Freiraum Schule 1/2013 Garten + Landschaft
Januar 2013
Garten+
Landschaft Zeitschrift f端r Landschaftsarchitektur
Freiraum Schule
Inhalt 1/2013
Kinder und Jugendliche wollen Grenzen ausloten, um an ihren Erfahrungen zu wachsen. Dazu sollten Außenräume von Schulen die Möglichkeit bieten (Seite 12).
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Verlag: Callwey Verlag Streitfeldstraße 35 D-81673 München Fon +49 89 /43 60 05-0 Fax +49 89/43 60 05-113 www.garten-landschaft.de
Foto: Mark H. Anbinder
Editorial
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Mach mal Pause Robert Schäfer
Journal
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Natur als Infrastruktur entwerfen Robert Schäfer Symposium der Technischen Universität München am 29. und 30. November
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Stadtentwicklung in Brasília und Lima Thomas Armonat Zwei Fotoausstellungen im Stadthaus Ulm
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Entwicklungspotenziale durch Bewegung fördern Dieter Breithecker Kinder entwickeln ihr Selbstbewusstsein durch Forderung
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Nachhaltigkeit fasziniert uns Thomas Jakob Interview mit Jens Gabe, Landschaftsarchitekt und DGNB-Consultant
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Wo Thujahecken Wächter sind Susanne Isabel Yacoub Eine Schule für autistische Kinder in Berlin-Friedrichshain
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Oslo – eine unterschätzte Stadt Robert Schäfer Englischsprachiger Freiraumführer Oslo erschienen
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Schulhöfe als frei zugängliche Stadträume Juliane Pegels Beispiele für die Integration in den öffentlichen Raum
8
Der Herr der Kurven ist tot Claudia Moll Nachruf auf den 104-jährig verstorbenen Oscar Niemeyer
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Lernraum Freiraum Annette Kolkau Schulhöfe als Orte zum Toben und sich Zurückziehen
8
Wohnen – Die Regel und die Ausnahme Wolfgang Bachmann 11. Baumeister Architektur-Quartett am 14. Januar in München
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Zu wenig Platz zum Toben Thomas Jakob Die Grundschule an der Helsinkistraße in München-Riem
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Gedenken an die „Aktion T4“ Thomas Jakob Ein Denkmal für die Opfer der „NS-Euthanasie“-Morde in Berlin
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Menschen in Bewegung Beatrix Sauter Freiräume für Kinder und Jugendliche gemeinsam entwickeln
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Eine Manege für unsere nächsten Verwandten Thomas Armonat Neue Außengehege für Menschenaffen im Basler Zoo eröffnet
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Ein dänisches Märchen Ljubica Heinsen Die A.P. Møller Skolen in Schleswig
5 Das Stadthaus Ulm zeigt zwei Fotoausstellungen konträrer Stadtentwicklungen. Der brasilianischen Hauptstadt Brasília wird ihr peruanisches Pendant Lima gegenübergestellt.
10 Ende September eröffnete der Basler Zoo die neuen Außengehege der Menschenaffen-Anlage.
16 Autistische Kinder reagieren sehr sensibel auf Umgebungsreize. Dieser Besonderheit tragen die A ußenanlagen einer Schule in Berlin-Friedrichshain Rechnung.
Freiraum Schule
20 Schulhöfe sollten für alle nutzbar sein und sich mit dem Stadtraum verbinden. Ein Beispiel ist der mit der Straße verschmolzene Pausenhof der Krefelder Josefschule.
28 Obwohl die Grundschule in München-Riem direkt an den Riemer Park grenzt, haben die Kinder wenig Raum zum Toben.
Urban Design GaLaBau Praxis
44 50
Nachrichten Wettbewerbe DGGL Nachrichten Autoren, Vorschau, Nachtrag, Impressum
40 52 58 64 64
35 Die A.P. Møller Skolen in Schleswig ist eine Schule für die dänische Minderheit. Dank der komfortablen finanziellen Ausstattung entspricht sie dem Idealtyp einer Schule.
Herausgeber: Deutsche Gesellschaft für Gartenkunst und Landschaftskultur e.V. (DGGL) Wartburgstraße 42 10823 Berlin www.dggl.org 123. Jahrgang
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Titel: Cover von Boris Storz auf Grundlage eines Fotos von Fundraisingnetz/flickr.com
Für die Zukunft gestalten. 2
Garten + Landschaft
Bilder: Lina Kim & Michael Wesely, Torben Weber, Lechner Landschaftsarchitekten, Davids | Terfrüchte + Partner, Irene Burkhardt Landschaftsarchitekten, kessler.krämer Landschaftsarchitekten
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„Jede Bewegungshandlung ist für Kinder ein Bedeutungsgewinn und hinterlässt Spuren, die wir als Kompetenzen bezeichnen.“
Dieter Breithecker
Entwicklungspotenziale durch Bewegung fördern Die Schule fördert ganzheitliches Lernen, gestaltet das Leben der Kinder und unterstützt deren Entwicklung. Bewegung muss daher in den Schulalltag einbezogen werden. Dies gilt
Kinder haben das Bedürfnis, ihren Körper im Verhältnis zu ihrer Umwelt zu erfahren und Grenzen auszuloten. Freiräume an Schulen sollten das ermöglichen.
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Sharon Drummond (2)
besonders für Ganztagsschulen.
Den Begriff der Bewegung verbindet man klassischerweise mit Sport und körperlicher Fitness. Bewegung ist aber mehr als Sport, Leistung, Wettkampf oder Kalorienverbrauch. Bewegung ist vor allem für Heranwachsende eine Ressource, die sie bei entsprechenden äußeren Anreizen freudvoll und selbstbestimmt einsetzen, um damit ihre Entwicklung zu organisieren. Sie springen in eine Pfütze oder balancieren auf einer Mauer. Ein derart verstandener Bewegungsbegriff ist immer ganzheitlich ausgerichtet und somit als Mensch-Welt-Beziehung im Sinne einer Dialoggestaltung aufzufassen, so der Sportpädagoge Knut Dietrich. Jede Bewegungshandlung ist für Kinder ein „Bedeutungsgewinn und hinterlässt Spuren, die wir als Kompetenzen bezeichnen“, sagt Klaus Fischer, Professor für Bewegungserziehung und Bewegungstherapie in der Heilpädagogik an der Universität Köln. Aus dieser Sicht gewinnt die Bewegung für Bildung und Entwicklung unserer Kinder einen immer größeren Stellenwert. Die speziell im Vor- und Grundschulalter hohe Anpassungsfähigkeit des heranwachsenden Gehirns als Schaltzentrale unserer Handlungen und Zentrum unseres Fühlens und Denkens ist permanent auf komplexe Stimulationen angewiesen. Gehirnentwicklung ist Selbstkonstruktion auf der Grundlage einer motivierenden und zielgerich teten, interaktiven Auseinandersetzung der Kinder mit einer anregungsreichen und herausfordernden Umwelt. Ein Kind ent wickelt sich hauptsächlich über die eigene
Aktivität. Die besten Impulse und Anregungen für die Entwicklung sind diejenigen, die das Kind sich aus einer reichhaltig strukturierten Umwelt selbst zusammenstellen kann. In der Regel spüren Kinder intuitiv, welche Impulse für sie fruchtbar sind. Kinder brauchen deshalb einen Raum für Versuche, Experimente, Wagnisse und auch Fehler. Sie brauchen viel Zeit und Gelegenheit für Experimente und Aktivität, die nicht durch ein zu enges Regelwerk und Bevormundung durch Erwachsenen eingeschränkt werden dürfen. Daher gilt: • Das Bedürfnis, selbst zu planen und zu gestalten, muss durch offene, die Selbst- tätigkeit und Kreativität der Kinder an- sprechende Bedingungen angeregt werden. • Den unterschiedlichen Leistungsvoraus- setzungen muss durch differenzierte Herausforderungen und die Bereitschaft, überschaubare Risiken einzugehen, ent- sprochen werden. • Risikokompetenz muss sich durch eigene Wagniserfahrungen in grenzwertigen Situationen ausbilden. • Selbstvertrauen und Selbstsicherungs- fähigkeit muss dadurch gefördert wer den, dass das Kind lernt, für sich selbst Verantwortung zu übernehmen. • Soziales Lernen muss durch das Lösen von Aufgaben, die gemeinsames und koordi- niertes Handeln und Planen erfordern, angeregt werden.
Da Kinder heute ihre Bewegungsfreizeit immer seltener selbst organisieren, beeinflusst der Erwachsene mit seiner Haltung und seiner Planung die Qualität der Entwicklung. Er sollte nicht „belehrend, sondern begleitend“ fungieren, sagt Klaus Fischer. Er hat nach Ansicht des Psychiaters Manfred Spitzer die Rolle, „die Umgebung des Kindes aktiv zu gestalten, sodass entsprechende Lernergebnisse positive Erfahrungen möglich werden lassen“. Lernen ist immer emotional besetzt. Größten Erfolg sichern positive Emotionen, wenn das Kind ein Problem oder eine Aufgabe bewältigt hat. Dadurch erfahren Kinder sehr viel über eigene Grenzen und gewinnen ein immer genaueres Bild ihrer Leistungsfähigkeit. Ein Beispiel hierfür ist der Lern- und Lebensraum Schule der Fridjof-Nansen-Schule in Hannover (www.fns-online.de). Bewegungsraum als „dritter Pädagoge“ Der Raum wird in seiner Bedeutung für die Bildung immer noch unterschätzt. Er ist nach Loris Malaguzzi, dem Vordenker der Reggio-Pädagogik, der sogenannte dritte Pädagoge neben Eltern und Lehrern sowie den Gleichaltrigen. Lernende sind naturgemäß Forscher, Entdecker und Konstrukteure von Wissen. Insofern brauchen Lern- und Bildungsstätten neben einem fundierten pädagogischen Grundkonzept auch offene und flexible Raumlösungen, die Bildungspotenziale von Kindern aktivieren, stärken und sichern. Immer mehr am Wohlbefinden und am
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Landschaftsarchitektur+Video
Im „Kalenderhof“ der Schule für autistische Kinder an der Marchlewskistraße in Berlin sitzen die Kinder auf farbigen Hockern, die mit den Monatsnamen beschriftet sind. Dort gibt es auch Regale, um Sachen einzusortieren.
Wo Thujahecken Wächter sind In Berlin-Friedrichshain wurde eine Kita zu einer Schule für autistische Kinder und Jugendliche umgebaut. Elemente wie Sand und Pflanzen werden auch bei anderen Schulen eingesetzt. Anders ist aber, dass etwa
Lechner Landschaftsarchitekten (6)
Thujen Bereiche abschirmen, um die Kinder vor zu vielen Umgebungsreizen schützen.
Eine ehemalige Kita wurde zu der Schule und dem Begegegnungszentrum an der Marchlewskistraße in Berlin-Friedrichshain umgebaut. Die Außenanlagen plante das Berliner Büro Lechner Landschaftsarchitekten.
Thujahecken vor den Klassenzim merfenstern schützen die Kinder vor Umweltreizen, die sie in ihrer Konzentration stören würden.
Susanne Isabel Yacoub Autisten mit ihren oft ausgeprägten Bega bungen und ihrer hochsensiblen Art, auf die Umwelt zu reagieren oder sich dieser aus mangelnder Kommunikationsfähigkeit zu entziehen, sind keine unbekannte Größe mehr. Seit Angehörige ihre Erfahrungen in Büchern veröffentlichten und erstaunliche Lebensläufe in Hollywood verfilmt wurden – etwa die Geschichte der amerikanischen Professorin Temple Gradin, die sich außer gewöhnlich in das Verhalten von Rindern einfühlt – haben westliche Gesellschaften weniger Berührungsängste. Sie sind offener geworden. Wie sehr aber normaler Alltag eine reizüber flutete „Tour de Force“ zu sein vermag, kön nen Außenstehende kaum ermessen. „Das schwierige für Menschen mit Autismus oder Asperger-Syndrom ist die veränderte Wahr 16
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nehmung. „Meiner Tochter fehlt die Fähig keit der Selektion, also Wichtiges von Un wichtigem zu unterscheiden. Dadurch wer den alle Sinne mit Informationen regelrecht überschwemmt. Sich orientieren zu können, ist das Schwierigste für diese Kinder. Es ist wichtig für sie, alles unter Kontrolle zu haben und es ist ihnen nur bedingt möglich, sich in Gruppen zu bewegen“, sagt Carolin Grzelka-Roth, Mutter einer 12-jährigen Tochter. Schulen allerdings sind geprägt von einer Atmosphäre aus kontrastierenden Reizen, hohem Lärmpegel und Gruppenzwängen. In Berlin-Friedrichshain bezogen sechs Klas sen für Kinder mit frühkindlichem Autismus eine umgebaute Kita. 27 Schüler im Alter von 6 bis 16 Jahren teilen sich das Gebäude mit einer Freizeiteinrichtung für behinder
te Erwachsene, dem Integral-Begegnungs zentrum. Im Alltag sind Höfe und Trakte getrennt, bei Festen, Veranstaltungen oder Raummangel ist eine gemeinsame Nutzung vorgesehen. Unumgänglich sind gut be fahrbare Pflasterflächen, ausreichend groß dimensioniert, um im Bedarfsfall 200 Gäs ten, davon etwa 40 Rollstuhlfahrern, Platz zu bieten. „Da habe ich gelernt, dass ein Höhenunterschied von zwei Zentimetern eine unüberwindliche Schwelle sein kann“, sagt die Landschaftsarchitektin Regine Lechner, die die Außenanlagen geplant hat. Auch was autistische Kinder brauchen, recherchierte sie gründlich. Sie tauschte sich mit den Lehreren und der Schulleitung aus, um elementare Kinderbedürfnisse – sich verstecken, toben, klettern – in Formen, Farben und Raumkonzepte zu Garten + Landschaft
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Davids | Terfrüchte + Partner (8)
An die Krefelder Josefschule grenzt die Corneliusstraße. Nach zähem Ringen mit den Nachbarn gelang es dem Essener Büro Davids Terfrüchte + Partner, Schulhof und Straße zu einem multifunktionalen Erlebnisraum zu verschmelzen.
Am Wolfsburger Ratsgymnasium erprobt das Hannoveraner Büro lad+ mit Schülern und Lehrern abgestimmte Elemente wie einen „Explorationsraum“ mit Seilgarten und einen mobilen Schulgarten.
Spielhof Josefschule und Platzgestaltung Corneliusstraße, Krefeld
Grenze
Bestand Nachbargebäude Trafohaus Stadtwerke Wolfsburg
Explorationsraum
- 0,14 OKT
- 0,14 OKT
- 0,14 OKT
Ratsgymnasium 4 Stg. 17 / 29,5
3. 1.41 Flur WC 7.88 m2
3. 1.44 WC Mädchen 6.04 m2
12 Stg. 17,1 / 29,5
3.1.6 AUR 5-6 77.70 m2
3. 1.43 WC Jungen 4.25 m2
Grenze
- 0,02 OKT
- 0,02 OKT
A.1. 8 Lager 3.49 m2
Sitzstufen
3.1.5 AUR 5-6 77.70 m2
3.1.3 AUR Bestand
BS- H 30 x 10
Standort Tafel bei Licht von links
Standort Tafel bei Licht von links
3.1.72 GRU 5-6 13.66 m2
3.1.45 GRU 24.40 m2
Außenanlagen Sphäre 5 und 6 Ratsgymnasium Wolfsburg
A. 1.6 Lounge 85.38 m2
3.1.71 GRU 5-6 10.60 m2 3. 1.42 Vorraum Jungen 5.26 m2 A.1. 9 Pumi 2.78 m2
3.2.NN Flur 29.47 m2 A. 1.2 Lounge 80.77 m2
14 STG 17.0/29. 0
9 STG 16.9/29. 0
3
2.987
A. 1.1 Flur 94.19 m2
- 0,02 OKT
3.1.12 FLUR Bestand
Bauherr: Stadt Krefeld Freiraum: Davids | Terfrüchte + Partner, Essen Fläche: 2 900 Quadratmeter Bauzeit: 2009 bis 2011 Kosten: 225 000 Euro
Auftraggeber: Stadt Wolfsburg, Geschäftsbereich Grün Freiraum: lad+, Hannover Fläche: 2 500 Quadratmeter Bauzeit: seit 2012 Baukosten: 200 000 Euro (1. Bauabschnitt)
885
9 STG 16.9/29. 0
4 STG 17/30
2 STG 34/60
A. 1.12 Pause/Lounge 20.99 m2
Windfang 7.95 m2
A. 1.3 AUR 5-6 69.16 m2
A. 1.4 GRU 5-6 33.26 m2
Standort Tafel bei Licht von links
Standort Tafel bei Licht von links
4 STG 17/30
A. 1.5 AUR 5-6 69.16 m2
14 STG 17.0/29. 0
+ 0,84 OKT Fluchttreppe
mobiler Schulgarten
Schulhöfe als frei zugängliche Stadträume Neue pädagogische Konzepte und neue Betreuungszeiten verlangen nach anspruchsvolleren Außenräumen an Schulen. Dabei bietet es sich an, diese öffentlich zugänglich zu machen. Solche vielfältig nutzbaren Freiräume helfen, die Schulen als Lebensraum jenseits des Unterrichts in die Quartiere zu integrieren.
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In unterschiedlichen Kontexten wird betont, dass die Qualität des Bildungssystems für die Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft von außerordentlicher Bedeutung sei. Architektur und Freiraumgestaltung sprechen aber oftmals noch eine andere Sprache. Viele Jahrzehnte sind Schulgebäude und deren Außenanlagen wenig beachtet worden. Freiräume dürfen nicht mehr nur Abstellorte für kurze Pausen sein, sondern sind mittlerweile Aufenthaltsorte, in denen Kinder und Jugendliche viel Zeit verbringen. Der alte, asphaltierte und umzäunte Schulhof taugt dazu nicht mehr. Vielmehr müssen die Außenräume unterschiedlichen Bewegungs- und Aufenthaltswünschen verschiedener Altersgruppen gerecht werden. So wie die Schule identitäts- und integrationsstiftender Ort im Quartier auch jenseits des Unterrichts werden soll, so müssen auch die Freiräume zu multifunktionalen, öffentlich zugänglichen Räumen werden.
Josefschule Corneliusstraße
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Juliane Pegels
Unterschiedliche Interessen vereinen Wie breitgefächert die Wünsche und Bedürfnisse unterschiedlicher Altersklassen sind, wird bei den Schülern des Ratsgymnasiums in Wolfsburg deutlich. Wie in vielen Schulen steht dort derzeit die Aufwertung der Außenanlagen an. In vielen Gesprächen zwischen Lehrern, Schülern und Landschaftsarchitekten sind die Bedürfnisse der verschiedenen Schülergruppen identifiziert worden. Dabei äußern die Kleinen oft andere Wünsche als die Großen; während Letztere Räume zum „Chillen und Abhängen“ bevorzugen, wünschen die Kleinen Garten + Landschaft
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Thomas Jakob „Den Pausenhof unserer Schule wollen Sie vorstellen? Dürfen wir dann auch Kritik äußern?“ Der erste Kontakt mit Martina Holzinger, Konrektorin der städtischen Grundschule an der Helsinkistraße im Münchner Stadtteil Messestadt Riem, beginnt anders als erwartet. Drei Jahre besteht die zweizügige Grundschule mit vier Tagesheimgruppen nun schon, und drei Jahre nutzen die 150 Schüler die von Fink + Jocher Architekten aus München gebaute Schule und die von Irene Burkhardt Landschaftsarchitekten geplanten Außenanlagen. Genug Zeit also, um zu überprüfen, ob das, was sich die Landschafts architekten ausgedacht haben, in d er Realität so funktioniert. Der erste Eindruck, wenn man in der Schule steht: sehr großzügig geplant und eine tolle Aussicht auf den Park. Denn die Grundschule am südlichen Ende der Helsinkistraße liegt direkt am sogenannten Aktivitätenband am Riemer Park. In den rechteckigen und lang gestreckten, eingeschossigen Bau sind drei Höfe auf der Nordseite und zwei Pausenhöfe auf der Südseite eingeschnitten. Im ersten nördlichen Hof an der Promenade liegt der Haupteingang, in den beiden anderen ein kleines Theatron und ein Klassen zimmer im Grünen. Im Gebäude verläuft über die gesamte Länge ein Gang, der je-
Die Grundschule an der Helsinkistraße in München-Riem, geplant vom Münchner B üro Irene Burkhardt Landschaftsarchitekten, liegt direkt am Landschaftspark Riem. Den dürfen die Schüler allerdings nicht nutzen – aus versicherungsrechtlichen Gründen. Schulgarten
Schulhof
Spielbereich
Birkenhain
Zu wenig Platz zum Toben Die Grundschule an der Helsinkistraße am Rande der Messestadt Riem in München liegt direkt am Riemer Park, dem großen Naherholungsgebiet im Münchner Osten auf dem
Irene Burkhardt Landschaftsarchitekten (5)
Grünwerkstatt
weils dort zu einem großzügigen Vorbereich erweitert ist, wo Licht direkt von den Außenhöfen hereinfällt. Von dort aus gelangt man in die Klassen- und Gruppenräume, die sich nach Süden, Westen und Osten orientieren und von denen man über die Außenhöfe ins Freie kommt. Eine Grünwerkstatt liegt an der Südwestecke und verfügt über einen eigenen Eingang von Westen. Die Lage und der Ausblick seien ohne Zweifel toll, sagt Martina Holzinger. Aber: „Der Schulhof ist viel zu klein.“ Es werde schnell eng, wenn alle Kinder herumrennen und toben. „Erst recht, wenn auch noch die Kinder des Tagesheims mit ihren Kettcars herumsausen.“ Auch der Schulgarten im Osten fällt als Tobefläche aus. „Und wenn die Kinder in die Hecken kriechen schimpft der Hausmeister.“ Wenn es nach ihr ginge hätte man auch auf die Rundbänke um die Bäume verzichten können. „Da sitzt nie ein Kind drauf.“ Auch nicht auf der Umfassungsmauer zum Park. Immerhin habe man durch den Abbau der Spielgeräte im westlichen Teil des Schulhofes an Platz gewonnen. „Da haben sich die Kinder ständig dran gestoßen.“ Die Außenflächen entsprächen der Norm heißt es beim Bauherrn, der Maßnahme träger Riem GmbH. Man muss aber wissen, dass am jetzigen Standort gar keine Schule
geplant war, sondern eine Grünwerkstatt und ein Biergarten. Doch reichte die Zahl der Grundschulplätze im neuen Stadtteil Riem nicht aus, weshalb man ein weiteres Schulgebäude benötigte. Als Baufläche kam aber nur ein Grundstück am Rande des Bebauungsgebietes in Frage, unmittelbar neben einem Jugendzentrum. Lage und Form der Grundschule und der Außenanlagen sind ein Kompromiss, sagt Martin Spiekermann von Irene Burkhardt Landschaftsarchitekten. Eigentlich gehört die Fläche schon zum von Gilles Vexlard geplanten Landschaftspark. Der Franzose hatte sich lange gegen einen Eingriff in das sogenannte Aktivitätenband gewehrt. Und die Bewohner wollten kein mehrgeschossiges Gebäude vor ihren Wohnungen. Deshalb planten Fink + Jocher Architekten ein Gebäude, das die pädagogischen Möglichkeiten einer eingeschossigen Schule, die allen Lerngruppen einen unmittelbaren Außenzugang ermöglicht und stressfördernde enge Gänge und Treppenhäuser vermeidet. Die Grünflächen mussten minimiert werden. „Sie sind tatsächlich nicht opulent“, sagt Spiekermann. „Aber anders wäre eine Realisierung nicht möglich gewesen.“ Fußballspielen im Schulhof? Martina Holzinger schüttelt den Kopf. Das gehe nur im Park. Und den dürfe man eigentlich in den
In das Schulgebäude sind auf der Südseite zwei Pausenhöfe eingeschnitten. Die Höfe nutzen nicht nur die Grundschüler, sondern auch die Kinder des Tagesheims.
ehemaligen Gelände der Bundesgartenschau 2005. Doch die derzeit 150 Schüler haben nur wenig Platz zum Toben.
Im östlichen Teil des Pausenhofs liegt der Schulgarten, in dem unter anderem Obstbäume wachsen. Die Schüler halten sich dort eher wenig auf.
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Garten + Landschaft
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