Garten und Landschaft 07 2011

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Juli 2011

Garten+

Landschaft Zeitschrift f端r Landschaftsarchitektur

Freiraum f端r alle


Inhalt 7/2011

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Editorial

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Freiraum: gefragt wie nie zuvor Robert Schäfer

SCHWEIZ spezial

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Ballungsraum Schweiz Ein Blick in die Schweiz anlässlich des IFLA-Kongresses in Zürich

Verlag: Callwey Verlag Streitfeldstraße 35 D-81673 München Fon +49 89 /43 60 05-0 Fax +49 89/43 60 05-113 www.garten-landschaft.de

4 Mit landschaftsarchitektonischen und raumplanerischen Konzepten wird versucht, das Wachstum im Großraum Zürich zu steuern.

Herausgeber: Deutsche Gesellschaft für Gartenkunst und Landschaftskultur e.V. (DGGL) Wartburgstraße 42 10823 Berlin www.dggl.org 121. Jahrgang

Für die Zukunft gestalten. 2

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17 Die ägyptische Revolution begann auf Facebook. Erfolgreich war sie, weil die Menschen die öffentlichen Plätze zurückeroberten.

22 In Libanons Hauptstadt Beirut gibt es nur wenige öffentliche Räume. Der wichtigste ist die Uferpromenade Corniche.


Freiraum für alle

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Von der virtuellen zur realen Revolution Mohamed Elshahed Der Tahrir-Platz in Kairo als Symbol der Demokratie

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Zutritt nur mit Lizenz: Freiräume in Beirut Yaser Abunnasr Über die Schwierigkeit, öffentliche Freiräume zu etablieren

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Der Wandel des öffentlichen Raums in islamischen Städten Anette Gangler Der Einfluss politischer Systeme auf die Nutzung von Straßen und Plätzen

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Al Qasas Plaza – ein Platz im Flüchtlingslager Philipp Misselwitz Öffentliche Freiräume für ein besseres Leben

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Freiräume: ein Gemeingut für alle, von vielen Juliane Pegels Nicht nur Kommunen müssen Freiräume schaffen, sondern auch Private

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Vom Wert und Nutzen des öffentlichen Raums Robert Kaltenbrunner Öffentlicher Raum als Konstante: fünf Thesen für Deutschland

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Freiheit in großer Gesellschaft Uwe Rada Gemeinsamkeiten des Tahrir-Platzes in Kairo und des Tempelhofer Feldes in Berlin

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Der öffentliche Raum und die widerstandsfähige Gesellschaft Jason Prior Plätze und Parks helfen, soziale Brennpunkte zu entschärfen

36 Öffentlich zugängliche Plätze sind unverzichtbar für eine demokratische Gesellschaft. Im Bild: der Brooklyn Bridge Park in New York.

40 Die Piazza Tartini im slowenischen Piran entspricht der Idealvorstellung eines öffentlichen Raums: zentral gelegen und vielfältig nutzbar.

Focus Bodenbeläge

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Urban Design Projekt Produkte

64 68

GaLaBau Praxis Recht Schwimmteiche

69 70

Forum Nachrichten Bücher Wettbewerbe DGGL Nachrichten Autoren, Vorschau, Nachtrag, Impressum

56 57 63 71 74 80 80

44 Die Tempelhofer Freiheit ist Sehnsuchtsort der Berliner, frei von Kommerz und Kultur. Nun sorgen sie sich, dass Planung den Ort zerstört.

Bilder: Maya Kohte, Mohamed Elshahed, Yaser Abunnasr, Michael Van Valkenburgh Associates, Robert Kaltenbrunner, Tanja Gallenmüller Titel: Tahrir-Platz in Kairo, Rouel Shimi

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SCHWEIZ spezial

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Wir dürfen das Programmatische nicht vergessen Albert Kirchengast Interview mit Günther Vogt zu neuen städtebaulichen Szenarien

Landschaft. Metropolregion. Schweiz. Alain Thierstein Stadtlandschaften sichtbar machen

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Vom Wert öffentlicher Freiräume Maya Kohte Beispiele aus dem Züricher Glatttal

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Auf neuen Wegen durch Zürich-West: der Gleisbogen Maria Möhrlein Freiräume als Baukastensystem

Guido Hager, Jahrgang 1958; Gärtner- und Floristenlehre; Studium der Landschaftsarchitektur am Interkantonalen Technikum Rapperswil; seit 1984 eigenes Büro für Landschaftsarchitektur in Zürich, heute in Partnerschaft mit Patrick Altermatt und Pascal Posset. Mitglied der Akademie der Künste Berlin. hager@hager-ag.ch Albert Kirchengast, Jahrgang 1980; Studium der Architektur an der TU Graz; seit 2008 wissenschaftlicher Assistent am Institut für Geschichte und Theorie der Architektur an der ETH Zürich und aktuell am Institut für Landschaftsarchitektur der ETH. kirchengast@arch.ethz.ch Maya Kohte, Jahrgang 1969; Studium der Landschaftsarchitektur an der TU München-Weihenstephan sowie an der Ecole nationale supérieure du paysage de Versailles; Mitarbeit in verschiedenen Büros sowie freiberufliche Tätigkeit; Assistenz an der Professur für Landschaftsarchitektur, ETH Zürich; seit 2010 Abteilungsleiterin im Amt für Grünanlagen Forsten und Landwirtschaft in Saarbrücken. maya.kohte@saarbruecken.de

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Maria Möhrlein, Jahrgang 1972; Studium der Landschaftsarchitektur an der FH Erfurt; 2000 Mit­ arbeit im Büro BW+P, Erfurt; 2001 bis 2004 im Büro Metron Landschaft in Brugg, Schweiz tätig; seit 2004 als Landschaftsarchitektin im Fachbereich Projektierung und Bau bei Grün Stadt Zürich tätig. maria.moehrlein@zuerich.ch Brigitte Nyffenegger, Jahrgang 1964; Studium der Landschaftsarchitektur am Interkantonalen Technikum in Rapperswil, Inhaberin des Büros Umland, Gestaltung städtischer und ländlicher Freiräume in Zürich, Mitglied des „Echoraums Lebensraum“ des Metropolitanraums Zürich, Mitglied der BSLAArbeitsgruppe Freiraum- und Landschaftsentwicklung. brigitte.nyffenegger@umland.ch Silke Schmeing, Jahrgang 1971, Studium der Landschaftsarchitektur am Interkantonalen Technikum Rapperswil; mehrere Jahre als Texterin, Konzepterin und Beraterin in der Werbe-/Kommunikationsbranche tätig, seit 2007 Öffentlichkeitsarbeit und Publikationen für verschiedenen Landschaftsarchitekturbüros. schmeing@hager-ag.ch

Grün Stadt Zürich

Burri AG

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Ballungsräume in Bewegung Brigitte Nyffenegger Freiraum- und Landschaftskonzepte etablieren

Metron Landschaft AG

Krokodil

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Verstädterung lenken, Freiräume sichern Guido Hager, Silke Schmeing Mehr Aufgaben für Landschaftsarchitekten in der Schweiz

ETH Studio Basel

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Peter Paul Stöckli

Ballungsraum Schweiz

Alain Thierstein, Dr., Jahrgang 1957; Studium der Wirtschaftswissenschaften an der Universität St. Gallen; ab 1993 Ständiger Dozent für Regionalökonomie, ab 1998 Leiter des Kompetenzbereiches Regionalwirtschaft am Institut für Öffentliche Dienstleistungen und Tourismus; ab 2000 Assistenzprofessor für Raumordnung am Institut für Orts-, Regional- und Landesplanung der ETH Zürich; seit 2005 Professor für Raumentwicklung an der Fakultät Architektur der TU München; Partner bei der Ernst Basler + Partner AG in Zürich. thierstein@tum.de Günther Vogt, Jahrgang 1957; Studium der Landschaftsarchitektur am Interkantonalen Technikum Rapperswil; Mit­arbeit bei Stöckli, Kienast & Koeppel in Wettingen, Schweiz; ab 1995 Mitinhaber von Kienast Vogt Partner, Zürich; seit 2000 Inhaber und Geschäftsführer von Vogt Landschafts­architekten mit Büros in Zürich, Berlin, London und München; seit 2005 Professor für Landschaftsarchitektur an der ETH Zürich am Departement Architektur; seit 2007 Vorsitzender des Netzwerks Stadt und Landschaft der ETH Zürich. g.vogt@vogt-la.ch


Schweizer Landschaftskonzepte für Stadtszenarien: Scales of Nature Das SCHWEIZ spezial folgt der eid- und zeitgenössischen Debatte zum Umgang mit der Landschaft. Anknüpfend an das vor fünf Jahren vorgestellte „Städtebauliche Porträt der Schweiz“ des Studio Basel, gibt es nun konkretisierte Szenarien der Stadtentwicklung mit deutlich mehr Einfluss der Landschaftsarchitektur. Großmaßstäbliche Strategien und wichtige städte- und freiraumplanerische Impulse für die Agglomeration gehen von Zürich aus, dem Herz der Metropolregion Nordschweiz. Beispiele dafür sind Züricher Großprojekte wie die Glatttalbahn und der Gleisbogen. Thomas Armonat

Burri AG

Der internationale Verband der Landschaftsarchitekten IFLA versammelte Ende Juni 2011 in Zürich Planer aus aller Welt, um über die Titelthemen „urban landscapes”, „peri-urban phenomenon in urban agglomerations” und „specific issues relating to rural land and its changes“ zu diskutieren. Diese Aufgaben der Stadtplaner, Architekten und Landschaftsarchitekten zwischen Zersiedelung und Verdichtung sind international relevant und gerade auch in der Schweiz hochaktuell. Dort ist der Siedlungsraum topografisch eng begrenzt. Zudem gleichen sich ländliche und städtische Räume mehr und mehr an.

Die Glatttalbahn ist ein Schlüsselprojekt für die Entwicklung des Agglomerationsgebiets Zürich Nord/Mittleres Glattal zu einer Stadtlandschaft hoher Qualität.

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Die Karten von Beirut zeigen die wenigen Flächen, die nicht bebaut werden dürfen (grün) sowie die Verteilung und den Zustand der öffentlichen Grünflächen. Stadt Beirut, 2004 Fadi Shayya, Lina Abou Reslan, & Nancy Hamad

Zutritt nur mit Lizenz: Freiräume in Beirut Wie in vielen anderen arabischen Städten gibt es auch in der libanesischen Hauptstadt Beirut nur sehr wenige öffentliche Freiräume. Und nicht einmal diese dürfen alle Menschen nutzen. Ein mangelndes öffentliches Bewusstsein, schlechte Verwaltungs­strukturen und das Fehlen der Disziplin Landschaftsarchitektur erschweren den Aufbau neuer Freiraumstrukturen. Die Stadtpromenade Corniche an der Küste ist aber ein Beispiel für einen neuen Umgang mit Freiräumen.

Yaser Abunnasr Ungewöhnliche Szenen spielen sich derzeit in arabischen Städten ab: Sie zeigen Menschen, die politische und soziale Rechte einfordern. Ihren Forderungen verleihen die Menschen mit Versammlungen an öffentlichen Orten Ausdruck, die sie einst auf Geheiß der opportunistischen und unterdrückenden Regime nicht betreten durften. Als Landschaftsarchitekt, der diese Ereignisse beobachtet, möchte ich mich dazu äußern, welche Rolle der öffentliche Raum als Bühne für den Wandel und die Reformen einnimmt. Die Tatsache, dass diese Orte nun wieder zugänglich sind, werten die Menschen als Symbol für ihren eigenen, neu entdeckten Stellenwert und ihre Hoffnungen. Die Symbolkraft, die dem Tahrir-Platz im ägyptischen Kairo und dem Taghyeer-Platz in der jemenitischen Hauptstadt Sanaa heute zukommt, zeigt, welche Bedeutung der 22

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öffentliche Raum in arabischen Städten haben könnte. Er sollte ein Ort für Versammlungen, Austausch und Interaktion sein und so die soziale und kulturelle Vielfalt der arabischen Gesellschaft widerspiegeln. Doch die Realität ist weit davon entfernt. Hürden auf dem Weg zum Freiraum Um das zu ändern, müssen die Barrieren fallen, die den Menschen den Zugang versperren. Die fehlende Zugänglichkeit ist auf die Ignoranz der Entscheidungsträger, der beteiligten Fachleute und auch der Öffentlichkeit zurückzuführen. Unzureichende oder falsche Schritte dieser Akteure führten dazu, dass Freiräume gänzlich fehlen, schrumpfen oder immer weniger zugänglich sind. Diese Verhältnisse sind mehr oder minder in allen arabischen Städten anzutreffen, aber sie konzentrieren sich in Beirut aufgrund des überal-

terten Planungssystems, des großen Einflusses des Immobilienmarkts, der unzulänglichen Verwaltung und fehlender Finanzmittel. Erstaunlicherweise hat eine immer lauter werdende Debatte begonnen, mit dem Ziel, diese Mängel zu beseitigen. Beiruts Bewohner und akademische Kreise sprechen vom Recht auf öffentlichen Raum sowie über die Rolle der Politik und der zuständigen Planer. Die Freiräume sind nur eingeschränkt und unter Einhaltung bestimmter Regeln nutzbar: ein großes Versäumnis der städtischen Politiker und der beteiligten Fachleute. Es gelingt ihnen nicht, dieses grundlegende Gemeinschaftsgut zu sichern und zu erhalten. Das wurde auf einer zweitägigen Konferenz in Beirut anhand von Beispielen aus arabischen Städten deutlich. Unter dem Motto „Stadt­ debatten 2011“ stellten Wissenschaftler und Praktiker Beispiele aus dem Libanon, Syrien,


GIS/Transport Ltd.

Auf dem Satellitenbild erkennt man den größten Stadtpark, Horsh Beirut, als dreieckige Fläche. Der Park nimmt nur ein Viertel des ursprünglichen Pinienwalds ein. Grafik: Fadi Shayya, Lina Abou Reslan, & Nancy Hamad (7)

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Vom Wert und Nutzen des öffentlichen Raums Der öffentliche Raum definiert sich fortwährend neu. Als Konstante bleibt, dass er immer ein Spiegel der Gesellschaft ist. Fünf Thesen zum Status quo in Deutschland.

Robert Kaltenbrunner Von Jorge Luis Borges, dem argentinischen Schriftsteller, stammt die eindrückliche Erzählung „Del rigor en la ciencia“ („Von der Strenge der Wissenschaft“). Darin arbeiten einige Kartographen eines fiktiven Staates so obsessiv, bis sie „eine Karte des Reichs erstellt hatten, die die Größe des Reichs besaß und sich mit ihm in jedem Punkt deckte“. Wie viel Orientierung aber bietet eine Karte im Maßstab 1:1? Da sie die Welt lediglich doppelt, sagt sie nichts über das Befinden des Menschen im Raum. Und eben dieses Befinden ist alles andere als banal und irrelevant. Schließlich konsolidiert sich jede Gruppe durch Orte, die nicht nur Schauplätze ihres Handelns abgeben, sondern Symbole ihrer Identität sind. Wie nichts anderes steht dafür der öffentliche Raum. Nicht nur im Fachdiskurs, auch kommunalpolitisch wird seine Bedeutung nun wieder beschworen. Dabei zeigt sich allerdings eine sehr spezifische Erwartungshaltung – geprägt nämlich von jenen Piazzen und Plätzen, die man aus Italien oder Spanien kennt: Klare räumliche Fassung, erkennbar historisch und gewachsen, immer etwas los, das Wetter stets warm und sonnig. Allein, die Wirklichkeit sieht anderes aus. Weshalb es nur folgerichtig ist, auch die Grauzonen dieser Wahrnehmung ins Visier zu nehmen. Hierzu fünf Thesen und Beobachtungen: 1. Die medialisierte Öffentlichkeit wird die räumlich erfahrbare nicht ersetzen; und sie wird auch nicht als Ersatz empfunden. Man hat uns vorhergesagt, dass die Menschen in Zukunft vorwiegend vor Bildschirmen und unter Datenhelmen hocken, um sich in einer bloß virtuellen Realität, auf Daten-Autobahnen und im Cyberspace nicht mehr körperlich, sondern nur noch

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fiktiv zu tummeln. Indes, diese Prophe­ zeiung hat sich bislang als wenig tragfähig erwiesen. Denn nicht nur Ansprachen, Konzerte und Festivitäten finden noch draußen statt. Auch bestimmte Ansprüche auf öffentliche Aufmerksamkeit und Anerkennung verlangen geradezu nach auf­ fälliger Kundgabe im öffentlichen Raum, zum Beispiel durch Demonstrationen, Streikversammlungen, Love Parades oder Umzüge. Welche zwingende Rolle gerade städtische Plätze und Straßen als Erlebnisraum heute spielen, machen zudem diverse, dynamisch zunehmende Sportereignisse deutlich: Ob nun City-Marathon, InlineSkating oder Beach-Volleyball – gesucht wird die Unmittelbarkeit des Live Acts, das authentische Feeling, die kinetische Energie einer in Dynamik versetzten Masse. Und offenbar braucht es die städtische Kulisse, vor der diese Events erst ihre eigentliche Wirkung entfalten. Der öffentliche Raum ist nach wie vor eine Bühne, auf der gesellschaftliche Konflikte artikuliert und vorgetragen werden. Er ist aber auch Ort der Selbstdarstellung und Inszenierung. Das Zurschaustellen von Luxus und Extra­ vaganz gehört genauso dazu wie das Bekenntnis zu einer vom Mainstream abweichenden Lebensweise, ob als Skinhead oder Hippie. Nach wie vor gilt: Im städtischen Raum befriedigt man das Bedürfnis, zu sehen und gesehen zu werden. 2. Öffentlicher Raum baut stets auf einem kulturellen Fundament auf. In der westlichen Welt ist man es gewohnt – und hat es über Jahrhunderte eingeübt – den öffentlichen Raum für eine Sphäre der Gemeinsamkeit zu halten, in der sich die Einzelnen gegenseitig wahrnehmen und begegnen. In China hingegen ist er eher

„eine bloße Transitzone, in der die einzelnen gegen­einander abgeschlossenen Monaden möglichst störungsfrei aneinander vorbeigleiten“ (Mark Siemons). Und in Indien führt der Platzmangel „erstaunlicherweise nicht etwa dazu, dass man dem öffentlichen Raum besondere Wertschätzung angedeihen lässt. Das Draußen scheint eine entfesselte, alle Privilegien (von Geld, Kaste oder Hautfarbe) nivellierende Zone, in der man ständig angehupt, vom Weg abgedrängt und angesprochen wird. Es ist kein Ort zum Verweilen; er wird bespuckt, vermüllt, bepinkelt“ (Ulla Lenze). Was der öffentliche Raum zu leisten vermag und was nicht, welchen Zwängen er unterliegt und wodurch, welche Potentiale er birgt und wie diese zur Geltung gebracht werden können: Solche Fragen zu beantworten hängt nicht zuletzt von den konkreten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen ab. 3. Ein öffentlicher Raum bestimmt sich weniger durch seine Zugänglichkeit als durch das Selbstverständnis, dass er einer ist. Der innerstädtische Einzelhandel verlagert sich zunehmend in Passagen; Erlebnisräume werden künstlich geschaffen; Freizeitgestaltung in abgekapselte Binnenwelten transponiert, Bahnhöfe mutieren zu Shopping-Centern. Privatgebäude verleiben sich öffentlichen Raum ein und werden zu Miniaturstädten eigenen Rechts. Mittlerweile ist es sattsam bekannt: Der Charakter öffentlicher Räume und die städtische Vielfalt werden, wie die Kritiker nicht müde werden zu behaupten, durch die Wahrnehmung privaten Hausrechts letztlich in Frage gestellt. Aber: Ist das wirklich ausschlaggebend? Oder ist nicht vielmehr entscheidend, wie ein Raum genutzt und


Robert Kaltenbrunner (2)

Die 1989 von Boris Podrecca umgestaltete Piazza Tartini im slowenischen Piran gleicht der Idealvorstellung eines öffentlichen Raums: eine klare räumliche Fassung, historisch gewachsen und offen für Nutzungen.

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Freiheit in großer Gesellschaft Auch wenn in Berlin keine Revolution stattfindet, zieht das Areal des alten Flughafens auf dem Tempelhofer Feld seit dessen Schließung Tausende Menschen an. Die Berliner haben Sehnsucht nach einem Freiraum, der nichts bietet außer Freiheit und Werte.

Uwe Rada Ägypten hat der Welt nicht nur eine Revolution geschenkt, sondern auch eine urbanistische Überraschung. Ausgerechnet auf dem Midan at-Tahrir, einem chaotischen, verkehrsumtosten Platz, der dem Ernst-Reuter-Platz in Berlin ähnlicher ist als dem demonstrationserprobten Pariser Platz am Brandenburger Tor, wurde das Regime von Hosni Mubarak davongejagt. Was für eine Volte. Eine ganze Planergeneration hat sich der Aufhübschung der Städte und ihrer Reurbanisierung verschrieben. Und plötzlich kommen die Ägypter und fegen alle Gewissheiten vom Tisch. Revolution, lautet ihre Botschaft, braucht Menschen, aber keine urbane Kulisse. Viel Platz braucht sie, aber keine schönen Plätze. Stadtplätze können Fotomotive für Touristen sein, in den öffentlichen Raum verlängerte Wohnzimmer, Bühne fürs urbane Schaulaufen, oder aber – Agora! – Orte der politischen Öffentlichkeit. Im Ge-

schichtsbuch landen oft nur letztere – wie auch der Tahrir-Platz. Kaum war er nach dem Sturz Mubaraks aufgeräumt – es waren die Aufständischen, die den Müll einsammelten und den Platz der Revolution an die Stadt zurückgaben – wurde er in den Feuilletons in einem Atemzug mit der Place de la Bastille und dem Berliner Alexanderplatz genannt. Auch zahlreiche Prominente machten dem Platz ihre Aufwartung. Hillary Clinton, die amerikanische Außenministerin, besuchte den Tahrir und auch ihr deutscher Kollege Guido Westerwelle. „Der Platz ist für die Ägypter, was für uns Deutsche 1989 das Brandenburger Tor war“, sagte der Außenminister. Dabei hat der Tahrir-Platz, auf Deutsch „Platz der Befreiung“, schon immer ägyptische Geschichte geschrieben. Seinen Namen bekam er, als 1952 das ägyptische Militär die Monarchie weggeputscht hatte. Zuvor hieß er nach dem osmanischen

Vizekönig Ismail Pascha Midat at-Ismailiyya. Dass es in Megacities wie Kairo Orte solcher politischen Öffentlichkeit gibt, überrascht nicht. Je zentralistischer ein Staat, desto größere Bedeutung haben zentrale Plätze. Das gilt auch für den Taksim-Platz in Istanbul. Ein großes Rund, gesäumt von Hotels und Hochhäusern, verkehrsreich, laut, das Hupen der Autos beeindruckender als die städtebauliche Kulisse: Die Touristen statten dem Taksim meist nur einen Pflichtbesuch ab – und tummeln sich alsbald wieder in der osmanischen Altstadt. Für die Istanbuler ist er, wie für die Athener der Omonia-Platz, der Inbegriff der modernen Metropole – und ihrer politischen Öffentlichkeit. Seit zwei Jahren dürfen auf dem Taksim wieder Maikundgebungen stattfinden. Dann gehört der Platz nicht mehr den hupenden Autos, sondern den roten Fahnen. Der Platz in Deutschland, der zuletzt einen Eintrag im Geschichtsbuch bekam, ist der

Seit der Öffnung der Tempelhofer Freiheit verbringen viele Menschen ihre Freizeit auf dem Gelände des ehemaligen Flughafens Tempelhof in Berlin. Tanja Gallenmüller (2)

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Eine Million Menschen versammelten sich 1989 auf dem Alexanderplatz in Ostberlin, fünf Tage später fiel die Berliner Mauer.

Alexanderplatz. Am 4. November 1989 war dort fast eine Million Menschen auf die Straße gegangen, fünf Tage später wurde die Mauer geöffnet. In der auf „Berlin, Hauptstadt der DDR“ ausgerichteten Politik der SED war der Alexanderplatz Demonstrationsort und People‘s Place zugleich. Dort stand das größte Warenhaus der DDR, dort entstand – jenseits der „sozialistischen Öffentlichkeit“ – das öffentliche Gespräch.

Mit Urbanität hatte das nichts zu tun, schrieb die Stadtkritikerin Ulrike Steglich 1997 nach der Vorlage des „Planwerks Innenstadt“, das auch den Alexanderplatz aufhübschen sollte: „Über Urbanität habe ich nie nachgedacht, wenn ich mich auf dem Alex herumtrieb. Sollte er als repräsentativer Ort gemeint gewesen sein, so ist das wohl schiefgegangen, denn die DDR-Führung repräsentierte an anderen Orten.

Miia Ranta

Urbanität ist keine Nutzungsform

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