Garten und Landschaft 04 2011

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April 2011

Garten+

Landschaft Zeitschrift f端r Landschaftsarchitektur

Verkehr


Inhalt 4/2011

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Verlag: Callwey Verlag Streitfeldstraße 35 D-81673 München Fon +49 89 /43 60 05-0 Fax +49 89/43 60 05-113 www.garten-landschaft.de

121. Jahrgang

Für die Zukunft gestalten. Garten + Landschaft

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Goldene Kälber schmelzen Robert Schäfer

Journal

4

Koblenz, Norderstedt, Horb und Kitzingen Thomas Jakob Eine Bundesgartenschau, eine Landesgartenschau und zwei kleine Gartenschauen

5

Deutscher Naturstein-Preis 2011 entschieden Thomas Jakob Sonderpreis für terra.nova aus München

4 Neben der Bundesgartenschau in Koblenz finden dieses Jahr noch drei weitere Gartenschauen statt. Im Bild: die Rheinstufen in Koblenz.

Herausgeber: Deutsche Gesellschaft für Gartenkunst und Landschaftskultur e.V. (DGGL) Wartburgstraße 42 10823 Berlin www.dggl.org

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Editorial

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6 Mit einem Symposium zu Infrastruktururbanismus ini­ tiierten die Organisatoren an der TU München eine aus ihrer Sicht überfällige Debatte.

10 Funktionierende Verkehrs­ räume können Freiraum- und Verkehrsplaner nur gemeinsam entwickeln. Im Bild: Rose Kennedy Greenway in Boston.


Verkehr

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Infrastrukturlandschaften Thomas Hauck, Volker Kleinekort Infrastruktur als städtebauliches Gestaltungselement – eine Debatte

10

Integrierte Verkehrsplanung Carsten Gertz Zukunftssichere Verkehrsstrukturen disziplinübergreifend planen

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Straßen für alle Arndt Schwab Shared Space als neues Verkehrskonzept

17

Urban Design Projekt Produkte

48 50

GaLaBau Praxis Recht Produkte

52 53

Focus Software Nachrichten Tagungen Bücher Campus Wettbewerbe Auslobungen Termine DGGL Nachrichten Autoren, Vorschau, Nachtrag, Impressum

35 40 43 44 46 56 58 58 59 64 64

Radverkehr in Ballungsräumen Romanus Scholz Chancen für mehr Mobilität in den Städten

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Stadtraum qualifizieren, Mobilität neu denken D. Bläser, J. A. Schmidt, H. Wehmeyer Infrastruktur für Elektroautos in den öffentlichen Raum einbinden

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Das Sigirino Depot Christophe Girot Landschaftsgestaltung mit Tunnelabraum am Schweizer Gotthard

26

Ein Laufsteg für Zürich Dominik Bueckers, Lukas Schweingruber Das Lettenviadukt als Promenade mit Aussicht

29

Neues Leben am Bund in Shanghai Shannon Bassett Eine neu gestaltete Uferpromenade integriert Verkehr und Parks

32

Steg mit abnehmbarem Geländer Thomas Jakob Eine hochwassersichere Fußgängerbrücke in Horb am Neckar

23 Der Abraum aus dem Gotthard-Tunnel dient dem Atelier Girot als Grundlage neuer Landschaftsgestaltung beim schweizerischen Sigirino.

26 Ein von Schweingruber Zulauf geplanter Fuß- und Radweg macht das Züricher Letten­ viadukt zu einem Laufsteg über der Stadt.

29 Die neu gestaltete Uferpromenade „Bund“ in Shanghai integriert Hochwasserschutz, eine überdeckte Straße sowie Plätze und Pocket Parks.

Bilder: Marcus Gloge/Bundesgartenschau Koblenz 2011, Volker Kleinekort, AECOM, Atelier Girot, Rene Rötheli, Robert Schäfer Titel: Fahrradweg auf der Westminster Bridge London, Robert Schäfer

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Integrierte Verkehrsplanung Die Ziele von Verkehrsplanern und Freiraumplanern lassen sich oft nicht miteinander vereinbaren. Attraktive Freiräume und kurze Wege sind die städtebauliche Voraussetzung, um eine autofreie Nahmobilität zu fördern. Den künftigen Herausforderungen des demographischen Wandels und des Klimaschutzes ist nur durch disziplin­ übergreifendes Planen zu begegnen.

Carsten Gertz Die Beschäftigung mit dem Thema Verkehr ist für Freiraumplaner in der Regel unbefrie­ digend. Zu dominant sind die funktionalen Zwänge und zu gravierend die Umweltbeein­ trächtigungen, die sich insbesondere aus dem Autoverkehr ergeben. Gute gestalterische Beispiele sind vor diesem Hintergrund bislang eher die Ausnahme und nicht selten kommt der Wunsch auf, den störenden Verkehr in Tunnel unter die Erde zu verbannen, um da­rüber möglichst kreative, vor allem aber ungestörte Freiflächen realisieren zu können. Ein isoliertes Vorgehen der beiden sektoralen Fachplanungen „Verkehr“ und „Freiraum“ kann bei dieser Ausgangssituation keine Lösung sein. Vielmehr muss es darum gehen, unsere tägliche Fortbewegung möglichst um­ weltverträglich und sozial gerecht zu organi­ sieren. Dies ist einfach gesagt aber schwierig umzusetzen. Es gibt aber wichtige Verände­ rungsprozesse, die in der Summe dazu füh­ ren, dass sich der Rahmen für Verkehrspla­ nung und Verkehrspolitik deutlich ändert und sich damit auch für die Freiraumplanung neue Optionen ergeben. Dies ist insofern bemerkenswert, da die Verkehrsentwicklung der vergangenen Jahrzehnte überwiegend von einer großen Konstanz geprägt war. Die Motorisierung ist, trotz aller Investitionen in öffentliche Verkehrs­systeme, kontinuierlich angestie­ gen, die zurückgelegten Wegstrecken ha­ ben zugenommen, und die gesamte Sied­ lungsstruktur orientierte sich sehr viel mehr am Auto. Dies führte auch zu einem Quali­ tätsverlust bei öffentlichen Räumen – zu­ mindest in der Stadt. Die Fortsetzung des „schneller, höher, wei­ ter“ wird jedoch immer schwieriger und 10

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macht zunehmend keinen Sinn mehr – es ist Zeit für einen Paradigmenwechsel. Dieser Beitrag fasst die wichtigsten Verän­ derungen der Rahmenbedingungen zusam­ men und stellt die veränderten Handlungs­ möglichkeiten und -notwendigkeiten für die Planung vor. Veränderte Verkehrsentwicklung Außerhalb eines engeren Fachzirkels hat man bislang kaum wahrgenommen, dass sich das Mobilitätsverhalten in den vergan­ genen Jahren deutlich geändert hat. In der vom Bundes­ministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung beauftragten Haushalts­befragung „Mobilität in Deutsch­ land“ (INFAS, DLR 2010) zeigt ein Vergleich der letzten beiden Erhebungszeitpunkte 2002 und 2008 eine veränderte Nutzung der Verkehrsmittel (Modal Split). Es domi­ niert im bundesweiten Durchschnitt zwar weiterhin das Auto mit insgesamt 58 Pro­ zent aller Wege (Fahrer und Mitfahrer), der deutliche Zuwachs der Jahrzehnte zuvor ist jedoch nicht mehr zu verzeichnen. Gewin­ ner der vergangenen Jahre ist das Fahrrad. Zusammen mit dem Fußverkehr werden im­ merhin ein Drittel aller Wege nichtmotori­ siert (24 Prozent Fußverkehr, 9 Prozent Rad) zurückgelegt. Etwas überraschend mag der im bundesweiten Durchschnitt geringe Anteil des öffentlichen Nahverkehrs mit nur neun Prozent aller Wege sein, der aber in Großstadtregionen höher ausfällt. Ein genauerer Blick auf das Verkehrsverhal­ ten unterschiedlicher Altersgruppen zeigt etwas Bemerkenswertes: Bei Senioren nahm zwischen 2002 und 2008 die Autonutzung zu, während bei den jungen Erwachsenen

(18 bis 24 Jahre) genau das Gegenteil der Fall war. Stattdessen haben diese häufiger die öffentlichen Verkehrsmittel genutzt. Offen­ sichtlich lösen bei Jugendlichen Telekommu­ nikationsmedien das Auto als Statussymbol mehr und mehr ab. Die Automobilindustrie ist sich dieser veränderten Situation durch­ aus bewusst, zumal die Neuwagenkäufer in Deutschland im Durchschnitt über 50 Jahre alt sind. Die gestiegene Autonutzung bei Senioren darf man im Hinblick auf den demographi­ schen Wandel nicht falsch interpretieren. Wenn es immer mehr ältere Menschen gibt, ist ein Verkehrssystem notwendig, das es er­ möglicht, Ziele bequem auch ohne Auto und auf kurzem Weg zu erreichen. Barrierefreie Wege werden damit wichtiger als eine weiter steigende Reisegeschwindigkeit. Der demographische Wandel führt nicht nur zu einer sich ändernden Altersstruktur, son­ dern auch zu zurückgehenden Bevölkerungs­ zahlen. Was in vielen Gemeinden Ostdeutsch­ lands schon Realität ist, wird spätestens ab 2025 den überwiegenden Teil des Landes betreffen; allerdings ist in zahlreichen Regio­ nen auch ein Nebeneinander von Wachstum und Schrumpfung zu erwarten. Das hat zur Folge, dass künftig immer weniger Steuer­ zahler die bestehende Infrastruktur zahlen müssen, obwohl es bereits heute einen ho­ hen Rückstand bei den Erhaltungsinvesti­ tionen gibt. Auch bei den Wohnstandorten sind in ersten Ansätzen Verschiebungen erkennbar. Waren die vergangenen Jahrzehnte zumindest im Westen Deutschlands durch eine starke Sub­ urbanisierung geprägt, so schwächt sich diese Entwicklung inzwischen ab und das inner­


AECOM (2)

städ­tische Wohnen erfreut sich wieder grö­ ßerer Beliebtheit. Ein innerstädtischer Wohn­ standort ist in der Regel mit weniger Auto­fahrten verbunden. Das Dilemma ist bislang jedoch, dass in den attraktiven städtischen Quartieren nicht ausreichend bezahlbarer Wohnraum zur Verfügung steht. Von Klimaschutzzielen noch weit entfernt Die größte Herausforderung ist der Klima­ schutz. Der Verkehrssektor trägt etwa ein Viertel zu den CO2-Emissionen bei, wobei dem Autoverkehr als Hauptverursacher das größte Gewicht zukommt. Von der erfolgrei­ chen Umsetzung des Ziels, den CO2-Ausstoß bis 2020 um 40 Prozent zu reduzieren (ge­ messen am Basisjahr 1990), sind wir weit ent­ fernt. Für die kommunale Planung werden ambitionierte Klimaschutzziele nur durch eine große Bandbreite von Ansätzen um­ zusetzen sein, da es nicht die eine Lösung gibt, die für sich genommen einen durch­ schlagenden Erfolg ermöglicht. Ein besseres Mobi­litätsmana­ge­ment ist ebenso notwen­ dig wie eine bessere Verknüpfung der Ver­ kehrsträger und den öffent­liche Nahver­ kehr, Rad- und Fußverkehr weiter zu för­ dern. Insofern wird es künftig unumgäng­ lich sein, Klimaschutz und Verkehrspolitik als zusam­men­gehörige Politikfelder zu sehen. Mit dem Klimaschutz eng verknüpft ist die postfossile Mobilität. Die Konsequenz aus der Abhängigkeit vom Öl ist, dass wir uns dauer­ haft auf hohe Energiepreise und steigende Kosten für Mobilität einstellen müssen. Nun stiegen auch in der Vergangenheit die Ener­ giepreise. Jedoch wird der persönliche Ein­ kommenszuwachs immer weniger in der Lage sein, diesen Effekt zu kompensieren.

Das nachträgliche Verlagern des Verkehrs in Tunnel, um Freiräume zu schaffen, ist nur der zweitbeste Ansatz. Kurze Wege sollten bereits beim Städtebau eingeplant wer­ den. Im Bild: Rose Kennedy Green­ way in Boston .

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Stadtraum qualifizieren und Mobilität neu denken Noch fahren kaum Elektroautos durch die Stadt. Doch es ist politischer Wille, dass es schnell mehr werden. Jedes dieser Autos benötigt aber einen Ladeplatz für die Batterie. Da macht es Sinn, sich schon jetzt Gedanken darüber zu machen, wo diese Ladestationen stehen sollen und wie sie sich in den öffentlichen Raum einbinden lassen.

Daniel Bläser, J. Alexander Schmidt, Hanna Wehmeyer Elektrofahrzeuge gelten als Hoffnungsträger für die mobile Zukunft. Die Politik beruft einen Sachverständigenrat und lässt sich über den Stand der Dinge berichten. Die Auto­ mobilindustrie ruft nach Fördermitteln, um mit anderen europäischen Staaten und China in der Technologieentwicklung Schritt halten zu können. Und die Medien kümmern sich in regelmäßigen Abständen ebenfalls um das Thema. Elektrisch betriebenen Fahrzeugen selbst begegnet man – trotz vollmundiger Ankündigungen – in der Stadt eher selten. Hier und da stehen in einigen Großstädten an mehr oder weniger prominenten Orten Ladesäulen bekannter Stromanbieter – eher wie zufällig abgestellt. Das könnte als Marketing gedacht sein, als Chance für eine stadtverträgliche Mobilität gesehen werden oder aber auch als drohende Ankündigung dessen, was im öffentlichen Raum auf uns zukommen könnte. Nur eine Frage der Technik? Mehrere Städte erproben derzeit Elek­tro­ mobilität im Rahmen von Forschungsprojekten. Auf der technischen Seite liegen die Herausforderungen in der Entwicklung der Fahrzeugtechnik und Batteriesysteme. Diese Forschungsschwerpunkte werden im Fach­ diskurs behandelt. Raumstruktur, Mobilität und Energieaufwand sind die drei großen Variablen, welche eine einfache Formel zur Lösung der Mobilitätsproblematik kompliziert machen. Durch Technik allein lassen sich diese Probleme jedoch nicht in den Griff kriegen. 20

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Die privatwirtschaftlich betriebenen, eher zufällig montierten Elektroladestationen zeigen dies anschaulich. Es werden Lade­ stationen aufgestellt, an denen theoretisch jeweils ein einzelnes Elektrofahrzeug laden könnte. Viele Genehmigungsverfahren geistern durch die Amtsstuben kommunaler Entscheidungsträger, die jede dieser Sta­ tionen mit einer Sondernutzungserlaubnis als bauliche Anlagen planungsrechtlich genehmigen sollen. Die Stromanbieter stehen in den Startlöchern, ohne jedoch konzep­ tionell eine nachhaltige Integration zu forcieren. Bislang werden diese Ladestationen hauptsächlich von herkömmlichen Fahrzeugen als gewöhnlicher Parkplatz genutzt. Elektrofahrzeuge, die dort ihre Batterie aufladen, sieht man nur selten. Es stellt sich die Frage, wie mit dem öffent­ lichen Raum umgegangen wird, wenn die Zahl der Elektrofahrzeuge wie prognostiziert zunimmt. Brauchen die Fahrzeuge eine flächendeckend ausgebaute Ladeinfrastruktur – eine Ladesteckdose an jedem Laternenmast? Oder können die Ladestationen auch strategisch und gestalterisch in den Stadtraum eingebunden werden? Lässt sich Stadtraum für den Menschen zurückgewinnen, wenn die elektrischen Fahrzeuge Teil integrierter Mobilitätskonzepte sind? So vielfältig die Antworten auch ausfallen, ein Wildwuchs von Ladestationen kann nicht das erklärte gestalterische Ziel für den öffentlichen Raum sein. Trotzdem ist eine flächendeckende Infrastruktur von Lade­

stationen Gegenstand zahlreicher Forschungsprojekte. Dass sich dies erheblich auf die Stadtgestalt und den öffentlichen Raum auswirkt, wird oftmals nicht weiter betrachtet. Ein attraktiver Stadtraum ist gerade im dicht bebauten Zentrum ein entscheidender Standortfaktor für die Lebensqualität und muss daher aus der automobilen Umklammerung befreit und qualitativ aufgewertet werden. Mit der Elektromobilität lassen sich Stadträume gestalterisch neu konzipieren und darüber hinaus katalysatorisch die Ziele einer nachhaltigen Mobilität bekräftigen. Mehr Freiraum, weniger Verkehrsflächen Durch sie wird eine Renaissance des öffentlichen Freiraums angestoßen werden, denn die aktive Nutzung der Elektromobilität unter den heutigen Vorzeichen muss auch den Rückbau von Verkehrsflächen impli­ zieren. Elektromobilität muss auf starke Zentrali­sierung und einen integrierten Ansatz, das heißt einen Verschnitt mit anderen Verkehrsträgern und Funktionen, abzielen. Nach dem Prinzip „Nutzen statt besitzen“ müssen die Standorte der Elektromobilität in Car-Sharing-Modellen eine flexible Nutzung ermöglichen, welche bei hohem Mobilitätsaufwand einen geringen Ressourcenaufwand erzeugen. Es sind neue Orte der Mobilität und des städtischen Lebens zu schaffen, Orte mit Aufenthaltsqualität und kleinräumiger Funktionsmischung; mit mehr „Walkability“, also Orte, welche sich über die Mobilitätsfunktion hinaus auch


Entwurf: J. Alexander Schmidt, Daniel Bläser (2)

Standorte der Elektromobilität mit Car-Sharing-Modellen müssen über flexible Nutzungsmöglichkeiten verfügen. So können neue Stadträume entstehen. Im Bild: Vorschlag für den Breslauer Platz in Köln.

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Ein Laufsteg für Zürich Das Lettenviadukt in Zürich diente lange als reines Infrastrukturbauwerk. Seit 2010 ist die ehemalige Personen- und Gütertransporttrasse ein Fußund Radweg. Das denkmalgeschützte Viadukt verbindet die angrenzenden Freiräume und ermöglicht eine neue Sicht auf die Stadt.

Dominik Bueckers, Lukas Schweingruber Über die Limmatbrücke hinweg, an der Markthalle hinauf, vorbei an der Kehricht­ verbrennungsanlage, über dem zentralen Quartierspark Josefswiese – das Lettenvia­ dukt ist ein neuer Weg durch das ehemalige Industriequartier Kreis 5 in Zürich. Lange war das Lettenviadukt ein reines Infrastruk­ turbauwerk für die Schweizer Bahnbetrie­ be, heute vernetzt es die Freiräume des Quartiers. In den alten Viaduktbögen ha­ ben sich zudem Geschäfte niedergelassen. Neben seiner verbindenden Funktion ist die ehemalige Eisenbahnbrücke zu einem neu­ en eigenständigen Anziehungspunkt inner­ halb des Quartiers geworden. Der Platz im Quartier ist eindeutig als Ge­ meinschaftsraum ablesbar und ist entspre­ chend flexibel genutzt und gestaltet. 26

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Mit der Wiederentdeckung und Öffnung des Lettenviadukts als städtische Wege­ verbindung entsteht im Quartier ein neuer Wegeraum. Die besondere Lage des Via­ dukts außerhalb des Straßen- und Bewe­ gungsrasters des Quartiers erlaubt keine direkte Zuordnung an eine bestimmte Nutzergruppe. Der Züricher Stadtteil Kreis 5 mit seinen historischen Arbeitersiedlun­ gen, ungenutzten ehemaligen Industrie­ anlagen und neuen Wohnquartieren zeich­ net sich durch seine stark durchmischte Be­ wohnerstruktur aus. Die neuen Nutzungs­ möglichkeiten – sie reichen von der Markthalle bis zur Kinderkrippe – locken gleichzeitig auch Menschen aus den an­ grenzenden Quartieren in und auf den Lettenviadukt.

Das Industriequartier Kreis 5 ist Sinnbild für die sich wandelnde Stadt Zürich. Zahlreiche neue Büro- und Wohngebäude haben einen großen Teil der ehemaligen Industrieanla­ gen verdrängt. Die Kehrichtverbrennungs­ anlage, das Areal der Löwenbrauerei und die Speicheranlagen der SwissMill, der füh­ renden Schweizer Getreidemühle entlang des Lettenviadukts sind stetige Zeichen der Geschichte und gleichsam des Wandels. Bei der Gestaltung des Lettenviadukts sollte das Infrastrukturbauwerk nicht mit einer Überbetonung als Industriedenkmal belas­ tet werden. Der Weg besteht aus schmalen Betonelementen, deren Oberfläche an die Holzstruktur der ehemaligen Bahnschwel­ len erinnert. In Teilbereichen sind die Schwellen aufgerichtet und werden zu Sitz­


Rene Rötheli (4)

Der offene Schotter unter den Be­ tonbrettern des Lettenviadukts bietet Platz für die Mauereidechse, für die der Viadukt zu einem wich­ tigen Lebensraum geworden ist.

Schweingruber Zulauf

Das Lettenviadukt wurde nicht als Industriedenkmal überbetont, ver­ leugnet aber auch nicht seine Ver­ gangenheit.

möglichkeiten. Der offene Schotter unter den Betonschwellen bietet Platz für die Mauer­eidechse, für die das Bahnviadukt zu einem wichtigen Lebensraum geworden ist. Der Einsatz der präzise geformten Beton­ bretter dokumentiert die Herkunft des Ortes, ohne ihn mit einer vergangenen Iden­tität zu überfrachten. Dieser neue Interpre­tationsraum sucht nach Bewohnern, Benutzern und Besetzern – er wird zum Laufsteg des Quartiers. Das Schaulaufen im Kreis 5 hat begonnen.

Lettenviadukt Fuß-und Radweg, Zürich Bauherr: Tiefbauamt der Stadt Zürich Planer: Schweingruber Zulauf Landschaftsarchitekten, Zürich Architektur Viaduktbögen: EM2N Mathias Mueller Daniel Niggli Architekten, Zürich Fläche: 2 830 Quadratmeter Wettbewerb: 2004 Bauzeit: 2008 bis 2010 Baukosten: 1,7 Millionen Schwei­ zer Franken

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