Garten und Landschaft 12 2012

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Dezember 2012

Garten+

Landschaft Zeitschrift f端r Landschaftsarchitektur

La Villette und die Folgen


Inhalt 12/2012

Das Ende der Serie „12 Jahrzehnte Garten + Landschaft“: In den 2000er-Jahren kristallisierten sich aktuellen Tätigkeitsfelder der Landschafts­ architektur heraus (Seite 34). Im Bild: Die Isar in München.

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Aus: Garten + Landschaft 12/2003

La Villette und die Folgen

Verlag: Callwey Verlag Streitfeldstraße 35 D-81673 München Fon +49 89 /43 60 05-0 Fax +49 89/43 60 05-113 www.garten-landschaft.de

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Manhattan Exports – der Parc de la Villette Ulrike Böhm, Cyrius Zahiri Eine unübliche Herangehensweise an Landschaftsarchitektur

Neue Stadtnatur für das Dreiländereck Thomas Armonat Landschaftskongress zur IBA Basel 2020 am 19. Oktober

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Kein Vorbild moderner Landschaftsarchitektur – ein Zwischenruf Peter Latz Dem Entwurf für La Villette fehlen ökologische Prinzipien

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Bundesweit einheitlich kompensieren Kerstin Berg, Mario Kahl Eine neue Verordnung soll die Eingriffsregelung grundlegend reformieren

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Gehasst, verachtet, imitiert: und doch ein Volkspark Stefan Tischer Eine Arbeitsmethodik als wichtige Referenz

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Blümchendeko und zu wenig Selbstvertrauen Susanne Isabel Yacoub 44. Verleihung der Peter-Joseph-Lenné-Preise in Berlin

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Landschaft als Teil des kulturellen Diskurses Martin Rein-Cano, Thilo Folkerts Eine neue Kommunikationskultur für die Profession

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Wer nicht zu staunen vermag, der kann kein Gärtner sein Thomas Armonat Weihenstephaner Symposium zur Pflanzenverwendung

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Von Fröschen zu Folies Frederick Steiner Rückzug der Ökologie aus der nordamerikanischen Landschaftsarchitektur

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Das kalte Grauen Thomas Jakob Ausstellung „Intensivstationen. Alpenansichten von Lois Hechenblaikner“

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Parks in Dänemark – Einflüsse von La Villette Annemarie Lund Ein neues Verständnis für das Leben in der modernen Stadt

Editorial

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Zur Verteidigung der Lemminge Robert Schäfer

Journal

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4 Mit der IBA Basel soll bis 2020 der Landschaftsraum entlang des Rheins umgestaltet und besser nutzbar werden.

9 Im Alpinen Museum in Bern zeigt der Fotograf Lois Hechenblaikner in einer Ausstellung die massentouristische Aufrüstung der Berge.

10 Die Wettbewerbsbeiträge von Bernard Tschumi und Rem ­Koolhaas für den Parc de la Villette in Paris brachen mit den vor 30 Jahren gängigen Entwurfsmustern für Parks.

18 Im Gegensatz zum Parc André Citroën in Paris (im Bild) ent­ wickelte sich La Villette zu ­ einem Volkspark für alle sozialen Schichten.

24 Das Entwurfskonzept für den Parc de la Villette beeinflusste auch die Landschaftsarchitekten in Nordamerika. Einer davon ist James Corner, der die High Line in New York (im Bild) gestaltete.

GaLaBau Praxis Urban Design

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12 Jahrzehnte Garten + Landschaft Nachrichten Fokus Best Products Wettbewerbe DGGL Nachrichten Autoren, Vorschau, Nachtrag, Impressum

34 38 41 49 58 64 64

30 Sven-Ingvar Andersson entwarf für La Villette eine große offene Fläche. Realisieren konnte er sie später auf dem Museumplein in Amsterdam (im Bild).

Herausgeber: Deutsche Gesellschaft für Gartenkunst und Landschaftskultur e.V. (DGGL) Wartburgstraße 42 10823 Berlin www.dggl.org 122. Jahrgang Bilder: IBA Basel 2020, Lois Hechenblaikner, Alexandre Duret-Lutz, Benjamin Dumas, Friends of the High Line, Dave Sag Titel: Skizzen von Bernard Tschumi zu La Villette, Aus: Rattenbury Hardingham SuperCrit, Seite 20/21

Für die Zukunft gestalten. 2

Garten + Landschaft

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Manhattan Exports – der Parc de la Villette Wer einen etablierten Kanon in Frage stellt, muss mit einer Kontroverse rechnen. Die Architekten Rem Koolhaas und Bernard Tschumi verweigerten sich mit ihren Entwürfen für den Pariser Parc de la Villette einer lieblichen Rezeption

In Diagrammreihen, die Bernard Tschumi für den Parc de la Villette anfertigte, verband er Ereignis, Raum und Bewegung als „cinema­ tische Sequenz“. Aus: Kester Rattenbury, Samantha Hardingham: Bernard Tschumi – Parc de La Villette: SuperCrit #4; New York 2011, Seite 23

des Sujets. 30 Jahre später sind ihre Wettbewerbsbeiträge Teil des Entwurfskanons der Landschaftsarchitektur.

Ulrike Böhm, Cyrus Zahiri Raum (= Fläche) jeweils ein eigenes Grund­ thema zuordnet. Die Schichten bleiben von­ einander unabhängig – eine gegenseitige Rücksichtnahme soll weitgehend vermieden werden. Mit ihrer Überlagerung entstehen zufällige Kollisionen und entsprechend un­ erwartete Eindrücke. Tschumi zufolge dient der gewählte Entwurfsansatz dazu, ein komplexes Gefüge zu entwickeln, ohne auf traditionelle Regeln der Komposition, Hier­ archie und Ordnung zurückzugreifen. Außen homogen, innen diversifiziert Koolhaas beschreibt den Entwurf für den Parc de la Villette als Gelegenheit, sich mit der „Kultur der Verdichtung“ auseinander­ zusetzen. Wie Tschumi bezieht er sich auf eine frühere theoretische Unter­suchung: In „Delirious New York“ (1978) ­erläutert er die Entstehungsmechanismen Manhattans aus der Perspektive eines nachträglich verfass­ ten Manifests. Im Mittelpunkt steht der in Manhattan entstandene Hochhaustyp als Ergebnis wirtschaftlich-technischer, soziokultureller und städtebaulich-rechtlicher Randbedingungen. ­ Nach außen hin homogen und einheitlich ausgebildet, fasst er im Inneren vom Schwimmbad über Clubs bis zu Wohnungen eine breite Mischung an unterschiedlichen Funktionen zusammen. Organisiert und strukturiert wird diese Mischung über eine Stapelung von Etagen mit jeweils eigener

Aus: Rattenbury Hardingham SuperCrit, Seite 20/21

Inspiriert durch das Medium Film sowie die Texte und Zeichnungen des russischen Fil­ memachers Sergej Eisenstein, untersuchte Bernard Tschumi in Diagrammreihen die Verbindung zwischen Ereignis, Raum und Bewegung. In der Untersuchung „Screen­ play“ von 1976 werden dazu reale Bewe­ gungen und Ereignisse mit Mitteln wie ­Verzerrung, Wiederholung, Trennung oder Überlagerung in unterschiedliche räumliche Sequenzen überführt. Dieser Ansatz wird ­ in den Manhattan Transcripts (1976 bis 1981) weiterentwickelt. Die Untersuchun­ gen l­ösen konventionelle Komponenten ­­ des räumlichen Entwurfs aus ihren Verwen­ dungs- und Sinnzusammenhängen und er­ proben mögliche Rekombinationen. Ziel ist es, ein eigenständiges Entwurfsrepertoire zu entwickeln, das Raum, Bewegung und Ereignis als unabhängige Einheiten respek­ tiert und ihre Wechselbeziehung weniger streng organisiert. Tschumi löst dazu die Grenzen zwischen architektonischen, land­ schaftsarchitektonischen und städtebau­ lichen Sichtweisen auf. Gleichzeitig weist ­ er kritisch auf die Verknüpfung von Arbeits­ methoden und Entwurfs­findung hin. Tschumis konzeptionelle Untersuchungen bilden den Ausgangspunkt für seinen Wett­ bewerbsbeitrag. Für den künftigen Park schlägt er ein Bezugssystem aus drei unter­ schiedlichen Schichten vor, denen er mit ­Ereignis (= Punkt), Bewegung (= Linie) und

Mit seinem Beitrag zum Parc de la Villette in Paris erprobte Tschumi eine Reihe von neuen Entwurfs­ prinzipien, die sich vom klassischen Repertoire der Landschaftsarchi­ tektur unterschieden. Für seine Untersuchungen „Screenplay“ und „Manhattan Transcripts“ ließ sich Tschumi von Sergej Eisensteins Diagrammen zu Bildausschnitt, Musik, Bildkompo­ sition und Bewegung inspirieren. Aus: Felix Lenz: Sergej Eisenstein – Montagezeit: Rhythmus, Formdramaturgie, Pathos; München 2008, Seite 281

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: t r e i t i m i , t e t h c rk a p s k l Gehasst, vera o V n i e h oc d e d n E m a d un

kygp/flickr.com

Villette: dem Parc de la nzept hinter Ko s da n lagern, ge ge chten zu über her Vorbehalte d formale Schi un he Trotz anfänglic lic um atische, rä . ethodik, them ftsarchitektur Die Arbeitsm der Landscha in nz re fe Re eine wichtige ist heute noch

Stefan Tischer

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Trotz anfänglicher Zweifel hat sich der Parc de la Villette dank seines offenen Konzepts über die Jahre zu einem echten Volkspark für alle sozialen Schichten entwickelt.

Adam Gimpert

Stefan Tischer (5)

Der Bambusgarten, gestaltet von Alexandre Chemetoff, ist einer der bekanntesten Themengärten im Parc de la Villette. Von aufgeständerten Metallstegen kann man ­hinunter in eine „Schlucht“ mit Bambuspflanzen sehen.

Der erste Besuch des Parc de la Villette während und kurz nach seiner Fertigstellung war für jeden deutschen Landschaftsarchitektur-Studenten und Landschafts­ architekten ein Schock: nie gesehene ­Materialien, in Masse und extrem komplex eingebaut, die scheinbar konfuse aber massive Verwendung von gruseligen ­Gehölzen wie der Blaufichte. Wie konnte es nur so etwas geben, was jeder gängigen Lehrmeinung und allem, wofür man meint zu stehen, total widerspricht im angeblich wichtigsten Park des ausgehenden 20. Jahrhunderts?! Aber dieser „Overkill“ an Materialien war genauso notwendig wie die exaltierte Pflanzenverwendung. Der Landschaftsarchitekt, der sich noch in den späten 80er-Jahren fast schämte, sich als solcher zu bezeichnen, war „der Welt abhanden gekommen“, allerdings weniger im positiv-kontemplativen Sinne Rückerts und Mahlers, sondern in seiner gesellschaftlichen Relevanz. Er folgte seiner Grundkompetenz nicht mehr, experimentell und innovativ Freiräume zu gestalten.

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Andrew Duthie/flickr.com

vincen-t/flickr.com

Für Paris typische moderne Parks wie der Parc André Citroën orien­ tieren sich nach innen und sind nach außen abgegrenzt. Pflanzen bilden dekorative Elemente, keine natürlichen, lebendigen Lebens­ räume.

Die niederländischen Landschafts­ architekten Bureau Bakker and Bleeker (heute B + B) kamen mit ihrem ökologisch und auf den Menschen ausgerichteten Wett­ bewerbsbeitrag für La Villette ­unter die letzten neun Teilnehmer. Grafik: Aus Garten + Landschaft 5/1983

Von Fröschen zu Folies Die Entwürfe von Bernard Tschumi und Rem Koolhaas beeinflussten auch den Landschaftsarchitekturdiskurs in den USA. Die Ökologie, einst Herzstück der Profession, wurde in den Hintergrund gedrängt.

Frederick Steiner Landschaftsarchitektur möchte ein Gleich­ gewicht schaffen zwischen der Natur und dem, was der Mensch ihr durch seinen Willen aufzwingt. In den Jahren 1982 und 1983, als der internationale Wettbewerb zum Parc de la Villette stattfand, beschäf­ tigte sich die Landschaftsarchitektur zu­ nehmend mit dem Thema Ökologie – was oft zu Lasten von guter Gestaltung ging. Dieser Wettbewerb wurde jedoch von for­ malen Entwürfen dominiert, diesmal auf Kosten einer Gestaltung in Einklang mit der Natur. Die beiden einflussreichsten Entwürfe der neun Endrundenteilnehmer kamen von dem Schweizer Architekten Bernard Tschu­ mi mit Büros in Paris und New York sowie 24

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dem niederländischen Team um Rem Kool­ haas’ Office of Metropolitan Architecture (OMA). Tschumis Entwurf gewann und wur­ de umgesetzt. Damit verlagerte sich der Schwerpunkt der Landschaftsarchitektur von McHarg zu Derrida, von Fröschen zu Folies und von Grün zu Rot. Tschumis Ent­ wurf lässt die Natur hinter sich und schafft Flächen jenseits von menschlicher Intimität, setzte sich zugleich aber auch über das seit über einem Jahrhundert gesammelte Wissen zur Parkgestaltung mittels großer architektonischer Gesten hinweg. Die niederländischen Landschaftsarchitek­ ten Bureau Bakker and Bleeker zählten ebenfalls zu den Endrundenteilnehmern, standen jedoch im Schatten der Entwürfe

von Tschumi und OMA. Sie präsentierten einen ökologischeren und mehr auf den Menschen bezogenen Vorschlag, der eine interessante Alternative gewesen wäre, aber nicht zum Zug kam. Dennoch brachte das heutige Bureau B + B Architekten wie Winy Maas, Adriaan Geuze und Michael van Gessel hervor. Die Konzepte von Tschu­ mi und OMA hatten auch in den USA gro­ ßen Einfluss auf die jungen Theoretiker der Landschaftsarchitektur (und Architektur), insbesondere auf James Corner. „Das einflussreichste Projekt, das ein neues Verhältnis von Architektur und Land­ schaftsarchitektur hervorgebracht hat, war Bernard Tschumis Parc de la Villette in Pa­ ris“, schrieb Corner in der Einleitung seines Garten + Landschaft

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