Garten und Landschaft 04 2010

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April 2010

Garten+

Landschaft Zeitschrift f端r Landschaftsarchitektur

Stadtklima


Inhalt 4/2010

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Verlag: Callwey Verlag Streitfeldstraße 35 D-81673 München Fon +49 89 /43 60 05-0 Fax +49 89/43 60 05-113 www.garten-landschaft.de

120. Jahrgang

Für die Zukunft gestalten.

Garten + Landschaft

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Sonntagsgedanken Robert Schäfer

Journal

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Sterben in Schönheit Thomas Brunsch Ausstellung „Wiederkehr der Landschaft“ in der Berliner Akademie der Künste

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Blumen und Parks für deutsche Kleinstädte Gesa Loschwitz Die Landesgartenschauen 2010

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Die Finanzkrise und das kommunale Grün Interview mit Martin Oldengott, Leiter des Amtes für Stadtentwicklung Castrop-Rauxel

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Topos zu Gast bei Nachbarn Internationales Seminar und Topos Award Verleihung am 18. Juni in Krakau

4 Noch bis Ende Mai zeigt die Berliner Akademie der Künste die Ausstellung „Wiederkehr der Landschaft”, unter anderem mit Luftbildern von Alex S. MacLean (im Bild: Foto aus der Serie Las Vegas).

Herausgeber: Deutsche Gesellschaft für Gartenkunst und Landschaftskultur e.V. (DGGL) Wartburgstraße 42 10823 Berlin www.dggl.org

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Editorial

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5 Die Landesgartenschau Hemer (im Bild die Himmelstreppe, Entwurf geskes.hack) ist eine von insgesamt sechs Gartenschauen in diesem Jahr.

8 Das beste Mittel, um bei extremer Sommerhitze den thermischen Komfort für die Menschen aufrecht zu erhalten sind Bäume und offene Wasserflächen in der Stadt.


Stadtklima

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Hitzestress im Stadtquartier Helmut Mayer Klimatische Belastungen von Mensch und Pflanze

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Kompakt und grün: die ideale Stadt im Klimawandel Stephan Pauleit Grünflächen gegen Hitze in der Stadt

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Grün ist nicht gleich grün Stefanie Rößler Erkenntnisse aus einem Forschungsprojekt am IÖR in Dresden

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Wasserpflanzen – mehr Retention durch Verdunstung Henning Günther Ein Forschungsprojekt an der TU Berlin

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Frische Luft durch Grün Nicole Pfoser Fassadenbegrünung und Living-Wall-Systeme

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Dachbegrünung als Modul der Siedlungswasserwirtschaft Stephan Roth-Kleyer Mit begrünten Dächern Abflussspitzen verringern

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Urban Design Projekt Produkte

48 50

GaLaBau Praxis Produkte Recht

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Tagungen Nachrichten Forschungsprojekte zum Stadtklima Thomas Jakob Campus Eine Zusammenstellung der wichtigsten Forschungsvorhaben, Bücher und Termine Wettbewerbe DGGL Nachrichten Herausforderung naturnahe Gartenrosen Reinhard Witt Termine Blütenfülle, Hagebuttenpracht, Ökologie Autoren, Vorschau, Impressum

40 42 46 54 58 60 64

Integratives Regenwassermanagement mit Dachbegrünung Wolfgang Ansel, Alfred Diem Das Neubaugebiet „Hohlgrabenäcker“ im Stuttgarter Stadtteil Zazenhausen

12 Mit einer Erhöhung des Grünflächenanteils um zehn Prozent ließen sich im Stadtzentrum von Manchester die prognostizierten Temperaturerhöhungen kompensieren.

16 Jede Vegetationsstruktur hat ein anderes Abkühlungspotenzial. Mit diesem Wissen lassen sich freiraumplanerische Anpassungsmaßnahmen besser umsetzen.

23 Mittlerweile hat sich auch eine Fassadenbegrünung ohne Bodenanschluss etabliert. Im Bild: die Mur Végétal am Magasin BHV Homme in Paris.

Bilder: Alex S. MacLean für die Akademie der Künste, geskes.hack, Helmut Mayer, Susannah Gill, Valeri Goldberg, Michael Vorbröcker Titel: Robert Schäfer

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Hitzestress im Stadtquartier Die klimatischen Veränderungen führen besonders im Sommer dazu, dass sich die Belastung durch das Stadtklima für Stadtbewohner und Stadtvegetation in Stress wandelt. Dieser lässt sich allerdings lokal durch stadtplanerische Maßnahmen reduzieren, so dass ein gewisses Maß an Lebensqualität möglich ist und Pflanzen gedeihen können.

Helmut Mayer Städte sind in die atmosphärischen Rahmenbedingungen ihrer Region eingebettet. Diese hängen vom großräumigen Wetter und der topographischen Lage ab. So befindet sich die Stadt Freiburg in einer relativ warmen Region, weil sie am östlichen Rand der in Nord-Süd-Richtung verlaufenden südlichen Oberrheinebene liegt. Zwei Mittelgebirge begrenzen sie nach Osten (Schwarzwald) und Westen (Vogesen). Diese regionalen atmosphärischen Rahmenbedingungen werden jedoch lokal modifiziert. Dabei spielen die aktuelle Wetterlage, Tages- und Jahreszeit sowie die jeweilige Struktur der Stadt und die Nutzung des städtischen Raums eine entscheidende Rolle. Prinzipiell gilt: • Städte sind ein Strömungshindernis. • Ihre Oberfläche ist unregelmäßig erhöht und aerodynamisch rau. • Die Dynamik der nächtlichen Abkühlung ist in Städten beziehungsweise versiegelten Stadtstrukturen schwächer ausgeprägt als im ländlichen Umland beziehungsweise in begrünten Stadtstrukturen. • Durch verschiedene Prozesse werden in der Stadt klima- und umweltrelevante Spurengase, Partikel, Wasserdampf und Wärme freigesetzt. Daraus resultiert das Phänomen, das als Stadtklima – bei der Betrachtung der Stadt als Ganzes im Gegensatz zum ländlichen Umland – oder als städtische Mikroklimate – bei einer innerstädtischen Differenzierung – bezeichnet wird.

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Die bekannteste Ausprägung des Stadtklimas sind die Wärmeinseln beziehungsweise das städtische Wärmearchipel. Damit wird die hauptsächlich in der Nacht höhere Lufttemperatur in der Stadt im Gegensatz zum ländlichen Umland beziehungsweise in einzelnen, versiegelten, städtischen Räumen im Gegensatz zu innerstädtischen Grünflächen ausgedrückt. Die mittlere städtische Wärmeinsel beträgt zwischen 1 und 3 Grad Celsius. Kurzfristig, das heißt innerhalb einer Stunde während der Nacht, kann sie bis zu 12 Grad Celsius groß sein. Neben dem Wärmeinseleffekt stellt eine Stadt nachts auch eine Feuchteinsel dar, weil sich die bodennahe Atmosphäre im ländlichen Umland rascher als in der Stadt abkühlt und dadurch im Umland die Taubildung früher einsetzt. Da eine Stadt mehr Luft verunreinigende Substanzen produziert, liegt deren Konzentration höher als im Umland. Zudem werden wenigerLuftmassen ausgetauscht. Generell beeinträchtigt das Stadtklima Leistungsfähigkeit, Wohlbefinden und Gesundheit der Stadtbewohner; davon sind besonders Risikogruppen wie ältere Menschen, Kinder und Kranke betroffen. Das Stadtklima in der Zukunft wird durch das Zusammenwirken von Klimawandel auf regionaler Ebene und der Dynamik der Stadtentwicklung gesteuert. Kennzeichen des Klimawandels sind Trends von Klimavariablen sowie häufiger werdende und intensive, extreme Wetterereignisse. Der bekannteste Trend ist

die Zunahme der bodennahen Lufttemperatur in der Vergangenheit. Das Ausmaß hängt allerdings vom Untersuchungszeitraum ab. So nahm in Freiburg die bodennahe Lufttemperatur um 0,12 Grad Celsius pro zehn Jahre im 100-Jahre-Zeitraum von 1901 bis 2000 zu, um 0,26 Grad pro zehn Jahre im 50-Jahre-Zeitraum von 1951 bis 2000 und um 0,37 Grad im 30-Jahre-Zeitraum von 1980 bis 2009. Auch das zeitliche Niederschlagsmuster hat sich verändert. In Freiburg nahm die jährliche Niederschlagssumme von 1901 bis 2000 um 6 Millimeter pro zehn Jahre zu, während sie sich von 1951 bis 2000 um 20 Millimeter pro zehn Jahre und von 1980 bis 2009 sogar um 42 Millimeter pro zehn Jahre reduzierte. Trends von Klimavariablen, insbesondere von Lufttemperatur und Niederschlag, wirken sich auf Stadtbewohner und -vegetation ungünstig aus. Infektionskrankheiten und Pollenallergien nehmen zu, die Vegetationsperiode verlängert sich, was hauptsächlich an ihrem früheren Beginn liegt. Dadurch erhöht sich allerdings auch die Gefährdung durch Spätfröste. Zum Extremwetter zählen Hitzewellen wie in den Jahren 2003, 2006 und 2009, Dürre im Sommerhalbjahr, starke Niederschläge und Stürme. Durch die Dürre steigt der Wasserverbrauch infolge künstlicher Beregnung von landwirtschaftlichen Flächen, Gärten und Parks. Starkniederschläge können zu Problemen bei der Entwässerung führen und Überflutungen verursachen. Stürme


Helmut Mayer (5)

Die Bebauung und die höheren Temperaturen in der Stadt verlangsamen die Windströmung (im Bild: der Stadtteil Olympiadorf in München).

Städte mit vielen höheren Gebäuden wie Hong Kong sind ein Strömungshindernis für Winde. Die Windgeschwindigkeit nimmt ab, im Sommer wird es wärmer als im Umland.

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Kompakt und grün: die ideale Stadt im Klimawandel Stadtgrün hat eine überragende Bedeutung für die Anpassung der Städte an die Klimaveränderungen. Je mehr Grün in der Stadt, desto geringer steigen dort im Sommer die Temperaturen. Doch für zusätzliches Grün stehen meist nicht genügend Flächen zur Verfügung.

Stephan Pauleit

Bäume sind ein ideales Mittel, um sommerliche Extremtemperaturen in der Stadt zu vermeiden: Sie spenden Schatten und kühlen die Luft durch ihre Verdunstungsleistung.

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Das Jahr 2007 markierte einen Wendepunkt in der Entwicklung der Menschheit: Nach Angaben der Vereinten Nationen lebte erstmals mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung in Städten. Diese Zahl soll bis 2030 auf über 60 Prozent steigen. Für den Klimaschutz spielen Städte eine entscheidende Rolle, denn sie sind für etwa 80 Prozent der globalen Kohlendioxidemission verantwortlich. Es bestehen jedoch große Unterschiede. Für die Planung ist die Relation zwischen der Einwohnerdichte der Stadt und dem Energiebedarf pro Einwohner von besonderer Bedeutung: Dicht bebaute Städte verbrauchen pro Einwohner weniger Energie und erzeugen weniger Treibhausgasemissionen als locker bebaute Städte. Aber die kompakte Stadt birgt auch Risiken und diese werden durch den Klimawandel verstärkt. Denn der Anteil von Grünflächen ist in dicht bebauten Städten geringer und nimmt durch Nachverdichtung weiter ab. Grünflächen haben aber wichtige ökologische Regelungsfunktionen. Im Zusammenhang mit dem Klimawandel sind besonders ihre klimatischen und hydrologischen Funktionen von Belang. Klimaschutz durch Entwicklung von kompakten, energieeffizienten Stadtstrukturen und die Anpassung an den Klimawandel können also zu Konflikten führen, die es in integrierten Strategien zu lösen gilt.


Stephan Pauleit (2)

In der Innenstadt von Manchester gibt es wie in vielen anderen europäischen Städten nur wenig Grün. Deshalb werden dort die Temperaturen künftig stark steigen.

Immer mehr Städte verpflichten sich, das Klima zu schützen: Sie reduzieren den Energieverbrauch und verringern so den Ausstoß von Treibhausgasen und sie stellen auf erneuerbare Energien um. Für die Anpassung an den Klimawandel haben die Kommunen aber noch keine festen Ziele. Das ist einerseits verständlich, denn es ist leichter, sich auf Emissionsziele und Energiesparstandards für bestimmte Verursacher zu einigen. Anpassungsstrategien, etwa an einen steigenden Meeresspiegel, betreffen dagegen in der Regel viele gleichzeitig. So müssen Anpassungen küstennaher Städte an den steigenden Meeresspiegel langfristig angelegt sein, um die Folgen der Klimaänderungen vorwegzunehmen, die uns erst in 20, 30 oder 50 Jahren treffen. Die Unsicherheit der Prognosen ist dabei hoch. Welches Klimaszenario wird eintreffen? Steigt die Jahrestemperatur um ein Grad Celsius, dann sind die Folgen wohl leicht zu beherrschen. Bereits jetzt ist allerdings so viel Kohlendioxid in der Atmosphäre vorhanden, dass eine Steigerung von zwei Grad wahrscheinlich ist, selbst wenn kein zusätzliches Treibhausgas mehr freigesetzt würde. Extreme Szenarios gehen aber von einer Temperatursteigerung von drei, vier oder sogar fünf Grad Celsius bis zur Jahrhundertwende aus. Was trifft ein? Was, wenn

sich die Klimaverhältnisse plötzlich sprunghaft ändern? Nicht nur die Emissionsszenarien weisen große Spannen auf, auch die verschiedenen Klimamodelle kommen bei gleichen Annahmen zu den Emissionen zu unterschiedlichen Ergebnissen. Entspricht das Klima von Kopenhagen im Jahr 2100 dem von Paris in Frankreich oder dem von Tirana in Albanien? Beides ist möglich. Es mag verhältnismäßig leicht sein, sich auf eine der beiden Situationen einzustellen, aber Häuser und Städte zu bauen, die für beide Klimate geeignet sind, ist ungleich schwieriger. Es ist also eine robuste und flexible Planung notwendig. Einerseits sind lange Planungshorizonte erforderlich, um auf die Klimaveränderungen angemessen zu reagieren. Anpassungsstrategien müssen aber ständig überprüft und immer wieder den neuen Erkenntnissen angepasst werden. Investitionen in die Infrastruktur, seien es Wasser- oder Abwasserleitungen, Straßen oder Schienen sind kritisch zu überprüfen, Projekte sollten daher einer Klimaverträglichkeitsprüfung unterzogen werden und man sollte sich bei jeder Entscheidung fragen, ob wir sie langfristig bedauern werden, falls der Klimawandel stärker ausfällt oder anders kommt als angenommen. Anpassungsstrategien benötigen gute Entscheidungsgrundlagen:

Räumlich und zeitlich sehr genaue Klimaprognosen, die den Planungsmaßstäben von Regional- und Stadtplanung entsprechen. • Räumlich sehr genaue Risikoanalysen für ein differenziertes Bild darüber, wie stark einzelne Stadtteile betroffen sein werden, einschließlich von Folge- und Wechselwirkungen. • Kenntnis über Potenziale für die physische Anpassung der Stadt: Stadtstruktur, Bebauung, Infrastruktur, Grünflächen. • Kenntnis über Synergien und Konflikte zwischen Klimaschutz und Klimaanpassung. Diese Kenntnisse und Methoden sind in szenariobasierte Planungsansätze einzubringen, die den vorgenannten Unsicherheiten in den Prognosen Rechnung tragen. •

Anpassung durch städtisches Grün Was können Landschaftsplanung und Landschaftsarchitektur für die Klimaanpassung leisten? In einer Studie haben wir die Rolle des Stadtgrüns mittels Modellrechnungen im englischen Manchester untersucht. Dazu erhoben wir für den Verdichtungsraum Manchester, einer polyzentrischen Agglomeration von zehn Gemeinden mit 2,5 Millionen Einwohnern auf 1 300 Quadratkilometer Fläche, mittels Luftbildauswertung den Anteil sämtlicher Grünflächen. Die

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Dachbegrünung als Modul der Siedlungswasserwirtschaft Mit begrünten Dächern lassen sich extreme Abflussspitzen deutlich verringern; zudem halten Gründächer Niederschlagswasser zurück. Dieser Effekt ist um so größer, je feinporiger das verwendete Substrat ist und je dicker der Schichtaufbau.

Stephan Roth-Kleyer Für die Siedlungswasserwirtschaft wird die Regenwasserbewirtschaftung aus unterschiedlichen Gründen zunehmend ein zentrales Thema. Die Klimaveränderungen erfordern geänderte Vorgaben, um Entwässerungssysteme zu bemessen. Gestiegenes Umweltbewusstsein und Kostendruck beschleunigen die Tendenz, Regenwasser dezentral zwischenzuspeichern und zu versickern, sei es, um die Grundwasserneubildung zu fördern oder den Gesamtabfluss und Hochwasserspitzen zu mindern und damit das Kanalnetz zu entlasten. Zudem lassen sich so Baukosten und Anliegerbeiträge für den Kanalbau sowie Abwassergebühren reduzieren. Aus Kostengründen soll Regenwasser möglichst dort wieder dem Grundwasser zugeführt werden, wo es entsteht. Viele Landeswassergesetze, Abwassersatzungen der Kommunen und technische Richtlinien zielen darauf schon ab. Die dezentrale Versickerung von nicht schädlich verunreinigtem Niederschlag ist aus ökonomischen Gründen (Entlastung des Kanalnetzes) und aus ökologischen Gründen (insbesondere Grundwasserneubildung) allgemein anerkannter Stand der Technik. Zu den Anlagen der dezentralen Versickerung und Wasserrückhaltung gehören Flächen-, Mulden-, Becken-, Rigolen-, Rohr- und Schachtversickerung sowie Zisternen. Häufig kombiniert man diese Anlagen

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mit Dachbegrünungen, das gilt besonders für Zisternen, Mulden-Rigolen- und RohrRigolen-Systeme sowie die Hintereinanderreihung mehrerer gleichartiger Anlagen. Alle, auch dünnschichtige Dachbegrünungen führen dazu, dass weniger Niederschlag abfließt, Überschusswasser, das das Aufnahmevermögen der Dachbegrünung übersteigt, verzögert abfließt, pflanzenverfügbares Wasser gespeichert wird und Wasser durch die Pflanze veratmet und durch das Substrat verdunstet. Das Wasserrückhaltevermögen von Dachbegrünungen wird in Deutschland seit mehreren Jahren wissenschaftlich untersucht. Ende 2001 wurde eine verbindliche Vorschrift für die Messung des Abflussbeiwerts beziehungsweise der Abflusskennzahl erarbeitet, die in der Anfang 2008 veröffentlichten und neu überarbeiteten FLL-Richtlinie „Planung, Ausführung und Pflege von Dachbegrünungen“ wiedergegeben ist. Messbare Vorteile begrünter Dächer Für Dachbegrünungen können die auf Seite 31 benannten Orientierungswerte als Abflussbeiwerte C je nach Dicke des Schichtaufbaus aus Schüttstoffen und abhängig von der Dachneigung angesetzt werden, wobei bei Verwendung von Dränschichten mit hoher Entwässerungsleistung die tatsächlichen Abflussbeiwerte abweichen kön-

nen und in der Regel deutlich höher liegen. Durch Prüfung lassen sich standort- und/oder produktspezifische Werte nachweisen. In Abhängigkeit der örtlichen Niederschläge können sich höhere oder geringere Abflussbeiwerte ergeben. Die Abflussbeiwerte werden an unbegrünten Bauweisen untersucht und gelten für den Schichtaufbau bei einem 15-minütigen Bemessungsregen von 300 Liter je Sekunde und Hektar nach vorangehender Wassersättigung und 24-stündigem Abtropfenlassen. Die Vegetation und Durchwurzelung verzögern das Abfließen, so dass hierfür 0,05 Einheiten angerechnet und vom Messergebnis abgezogen werden. Bei Bauweisen, die nur vorbegrünt herstellbar sind, etwa mit Vegetationsmatten, entfällt die zusätzliche Anrechnung. Alternativ zu diesem Verfahren lassen sich standort- und/oder produktspezifische Werte durch in der Siedlungswasserwirtschaft gebräuchliche Simulationsverfahren ermitteln. Die Werte der Simulationsverfahren ermöglichen darüber hinaus, Rohrleitungsnetze der Siedlungswasserwirtschaft zu berechnen. Die jährliche Wasserrückhaltung, das heißt die eigentliche Retention, wird als Differenz aus der Menge der gefallenen Niederschläge und der abgeflossenen Wassermenge im jährlichen Durchschnitt ermittelt. In Umkehrung ergibt sich daraus nach DIN 4045 der Jahresabflussbeiwert a als das Verhältnis


30 Blockregen 27 l/m² in 15 min 25

60 mm Substrat: C = 0,37 mm

Abläufe (l/m²)

20

15

80 mm Substrat: C = 0,32 mm

10 100 mm Substrat: C = 0,27 5

0 1

16

31 Zeit (min)

46

61 Die Grafik verdeutlicht Rückhalt und zeitliche Verzögerung eines Niederschlags in Abhängigkeit von der Aufbaustärke und der Zeit (Systemaufbau: Dränplatte, Filtervlies, LavaBims-Substrat). Grafiken (4): Stephan Roth-Kleyer

der jährlichen Regenabflusssumme zum jährlichen Regenvolumen. In Abwassersatzungen mit gesplitteten Gebühren wird dieser auch als Versiegelungsfaktor ausgewiesen.

Die jährliche Wasserrückhaltung ist sowohl von der Art der Bauweise als auch von der Aufbaudicke abhängig. Zu berücksichtigen sind die stoffspezifische Wasserspeicherfähigkeit und die Wasserdurchlässigkeit. Unterschiede zwischen den Aufbaudicken und Bauweisen treten im Sommer deutlicher hervor; sie gleichen sich bei kühler Witterung zunehmend an und sind im Winter nahezu gleich. Obgleich in der Sommerperiode der höhere Anteil des Jahresniederschlags fällt, ist dort die Wasserrückhaltung wesentlich höher, während bei winterlicher Witterung mit dem geringeren Niederschlagsanteil, aber auch der geringeren Verdunstung des Schichtaufbaues und der geringsten Transpiration der Pflanzen der Wasserabfluss am höchsten ist. In Tabelle 3 auf Seite 31 sind Anhaltswerte für die prozentuale jährliche Wasserrückhaltung zusammengestellt. Um auch Abwassersatzungen mit gesplitteten Gebühren zu berücksichtigen, ist dort gleichzeitig der Jahresabflussbeiwert/Versiegelungsfaktor ausgewiesen. Die Wasserspeicherfähigkeit der für die Dachbegrünung eingesetzten Funktionsschichten

Stephan Roth-Kleyer

Im Sommer größere Unterschiede

Mit Hilfe eines bis zu 17 Grad neigbaren Messtisches von fünf Meter Länge lässt sich das Speicher- und Abflussverhalten verschiedener Dachbegrünungssubstrate und -aufbauten messen.

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