Garten und Landschaft 07 2010

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Juli 2010

Garten+

Landschaft Zeitschrift f체r Landschaftsarchitektur

Pl채tze und Parks


Inhalt 7/2010

GalaN Zu „Ein Herz für Sichtbeton” bekennen sich Bewohner des Olympischen Frauendorfs in München (Seite 17 bis 19).

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Verlag: Callwey Verlag Streitfeldstraße 35 D-81673 München Fon +49 89 /43 60 05-0 Fax +49 89/43 60 05-113 www.garten-landschaft.de

120. Jahrgang

Für die Zukunft gestalten.

Garten + Landschaft

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Wir machen das mit den bunten Pins! Robert Schäfer

Journal

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Forschungs- und Industriepark TXL in Berlin-Tegel Susanne Isabel Kröger Ergebnisse zur Nachnutzung des heutigen Flughafengeländes

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Denkanstöße für eine öffentliche Debatte Thomas Armonat Nächste Runde im Wettbewerbsverfahren Parklandschaft Tempelhof

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Die Besitzergreifung der Fläche Jana Ehrhardt Tempelhof – wie die Berliner das ehemalige Flughafengelände nutzen

4 Am 16. Juni präsentierten sechs Teams die Ergebnisse eines Planungsverfahrens zur Nachnutzung des Flughafens in Berlin-Tegel. Im Bild: Perspektive von GMP (Hamburg).

Herausgeber: Deutsche Gesellschaft für Gartenkunst und Landschaftskultur e.V. (DGGL) Wartburgstraße 42 10823 Berlin www.dggl.org

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Editorial

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7 Seit Mai ist das ehemalige Flughafengelände in Berlin-Tempelhof für die Öffentlichkeit zugänglich. Ein Bericht schildert, wie die Berliner das Gelände aktuell nutzen.

8 Auf der Berliner Museumsinsel haben Levin Monsigny aus Berlin den Kolonnadenhof im Sinne der Denkmalpflege behutsam weiterentwickelt. Eröffnung war am 6. Juni.


Plätze und Parks

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Die Kunst der Annäherung Siri Frech Der Kolonnadenhof auf der Berliner Museumsinsel

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Steinwüste versus urbaner Platz Mechthild Harting Das Platzensemble um den Frankfurter Goetheplatz

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Scharnier im Freiraumgefüge Thomas Armonat Platz am Maritimen Museum in der Hamburger HafenCity

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Offen für fast alles Thomas Armonat Das Olympische Frauendorf in München

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Kühe in der Stadt Thomas Jakob Der Bahndeckel Theresienhöhe in München

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Duisburg an den Rhein Juliane Schneegans Der RheinPark in Duisburg

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Chronik einer Entstehungsgeschichte Jacqueline Kissling Der Parc des Chaumettes in Genf

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Offener Park für eine offene Gemeinde Gabi Lerch Der Liebefeld-Park im schweizerischen Köniz

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Baumsammlung an der Glan Beatrice Bednar Ein Arboretum am Klinikum Klagenfurt

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Landschaft im Palmengarten Constanze A. Petrow Stadt-Grün – Ausstellung zur Landschaftsarchitektur in Frankfurt

11 In Frankfurt ist die Gestaltung der drei Plätze Rathenauplatz, Goetheplatz und Roßmarkt des Berliner Büros Kiefer immer noch umstritten. Im Bild: Roßmarkt mit Gutenberg-Denkmal.

20 Der von Topotek 1 aus Berlin geplante Bahndeckel TheresienhöheI in München ist seit Mitte Juni zugänglich. Mit Kunstrasen belegte Hügel sind Teil des Konzepts.

Urban Design Produkte Projekt

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GaLaBau Praxis Recht Produkte

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Nachrichten Tagungen Campus Wettbewerbe Auslobungen Wettbewerbe Ergebnisse DGGL Nachrichten Termine Autoren, Vorschau, Nachtrag, Impressum

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23 Mit dem RheinPark in Duisburg schuf das Berliner Atelier Loidl einen Landschaftspark auf einer ehemaligen Industriefläche. Deren Wurzeln spiegeln sich im Park wider.

Bilder: von Gerkan, Marg und Partner, Jana Ehrhardt, Claas Dreppenstedt, Stefan Morgenstern © Stadtplanungsamt Frankfurt am Main, Hanns Joosten, Atelier Loidl Titel: Bahndeckel Theresienhöhe, Hanns Joosten

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Die Kunst der Annäherung Die Eröffnung des Kolonnadenhofs auf der Museumsinsel Berlin ist der Auftakt für weitere Freiräume, die in den nächsten Jahren und Jahrzehnten dort realisiert werden. Dem Berliner Büro Levin Monsigny gelang es, die Denkmalpflege von ihrem Konzept zu überzeugen, den Kolonnadenhof behutsam weiterzuentwickeln anstatt ihn originalgetreu zu rekonstruieren.

Claas Dreppenstedt (3)

Siri Frech

Der für Berlin typische Pflasterbelag mit Granitsteinen ist zurück im Kolonnadenhof. Unten: Runde Buchskörper liegen in Anlehnung an die Säulengänge auf dem Rasenparterre.

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Es ist früh am Morgen, die Museen haben noch geschlossen. Im fast fertigen, graugrünen Kolonnadenhof finden sich die ersten Schulklassen ein. Sie bilden einen lebhaften Kontrast zum stillen Zauber der Bronzeskulpturen. 2001 gewann das Berliner Büro Levin Monsigny den Wettbewerb zur Gestaltung der Freiräume der Berliner Museumsinsel. Die Entscheidung der Jury fiel vor dem Hintergrund der zuvor geführten Debatten über die Rekonstruktion überraschend einstimmig aus. Der Entwurf sah vor, den Kolonnadenhof nicht zu rekonstruieren, sondern behutsam im Sinne des Ensembles weiterzuentwickeln. Levin Monsigny schlugen drei zentrale Entwurfselemente vor: Große, changierende Buchsbaumflächen sollten den Raum zwischen Neuem Museum und Alter Nationalgalerie neu formulieren. Dabei wird die Geometrie der historischen Grünflächen aufgenommen und insgesamt über die Bewegungsflächen angehoben. Auf der gesamten Insel liegt im Kontrast zur umgebenden Stadt und zur Betonung der Insellage ein sandsteinfarbener Naturstein. Das


Levin Monsigny

Eine Mosaik-Pflasterfläche umgibt den Vierpaßbrunnen. Sitzbänke aus Granit und rahmende Buchshecken schaffen Ruhemöglichkeiten für Besucher.

Lichtkonzept sah vor, die Gebäude nicht grell und punktuell zu erleuchten, sondern durch einen gleichmäßigen Lichtschein als Raumkanten zu inszenieren. 2002 gab der Fachbereich Gartendenkmalpflege der Berliner Senatsverwaltung in den ersten Gesprächen zur Realisierung zu verstehen, dass er auf eine Rekonstruktion des Kolonnadenhofes bestehe und den Wettbewerbsentwurf von Levin Monsigny ablehne. Begründet wurde dies vor allem mit dem 1999 erhaltenen Status Unesco Weltkulturerbe für die gesamte Museumsinsel. Bewegung in der Denkmalpflege Eine dreijährige Verhandlungszeit begann, in der das Büro Levin Monsigny einen langen Atem behielt und die Denkmalbehörde an Beweglichkeit gewann. Dass die „Kunst der Unterredung“ so intensiv betrieben und so anhaltend nach Lösungen gesucht wurde, ist beeindruckend. Der Grund für eine solche Ausdauer und Intensität ist auch im Großprojekt Museumsinsel selbst zu suchen. Denn allen Beteiligten, die an ihrer Rekonstruktion und Weiterentwicklung mitwirken, war be-

wusst, dass sie gemeinsam für einen einzigartigen Ort arbeiteten. Dieser Stolz ließ zusammenwachsen. Zudem sprengte die Realisierung den normalen Planungshorizont. Statt 2003 wurde der Kolonnadenhof erst 2010 fertig gestellt. Die letzten Freiflächen am Pergamonmuseum sollen bis 2028 realisiert werden. Da bleibt viel Zeit zum Reden. Heute steht der neue Kolonnadenhof für den Erfolg der Gespräche und eine überzeugende Synthese: Das Anliegen der Gartendenkmalbehörde, historisch Wertvolles zu erhalten und, wo möglich, in der Neuplanung sichtbar zu machen, setzten Levin Monsigny in drei Bereichen um: Sie verwendeten Verwendung den für Berlin typischen polnischen Granit als Bodenbelag und konnten so die original erhaltenen Gehwegplatten auf der östlichen Seite in den Belag integrieren. Sie nahmen die ursprüngliche Platzfigur um den alten Vierpaßbrunnen wieder auf- und fassten sie durch Buchshecken und Granitbänke. Zudem erhielten sie alle vorhandenen Platanen, Eichen und Linden und ergänzten sie durch weitere Platanen.

In diesem gartendenkmalpflegerischen Rahmen hat das Büro Levin Monsigny den Kolonnadenhof sehr kunstvoll und sensibel weiterentwickelt und blieb trotz eines Realisierungszeitraums von neun Jahren nahe am ursprünglichen Wettbewerbsentwurf. Die großen Strukturen wurden nie in Frage gestellt, stattdessen viel Arbeit in die Details investiert. Allein die Auswahl der unterschiedlichen Buchsbaumsorten erstreckte sich über Jahre. Die unterschiedlichen Grüntöne sollten ausreichend kontrastieren, gleichzeitig Standorteigenschaften, Resistenzen und Wuchseigenschaften übereinstimmen. 18 000 Pflanzen wurden gepflanzt und die Höhe von Pflanzflächen und Buchsbaumschnitt exakt mit den umlaufenden Kolonnaden abgestimmt. Die Stein- und Pflasterarbeiten sind weniger auffallend, doch nicht minder detailliert. Eine schwierige Aufgabe war es trotz der immensen Technik im Boden und den damit verbundenen Schächten, ein ruhiges Belagsbild herzustellen. Das schlichte Beleuchtungskonzept entpuppte sich als eine große lichttechnische Herausforderung an diesem Ort,

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BB+GG

Erkennbar ist die Bänderung des Bodenbelags, der über die untere Platzfläche und die Busanbrücke im Westen läuft. Treppe und Rampe überwinden einen Höhenunterschied von 1,90 Meter.

Scharnier im Freiraumgefüge Als Vorplatz eines Museums wurde 2009 der „Platz am Internationalen Maritimen Museum“ in Hamburg fertiggestellt. Dieser bildet nicht nur dessen Eingangsbereich, sondern wird zum Verbindungsglied innerhalb der Freiräume der HafenCity.

Thomas Armonat Einen Kilometer östlich der wegen ihrer Gestaltung und aus dem Ruder laufenden Kosten umstrittenen Hamburger Elbphilharmonie liegt der Magdeburger Hafen. Dieses Gebiet befindet sich trotz seiner zentralen Lage innerhalb der HafenCity erst in der Entstehung. Das 2008 eröffnete Internationale Maritime Museum im Gebäude des 1879 erbauten, zehnstöckigen „Kaispeichers B“ erstrahlt mit seiner Backsteinfassade in neuem Glanz. Nördlich bindet eine 2007 vom Pariser Architekten Dietmar Feichtinger fertiggestellte Fußgängerbrücke das Museum an den Brook- torkai an. Ansonsten fällt der Blick dort ausnahmslos auf Baugruben, Baugerüste und Rohbauten. Ausnahmslos? Nein! Ein kleiner Platz trotzt inmitten der Bautätigkeit all den unfertigen Riesen. Fertig zur Benutzung droht er aktuell ein bisschen unterzugehen, etwas verlassen stehen auch die Tische und Schirme der angrenzenden Gastronomie auf dem Platz. Es handelt sich um den „Platz am Internationalen Maritimen Museum“, ein kleines Teilstück aus dem Gesamtentwurf des Büros BB+GG aus Barcelona. Beth Galí hatte mit ihrem Büro 2006 den Wettbewerb zur Ge-

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staltung des Magdeburger Hafens und des angrenzenden Überseequartiers gewonnen. Wieder plant ein spanisches Büro in der HafenCity, nachdem bereits Benedetta Tagliabue vom Büro EMBT, ebenfalls aus Barcelona, die Magellan-Terrassen, die Marco-Polo-Terrassen und den Vasco-daGama-Platz gestaltet hatte. Ein Platz ohnegleichen in der HafenCity Allerdings ist der Platz vor dem Maritimen Museum kaum mit den vorgenannten Freiräumen zu vergleichen – das deutet nicht nur sein fehlender Name an. Der Platz liegt nicht wie die anderen am Kopfende eines Hafenbeckens, er ist mit 2 000 Quadratmetern viel kleiner, nicht in Stufen zum Wasser angelegt und auch gestalterisch sowie im Nutzungsaspekt anderen Ursprungs. Während die großen Brüder am westlichen Ende der HafenCity ein „mediterran-maritimes“ Flair verbreiten, nimmt man dem Vorplatz des Museums seine hanseatische Abstammung eher ab – und das nicht nur wegen eines kleinen Leuchtturms als Ausstellungsstück der Sammlung. Die Streifenmusterung des Belags aus unterschiedlichen

Materialien wie rotem und grauem Granit, vor Ort aufgenommenem und wiederverwendetem Großsteinpflaster sowie Terrazzo-artigem Asphalt fügt sich ruhig auf den Platz ein. Ebenso strahlt die rechteckige Form und die geometrische Gestaltung des Platzes die dem Kaispeicher B zustehende Unaufgeregtheit aus. Vor dessen Eingang bietet sich Besuchern und Passanten ein weiter Blick über den Magdeburger Hafen bis zur Baakenbrücke, deren signifikante Stahlkonstruktion immer wieder als Kulisse in Fernsehproduktionen auftaucht. Dem Platz soll in der HafenCity eine Art Scharnierfunktion zukommen. Er verbindet über die Busanbrücke die Freiräume entlang der Promenade an der Osaka-Allee und dem Überseequartier im Westen. Der Belag mit Streifenmuster wird nahtlos an die Promenade anschließen und die Bänderung sich dort im Belag aufweiten. Die Koreastraße führt vom Museumsplatz bis zum östlich gelegenen Lohsepark. Das Wettbewerbsverfahren zum Lohsepark, dem einzigen großflächigen Bürgerpark innerhalb der Hafen-City hat vor kurzem das Büro Vogt Landschaftsarchitekten aus Zürich für


Von der unteren Platzebene am Eingang des Museums führen eine Treppe und eine Rampe zum hochwassersicheren Niveau der Koreastraße. Im Hintergrund der Heinemannspeicher.

Eine Betonmauer zwischen Treppe und Rampe gliedert den Platz. Gleichzeitig trägt sie den Handlauf und erhellt mittels eines Lichtbands die gepflasterte Rampenfläche. Tim Corvin Kraus (3)

sich entschieden (vollständige Ergebnisse siehe Seite 55). Neben dieser verbindenden Funktion überwindet der Platz auch den Höhenunterschied zwischen dem historischen Eingangsniveau des Gebäudes auf 5,60 Meter über Normalnull und dem neuen, hochwassersicheren Niveau des östlichen Magdeburger Hafens auf 7,50 Meter über Normalnull. Dies erreichen die Planer durch eine Treppenanlage und eine Rampe über die ganze Breite des Platzes, die durch eine Betonmauer mit auffällig gestaltetem Leuchtband und integriertem Handlauf voneinander getrennt sind. Da die Rampe ohne Zwischenpodeste gebaut wurde, erleichtern seitlich platzierte Sitzmöglichkeiten in Form von Betonquadern mit Holzauflage zwischen mehrstämmigen Felsenbirnen, den Höhenunterschied barrierefrei zu überwinden. Eine Hecke aus geschnittenen Buchen und Eiben begleitet, dem Heinemannspeicher zugewandt, den Höhenunterschied der Treppenanlage von 1,90 Meter, während die Heckenoberkante horizontal auf einer Höhe liegt. Diese vegetativen Elemente sind neu für den Ort, der vorher ohne Grün auskom-

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Kühe in der Stadt

Seit Mitte Juni ist die Spiellandschaft auf dem Bahndeckel Theresienhöhe in München öffentlich zugänglich. Die als Landschaftsskulptur konzipierte, 300 Meter lange und 50 Meter breite Grünfläche entstand auf einer Stahlbetonbrücke auf dem ehemaligen Messegelände, unter der die Münchner

Hanns Joosten (4)

S-Bahnen sowie Züge in Richtung Rosenheim und Salzburg fahren.

En tw ur f: To po te k

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Thomas Jakob

Der Quartiersplatz entstand auf einer 300 Meter langen und 50 Meter breiten Betonplatte über der Bahnlinie München-Rosenheim und einem Teil der ehemaligen Messetiefgarage.

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Die Planer haben erst gar nicht versucht, das klassische Bild einer städtischen Grünfläche mit Spielangeboten zu realisieren. Schaukel, Wippe, Sandkasten, das alles sei austauschbar, sagt Martin Rein-Cano, Geschäftsführer des Berliner Landschaftsarchitekturbüros Topotek 1. Stattdessen: drei Spielkisten mit einer Sport- und Spielfläche aus Tartan, zwei Rasenpyramiden und dazwischen eine Sandund Kieslandschaft mit zwei riesigen Klettergerüsten. Die als Landschaftsskulptur konzipierte Grünfläche auf der Stahlbetonbrücke über den Bahngleisen MünchenRosenheim im Münchner Stadtbezirk Schwanthalerhöhe ist der weiterentwickelte Siegerentwurf eines internationalen Kunstwettbewerbs der Stadt München, zu dem 13 Teams aus Künstlern und Landschaftsarchitekten eingeladen waren. Diesen Wettbewerb für die Grünfläche am Rande des ehemaligen Messegeländes hatten Topotek 1 gemeinsam mit der Künstlerin Rosemarie Trockel aus Köln und der Architektin Catherine Venart aus dem kanadischen Halifax im April 2002 gewonnen.


Auf dem Bahndeckel Theresienhöhe in München ist eine bespielbare Landschaftsskulptur entstanden. Im Vordergrund die Dünen aus Tartan, dahinter die Klettergerüste im Kiesbett und schließlich die Moränenhügel.

Als Einzige hatten sie die Gleise unter dem Betondeckel über das Thema „Reisen“ in ihren Entwurf aufgenommen: Eine Sequenz aus Spielkisten soll die unter der lang gestreckten Grünfläche fahrenden Züge widerspiegeln. Die Behälterreihen transportieren Material und im übertragenen Sinne analog einer Spielzeugkiste Vorstellungskraft und Fantasie. Im westlichen Teil der Landschaftsskulptur ist die Idee der Dünenlandschaft sicht- und erlebbar: eine Wellenlandschaft aus Tartan mit rieselbefüllten Mulden. In der Sonne glitzernder, sandfarbener Quarzkies soll den Strand symbolisieren. Bis zum August werden an der Südseite zudem drei Stelen installiert, die Wassernebel versprühen. In den „Dünen“ verankert sind fünf Trampoline. Hauptattraktion dort sind zwei riesige Seilspielgeräte. Zwischen beigen Stahlrohrrahmen sind Netze gespannt, Hängematten, Rutschen und Pendelsitze. Mit der Dünenlandschaft korrespondieren an der Nordseite 19 fast fünf Meter hohe Waldkiefern in Pflanzkübeln. Lediglich an

der südöstlichen Kante des Bahndeckels, wo sich nicht unterbaute Flächen befinden, wurden 28 große Säulenpappeln gepflanzt. Die Dünenlandschaft soll an die Strände der Nord- und Ostsee erinnern, die beiden Rasenhügel im Süden an die Moränenlandschaft der Voralpen. „Bei gutem Wetter und Föhn sieht man von dort sogar die Alpen“, sagt Rein-Cano. Und die Pauschenpferde, die auf den Hügeln und an deren Fuß stehen? „Das sind die Kühe des Voralpenlandes.“ Entlang der gesamten Nordkante sind in eineinhalb bis drei Meter breiten Hochbeeten 8 500 Blumenzwiebeln und 2 000 Gräser gepflanzt. Hainbuchenhecken grenzen die Grünfläche zur Wohnbebauung ab. Überspitzte Künstlichkeit

Bahndeckel Theresienhöhe, München Bauherr: Landeshauptstadt München Baureferat Kunstprojekt im Rahmen von QUIVID Projektleitung: Baureferat Gartenbau, Nicole Preußner Planung: Landschaftsarchitekturbüro Topotek 1, Berlin mit Catherine Venart, Halifax, Kanada Baukünstlerische Beratung: Rosmarie Trockel, Köln Statik: Obermeyer Planen und Beraten, München Bauleitung: Großberger Beyhl Partner Landschaftsarchitekten, München Gesamtfläche: 17 000 Quadratmeter Baukosten: Instandsetzung Bahndeckel: 5,4 Millionen Euro Landschaftsbauarbeiten: 4 Millionen Euro Bauzeit: 2008 bis 2010

In Zeiten, da nicht mehr klar erkennbar sei, was echt ist und was nicht, was natürliche Materialien und was künstliche sind, in Zeiten, in denen sich Landschaftsarchitekten aller möglichen Materialien und Zitate bedienten, da wollte sein Büro beim Bahn-

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Offener Park für eine offene Gemeinde Der 2009 fertiggestellte Liebefeld-Park im schweizerischen Köniz von Mettler Landschaftsarchitekten aus Berlin und Gossau sieht auch ein Jahr nach Eröffnung auf den ersten Blick noch unfertig und kahl aus. Die schlichte Gestaltung gehört zur Philosophie der Landschaftsarchitektin. Sie erschließt sich aber nicht

Bruno Augsburger

auf Anhieb den Besuchern.

Gabi Lerch

Eine offene Volkswiese und die rahmende Lindenallee sind die prägenden Elemente des Liebefeld-Parks im schweizerischen Köniz. Lageplan: Mettler Landschaftsarchitekten

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Einen Volkspark wünschten sich die Könizer auf dem Dreispitz-Areal im Stadtteil Liebefeld. Dieser verbindet die Stadt Bern mit dem Zentrum von Köniz, einem Ort mit 39 000 Einwohnern. Ehemals unscharf umrissen und von großen freien Flächen und Industrieanlagen geprägt, wandelt sich Liebefeld derzeit zu einem regional bedeutenden Dienstleistungszentrum und Wohngebiet der Agglomeration Bern. Eine zentrale Rolle spielt dabei die sukzessive Umnutzung der ehemaligen landwirtschaftlichen Versuchsfläche des Schweizerischen Bundes, die seit 1897 frei von Bebauung blieb und sich im südlichen Teil als „grünes Dreieck“ von Liebefeld einen Namen machte. Das Ergebnis einer langjährigen Planung sah Bebauung für Arbeit und Wohnen sowie einen öffentlichen Park vor: Im sogenannten Dreispitz ent-


Beim Blick über den Weiher mit der Sumpfzypressen-Insel erschließt sich dem Betrachter die weite, offen Fläche des Liebefeld-Parks in Nachbarschaft zu den Wohngebäuden.

standen ab 2005 Wohnungen von Rykart Architekten aus Bern sowie der im August 2009 eingeweihte, aus einem zweistufigen Projektwettbewerb hervorgegangene Liebefeld-Park. Nördlich daran angrenzend sind Gebäude für 700 zusätzliche Arbeitsplätze der Bundesverwaltung geplant. Rita Mettler, als Inhaberin des 1995 gegründeten, gleichnamigen Landschaftsarchitekturbüros mit mittlerweile zehn Mitarbeitern sowohl in Berlin wie auch in der Sankt Galler Agglomerationsgemeinde Gossau zu Hause, lässt dem grünen Dreieck in der Größe von fünf Fußballfeldern seinen freien Charakter. Lieber großzügig als kleinteilig Entgegen der im Wettbewerbsprogramm angedeuteten Vorstellung einer kleinteiligen, modellierten Fläche schlägt sie eine

zentrale Volkswiese vor: In ihrer wohltuenden Weite und Großzügigkeit kann die Wiese als städtisches und ländliches Element zugleich gelesen werden. Der freie Raum erlaubt es nicht nur, sich den Park anzueignen, er bezieht auch die Umgebung mit ein: Die Landschaftskulisse des Hausbergs Gurten und des Könizbergwaldes wird ebenso Teil des Parks wie das Potpourri aus unterschiedlichen Baustrukturen. Mettlers Parkprogramm umfasst neben der Volkswiese einen Weiher mit Insel, eine Promenade, Spielfelder, Wege sowie einen Platz mit einem Parkcafé. „Ein Park für alle, ohne stark vorgegebene Nutzung“, stand für sie an diesem Ort im Vordergrund. Auf den Minimalismus ihrer „Weniger-ist-mehr“-Gestaltung angesprochen, erwidert sie: „Schlichtheit gehört

zum Stil meines Büros.“ Dieses Weniger ist mehr, als der erste Eindruck vielleicht zu vermitteln vermag, und beruht auf einer Reihe von klaren Entscheidungen. Um die Wirkung der zentralen Wiese zu verstärken, aber auch die Verbindung zum städtebaulichen Kontext herzustellen, legt Mettler besonderen Wert auf die Parkränder. Die stark befahrene Kantonsstraße (Schwarzenburgstraße) flankiert sie mit einer Promenade – einem städtischen und dynamischen Element – die, als Lindenallee gestaltet, eine prägende räumliche Ordnung herstellt; Hecken aus Hainbuchen, Kornelkirschen, Liguster, Buchen, Blutbuchen, Eiben und Stechpalmen bilden eine durchlässige Grenze zur Straße, ein Betonband – gleichsam als markante Spur mit kleinem Höhenunterschied – trennt die Promenade von der Wiese. Zu

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