Januar 2011
Garten+
Landschaft Zeitschrift f端r Landschaftsarchitektur
Spiel & Sport
Inhalt 1/2011
Das Jahresinhaltsverzeichnis 2010 der Garten + Landschaft ist abrufbar unter: www.garten-landschaft.de/jahresinhalt.html
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Editorial
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Demokratie und Fitness Robert Schäfer
Journal
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Landschaft in der Stadt und Architektur in der Landschaft Thomas Armonat Entscheidung beim Wettbewerb für ein neues Olympisches Dorf in München
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Platz da! Erik Meinharter Ausstellung im Wiener Architekturzentrum zum öffentlichen Raum in Europa
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(re)designing nature Erik Meinharter Naturkunst trifft Kunstnatur im Künstlerhaus Wien
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Erst der Raum – dann das Spielangebot Dirk Schelhorn Spielplätze sind immer nur die zweitbeste Lösung
Sport + Spiel
Verlag: Callwey Verlag Streitfeldstraße 35 D-81673 München Fon +49 89 /43 60 05-0 Fax +49 89/43 60 05-113 www.garten-landschaft.de
121. Jahrgang
Für die Zukunft gestalten.
Garten + Landschaft
Freiräume für Kinder und Jugendliche Peter Apel, Dagmar Brüggemann Ergebnisse eines Forschungsprojekts des Bundesbauministeriums
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Jugendträume – Jugendräume Stephanie Haury Jugendliche planen Stadt
4 Sollte München den Zuschlag für die Olympischen Winterspiele 2018 erhalten, werden ST raum a. und Léon Wohlhage Wernik aus Berlin das Olympische Dorf bauen.
Herausgeber: Deutsche Gesellschaft für Gartenkunst und Landschaftskultur e.V. (DGGL) Wartburgstraße 42 10823 Berlin www.dggl.org
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6 Die Ausstellung Platz da! im Architekturzentrum Wien widmet sich der Frage, wem der öffentliche Raum gehört, wer ihn braucht und wer ihn nutzen darf.
8 Freiräume als System sind wichtiger als der einzelne Spielplatz. Wer für Kinder plant, muss etwas Fertiges so gestalten, dass es provisorisch wirkt und wenig vorschreibt.
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Sport- und Bewegungsangebote im Wandel Stefan Eckl Vom Umgang mit einem geänderten Sportverhalten
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Mauern und Treppen zur Freiheit Robin Mues Die erste gebaute Parkouranlage Deutschlands in Gladbeck
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Vom Jugendprojekt zum Freizeitgelände für alle Siri Frech Der Mellowpark in Berlin
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Bewegte Pause in Stralsund Silke Osigus, Andreas Meimerstorf Ein Schulhof mitgeplant und mitgebaut von Kindern
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Ein Stadtpark für Kindergartenkinder Hettie Pisters Die Außenanlagen eines Kindergartens in Oslo
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Statt Elterntaxi selber laufen Bernhard Meyer Die bespielbare Stadt Griesheim
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Vom Hören und Staunen – der Nauener Platz Katja Facius Wie man Alt und Jung, Migranten und Deutsche in Berlin zusammenbringt
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Kein Park im Park Thomas Armonat Das Prinzip Interventionszone im Oerliker Park in Zürich
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Auswege aus der Fehlplanung Birthe Mlynczak Planer müssen sich in Kinder eindenken
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Was macht einen guten Spielraum aus? Ansichten von Amtsleitern, Landschaftsarchitekten und Spielgeräteherstellern
11 Jugendliche interpretieren geplante Freiräume meist anders als vom Gestalter vorgesehen. Wichtig sind ihnen vor allem Orte, an denen sie sich mit Freunden treffen können.
20 In Gladbeck wurde im Sommer 2010 die erste Parkouranlage Deutschlands eröffnet. Vorausgegangen war ein Beteiligungsverfahren mit Jugendlichen und Anwohnern.
Sonderveröffentlichung Urban Intervention Award Berlin
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Urban Design Projekt Produkte
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GaLaBau Praxis Recht
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Nachrichten Campus Bücher Tagungen Wettbewerbe DGGL Nachrichten Termine Autoren, Vorschau, Nachtrag, Impressum
50 52 53 55 60 66 68 72 72
23 Der Mellowpark in Berlin ist Konzept und Bewegungsangebot zugleich. Im Frühjahr 2011 soll die Freizeit- und Sportanlage an einem neuen Standort wiedereröffnen.
Bilder: Léon Wohlhage Wernik/ST raum a., Pez Hejduk, Dirk Schelhorn, Planungsbüro Stadt-Kinder, Niko Synnatzschke, David Ulrich Titel: Thomas Jakob
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Kinder müssen Wege entdecken können und dürfen. Experimentieren, sich etwas trauen und es auch schaffen, das gehört zu den wichtigsten Erfahrungen der Kindheit.
Erst der Raum – dann das Spielangebot Freiräume als System sind für Kinder wichtiger als der einzelne Spielplatz und das einzelne Spielobjekt. Wer für Kinder plant, muss es schaffen, etwas Fertiges zu gestalten, das provisorisch wirkt und Interpretationen zulässt.
Dirk Schelhorn Erst den Raum gestalten und dann das Spielangebot. Auf den ersten Blick ist das ein Widerspruch. Denn Kinder brauchen für ihre Entwicklung freie Räume, in der Stadt und auf dem Land. Es ist unbestritten, dass der gesamten Stadt, dem Quartier und dem Wohnumfeld höchste Bedeutung als Spiel-, Erlebnis- und Aufenthaltsraum zukommen. Der Freiraum ist der klassische Ort für selbstbestimmtes Lernen. Er ist emotionaler Anker für eigene Erfahrungen. „Die Straße ist eigentlich Bildungsort Nummer 1“, schrieb schon Alexander Mitscherlich 1969 in seinem Buch „Die Unwirtlichkeit der Städte“. Um die gesunde Entwicklung der Persönlichkeit zu fördern, ist es für Kinder und Jugendliche wichtig, eigene, ganzheitliche Erfahrungen zu machen, das Leben „in echt” auszuprobieren. Dabei ist Lernen eine ganz eigene Sache, eine Angelegenheit des ganzen Kindes. Experimentieren, Erfolge, Misserfolge und Grenzüberschreitungen sind wesentliche Merkmale der Kindheit. Oder ganz kurz: Für die gesunde Entwicklung von Kindern ist Spiel und Bewegung ein elementares Grundbedürfnis – ein Grundrecht. In diesem Kontext sind Außenräume die
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wichtigsten Spielorte – empirisch abgesichert und durch diverse Studien belegt. Einfluss haben diese Erkenntnisse ressortübergreifend auf die DIN 18034 (Spielplätze und Freiräume zum Spielen) genommen. Damit sind auch normative Voraussetzungen zum Handeln erfüllt. Durch das Spielen draußen wird die Aktivität zu einer Expedition und der Außenraum zum Erfahrungsfeld. Kinder brauchen also vor allem Platz und Freiräume zum Spielen. Aber nicht zuerst auf Spielplätzen unter ständiger Aufsicht oder an der Hand von Erwachsenen. Spielplätze sind immer noch häufig nichts anderes als städtebauliche Resteverwertung. Die Standorte entstehen oft zufällig und nicht unter dem Aspekt, wo und wie sie aus der Sicht von Kindern gebraucht werden. Dieser konsequente Blick auf den öffentlichen Raum zu Gunsten von Kindern fehlt. Gestalten zum Wohl der Kinder bedeutet auch nicht: Möbel aufstellen, Sicherheitskreise ziehen und Abstandsflächen definieren, um das Ensemble dann mit Farbe und Pflanzen zu verschönern. Kinder brauchen immer die Freiheit, Entscheidungen zu treffen und zwischen unterschiedlichen Lösun-
gen zu wählen, Lösungswege sozusagen um ein sinnliches und körperliches Experiment auszuprobieren und das auch noch möglichst naturnah – nicht erklärt durch die Vorgabe zu Ende gestalteter Möbel. Für Kinder gedacht, für Erwachsene gemacht Viele für Kinder gedachte Spielplätze entsprechen den Interessen von Erwachsenen: pflegeextensiv, preiswert, abgesichert, risikoarm, lange haltbar, multiplizierbar. Sicher, es gibt etliche sehr positive Ausnahmen – aber eben Ausnahmen. Spielplätze sind zwar bedeutend im städtebaulichen Kontext, aber aus Sicht von Kindern oft schnell langweilig und abgespielt und häufig nicht gefahrlos zu Fuß zu erreichen. Was aber passiert, wenn Kinder dort spielen, wo sie wollen? Auf der Straße, im Hof, am Regenrückhaltebecken? Dort wo Kinder am liebsten ihren Alltag verbringen, wo sie Spaß haben, wo sie eigene Entscheidungen treffen und eigene Regeln aufstellen können? Dabei interessieren sich Kinder nicht so sehr für die Qualität der Gestaltung, sondern eher für den Gebrauchswert. Wenn Kinder auf Denkmäler klettern, spielt die
„schöne Form, der goldene Schnitt“ wohl eher eine untergeordnete Rolle. Das zu missachten bedeutet, Kinder nicht ernst zu nehmen. Aus diesem Grund sind Freiräume als System aus Kindersicht von größerer Bedeutung als der einzelne Spielplatz oder der Spielpunkt in der Fußgängerzone. Selbst die DIN 18034 beschreibt in Punkt 4 dieses für Kinder wichtige räumliche Szenario als verbindlich. Wenn doch diese Norm genauso angewendet werden würde wie die DIN EN 1176, die Sicherheitsnorm Kinderspielplatzgeräte. Wer für Kinder gestaltet, darf also nicht bei den Objekten und bei gut designten Bewegungsgeräten beginnen. Gestaltqualität ist maßgeblich vom freien Raum, vom großen Ganzen abhängig, von bespielbaren Wegen, von den Texturen des Quartiers. Erst der zusammenhängende Freiraum verfügt über den entscheidenden Aufforderungscharakter. Die sinnvolle Vernetzung von Wegen und Straßen, Grünräumen und Kletterbäumen aber auch von Mauern, Denkmälern und geheimen Höfen ist entscheidend für
die Wohlfahrtswirkung. Entscheidend sind Wege und Beläge mit Aufforderungscharakter, da Kinder überwiegend im öffentlichen Raum außerhalb der klassischen Spielplätze spielen. Schrottplätze und Wälder statt Museen Der Neurobiologe Gerald Hüther von der Universität Göttingen empfiehlt aktuell auf die Frage, wie Eltern, die mit ihren Kindern in der Großstadt leben, noch inspirierend sein können: „Die Eltern können sich mit den Kindern aufs Fahrrad setzen und dorthin fahren, wo es etwas zu entdecken gibt. Keine Museen, sondern Schrottplätze und Müllhalden. Oder Wiesen, Bäche und Wälder – da gibt es viele Möglichkeiten. Eltern können sich auch zusammentun, können innerhalb ihres Wohnbereichs Räume schaffen, in denen Kinder Dinge gestalten können. Denn das ist kindliches Spielen: gemeinsam Dinge gestalten, die nicht von Erwachsenen vorgeschrieben sind“ (Spiegel Special; 7/2008). So ist dieses Idealbild eines Spielplatzes also
eher die Ausnahme und doch im Rahmen städtischer Entwicklung scheinbar das Allheilmittel. Aber eben nicht konsequent zu Gunsten von Kindern. Öffentliche Räume bilden deshalb zunächst die Grundlage als Ergebnis großräumiger Gestaltung von Quartieren, Straßen, Grünanlagen, Brachen und Wälder, aber auch von Fußgängerzonen, Treppen und Denkmäler als Aktionsund Streifräume. Dabei muss die Annahme gelten, dass Kinder immer und überall spielen wollen und auch dürfen. Beschäftigen wir uns mit der kleineren räumlichen Einheit, dem Spielplatz, lässt sich feststellen, dass diese in der Stadt dringend benötigt werden, sind sie doch, meistens jedenfalls, die einzigen für Kinder legitimierten Flächen im öffentlichen Raum. Überall sonst werden ihre Rechte stark beschnitten – Kinder werden verdrängt und teilweise auch verjagt. Die Gesellschaft hält es für wichtiger, den öffentlichen Raum den Autofahrern zur Verfügung zu stellen. Der „klassische” Spielplatz ist also in diesem System lediglich ein sehr wichtiger
Dirk Schelhorn (6)
Der nachts beleuchtete Stangenwald in der Fußgängerzone von Neuwied/Rhein ist das Ergebnis eines Beteiligungsverfahrens. Dort können sich Jugendliche ausprobieren.
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Jugendträume – Jugendräume Jugendliche können viel zur Belebung von Städten beitragen, denn sie sind die Hauptnutzer von Freiräumen. Im Rahmen des Forschungsprogramms „Experimenteller Wohnungs- und Städtebau“ läuft seit Mai 2009 das Forschungsfeld „Jugendliche im Stadtquartier“. Darin werden beispielhafte Konzepte vorgestellt, mit denen Jugendliche in die Entwicklung ihres Stadtquartiers einbezogen werden können.
raumlabor
Im Modellprojekt „Eichbaum Countdown“ in Mülheim/Ruhr wurden zusammen mit Jugendlichen Visionen für eine U-Bahn-Haltestelle entwickelt. Unter anderem gab es dort Boxmeisterschaften.
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Plattform e.V.
Mit Hilfe von Jugendfonds können Jugendliche Kleinstprojekte selbst umsetzen. Im Bild: „Kunstrasen“, ein Ausstellungsprojekt mit Malerei, Fotografie, Skulptur und Musik in Erfurt.
Stephanie Haury Die Freiräume einer Stadt sind für Jugendliche Erfahrungsräume. Sie werden durch Jugendliche stetig verändert, weil sie sich selbst in einer Orientierungsphase befinden, die durch Schnelligkeit, Unsicherheit und Experimentierfreudigkeit gekennzeichnet ist. Dabei ist Jugend durchaus nicht als homogene Gruppe zu verstehen. Sie setzt sich aus vielen Teilgruppen mit ganz unterschiedlichen Mustern der Raumaneignung und sich daraus ergebenden Bedürfnissen zusammen. Städte und Kommunen tun sich in der Regel schwer, Nutzungs- und Raumansprüche von Jugendlichen zu berücksichtigen. Da Jugendliche dynamische, flexible und temporäre Räume bevorzugen, die in den üblichen Kategorien der Stadtplanung keine Entsprechung finden, fehlt es bislang an Strategien, sie systematisch einzubeziehen. Um junge Menschen umfassend und dauerhaft bei Stadtentwicklungsprozesse zu berücksichtigen, müssen Planer und Kommunen umdenken, da sie nicht auf standardisierte Beteiligungsmethoden zurückgreifen können. Um herauszufinden, wie Heranwachsende aktiv an Prozessen der Stadt-
und Quartiersentwicklung mitwirken können, erarbeitete das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung im Sommer 2009 das Forschungsfeld „Jugendliche im Stadtquartier“ im Rahmen des Experimentellen Wohnungs- und Städtebaus des Bundes. In Modellvorhaben werden seither verschiedene Facetten und Aspekte der Jugendbeteiligung erprobt. Im Vordergrund steht die Suche nach Lösungen und Ansätzen, wie junge Quartierbewohner aktiv an der Gestaltung ihres Stadtteils oder ihrer Stadt mitwirken und Anforderungen an ihre Stadtquartiere formulieren können. Nischen besetzen Da in Quartieren häufig qualitätsvolle Freiräume fehlen, begeben sich Mädchen genauso wie Jungen auf die Suche nach neuen Orten. Sie suchen vor allem Orte, die die Erwachsenen noch nicht in Beschlag genommen haben. Es handelt sich dabei meist um Nischen und Resträume, die oft quer zu den ursprünglich von Erwachsenen definierten Funktionen neu interpretiert und umgenutzt werden. Im Modellvorhaben „Eichbaum Countdown“ in Mülheim/Ruhr ent-
wickelten raumlaborberlin und der Ringlokschuppen Mülheim zusammen mit Jugendgruppen Visionen für die Stadtbahnhaltestelle Eichbaum an der U18 zwischen Essen und Mülheim. Diese U-Bahn-Haltestelle seit Jahren ein jugendtreffpunkt. So verwandelte sich der Bahnsteig vorübergehend in eine temporäre Bühne für Tanzaufführungen, Rapbattles und Boxmeisterschaften. Vor allem die Boxmeisterschaft während des laufenden U-Bahn-Betriebs hat gezeigt, dass viele Räume ein größeres Nutzungspotenzial haben als erwartet, und dass sich Sport auch an ungewöhnlichen Orten betreiben lässt. Im Projekt „Stadtoasen“ des Quartiersmanagements Altstadt-Ost in Rosenheim sollten Nischen in der Stadt erobert werden. Neben öffentlichen Plätzen, die temporär zu Strandbars, Spielorten und Freilichtkinos wurden, wandelten die Projektteilnehmer Restflächen unter Straßenbrücken in neue Treffpunkte um. Sie übernahmen dabei in hohem Maße Mitverantwortung für diese Räume. Durch die temporäre Aufwertung der Räume deckten sie deren versteckte Raum-qualitäten auf und erprobten neue Facetten der Gestaltung und Umnutzung.
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Mauern und Treppen zur Freiheit Parkourläufer und Freerunner nutzen Treppen, Mauern und Geländer im öffentlichen Raum für ihren Sport. Die Bewegungen sind Ausdruck eines Traums von Freiheit und Unabhängigkeit. Im nordrhein-westfälischen Gladbeck wurde nun Anfang Juli die erste kommunale Parkouranlage eröffnet – auf Wunsch von Kindern und Jugendlichen.
Robin Mues Erst kamen die Skateboarder, dann die InlineSkater, BMX- und Mountainbikefahrer und nun Parkourläufer und Freerunner. Parkour oder Freerunning ist die derzeit angesagteste Sportart im öffentlichen Raum. Bekannt wurde die aus Frankreich stammende Kunst vor allem durch mehrere spektakuläre Filmszenen: etwa in „Banlieue 13 – Anschlag auf Paris“ aus dem Jahr 2004 und dem James Bond Film „Casino Royale“ von 2006. Die physischen Bewegungen der Parkourläufer oder auch Traceure sind zum Teil Ausdruck eines Traums von Freiheit und Unabhängigkeit. „Sich anders bewegen als die Anderen“. Diese Wünsche brauchen jedoch Räume in denen sie sich manifestieren können. Traceure benötigen Räume, die auf ihre Bedürfnisse abgestimmt sind und einen Ausgleich zwischen szenischen und öffentlichen Interessen fördern. Zum anderen eignen sich Traceure grundsätzlich sämtliche Räume einer Stadt und den vorgefundenen Strukturen an – schließlich soll der physische Raum ohne verändernde Eingriffe genutzt und zum Hindernisparcours umgenutzt werden. Dabei kommen die Traceure mitunter mit anderen Nutzern in Konflikt oder geraten in gefährliche Situationen. Eine Lösung können gemeinsam geplante Anlagen bieten. Die Stadt Gladbeck hat mit der Planung und Umsetzung der ersten kommunalen Parkour-
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anlage in Deutschland Neuland betreten. Ähnlich wie bei den etablierten Skateanlagen versucht die Stadt, einen Raum zur Verfügung zu stellen, in dem Jugendliche ihren Sport beziehungsweise ihre Bewegungsabläufe an eigens entwickelten Geräten üben können. Im Rahmen eines Beteiligungverfahrens (Soziale Stadt Gladbeck-Butendorf) zur Gestaltung einer Spielfläche an der Diepenbrockstraße wünschten sich Kinder und Jugendliche eine Parkouranlage, deren Umsetzung die Stadt Gladbeck von Anfang an befürwortete und unterstützte. Im weiteren Planungs- und Beteiligungsprozess griff man die Idee auf, vertiefte sie unter anderem mit der dortigen Jugendeinrichtung und entwickelte erste Geräte. Viele, zum Teil grundlegende Fragen stellten sich damit unserem mit der Beteiligung und Planung beauftragten Landschaftsarchitekturbüro Hoff: Wie kann und wie muss eine solche Anlage aussehen? Gibt es Hersteller von Parkourstationen? Welche Sicherheitsnormen gelten beziehungsweise müssen genügen? Wie kann einer solchen Anlage zur Akzeptanz bei Bürgern und vor allem der kritischen Jugendszene verholfen werden? Aufgrund fehlender Beispiele und um eine hohe Akzeptanz zu erreichen, entwickelte unser Büro mit Hilfe eines versierten Parkour-
läufers aus Nordrhein-Westfalen und einem Hersteller von Sportelementen mehrere Parkourstationen, die sich an den einschlägigen vorhandenen Normen orientieren. Entstanden ist schließlich eine Spielfläche mit ganz eigenem Charakter, da neben den Parkourstationen weitere Spielgeräte aufgestellt wurden, um auch andere Nutzergruppen auf die Fläche zu locken. Die Geräte und Stationen sind in eine Grünfläche eingebunden, die sich dadurch von bekannten, versiegelten städtischen Trendsportanlagen deutlich unterscheidet. Parkourstationen für Kinder ab zehn Die Parkouranlage mit sechs Stationen richtet sich an Kinder und Jugendliche ab zehn Jahren. Sie soll sowohl unerfahrenen Nutzern als auch Profis ermöglichen, neue Bewegungen in einem sicheren Umfeld zu erlernen, aber auch dauerhaft und auf hohem Niveau Herausforderungen bieten. Ein Tableau der wichtigsten Bewegungsarten des Parkour diente als Basis für ein Lernkonzept: Welche Bewegungen können wo erlernt werden und worauf ist zu achten? Das Ergebnis sind einzelne Stationen, die aufeinander aufbauen und es erlauben, sämtliche Bewegungen zu erlernen und zu trainieren. Illustrierte Übungstafeln mit Anleitungen ergänzen die Stationen.
Niko Synnatzschke (4)
In Gladbeck entstand die erste Parkouranlage in Deutschland. Dort können Freerunner an Geräten Grundtechniken wie das Überwinden von Mauern, Balancieren, Springen und Landen üben.
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Kein Park im Park Seit 2009 ergänzt eine große Spielfläche den Oerliker Park in Zürich. Bei seiner Eröffnung vor acht Jahren wohnten noch kaum Menschen in dem neuen Stadtteil Neu-Oerlikon. Eine Quartierwerkstatt unter Leitung von Grün Stadt Zürich füllte eine von den Planern vorgesehene Interventionszone nach den Bedürfnissen der Quartierbewohner.
Christoph Busse (3)
Neben dem Holzdeck und dem grünen Brunnen liegt die neue Spielfläche. Quartierbewohner wünschten sich diese Nutzung für die Interventionszone des Oerliker Parks in Zürich.
Thomas Armonat Seit dem Sommer 2009 können Kinder mitten im Oerliker Park in Zürich zwischen lebensgroßen Mikadohölzern im Sand toben, darauf umherklettern und die an ihnen befestigte Schaukeln nutzen. Ein Spielplatz in einem Park ist für sich gesehen nicht sehr aufsehenerregend, besonders, wenn man in diesem Heft schon einige Beispiele interessanter Planungen betrachtet hat. Dieser Spielplatz hat aber eine besondere Entstehungsgeschichte. Der Oerliker Park im ehemaligen Industriegebiet Neu-Oerlikon im Norden Zürichs galt nach seiner Fertigstellung 2001 einigen als steril, zu geometrisch und nicht zum Verweilen einladend. Tatsächlich kamen die als Sieger aus einem Studienauftrag der Stadt Zürich hervorgegangenen Planer, seinerzeit noch das Badener Büro Schweingruber Seippel Zulauf, mit wenigen Gestaltungselementen aus. Etwa 600 Bäume stehen, in einem strengen Raster gepflanzt, auf dem Platz, der von der Birchstraße geteilt wird. Zentral positioniert ist ein roter Pavillon mit einem Holzdeck, nicht weit davon liegt ein langgestrecktes Brunnenbecken aus Beton und jenseits der Straße ragt ein metallener Aussichtsturm mit Wendeltreppe 33 Meter in die Höhe.
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Bei seiner Fertigstellung wohnten noch kaum Menschen in dem neuen Wohn- und Geschäftsquartier. Folglich gab es niemanden, der sich dort regelmäßig aufgehalten hätte und an dessen Ansprüche man die Parkgestaltung hätte anlehnen können. Wen nach seinen Bedürfnissen fragen, wenn doch niemand da ist? Platzhalter für künftige Nutzer Das wurde auch den Landschaftsarchitekten bewusst, die daher einen ungewöhnlichen Ansatz einer vorausschauende Planung wählten: Sie versahen ihr Parkkonzept mit einer Interventionszone, innerhalb derer die späteren Nutzer nach festgelegten Regeln ihre Interessen verwirklichen sollten. Denkbar war vieles: von einer Halfpipe über einen Streichelzoo bis hin zu einem Pflanzgarten. Die von den Landschaftsarchitekten formulierten Regeln ließen innerhalb der festegelegten Zone unter anderem eine weitere Möblierung und ein einstöckiges Bauwerk oder eine Dachkonstruktion zu, bestehende Bäume oder Einrichtungen durften zugunsten neuer Eingriffe entfernt und Leuchten versetzt werden. Auch einzelne Neupflanzungen waren erlaubt. Ausdrücklich nicht erwünscht war ein „Park
im Park“ mit einem völlig neuen Pflanzkonzept; ausgeschlossen waren auch ein Turm, Toiletten, ein neues Quartierhaus und eine Veränderung des Holzdecks oder des Straßenraums. Selbstverständlich sollten sich die neuen Elemente auch gestalterisch in den bestehenden Park einfügen, ihr Unterhalt tragbar sein und im öffentlichen Raum nicht unwichtig: Sie mussten robust gegenüber Vandalismus sein. Die neuen Einrichtungen sollten bestehende Parkteile außerhalb der Interventionszone nicht beeinträchtigen. Dazu gehörte auch, dass die bestehenden Niveaus nicht verändert werden sollten. Es gab also eine Art Bauordnung und einen Entwicklungsplan für die reservierte Zone. Trotzdem fiel es im ersten Moment nicht leicht, sich von dem Anspruch an die eigene Gestaltung zu lösen, erinnert sich Rainer Zulauf von Schweingruber Zulauf Landschaftsarchitekten in Zürich, wie das Büro heute heißt. Wenn auch in einem gewissen Rahmen, haben die Planer die Gestaltung der Interventionszone bewusst jemand anderem, noch unbekannten überlassen. So verstanden die Planer ihren Entwurf für den Oerliker Park auch als robustes Gerüst für zukünftig noch zu tätigende Eingriffe. Wann diese kommen würden, war aber noch nicht absehbar.
Die Konstruktion aus Eichenholz hat Hans-Georg Kellner mit verschiedenen Elementen bereichert: Schaukeln, Seile, Netze, Rutschen und H채ngematten sind darunter.
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