Garten + Landschaft 03/2015

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Garten+

Landschaft

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Zeitschrift f체r Landschaftsarchitektur

Perspektiven


Inhalt 3/2015

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Verlag: Callwey Verlag Streitfeldstraße 35 D-81673 München Fon +49 89 /43 60 05-0 Fax +49 89/43 60 05-113 www.garten-landschaft.de

125. Jahrgang

Für die Zukunft gestalten.

Garten + Landschaft

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Netze knüpfen Gesa Loschwitz-Himmel

Journal

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Fit für die Stadt von morgen Thomas Jakob Zukunft Stadt – ein Kongress der Messe Berlin und Garten + Landschaft

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Kein Hamburg 3.0 ohne Stadtgrün 3.0 Ljubica Heinsen Grün in der postindustriellen Stadt, Ausstellung im Hamburg Museum bis 19. April

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Die Welt en detail Robert Schäfer Günther Vogt erzählt in fünf Kapiteln sein Leben und sein Denken

5 Die Ausstellung Stadtgrün 3.0 im Hamburg Museum zeigt ­Visionen für das Grün in Metropolen, kompakt in Kisten.

Herausgeber: Deutsche Gesellschaft für Gartenkunst und Landschaftskultur e.V. (DGGL) Wartburgstraße 42 10823 Berlin www.dggl.org

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Editorial

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12 Die New Yorker High Line, entworfen von James Corner Field Operations, gilt als Prototyp für eine Stadtentwicklung durch Landschaftsarchitektur.


Perspektiven

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Grüne Infrastruktur und Landschaftsarchitektur Udo Weilacher Über Strukturalismus und vernetztes Planen

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Projizierte Ökologie Wolfram Höfer Entwurf und Ökologie in der deutschen und amerikanischen Planungskultur

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Resilienz – neuer Maßstab für Gestaltung und Planen Harald Kegler Strategien und Perspektiven für eine widerstandsfähige und lernende Stadt

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Urbane Natur gestalten Martin Prominski, Malte Maaß, Linda Funke Naturschutz und Freiraumnutzung

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Stadtmachen mit Raumunternehmen Klaus Overmeyer Wie Nutzer selbst Stadt entwickeln

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Die Stadt als Ökosystem Frederick Steiner Das Buch „The Granite Garden“ beeinflusste die Profession nachhaltig

23 Am Olbeschgraben in Trier integrierten BGHplan Oberflächenversickerung als Kaskaden in die Grünanlage.

28 Abseits der üblichen Planungsverfahren initiierte das Team von ZUS eine übergeordnete Freiraumverbindung in Rotterdam zwischen Bahnhof und angrenzendem Viertel.

Nachrichten Leserbrief Projekt Produkte Wettbewerbe DGGL Nachrichten Vorschau, Autoren Nachtrag, Impressum

38 42 44 50 53 58 64 64

32 Anne Whiston Spirn startete 1987 das West Philadelphia Landscape Project (WLPL) als „Aktions-Forschungs-Programm“. Der Plan zeigt Überlegungen zum Mill Creek Park.

Bilder: Hamburg Museum, James Corner Field Operations, Martin Prominski, ZUS, WPLP/Anne Whiston Spirn

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Journal

Fit für die Stadt von morgen Zukunft Stadt – ein Kongress der Messe Berlin und Garten + Landschaft am 16. April

Das Wissenschaftsjahr 2015 steht im Zeichen der Zukunftsstadt. Die Bundesregierung hat dazu eine Nationale Plattform Zukunftsstadt ins Leben gerufen, um eine strategische Forschungsund Innovationsagenda zu erstellen. Während sich diese Plattform mit Energie- und Ressourceneffizienz, Klimaanpassung und Resilienz, Transformationsmanagement und Governance befasst, geht es beim Kongress „Zukunft Stadt@GRÜNBAU“ am 16. April in Berlin um praxisnahe Antworten auf die planerischen Herausforderungen in der Stadt. Für den Kongress „Zukunft Stadt@GRÜNBAU“ haben sich die Messe Berlin und Garten + Landschaft zusammengetan, um ein Forum für die zukunftsfähige Stadtentwicklung zu bieten. Praxisnahe Vorträge Die Tagesveranstaltung im Marschall-Haus auf dem Berliner Messegelände beginnt mit einem Vortrag des Stadtplaners Gregor H. Mews zu mehr Risikokompetenz beim Spielen. Anschließend stellt der frühere ­Sozialpädagogik-Professor Bernhard Meyer zwei Beispiele vor, wie Städte den öffentlichen Raum für Ältere Menschen und

Kinder zurückgewonnen haben. Mit der Vision einer inklusiven Gesellschaft und den Anforderungen der neuen DIN 18040-3 befasst sich die Landschaftsarchitektin und Professorin an der TU Dresden, Irene Lohaus aus Hannover. Sie hat zusammen mit weiteren Fachleuten den „Leitfaden Barrierefreies Bauen“ entwickelt, der beim Bau von Gebäuden und Außenanlagen des Bundes zu berücksichtigen ist. Der Nachmittag beginnt mit zwei Vorträgen zu Bäumen in der Stadt. Während Philipp Schönfeld von der Bayerischen Landesanstalt für Weinbau und Gartenbau Veitshöchheim die richtige Planung zur Größe der Baumgruben, zum Substrat, der Artenauswahl, Pflanzung und Pflege erläutert, stellt die Landschaftsarchitektin Kerstin Abicht eher unbekannte AlleeBaumarten für die Stadt und ihre Ansprüche vor. Zum Abschluss stellt Dieter Grau vom Atelier Dreiseitl aus Überlingen das Forschungsprojekt Kuras vor. Ziel des Projektes ist es, integrierte Konzepte eines nachhaltigen Umgangs mit Abwasser und Regenwasser für städtische Standorte zu entwickeln. tj

Zeitplan Zukunft Stadt @Grünbau, 16. April, Marschall Haus Berlin 9.45 Begrüßung 10.00 Risikokompetenz im Spielraum (Gregor H. Mews, Manager Projekt­ entwicklung und Öffentlichkeitsarbeit, SIK-Holzgestaltungs GmbH) 10.45 Der öffentliche Raum als multifunktioneller Ort – die Besitzbare und die Bespielbare Stadt (Bernhard Meyer, emeritierter Professor für Sozialpädagogik an der Ev. Hochschule Darmstadt) 11.30 – 11.45 Kaffeepause 11.45 Barrierefrei planen und bauen – die Vision einer inklusiven Gesellschaft (Irene Lohaus, LohausCarl Landschaftsarchitektur, Hannover) 12.30 Kurzvorträge von Unternehmen zur zukunftsfähigen Stadt im PechaKucha-Format 13.00 – 14.00 Mittagspause 14.00 Den Bäumen eine guten Start geben – Straßenbaumpflanzung nach den Regelwerken der FLL und ZTV-Vegtra-Mü, (Philipp Schönfeld, Sachgebietsleiter Pflanzenökologie und Pflanzenverwendung, Bayerische Landesanstalt für Weinbau und Gartenbau Veitshöchheim)

Wir s Pr

14.45 Stadtbäume der Zukunft – mehr Artenvielfalt für unsere Städte (Kerstin Abicht, Landschaftsarchitektin, Baumschule Lorenz von Ehren, Hamburg) 15.30 – 15.45 Kaffeepause

15.45 Kurzvorträge von Unternehmen zur zukunftsfähigen Stadt im Pecha-KuchaFormat 16.00 Regen bringt Segen – Konzepte für urbane Regenwasserbewirtschaftung und Abwassersysteme (Dieter Grau, Atelier Dreiseitl, Überlingen) ab 16.45: Get together Die Teilnahme an dem Kongress ist kostenlos. Eine Anmeldung ist unter ­ www.gruenbau-berlin.de erforderlich. Parallel zu den Vorträgen stellen mehrere Anbieter von Stadtmobiliar, Spiel­ geräten und Bodenbelägen ihre Produkte in einer kleinen Ausstellung vor.

Gesucht: die schönsten Privatgärten – geplant von Gartenarchitekten Garten + Landschaft und der Callwey Verlag loben den Award „Gärten des Jahres“ aus

Es gibt das Auto des Jahres, die Häuser des Jahres und bald auch die Gärten des Jahres. Denn erstmals loben Garten + Landschaft und der Callwey Verlag zusammen mit dem BDLA, dem Bundesverband Garten-, Landschafts- und Sportplatzbau, der Firma KANN und der Zeitschrift Mein schöner Garten den Award „Gärten des Jahres“ aus. Teilnahmeberechtigt sind Landschaftsarchitekten, Gartendesigner und Garten- und Land4

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schaftsbauer aus dem deutschsprachigen Raum. Sie können bis zum 15. Juli ihre realisierten Privatgartenprojekte aus dem deutschsprachigen Raum einreichen. Die Größe des Gartens und das verplante und verbaute Budget spielen dabei keine Rolle. Die 50 besten Gärten werden in dem umfangreichen Bildband „Gärten des Jahres 2016“ ver­ öffentlicht sowie in den Zeitschriften Mein schöner Garten und Garten + Landschaft vorgestellt.

Der Sieger erhält zudem ein Preisgeld in Höhe von 5 000 ­Euro. Der 1. Preis und die Auszeichnungen werden am Dienstag, den 16. Februar 2016 auf Schloss Dyck verliehen. Das Buch mit den besten Privatgärten ­erscheint wenige Tage später ­ im Buchhandel. Detailierte Informationen zu den Wettbewerbsbedingungen sowie die Teilnahmeformulare gibt es im Internet unter: www.gaerten-des-jahres-com.

G GÄRTEN DES JAHRES CALLWEY VERLAG GARTEN+LANDSCHAFT MEIN SCHÖNER GARTEN KANN GMBH BGL BDLA SCHLOSS DYCK

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EINSENDESCHLUSS 15.07.2015

DIE Die


Kein Hamburg 3.0 ohne Stadtgrün 3.0 Grün in der postindustriellen Stadt, Ausstellung im Hamburg Museum bis 19. April

darf es die Qualität seines Stadtgrüns nicht aus den Augen verlieren. Erfreulich ist deshalb, dass „Stadtgrün 3.0“ mit ihrem Platz in einem der größten Stadtmuseen ein breites Publikum erreichen und sensibilisieren kann. Für das Fachpublikum mag vieles altbekannt sein. Sehenswert sind die Projektschau sowie der begleitende Ausstellungsfilm trotzdem, weil die Fachinhalte spannend erzählt und gut vermittelt werden. Der Film beginnt mit einem Zitat von Fritz Schu­macher, der die Botschaft der Ausstellung auf den Punkt bringt: „Bauflächen entstehen, auch wenn man sich nicht um ­sie kümmert. Grünflächen verschwinden, wenn man sich nicht um sie kümmert.“ Ljubica Heinsen

Jagdreviers. Das Stadtgrün 3.0 tickt anders. Es kann in der postindustriellen Stadt nicht aus Landschafts­flächen dieser Dimension wachsen, sondern entsteht bei Um- und Neunutzungen, durch mobile Konzepte oder Partizipationsmodelle. Dass Genese, Maßstab und Autorenschaft sehr vielfältig sind, macht die Ausstellung nicht zuletzt mit den sehr gut recherchierten Texten deutlich. Für Hamburg, das sich durch eine Wohnungsbauoffen­sive einem Verdichtungsdruck ausgesetzt hat, ist eine Ausstellung, die sich für das Stadtgrün stark macht, wichtig. Wenn die Stadt ihr Selbstverständnis als grüne und lebenswerte Metropole auch in Zukunft gerecht werden will,

Atelier Loidl

Planungsbüro Bunker Hamburg

Hamburg Museum

initiativen, Grünaktivisten und Künstler ihren Platz in der Ausstellung. Vorgestellt werden ­etwa die „Wanderbaumallee“, die mit mobilen Bäumen durch die Stadt zieht und dauerhafte Begrünungsprojekte anstößt, und der Gemeinschaftsgarten „Keimzelle“ aus Hamburg. Keines der 26 Projekte wird hervorgehoben; sie alle „wachsen“ in Pflanzkästen, die sich gleichförmig über den Raum verteilen. Das steht im wunderbaren Kon­trast zum ausladenden Holz­modell des Hamburger Stadtparks, einem Exponat der direkt benachbarten Ausstellung „Park Pioniere – 100 Jahre Stadtpark“. Damals entstand der 150 Hektar große Volkspark auf der Fläche eines privaten

Present Architecture, Andre Guimond, Evan Erlebacher

Das Hamburg Museum hat das Urban Gardening entdeckt. Das lassen acht hölzerne Kisten auf dem Vorplatz am Holstenwall vermuten, die an die mobilen Hochbeete der Gartenbewegung erinnern. In den Kästen sind „Saatballlabore“ angelegt, die zeigen, wie die Samen von Seedbombs auf vier verschiedenen Hamburger Böden aufgehen. Urban Gardening und Guerilla Gardening sind die Teaser für die aktuelle Sonderausstellung „Stadtgrün 3.0“ im Hamburg Museum. Sie deuten eine neue Ära in der Begrünung von Städten an. Die Besucher sollen einen Überblick erhalten, wie und wo das Grün der Zukunft mobilisiert wird und welche Akteure es in die Städte bringen. Die Holzkästen finden sich auch im Ausstellungsraum. Darin aufgespannt sind Fotos, Pläne und Renderings von 26 Projekten. Sie sind nach den „Nährböden“ gegliedert, auf denen das Grün wachsen und erschlossen werden kann. Zu sehen sind Freiräume auf stillgelegten Gleisen und Flugplätzen, Tunneldecken, Deponien und künstlichen Inseln. Hamburger Projekte belegen sieben Pflanzkästen: etwa der geplante Deckelpark über der A7, der Energieberg Georgswerder und die Planungen zur Baakeninsel in der Hafencity. Der Blick geht jedoch über die Landesgrenzen hinaus. „Madrid Rio“ zeigt wie nach der Untertunnelung eines Autobahnrings ein Park am lange verbauten Stadtstrom Manzanares entstanden ist. Die High Line, die heute in keinem New York Reiseführer fehlt, steckt ebenso in einem Pflanzkasten wie die Studie „The Green Loop“ des Büros Present Architecture. Darin schlagen die Architekten zur Bewältigung von New Yorks Müllproblem den Bau von dezentralen Deponieund Kompostierinseln entlang der Flussufer vor, auf denen zugleich neue Freiräume entstehen sollen. Neben diesen großen Visionen haben auch Bürger­

Projekte in Kisten im Hamburg Museum, unter anderem: Green Loop, New York (links), Stadtgarten auf dem Bunker St. Pauli (Mitte) und Baaken Island, Hamburg.

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Projizierte Ökologie Die Integration ökologischer Inhalte in den planerischen und gestalterischen Prozess der Landschaftsarchitektur ist in den USA Neuland. Dennoch könnte die aktuelle Diskussion dort dazu ­beitragen, den Dialog zwischen Ökologie und Gestaltung auch in Deutschland neu zu beleben.

Das Buch Projective Ecologies, das Chris Reed, Nina-Marie Lister 2014 herausgegeben haben, war Anlass, für diesen Artikel über Ökologie und Gestaltung und die Rolle von dynamischen Prozessen in der Planung in den USA und Deutschland.

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Wolfram Höfer Seit ich vor neun Jahren nach New Jersey gezogen bin, verbringe ich jedes Sylvester in Berlin. Jedes Jahr werben mehr Berliner Restaurants und Geschäfte auf Englisch um Kunden. Selbstverständlich sollen so Touristen angelockt werden. Doch die Internationalisierung erstreckt sich nicht nur auf Stadt-Marketing. Englisch wird auch zunehmend an Unis gesprochen. Auch in der Landschaftsarchitektur gibt es zahlreiche Kurse auf Englisch, englische und amerikanische Texte werden dabei selbstverständlich in der Originalsprache gelesen. Damit öffnet sich die deutsche akademische Diskussion in bisher nicht gekanntem Maß dem anglo-amerikanischen Denken – oft vergessend, dass die Argumente vor dem Hintergrund der jeweiligen fachlichen und kulturellen Traditionen anders zu verstehen sind als im deutschen Kontext. Das gilt auch für den kürzlich von der


Das Diagramm von Stoss/Chris Reed, Megan Struder, Scott Bishop zum ökologischen Umbau von Detroit (2012) zeigt, wie Planung auf Prozesse reagieren kann. Diagramm: Stoss, Megan Struder, Scott Bishop

­ arvard G H ­ raduate School of Design herausgegeben Sammelband Projective Ecologies. Die Herausgeber Chris Reed und Nina-­ Marie Lister stellen unter fünf Themenfeldern (Fundamente und Evolution, Aufkommende Ideen des ökologischen Denkens, Anthro-Ökologien und Hybride, Ökologie, Stadt und Design und Wege vorwärts) acht neue Texte und sechs Nachdrucke zur Diskussion. Jedem Themenfeld ordnen die beiden Grafiken und Diagramme zu, die zeigen, wie diese abstrakten Ideen sich im Entwurfs- und Planungsprozess wiederfinden können. Die übergreifende These des Buches ist: Bisher war Ökologie die wissenschaftliche Grundlage für einen bewahrenden Naturschutz mit geringem menschlichen Einfluss, um Natur für die nächste Generation zu schützen. Heute hingegen lehren Umweltkatastrophen wie Waldbrände und Sturmfluten,

dass Natur nie statisch ist, sondern ­a ls dynamisches System zu verstehen ist. Deshalb soll das Verständnis von dynamischen Systemen Ansatz für eine reformierte Landschaftsarchitektur und Umwelt­ planung in den USA sein. Arbeiten mit dynamischen Prozessen In Deutschland ist diese Diskussion nicht neu. Bereits in den 70er-Jahren begann der Prozess, ökologische Inhalte über die formalisierte Landschaftsplanung in den Planungsprozess zu integrieren und spätestens mit dem Landschaftspark Duisburg Nord, dem Berliner Südgelände oder dem Berliner Nordbahnhof gehört die Gestaltung mit dynamischen ökologischen Prozessen zum Repertoire der Landschafts­ architektur. Die Einordnung von Charles Waldheim im Vorwort gibt einen erten Hinweis, warum dies für die amerikanischen Garten + Landschaft

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Urbane Natur gestalten Naturschutz und Nutzung durch den Menschen zu verbinden ist in Städten eine Herausforderung, die Landschaftsplanung und Landschaftsarchitektur miteinander verknüpft und neue planerische Wege im Entwurf weist.

Grüner Bogen Paunsdorf, Leipzig; Landschaftsarchitekten: Häfner/ Jimenez

Entwurfsfeld „Durch Nutzung pflegen“, Entwurfsweg „Dauerhafte Beweidung“: Im „Grünen Bogen Paunsdorf“ führt eine Promenade direkt an den Weideflächen der Wasserbüffel entlang.

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Martin Prominski, Malte Maaß, Linda Funke Nur zehn Meter von uns entfernt stehen zwei Wasserbüffel und schauen uns schief an. Wir können hören, wie sie Gras zermalmen. Ohne den kaum sichtbaren, in einer Senke versteckten Zaun würde es uns jetzt schon etwas mulmig werden … Wir befinden uns im Leipziger Nordosten, direkt hinter uns liegt die Großwohnsiedlung Paunsdorf-Heiterblick und wir laufen entlang der ehemaligen Manöver­ fläche der Kaserne „Heiterblick“. Das 120 Hektar große Gebiet dient als externe Kompensationsfläche für ein Automobilwerk, das im Leipziger Norden entstanden ist. Es ist jetzt Teil des „Grünen Bogens Paunsdorf“, der ein Schlüsselprojekt des Grünen Rings rund um Leipzig ist und eines von neunzehn Beispielen guter Praxis darstellt, die Naturschutz und Freiraumnutzung verknüpfen und die wir im Rahmen eines von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt geförderten Forschungsprojektes untersucht haben. Im Jahr 2000 wurde für die Entwicklung des „Grünen Bogens Paunsdorf“ ein Realisie-

rungswettbewerb ausgelobt, den das Landschaftsarchitekturbüro Häfner/Jiménez mit seinem Gesamtkonzept gewann. Den naturschutzfachlichen Pflege- und Entwicklungsplan für die ehemalige Manöverfläche erarbeitete das Büro poserplan aus Bad Gandersheim. Das Planungsteam verfolgte in diesem Projekt die Leitidee „Naturschutz durch Nutzung“ und erarbeitete ein dauerhaftes Beweidungskonzept, um ein vielfältiges Mosaik von feuchten, wechselfeuchten und trockenen Standorten sowie zahlreichen Klein­ gewässern nachhaltig zu sichern. Seit 2004 wird Großvieh auf der Fläche als Landschaftspfleger eingesetzt (aktuell Wasserbüffel und Przewalskipferde), das die ehemals durch militärische Nutzung hervorgerufenen Störungen fortführt. Gleichzeitig wurde die Fläche für die Menschen durch einen Rundweg erschlossen und eine Aussichts­ terrasse mit vorgelagerter, aus der Epoche des Landschaftsgartens inspirierter Aha-Grenze erlaubt die unmittelbare Beobachtung des

Großviehs. Das Projekt ist nicht nur aus ­gestalterischer Sicht ein Erfolg (der „Grüne ­Bogen Paunsdorf erhielt 2007 den Leipziger Architekturpreis und wurde für den „Inter­ national Urban Landscape Award“ der Eurohypo un der Zeitschrift Topos nominiert), sondern auch hinsichtlich der Biodiversität ein Gewinn, wie die zahlreichen Vogelarten, Amphibien, Libellen oder Heuschrecken zeigen. Weidetiere als Pioniere des Naturschutzes Die Wildnis mit Weidetieren im Grünen ­Bogen Paunsdorf ist damit eines der Pionierprojekte für die Verknüpfung von Naturschutz und Freiraumnutzung. Traditionell stehen sich diese beiden Ziele im urbanen Raum aber eher distanziert gegenüber. ­Einerseits verhindern Naturschützer – häufig zu Recht – die menschliche Nutzung, um ­Arten und Biotope nicht zu gefährden, andererseits haben viele Landschaftsarchitekten das Vorurteil, dass naturschutzorientierte Projekte kein Potential für gestalterische

Zentrale Bahnflächen, München; Landschaftsarchitekten: realgrün; Ausgleichsmaßnahmen: Karlstetter und Haase

Entwurfsfeld „Dynamik zulassen“, Entwurfsweg „Ruderal- und Sukzessionsflächen“: Der sogenannte Bewegungskorridor des Pionierparks in München führt durch ­artenreiche Trocken- und Schotter­ flächen.

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Stadtmachen mit Raumunternehmen Raumunternehmen sind Initiativen, die sich Gebäude oder Frei­­f­lächen in der Stadt aneignen und für ihre Interessen nutzen. Sie schaffen damit Testfelder für Stadtentwicklung.

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Zeichnungen: Thomas Rustemey

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Klaus Overmeyer Seit zwei Jahren widmen sich die Lehrstühle Ökonomie des Planen und Bauens (Guido Spars) und Landschaftsarchitektur (Klaus Overmeyer) an der Bergischen Universität Wuppertal einer neuen Spezies in Städten und Dörfern auf dem Land – den Raumunternehmen. Raumunternehmen sind selten Fachleute der Stadt- und Freiraumplanung oder der Immobilienwirtschaft. Trotzdem nehmen sie großen Einfluss auf ihre Nachbarschaft. Aus eigenem Antrieb eignen sie sich Räume für ihre Ideen an und bauen sie schrittweise aus. Dabei entstehen Orte mit sehr unterschiedlichen Nutzungen, die kein (Landschafts-)Architekt so hätte planen können. Mit ihren Teams haben die beiden Lehrstühle in ganz Deutschland und den Niederlanden insgesamt sechs Projekte und ihre Initiatoren unter die Lupe genommen. Darunter waren beispielsweise Maria und Rudi Finsterwalder, zwei Architekten, die das Gelände um eine geerbte Mühle im bayerischen Voralpenland zu einem kleinen „Dorf“ mit Kletterhalle, 28

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Atelierwohnungen, einem Wasserkraftwerk, Schweinehaltung, Smarthäusern in Holzbauweise, einem Yogazentrum, Büros und Handwerksbetrieben umgebaut haben. Ebenfalls auf dem Land, in Tempelhof/Kreßberg, Baden-Württemberg, hat 2010 eine Gruppe von 44 Personen ein Dorf auf einem ehemaligen Gut mit 30 Hektar Land gegründet. Sie möchten gemeinschaft­liche, ökonomische und ökologische Modelle des Zusammenlebens erproben. Inzwischen ­leben in Tempelhof bereits über 100 Menschen. Das Projekt trägt sich durch E ­ igenkapital der Mitglieder und ­Unternehmen, wie den Seminarbetrieb und die Landwirtschaft, selbst. Ganz anders die Situation in Erfurt. Hier ­eroberten Jugendliche mit Fördermitteln e ­ in leerstehendes Gebäude in der Erfurter Nordstadt und bauten es zu ihrem eigenen Wohnund Arbeitsdomizil um. Im Hamburger ­Gängeviertel konnten sich Aktivisten durch ­Protest zum Abriss freigegebene Gebäude ­ in einem Büroviertel sichern und in Berlin

­ elang es Künstlern mit Hilfe einer Schweizer g Stiftung eine ehemalige Druckmaschinen­ fabrik in ein Zentrum für Kunst, Arbeit und Soziales zu verwandeln.

Den Schieblock in Rotterdam nahmen zwei Landschaftsarchitekten zusammen mit 80 Mitstreiter ein leerstehendes Bürogebäude in ­Besitz, und machten es zu einem ­lebendigen Ort im sterilen Büro­ viertel.

Einen öffentlichen Orte schaffen Ein für Landschaftsarchitekten interessantes Projekt ist der Schieblock im Rotterdamer Bahnhofsviertel. Hier nahmen die beiden Landschaftsarchitekten Kris Koremann und Elma van Boxel ein großes, leerstehendes ­Bürogebäude zusammen mit 80 Mitstreitern als Zwischennutzer in Besitz und formten ­innerhalb kurzer Zeit daraus einen Hotspot für Mini-Unternehmen und Kulturbetriebe. Dabei ging es ihnen nicht nur um die Vermietung von leeren Büroflächen. Ihr Ziel ist es, den Schieblock zu einem öffentlichen Ort in dem sonst leblosen Büroviertel zu machen. An Ideen mangelte es dazu nicht: auf dem Dach des acht geschossigen Gebäudes legte eine Initiative einen Acker mit Gemüseproduktion an, im Erdgeschoss des Gebäudes Garten + Landschaft

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Selbst aktiv werden Aus den Erforschungen der Fallstudien ist ein Buch im Jovis Verlag erschienen: Raumunternehmen – wie Nutzer selber Stadt entwickeln. Mit anschaulichen Grafiken werden in den Fallstudien die Lebens- und Arbeitswelten der Projektmacher anschaulich dargestellt. Besonderes Augenmerk liegt auf der Evolution der Projekte. Was waren Ausschlag gebende Momente der Entwicklung, wo gab es kritische Phasen und zu welchen entscheidenden Veränderungen haben sie geführt? Eine Querauswertung fasst die wesentlichen Erkenntnisse aus den Vor-Ort-Recherchen und Interviews zusammen. Der zweite Teil des B ­ uches widmet sich aus unterschiedlichen Perspektiven den gesellschaftlichen, planerischen und ökonomischen Fragestellungen, die die Raumunternehmen aufwerfen. Ein wichtiges Thema ist die Teilhabe. Für viele Menschen bieten die Projekte der Raum­ unternehmen eine interessante Plattform, sich selbst aktiv in die Entwicklung ihrer Nachbarschaft einzumischen. Eine gute Möglichkeit, langweilige Informationsveranstaltungen und undurchsichtige politische Abläufe zu überwinden. Eigenes Engagement an selbstbestimmten Orten führt zu handfesten Verbesserungen und ­einem positiven Lebensumfeld. Doch was g ­ elungene Teilhabe für die einen ist, bedeutet mitunter Ausschluss für andere. Vielfach sind es nämlich gut ausgebildete, aktive Menschen, die sich Räume erobern und letztlich davon profitieren. Wie verhält es sich mit dem gemeinwohlorientierten Anspruch von Raumunternehmen, wenn 30

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am Ende ein begrenzter Kreis davon profitiert? Sollen Kommunen Raum­unter­nehmer­ projekte bewusst fördern oder laufen sie ­Gefahr, damit einen Großteil der Öffentlichkeit auszuschließen? Ein weiteres Themenfeld umfasst die wirtschaftliche Ausrichtung von Raumunternehmen. Sie handeln wie Do-it-yourself-Projektentwickler, jedoch nicht, um möglichst viel Geld zu verdienen, sondern um andere Werte wie Vielfalt von Nutzungen, die Vereinigung von Wohnen und Arbeiten, nachbarschaft­ lichen Zusammenhalt oder soziale Stabilisierung zu schaffen. Diese Werte sind nicht ­immer mit Geld zu bemessen, aber für eine lebenswerte Stadt sehr wichtig. Wie diese Werte besser in der Stadtentwicklung berücksichtigt werden können und was normale ­Immobilienentwickler von Raumunternehmen lernen können, versuchen zwei weitere Artikel im Diskursteil des Buches zu beantworten. Am Ende des Buches geht es um die Frage, ­ ob man mit Raumunternehmen nicht auch ganze Stadtviertel bauen kann. Vielen Menschen schließen sich ja schon heute in Gruppen zusammen, um gemeinsam ein Haus zu bauen. Noch besser wäre es natürlich, wenn man zusammen gleich seine eigene Nachbarschaft mit Wohnungen, öffentlichen Räumen, Läden und Werkstätten gestalten könnte. Bis dahin ist es noch ein weiter Weg, aber auch hier stellt das Buch einige Beispiele vor, in ­denen Raumunternehmen eine wesentliche ­Rolle spielen. Auch wenn die Publikation nicht im Detail auf die Perspektive der Landschaftsarchitektur eingeht, liefert sie eine Vielzahl von wegweisenden Ansätzen, die auch für unsere Profession von hoher Bedeutung sein können. Raumunternehmen schaffen Testfelder für die drängenden Themen der Stadt. Aus Sicht der Freiraumentwicklung geht es dabei um die Kooperation zwischen Bürgergesellschaft und Staat in der Freiraumentwicklung, die Rolle von Landschaftsarchitekten im Spannungsfeld von Gestaltung und Ermöglichung, um Koproduktion und produktive Landschaften. Nicht mehr expansives Wachstum um ­jeden Preis, sondern vielmehr die Frage, wie wir in Zukunft in der Stadt gut leben können, rückt in den Vordergrund. Wenn Bürger sich zusammenschließen, um gemeinsam ein Quartier oder Dorf zu bauen, warum sollte das nicht auch als Modell für die Entwicklung und Gestaltung eines Parks möglich sein? Raumunternehmen schaffen Lebenswelten, die darauf Antworten suchen. Das macht sie für die raumentwerfenden Disziplinen so ­attraktiv.

Collage: Büro ZUS, Elma van Boxel/Kristian Koreman

entstand eine Outdoor-Möbelwerkstatt und mit Hilfe einer Crowd-funding-Kampagne ­gelang es Kris und Elma, durch einem Holzsteg das Gebäude mit dem Bahnhof und ­einem benachbarten Stadtteil zu verbinden. Geplant für die Zukunft ist, mit Blick auf die New Yorker High Line, den Steg an ein altes Bahnviadukt anzubinden. Bei den Raumunternehmen geht es also darum, in Eigenregie Orte zu entwickeln, eigene Formen des Zusammenlebens und -arbeitens auszuprobieren und auf lange Zeit zu sichern. Dabei sind Gewinnmaximierung und individuelle Gewinnausschüttung nicht das erste Ziel, ebenso wichtig ist die Umsetzung eigener Vorstellungen von einer lebenswerten Stadt und Gemeinschaft. Raumunternehmen bedienen sich vielfältiger Ressourcen. Sie beleben, nutzen und kombinieren das, was vor Ort schon da ist. Durch ihre Kreativität und ihren Erfindungsgeist entsteht Neues, das durch ­externe Entwickler und Investitionen so nicht entstehen würde.

Das Buch „Raumunternehmen: Wie Nutzer selbst Räume entwickeln“ (Jovis Verlag) von Lisa Buttenberg, Klaus Overmeyer und Guido Spars, widmet sich der Frage wie Stadtentwicklung abseits der institutionellen Planung die Stadt und das Selbstverständnis von Planern verändert.


Im Fall des Schieblocks war die nutzergetragene Projektentwicklung zugleich Katalysator f端r eine 端bergeordnete Freiraumverbindung zwischen Bahnhof und angrenzendem Viertel.

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