Garten und Landschaft 05 2011

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Mai 2011

Garten+

Landschaft Zeitschrift f端r Landschaftsarchitektur

Die Gr端ne Stadt


Inhalt 5/2011

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Verlag: Callwey Verlag Streitfeldstraße 35 D-81673 München Fon +49 89 /43 60 05-0 Fax +49 89/43 60 05-113 www.garten-landschaft.de

121. Jahrgang

Für die Zukunft gestalten. Garten + Landschaft

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Grün ist die Hoffnung Robert Schäfer

Journal

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Große Freiheit Tempelhof Thomas Armonat Gross.Max. gewinnen Verhandlungsverfahren zur Tempelhofer Parklandschaft

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Ein Park für alle Ljubica Heinsen Eröffnung des Sandtorparks in der Hamburger HafenCity

5

Ein neuer Park für Basel Friederike Meinhardt, Robert Zeller Erster Abschnitt des Erlenmattparks zugänglich

6

Berliner Büros räumen ab Juliane Schneegans Deutscher Landschaftsarchitektur-Preis 2011 entschieden

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Im Zentrum steht der Garten Juliane Schneegans Peter Zumthor und Piet Oudolf bauen neuen Pavillon der Londoner Serpentine Gallery

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48. IFLA-Weltkongress in Zürich Robert Schäfer „Scales of Nature“: Internationales Landschaftsarchitektur-Treffen

4 Beim Deutschen Landschaftsarchitektur-Preis gab es zwei erste Preise. Einer davon würdigt die Umgestaltung des Schlosshofs in Freudenstein.

Herausgeber: Deutsche Gesellschaft für Gartenkunst und Landschaftskultur e.V. (DGGL) Wartburgstraße 42 10823 Berlin www.dggl.org

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Editorial

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6 Ein grüner Fleck in der sonst eher steinernen Hamburger HafenCity ist der neu eröffnete Sandtorpark des Büros EMBT aus Barcelona.

8 Gut gestaltete Freiräume sind Grundlage für zukunftsfähige Städte. Im Bild: Anish Kapoors Skulptur „The Bean“ im Chicagoer Milleniumpark.


Die Grüne Stadt 8

In Resilienz investieren Robert Schäfer Neue Begriffe in der Landschaftsarchitektur

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Grün statt Grau Thomas Jakob Stadterneuerung auf dem Luxemburger Kirchberg

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Frankfurts Antwort auf den Klimawandel Hans-Georg Dannert Anpassungsstrategien erfordern gesteuerte Eingriffe

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Wert und Nutzen von Grünräumen Martina Weiss, Florian Brack Eine Literaturstudie zum Thema Grün in der Stadt

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Mehr Wert durch Grün Dietwald Gruehn, Anne Hoffmann, Heiner Baumgarten Der Einfluss von Grünflächen auf den Bodenrichtwert in Städten

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Die grüne Invasion Gerd Aufmkolk Hoher Freiflächenanteil als Standortvorteil schrumpfender Städte

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Gesundes Stadtgrün Hartmut Balder Richtige Pflanzung und Pflege: nur so erfüllen Bäume Klimafunktionen

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Die Gehölze der Zukunft Susanne Böll „Stadtgrün 2021“: Bäume im Klima-Stresstest

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Medienkooperation Die Grüne Stadt Forschen für eine bessere städtische Zukunft Emmanuel Mony Landschaftsgärtner lassen forschen – eine Initiative der ELCA

22 Das Büro Latz und Partner verdichtet das Kirchbergplateau in Luxemburg auf nachhaltige Weise. Ein Beispiel dafür ist der Parc Central.

28 Die Voraussetzung für gesunde Stadtbäume sind gute Pflege und ein ausreichender Wurzelraum für ungestörtes Wachstum.

Urban Design Projekt Produkte

48 49

GaLaBau Praxis Recht Produkte

52 54

Nachrichten Personen Bücher Campus Tagungen Wettbewerbe DGGL Nachrichten Termine Autoren, Vorschau, Nachtrag, Impressum

38 42 43 44 46 54 58 60 64 64

34 Europas Landschaftsgärtnerverband ELCA will mit gezielter Forschung den Nutzen von Grün in der Stadt belegen. Im Bild: Greenway, London.

Bilder: Birgit Hammer Landschafts.Architektur, Thomas Hampel Elbe & Flut, Robert Schäfer (2), André Weissegerber, Hartmut Balder Titel: Messezentrum Barcelona, Robert Schäfer

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In Resilienz investieren In seltener Einigkeit entdecken Investoren, die Immobilienwirtschaft und Politiker, dass es in den Städten mehr Parks und gut gestaltete Freiräume braucht. Neu eingeführte Begriffe wie Resilienz und High Performance Landscape dürften auch der Landschaftsarchitektur frischen Wind bringen.

Robert Schäfer

Protest per Wandbild in Chicago: Gentrifizierung ist kein Zeichen guter Stadtentwicklung, denn es wird Sieger und Verlierer geben. Das Stadtgefüge wird brüchig.

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Es ist unbestritten, dass Freiräume in der Stadt wichtig sind. Neu ist jedoch das Interesse, das immer mehr gesellschaftliche Gruppen dem Thema entgegenbringen. Besonders die Immobilienwirtschaft und deren Investoren stellen sich die Frage, wie privates und öffentliches Engagement zusammengeführt werden kann. Wenn es dabei um mehr geht als die halböffentliche Nutzung von innerstädtischen Einkaufszentren oder die Einrichtung von Business Improvement Districts (BID), lohnt sich ein genaueres Hinsehen. Das Urban Land Institute (ULI) veröffentlichte zusammen mit dem Londoner Planungsbüro Gensler anlässlich der Real Estate Messe MIPIM in Cannes die Ergebnisse einer Befragung von 350 international tätigen Unternehmen aus der Immobilienbranche. Eines der erstaunlichen Ergebnisse: 95 Prozent der Be-

fragten erkannten, dass Freiräume den Wert von Gebäuden erhöhen und wären bereit, mindestens 3 Prozent der Investitionssumme draufzulegen für die qualitätvolle Gestaltung von Parks und Plätzen in der Nähe der Immobilien. Dieses Geld sucht nun Partner in den Städten. Ein großes Problem ist aber, so die Studie, angesichts der leeren Kassen der öffentlichen Hand neue Kooperationsformen und Investitionsmodelle zu entwickeln. Bevölkerungswachstum und zunehmende Einwanderung werden in erfolgreichen Städten den Druck auf die Freiflächen erhöhen. Alleine für London wird für das Jahr 2031 ein Defizit von 1 100 Hektar öffentlich nutzbaren Freiraums errechnet. Diese Dimensionen verlangen nach neuen Partnerschaften, was insgesamt 84 Prozent der Befragten bestätigten. Sie erwarten, dass sowohl die Entwicklung,


Robert Schäfer (5)

Die Stadt ist für alle da, der Strand ebenso: Morgengymnastik an der Copacabana in Rio de Janeiro. Der Strand und die anschließende Promenade, gestaltet von Roberto Burle Marx, haben als Freiräume unschätzbaren Wert für die dichtbesiedelte Stadt.

Fragwürdig ist dagegen die Stadtentwicklung in Bangkok: immer mehr sich überlagernde Straßen und Brücken lösen nicht die grundlegenden Verkehrsprobleme, zerstören aber jegliche urbane Qualität.

wie auch die Pflege der städtischen Freiräume von der Privatwirtschaft und den Städten gemeinsam übernommen werden. 73 Prozent der Befragten sahen im Freiraum einen wichtigen Faktor für wirtschaftliches Wachstum und 82 Prozent wären kurzfristig in der Lage und willig, Geld einzubringen, sofern ein wirtschaftlicher Anreiz gegeben ist. Das Gutachten stellt 10 Schlüsselthemen zur Debatte: „Open Space: An Asset without Champion?“ http://goo.gl/yRcgd, PDF-Datei. Das Stichwort ist gefallen: Erfolgreiche Städte stehen im Blickpunkt und erfahren Zuwendung. Dabei wächst alleine schon in Europa die Kluft zwischen den Städten und Immobilienmärkten. Ein Statusbericht der Investmentgesellschaft pwc zusammen mit ULI (Emerging Trends in Real Estate Europe) sieht

Wachstumschancen in den mittel- und nordeuropäischen Märkten (Island und Irland ausgenommen), während die Euro-Patienten im Süden weiter zurückfallen im Interesse der Investoren. Istanbul (trotz des latenten Erdbebenrisikos), Moskau (trotz undurchschaubarer politischer Absichten), London und Paris sowieso, aber auch Städte wie Lyon oder Bordeaux, Turin, Edinburgh, Amsterdam oder die Öresundregion werden gerne als Häfen für Immobilieninvestitionen genannt. „Emerging Trends in Real Estate Europe 2011“ http://goo.gl/BYKmB, PDF-Datei. Natürlich schauen Investoren mit anderen Blicken und einem anderen Selbstverständnis auf die Städte. Es geht um den Ertrag, und die Städte sind Märkte, die wachsen oder schrumpfen und gelegentlich fallengelassen

werden. Wir mehr oder weniger mittellosen Menschen und Bürger dagegen, leben und arbeiten in diesen Städten, egal ob sie an den Ufern des Kapitalflusses angelegt wurden oder weitab davon im märkischen Sand. Nur wenige können und wollen als moderne Nomaden dem Boom folgen. Und wir reden hier vom vergleichsweise wohlhabenden Europa und nicht von den vielen Ländern in denen der Einzelne wenig Chancen hat, sein Schicksal zu gestalten. Dennoch ist es erstaunlich, wie rasch inzwischen ökologische und städtebauliche Fragestellungen Einzug finden in die Planungsabteilungen von Wirtschaftsunternehmen, die verstanden haben, dass sogar ein Ausstieg aus der Kernenergie möglich ist, nicht aber ein Ausstieg aus dem Ökosystem Erde. Sustainability, also Nachhaltigkeit, ist Allgemeingut Garten + Landschaft

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Latz und Partner Michael Latz

Eine Pergola fasst die Avenue J. F. Kennedy auf dem Plateau de Kirchberg in Luxemburg im Bereich Bricherhof. Natursteinmauern fangen den Niveauunterschied ab.

Grün statt Grau Auf dem Plateau Kirchberg in Luxemburg hat man vor ein paar Jahren begonnen, die Stadtautobahn in einen städtischen Boulevard zu verwandeln. Andere sichtbare Zeichen der Stadterneuerung nach grünem Leitbild ist der hohe Anteil von Alleen, Plätzen, Gärten und Parks. Im kommenden Jahr sollen die Arbeiten abgeschlossen sein.

Thomas Jakob Ökologischen Stadtumbau und nachhaltige Stadtentwicklung verbindet man gemeinhin mit schrumpfenden Städten und Regionen, also vor allem mit Städten im Osten Deutschlands. Ökologisch oder nachhaltig bedeutet dort in der Regel, Häuser abzureißen, die eine oder andere Straße zurückzubauen oder zumindest fußgängerfreund­licher zu gestalten. Zwischennutzung und Bürgerbeteiligung sind weitere Schlagworte nachhaltiger Stadtplanung. Anstelle des ideologisch behafteten Wörtchens „ökologisch“ tritt seit kurzem zunehmend der Begriff „klimagerecht“. Das klingt weniger grün, passt aber dennoch oder gerade deshalb in unsere Zeit. Doch eine Stadt lässt sich nicht von heute auf morgen nachhaltig, ökologisch oder klima­gerecht umbauen. Das ist ein Prozess, der Jahre, ja Jahrzehnte dauert. Und wer weiß, ob die heutigen Kriterien für diesen Prozess die richtigen sind, ob sie ausreichen, die Stadt fit für die Zukunft zu machen? Da sind kleine Schritte manchmal besser als hehre Ziele, die 12

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niemals umgesetzt werden. Ein Beispiel für den Umbau eines Stadtteils ist der Kirchberg in Luxemburg. Auf dem Kirchbergplateau im Nordosten der Stadt haben sich seit den 1960er-Jahren zahlreiche Banken und Hotels, europäische Institutionen und Behörden niedergelassen, da­runter der Europäische Gerichtshof, der Europäische Rechnungshof, die Europäische Investitionsbank, Teile des Generalsekreta­riats des Europäischen Parlaments sowie Eurostat, das statistische Amt der Europäischen Union. Die Entwicklung des 360 Hektar großen Areals auf dem Plateau zu Beginn der 1960er-Jahre übernahm der Fonds d‘Urbani­sation et d‘Aménagement du Plateau de Kirchberg, der für die städtebauliche Entwicklung des Kirchbergs geschaffen wurde. Leitidee damals war noch die autogerechte und funktionalis­tische Stadt: Überdimensionierte, kreuzungsfreie Straßen dominierten isolierte Siedlungsinseln und von wenig städtischem Leben erfüllte Bürokomplexe. Durch die Erweiterung der Europäischen Union

mussten weitere Gebäude gebaut und bestehende erweitert werden. Darüber hinaus begann eine städtebauliche Debatte mit der Folge, dass man auf dem Kirchberg einen grundlegenden Stadtumbau einleitete. Autobahn wird zum Boulevard Auffälligstes Zeichen dieses Umdenkens ist die Umwandlung der Kirchberg-Autobahn mit ihren langgezogenen Ein- und Ausfahrten in einen städtischen Boulevard. Ein fast ausschließlich auf Individualverkehr ausgerichtetes Erschließungssystem wurde zum großzügigen Verkehrsraum für Fußgänger, Radfahrer, Autos und öffentlichen Nahverkehr und verbindet nun getrennte Quartiere zu einem Stadtteil. Der Boulevard ist 60 Meter breit und 3 Kilometer lang und erstreckt sich vom östlichen Kreisel mit der Skulptur von Richard Serra bis zur Rue Weicker im Westen. Säuleneichen markieren die Mitte des Profils. Sie sind das Rückgrat einer achtreihigen Allee mit zwei


Säuleneichen markieren die Mitte des neuen, 60 Meter breiten Boulevards auf dem Kirchberg in Luxemburg. Je zwei Fahrspuren in der Mitte stehen dem Durchfahrtsverkehr zur Verfügung

Eichenreihen auf beiden Seiten und Blütenbäumen (Stadtbirne, Pyrus calleryana ‘Chanticleer‘) entlang des breiten Spazier- und Radwegs vor den Gebäuden. Das Gesamtkonzept für die städtebauliche, landschaftliche und künstlerische Erneuerung und Entwicklung des Stadtteils stammt von Jourdan & Müller Architektur und Städtebau aus Frankfurt, Christian Bauer & Associés Architectes aus Luxemburg, Latz und Partner aus Kranzberg und dem Kölner Kunstprofessor und Direktor des Kölner Museum Ludwig, Kasper König. Ihr Ziel: den Kirchberg räumlich neu zu ordnen und in ein lebendiges, zusammenhängendes Stadtviertel von hoher Identität umzugestalten, mit Durchmischung von Wohnen, Arbeiten, Bildung und Freizeit, und durch Alleen, Plätze, Gärten und Parks zu strukturieren. Diese städtebauliche Neuordnung entsteht durch Verdichtung, bei der möglichst wenig Flächen versiegelt werden. Bis zum Jahr 2020 sollen in dem Stadtviertel 30 000 Menschen

Latz und Partner

André Weißgerber (4)

arbeiten und 10 000 Menschen wohnen. Wie aber überzeugt man eine Stadtentwicklungsgesellschaft und Verkehrsplaner davon, eine autobahnähnliche Straße in einen Boulevard zu verwandeln? „Die Verkehrsplaner machten einen grundsätzlichen Denkfehler“, sagt Peter Latz, der damals den Fonds als Landschaftsarchitekt beriet. „Sie gingen weiterhin davon aus, Hauptachsen und Erschließungsachsen trennen zu müssen.“ Bis Latz den Vorschlag machte, die Zahl der Kreuzungen zu erhöhen und die Haupt­achsen zugleich als Erschließungsachsen zu konzipieren. So fielen die weitläufigen Autobahn­auffahrten und rückwärtigen Erschließungsstraßen weg. Die Kreuzungen brauchten weniger Platz, kleine Täler wurden aufgefüllt, Stützmauern angelegt. Dies alles führte dazu, dass der Fonds d‘Urbanisation et d‘Aménage­ ment Flächen gewann, die er bebauen konnte. Statt der lose entlang der Autobahn verteilten Gebäude wuchsen Verwaltungs-, Büro- und Hoteltrakte an die Straße heran.

Es entstand so etwas wie Urbanität. Auch baute man Wohnungen, die allerdings eher in der gehobenen Preisklasse angesiedelt sind. Doch Wohnungen und Arbeitsplätze allein beleben noch kein Quartier. Deshalb machte es der Fonds den Banken und Institutionen zur Auflage, auf Kantinen und Cafeterien zu verzichten. Stattdessen sollen die Angestellten in die Restaurants und Cafés auf dem Kirchberg gehen. In der Folge eröffneten zahlreiche Gastronomie­betriebe, die nun sehr gut besucht sind. Auch nutzen die Luxemburger zunehmend das Plateau und seine Parks als Naherholungsgebiet. Ein neues Multiplexkino zieht ebenfalls Besucher an. Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs Damit diese Menschen nicht alle mit dem Auto kommen, erhöhte Autobus de la Ville de Luxembourg, der städtische Verkehrs­ betrieb, die Taktfrequenz von der Innenstadt auf den Kirchberg und auch auf dem Plateau selbst. So soll der Modal Split des Garten + Landschaft

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Fachgerechter Schnitt und Standortpflege führen zu gesundem Blattwerk (im Bild links); kränkelndes Laub am rechten Bildrand.

Gesundes Stadtgrün Menge und Qualität von innerstädtischem Grün waren schon immer ein Indikator für den Wohlstand unserer Gesellschaft. Zunehmend spielt neben gestalterischen Aspekten auch die klimaregulierende Wirkung der Pflanzen eine entscheidende Rolle. Allerdings muss man in der Stadt nicht nur standortangepasste Arten einsetzen, sondern insbesondere auch das Wachstum sichern. Denn nur gesundes Stadtgrün kann Klimafunktionen erfüllen.

Hartmut Balder Mit der Bepflanzung der Straße „Unter den Linden“ in Berlin begann 1647 der Siegeszug der öffentlichen Begrünung in Europa. Kontinuierlich wurde vielerorts der Pflanzenbestand erweitert und schrittweise der städtische Lebensraum den jeweiligen Bedürfnissen und örtlichen Möglichkeiten angepasst. Dies geschah auch unter dem Aspekt der Wertschätzung und Finanzierbarkeit von großflächigen Grünanlagen in Form von Alleen, Parks, Siedlungsgrün sowie Dach-, Innen- und Fassadenbegrünungen. Somit ist die Quantität und Qualität des Stadtgrüns auch ein Indikator für den Wohlstand unserer Gesellschaft. Gewünscht sind heute jedoch nicht nur allein gestalterische Funktionen. Grünanlagen sollen auch das Stadtklima regulieren, die Luft reinhalten indem sie Schadstoffe binden und Lebensräume für Tiere und Pflanzen schaffen. Die aktuellen Diskussionen allein um klimaangepasste Baumarten und mehr Bäume in einer Stadt greifen allerdings viel zu kurz und verschleiern den Blick auf die Gesamtzusammenhänge. Forschung an Stadtpflanzen vernachlässigt Die Pflanzenproduktion im Gartenbau und in der Forst- und Landwirtschaft wurde durch intensive staatliche und private Entwicklungs- und Forschungsarbeiten in den vergangenen Jahrzehnten vorangetrieben 28

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und damit die Ernährung des Menschen gesichert. Dagegen blieben die Bemühungen, die Pflanzenverwendung unter den besonderen Bedingungen der Stadt zu optimieren, relativ bescheiden. Damit die städtische Vegetation Klimafunktionen übernehmen kann, ist es notwendig, dass die Pflanzen sich am jeweiligen Standort entwickeln können und insbesondere ein gesundes Blattwerk bilden, um Schatten zu spenden und ihre Temperatur senkende Wirkung entfalten zu können. Dabei darf die Tunnelung einer Straße nicht die nötige Durchlüftung unterbinden, die etwa Feinstaub, Pilzsporen und Allergene entfernt. Zwischenzeitlich hat man zahlreiche Belastungs- und Schadfaktoren für städtische Vegetation identifiziert und in ihren Wirkungen wissenschaftlich belegt. Zu leichtfertig wird aber nach wie vor Stadtgrün unter dem Design-Aspekt angelegt, ohne dabei die Ansprüche der Pflanzen zu beachten und die Wachstumsbedingungen nachhaltig zu sichern. Ästhetische Fehlentwicklungen der Baumbestände und kaum zu kontrollierende Folgekosten beim Unterhalt sind die Folgen und sprengen die Haushalte vieler Kommunen. Um die gewünschten Stadtbilder zu schaffen und zu unterhalten, muss man wie in der Pflanzenproduktion ertragsorientiert denken. Doch dieses Ertragsdenken ist offenbar wenig ausge-

prägt, so dass es schwerfällt, die dort bestehenden Abhängigkeiten der Politik und der Öffentlichkeit zu vermitteln. Da funktionale und nachhaltige Konzepte fehlen, führt dies dazu, dass zwar grüne Inszenierungen gewünscht sind, die Wertschätzung des Stadtgrüns auf breiter Ebene aber nachlässt. Unter diesen Rahmenbedingungen ist weder ein fachlich geprägtes Arbeiten möglich, noch ein ökonomisches Handeln auf allen Ebenen durchsetzbar. Gesunde Wurzeln Basis für vitale Pflanzen Andererseits geben moderne Forschungs­ arbeiten deutliche Hinweise, wie die Inves­ titionen im Stadtgrün künftig effizienter zu gestalten sind. Insbesondere stellte sich heraus, dass eine gesicherte Wurzelentwicklung die Grundlage für ein vitales Pflanzenwachstum ist. Zudem verhindert sie unerwünschten Krankheits- und Schädlings­­befall und trägt somit dazu bei, die Grünbestände kalkulierbar zu unterhalten. Die Forschungsergebnisse zeigten auch, dass eine gesamtstädtische Klimawirkung auch unter effizienterem Einsatz von Pflanzen und unter schwierigen Bedingungen möglich ist. Dies setzt aber die vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Auftraggebern, Planern, Ausführenden und Pflanzenlieferanten auf gleichem Niveau voraus. Besonders Pflanzen mit Resistenzeigenschaften,


Literatur Hartmut Balder: Die Wurzeln der Stadtbäume. Parey Buchverlag, Stuttgart 1998 Hartmut Balder, Kerstin Ehlebracht, Erhard Mahler: Straßenbäume – Planen, Pflanzen, Pflegen – am Beispiel Berlin. Patzer Verlag, Berlin 1997 FLL: Empfehlungen für Baumpflanzungen – Teil 1: Planung, Pflanzarbeiten, Pflege. Bonn 2005

Hartmut Balder (3)

FLL: Empfehlungen für Baumpflanzungen – Teil 2: Standortvorbereitung für Neupflanzungen; Pflanzgruben und Wurzelraumerweiterung, Bauweisen und Substrate. Bonn 2010

Bei der funktionalen Begrünung der Wilmersdorfer Straße in Berlin wurden strukturstabile Substrate verwendet und fachgerecht gedüngt sowie bewässert.

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Medienkooperation Die Grüne Stadt

Landschaftsgärtner lassen forschen Man ahnt es, doch besser ist Gewissheit. Forschung tut Not!

Klimaverbesserung in den Städten nachprüfbar erweitern sollen. Initiiert wird diese Ak­tion von ELCA, der European Landscape Contractors Association, als dem Landschaftsgärtnerdachverband in Europa, der seinen Mitgliedern stichhaltige wissenschaftliche Argumente liefern möchte. Es geht um das Grün in der Stadt, also um die Arbeitsgrundlage der Grünen Berufe. Landschaftsgärtner möchten gewappnet sein, wenn es um die Umgestaltung der Städte geht, wenn sie fitgemacht werden müssen, um widerstandsfähig wie flexibel den Bedrohungen durch Klimawandel, Hitzetage und Stürme die Stirn zu bieten. Da dies naheliegende Themen für Garten + Landschaft sind, ist es natürlich, dass wir als Medienpartner diese und weitere Aktionen von ELCA, BGL und der Stiftung Grüne Stadt unterstützen und begleiten werden. Robert Schäfer

Robert Schäfer

Grün ist gut, grüne Berufe sind gut, der Gärtner ist niemals der Mörder! Klischees begleiten unser Tun als Landschaftsarchitekt oder -gärtner und wir werden nicht müde, immer wieder zu erzählen, wie segensreich unser Wirken sei. Bäume sind immer gut, sie produzieren Sauerstoff, spenden Schatten, verdunsten Wasser, sind Heimstatt von Tieren, Algen, Flechten und Pilzen, mithin Träger der Biodiversität, Balsam für’s Auge und sie filtern den Feinstaub aus der Luft. Doch wehe, da fragt mal jemand genauer nach: In vielen Bereichen gibt es keine verlässlichen Daten und nachprüfbaren Fakten. Wir halten den Pflanzen vieles zu Gute und können es nicht belegen, wenn einmal ein misstrauischer Umwelt- oder Klimaskeptiker kritisch nachfragen sollte. Dem soll nun abgeholfen werden. Am 24. Mai werden in Brüssel Forschungsanträge vorgestellt, die unser Wissen um effektive

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Henning Maier-Jantzen

Forschen für eine bessere städtische Zukunft

Neue Grünflächen entstehen in der Stadt auch durch Umnutzung alter Industrieanlagen. Im Bild: Gleisharfe im Zollvereinpark in Essen.

Emmanuel Mony Europas Städte stehen angesichts des demografischen Wandels, der Klimaveränderungen, der Globalisierung und des Strukturwandels vor großen Veränderungen. Dabei zeichnet sich die Entwicklung durch ein Nebeneinander von Wachstums- und Schrumpfungsprozessen aus. Regionen und Städte wachsen vor allem in den Metropolregionen. Von Schrumpfungsprozessen betroffen sind häufig ländliche und strukturschwache Räume. Die fortschreitende Verstädterung ist mit hohem Ressourcenverbrauch verbunden und damit Teil des Problems, sie bietet zu-

gleich aber auch die Chance, in den Verdichtungsräumen nachhaltige Stadtentwicklung mit nachhaltiger Freiraumplanung zu verbinden. Einen wesent­lichen Beitrag, die Umweltbelastung in Städten zu reduzieren, leistet eine nachhaltige Siedlungsstruktur. Hohe Emissionen aus dem Verkehr vermeiden, Frischluftschneisen freihalten, die Bodenversiegelung reduzieren und Wasser- und Grünflächen erhalten beziehungsweise schaffen – das sind die nötigen planerischen Maßnahmen. Die von vielen Ländern geplante, reduzierte Flächeninanspruchnahme kann nur

durch eine konsequente Innenentwicklungsstrategie erreicht werden, indem man eine weitere Zersiedlung vermeidet, Flächen recycelt und nachverdichtet. Eine kompakte Stadtstruktur mit kurzen Wegen und Funktionsmischung sind wichtige Voraussetzungen, den Klimawandel zu bewältigen. Wohnortnahes Grün wird ein wichtiger Baustein der künftigen Stadtplanung sein. Der Nachhaltigkeitsgrundsatz „Innenentwicklung vor Außenentwicklung“ gilt gleichermaßen für wachsende wie schrumpfende Regionen und darf sich nicht nur auf den Hoch- und Tiefbau bezie-

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