Garten + Landschaft 11/2015

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November 2015

Garten+

Landschaft Zeitschrift für Landschaftsarchitektur

Köpfe | Fragen | Zukunftsfelder


Inhalt 11/2015

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Verlag: Callwey Verlag Streitfeldstraße 35 D-81673 München Fon +49 89 /43 60 05-0 Fax +49 89/43 60 05-113 www.garten-landschaft.de

125. Jahrgang

Für die Zukunft gestalten.

Garten + Landschaft

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Leise Bewegung Tanja Braemer

Journal

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Landschaft als Netzwerk in der Braunkohlelandschaft Jörn Frenzel :terra nova Kulturlandschaft und Energiepark im Rhein-Erft-Kreis

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Beharrlicher Mahner und engagierter Politikberater Axel Zutz Biographie über Walter Rossow erschienen

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Inspiration für Qualität im Freiraum Susanne Isabel Yacoub Neues Online-Ausstellungsformat des Bundes Deutscher Landschaftsarchitekten

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Regenwurm, Maulwurf und Co Bettina Krause Erster Bodengarten Deutschlands in Berlin eröffnet

4 Auf einer ehemaligen Förder­ trasse des Tagebaus Hambach verläuft das Biosphärenband: Entlang eines breiten Asphaltweges gestalteten bbz Landschaftsarchitekten unterschiedliche Landschaftstypen.

Herausgeber: Deutsche Gesellschaft für Gartenkunst und Landschaftskultur e.V. (DGGL) Wartburgstraße 42 10823 Berlin www.dggl.org

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Editorial

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8 Der Bodengarten in Berlin, entworfen von plancontext, erklärt Kindern Sachverhalte wie Bodenaufbau und -beschaffenheit.

16 Der Lippepark in Hamm erhielt zahlreiche Auszeichnungen für eine gelungene Bürgerbeteiligung (Entwurf: scape Landschaftsarchitekten).


Köpfe | Fragen | Zukunftsfelder

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Im Dialog arbeiten Ljubica Heinsen Interdisziplinäre Netzwerke

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Mit Bürgern entwerfen Juliane von Hagen Partizipation bei der Planung

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Trend zur Eigeninitiative Bettina Krause Projekte selber anstoßen

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Erfolg ist Pflicht Heike Vossen Wettbewerbsteilnahme als Akquisestrategie

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Erste Garde des Global Play Susanne Isabel Yacoub Arbeiten im Ausland

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Zusammen stärker sein Anette Kolkau Architekten und Landschaftsarchitekten als Team

20 Das Liveable City Lab der Ramboll Gruppe unterstützt Städte bei Themen wie Wassermanagement. So sollen Projekte wie der Tanner Springs Park in Portland angestoßen werden.

26 Club L94 akquirieren einen Großteil ihrer Aufträge über Wettbewerbsgewinne. Das ­ Bild zeigt den Bürgerpark am Wasserschloss Rottendorf.

Nachrichten Projekt Produkte Wettbewerbe DGGL Nachrichten Vorschau, Autoren, Impressum

40 46 48 50 58 64

Termine www.garten-landschaft.de

36 Der Architekt Helmut Feldmeier schwärmt noch heute von der Zusammenarbeit mit dem Landschaftsarchitekten Wedig Pridik beim Nordsternpark Gelsenkirchen: „Von der ersten Planungsidee bis zum letzten Realisierungsschritt haben wir alles zusammen gemacht.“

Bilder: Veit Landwehr, Lichtschwärmer, scape Landschaftsarchitekten, Atelier Dreiseitl, Gereon Holtschneider, Sebastian Hellmann

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Journal

Landschaft als Netzwerk sichtbarer Bezüge in der Braunkohlelandschaft

Der Rhein-Erft-Kreis westlich von Köln verfügt über eine langjähri­ ge Tradition im Braunkohletage­ bau. 1978 begann Rheinbraun als Vorgängerin der RWE Power AG mit den Arbeiten in Ham­ bach, 1984 wurde dort die erste Kohle gefördert. Mit einer prog­ nostizierten maximalen Größe von 8 500 Hektar ist Hambach der größte Tagebau in Deutsch­ land. bbz Landschaftsarchitekten Berlin in Kooperation mit dem Architekten Ernst Scharf Berlin haben mit „:terra nova” Bezüge hergestellt, die die ständige Ver­ änderung der Landschaft sicht­ bar machen und auf eine mög­ liche Zukunft nach der Braun­ kohle verweisen. Seit 2007 arbeiten die lokalen Gemeinden, die Regionale 2010 und RWE Power AG mit bbz und Ernst Scharf zusammen, um ­:terra nova als Kulturlandschaft und Energiepark neuen Typs zu entwickeln (siehe auch Garten + Landschaft 12/2011). Die Kompo­ nenten dieses Parks sind das „BiosphärenBand“, das EnergieKompetenzareal, die Lupenräume als Prototypen des künf­ tigen Time Park, die Gangways mit Ausblick in den riesigen ­Tagebau Hambach und die InfoBoxen, die Informationen über die Region und ihre Geschichte vermitteln sowie das Forum Tagebau Hambach und die noch nicht ­realisierte RWE World. Nach der Kohle Timo Herrmann, Geschäftsfüh­ rer von bbz Landschaftsarchi­ tekten und Projektleiter von :terra nova betont, dass bei Braunkohlefolgelandschaften oft die Tagebaugruben selbst als potentielle Tourismusmag­ neten favorisiert werden. Im Kontrast hierzu will :terra nova den bestehenden Kontext und die Räume zwischen den Gru­ ben thematisieren und so Bezü­ ge und neue regionale Impulse für die Zeit nach der Kohle her­ stellen. Die beiden Pole der Energie­ 4

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Veit Landwehr (2)

:terra nova Kulturlandschaft und Energiepark im Rhein-Erft-Kreis großteils fertiggestellt

produktion – die bis zu 400 ­Meter tief liegenden Kohleflöze im ­Tagebau Hambach und das Kraftwerk Niederaußem – wer­ den entlang des Biosphären­ bandes durch einen Asphaltweg verbunden. Dieses Band war ur­ sprünglich eine Förder­trasse für Abraum des Tagebaus Hambach, mit dem der ältere Tagebau ­Fortuna-Garsdorf verfüllt wurde. Die 14 Kilometer lange Strecke wurde auf beiden Seiten mit Emissionsschutzwällen versehen, die nach rund 30 Jahren nun ­üppig bewachsen sind. Die Land­ schaftsarchitekten entschieden sich, diese einzigartige Land­ schaft (die ursprünglich zurück­ gebaut werden sollte) als Rück­ grat von :terra nova zu verwen­ den und sie als Abfolge von ­Räumen und postglazialen Vege­ tationsstufen des Entstehungs­ prozesses der Braunkohle neu zu erfinden: mit Sumpfzypressen­ wäldern, Kiefernwäldern und Trockenrasen auf Sanddünen. Entlang des Biosphärenbandes mit seinen überwucherten Erd­ wällen wurden so genannte Landschaftsfenster eingeschnit­

ten, um Bezüge zur umgeben­ den Landschaft herzustellen. ­Eines dieser Fenster öffnet sich zu einem üppigen, grünen Feld, auf der eines Tages ein Energie­ kompetenzzentrum stehen soll. Die Infobox Kompetenzareal, ­eine von vier leuchtend orange­ farbenen Betonpavillons entlang des Bandes, ist auf dieses Feld ausgerichtet, sie soll dazu anre­ gen, über eine mögliche Zukunft nach der Braunkohle nachzu­ denken. Vorerst schießen Rad­ fahrer und Kinder auf Skate­ boards vorbei und genießen die neue Bewegungsfreiheit, die das lange Biosphärenband in der dicht besiedelten Region bietet. Veränderungen erleben Bei der Fahrradfahrt vom Kraft­ werk Niederaußem in Richtung Tagebau Hambach kann man die bereits umgesetzten Land­ schafts­­eingriffe erleben und die Veränderungen erahnen. Bei Glesch knickte die ehemalige Förder­trasse ab und schnitt 40 Meter in den Boden. Die Land­ schaftsarchitekten schlugen vor, bei der Verfüllung dort eine 1,5

Wo einst ein Förderband stand, verläuft das „BiosphärenBand“, das den Tagebau Hambach und das Kraftwerk Niederaußem verbindet. Entlang des Asphaltwegs gibt es neu gestaltete Landschafts­ typen, zum Beispiel eine ­Dünenlandschaft.

:terra nova Kulturlandschaft und Energiepark, Rhein-Erft Kreis, Deutschland Bauherr: Rhein-Erft-Kreis, RWE PowerAG Landschaftsarchitekten: bbz Landschaftsarchitekten, ­Berlin Architekt: Ernst Scharf, ­Berlin Umsetzung: 2007 bis 2014


„Gestalten und Pflegen durch Nutzen“: Schafsherden halten die Weiden um die angepflanz­ ten Bäume niedrig und eliminie­ ren nicht beabsichtigten Eintrag. Neue Kulturlandschaft Zeit und Nutzung sind auch die wesentlichen Faktoren für die Gestaltung des Time Park ent­ lang der Hambacher Tagebau­ kante. Bauminseln heimischer Arten werden hier neu angelegt oder aus bestehenden Wald­ stücken herausgeschnitten. ­Weidetiere werden sicherstel­ len, dass das Gras kurz gehalten wird und dass das Laub der Bäu­ me einmal ein Blätterdach leicht über der durchschnittlichen Kopfhöhe bilden wird. Diese Laubwiesen bedeckten einst große Teile Nord­europas als ­eine Form der Kultur- und Wei­ delandschaft. Die sogenannten ­Lupenräume wurden als erste Prototypen solcher Vegetations­ inseln bereits realisiert und sind Vorboten einer neuen landwirt­ schaftlichen ­Nutzung in der Um­ gebung von :terra nova. Jörn Frenzel

Einbauten wie die Infopavillons (siehe Bild Seite 4) und die Gangway zum Tagebau Hambach strahlen in leuchtendem Orange.

Tom May

Kilometer lange Dünenland­ schaft anzulegen. ­Dazu wurde tertiärer Boden aus der Grube Hambach verwendet und mit GPS-gesteuerten Raupenfahr­ zeugen geformt. Dieser Boden ist sehr nährstoffarm und er­ laubt nur das Gedeihen von Tro­ ckenrasen und anspruchs­losen Arten wie Kiefern. Die anfäng­ lich errichteten, leuchtend oran­ gefarbenen Ovale der Wildver­ bisszäune wurden nun entfernt und somit bietet sich eine beein­ druckende Aussicht über die ­wogenden Dünen, die einen ­maximalen Kontrast zu den ­umliegenden flachen und satt­ grünen Feldern bilden. Weiter entlang der Strecke wachsen bereits die Setzlinge der Sumpfzypressen. Sie sollen an die Wälder erinnern, die ein­ mal das Ausgangsmaterial für die Bildung von Braunkohle ­waren. In mehreren Jahrzehnten werden diese Jungpflanzen – die jetzt kaum einen Meter groß sind – zu etwa 40 Meter hohen Bäumen heranwachsen. Das landschaftsarchitektonische Konzept entlang des Biosphä­ renbandes folgt der Prämisse

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Im Dialog arbeiten Die wenigsten Projekte bearbeiten Landschaftsarchitekten alleine, denn die meisten bergen interdisziplinäre Herausforderungen. Das Arbeiten in Netzwerken ist eine Möglichkeit, darauf zu reagieren. Damit dieses breitgefächerte Arbeiten auch von Auftraggebern anerkannt

Franziska Husung

wird, muss sich aber noch einiges ändern.

„Durch die Kenntnis der Herangehensweise von Architekten profitierten wir, weil wir mit den übrigen Planern auf Augenhöhe planen können. Haus u ­nd Freiraum sind eine Einheit, die Reduzierung der Landschaftsarchitektur auf die grüne Bordüre wird weder den heutigen Planungsaufgaben gerecht, noch werden in der Regel kohärente Konzepte erreicht.“ foundation 5+ landschaftsarchitekten und planer

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foundation 5+ (2)

Für den Wintershall Kindergarten in Kassel bewarben sich founda­ tion 5+ als interdisziplinäres Team mit Betreibern, Architekten und Landschaftsarchitekten in einem Angebotsverfahren. Die Leistungs­ phasen 1 bis 4 bearbeiteten sie ge­ meinsam, erst ab Phase 5 bekamen die Architekten einen Vorlauf.

Ljubica Heinsen Jeder Mensch baut im Laufe seines Lebens bewusst oder unbewusst Netzwerke auf, die privat oder beruflich von Nutzen sind. Familien, -Freundes- oder Kollegenkreise sind Netzwerke, deren Empfehlungen man bei der Suche nach einem guten Zahnarzt oder einer geeigneten Ausschreibungssoft­ ware vertraut. Dann gibt es institutionali­ sierte Netzwerke. Während zum Beispiel Xing hauptsächlich der breitgestreuten Kontaktpflege dient, bieten Plattformen wie der Bund Deutscher Landschaftsarchi­ tekten oder die Deutsche Gesellschaft für Gartenkunst und Landschaftskultur den Mitgliedern ein Forum für hochspezialisierten fachlichen Austausch. Es gibt aber auch Büros und Einzelkämpfer, die in kleineren Netzwerken kooperieren. Was das Arbeiten in solchen Netzwerken nun speziell auszeichnet und welche Vorzüge es haben kann, davon berichten die Platt­ form Studio Urbane Landschaften, das Kas­ seler Büro foundation 5+ landschaftsarchi­ tekten und planer sowie das Münchner ­Büro und Netzwerk bauchplan. Allen drei Netzwerken ist die Universität als Geburtsstätte und die Affinität zum ­interdisziplinären Arbeiten gemein. Die Akteure fanden sich zusammen, um auch nach dem Studium weiter voneinander zu

lernen und ihre Ideen weiterzudenken. Als Landschaftsarchitektur-Absolventen der TU München haben Marie-Theres Okresek und Tobias Baldauf das Kollektiv bauchplan 2001 als „reine Interessensbekundung zur Zusammenarbeit“ ins Leben gerufen. Zur Gründung eines Netzwerks motiviert ­haben bauchplan Freundschaften, gegen­ seitige fachliche Wertschätzung und die Suche nach einer „für Absolventen geeig­ neten Organisationsform mit dem Antrieb, eigene Gedankengänge weiter vorantreiben zu wollen.“ Florian Otto und Rupert Halbartschlager ergänzten das Kernteam 2003. Aktuell kooperieren im Netzwerk bis zu zwölf Spezialisten aus den Disziplinen Städtebau, Architektur, Landschafts­architektur und -planung, Ökologie, Soziologie, Ingenieurwesen und Kunst. Büroplattform als Ideenschmiede Den bereichernden Diskurs im interdis­ ziplinär ausgerichteten Studium in Kassel wollten der Landschaftsarchitekt Michael Herz, der Landschaftsplaner Heinz-Jürgen Achterberg sowie die Architekten Matthias Foitzik und Philipp Krebs auch im Berufs­ alltag weiterführen. Sie gründeten 1997 die Plattform foundation 5+, die laut ­Michael Herz, auch heute noch Ideenpool Garten + Landschaft

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Atelier Dreiseitl (2)

Trend zur Eigeninitiative Landschaftsarchitektur in Projekten mehr Gewicht geben, Interesse an neuen Themen wecken oder innovative Ideen generieren – der Antrieb, Projekte in Eigeninitiative anzustoßen, ist unterschiedlich. Gemeinsam ist allen befragten Landschaftsarchitekten eine große Portion Idealismus. Doch letztendlich lohnt es sich immer – finanziell oder für die eigene Weiterbildung.

„Wir wollen das Level des Bewusstseins für unsere Themen heben. Und um gehört zu werden muss man sich in den Diskurs einmischen, Vorträge halten, sich vernetzen und politisch aktiv sein.“ Herbert Dreiseitl, Liveable Cities Lab / Atelier Dreiseitl

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Um Ideen wie den Tanner Springs Park in Portland zu realisieren, muss das Thema Wassermanage­ ment bei den Verantwortlichen platziert werden. Herbert Dreiseitl hält daher zum Beispiel weltweit Vorträge zu seinen Projekten.

Bettina Krause 
„Wege entstehen dadurch, dass man sie geht“, lautet ein berühmter Ausspruch Franz Kafkas. Wer als Landschaftsarchitekt in der Branche etwas verändern möchte, muss manchmal die ausgetretenen Pfade verlassen. Neues zu wagen bedeutet dann manchmal sogar ohne einen konkreten Pro­ jektauftrag tätig zu werden. Das Atelier le balto aus Berlin hat schon vor Jahren mit ­ihren Projekten „Temporäre Gärten“ und „Woistdergarten“ eigeninitiativ brachlie­ gende und unterschätzte Orte in der Stadt identifiziert, um auf ihre Potentiale auf­ merksam zu machen und sie als Garten für die Gemeinschaft zu nutzen. Sie machten mit einfachen Eingriffen das Stadtgrün „jenseits glatter, glänzender und fertiger Flächen“ in Form von Abstandsgrün, Bra­ chen, Hinterhöfen und Baulücken salon­

fähig und nutzbar. Heute stoßen einige ­Büros mit Kreativität, Eigenverantwortung und Selbstbestimmung Projekte an, von denen sie überzeugt sind. Dahinter steht der Wunsch nach neuen Gestaltungsfor­ men, die Kenntnis um spezifischen Bedarf und eine Portion Mut, denn nicht selten müssen die Büros mit ihren Ideen in Vorleis­ tung gehen. Mit der Frage „Wie kann sich eine Stadt nachhaltig und lebenswert ent­ wickeln?“ beschäftigen sich das Liveable ­Cities Lab in Überlingen, das ebenso wie das Atelier Dreiseitl (mit Standorten in Überlin­ gen, Peking, Singapur, Portland) zur däni­ schen Ramboll Gruppe gehört. Ein grundle­ gendes Problem der Planung, insbesondere in Ländern wie China, Teilen der USA, aber auch ­in Deutschland sieht Gründer Herbert Dreiseitl darin, dass Freiraumplaner oft zu Garten + Landschaft

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