Garten und Landschaft 12 2010

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Dezember 2010

Garten+

Landschaft Zeitschrift f端r Landschaftsarchitektur

Perspektiven


Inhalt 11/2010

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Verlag: Callwey Verlag Streitfeldstraße 35 D-81673 München Fon +49 89 /43 60 05-0 Fax +49 89/43 60 05-113 www.garten-landschaft.de

120. Jahrgang

Für die Zukunft gestalten.

Garten + Landschaft

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2011: Alle müssen augmentieren Robert Schäfer

Journal

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Premiumprodukte der Landschaftsarchitektur Juliane Schneegans Peter-Joseph-Lenné-Preis und Symposium zur IGA 2017 in Berlin

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Hauptstadt im Freiraumfieber Susanne Isabel Kröger Yacoub Die Berliner und ihre neu entdeckte Lust an Plätzen, Parks und Gemüsegärten

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Gedenkort zum Mauerfall Thomas Armonat Eröffnung „Platz des 9. November 1989” in Berlin-Pankow

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Neue Landschaftsarchitektur in Wien Peter Zöch Neue Publikation in der Reihe edition Garten + Landschaft

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Visionen für die schrumpfende Stadt Cordelia Polinna Symposium „Weniger ist Zukunft” am 9. Oktober in Berlin

4 In Berlin widmete sich ein Symposium der IGA 2017. Zudem wurden die PeterJoseph-Lenné-Preise vergeben. Christoph Richter wurde für seine Arbeit „Feldland” in Mailand ausgezeichnet.

Herausgeber: Deutsche Gesellschaft für Gartenkunst und Landschaftskultur e.V. (DGGL) Wartburgstraße 42 10823 Berlin www.dggl.org

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Editorial

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7 Am 9. November eröffnete in Berlin der „Platz des 9. November 1989”, der an den Mauerfall erinnert. Geplant hat ihn das Berliner Büro sinai. Faust. Schroll. Schwarz.

12 Landschaftsarchitekten haben die große Chance, ihren Stellenwert zu verbessern. Sieben Punkte zur Entwicklung des Berufsstands. Im Bild: Parque Amelia in São Paulo.


Perspektiven

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Wie geht´s weiter? Juliane Schneegans Tendenzen zu künftigen Aufgaben der Landschaftsarchitekten

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Stark wie nie – sieben Punkte, die optimistisch stimmen Martin Prominski Gute Zeiten für Landschaftsarchitekten

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Führungskraft mit Weitblick Joseph E. Brown Mit Verantwortung und Engagement in Großprojekte

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Außenperspektive Wolfram Höfer Die Entwicklung in den USA als Trend für Deutschland

Urban Design Projekt Produkte

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GaLaBau Praxis Produkte Recht

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Unter freiem Himmel Sonderveröffentlichung Fokus Nachrichten Tagungen Campus Termine Wettbewerbe DGGL Nachrichten Autoren, Vorschau, Nachtrag, Impressum

37 44 45 49 54 54 58 64 64

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Moderieren und Konflikte lösen Dieter Frauenholz, Heidi Sinning Mit kooperativen Verfahren bedarfsgerecht planen

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Reiche Ernte für die Stadt Katrin Bohn, Undine Gieseke Urbane Landwirtschaft – städtische Interpretation der Kulturlandschaft

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Schrumpfen als Chance Thomas Jakob Interview mit Philipp Oswalt vom Bauhaus Dessau

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Planen im demografischen Wandel Michael Arndt Der Nachhaltigkeitscheck ESYS für Infrastrukturen

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Lernen für die Zukunft Ralf Steffen Das Wissensportfolio als Wettbewerbsvorteil

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Selbstbewusst in neue Kooperationen Antje Stokman Konversion und eine neue Stadtplanung als Chance

16 Als Landschaftsarchitekt in leitender Position bei AECOM skizziert Joseph E. Brown die Chancen der Branche für die Zukunft. Im Bild: Pier Head in Liverpool von AECOM.

19 Oft hilft ein Blick von außen, um klarer zu sehen. Die Entwicklung in den USA liefert wichtige Anhaltspunkte für die Zukunft deutscher Landschaftsarchitekten. Im Bild: Battery Park in New York.

34 Um das Heft auch bei Großprojekten endlich selbst in die Hand zu nehmen, müssen Landschaftsarchiekten selbst aktiv werden. Im Bild: Kallang Fluss in Singapur, Entwurf: Atelier Dreiseitl.

Bilder: Christoph Richter, sinai. Faust. Schroll.Schwarz., São Paulo Housing Agency, AECOM, Wolfram Höfer, Atelier Dreiseitl Titel: Robert Schäfer

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Stark wie nie – sieben Punkte, die optimistisch stimmen Die Reflexion des Woher und Wohin in der Landschaftsarchitektur zeigt den Wandel der Gesellschaft und der Stadt: die spannungsvolle Beziehung zwischen Mensch und Natur. Meine These ist, dass die Landschaftsarchitektur in den vergangenen zehn Jahren eine Stärke gewonnen hat, die sie zuvor nie hatte. Ausgangspunkt für die künftige Landschaftsarchitektur sind die folgenden sieben Aspekte, die sich in der vergangenen Dekade entwickelt haben.

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2. Ökosysteme entwerfen Lange Zeit wurde die Ökologie als beschreibende Wissenschaft verstanden, die normative Vorgaben macht. Richtiges Handeln lässt sich aus diesen Vorgaben einfach ableiten, es gibt keinen entwerferischen Spielraum. Wichtige Orientierungspunkte sind Gleichgewichts- und Klimaxstadien sowie eine Unterscheidung zwischen natürlichen und künstlichen Systemen. Erstere werden durch ihr hohes Maß an Stabilität und Harmonie positiv gesehen und der Mensch eher als Störenfried betrachtet. Das neuere Ökologieverständnis verzichtet auf diese idealisierende Sichtweise und akzeptiert den Menschen als den wichtigsten Faktor der meisten Ökosysteme. So schlimm kann er auch nicht sein, wenn man sich zum Beispiel die hohe Artenvielfalt des künstlichen Lebensraums Stadt ansieht. Die Störungen durch den Menschen können also produktiv sein für eine hohe Biodiversität. Damit wird das Management von Störungen durch den Menschen interessant – Frequenz, Intensität und räumliche Ausdehnung lassen sich gestalten. Solche bewusst entworfenen Ökosysteme leisten völlig neue Beiträge zur nachhaltigen Entwicklung. 3. Wachsende und schrumpfende Städte Überall schrumpfen Städte. Landschaftsarchitekten sind die ersten Ansprechpartner für Lösungen für die dadurch freiwerdenden Flächen. Allerdings greifen klassische Typologien wie Parks nicht, weil es dafür weder Geld noch Nutzer gibt.

São Paulo Housing Agency

1. Landschaft verstehen In der Landschaftsarchitektur hat sich ein Landschaftsverständnis entwickelt, das die Profession weiterbringt. Lange Zeit wurde Landschaft als das grüne Gegenüber der technisch gebauten Moderne verstanden. Beim Bund Deutscher Landschaftsarchitekten, BDLA, hieß es deshalb noch bis 2004 auf deren Internetseite unter der Rubrik Landschaftsarchitektur heute: „Landschaftsarchitektur schafft das Pendant zur architektonisch und technisch gestalteten Umwelt.“ Dieser dualistische, einschränkende Ansatz ist inzwischen aufgegeben zugunsten einer Haltung, die das grundsätzliche Gemachtsein unserer Umwelt bis hin zu den Naturschutzgebieten akzeptiert. Deshalb heißt es heute beim BDLA: „Die Landschaftsarchitektur der Gegenwart hat die Aufgabe, mit künstlerisch-ästhetischen und architektonischen Mitteln die spannungsvolle Beziehung zwischen Mensch und Natur kompetent zu definieren. Dabei durchdringen ökologische und ästhetische Aspekte einander.“ Auf dieser Basis wird schnell deutlich, dass die Landschaftsarchitekten mit ihrem umfassenden Entwurfs- und Landschaftsverständnis potenziell die Führung in den interdisziplinären Teams zur Gestaltung unserer städtischen Landschaften übernehmen können. Nichts anderes meint Kees Christiaanse mit seiner These „Landschaftsarchitektur ist die Mutter des Städtebaus“, und das bestätigt sich in Projekten wie dem Port Lands Estuary in Toronto.

Martin Prominski/imke woelk & partner

Martin Prominski


Michael Van Valkenburgh Associates

Das New Yorker Landschaftsarchitekturbüro Michael Van Valkenburgh Associates leitete 2007 beim Wettbewerb „Lower Don Lands“ in Toronto das siegreiche Team aus zehn Fachdisziplinen.

Beim Wettbewerb „Topographie des Terrors“ zur Berliner Gedenkstätte der NS-Gräuel wollten Martin Prominski und die Architekten imke woelk & partner den provisorischen Charakter des Ortes durch Vegetationsmanagement beibehalten.

Für den Parque Amelia in einer informellen Siedlung von São Paulo wurden die Bewohner von 35 Häusern umgesiedelt.

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Moderieren und Konflikte lösen Planungsinhalte und Gestaltungsvorschläge müssen bedarfsgerecht sein und verständlich vermittelt werden. Deshalb sollten Landschaftsarchitekten künftig mehr kooperative Verfahren einsetzen. Notwendig dafür sind Kenntnisse der kommunikativen Planung, Moderation und Konfliktregelung.

Eine alternde Gesellschaft, klamme Kommunen und Multikulturalität stellen die gewohnten Verfahren und Leistungen in der kommunalen Freiraumplanung in Frage. Städte und Gemeinden müssen deshalb ihre Selbstorganisation ausbauen, um so neue Potenziale zu erschließen. Gleichzeitig kommen sie damit dem modernen Leitbild einer kooperativen und bürgerorientierten Kommune näher. Einen theoretisch-konzeptionellen Rahmen für diese Veränderung bietet der Ansatz der Urban Governance. Mit Governance sind allgemein Regelungsformen, Prozesse und Organisationsstrukturen zwischen öffentlichen und privaten Akteuren gemeint. Ziel ist es, dass die öffentliche Hand, Wirtschaft und Bürgerschaft transparent und partnerschaftlich zusammenarbeiten, um Aufgaben zu bewältigen und gemeinsam Lösungen zu entwickeln. Trends und Herausforderungen aufgreifen Die Schlagworte „weniger, älter, bunter, ärmer und einsamer“ kennzeichnen den generellen Trend in der Bevölkerungsentwicklung. Daraus ergeben sich Fragen für die künftige Freiraumentwicklung: Wie lässt sich das Angebot an Freiräumen angesichts der engeren finanziellen Spielräume aufrechterhalten und den veränderten Ansprüchen anpassen? Wie sehen altersgerechte Freiräume aus? Wie kommt man den Anforderungen einer multikulturellen Gesellschaft auch im öffentlichen Raum nach? Freiraumentwicklung ist ein zentrales Instrument, wenn es darum geht, Stadtviertel und deren Image aufzuwerten. Insbesondere in innenstadtnahen Quartieren stellt sich die Frage, wie attraktiv gestaltete und gut nutzbare Freiräume die Wohnqualität verbessern, und so Reurbanisierungstendenzen nutzen können.

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Dies hat man beispielsweise beim Stadtumbau erkannt. Häufig entstehen durch Rückbau und Abriss neue Freiräume, die – sofern sie attraktiv und nutzergerecht gestaltet sind – neue Qualitäten bieten. Die Freiraumplanung kann maßgeblich dazu beitragen, dass Um- und Rückbau als positiver Wandel wahrgenommen und erlebt wird. Insbesondere im großflächigen Einzelhandel aber auch bei Freizeitanlagen werden Freiräume zunehmend privatisiert. In Einkaufspassagen, Shopping-Centern und Freizeitparks bestimmen die Eigentümer, was zulässig ist. Dem steht das Bedürfnis nach öffentlichen Räumen entgegen, die sich Menschen selbstbestimmt aneignen können und die durch ihren unbeschränkten Zugang wichtige gesellschaftliche Funktionen erfüllen. Bei der Gestaltung öffentlicher Freiräume bezieht man immer häufiger die Menschen ein, auch, um Legitimation, Akzeptanz und Nutzerfreundlichkeit der Projekte zu erhöhen. Dabei gilt es, moderne Kommunikationsformen zu nutzen, wie es bei OnlineBeteiligungs- und Informationsverfahren auf der Ebene regionaler Freiraumplanung gelungen ist, etwa zum Regionalen Flächennutzungsplan Frankfurt-Rhein-Main. Die Gestaltung von Freiräumen muss sich an den Bedürfnissen der Zielgruppen orientieren. Spezifische Bedürfnisse einzelner Nutzergruppen und ihre Lebensstile prägen ihr Verhalten. Die Planer sind gefordert, diese spezifischen Anforderungen zu erfassen, in Konzepten und Plänen zu berücksichtigen und die Nutzer am Planungsprozess zu beteiligen. Dabei ist es besonders wichtig, Planungsinhalte und Gestaltungsvorschläge anschaulich und verständlich zu vermitteln. Wie dies aussehen kann, das zeigen die folgenden zwei Beispiele: Nachdem sich die Erfurter gegen die Bebauung des Hirschgartens im Zentrum der Stadt

Christo Libuda, Lichtschwärmer

Dieter Frauenholz, Heidi Sinning


Eva Mühlbauer

Bürger eignen sich das Gelände des ehemaligen Flughafens Tempelhof in Berlin an und entwickeln in Wettbewerbsverfahren Ideen für die Nutzung.

Im Zentrum von Erfurt plante das Berliner Büro Atelier Loidl den „Hirschgarten” als Freiraum für alle Generationen.

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Schrumpfen als Chance Städte müssen den Bevölkerungsrückgang aktiv gestalten, sagt Philipp Oswalt, Direktor der Stiftung Bauhaus Dessau. Dort wo Gebäude verschwinden, entstehen Grünanlagen, andere Gebäude werden umgenutzt. Doch abseits von Modellprojekten tun sich viele Kommunen schwer, auf zurückgehende Einwohnerzahlen, älter werdende Menschen und leer stehende Geschäfte adäquat zu reagieren.

Wie lässt sich die Abwanderung von Menschen stoppen? Wir müssen uns damit abfinden, dass schrumpfende Städte zum Normalfall geworden sind. Viele Städte haben in den vergangenen Jahren Einwohner verloren. Das gilt im Übrigen für alle alten Industrieländer. Wir müssen Abschied nehmen von einer 200-jährigen Wachstumsepoche mit immer mehr Menschen, mehr Städten, mehr Wirtschaft und mehr Wohlstand. Wen trifft der Rückgang mehr: die Städte oder den ländlichen Raum? Schrumpfungsprozesse gibt es vor allem in den alten Industrieländern der nördlichen Hemisphäre, also den USA, Kanada, Japan und Europa. Dort ziehen die Menschen in die großen Metropolen wie London, Tokio oder New York, während die ländlichen Räume eher verlieren und die Gesamtbevölkerung meist leicht rückläufig ist. Wenn eine kleine oder mittelgroße Stadt Einwohner verliert, verliert auch der Einzelhandel seine Geschäftsgrundlage. Folge sind leer stehende Geschäfte und verödete Stadtkerne. Leerstand hat nicht immer etwas mit zurückgehenden Einwohnerzahlen zu tun, sondern auch mit veränderten Strukturen, anderen Nutzungen und anderen Standortpräferenzen. Denken Sie an die Zunahme des Onlinehandels. Zudem lassen sich etwa viele mittelgroße Hotels oder Einzelhandelsgeschäfte nicht mehr wirtschaftlich betreiben oder die dafür benötigte Fläche reicht in dem bestehenden Gebäude nicht aus.

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Und: Wenn in einem Ort die Einwohnerzahlen zurückgehen, heißt das nicht, dass auch in der Region die Bevölkerungsentwicklung rückläufig ist. Schrumpfung hat häufig auch mit regionalen Verlagerungsprozessen zu tun. Viele Kommunalpolitiker reagieren hilflos auf Schrumpfungsprozesse oder verdrängen sie sogar. Stattdessen weisen sie neue Baugebiete aus in der Hoffnung, dass sich doch eine Firma ansiedelt und der eine oder andere Neubürger kommt. Das Wichtigste ist, dass man der Schrumpfung mit einem gewissen Realismus begegnet. Zum Glück wird Schrumpfung kaum noch tabuisiert, sondern man diskutiert offen darüber. Das ist ein großer Fortschritt. Die klassische Planungspolitik ist auf Wachstum ausgerichtet. Bis in die 1970er-Jahre war vielfach der Staat Bauherr. Seit dem Aufkommen des Konzepts der unternehmerischen Stadt konzentriert er sich auf den Ausbau von Infrastruktur und Baurechten. So hofft er, private Investoren anzulocken. Diese Zeiten sind vorbei. Bund, Länder und Gemeinden haben weitaus weniger Geld als früher. Private Auftraggeber, die in Schrumpfungsgebieten investieren, sind kaum vorhanden und wenn es sie gibt, dann haben sie Schwierigkeiten, Geld von den Banken zu bekommen. Kommunen müssen also mit anderen Akteurskonstellationen arbeiten. Bei der IBA Stadtumbau haben wir vor allem kleine, aber viele finanziell schwache Akteure zusammengebracht. Diese mussten auf andere Ressourcen zurückgreifen, etwa auf soziales oder kulturelles Kapital wie Engagement. Bestehende Institutionen haben sich vernetzt und auf ein gemeinsames Ziel verständigt. Wir haben es dort mit Moderationsprozessen zu tun, mit Profilierungsprozessen. Man verständigt sich auf

machbare Ziele und setzt sie in kooperativen Netzwerken um. Das können räumliche Projekte sein, etwa die Nutzung von Brachen nach dem Abriss von Gebäuden, Bildungsprojekte, Nutzungsänderungen oder auch ein Neubau. Es geht zunächst um ein anderes Verständnis von Planung. Wie schaffen es Kommunen, solche Prozesse zu initiieren? Schwierig ist es, Experten von außen einzufliegen, die dann sagen, was im Ort passieren soll. Wenn man sich nur auf den Blick von außen verlässt, fehlt der Blick für die lokale Besonderheit, die Mentalität und die speziellen Akteurskonstellationen. Bei der IBA Emscher Park waren einige Leuchtturmprojekte von außen aufgepfropft, das hat langfristig nicht funktioniert. Bei der IBA Stadtumbau haben wir eine Doppelstrategie verfolgt. Zum einen lernen die Kommunen voneinander. Wie macht das die Stadt X, wie die Gemeinde Y? Und dann gibt es das Coachen. Denn ohne den Blick von außen fällt es schwer, sich von bestimmten Sichtweisen zu lösen. Letztlich geht es darum, Wissen von außen mit dem lokalen Wissen zu koppeln. Für Gegenden, in denen kaum noch jemand wohnen wollte, gab ja eine zeitlang die Idee, die Menschen abzusiedeln und die Gebiete zu Wildnisgebieten zu erklären. Das funktioniert nicht, wie man an den Widerständen bei der Absiedlung für Tagebaugebiete sieht. Es gibt immer einige, die so sehr mit ihrer Heimat verbunden sind, dass sie diese nicht aufgeben möchten. Einige Orte verlieren zwar dramatisch an Einwohnern, viele Menschen wollen dort aber weiterhin wohnen. Dass ein Ort ganz aufgege-


Der Architekt Philipp Oswalt ist seit 2009 Direktor der Stiftung Bauhaus Dessau.

Was die Kommunen dabei umtreibt, sind die horrenden Kosten für die bestehende Infrastruktur. Auch alternative Versorgungskonzepte benötigen Geld, das nicht da ist. Nach wie vor werden große Infrastrukturprojekte realisiert, bei deren Finanzierung Bund, Länder und Gemeinden an ihre finanziellen Grenzen und darüber hinaus gehen. Es gibt aber auch Kommunen, die sind schon weiter. Im Rahmen eines Symposiums am 2. September in Stendal haben Raumpioniere aus dem In- und Ausland von ihren Projekten und Erfahrungen berichtet, wie sie in dünn besiedelten Regionen die Daseinsvorsorge anders gestalten oder gleich selbst in die Hand nehmen. So sollte in der Nähe von Dresden eine Gemeinde an das zentrale Abwassersystem angeschlossen werden. Trotz starker Förderung war das einigen Eigentümern aber immer noch zu viel Geld. Sie weigerten sich und organisierten eine eigene Abwasserentsorgung. Diese war schließlich, obwohl nicht gefördert, immer noch günstiger als die eigentlich geplante. Im Bildungsbereich kann man nicht einfach

Schulen schließen, nur weil es weniger Kinder gibt und gleichzeitig den Nahverkehr ausdünnen, auf den die Kinder angewiesen sind, um an eine andere Schule zu gelangen. Man kann aber auch Klassenstufen zusammenfassen oder die Schulbildung mit der Erwachsenenbildung zusammenlegen und so eine moderne Art der Dorfschule schaffen.

Auch den öffentlichen Nahverkehr muss man neu organisieren. Wenn der Bäcker ohnehin durch die Gegend fährt, warum darf er dann keine Fahrgäste mitnehmen? Oder man organisiert Bürgerbusse. Wir müssen offen sein für Neues, weil Vieles nicht mehr so zu organisieren ist wie bisher. Interview: Thomas Jakob

Tomsk/pixelio.de

ben und zur Wüstung wird, das gibt es nur sehr selten. Die Frage ist, wie man die staatliche Daseinsvorsorge bei wesentlich geringerer Bevölkerungsdichte aufrechterhalten kann. Schrumpfung bedeutet nicht weniger von etwas, sondern dass man einen Modernisierungsprozess starten muss. Wir müssen uns von der Idee verabschieden, dass Innovation immer mit Wachstum verbunden ist. Innovation ist auch mit Schrumpfung verbunden. Wir brauchen ein anderes Verständnis dafür, wie Staat, Wirtschaft und privaten Akteure zusammenarbeiten. Es geht darum, Daseinsvorsorge anders zu gestalten als bisher.

Leerstand ist nicht immer Folge des Bevölkerungsrückgangs. Auch Nutzungsänderungen, Standortpräferenzen oder wirtschaftliche Strukturen können Ursache sein.

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