Garten und Landschaft 09 2013

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September 2013

Garten+

Landschaft Zeitschrift f端r Landschaftsarchitektur

Transformation


Inhalt 9/2013

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In Berlin soll das Umfeld des Fernsehturms und der Marienkirche umgestaltet werden (Postkarte aus den 70er-Jahren). Doch wie genau mit dem ­namenlosen Freiraum um­zugehen ist, darüber gibt es Streit (siehe Seite 22).

Verlag: Callwey Verlag Streitfeldstraße 35 D-81673 München Fon +49 89 /43 60 05-0 Fax +49 89/43 60 05-113 www.garten-landschaft.de

Transformation

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Betreten erwünscht Juliane Pegels Der Pulheimer Nordpark nordwestlich von Köln

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Land-Art für Käfer und Bühnen für die Stadtgesellschaft Susanne Isabel Yacoub Der Westpark, zweiter Teil des Berliner Parks am Gleisdreieck

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Behutsame Platzerneuerung in Berlin-Mitte Uwe Rada Das Umfeld des Fernsehturms und der Marienkirche

Editorial

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Nachrichten-Fracking Robert Schäfer

Journal

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Landschaftsarchitekten als Macher zukunftsfähiger Stadtquartiere Anke Jurleit Triple Bottom Line Strategien für umwelt- und sozialverträgliche Städte

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Update einer romantischen Aussicht Anette Kolkau Der Aussichtspunkt Drachenfels am Rhein

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Klimaanpassung schafft Mehrwert Christian Schlag Interview mit Fabian Dosch, Projektleiter für „Verkehr und Umwelt“ beim BBSR

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Wasserhaushalt sichtbar gemacht Juliane Pegels Die Grube Reden im Saarland

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Illusion und Imagination Ausstellung zu André Le Nôtres Gärten im Spiegel barocker Druckgrafik

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Kommunale Gartendenkmalpflege Kaspar Klaffke Aktuelle Aufgaben und Herausforderungen

4 Neben wirtschaftlicher Entwicklung sind Umwelt- und Sozial­ verträglichkeit unentbehrlich für zukunfts­fähige Städte. Im Bild: Regenwassermanagement in ­einem Hamburger Wohnquartier.

8 Eine Ausstellung in Düsseldorf würdigt das Werk Le Nôtres und zeitgenössische Grafiken als ­höfisches Kommunika­tionsmittel. Im Bild: Wasserparterre Chantilly.

10 Nordwestlich von Köln liegt die Gemeinde Pulheim. Der Nordpark erschließt dort für die Bevölkerung die Landschaft zwischen Wohnsiedlungen am Stadtrand und den angrenzenden Feldern.

DGGL

16 Der westliche Teil des Parks am Gleisdreieck bietet den Ber­linern weitläufige Flächen, die ­jeder nach seiner Façon nutzen kann.

26 Mit neuer Architektur und ­Außenraumgestaltung wurde der Aussichtspunkt Drachenfels am Rhein als Touristenmagnet auf den neuesten Stand gebracht.

GaLaBau Praxis Urban Design

45 52

Bücher Nachrichten Campus Wettbewerbe DGGL Nachrichten Autoren, Vorschau, Impressum

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30 Ein neu gestalteter Wasser­ garten an der Grube Reden im Saarland lockt Besucher zu den restaurierten Schachtanlagen.

Herausgeber: Deutsche Gesellschaft für Gartenkunst und Landschaftskultur e.V. (DGGL) Wartburgstraße 42 10823 Berlin www.dggl.org 123. Jahrgang

Bilder: RISA, © Kupferstichkabinett Dresden, bbzl, Julien Lanoo, Dirk Krüll, Christof M. Frisch Titel: Park am Gleisdreieck Berlin, Julien Lanoo

Für die Zukunft gestalten. 2

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Betreten erwünscht Juliane Pegels

Der Nordpark in Pulheim wird in den nächsten Jahren langsam wachsen. So ist er konzipiert. Ein Gerüst aus Wegen, Flächen und Inseln macht den Übergang zwischen Stadt und Landschaft

In der Dynamik des Stadtwachstums der 1950er-Jahre ist nicht nur die Stadt Köln gewachsen, sondern auch viele kleine Gemeinden im Umland. Dazu gehört auch Pulheim wenige Kilometer nordwestlich der Domstadt. Pulheim ist von Einfamilienhaussiedlungen aller Epochen geprägt, die erst dort enden, wo die Agrarlandschaft beginnt. Patchworkartige Cluster von Wohnhäusern stehen Feldstrukturen unterschiedlicher Größe und Nutzung gegenüber. Genau dieser Schnittstelle nimmt sich der Nordpark an. Er schafft und gestaltet genau dort neue öffentliche Räume, wo bisher zwar Grün zu sehen, aber nicht zu betreten war. Die Sicherung regional bedeutsamer Freiflächen und die Entwicklung neuer Freiräume war ein zentrales Anliegen der Regionale Köln-Bonn, die im Jahr 2003 ihre Arbeit aufnahm. Grenzüberschreitende Konzepte und Projekte widmeten sich dem Nebeneinander von Groß- und Kleinstädten, von naturnahen Erholungsgebieten und historischen Denkmälern sowie riesigen Industrieanlagen und Tagebauen (siehe auch Garten + Landschaft 6/2012). Bis zum Präsentationsjahr 2010 initiierte die Regionale zahlreiche Projekte, die zur Aufwertung der Landschaftsräume im linksrheinischen Ballungsraum beitrugen. Mit dem masterplan:grün entwickelte die Regionale zunächst eine

erlebbar und ist flexibel genug, um auf sich ändernde Rahmenbedingungen zu reagieren.

umfassende Strategie, die schrittweise präzisiert wurde. So erarbeitete Gerd Aufmkolk vom Büro WGF aus Nürnberg zum Beispiel im Konzept „RegioGrün“ Ideen für den linksrheinischen, nördlichen Freiraumkorridor. Darin schlug er vor, Teilräume zu stärken. Einer davon war die „Agrarlandschaft Mitte“ rund um Pulheim. Großräumliche Zusammenhänge sollten gesichert und mit bestehenden Landschaftselementen behutsam umgegangen werden; außerdem sollten durch punktuelle Eingriffe neue Freiräume entstehen. Um diese Ideen zu konkretisieren, lobte die Regionale 2008 einen landschaftsplanerischen Realisierungswettbewerb aus, den das Büro bbzl – böhm benfer zahiri aus Berlin gewann und den Auftrag erhielt, diese Ideen zu realisieren. Ein Park zwischen Stadtrand und Feldern Im Frühsommer 2012 wurde der erste Bauabschnitt des Nordparks Pulheim eröffnet. Obwohl für die Realisierung des gesamten, die nordwestliche Stadtkante einfassenden Parkbands ein Zeitraum bis 2030 vorgesehen ist, lässt der erste Teil des Parks auf eine schnellere Umsetzung hoffen. Der erste Teil macht schon deutlich, dass ein Gerüst aus verschiedenen Wege- und Feldtypen dem Nordpark ein Gesicht gibt und der Übergang zwischen der Stadt und der offenen

bbzl – böhm benfer zahiri (7)

Mit einem Netz aus neu gestalteten Feldwegen erschlossen die Berliner Landschaftsarchitekten von bbzl die Landschaft um Pulheim. Der Nordpark liegt am Übergang der Stadt zu den Feldern.

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Land-Art für Käfer und Bühnen für die Stadtgesellschaft Im Mai wurde der Westpark fertiggestellt, der zweite Teil des Berliner Parks am Gleisdreieck. Obwohl die Berliner das Projekt anfangs ablehnten, wird der Park gut angenommen. Denn die ehemalige Brache mit Wildwuchs und Biotopen wurde zu einem Ort, den alle ­B evölkerungsschichten auf ihre Weise nutzen können.

Susanne Isabel Yacoub

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reicht bislang als Grenze zwischen ge­ schützten Flächen und Liegewiese. Eine fesselnde Kulisse lockt. Vor einem bietet sich ein Blick auf die amerikanisch anmu­ tende Skyline des Potsdamer Platzes, ­immer noch wie ein Fremdkörper in der Stadt, im Rücken liegen dominante Brü­ ckenkonstruktionen. Sie sind nüchterne Technikviadukte, über die alle fünf Minu­ ten U-Bahn-Waggons rattern. Für den per­ fekten Platz bei Sonnenuntergang fügen sich gleich beim Übergang zum Ostpark grobe Lärchenholzplanken zur eleganten Tribüne, unmittelbar neben einer der Wild­ wiesen. Das langgestreckte Treppen-Podest überdeckelt die neue ICE-Trasse, die Ostund Westpark voneinander trennt. Ab die­ ser Stelle verläuft die Trasse im Tunnel. Am anderen Parkende wachsen auf einem ­schmalen Schotterstreifen Pionierstauden, die in i­hrer genügsamen Mischung exotisch wirken und charmant den breit asphaltier­ ten Zugang auf Kreuzberger Seite beglei­ ten. Weiter nördlich drängt ein Feld aus lichtblauen Perovskien und gelb-grün ­panaschierten Schwertlilien vor bis an den riesigen Spielplatz. Seine unzähligen Holz­ konstruktionen und Wasserzonen erinnern an wilde Abenteuerspielplätze. Damit ­Kinder ungestört spielen können, finden Begleitpersonen Platz auf einer scheinbar

Park am Gleisdreieck – Westpark, Berlin Bauherr und Betreiber: Land Ber­ lin, vertreten durch die Grün Berlin GmbH Planer: Atelier Loidl Landschafts­ architekten, Berlin Fläche: 36 Hektar (Gesamtfläche Ostpark und Westpark) Bauzeit: 2006 Wettbewerbsge­ winn, September 2011 Eröffnung Ostpark, Mai 2013 Eröffnung Westpark Baukosten: 12 Millionen Euro

Julien Lanoo (6)

Was eigentlich eine ökologisch hochwerti­ ge Fläche ausmache, hinterfragte Leonard Grosch vom Atelier Loidl, als die Arbeit am Berliner Park am Gleisdreieck vor sieben Jahren startete. Inzwischen erweist sich im 2011 fertiggestellten Ostpark, dem öst­ lichen Parkteil, dass geliebte Brachenwild­ nis und Biotope, die in den Jahrzehnten zuvor den stillgelegten Güterbahnhof er­ oberten, minimalistisches Parkvokabular zwanglos ergänzen. „Wir haben eine LandArt-Inszenierung daraus gemacht, in der sich die Käfer verstecken können“, erzählt Grosch. Bei dem im Mai eröffneten West­ teil des Parks ging es nicht darum, Stadt­ natur zu retten. Auf dem vergleichsweise schmalen Streifen, neun Hektar groß, wur­ den jahrelang Kies- und Zementberge ­gehortet, Baustellenlogistik für den Pots­ damer Platz. Anfangs seien alle skeptisch gewesen, ob es ihnen gelingen würde, dort neue ökologische Flächen anzulegen, berichtet der Berliner Landschaftsarchitekt. Die neuen Wildwiesen zum Anschauen, nicht zum Anfassen, liegen ausgestreckt unter zwei U-Bahn-Linien, die zwischen Kreuzberg und Schöneberg als Hochbahn verlaufen. Die Wiesen dürfen nicht betre­ ten werden, sind aber nicht eingezäunt, nur dezent markiert durch weit auseinan­ der stehende, lindgrüne Holzpfähle. Das

Der Blick von Norden auf den neu eröffneten Westteil des Berliner Parks am Gleisdreieck zeigt große Wiesen, die unter den Brücken der Hochbahn liegen. Dort machen es sich die Berliner gemütlich.

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Update einer romantischen Aussicht In diesem Sommer wurde der Aussichtspunkt Drachenfels hoch über dem Rhein wiedereröffnet. Durch die enge Kooperation von Architekten und Landschaftsarchitekten entstand ein eindrucksvoller

Plandrei Landschaftsarchitekten aus Erfurt und pool 2 Architekten aus Kassel planten zusammen die Umgestaltung des Aussichtspunkts Drachenfels am Rhein. Dazu gehörte der Abriss und Neubau eines Restaurant­gebäudes. Plan: pool 2 Architekten

Dirk Krüll (6)

Ort mit einem fantastischen Blick über den Fluss.

Die Glasfassaden des Restaurants, Natursteinpflaster aus Grauwacke und Kolonnaden aus Weißbeton prägen nun den Aussichtspunkt am Drachenfels.

Anette Kolkau Eins stimmt nicht: Er ist nicht der „höchste Berg Hollands“ wie immer behauptet wird. Denn: Das Publikum, das sich unten an der Talstation der Zahnradbahn sammelt, spricht neben deutsch oder niederländisch auch englisch, französisch, schwedisch oder italienisch. Der Drachenfels als ruinengekrönter, markanter Berg am Rhein ist heute wie einst ein beliebtes Ausflugsziel, bedient er doch noch immer das Idealbild von einer dramatischen Landschaft und damit wohl von einer zeit­ losen Sehnsucht. Dennoch wurde es Zeit, die Bergspitze zeitgemäß zu gestalten, denn die Besucherzahlen waren zuletzt rückläufig. Die Landschaftsarchitekten plandrei (Erfurt) und die Architekten von pool 2 (Kassel) haben im Rahmen der Regionale 2010 gemeinsam die Neugestaltung des Plateaus entwickelt. Seit über 200 Jahren ist der Drachenfels ­Reiseziel. Die deutsche Romantik entdeckte ­Ende des 18. Jahrhunderts das Rheintal, und der englische Dichter Lord Byron initiierte mit seiner schwärmerischen Dichtung dort mitten in diesem perfekten Abbild wild­ romantischer Natur zwischen Burgruine und

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Rhein den Tourismus in Königswinter. 1834 wurde auf dem Drachenfelsplateau das erste Restaurant eröffnet, mit der Zahnradbahn zum 321 Meter hohen Gipfel qualifizierte sich der Standort als Familien-Ausflugsziel. Im Laufe der Jahrzehnte wurde erweitert und verändert, neu- und umgebaut. Zuletzt in den 1970er-Jahren – massiv: Es entstand ein alles beherrschender Beton-Komplex von einem baulichen Selbstbewusstsein, wie er von zahlreichen Großstrukturen in dieser ­Architekturphase ausging. Ein zeitgemäßes touristisches Angebot bot das Ensemble rund drei Jahrzehnte später nicht mehr. Umbau zu modernem Tourismusziel 2005 wurde zunächst die alte Talstation zu einem Tourismus-Bahnhof umgebaut. Die Drachenburg, 1882 bis 1884 als märchen­ haftes Schloss im Stil des Historismus gebaut, wurde restauriert und dient nun als Mittelstation für die Zahnradbahn. Im Rahmen der Regionale 2010 entwickelten unter anderem die Kommune und der Landkreis gemeinsam ein Zukunftsbild für die

Drachenfelsspitze und lobten 2008 den Wettbewerb „Königswinter: Drachenfels/Burgruine“ als begrenzten landschaftsplanerisch-­ architektonischen Wettbewerb mit eingela­ denen Teilnehmerteams aus. Es gab kein ­eindeutiges Ergebnis. Wohl aufgrund des Drucks, an diesem Ort – mitten im Naturschutzgebiet – eine besonders nachhaltige Lösung zu finden, gab es zwei erste Preise: für WES & Partner aus Berlin, mit Schultes Frank Architekten aus Berlin, und für das Atelier Loidl mit Jörg Wessendorf, ebenfalls beide Berlin. Nachdem jedoch alle Preisträger ihre Entwürfe nachbearbeitet hatten, stellte sich heraus, dass der Entwurf der Drittplatzierten, Pool 2 und plandrei, am kostengünstigsten war. Einer der Gründe dafür war, dass das Team unkompliziert mit dem Bestand umging. Um Kosten zu sparen, verzichteten sie darauf, das Restaurant komplett abzu­ reißen. Sie beließen das Kellergeschoss und bauten darüber ein schlankes, transparentes Gebäude und eine Ankunftsterrasse. 2011 bis 2013 wurde dann das Drachenfelsplateau umgebaut. An einem Ort auf dem

Gipfel eines Berges, auf den nur eine Straße führt, müssen alle Abläufe minutiös stimmen. Hier war von Vorteil, dass Architekten und Landschaftsarchitekten bereits ein eingespieltes Team waren und auch bei diesem Projekt einen gemeinsam erarbeiteten Entwurf reibungslos umsetzen konnten. Einfach waren die Arbeiten im Naturschutzgebiet trotzdem nicht: Die Abbrucharbeiten fanden im Winter 2010 statt, um Störungen der Tierwelt zu minimieren. Stück für Stück knabberten die Bagger die Gebäudeteile ab, um so wenig Staub wie möglich aufzuwirbeln, der sich dann auf die Flora und Fauna der Bergkuppe abgesetzt hätte. 20 000 Tonnen Material wurden bewegt, immer wieder wurde mit Wasser benetzt, um den Staub zu binden. Teile des Abbruchmaterials dienten als Fundament für den Neubau. Doch trotz aller Vorsichtsmaßnahmen hatte der Naturschutz gegen den Glaskubus geklagt: Er stelle ­ eine Gefahr für die Vögel der Region dar. Zipp­ammer und Zaunammer, die in Nordrhein-Westfalen selten sind, brüten in dem

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