Garten und Landschaft 05 2012

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Mai 2012

Garten+

Landschaft Zeitschrift fĂźr Landschaftsarchitektur

nachhaltig – zertifiziert


Inhalt 5/2012

Wasserkreisläufe intelligent in den Planungsprozess einbeziehen: Das ­gehört bei Außenanlagen zu ­den Zertifi­zierungs­kriterien für Nachhaltigkeit. Atelier Dreiseitl

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Verlag: Callwey Verlag Streitfeldstraße 35 D-81673 München Fon +49 89 /43 60 05-0 Fax +49 89/43 60 05-113 www.garten-landschaft.de

122. Jahrgang

Für die Zukunft gestalten. Garten + Landschaft

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Zertifix, halleluja! Robert Schäfer

Journal

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Follow me – Berlin und seine Flughäfen Thomas Jakob Topos-Tagung und Verleihung des Topos Landscape Awards am 5. Juni

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BGL: Mehr qualitätsvolles Grün in der Stadt Thomas Jakob Der Galabau-Verband agiert mit einem neuen Ausschuss für Stadtentwicklung

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Städte in Transformation Susanne Isabel Yacoub Tagung zu landschaftsarchitektonischen Zukunftsbildern in Brandenburg

4 In Berlin gab es vier Flug­häfen. Drei wurden geschlossen, einer komplett neu gebaut. Was ­ dies für die Stadtentwicklung bedeutet, das beleuchtet eine Tagung am 5. Juni.

Herausgeber: Deutsche Gesellschaft für Gartenkunst und Landschaftskultur e.V. (DGGL) Wartburgstraße 42 10823 Berlin www.dggl.org

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Editorial

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6 Ob eine Grünanlage funktioniert zeigt sich erst Jahre nach ihrer Einweihung. Entscheidend ist ­neben dem Entwurf ein lang­ fristig angelegtes und finanzierbares Pflegekonzept.

10 Nachhaltig planen heißt Platz zu sparen. Das Landschaftsarchitekturbüro Kluska sah an einer Kaserne in Ingolstadt Stellplätze als kleine Smart-Parkplätze mit Bäumen vor.


nachhaltig – zertifiziert

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Außenanlagen nachhaltig planen Eike Richter Zertifizierung im Planungsprozess

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Die Zertifizierung von Freiräumen wird kommen Thomas Jakob Interview mit Wolfgang Färber, Mitglied im AHO-Arbeitskreis Nachhaltigkeitszertifizierung

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Quartierszertifizierung und Landschaftsarchitektur Anke Jurleit Die Bewertung von Stadtquartieren wird geregelt

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Die Stadt nachhaltig entwickeln Jana Milosovicova, Marco Schmidt Kriterien für einen klimasensiblen Städtebau

Urban Design Projekt Produkte

46 50

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Beitrag zum Klimaschutz oder teure Dekoration? Bernhard Scharf Dach- und Fassadengrün auf dem Prüfstand

GaLaBau Praxis Produkte

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125 Jahre DGGL Nachrichten Campus Wettbewerbe DGGL Nachrichten Termine Autoren, Vorschau, Impressum

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Stadtplanung

Die Zukunft mitdenken Vera Hubach Über die Betriebsdauer einer Freianlage

Grünflächenmanagement mit Software Christian Wieland Prognose und Diagnose von Lebenszykluskosten

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Enzian statt Ammonium Albert Kirchengast Die Wasserstadt an der Aare im schweizerischen Solothurn

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Stadtlandschaften entwerfen? Thomas Sieverts Buchrezension zu Stefan Kuraths Doktorarbeit

16 Nur aufbereitetes Regenwasser soll in den Main. Für den Entwurf der Freianlagen am O ­ ffenbacher Hafen integriert das Atelier Dreiseitl die geforderten Zertifizierungskrite­rien in die Planung.

20 Nur ein Prozent des gesammelten Regenwassers fließt am ­Potsdamer Platz ­in die Berliner Kanalisation. Der Rest wird für die Gebäude als Brauchwasser genutzt oder v­ erdunstet.

30 Das Architekturbüro Herzog & de Meuron und Vogt Landschaftsarchitekten planen in Solothurn eine Wasserstadt in einer neu angelegten Flussschleife der Aare.

Bilder: toffehoff/flickr.com, with the sound of music/ flickr.com, Eike Richter, Atelier Dreisetl, Herzog & de Meuron Titel: Bienenwaben, Maja Dumat

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Thomas Jakob

Der Lebenszyklus einer Freianlage wird mit 30 bis 50 Jahren ange­ setzt. Ob sie dieses Alter erreicht, darüber entscheidet die rich­tige Pflege. Bereits im Entwurf muss bedacht werden, wie etwa der ­Rasen effizient instand gehalten wird.

Die Zukunft mitdenken Ob sich eine Außenanlage bewährt, zeigt sich nicht am Eröffnungstag, sondern während der folgenden Jahr­zehnte. Entscheidend ist, mögliche Veränderungen sowie Pflege- und Instandsetzung bereits im Entwurf mitzudenken. Das kann für Landschaftsarchitekten zur Marketingstrategie werden.

Vera Hubach Nachhaltig planen hat viel mit Langlebig­ keit zu tun. Doch über Pflege und Instand­ setzungskosten im weiteren Lebenszyklus einer Anlage wird noch zu wenig nach­ gedacht. Für Planer steht primär der Zeit­ raum von Planungs- und Bauphase bis zur Fertigstellung im Fokus. Das ist verständlich, ist doch der Druck, Geld zu sparen, in dieser Phase besonders hoch. Doch günstige Bau­ kosten heißt bekanntlich oft nur, Kosten in die Betriebsphase zu verschieben. Richtet sich der Blick auf den gesamten Lebens­ zyklus, das sind bei den meisten Immobilien mit Freianlagen üblicherweise 30 bis 50 Jahre, stellt sich die Frage, was es kostet, die Anlage über Jahrzehnte zu erhalten. Ein gutes Beispiel sind die befestigten Flä­ chen: Immer wieder gibt es das Dilemma, dass Materialien zwar langlebig sein sollten, aber auch wirtschaftlich. Für die Betriebs­ phase ist nicht nur entscheidend, wie lange 6

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ein Belag hält, sondern auch, ob er sich leicht reinigen lässt, welches Gerät man dafür verwenden kann und was passiert, wenn im Winter Schnee geräumt wird. Eine wassergebundene Decke ist da schnell einem Pflaster- oder Asphaltbelag bei den Betriebskosten unterlegen. Ein weiteres Beispiel sind die vor einigen Jahren so beliebten Rasenskulpturen. Ihre Pflege kann zur echten Herausforderung werden. Dies gilt umso mehr, je höher der Nutzungsdruck ist. So kämpft Berlin damit, den beliebten und gut besuchten TillaDurieux-Park nahe dem Potsdamer Platz in ansprechender Optik zu halten. Gute Pflege hat immer auch mit der „trial-and-errorMethode“ bei der Auswahl von Gerät und Pflegezyklus zu tun. Dies lässt sich sicherlich nicht vollständig am Planungstisch vorher­ sehen. Auch nicht, wie stark eine Anlage genutzt wird.

Nachhaltig heißt aber auch, Pflege, Ent­ wicklung und Bewirtschaftbarkeit in der Betriebsphase zu berücksichtigen. Beispiels­ weise unterliegen Investoren ebenso wie Planer oft dem Trugschluss, dass ein exten­ siv begrüntes Dach keinerlei Pflege bedarf. Jeder Betreiber muss wissen, dass „exten­ siv“ nicht gleichbedeutend ist mit „pflege­ kostenfrei“. Vorhersehen von Betriebskosten In der Hochschulausbildung spielt der Blick auf langfristig attraktive Freiräume eine untergeordnete Rolle. Doch zunehmend gewinnen jene Büros die Wettbewerbe, die Betriebskosten richtig einplanen. Den Löwen­anteil nehmen dabei der technische Betrieb, infrastrukturelle Leistungen sowie das Instandsetzen der Gebäude ein. Abge­ fragt werden aber auch die vorhersehbaren Kosten zur Reinigung, Pflege und Instand­


Während die ebenen Flächen wunschgemäß aussehen (oben), sind die steilen Rasenhänge des 2003 eröffneten Tilla-DurieuxParks am Potsdamer Platz in Berlin (Entwurf: DS Landschapsarchitec­ ten, Amsterdam) bereits kaputt. Die starke Nutzung wurde unter­ schätzt.

Boris Storz (5)

setzung von befestigten und unbefestigten Flächen sowie die Technik und Einbauten in den Außenanlagen. Zugegeben, die Betriebskosten der Außen­ anlagen sind im Vergleich zu denen des Ge­ bäudes meist nachrangig. Dennoch wird der vorausschauende Blick künftig nicht nur von Architekten, sondern auch von Land­ schaftsarchitekten verlangt werden und in die Entscheidung, ob ein Projekt realisiert wird, mit einfließen. Nachhaltigkeit bedeutet, voraus zu denken und zu planen. Einfach langlebige Materia­ lien einzusetzen, greift hier zu kurz. Soziale und funktionale Vielfalt, Langlebigkeit, aber auch eine Planung, die es erlaubt, nach einigen Jahren auf veränderte Nutzer­ strukturen zu reagieren, können interessante Planungsaspekte sein. Nachhaltigkeit schließt auch die sozialen und demografi­ schen Gesichtspunkte mit ein, nicht nur die

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Quartierszertifizierung und Landschaftsarchitektur In diesem Monat stellt die Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen, DGNB, ein Quartierszertifikat vor, das DGNB NSQ (Neubau Stadtquartiere). Es ist ein Zertifikat, das auch Landschaftsarchitekten fordert. Für die Landschaftsarchitekten stellt sich die Frage, wie sich ihr Alltag in Zukunft ändert, falls eine Zertifizierung verlangt wird.

Anke Jurleit Ziel der Zerti­fizierungssysteme für Stadtquartiere ist es, einen schlanken und kompakten Leitfaden für die Nachhaltigkeitsplanung anzubieten, der dem Planer in ­gebündelter und übersichtlicher Form alle relevanten Nachhaltigkeitsaspekte für ein Quartier darstellt. Ein weiterer wichtiger Aspekt der Zertifi­kate ist das Siegel an sich, das dem Kunden eine bestimmte Qualität garantiert. Nachdem bereits in den 1990er-Jahren die ersten Zertifikate für Gebäude auf den Markt kamen, trat 2006 mit dem Comprehensive Assessment System for Built Environment Efficiency, CASBEE, des Japan GreenBuild das erste Quartierszertifikat in die Pilotphase. Hauptargument für die Einführung von Quartierszertifikaten war, dass Energiewende und Umweltschutz nicht nur Maßnahmen am Einzelgebäude verlangen, sondern eine umfassende Optimierung von Quartieren und Städten notwendig ist. Zu den Kriterien aus der Gebäudeplanung kamen nun verkehrsplanerische, landschaftsplanerische, soziologische und biologische Kriterien hinzu. 16

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Vergleicht man die bestehenden Systeme untereinander, lässt sich feststellen, dass der Aufbau sowie die Kriterien zur Beurteilung der Nachhaltigkeit sehr unterschiedlich sind. Oft sind sie unmittelbar an nationale politische Entscheidungen oder planungskulturelle Probleme geknüpft. Es wird schnell deutlich wie unterschiedlich „nachhaltige Quartiere“ weltweit definiert werden. Die Schwerpunkte liegen überall anders Das aus Amerika stammende System LEED (Leadership in Energy and Environmental Design) setzt mit seinen drei Hauptkategorien Smart location, Neighborhood pattern und Green infrastructure seinen Schwerpunkt auf Amerikas größtes Problem in der Planungskultur: die geringe Dichte, fehlende Nutzungsmischung und die Abhängigkeit vom Auto. Doch den Fokus auf Standortqualität, Dichte sowie Vernetzung und Nutzungsmischung bemängeln selbst amerikanische Planer. Im Newsletter 10/2010 der Association for the Study of Peak Oil and Gas, ASPO, einem

weltweiten Netzwerk von Wissenschaftlern, Politikern und Journalisten, die sich mit dem globalen Fördermaximum von Öl und Gas und dessen Zeitpunkt und Folgen beschäftigen, erörtert ein Kritiker, dass soziale und ökonomische Faktoren außen vor gelassen werden. Das deutsche DGNB-System NSQ, das 2009 in seine Pilotphase trat und im Mai diesen Jahres veröffentlicht wird, zeichnet sich durch ausgeglichene Kriterien aus. Gregor Grassl, DGNB-Arbeitsgruppenleiter für Stadtquartiere und Green Development Experte bei dem Immobilienberater Drees & Sommer betont, dass bei der System­ entwicklung darauf geachtet wurde, eine repräsentative Schnittmenge an Kollegen aus Praxis und Forschung an Bord zu ­haben, darunter Architekten, Stadt­planer, Landschaftsarchitekten, Biologen, Wasserbauingenieure, Verkehrsplaner und Projektentwickler. Dabei waren die zwei ­übergeordneten philosophischen Ansätze, die Analyse des Lebenszyklusses und die aus­geglichene Betrachtung von Ökono­mie, Ökologie und Sozialem, wichtigster


Bei der Planung des Projekts Hafen Offenbach wurden die Anforderungen der Quartierszertifizierung DGNB NSQ integriert. So wird zum Beispiel das Regenwasser auf足 gefangen, aufbereitet und in den Main geleitet (Freiraumplanung: Atelier Dreiseitl). Atelier Dreiseitl

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Jana Milosovicova (7)

In ihrer Masterarbeit an der TU Berlin stellt Jana Milosovicova an­ hand des Konzepts für die Heide­ straße in Berlin Kriterien für einen klimasensiblen Städtebau vor und modifziert entsprechend den Ent­ wurf von ASTOC, Urban Catalyst und Argus vom Mai 2010.

Die Stadt nachhaltig entwickeln Die Diskussion über Klimawandel wird meist darauf reduziert, wie sich Treibhaus­ gase vermeiden lassen. Doch das greift zu kurz. Bei der Überwärmung der Städte spielen Verdunstung und Belüftung die zentrale Rolle.

Jana Milosovicova, Marco Schmidt Die häufig diskutierten Themen Energieund Ressourceneffizienz finden zunehmend Einzug in die Baupraxis, sowohl durch ge­ setzliche Vorgaben wie auch durch Anreize über Zertifizierungssysteme. Die Anforde­ rungen an die Planer werden damit komple­ xer. Für die Planung sind heute nicht nur die anerkannten technischen Regeln erforder­ lich, sondern die Optimierung im Hinblick auf vielfältige, teils konkurrierende Ziele. Während sich in den vergangenen Jahren ein zunehmendes Bewusstsein für die The­ menfelder Energie und Baustoffe entwickel­ te, sind die weiteren Bereiche des ökologi­ schen Bauens – Wasser, Grün und Abfall – zunehmend in den Hintergrund geraten. In letzter Zeit wurden Maßnahmen, um dem Klimawandel entgegenzuwirken, fast aus­ schließlich darauf reduziert, sogenannte Treibhausgasemissionen zu vermeiden. ­Dabei ist dies für das l­okale Mikroklima und das bebaute Umfeld völlig irrelevant. 20

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Eine erste Trendwende ist aber erkennbar. In der Planungspraxis wird die Anpassung an den Klimawandel diskutiert. Berlin hat beispielsweise mit dem „Stadtentwicklungs­ plan Klima“ umfangreiche Handlungsemp­ fehlungen formuliert, die es nun auf lokaler Ebene umzusetzen gilt. Grundsätzlich ist ein Paradigmenwechsel beim Umgang mit Wasser erforderlich. Das gilt für die dezentrale Regenwasserbewirt­ schaftung, aber auch die Luftzirkulation und damit die Belüftung der Stadt spielen ­ inen grö­ eine Rolle. Künftig gilt es daher, e ßeren Anteil des Niederschlags zu verduns­ ten. Im Einzugsgebiet Berlin/Brandenburg verdunsten 80 Prozent der Niederschläge, nur ein Fünftel fließt über die Flüsse Spree und Havel ab. Energetisch stellt die Ver­ dunstung von Wasser den größten Teil der Umwandlung der solaren Einstrahlung dar, gefolgt von langwelliger Ausstrahlung, sen­ sibler Wärme und Reflektion. Gibt es nur

wenig Vegetation und viel versiegelte Flä­ che, wie dies in Städten der Fall ist, führt das direkt zu einer höheren Temperatur. 350 bis 600 Kilowattstunden werden pro Quadratmeter jährlich in unserer Region an sensibler Wärme freigesetzt, wenn das Re­ genwasser in die Kana­lisation abgeleitet wird, statt über Vegeta­tion zu verdunsten und den natürlichen Wasserkreislauf zu schließen. Wichtige Rolle für die Verdunstung Die ökologisch gesehen positive Bedeutung der Verdunstung muss sich auch im Städte­ bau wiederspiegeln. Die mit der Flächen­ inanspruchnahme verbundenen Auswirkun­ gen auf Wasser und Klima werden bislang nicht berücksichtigt oder erheblich unter­ schätzt. Welche Auswirkungen die fort­ schreitende Urbanisierung und die damit zunehmenden Temperaturen in der Stadt auf das Klima haben, wurde bisher weder


In Grafiken veranschaulicht Jana Milosovicova unter anderem den Einfluss der Bebauungsart auf die Bel端ftung eines Stadtviertels.

Die Autorin vertritt die These, dass Planer von der Natur lernen und klimatisch wirksame Effekte nat端r足 licher Ph辰nomene in die Planung einbeziehen sollten.

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Stadtplanung

Enzian statt Ammonium Für die Wasserstadt Solothurn entsteht ein neues Stück Landschaft an der Aare. Eine Mülldeponie soll verschwinden und der Boden saniert werden. Der Entwurf für den neuen Stadtteil berücksichtigt hydrologische sowie geomorphologische Zusammenhänge und greift die Geschichte der Landschaft auf.

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Albert Kirchengast Stimmungsvolle Visualisierungen bewerben ein mediterran anmutendes Dörfchen nördlich der Alpen an einer Stelle, an der heute noch eine sanierungsbedürftige Mülldeponie liegt. Über 25 Jahre hinweg haben sich dort 310 000 Kubikmeter städtischer Müll angesammelt. Da die Deponie unversiegelt blieb, gibt sie nach und nach Ammonium und chlorierte Lösungsmittel frei. Doch wie es scheint, sollen an diesem Ort in vier bis fünf Jahren die ersten Wohnhäuser stehen. Was mancherorts ein unüberwindliches Hindernis wäre, wird in Solothurn zum Zugpferd: Der Müll soll ausgehoben und entsorgt, schließlich das nicht kontaminierte Aushubmaterial in die Modellierung einer künstlichen Aareschlinge eingearbeitet werden. Wie schon bei der Münchner AllianzArena arbeiten bei der Gestaltung der Wasserstadt Solothurn Vogt Landschaftsarchi­ tekten aus Zürich und die weltweit tätigen ­Architekten Herzog & de Meuron aus Basel zusammen. Den Entwurf bestimmt diesmal nicht der Menschenstrom von Fußballfans, sondern das Ergebnis eines hydrologischen

Gutachtens. Die verdrängte Auenlandschaft der Aare kehrt als Flussschlinge und Insel wieder. Die ersten Ideen zu diesem neuen Wohngebiet auf 37,5 Hektar, gleich vor den Toren Solothurns, nur 15 Gehminuten westlich des barocken Stadtkerns, stammen bereits aus dem Jahr 2006. Nach zahlreichen Studien – inklusive einer Wertschöpfungs­ studie, die Gewinne für Stadt und Kanton ausweist – mündete die Initiative des Ver­eins Sovision Espace Solothurn in der breit unter­stützten Wasserstadt Solothurn AG, einer millionenschweren Investorengruppe. Vor 15 000 Jahren bildeten Lac de Neuchâtel, Bieler- und Murtensee ein großes Gewässer zwischen nördlichem Kalkjura und mittel­ ländischem Molassegebiet. Seit Mitte des 19. Jahrhunderts veränderten Kanäle das System der mittlerweile drei Jurarandseen tiefgreifend. In der heutigen, streng nach Flurgrenzen geordneten Agrarlandschaft der Nordwestschweiz mit klar umgrenzten Wald­ zonen und Drainagegräben zeichnet sich ­ die ehemals dominante Aare nur bei Hochwasser ab: Wie eine Schlange mäandriert der

regulierte Fluss dann wieder und zeigt sich als eine Art naturgeschichtliches Gedächtnis. Ende Februar präsentierte Robert Hösl, Partner im Büro Herzog & de Meuron, den zweiten städtebaulichen Entwurf. Der Slogan „Wohnen am Wasser“ soll an ein uraltes Wunschbild erinnern: Eine frühere Studie schlug vor, auf einer künstlichen Insel in der Aare eine neue Siedlung anzulegen. Nach dem jetzt vorgestellten Konzept kann die Wasserstadt vom Nordufer der von Menschenhand gestalteten Flussschlinge mit der „alten“ Stadt zusammenwachsen und hält die „grüne Insel“ vom größten Siedlungsdruck frei. Gebäudestreifen an der Aare Eine elf Meter breite Ringstraße sowie Quartierstraßen, Quartierplätze, Gartenstraßen, Gartenwege und Nachbarschaftsplätze gliedern hierarchisch die in prägnanter Form vom Fluss umschlungene Insel. Dem Uferverlauf folgen vier in unterschiedlichen Höhen gestaffelte Gebäudestreifen. In die zweite Studie flossen umfangreiche Nutzerbefragungen

Die Wasserstadt Solothurn entsteht auf dem Gelände einer ­Mülldeponie. Geeignetes Aushubmaterial soll für die Modellierung der Landschaft an der neuen AareSchlinge verwendet werden. Herzog & de Meuron (3)

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