J UN I 2019
MAGAZ I N F Ü R L ANDSC HAF T SARC HI TEK TUR
GARTEN +
STÄDTE FÜR MORGEN
LANDSCHAFT
WIE VIEL AGORA STECKT IM FREIRAUM? GESELLSCHAFT ZWISCHEN OHNMACHT UND AKTIVISMUS
mit Projekten aus
Berlin, Tirana, Moskau und Weinstadt
16 Früher Paradeplatz im Hoxhas-Regime, heute Lieblingsort der Bürger Tiranas. Wie 51N4E aus Brüssel den
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Skanderbeg-Platz zu einem Ort für Menschen umgestaltete.
Beim Beteiligungsprojekt Mitmach-Park in Weinstadt handeln die Bürger ihre Verantwortung und die der Verwaltung für Freiraumgestaltung neu aus.
22 Der Coal Drops Yard von Thomas Heatherwick gehört zu Londons zunehmenden öffentlichen Räumen in privater Hand. Sadiq Khan aber liegt viel daran, die Rechte der Öffentlichkeit trotz Privatisierung in den Vordergrund zu stellen.
38 Dorstfeld in Dortmund ist für seine rechtsextreme Szene bekannt. Mit welchen Maßnahmen kann man Viefalt im öffentlichen Raum unterstützen?
42 Moskaus Stadtgestalt hat sich in den letzten sechs Jahren stark verändert. Vermeintlich zu einer Stadt für die Moskowiten. Die zahlen dafür jedoch einen hohen Preis.
INHALT
AK TUELLES 06 11
SNAPSHOTS MOMENTAUFNAHME Unter wegs
POLITISCHE FREIRÄUME Wie viel Agora steckt im Freiraum? Gesellschaft zwischen Ohnmacht und Aktivismus 12
„IM FREIRAUM GIBT ES KEINE BÜRGER ZWEITER KLASSE”
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EIN RAHMEN FÜR DIE MITSPRACHE
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WIE OFFEN IST PRIVAT?
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DIE DEBATTE IST VOLLKOMMEN FEHLGELEITET
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„ES GEHT UM MEHR ALS GESCHLECHTER”
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VOLKSPARK 2.0
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MEHR GRÜN ALS BRAUN
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VON SCHÖNHEIT GEBLENDET
Anja Koller im Interview mit Frank Eckardt, Professor für Sozialwissenschaftliche Stadtforschung an der Bauhaus-Universität Weimar Freek Persyn des Brüssler Architekturbüros 51N4E über die Neugestaltung des Skanderbeg-Platzes in Tirana Tim Rettler über „Privately Owned Public Spaces” in London Kommentar von Nikolaus Bernau zur Enteignungsdebatte in Berlin Uwe Rada im Interview mit Ina Sager vom Bezirksamt Lichtenberg zur gendergerechten Sanierung des Stadtparks Lichtenberg in Berlin Der Mitmach-Park von A24 Landschaft in Weinstadt, Baden-Württemberg Warum der Dortmunder Stadtteil Dorstfeld Stadtgestaltung braucht, um der rechtsextremen Szene entgegenzutreten Wie Moskaus Transformation zur modernen Metropole zum Verlust der politischen Rechte der Bürger beiträgt
STUDIO 50
PRAXIS – GESTALTEN MIT NATURSTEIN „Kosten allein sind kein Wertungskriterium”
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REFERENZ Neues Bankenviertel
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LÖSUNGEN Stadtmobiliar
RUBRIKEN 60
Stellenmarkt
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Impressum
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Lieferquellen
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DGGL
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Sichtachse
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Vorschau
Herausgeber: Deutsche Gesellschaft für Gartenkunst und Landschaftskultur e.V. (DGGL) Wartburgstraße 42 10823 Berlin www.dggl.org
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SO P H I E C H A R L O T T E H OFFMANN ÜBER ...
DIE PFLANZE ALS VORBILD
Hoffmann studierte Architektur und Kunst in München und Mailand. Seit ihrem abgeschlossenen Volontariat im Callwey Verlag arbeitet sie als freie Redakteurin für die Zeitschriften Baumeister und Garten + Landschaft.
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„90 Prozent der Menschheit leidet an Pflanzen-Blindheit“, so liest man auf der ersten Ausstellungstafel der Schau „The Nation of Plants“, die das Museum Triennale in Mailand noch bis zum 1. September 2019 zeigt. „Wir betrachten Pflanzen als Objekte oder Gegenstände, nie aber als Lebewesen. Das ist falsch“, meint der italienische Neurobiologe und Kurator Stefano Mancuso. Er versteht die Ausstellung als Aufklärungsversuch, ein Kampf für mehr Bewusstsein in Bezug auf unsere Pflanzenwelt. Denn: Der Großteil der Gesellschaft sieht das Grün, das uns im Alltag umgibt, als selbstverständlich an und ist sich der Fähigkeiten der Vegetation nicht bewusst. Was für Kräfte, in der Schau auch liebevoll „Plant Superpower“ genannt, in den Alleskönnern stecken, demonstriert die Ausstellung anschaulich. Die Besucher begeben sich auf eine multimediale Lernreise, erfahren, wie Pflanzen funktionieren, was sie von Tieren unterscheidet und wie sie untereinander kommunizieren. Pflanzen sind beispielsweise in der Lage zu hören: Das Wurzelwerk kann
dumpfe Klänge wahrnehmen, da die Vibration der von fließendem Wasser ähnelt. Dieses Können wird eindrucksvoll mithilfe einer Soundinstallation dargestellt. Eine Seite des dunklen Raumes besteht ausschließlich aus tropischen Pflanzen, es riecht nach frischer Erde. Laternenartige Lampen hängen von der Decke herab und erleuchten den Saal in abwechselnden Farben im Takt der Musik. Die Ausstellung geht noch einen Schritt weiter: Pflanzen können uns als Vorbild dienen. Sie existieren schon viel länger auf unserer Erde und werden uns aller Voraussicht nach auch überleben. Sie sind anpassungsfähig und haben im Laufe der Evolution intelligente Lösungen entwickelt. „Wir können definitiv in den Bereichen Organisation, Energie, soziale Beziehungen und Kommunikation viel von ihnen lernen“, so Mancuso. Dass ein Museum wie das Triennale Milano der Natur derzeit so viel Platz einräumt, zeigt die Bedeutung des Themas und schafft es, mit dem modernen Ausstellungskonzept auch junge Menschen dafür zu sensibilisieren.
Die Ausstellung „The Nation of Plants“ im Triennale Milano will das Bewusstsein für die Relevanz von Pflanzen fördern, die von einem Großteil der Gesellschaft kaum wahrgenommen wird.
Foto: ©FeelRouge
AUTORIN Sophie Charlotte
AKTUELLES SNAPSHOTS
E VA S C H W E I T Z E R ÜBER ...
HUDSON YARDS AUTORIN Dr. Eva Claudia Schweitzer ist Buchautorin, Verlegerin und Journalistin in New York und Berlin. Sie schreibt über Politik, Reisen, Kultur und Architektur. Bis 2000 war sie Redakteurin beim Tagesspiegel und
Foto: Eva Schweitzer
zuvor bei der taz.
Sie definieren die Skyline Manhattans neu: die Hudson Yards. Der neue Stadtteil, der sich auf einem Deckel über die alten Bahngleise an der West Side in Manhattan erstreckt, ist selbst für das an gewaltige Bauten gewohnte New York ein Schock. Das mit 25 Milliarden Dollar teuerste Projekt Amerikas seit dem Rockefeller Center liegt am Ende der Highline und südlich der Kreuzfahrtpiers. Der Masterplan stammt von SOM, aber auch Frank Gehry, Herzog und de Meuron, Santiago Calatrava und Robert A.M. Stern sind beteiligt. Das „neoliberale Zion“, so die „New York Times“ bietet 4 000 hochpreisige Wohnungen, Büros und eine siebenstöckige Mall mit 70 000 Shops der üblichen Luxusmarken, alles verteilt auf 16 Hochhäuser – das höchste mit 330 Metern fast so hoch wie das World Trade Center. Dazwischen: der trichterförmige „Vessel“ des britischen Designers Thomas Heatherwick. 600 Tonnen schwer, 15 Stockwerke hoch, mit mehr als 2 500 Stufen ins Nirgendwo, halb Skulptur, halb Aussichtsplattform. Dazu kommt der „Shed“ (Hütte), ein 500 Millionen teures städtisches Kunst- und Kulturcenter von Diller Scofidio + Renfro und der Rockwell Group. Sogar eine eigene U-BahnAnbindung an den Times Square haben die Yards bekommen, mit vier Milliarden Dollar ebenfalls ein Rekord. Eine von Michael Van Valkenburgh Associates designte, 374 Millionen teure Parkanlage zwischen den Türmen und dem Jacob Javits Center, angebunden an die Highline, soll noch hinzukommen; der erste Abschnitt wurde bereits eröffnet. Bauträger ist Stephen Ross, dem New York schon das Time Warner Center zu verdanken hat, das Doppelhochhaus am Central Park. Die Hudson Yards einen Fremdkörper im städtischen Grid zu nennen, wäre das Understatement des Jahrhunderts. New York hat in den letzten Jahren einen gewaltigen Boom von Luxusbauten erlebt, vor allem an der West Side, wo sich einst Hafenanlagen und Lagerhäuser befanden. Aber die Hudson Yards übertreffen alles. Sie sind keine „Fantasiestadt für Milliardäre“, als die sie betitelt wurden, so der „Guardian“, in Wirklichkeit seien sie eine reale Stadt für Milliardäre. Wir aber, die restlichen 8,6 Millionen, sind nur die Statisten, die diese „Wohlstandsblase“ staunend umschwärmen, ohne sie jemals zu betreten.
Mit den Hudson Yards wurde in New York ein neuer Stadtteil der Superlative (nicht nur in Bezug auf die Kosten) eingeweiht. Ein Penthouse beispielsweise wird vermutlich so viel kosten wie ein kleiner Airbus.
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„IM FREIRAUM GIBT ES KEINE BÜRGER ZWEITER KLASSE” Der öffentliche Raum ist immer politisch, weil Menschen in ihm interagieren, weil Menschen sich als Gesellschaft darin formieren. Ohne öffentliche Räume fände Demokratie keine Ausdrucksform. In ihnen erfahren wir uns selbst und treten mit unserem Gegenüber um Werte, Normen und Regeln in Verhandlung. Wir sprachen mit Frank Eckardt, Leiter der Professur für Sozialwissenschaftliche Stadtforschung an der Bauhaus-Universität Weimar, über die politischen Dimensionen von Freiraum, welche Chancen er bietet und welchen Gefahren er ausgesetzt ist.
INTERVIEWPARTNER Frank Eckardt ist promovierter Politikwissenschaftler und hat seit 2009 den Lehrstuhl Sozialwissenschaftliche Stadtforschung an der Bauhaus-Universität Weimar inne. Davor war er als Gast-
ANJA KOLLER
professor in Paris und in Frankfurt tätig. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören Fragen der sozialen Ungleichheiten und kulturellen Diversität in der Stadt. Neuste Publikation: Gentrifizierung. Springer Verlag 2018.
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POLITISCHE FREIRÄUME INTERVIEW ZUM TITELTHEMA
Herr Eckardt, dort, wo Menschen aufeinandertreffen, konstituiert sich Gesellschaft. Sie kann nicht anders als politisch sein, denn Menschen interagieren, schließen einen Vertrag über Normen und Werte miteinander. Der Ort, an dem die Qualität unseres Zusammenlebens sichtbar wird, ist der öffentliche Raum. Was passiert hier genau?
Der öffentliche Raum ist für die demokratische Gesellschaft ein Kernstück, weil in diesem Raum die Regeln des Zusammenlebens verhandelt, erfahren und auch ausprobiert werden. Individuen testen hier, was sie in dieser Gesellschaft tun dürfen, was sie tun können und müssen. Wie kann ich ich selbst sein, ohne bei dem anderen anzuecken? Umgekehrt geht es natürlich auch darum festzustecken, wo die eigenen Grenzen liegen. Wie kann man diese Grenzen verhandeln, und zwar ganz konkret mit den anwesenden Personen? Das heißt, ohne öffentliche Räume kann es keine freie Gesellschaft geben?
Genau, eine demokratische Gesellschaft braucht Räume, in denen sie sich selbst verhandeln kann. Hier definiert sie, welche Werte, welche Normen in der Gemeinschaft gelten. Gibt es denn eigentlich einen idealen öffentlichen Raum?
Nun, man überhöht den öffentlichen Raum sehr oft, weil man denkt, alle müssten mit allen und allem übereinstimmen, miteinander zufrieden sein. Aber diese Erwartung ist nicht realistisch. Wir werden durch die Begegnung im öffentlichen Raum nicht alle zu Freunden. Richard Sennett definiert die Stadt als den Ort, an dem sich Fremde treffen und wir auch das Fremde aushalten müssen. Wir müssen nicht jeden mögen und mit allem einverstanden sein ...
Genau das ist der Kernpunkt. Wir müssen aushalten, dass andere Menschen anders sind und dass andere Menschen auf uns wirken. Das, was wir und andere tun, hat
Konsequenzen, mit denen wir leben müssen. Manchmal nervt das auch. Aber wir halten das aus im Rahmen der Grenzen, die wir immer wieder abstecken. Können Sie uns hier ein Beispiel geben?
Da gibt es unendlich viele: Lärm, Enge, Dichte, Meinungen, Verkehr ... Es geht darum, was können wir uns nebeneinander erlauben? Da geht es auch um gegenseitige Rücksichtnahme, gegenseitiges Verständnis füreinander. Jeder muss seinen Platz finden können. Der eine möchte in der Sonne mit einem Freund Kaffee trinken, der andere skaten, jemand ist mit dem Rad unterwegs, jemand zu Fuß, ein anderer sitzt auf einer Bank und beobachtet das Geschehen, während gegenüber vielleicht jemand demonstriert, ein paar Touristen Fotos machen und ein Hundebesitzer Gassi geht. Vielleicht ist auch ein Obdachloser mit seinem Hab und Gut unterwegs ... Der öffentliche Raum funktioniert also im normativen Sinne nur, wenn er multidimensional ist ...
Ja, und diese Multidimensionalität ist so nur in einer demokratischen Gesellschaft möglich. In autoritären Regimen gibt man vor, was man in einem öffentlichen Raum tun darf und was nicht. Und dies wird im Notfall auch durch die Polizei, durch politische Instrumentarien überwacht und geahndet. Ein öffentlicher Raum muss aber auch Spontanität zulassen, denn wir leben nicht in einer statischen Gesellschaft. Ich weiß heute noch nicht, was ich hier morgen machen werde. In einer autoritären Gesellschaft wird quasi im Vorfeld die Nutzung des öffentlichen Raumes eingeschränkt, eben weil man um seine politische Dimension weiß. Aber es gibt doch auch quasi unfreie öffentliche Räume in Demokratien? Obdachlose werden mancherorts aus den touristisch hübschen Innenstädten vertrieben oder müssen ihr Lager unter Brücken räumen ...
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EIN RAHMEN FÜR DIE MITSPRACHE Der Skanderbeg-Platz, wirtschaftliches Zentrum Tiranas und ein Ort mit großer Symbolkraft für ganz Albanien, ist das Ergebnis des Stadterneuerungsplans von 1939 unter der Besetzung Italiens. Während der Diktatur Enver Hoxhas war er Paradeplatz und in den 1990er-Jahren vielbefahrener Verkehrsplatz. Sein Name geht auf den Nationalhelden Gjergj Kastri zurück, der bis heute für viele Albaner Identität, Integrität und nationale Unabhängigkeit vor dem Hintergrund der jahrhundertelangen Unterdrückung des Landes repräsentiert. Auch seine Neugestaltung weist eine lange Geschichte auf, begleitet von kontroversen Diskussionen. FREEK PERSYN FÜR 51N4E
16 GARTEN+ L ANDSCHAFT
POLITISCHE FREIRÄUME SKANDERBEG-PLATZ, TIRANA
Mit der Neugestaltung des Skanderbeg-Platzes gaben die Planer aus Brüssel, 51N4E, ganz bewusst nur einen Rahmen vor, um Nutzungen aller Art zu ermöglichen.
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LANDWIRTSCHAFTLICHE FLÄCHE Produktion von Obst und Gemüse und vor Ort Verkauf NUTZGÄRTEN Private Gärten WIESE PLÄTZE
Viele Städte sind auf der Suche nach neuen Konzepten, um Bürgern mehr Teilhabe am öffentlichen Freiraum zu ermöglichen. In der baden-württembergischen Kleinstadt Weinstadt schaffen sich die Bürger mithilfe eines Mitmach-Parks nicht nur ein neues Ortszentrum. Es geht auch darum, die Rolle von Stadt und Zivilgesellschaft an diesem Ort neu auszuhandeln. THOMAS ARMONAT
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Visualisierung: A24 Landschaft
VOLKSPARK 2.0
POLITISCHE FREIRÄUME MITMACH-PARK, WEINSTADT
AUTOR Thomas Armonat studierte Landschaftsplanung an der FH Weihenstephan. Von 2010 bis 2015 war er Redakteur bei der Garten + Landschaft, von 2015 bis 2018 arbeitete er für die Zeitschrift „selber machen“. Aktuell ist er freiberuflicher Redakteur.
Wie ein Mosaik setzt sich der Mitmach-Park von A24 Landschaft im Zentrum Weinstadts aus städtischen und privaten Flächen zusammen: ein Nebeneinander von Landwirtschaft, Kleingärten, Wiesen, Spielplätzen. Ein reger Austausch der Nutzer ist da unumgänglich. Platz dafür bietet das zentrale Bürgerforum.
Modellvorhaben, Pilotprojekt, Testballon: Beschäftigt man sich mit dem MitmachPark in Weinstadt, 15 Kilometer östlich von Stuttgart, wird einem schnell bewusst, dass dort ein ungewöhnliches Projekt entsteht. Der künftige Park wird gleichzeitig das neue Ortszentrum und vereint städtische Flächen, aber auch viele private Grundstücke wie landwirtschaftliche Flächen oder Kleingärten. Statt einer großen gestalterischen Geste ist der Parkentwurf des Berliner Büros „A24 Landschaft“ daher ein Mosaik verschiedener Nutzungen, dem die unterschiedlichen Besitzverhältnisse zugrunde liegen. Aber das Mosaik steht für viel mehr: Hier wird Politik gemacht. Es geht für die Weinstädter darum, ihr Gemeinwesen ganz konkret in diesem Park im Austausch miteinander auszuhandeln. Das ist in dieser Form neu. „Es geht darum, den Menschen mit diesem Park eine flexible Plattform zu bieten, um sich dort zusammenzufinden und ihren immer diverseren Interessen nachzugehen. So wie sich viele Menschen heute im Internet, etwa bei Facebook, zu ganz unterschiedlichen Interessensgruppen zusammenfinden. Im Park können sie das ganz direkt vor ihrer Haustüre“, erklärt Steffan Robel, Geschäftsführer von A24 Landschaft die konzeptionelle Dimension dieses neuen Volksparks. „Weinstadt ist für solch einen Bürgerpark ein interessantes Experimentierfeld, da es in der Kleinstadt schon gut organisierte Strukturen gibt, etwa in über 180 aktiven Vereinen. Die Menschen kennen sich untereinander besser. Dadurch ist die soziale Kontrolle eine ganz andere“, fügt Robel hinzu. Was es braucht, um ganz Weinstadt zu mobilisieren, und wie sich die Akteure langfristig in das Parkprojekt einbinden lassen, damit befasste sich über die vergangenen Jahre Lola Meyer, Projektleiterin bei A24 Landschaft. Zum Beteiligungskonzept von A24 erläutert sie: „Es beinhaltet drei Stränge, die parallel laufen und sich teils überlappen. Erstens: niederschwellige Angebote, um zu informieren und Aufmerksamkeit zu schaffen, wie das Auftaktfest 2017. Zweitens: mitgestalten im Design- und Bauprozess, etwa durch einen Planungsworkshop zu Parkour und Street-Workout oder einen Workshop zum Bau von Holzliegen durch Jugendliche. Drittens: langfristige Einbindung, etwa von angehenden Gemeinschaftsgärtnern, durch das Entwickeln von Organisations-
modellen und die Gründung eines Vereins.“ Den Rahmen für dieses Modellvorhaben hat der Weinstädter Gemeinderat geschaffen, indem er eine etwa zehn Hektar große Fläche im Ortszentrum zwischen den Stadtteilen Beutelsbach und Endersbach freigehalten hat – entgegen der ursprünglichen Planung, in diesem Bereich Wohnungen zu bauen. GRÜNE MITTE
Zur Entstehungsgeschichte: Erst Mitte der 1970er-Jahre wurden fünf bis dahin unabhängige Gemeinden im Rahmen einer Gebietsreform zu der heute knapp 27 000 Einwohner zählenden Stadt zusammengelegt. Daraus resultierte die große unbebaute Fläche im neuen Ortszentrum, ohne zentralen Ortskern. Die Idee einer Grünen Mitte erhielt 2011 einen kräftigen Schub, als der „Verband Region Stuttgart“ die Initiative zur interkommunalen Landesgartenschau Remstal 2019 startete. 16 Gemeinden entlang der Rems sollten sich daran beteiligen, darunter auch Weinstadt. Vor diesem Hintergrund reifte das Konzept für die Grüne Mitte weiter. Wirklich bereit war die Gemeinde damals aber noch nicht, so viel Geld auszugeben und dafür „nur“ einen Park zu bekommen. Erst nachdem sich bei einer Befragung die Bürger klar für die Grüne Mitte als wichtigstes Gartenschauprojekt aussprachen, brachte der Gemeinderat 2014 eine Planungskonkurrenz auf den Weg. Da eine komplette Fertigstellung des Projekts bis zur Gartenschau 2019 aber nicht sicher war, entschied sich Weinstadt, es nicht als Teil der Gartenschau vorzusehen. Zuvor hatte die Stadt bereits ein Stadtentwicklungsprogramm initiiert, das die Fläche der Grünen Mitte als ersten Teil eines übergeordneten „Grünen T“ sieht. Dieses soll in späteren Abschnitten auch die Auen entlang der Rems und andere Ortsteile anbinden. Schon damals wurden im Dialog mit den Bürgern Ideen gesammelt, was sie sich für ihre Grüne Mitte wünschen. Mit der Herangehensweise, die heterogene Flächenstruktur beizubehalten und den Bürgern bei Planung, Betrieb und Unterhaltung eine Schlüsselrolle zukommen zu lassen, überzeugten die Landschaftsarchitekten von A24 dann in der Planungskonkurrenz die Jury. Nachdem dieses Konzept auch in der Bürger33 GARTEN+ L ANDSCHAFT
MEHR GRÜN ALS BRAUN In Dorstfeld leben Neonazis. Das Problem ist landesweit bekannt, die Medien berichten immer wieder aus dem Dortmunder Stadtteil. Die einseitige Berichterstattung lastet schwer auf dem Viertel. Denn das hat Potenzial. Das sehen auch seine Bewohner. Eine Neugestaltung des zentralen Wilhelmplatzes kann den Imagewandel anstoßen und der demokratischen Stadtgesellschaft wieder eine stärkere Stimme in Dorstfeld geben. VANESSA KANZ
AUTORIN Vanessa Kanz ist studierte Kulturwissenschaftlerin mit der Fächerkombination Germanistik und Europäische Geschichte. Ihr Schwerpunkt liegt auf politischer Kommunikation. Seit 2018 ist sie Volontärin in den Redaktionen Garten + Landschaft, Baumeister und topos.
Es ist Zufall oder Ironie des Schicksals, dass sich Neonazis in Dorstfeld unter anderem in der Arminiusstraße niederließen. Der Namensgeber jener Straße, Arminius, wurde von den Humanisten zum ersten Deutschen erhoben, er ist eine Figur des deutschen Gründungsmythos. Die Varusschlacht, in der Arminius kämpfte, liegt Jahrtausende zurück. Der Zuzug von Rechtsextremen nach Dorstfeld begann um das Jahr 2000. In den Folgejahren hatte die Stadt Dortmund mit offensiv aggressivem Verhalten der Neonazis zu kämpfen. Heute ist die Zahl der Gewalttaten mit rechtsextremer Motivation zurückgegangen, doch noch immer zeigen Neonazis in Teilen Dorstfelds ihre Präsenz. Die breite Öffentlichkeit meidet jene Räume. Diese Entwicklung widerspricht der demokratischen Idee, dass jeder Mensch freien Zugang zu öffentlichen Räumen besitzt – ohne Angst haben zu müssen. LETZTE STUFE: NORMALISIERUNG
Das Projekt „Quartiersdemokraten“ unterstützt Menschen in Dorstfeld dabei, sich für die Demokratie einzusetzen. Sie entwickeln gemeinsam Ideen, veranstalten Feste und Dialoge. Ende 2017 gegründet, liegt das Projekt in der Trägerschaft des Vereins zur Förderung von Respekt, Toleranz und Verständigung in Dortmund-Dorstfeld e.V. Grundlage der Arbeit ist unter anderem eine Sozialraumanalyse, in der der Sozialarbeiter Micha Neumann und seine Kollegin Vivianne Dörne die Entwicklung der rechten Szene und den rechtsextremen Raumkampf in Dorstfeld untersuchten. „Der Raumkampf 38 GARTEN+ L ANDSCHAFT
ist eine rechtsextreme Strategie, die darauf angelegt ist, politische Deutungshoheit in einem Stadtteil oder einem Sozialraum zu erlangen“, sagt Micha Neumann. Die erste Stufe: Reviermarkierungen. Schmierereien, Graffitis und Aufkleber mit rechtsextremen Botschaften finden sich an Hauswänden und Laternen. Häufig liest man „Nazi-Kiez“, eine Bezeichnung, die die Neonazis in „ihrem“ Quartier etablieren wollen. „Bei rechten Veranstaltungen beflaggen die Rechten ihre Häuser in Schwarz, Weiß, Rot oder mit Spruchbändern“, sagt Nils Kowalewski, der in Dorstfeld lebt und aufgewachsen ist. Zweite Stufe: Verdrängung. Die Neonazis beanspruchen den Sozialraum für sich und verdrängen andere gegnerische Gruppen, indem sie Angsträume schaffen. Das effizienteste Mittel ist dabei Gewalt. Die Polizei verzeichnet allerdings einen Rückgang rechtsextremer Gewalttaten in Dorstfeld. „Die Angsträume entstehen genauso durch unterschwellige Drohungen und Provokationen“, sagt Micha Neumann. „Wenn wir im Stadtteil Projektflyer verteilen, sind wir schnell auf dem Radar der Nazis.“ Über Messenger-Dienste vernetzen sie sich und mobilisieren weitere Personen. „Man wird beobachtet, eingeschüchtert, auch mal angesprochen“, sagt er. Diese subtile Bedrohung führe dazu, dass andere Menschen diese Räume meiden. Und das geht direkt in die dritte Stufe des Raumkampfes über: Die Neonazis präsentieren öffentlich ihre Wirkungsmacht, führen ihre Aktionen fort – früher mit Gewalt, heute mit subtiler Bedrohung oder Inszenierung als „StadtteilKümmerer“. Gefolgt von der letzten Stufe:
Foto: Hans Blossey / Alamy Stock Foto
POLITISCHE FREIRÄUME DORSTFELD, DORTMUND
Normalisierungsgewinn. In der Definition von Raumkampf bedeutet dies, dass die rechtsextreme Szene ein fest etablierter Bestandteil der Gesellschaft geworden ist, der nicht mehr problematisiert wird. Micha Neumann sagt: „Solche Strategien lassen sich auch in Dorstfeld beobachten.“ Es sei nicht so, dass die Nazis in der Zivilgesellschaft auf Akzeptanz stößen, aber die Szene sei insofern normalisiert, als dass sie dazugehöre. Es wundert niemanden mehr, dass Neonazis auf dem Wilhelmplatz, dem zentralen Ortskern Dorstfelds, stehen, entsprechende Wahlplakate aufhängen, ihre Wahltische platzieren, Demonstrationen veranstalten. „Es ist für die Bewohner normal, einen Neonazi morgens beim Bäcker zu sehen“, sagt Micha Neumann. Was die Dorstfelder aber am meisten stört, ist die Tatsache, dass ihr Stadtteil deutschlandweit nur für den Rechtsextremismus bekannt ist. Der gebürtige Dorstfelder Nils Kowalewski sagt: „Dorstfeld ist ein lebenswerter Stadtteil mit zwei Mängeln. Der erste: Es gibt kein Bauland mehr. Und der zweite ist die stets negative öffentliche Darstellung aufgrund der Rechten.“ Viele
Bewohner hätten eher den Verfall des Stadtteils oben auf der Prioritätenliste und weniger die Neonazis, sagt auch Micha Neumann. Was ist Dorstfeld also für ein Stadtteil, wenn es doch kein Nazi-Kiez ist? EINE HISTORISCH VERPASSTE CHANCE
Dorstfeld von oben: Zwischen vielen grünen Flächen liegt die Hochhaus-Wohnsiedlung Hannibal. Hier soll in den 70er-Jahren ein Altnazi rechte Jugendarbeit geleistet
Die rund 15 000 Einwohner unterteilen ihren Stadtteil alltagssprachlich in Unter- und Oberdorstfeld, getrennt durch die Bahnlinie. Städtebaulich ist der Ort von historischen Gebäuden aus der Zeit der Industrialisierung und des Bergbaus geprägt, viele Bauten stehen unter Denkmalschutz. Während sich in Oberdorstfeld Zechenhäuser befinden, dominieren in Unterdorstfeld mehrgeschossige Gebäude, einige mit dekorativen Fassadenelementen aus der Gründerzeit. Der Stadtteil verfügt über eine gute Anbindung; fünf Haltestellen sind es mit der Straßenbahn bis in die Innenstadt. „Dorstfeld wirkt sehr dörflich“, sagt Nils Kowalewski. „Es ist sehr grün, sodass man vergessen könnte, in einer Großstadt zu leben.“ Ansonsten kämpft Dorstfeld mit den Entwicklungen, die vielen
haben. Heute wohnt da aber niemand mehr: Die Stadt sperrte den Komplex aus Brandschutzgründen.
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Unter der Amtsführung von Sergej Sobjanin wandelt sich die Stadtplanung der russischen Hauptstadt drastisch. In den letzten Jahren wurde die Innenstadt ambitioniert umgestaltet. Doch die Moskowiter zahlen einen hohen Preis für ein lebenswerteres städtisches Umfeld: Im gleichen Maß, wie der öffentliche Raum der Stadt seine politische Bedeutung verloren hat, büßen ihre Einwohner an politischen Rechten ein. KIRIL ASS
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Foto: © Iwan Baan, mit Genehmigung von Diller Scofidio + Renfro
VON SCHÖNHEIT GEBLENDET
POLITISCHE FREIRÄUME MOSKAU
Blick in Richtung Abendsonne von der zentralen Aussichtsplattform im SarjadjePark auf die Moskwa. Den Park gestalteten 2017 die Büros Diller Scofidio + Renfro und Hargreaves Associates. Ein Bild vom Park aus der Vogelperspektive finden Sie auf Seite 48.
AUTOR Kiril Ass ist ein russischer Architekt und lebt in Moskau. Er verbindet in seiner Arbeit künstlerische Forschung und architektonische Aktivitäten. Darüber hinaus unterrichtet er an der Moscow School of Architecture.
Seit dem Jahr 2013 ist Sergej Sobjanin Bürgermeister von Moskau. Seine erste Wahl hatte er nur knapp gewonnen. Kritiker glauben, dass die Wahl manipuliert wurde, um eine Stichwahl zwischen den beiden Topkandidaten – der oppositionelle politische Aktivist Alexej Nawalny war auf dem zweiten Platz – zu vermeiden. Sobjanins Wiederwahl im vergangenen Jahr wurde dadurch sichergestellt, dass nicht ein einziger wahrhaftig oppositioneller Politiker als Kandidat zugelassen war. Im Amt zu bleiben ist recht leicht, wenn man von der russischen Staatsregierung unterstützt wird. Das System führt zu politischer Bevormundung und autokratischen Entscheidungsprozessen. Die Einwohner haben bei der Art, wie die Stadt regiert wird, kaum Mitspracherecht – der Bürgermeister berichtet ausschließlich
an die Staatsregierung, genauer gesagt an den Staatspräsidenten. Diese Umstände muss man berücksichtigen, um die jüngere Entwicklung der Stadtplanung realistisch einschätzen zu können. WAHRZEICHEN GORKI-PARK
Als eine seiner ersten Amtshandlungen als Bürgermeister ernannte Sobjanin einen neuen Direktor des berühmten GorkiParks. Wie viele andere stalinistische städtische Bauwerke ist der Gorki-Park ein Wahrzeichen von großem symbolischem Wert. Er wurde in den späten 1920erJahren auf einem Gelände angelegt, das für Handelsmessen und sowjetische Industrie-, Landwirtschafts- und Militärausstellungen genutzt wurde. Der Park trägt die typischen Kennzeichen des stalinistischen 43 GARTEN+ L ANDSCHAFT