus ist von überdurchschnittlicher Bedeutung für die dort lebenden und arbeitenden Menschen. Das Wachstum der Branche ist stabil, betrachtet man Bekanntheitsgrad, Gästeankünfte und

Übernachtungszahlen. Die beste Zeit also, über sich ändernde Rahmenbedingungen nachzudenken und die Weichen für die Zukunft zu stellen. Denn wenn die Sächsische Schweiz als Urlaubsziel auch weiterhin erfolgreich auf dem Markt agieren will, muss sie mit dem gesellschaftlichen Wandel gehen, sich ökologischen und sozialen Herausforderungen stellen. Das bedeutet konkret: Die Nachfrage nach Naturtourismus sowie nach besonderen und individuellen Erlebnisangeboten steigt, und damit wird der Schutz der Natur auch immer wichtiger. Auch die Interessen der Bewohner und Arbeitnehmer spielen eine immense Rolle und müssen in alle Betrachtungen mit einfließen. Aus diesem Grund befasst sich der Tourismusverband seit geraumer Zeit mit dem 17 GARTEN+ L ANDSCHAFT


Ohne­Auto­in­den­Urlaub?­Dafür­aber­mit­dem­Elektroflitzer­durch­ die Landschaft düsen und mit Bus oder Kutsche kostenlos von­A­nach­B­chauffiert­werden?­All­das­fällt­unter­das­Angebot­ der sogenannten sanften Mobilität, die einige österreichische Tourismusorte praktizieren. In Kärnten hat sich sogar schon vor zwanzig Jahren eine Art ländliches Uber etabliert. WOJCIECH CZAJA

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Foto: Tourismusverband Werfenweng/Christian Schartner

ELEKTRO-PARTY IN DEN BERGEN


TOURISMUS SANFTE MOBILITÄT IN ÖSTERREICH

AUTOR Wojciech Czaja, geboren in Polen, studierte Architektur und lebt als freischaffender Architekturjournalist und Moderator in Wien. Vor Kurzem erschien sein Buch „Hektopolis. Ein Reiseführer in hundert Städte“ (Edition Korrespondenzen).

Die Gemeinde Werfenweng bietet ihren Gästen mit der SAMO-Card im Sommer eine kostenlose Auswahl von elektronischen Freizeitfahrzeugen an.

„Herzlich willkommen im Wood Ridge Werfenweng! Sie haben ein Doppelzimmer reserviert. Sie sind die ersten Gäste, die heute anreisen, daher können Sie sich aussuchen, ob Sie lieber im Black Bear, im Silver Wolf oder im Little Beaver nächtigen möchten. Welches Haus spricht Sie denn am meisten an?“ Dann kommt die überraschende Frage, durch die die kurze Auszeit der nächsten Tage die alles entscheidende Kehrtwende macht: „Möchten Sie den Autoschlüssel für die Dauer Ihres Aufenthalts bei uns abgeben und dafür das Angebot der sanften Mobilität in Anspruch nehmen?“ Wie bitte? Sanfte Mobiltät, kurz SAMO, nennt sich jenes Programm, das die kleine Salzburger Gemeinde Werfenweng – die zwar nur tausend Einwohner hat, dafür aber über doppelt so viele Gästebetten verfügt – im Jahr 2000 eingeführt hat. Zum SAMOAngebot zählen allerlei Mobile, die durch Muskelkraft oder Strom in Gang zu bringen

sind und ausgeliehen werden können: Langlauf-Skier, Schneeschuhe, Gokarts, Mountainbikes, E-Bikes, E-Scooter, Segways, Squads, Arrows, Twips und wie sie alle heißen mögen. Darüber hinaus gibt es insgesamt elf Elektroautos, die man bei Bedarf anmieten kann – neun BMW i3 und zwei Renault Zoe. Hinzu kommen diverse Wanderbusse, Skiliftzubringer und romantische Pferdekutschenfahrten. Und wenn der Abend lang und der Alkoholkonsum umfangreicher ausgefallen ist als gedacht, kann man ein Elektrotaxi, ein sogenanntes Elois, ordern. Das gesamte Angebot steht kostenlos zur Verfügung. Einzige Bedingung: Der Gast muss seinen Autoschlüssel abgeben und eine einmalige SAMO-Gebühr von zehn Euro pro Card entrichten. „Und wenn Sie das nächste Mal mit der Bahn anreisen“, sagt die Dame beim Einchecken, „dann werden wir Sie gerne mit dem W3-Shuttle vom Bahnhof abholen. Das Shuttle bringt Sie dann nach Werfenweng sowie in unsere beiden Nachbargemeinden.“ Aha, daher also die hochgestellte 3 im Namen. „Auch das wird selbstverständlich im Preis inbegriffen sein. Also? Wie haben Sie sich entschieden?“ Der Schlüssel wird über den Tresen geschoben. Und das passiert in Werfenweng, rund 60 Kilometer südlich von Salzburg, gar nicht so selten. „70 Prozent aller Hotels, Pensionen und Privatvermieter sind mit uns eine Kooperation eingegangen und bieten die SAMO-Card an“, erklärt Bürgermeister Peter Brandauer, der der Gemeinde seit dreißig Jahren vorsteht. „Aus unseren Statistiken wissen wir, dass die Karte von rund 10 000 Urlaubsgästen pro Jahr angenommen wird. Und der Anteil wird größer und größer.“ In den kleineren Betrieben gehöre die SAMOMitgliedschaft längst schon zum guten Ton, sagt Brandauer. Aber selbst dem 2012 eröffneten Travel Charme Bergresort, das mit 120 Zimmern der mit Abstand größte Beherbergungsbetrieb weit und breit ist, wurde als Bedingung für die Ansiedlung die SAMO-Mitgliedschaft auferlegt. Finanziert wird die sanfte Mobilität in Werfenweng über den Kundenanteil in der Höhe von zehn Euro pro Person und Aufenthalt sowie über eine SAMO-Umlage in der Höhe von 1,40 Euro pro Gast und Nacht, die auf die ortsübliche Kurtaxe im Mitgliedsbetrieb automatisch aufgeschlagen wird – und zwar unabhängig davon, ob der Gast die SAMO-Card in Anspruch nimmt oder nicht. „Damit“, rechnet der Bürgermeister vor, „können wir die SAMO-Kosten von rund 300 000 Euro pro Jahr mit einer schwarzen Null abdecken.“ Ausgenommen 21 GARTEN+ L ANDSCHAFT


Die Skyline der Stadt Leipzig in der Abenddämmerung mit dem Rathausturm (Mitte) und dem

Foto: Michael-Bader

City-Hochhaus (rechts).

38 GARTEN+ L ANDSCHAFT


TOURISMUS BEST PRACTICE: LEIPZIG UND REGION

BLAU IST EINE WARME FARBE Während die Stadt Leipzig sich derzeit zum neuen Berlin mausert und die Besucher in Scharen kommen, sieht es in der Region „Sächsisches Burgen- und Heideland“ ruhiger aus. Das Leipziger Umland kämpft mit seiner Kohlevergangenheit. Damit die Stadt die Region nicht abhängt, arbeiten die städtische Leipzig Tourismus & Marketing GmbH und der benachbarte Tourismusverband Hand in Hand zusammen. In ihrer Strategie setzen sie auf das Element Wasser, das die Region mit der Stadt verbindet. HELGE-HEINZ HEINKER

Schräg gegenüber vom Leipziger Hauptbahnhof grüßt Goethe im klassischen Profil und mit Leuchtschrift: „Mein Leipzig lob’ ich mir“ – das stammt bekanntlich aus „Faust“ und ist den Tourismusstrategen immer ein willkommener, weil aus der Weltliteratur entlehnter Spruch gewesen. Goethe musste es ja wissen, behaupten die Destinationsmanager. Der gebürtige Frankfurter hat im quirligen Leipzig einen Teil seiner Studienjahre verbracht. Fast 250 Jahre später und dreißig Jahre nach einem fundamentalen Umbruch in allen Bereichen des Lebens hat die Stadt ihren historischen Kern bewahrt und sich gleichwohl gewandelt. Die (fast) 600 000-Einwohner-Stadt zieht an. 3,5 Millionen Hotelübernachtungen plus ungezählte Millionen an Tagestouristen stehen in der Bilanz für das Jahr 2018. BYE BYE BERGBAU

Wer die Aussichtsplattformen auf den zwei innerstädtischen Landmarken, dem CityHochhaus oder dem Turm des Neuen Rathauses, erklimmt, ist immer wieder erstaunt, wie grün die Stadt ist und wie sich Leipzig in den letzten Jahren gewandelt hat. Bis 1990 wandte man den Blick von den rauchenden Schloten der Kohlechemie und den Kraftwerken ab. Dann folgte ein drastischer Einschnitt. Die Kohlebagger verschwanden und aus den Mondlandschaften des extensiven Übertage-Bergbaus wurden

Erholungslandschaften. Im jungen, frischen Grün sind von den höchsten Punkten der Leipziger City die silbrigen Einsprengsel gleich mehrerer vorgelagerter Seen erkennbar. Nichts davon gab es vor dreißig Jahren. Die damals eröffnete größte Landschaftsbaustelle Europas mit der Rolle rückwärts zur Kulturlandschaft hat der runzligen Oberfläche ein angenehmes Gesicht zurückgegeben. Auf dem historischen Grund planierter Grubenränder und aufragender Abraumhalden entwickeln sich junge Wälder. Vor allem schnell wachsende Pappeln stabilisieren den Boden, anschließend folgen wertvollere Gehölze. WASSER VERBINDET STADT UND REGION

Was der Besucher im Weichbild der Stadt heutzutage sieht und genießen kann, gehört vom Verbandsgebiet her zum Sächsischen Burgen- und Heideland. Eine Leipziger Besonderheit besteht darin, dass sich um die Großstadt herum nicht wie anderswo ein breiter, buntscheckiger Gewerbegürtel legt, sondern dass am Stadtrand recht unvermittelt ein ländliches Gebiet im Wortsinn beginnt. Wer die „Metropole“ verlässt, ist mittendrin in einer unspektakulär reizvollen, kulturell und ereignishistorisch ungemein reichen Landschaft. Seit 2013 gibt es deshalb einen Geschäftsbesorgungsvertrag zwischen der Leipzig Tourismus & Marketing GmbH und dem benachbarten Tourismusverband Sächsisches Burgen- und Heideland mit 39 GARTEN+ L ANDSCHAFT


SCHLAFLOS IN BERLIN Wenn man in Deutschland von „overtourism“ sprechen kann, dann sicherlich in Berlin. Und dort besonders in den innerstädtischen Kiezen. Auf der Suche nach dem authentischen, dem ursprünglichen Berlin strömen Touristen aus aller Welt in die Stadtquartiere und sind den Berlinern vor allem wegen des Lärms ein Dorn im Auge. Sie protestieren – mal laut, mal leise. Robert Kitzmann über „new urban tourism“­und­„touristification“­in­Berlin­und­was­die­Hauptstadt dagegen macht beziehungsweise machen kann.

AUTOR Dr. Robert Kitzmann studierte Geographie an der HU Berlin mit Schwerpunkt Wirtschaftsgeographie. Seit 2012 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Abteilung Wirtschaftsgeographie des Geographischen Instituts der Humboldt-Universität zu Berlin.

In Berlin steigerten sich die Übernachtungszahlen in den vergangenen acht Jahren um 58 Prozent: von 20,8 Millionen (2010) auf 32,9 Millionen (2018). Doch nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ ändert sich der städtische Tourismus in der Hauptstadt. So sind es nicht mehr allein die klassischen Attraktionen wie das Brandenburger Tor oder der Fernsehturm, die die Besucher interessieren. Mehr und mehr wollen sie an dem Alltäglichen, den Lebenswelten der Berliner teilhaben. Diese reagieren unterschiedlich: Sie schätzen, dass die internationalen Gäste multikulturelles Flair und Leben in die Kieze bringen, fühlen sich jedoch durch den zunehmenden Lärm gestört. TOURISTIFICATION DES QUARTIERS

Der zunehmende Wunsch vieler Touristen, Städte „off the beaten track“ zu erleben, um das ursprüngliche und authentische Gefühl der Stadt zu spüren, fasst die wissenschaftliche Forschung unter dem Begriff „new urban tourism“ zusammen. Die im Rahmen 42 GARTEN+ L ANDSCHAFT

der Sharing Economy entstandenen Home-Sharing-Anbieter wie Airbnb und Co. erleichtern die Kontaktaufnahme der Touristen mit der lokalen Bevölkerung. Sie ermöglichen eine direkte Integration der Besucher in die Lebenswelt der Locals. Viele Touristen meinen, bei der Wahl einer Airbnb-Unterkunft im Vergleich zu einem Hotel Geld zu sparen. Gleichzeitig geht es ihnen aber auch um das individuelle Erlebnis, das durch die Teilhabe an den Lebenswelten der Bewohner entsteht. Dieses neue Erleben von Stadt trägt dazu bei, dass zuvor getrennte Aktionsräume verschmelzen. Vorher gab es die touristisch erschlossenen und entsprechend infrastrukturell ausgestatteten Orte, sogenannte „tourist bubbles“, auf der einen und die Wohnquartiere der Bewohner auf der anderen Seite. Aufgrund des Interesses an den individuellen Lebenswelten der Bewohner, welche sich zumeist kleinräumig abbilden, rückt nun das Quartier als räumlicher Bezugsrahmen in den Fokus. Das Quartier verändert sich, und es entstehen Nutzungskonflikte zwischen Bewohnern und Touristen.

Foto: dpa, Jörg Carstensen

ROBERT KITZMANN


TOURISMUS IM KIEZ

In einzelnen Quartieren wie beispielsweise in Friedrichshain-Kreuzberg passte sich die lokale Gewerbestruktur nach und nach den Bedürfnissen der Touristen an. Bars und Restaurants hielten Einzug, während Angebote des täglichen Bedarfs für die Bewohner zurückgedrängt wurden. Die Folgen waren – vor allem dem nächtlichen Hedonismus der Besucher geschuldet – Lärmbelästigung, Vermüllung und Vandalismus. Der Prozess kann so weit führen, dass die ehemals als authentisch aufgesuchten Strukturen bis hin zu einer wirtschaftlichen Monostrukturierung überprägt werden und der ursprüngliche Charakter des Quartiers verlorengeht. Dabei spricht man dann von der „touristification“ eines Quartiers: Die Bedürfnisse der Anwohner geraten in den Hintergrund, und klassische Mietwohnungen werden durch gewerblich betriebene Ferienapartments oder Airbnbs ersetzt. Interessant ist dabei auch – obwohl hier ausreichend belastbare empirische Belege fehlen –, dass zwischen der Touristifizierung und Gentrifizierung von

Stadtquartieren ein Zusammenhang vermutet wird. Die Touristifizierung soll die Gentrifizierung bedingen, indem sie sich auf die Mietniveaus niederschlägt und einen Beitrag zur Verdrängung einkommensschwacher Bewohner aus dem Quartier leistet. BERLIN, DU BIST SO WUNDERBAR

Mediation: Eine Gruppe von Pantomimen versuchte 2015 in Berlin, Touristen für das Thema Lärmbelästigung zu sensibilisieren. Das mediale Echo war groß, verhallte jedoch von den

In Berlin trifft die „touristification“ neben Friedrichshain-Kreuzberg weitere innerstädtische Quartiere wie in Neukölln, Prenzlauer Berg und Mitte. Das liegt jedoch nicht nur an deren Lage in der Stadt, sondern auch an der Bebauungs- beziehungsweise Siedlungsstruktur vor Ort. In den Kiezaltbauten lassen sich problemlos Gewerbeflächen im Erdgeschoss unterbringen. Quartiere, in denen die Altbausubstanz durch Flächen- und Kahlschlagsanierung durch monofunktionale Wohnsiedlungen ersetzt wurde, weisen, obwohl sie zum Teil in direkter Nachbarschaft zu den betroffenen Altbauquartieren liegen, wesentlich weniger Probleme durch Tourismus auf.

Touristen ungehört.

43 GARTEN+ L ANDSCHAFT


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