Hosch, Traumhäuser in den Alpen

Page 1

TR AUM

HÄUSER

IN DEN

ALPEN ALEX ANDER  – HOSCH Dies ist eine Leseprobe

Alle Rechte vorbehalten. Kontaktieren Sie uns, falls Sie das PDF weiter verwenden möchten: info@callwey.de



I N H A LT

4 – 11

EINLEITUNG

3

94 – 99

12 – 19

VILLA SOLAIRE

100 – 105

CHESA VI

106 – 111

CASA TRA LE CASCINE

112 – 117

CASA DELLA BOTTERE

118 – 123

MAISON GERMANIER

124 – 129

CASA VULP

130 – 137

ALPSK A KOCA

138 – 145

CL AVO

146 – 151

H AU S FO N TA NE L L A

152 – 159

CHALET LANEL

160 – 165

CHALET J

166 – 173

CAS A A S ANT ‘AB BONDIO L A G O M A G G I O R E– 20 12 W E S P I D E M E U RO N RO M EO

84 – 87

ALPENCHALET WA LC H EN S EE– 20 11 /20 1 5 A R N O L D W ER N ER

88 – 93

CHESA BÜSIN S I LVA P L A N A– 20 0 5 H A N S - J Ö RG RU C H

RIFUGIO B ERG EL L– 20 1 4 H A N S - J Ö RG RU C H

P R A Z- S U R-A R LY– 20 12 L I O N EL J A D OT

76 – 83

C A S A D‘ E S TAT E L I N E S C I O – 20 1 0 B U C H N ER B RÜ N D L ER

C O R D O N – 20 11 F U H R I M A N N H Ä C H L ER

72 – 75

DIE LEISHÄUSER VA L S – 20 0 9 U N D 20 13 P E T ER Z U M T H O R

G RO S S E S WA L S ER TA L– 20 13 B ER N A R D O B A D ER

66 – 71

HAUS ST T EG ER N S EER TA L– 20 11 J A N R E U T ER

L A I N – 20 12 H A N S - J Ö RG RU C H

60 – 65

CHESA DE LA PUNT S I L S M A R I A– 20 1 4 A R M A N D O RU I N EL L I

S TA R A F U R Z I N A– 20 0 9 O FI S A RC H I T EK T I

54 – 59

S TA MPFL E HMH AU S S C H L I N S – 20 0 9 RO G ER B O LT S H A U S ER

S C U L M S – 20 07 ANDRE A BAR ANDUN

50– 53

H O L Z K RIS TA L L L U M B R EI N – 20 1 0 H U RS T S O N G

V É T ROZ– 20 0 9 S AV I OZ FA B R I Z Z I

44 – 49

ALPAGE E V O L ÈN E– 20 0 5 D E VA N T H ÉRY L A M U N I ÈR E

T R E V I S O – 20 11 J O H N PAW S O N

40 – 43

HAUS Z B AY R I S C H Z EL L– 20 1 4 B EM B É D EL L I N G ER

C A S TA S EG N A– 20 13 A R M A N D O RU I N EL L I

34 – 39

MASI BARBINI P U S TATA L /G A D ER TA L– 20 07/20 0 9 S T EP H A N D EL L A G O

S C O U L– 20 13 JON ARMON R AUCH

26 – 33

HAUS IM MARKTFELD AT T EN H A U S EN – 20 07 FLO R I A N N A G L ER

M O R Z I N E– 20 12 JK A

20 – 25

CHALET 7 B A D G A S T EI N – 20 12 K U EH N M A LV E Z Z I

TR AUM – H Ä U S ER I N D EN A L P EN

174 – 1776

GLOSSAR, IMPRESSUM


4


EINLEITUNG

T R AUM – HÄUSER IN DEN AL P EN

5

Kobra, übernehmen Sie! Mit dieser Aufforderung begannen in den 1970er-Jahren die deutschen Folgen der Fernsehserie »Mission: Impossible«, in denen ein Team von freiberuflichen Geheimagenten jeweils unmögliche Regierungsaufträge löste. In Graubünden hieß es in den letzten 15 Jahren immer wieder: Ruch,

übernehmen Sie! Dabei ging es nicht um Mord oder Spionage. Sondern um unlösbare Aufgaben in der Architektur: Häuser, die eigentlich nicht zu retten sind. Projekte somit für Hans-Jörg Ruch aus St. Moritz (Abb. 1). Er hat sich rund ums Engadin seit den 1990er-Jahren einen Namen für behut1

same und gewissenhafte Renovierungen gemacht . Protz am Bau mag er nicht, auch kein bijouhaftes Getändel. Stattdessen stellt er seine Auftraggeber erst einmal auf die Geduldsprobe. Denn manche der früheren Höfe oder Bürgerhäuser unter dem Piz Corvatsch, Piz Nair oder Piz Bernina, die nun Ferienhäuser werden sollen, stammen aus dem Mittelalter. Ruch geht ihnen auf den Grund – mit Gesteinsanalysen und Dendrochronologie (der exakten Feststellung des Einschlagsjahrs jeder Holzschicht), mithilfe von Denkmalbehörden, Dorf- und Familienchroniken, mit Spezialwissen über die historische Landwirtschaft und die Anlage der Stuben in der Region. Seine »Archiologie« ist eine virtuose Mischkunst aus Recherche und Technik. Sie steht vor jeder Entscheidung, was etwa künf2

tig aus einem Talvo (Heulager), Cuort (Zugang zum Viehstall) oder Sulèr (eine Art Diele) werden 3

soll. Einmal schälte Ruch einen vergessenen 16 Meter hohen Turm aus dem Jahre 1305 aus einem historischen Haus. Er steckt noch immer drin, aber nun ziert in der Chesa Madalena seine offen 1

liegende Steinwand den Betrieb einer zeitgenössischen Galerie in Zuoz (Abb. 2). Viele der oft prominenten Bauherren aus ganz Europa haben nur im Dezember Zeit, ins Engadin zu kommen. Ab September kann man Ruch deshalb fast täglich – Schlamm an den Schuhen, Lehm an der Stoßstange – auf irgendeinem Gerüst antreffen, während typischerweise gerade ein anderer Auftraggeber anruft, der ihn zwei Orte weiter – sofort! – auf die eigene Baustelle lotsen möchte. Denn bald ist Weihnachten, und dann muss das neue Ferienhaus für die geruhsamen Winterferien der Familie fix und fertig sein. Drei von Hans-Jörg Ruchs besten Projekten sind hier ausgewählt. Bei der Chesa Büsin (S. 88 ff.), einem steinernen alten Bauernhaus am Fuße des Julierpasses, 4

holte er das Echte und Wahre aus dem Stoff der Jahrhunderte. Der Clavo (S. 54 ff.) ist dagegen ein 1–

»gestrickter« alter Rundholzstall, der mithilfe von Beton und Bitumen in ein ganzjährig bewohn-

Hans-Jörg Ruch im Dezember

bares Haus verwandelt wurde. Das Bergeller Rifugio (S. 166 ff.) schließlich ist kompromisslos und

2014 auf der Dachplattform des Rifugio im Bergell.

5

nagelneu: aus Ur-Waschbeton. Es wurde eines seiner forderndsten Häuser überhaupt. Nur einem Problem entging der Architekt: dieses Haus musste nicht an einem 20. Dezember einzugsbereit sein –

2–

es ist sein eigenes Hideaway.

Der steinerne Wohnturm von 1305, den Ruch in der Chesa Madalena fand und freilegte, ist 16 Meter hoch.

1

Bild links –

2

Vgl. »Das Erweckungserlebnis«, in: AD Architectural Digest, 65, Januar 2006, S. 204ff., und »Der Archiologe«, in: AD Architectural Digest, 55, Januar 2005, S. 58ff.

Archaik und Moderne: Hinter

D ie Begrifflichkeiten traditioneller Höfe werden erklärt in den Texten des Bands »Historic Houses in the Engadin. Architectural Interventions by Hans-Jörg Ruch«, Göttingen 2009.

diesen alten Tessiner Brettern

3

Vgl. S. 97 in: Architekturführer Schweiz. Die besten Bauten des 21. Jahrhunderts, München 2015.

und Steinen versteckt sich ein

4

Vgl. Jean-Marie Martin: »L’intelligenzia, la sobrietà e l’eleganza dei restauri di Hans-Jörg Ruch. Da un fienile una casa dei grigioni«,

5

Vgl. Giovanni Crespi: »Beton Suisse«, in: Casabella, 847, März 2015, S. 76ff.

Sichtbeton-Interieur. (Casa d´Estate, S.160 ff)

in: Casabella, 830, Mailand, Oktober 2013, S. 20ff.


6

Ganz in der Nähe baut Armando Ruinelli, der jenseits des Malojapasses wohnt. Dort fügt er seinem Heimatort Soglio seit 30 Jahren immer neue Verbesserungen des Bestands an – aus Lärchenholz, aus Naturstein, fein geschliffen, gesägt oder gehämmert, ergänzt mit Beton, Stampflehm oder Fexerplatten aus dem nahen Steinbruch über dem Silsersee. Ruinelli restaurierte schon Kirche, Friedhof, Palazzi, Hotels, vollzog Stallumnutzungen und schob neue Wohnhäuser zwischen gestrickte Stadel. Eines der schönsten Gebäude des über 1000 Meter hoch gelegenen Dorfs mit nur 170 Einwohnern ist sein eigenes Atelier von 1988 aus dem für Fassaden selten genutzten Kastanienholz (Abb. 3). Auch Ruinelli setzt seine Prinzipien ohne Stildogma um. Lösungen entstehen immer zusammen mit Handwerkern. »Dabei bin ich eigensinnig. Ich denke oft sehr lang über eine Idee nach, und gebe mich auch nicht zufrieden, wenn die Spezialisten sagen: Das geht nicht. Oft geht es 3

3–

Das Atelier von Armando Ruinelli in Soglio.

am Ende nämlich doch, man hat nur noch nicht lange genug nachgedacht.« Ähnlich wie es der 1966 6

verstorbene Bildhauer Alberto Giacometti einst ausdrückte , der ebenfalls im Bergell aufgewachsen ist, führte das scheinbare Fehlen von Abwechslung in der abgelegenen Region auch im Falle Ruinellis zu einer unendlich feinsinnigen Beachtung von kleinsten Nuten und Kerben in den Steinen, von Farbnuancen in den Wiesen, den Feldern, den Bäumen, den kleinen Dörfern und Städten. Einer wie Ruinelli horcht den Hölzern nach oder vermisst mit einem siebten Sinn die Räume der im Bergell 7

typischen Cascine, Crots und Stallscheunen (Abb. 4). Manchmal schlägt er vor, ein Volumen nur zu sichern, um es einfach als überdachten Kaltraum zu be4–

8

lassen – so wie den Stall neben seinem bekanntesten Werk ,

Eine von Ruinelli

dem unauffällig integrierten, preisgekrönten Atelier und

fotografierte typische

Wohnhaus eines Fotografen am oberen Ende von Soglio. Aus

Stallscheune.

Altem und Neuem wird bei Armando Ruinelli oft ganz einfach etwas Drittes: das Angemessene. Wir zeigen seine beiden jüngsten Projekte: ein großes Wohnhaus in Sils Maria (S. 138 ff.), das aus einem Steinstall entstand, und ein kleineres in Castasegna, das inmitten von Kastaniendörrhäusern steht, nahe der italienischen Grenze (S. 26 ff.). Knapp 50 Kilometer weiter nordwestlich (Luftlinie) sind Val Lumnezia – wegen Gion A. Caminadas Bauten in Vrin – und Valsertal Wallfahrtsstätten für Freunde guter traditioneller und herausragender neuer Architektur geworden. Im Flecken Lubrein haben die Zürcher Alex Hurst und Suzanne Song ein solitäres Einfamilienhaus zwischen Wiesen, Weiden, Wäldern und Gipfeln erbaut, das sie Holzkristall nennen (S. 124 ff.). In Leis wiederum, einem Weiler der Gemeinde Vals, fügte Peter Zumthor unweit seines Opus magnum, der Felsentherme, eine private Ergänzung an: drei Ferienhäuser, in denen er die alte Schweizer Hüttenbauweise, den »Strick«, weiterentwickelt. Überstehende Kanthölzer geben Blockrahmen für mächtige Fenster (S. 152 ff.). Neben den bekannten Protagonisten gibt es in Graubünden solche, die quasi noch im Stillen schöpfen. 9

Jon Armon Rauch ist so einer. Der in Scuol lebende Baukünstler will anders bauen – ganz anders . Ihm missfällt es, dass die Schweizer Architektur so einseitig rational und funktional ist. Den vielen Kanten begegnet er deshalb mit Kurven, Farben, Ornamenten und der Suche nach einer höheren Harmonie.

6

»Als Kind zwischen vier und sieben Jahren sah ich von der Außenwelt nur die Dinge, die geeignet waren, mir Vergnügen zu bereiten. Das waren vor allem Steine und Bäume und selten mehr als ein Gegenstand auf einmal«, Alberto Giacometti, zit. nach Monika Held: »O Soglio mio«, in: Alps, 1, Oktober 2010, S. 88.

7

Kastaniendörrhäuser und Weinkeller. Zu den verschiedenen Bautypen für Wirtschaftsgebäude, Lagerhäuser und kleine Hirtenhäuser mit Giebeldach im Bergell vgl. Nott Caviezel: »Einfach komplex«, in: De aedibus, 46, Armando Ruinelli + Partner, S. 12.

8

D as Siegerprojekt in Wolfgang Bachmann/Gerhard Matzig: Häuser des Jahres, München 2012.

9

Vgl. Alexander Hosch über Jon Armon Rauch: »Anders Bauen«, in: Alps, 26, Sommer 2015, S. 52ff.


EINLEITUNG

7

Das Tageslicht fängt er durch bewährte Techniken wie angewinkelte Fensterlaibungen, ausladende Balkone und gerundete Grundrisse ein. Mit ihrer Hilfe lockt er die Sonne bis in die letzten Winkel seiner Projekte rund um Scuol. Von dem Unterengadiner wird die umgebaute Chesa Vi vorgestellt (S. 20 ff.). Ein paar Täler weiter südlich, hinter dem San-Bernardino-Pass, liegt schon das Tessin – das Bau-Reich von Wespi de Meuron Romeo. Sie sind Spezialisten für Wohnhäuser im südalpinen Gelände, vor allem in den Hängen des Lago Maggiore. Was diese Architekten anders machen, lässt sich an dem durchlichteten neuen Schmuckstück in Sant’Abbondio (S. 76 ff.) erahnen: sie arbeiten stets mit Höhenlinienplan und lassen Häuser aus der Topografie herauswachsen. »Schon der Sonneneinfall ist unheimlich wichtig am Lago Maggiore. Hier am Ostufer gibt es weniger Licht als drüben bei Locarno oder Brissago, vor allem im Winter. Man muss also gut berechnen, wie und wo ein Bau aus dem Hang ragt«, sagt Markus Wespi. Von der anderen Uferseite führt zwischen Ascona und Locarno eine kleine Straße ins Valle Maggia und weiter in ein Seitental, immer tiefer ins Relief der Gebirgslandschaft. Hier, wo es plötzlich ganz still wird und verwunschen wie in einem fernen Dschungel, entdeckten Daniel Buchner und Andreas Bründler durch Zufall ein 200 Jahre altes Steinhaus mit Holzanbau, aus dem das »Sommerhaus«, die Casa d’Estate (S. 160 ff.) wurde: Zur traditionellen Haut kam ein roh-eleganter, skulpturaler Betonkern. Bei aller Hingabe an die Bauaufgabe schwören diese Architekten auf ihre Freiheit im Umgang mit dem Material. Beton kommt bei ihnen immer brut. Auch Buchner Bründler sind Experten für Wohnhäuser. Daneben entwerfen sie aber auch im Weltmaßstab: 2010 etwa den Schweizer Pavillon auf der Expo Schanghai. 5–

All die Aufträge für Ruch, Ruinelli, Buchner Bründler und Co. führen in eine Thematik, die 10

Ein anderes Projekt von Savioz

zuletzt den Alpentourismus umgekrempelt hat: Immer mehr Menschen, die früher mit der ganzen

Fabrizzi war 2012 das ehemalige

Familie 14 Tage im Grand Hotel gewohnt hätten, bauen nun lieber eigene Hideaways in einem alpi-

Maiensäss im Entremont-Tal.

nen Baugebiet oder gleich auf der Alp. So wurden immer mehr Bergdörfer zu Feriensiedlungen, was

Als Teil einer kleinen Gruppe dramatisch am Abhang stehen-

für Diskussionsstoff sorgte. Andererseits entstanden noch nie so viele Lifte, Gondelbahnen, Schutz-

der Häuser für den Viehbetrieb

hütten oder Bergmuseen in nachhaltigen Materialien und angepasster Farbigkeit. Der Wunsch nach

wurde die Maison Boisset mit

Angemessenheit der Architektur in den Bergen und eine Kultur des Downsizing in Zeiten platzender

ihren fassadenbündigen neuen Fenstern zum Ferienhaus mit großartigem Talblick.

Wirtschaftsblasen führte zu einem erfreulichen Nebeneffekt: dem Aufstieg der anspruchsvoll ge11

stalteten Hütte. Die Casa Vulp in Sculms (S. 44 ff.) und das mit einer Lawinenwand verstärkte Wal12

liser Maiensäss von Devanthéry Lamunière (S. 118 ff.) stehen für diese Kategorie. Auch der von den Walliser Regionalmatadoren Savioz Fabrizzi in ein Ferienhaus umgebaute frühere Winzersitz Maison Germanier (S. 40 ff.) war ursprünglich ein bescheidener Holzbau, der auf einem Steinsockel sitzt – wie die Hirtenhütten auf der Alm (Abb. 5).

10

Die Archithese beschäftigte sich schon 2005 in dem Sonderheft

11

Vgl. »Im Reich der Füchse«, in: AD Architectural Digest, 75, Januar 2007,

»Bauen in den Bergen« mit der Situation.

S. 270ff. 12

Vgl. »Explosion im Kuhstall«, in: AD Architectural Digest, 85, Januar 2008, S. 244ff.


8

Aus dem Wallis kann man von der Südseite des Genfer Sees über alte Kurorte wie Evian und 6–

Utopie-Revival? Chaletgruppe im Ortsteil »La Falaise«

Thonon-les-Bains in die französischen Alpen hochfahren – in das große Skigebiet Portes du Soleil mit mehr als zehn Destinationen. Hier liegt einer der faszinierendsten Reißbrettorte der Alpen an

am Steilhang von Avoriaz.

der Hangkante, das vom Pariser Jacques Labro zusammen mit Jean-Marc Roque und Jean-Jacques

Einige Häuser wurden

Orzoni erbaute autofreie Avoriaz. Dieses Kunstwerk der Fraktale aus Holzschindeln, polygonalen

jüngst intern überarbeitet.

Dächern und Fächer-Segmenten ist teilweise von deutschen Architekten der 1920er-Jahre wie Bruno

7–

Taut, Hans Poelzig und Hans Scharoun inspiriert. Ein Dorf wie eine Felsformation. Oder wie eine

Chalet-Namen wie LOVE

Planetenoberfläche - gefaltet, aufgeworfen, wie von erstarrter Lava bedeckt. Seit etwa 1960 wurde

oder WOODSTOCK drücken den legeren, hippiehaften

in Frankreich gemeinsam mit privaten Investoren ein System von Skistationen in großer Höhe auf-

Touch von Avoriaz aus.

gebaut – entwickelt in verschiedenen, staatlich begleiteten Planstufen, um dem zunehmenden Bedarf des ganz normalen Nachkriegs-Franzosen nach mehr Urlaub in der Natur zu begegnen. Nagelneue Skidörfer wie das von Marcel Breuer in Sichtbeton entworfene Flaine, 13

Charlotte Perriands Les Arcs oder eben Avoriaz sind die wichtigsten der über 50 Neugründungen der 1950er- bis 80er-Jahre. Zuletzt erfuhr der in die Jahre gekommene Holzexpressionismus von Avoriaz inmitten der karstigen Felsklüfte und -gruben (dieses Phänomen der Juralandschaft heißt le lapiaz) eine Generalüberholung. Auch der Retrofuturismus mancher Chalets von Avoriaz, die in mehreren Gruppen ab 1967 entstanden und in Reliefversalien aufgedruckte Namen im Geist ihrer Epoche tragen, bekam eine Auffrischung (Abb. 6, 7). Im nahen Morzine, wo die Seilbahn nach Avoriaz startet, ist ein bodenständigerer Chaletstil zu Hause, der eine lange Tradition hat und natürlich auf die Savoyer Bauernhäuser früherer Jahrhunderte zurückgeht. Jérémie Kœmpgen restaurierte dort für die Villa Solaire (S. 12 ff.) alte Formmuster der Lattenfassade, gab dem charakteristischen Holzumschlag aber dazu eine zweite, digital entwickelte Schicht mit Einschnitten – sogenannte Cut-Outs. Diese überkommenen, positiv und negativ ausgesägten, manchmal farbig abgesetzten Holzmotive – häufiges Ornament sind Tannen oder eine Sonne – weisen schon auf die Architektur in Megève voraus, eine Autostunde südlich gelegen. Dort, wo der Mont Blanc fast zum Greifen nah ist, gibt es eine anhaltende bürgerlich-moderne Tendenz, die auf die Bauten des Architekten Henri-Jacques Le Même zurückgeht, der hier 1927 sein erstes Ski-Chalet für die Baroness Noémie de Rothschild errichtete. Kurz zuvor hatte die Rothschild-Familie mit dem Hotel Chalet du Mont d’Arbois die Zukunft Megèves als High-Society-Treffpunkt begründet. Le Même reagierte auf die radikale Moderne eines Le Corbusier, indem er zeitgenössische Funktionselemente der Architektur mit rustikalen Einsprengseln wie farbigen Steinen in der Fassade oder Schmuckmotiven in der Traufleiste versah. Natürlich wurde Le Même von den Avantgardisten missachtet. In Megève aber, wo Adel und Haute Bourgeoisie urlaubten, war er bald der Lieblingsarchitekt. Er baute über 200 Bergchalets, Hotels sowie eine Klinik in die Hügel. Noch heute folgen viele Chalet-Erbauer seinen Vorbildern. 8–

Gehöfte und Scheunen wie diese sind typisch für Praz-surArly. Lionel Jadot baute eine davon um.

13

Vgl. Flaine und Les Arcs in »Auftrag Superstation«, in: Alps, 9, März/April 2012, S. 16ff.


EINLEITUNG

9

Lionel Jadot nicht. Er hatte ein ganz anderes Ideal. Wenige Kilometer von Megève entfernt arbeitete er hoch über Praz-sur-Arly einen breit gelagerten alten Bauernhof mit großen Fenstern und vielen rohen Oberflächen (ein Haus in Abb. 8 ) in eine zeitgenössische Ferienarchitektur um (S.72 ff). Fuhrimann Hächler wiederum bauten 2009 ihr erstes französisches Haus in Cordon. Die Architekten der Schweizer Kunstszene, die unter anderem die Galeristin Eva Presenhuber (Abb. 9), Sammler Friedrich Christian Flick und die Künstler Pipilotti Rist und Ugo Rondinone (Abb. 10) mit äußerst individuellen Wohnhäusern 9

ausstatteten, stellten dabei verwundert fest, dass man in Frankreich offenbar von den visionären Höhenflügen der 1960er- und 70er-Jahre in den sicheren Schoß der Tradition zurückgekehrt ist: sie durften ihren Entwurf nicht wie geplant als Sichtbetonhülle realisieren. Andererseits entstehen aus solchen Herausforderungen oft genau die Baukörper, von denen dann sehr lange die Rede ist. Aus der Verpflichtung, einen Holzumschlag und ein Giebeldach einzuplanen, zimmerten die Zürcher eine Idee, die glatte Fassadenhaut und Bretterschalung um jeden Preis vermied. Mit Rautenmustern, die als Reliefprägung oder Brüstung erscheinen, wurden Abstraktion und Folklore in ein neues Verhältnis gebracht. Innen gestalteten die Baukünstler ihre Kreation dann umso ungestümer aus: mit Pastellfarben, Beton und Sperrholz. Auch jenseits der Grenze lässt sich mit mehr als einer Tradition spielen. Die italienischen Alpen kennen nicht nur Bauernarchitekturen. Wie an Carlo Mollinos avantgardistischen Liftstatio14

nen und Wochenendhäusern aus den 1950er-Jahren zu sehen ist. Der Rennfahrer, Flieger, Fotograf, Designer und Architekt (Abb. 12) verfasste ganz nebenbei sogar eine Einführung in den Abfahrts15

16

lauf . »Dieses ist das Haus für Extremskifahrer, direkt an ihrem Arbeitsplatz, dem Skihang «, sagte er sinngemäß 1948 über seinen Entwurf, der 1954 auf der 10. Mailänder Triennale vorgestellt wurde (Abb. 11). 2010 wurde die Casa Capriata im Aostatal auf 2100 Metern aufgebaut – entlang des Walser9–

Das radikale Haus Presen-

wegs, als Laborbaustelle des Turiner Politecnico.

huber aus Sichtbeton stellten Fuhrimann Hächler 2007 im Oberengadiner Bergbauerndorf Vnà fertig. 10 –

Dieses japanoide Wohnhaus für 12

den Künstler Ugo Rondinone von denselben Architekten steht seit 2011 in Würenlos im Kanton Aargau. 11 –

Carlo Mollinos futuristisches Ski-Chalet Casa Capriata, vorgestellt auf der Triennale 1954, wurde mehr als ein halbes Jahrhundert danach als Universitätsprojekt des 11

Politecnico Turin im Aostatal erbaut. 12 –

Der Turiner Architekt,

14

S iehe Chris Dercon (Hrsg.): Carlo Mollino – Maniera Moderna, Ausst.-Kat. Haus der Kunst München, Köln 2011.

Designer, Flieger und Rennfah-

15

Vgl. Carlo Mollino: Introduzione al discesismo, 1950 (Neuaufl. Mailand 2009).

rer Carlo Mollino (1905—1973).

16

» Questa è la casa per gli sciatori ›estremisti‹, […] è la casa portata addirittura sul ›luogo di lavoro‹, sul campo di sci« (Domus, 1948)


10

Zum Drin-Wohnen allerdings ist Utopia auch in Norditalien zurzeit eher out. Stephan Dellago inspirierte sich für die Masi Barbini über dem Pustertal (S. 106 ff.) lieber an den überdachten Gadertaler Scheunenumgängen, in denen traditionell Korn und Heu gelagert werden, als an Stararchitekturen – wie denen von Zaha Hadid, die gleich gegenüber das jüngste Messner Mountain Museum (Abb. 13) erbaut hat. Der vernünftige Komfort ist dennoch total von heute, auch die Technik und der Wunsch nach Tageslicht. Das neue Haus steht neben einem alten von 1600. Renaissance trifft auf digitale Moderne, das Bild ist fast dasselbe, und die Idylle ist echt – die Hausherren sind ja keine Bauern, sie schätzen einfach Stil, Schutz und Schatten, den ihnen ihr schicker Umgang gewährt. Ein anderes neues Haus scheint im Vergleich wie notgelandet: John Pawsons Casa delle Bot-

13 –

Bildschirm aus dem Berg 2015: Zaha Hadids neues Messner Mountain Museum am Kronplatz

tere in Treviso (S. 34 ff.). Aus der Not erwachsen hier allerdings lauter schöne Tugenden. Der Londoner Pawson, der seinen vernünftigen Minimalismus in die unterschiedlichsten Situationen – von

scheint die Alpen als Standort

Schweden über Portugal und Colorado bis an die Küste von Kalifornien – zu übersetzen weiß, wähl-

für eine mögliche Weltraum-

te ein auffälliges Dachprofil. An klaren Tagen hat man die Dolomiten und die Veneto-Voralpen im

bodenstation zu erproben.

Rücken. Andererseits wird auf die klassisch gekreuzte Anmutung einer Palladio-Villa angespielt –

14 –

vorn Wohnhaus, hinten Farm. »Früher hätte man hier sein Pferd abgegeben«, schmunzelt die Be-

Der Architekt Adolf Loos

sitzerin über die Straßenachsen hinter ihrem Anwesen: Nur führen sie statt zu Feldern in einen

(1870-1933)

botanischen Privatgarten. Hinter der Grenze in Slowenien orientierte sich ein alpines Haus von Ofis Arhitekti (S. 50 ff.)

15 –

Im Restaurant/Hotel Looshaus in Wien am Simmeringweg, 1928 bis 1930 von Loos als Wohnhaus

im Triglav-Nationalpark am domestizierten Charme der kleinen ruralen Bestandsarchitekturen von nebenan – abgerundet mit einem internen Ideenfeuerwerk. Die Architekten legten Wert auf Bänke

geplant und gebaut, findet man

unter den Eckfenstern, die als Sonnensofas dienen, und auf Verbesserung der Nachhaltigkeit – eine

durchaus Parallelen zur Villa

zusätzliche Wärmeisolierung zwischen und hinter den Holzlatten, Regenwasser, das gesammelt und

in Badgastein – der Raumplan, die Ausblicke, die Brüstungen, die Kubatur.

wiederverwendet wird, natürliche Verschattung durch Überhänge. In den Bundesländern Österreichs wiederum scheint der alpine Wohnhausbau seit Längerem geprägt vom Aufholwillen gegenüber Vorarlberg. Eine dramatischinteressante Villa entstand etwa jüngst im Salzburger Land. Die für Ausstellungsarchitekturen bekannten Kuehn Malvezzi bauten in Bad Gastein (S. 94 ff.) eingedenk von Motiven und des Raumplans von Adolf Loos (Abb. 14, 15). Der Ort ist gut gewählt, er wartet seit Jahren darauf, aus dem Dornröschenschlaf geweckt zu werden. Dabei ist eine alte kaiserliche Kurlandschaft mit märchenhaften Spazierwegen wiederzuentdecken. Vielleicht gelingt das Revival ja mithilfe der Baukunst. Aber in Vorarlberg, wo der Avantgardestil längst auf den Alltag übergegriffen hat, sind bereits weitere neue Häuser entstanden, die mit zum Besten gehören, was die Alpenregion zu 17

14

bieten hat – etwa Delugan Meissls dreistöckiges Apartment in Oberlech , ein inneres Gegengebirge als Skiwohnung (Abb. 16). Oder Bernardo Baders Haus im alten Walserdorf Fontanella (S. 60 ff.).

17

Vgl. Alexander Hosch: »Heimkommen zu rasanten Kanten«, in: AD Architectural Digest, 85, Januar 2008, S. 62ff.


EINLEITUNG

11

Die Orientierung des Dornbirners an den kompakten, oft über der Baumgrenze gelegenen uralten Holzhäusern der Bergbauern-Nomaden fasziniert an diesem Ort, der noch einzelne ursprüngliche kleine Walserarchitekturen hat (Abb. 17). Martin Rauchs und Roger Boltshau16

sers Lehmhaus in Schlins (S. 130 ff.) ist dagegen ein Labor18

Wohnhaus . Wann immer in den letzten 15 Jahren Bauvor16 –

haben ungebrannte Erde beinhalteten, war der Ofenbauer Rauch dabei: Jüngst stellte er mit Herzog

In Oberlech errichteten die

& de Meuron die neue Ricola Kräuterzentrale bei Basel fertig; für Florian Nagler stampfte er um 2005

Wiener Architekten Delugan Meissl 2008 dieses Gegen-

Altar und Weihwasserbecken der Kirche in München-Riem; mit Matteo Thun entwickelte er 2004 die

gebirge als Wohnzimmer.

Zwischenwände im wegweisenden Naturhotel Vigilius Mountain Resort über Lana in Südtirol. Seine

Es handelt sich um eine

Berliner »Kapelle der Versöhnung« wurde 2000 sogar der erste tragende deutsche Stampflehmbau

dreigeschossige Wohnung in einem Mehrfamilienhaus.

seit 90 Jahren. Rauch reimplantiert das Wissen um Lehm in Südafrika und Indien, hält Vorträge in Baustoffzentralen und in Harvard. Sein eigenes Wohnhaus ist archaisch und exotisch zugleich. Es

17 –

Alte Walserarchitektur in Fontanella.

nachzubauen könnte einen Europäer ruinieren, weil es keine Infrastruktur für Lehmbauten gibt. Lediglich die positiven Eigenschaften für Öfen oder Raumteiler aus Lehm zu erproben – das ist heute ein Jedermannsspiel. Soziale Revolutionen aber könnte der Lehmbau im Zusammenspiel mit Bambus und modernem Equipment in Entwicklungsregionen auslösen, wo die Kosten der Arbeitskraft kein Bauhindernis darstellen, so wie bei uns. Nur das postkoloniale Bodenrecht und der Makel eines »Armutsmaterials« stehen dem im Weg. Sonst könnte jeder Inder oder Afrikaner selbst sein Haus aus der Grube stülpen. Bleibt Deutschland. Ist es hier schwieriger, in den Bergen modern zu bauen? Kommt darauf an, sagt Architekt Felix Bembé, der sich in Bayrischzell einen landwirtschaftlichen Zweckbau für das Haus Z (S. 112 ff.) zum Vorbild nahm und darüber sprach – das half. An den Seen sei es aber einfacher, Zeitgenossenschaft durchzusetzen, als im Gebirge, meint er. Die Rücksicht auf strenge Bauordnungen und Gemeinderäte führt indes oft zu maßvollen Umbauten äußerlich unauffälliger Häuser, deren innere Werte hinter schönen Laubengängen und gedrechselten Säulen ruhen (Haus ST im Tegernseer Land, (S. 146 ff.) oder in dauerhaften Qualitäten wie Witterungsresistenz und kluger

18 –

2012 verpasste Architekt Florian Nagler dem Hotel

Materialwahl liegen (Alpenchalet in Walchensee, (S. 84 ff.) liegen. Wir haben mit der größtmöglichen Sorgfalt begonnen, und damit enden wir auch: Florian

Tannerhof in Bayrischzell

Nagler aus München, der in Penzberg schon ein Wohnhaus mit alpiner Stimmung, in Thankirchen

einen Stil-Relaunch.

einen Kuhstall, in Bayrischzell vier Wohntürme für das Hotel Tannerhof (Abb. 18) und im Oberpfälzer

Vier Türmchen mit Gäste-

19

zimmern waren die

Wald ein Landhaus mit Polycarbonatfassade entworfen hat, pflegt eine subtile Bodenständigkeit.

markanteste Neuerung.

Er hat im bayerischen Oberland ein raffiniertes und einfaches Holzhaus gebaut (Haus im Marktfeld, S. 100 ff.), das sich unter anderem mit seiner Spalierästhetik an StadelVorbilder anlehnt – ohne davon abhängig zu sein. Die runden »Stangerl« (Nagler) umschirmen lediglich einen filigranen Umgang, der sich immer wieder öffnet und schließt – und erst an der Stelle ganz auftut, an der der Blick am schönsten ist: auf die höchsten deutschen Alpenspitzen.

18

Vgl. Otto Kapfinger / Axel Simon (Hrsg.): Haus Rauch. Ein Modell moderner Lehmarchitektur, Zürich 2011

19

Vgl. »Etüde in Plastik«, in: Architektur Jahrbuch Bayern 2002, München 2002,S. 120 ff.


12


VILL A SOL AIRE – JK A

13

V I LL A MORZINE  – 2012

SOL A IR E Cut-Outs mit traditionellen Motiven sind ein Erkennungszeichen der Hochsavoyer Architektur. Das Architekturbüro JK A und das Designerteam FU G A gingen einen Schritt weiter.


LAGEPLAN

ANSICHT SÜDWEST

ANSICHT NORDWEST


VILL A SOL AIRE – JK A

15

Vor allem der Gemeinschaftsbereich stellt imponierendes Zimmermannshandwerk aus. Auf der linken Seite: der traditionell gemusterte Balkon.

Das großzügige ehemalige Bauernhaus mit den markanten kleinen Dachkonsolen (Mutuli) aus Holz, erbaut um 1840, war von der Gemeinde Morzine in der Haute-Savoie schon lange als Wahrzeichen für traditionelle Architektur gelistet. Zwischen 2009 und 2012 ging es nun darum, das Juwel im historischen Stadtteil Pied de la Plagne in eine luxuriöse Mietvilla zu verwandeln. Ein Team aus dem Architekturbüro JKA von Jérémie Kœmpgen und den Designern FUGA – J. Aich & M. Recordon machte sich daran. Dabei sollte Holzhandwerkstechnik sichtbar werden, die in der Region verwurzelt ist. Wie oft in den Bergen, war es eine große Herausforderung, Licht in dieses Gebäude mit 620 Quadratmetern Fläche zu bringen. Der Bauernhof hatte eine durchgehende Oberfläche aus Holzlatten, die das ganze Haus umgab. Dieser Anblick sollte erhalten werden. Die Lösung lag darin, das Muster aus den vorhandenen gegenständlichen positiven und negativen Cut-Outs, wie sie in Savoyen typisch sind, noch zu verfeinern. Die Zimmerleute vor Ort verfügten über die Ausrüstung und die Techniken, die Fichtendielen mit einem zusätzlichen Rapport zu perforieren, der nunmehr allerdings in einem zeitgenössischen Stil gestaltet wurde.

Gemütlich sind die Schlafzimmer mit den Alkoven – und ein Maßstabskontrast zum großen offenen Wohnraum.


16


VILL A SOL AIRE – JK A

17

Die Wanderung der Sonne auf dem Formenspiel der ausgeschnittenen Holzfassaden erzeugt jede Minute neue Muster.


G E B Ä U D E D AT E N Bewohner: 16 Wohnfläche: 620 m 2 Grundstücksgröße: 380 m 2 Bauweise: Holzbau

2

1

10

6

13

6

Architekten: JKA – Jérémie

6 12

4

13

Kœmpgen Architecture

4

5

LEGENDE 1

9 4 8

2

3

7

14

11

3 Haustechnik

5 6

Eingang

2 SPA

4 Bad

15

4 6

8

5

4

5

5 Küche 6 Zimmer 7 Flur 8 Skikeller

ERDGESCHOSS

OBERGESCHOSS

9 Garage 10 Spielen 11 Leben/Wohnen 12 Salon 13 Luftraum 14 Luftraum 15 Aufzug


VILL A SOL AIRE – JK A

19

Die bearbeiteten Holzlatten erinnern an die Lamellen licht- und luftdurchlässiger alter Scheunen, in denen das Heu trocknete. Hinter dem Holzüberzug, teilweise von diesem verdeckt, liegen die Fenster. Sie sind mit der inneren Fassade bündig. Der Trick: Von außen sieht man sie praktisch nicht, sodass allein die mehrschichtige Holzstruktur das Narrativ des Hauses gegenüber der Umgebung bestimmt. Die Aussparungen in den Latten sind so gewählt, dass sie auf die stets neuen Schatten zu antworten scheinen, die Türmchen, Dächer und Kamine der umgebenden Häuser im Lauf des Tages auf alle vier Fassaden werfen. Das führte dazu, dass der Architekt sein Projekt als mit einer Sonnenuhr verwandt wahrnahm – und es schließlich den Namen »Sonnenhaus« (Villa Solaire) bekam. Eine Besonderheit des Gebäudes ist die Fassade unter dem Krüppelwalmdach mit dem sehr langen, geraden, ebenfalls stark ausgeschnittenen Balkon. Hier wechseln sich traditionelle und moderne serielle Musterungen in den Latten ab. Gemeinsam lassen sie genug Licht durch, um im Inneren des Hauses für eine angenehme Stimmung zu sorgen. Der prägnante und zeichenhafte Schattenwurf in den Räumen verbindet Außen- und Innenwirkung der Villa Solaire. In die offenen, allgemeineren Räume des Hauses gelangt dabei mehr Sonne als in die intimeren Bereiche. »Dieses Konzept verzahnt den Innen- mit dem Außenraum und führt zu einer Lebensart, die mit der Umgebung harmoniert«, sagt der Architekt dazu.

Pompös oder pur: Auf über 600 Quadratmetern der Villa Solaire ist Platz für mehr als einen Stil. Links der Essbereich, unten ein Bad, oben der Pool.

Seine Wohnidee erklärt Kœmpgen so: »Man bewegt sich zwischen vier Blöcken durch das Haus, die wie Felsen in den vier Ecken des Gebäudes stehen. Sie akzentuieren das Haus wie die Berge das Tal. Die Blöcke sind jeweils voneinander unabhängige Einheiten mit den Schlafbereichen, den Bädern und ihren Nebenräumen. Zwischen ihnen vermittelt ein Kontinuum von Fluren – sie binden die großzügigen gemeinsam genutzten Bereiche an – Essbereich, Wohnareal, Küche, Medienraum, Kaminplatz.« Die alpinen Assoziationen wiederholen sich in der Gestalt und im Dekor der Holzeinbauten. Die Blöcke werden über ein Holzrahmenwerk betreten, das sich über die drei Ebenen zieht und als Wald interpretieren werden soll. Es gliedert die großformatigen Räumlichkeiten, die für das Gemeinschaftsleben bestimmt sind. Die Lösung lag also in einer Verfeinerung der überlieferten Formen. Sie waren der Ausgangspunkt, sie wurden gesäubert und wieder in Form gebracht – und nun stehen sie am Ende als entscheidende Referenz in Blüte. Der Charme des ursprünglichen Hofs ist bewahrt. –


20


CHESA VI – JON ARMON R AUCH

21

Wenn der Graubündner Architekt J ON ARMON R AU CH baut, geht er auf die Suche nach der Harmonie der Materialien. Unsere europäischen Häuser bedürfen neben der männlichen einer weiblichen Seite, findet er. Denn sie haben oft nur Geist und Körper – ihnen fehlt die Seele.

CHESA VI SCUOL  – 2013


22

»Holz, Steine, Kalk, Sand und Erde aus dem Tal beeinflussten Konstruktion, Textur und Farbe. Ich wollte mit klärenden und sparsamen Eingriffen die Vorgaben erfüllen, ohne dabei die einzigartige Substanz zu beschädigen.« (Jon Armon Rauch) Ursprünglich wurde dieser Hausteil als Heustall genutzt.


CHESA VI – JON ARMON R AUCH

Lieber Licht als dicht: Die Eingangstür bekam von Rauch ein durchbrochenes Muster, das er im selben Haus an einem Kamingitter entdeckt hatte.

23

Eigensinn ist ein Begriff, der bei uns nicht immer einen guten Klang hat. Aber warum nicht? Dem eigenen Sinn zu folgen, ist im Grunde, was sich jeder wünscht und alle wollen. Sollten also nicht die Lehrer besser die Qualitäten der Schüler suchen anstatt ihrer Fehler? Fest steht: Es wäre langweiliger in der Welt, wenn sich alle an fragwürdige Anforderungen anpassen würden, um bereitwillige Rädchen im Getriebe zu sein, statt auf die Spur des eigenen Sinns zu gehen. Jon Armon Rauch ist im besten Sinn eigenwillig. Der heute 54-Jährige hatte irgendwann keine Lust mehr auf den Zeitdruck in seinem Beruf. Er hatte auch keine Kraft mehr. Das Funktionierenmüssen, darüber spricht er offen, hat ihn krank gemacht. »Wenn sich eine wichtige Maßgabe für einen Bau ändert, dann ändert das oft alles. Aber der Zeitdruck bleibt. Oft bräuchte man dann die Chance, alles nochmal neu zu überdenken, weil sonst nichts mehr zum anderen passt. Für mich funktioniert diese Art von Architektur nicht. Ich möchte so nicht arbeiten.« Sogar in seiner eigenen Familie gab es so einen Fall. Rauch plante ein Haus mit einem Turm. Es wurde bereits gebaut, da sagten die Verwandten, sie wollten jetzt doch keinen Turm. Rauch sagte ihnen: Dann kann ich das Haus nicht bauen, denn ohne den Turm macht es keinen Sinn. Das ist radikal. Auch skurril. Jon Armon Rauch ist schließlich kein Stararchitekt, der so etwas ohne Weiteres bestimmen kann. Vielmehr ist er der Vertreter einer anderen Art von Slow Architecture. Ihm missfällt daheim der Pragmatismus am Bau, der immer eine Lösung zaubert, egal unter welchen Bedingungen. Er findet die Schweizer Architektur hochwertig – aber auch rational, kantig, hart und männlich. Ihm fehlt das weibliche Element, das Organische, Weiche. Ob er es sich leisten kann, das zu fordern? Egal. Irgendwann hat Jon Armon Rauch damit aufgehört, einem Dienstleistungsgedanken zu folgen, von dem er nicht überzeugt ist. Seit vier Jahren verbringt er jährlich ein paar Monate in Indien. Ein Kollege übernimmt dann seine Baustellen. Für normale Architekten, die zwischen Plänen, Baustellen, Ämtern und Auftraggebern hin und her flitzen, ist das eine absurde Vorstellung. Für diese Idee von Bauen braucht man nicht nur andere Architekten. Man braucht auch andere Bauherren. Durchrationalisierte Norm-ErfüllerBaustellen kommen für Rauch nicht mehr infrage. Er hat sein Architektenleben auf den Kopf gestellt. Denn jedes Vorhaben bedarf der Zeit, der Ruhe, der Gedanken, der Achtsamkeit. So entstand das Haus Vi. Mitten in Scuol, dem Ort, in dem Jon Armon Rauch lebt und auch schon zur Schule ging, gibt es ein großes Engadiner Patrizierhaus. Es ist in zwei jeweils vierstöckige Einheiten gegliedert, die Rauch voneinander unabhängig bearbeitet hat (die zweite ist noch nicht fertig). Das Gebäude stammt aus der Renaissancezeit. Viele Details, auch Fenster und Portale sind von damals erhalten. An der Fassade hat das Haus Ornamente im Kratzputz (Sgraffito), der sehr verbreitet ist in den Dörfern Graubündens, eigentlich aus Italien kommt und an den Häusern ganze Erzählgeschichten hinterlassen hat – meist an den Ecken, Sockeln und Traufen, in diesem Fall über Kanten hinweg als individueller Abschluss über den Fenstern und über den Türen. Am Haus Vi (und an seinem Nachbargebäude) kann man sehen, dass Jon Armon Rauch nun nicht etwa esoterische Ergebnisse in seiner Architektur sucht. Es ging darum, historische Substanz zu restaurieren – Stuckdecken, gestrickte Stuben,Gewölbekeller. Er nahm daneben einige der besten Eigenschaften eines typischen Graubündner Hauses und ergänzte sie um Aspekte, die seiner Meinung nach fehlten. Die Chesa Vi ist aus Holz, Stein und Eisen. Jedes Engadiner Haus hat diese Elemente. Rauch hat sie hervorgekehrt, verstärkt, teils bewahrt, teils neu hinzugefügt. In jeden Stockwerksflur hat er etwa einen begehbaren Schrank gebaut, der seitlich an zwei Eisenstangen befestigt ist, an denen sich die Arvenholztüren herausziehen lassen. Die Chesa hat auch die eingeschnit-


Ein bedeutendes Bauelement ist die senkrechte Arvenholzwand. Sie grenzt den Schlafbereich zum Treppenhaus ab. Im Dachgeschoss schließt die Galerie den Aufstieg zum Giebel ab. Der Tisch ist ein Meisterwerk des Architekten.

G E B Ä U D E D AT E N Bewohner: 4

9

Wohnfläche: 232 m 2

12

7

Grundstücksgröße: 156 m 2

6

11

13

Zusätliche Nutzfläche: 56 m 2 Bauweise: massiv Architekt: Jon Armon Rauch

9 7

12

5

LEGENDE 1 Eingang 2 Technik

1. OBERGESCHOSS

2. OBERGESCHOSS

DACHGESCHOSS

3 Garage 4 Keller 5 Treppenhaus 6 Vorraum 7 Bad 8 Gast/Arbeiten

4

2

9 Zimmer

8 4

7

10 Kochen 4 Keller

6

11 Essen

3

12 Wohnen

1

KELLERGESCHOSS

8

5

ERDGESCHOSS

13 Galerie


CHESA VI – JON ARMON R AUCH

25

tenen Engadiner Fenster, deren Laibungen strahlenförmig zulaufen, um so viel Sonne wie nur möglich in die Häuser im Tal zu locken. Diese Laibungen hat Rauch innen verdoppelt. Licht gibt es hier wegen der hohen Berge nämlich ohnehin viel zu wenig. Aber die Tricks fangen schon bei der alten Haustür an. Rauch wollte auch ins Parterregeschoss Tageslicht lotsen. Wie ging das? Mit einer durchbrochenen Eingangstür. Er nahm den an einem eisernen Ofengesims an anderer Stelle im Haus vorgefundenen alten Rapport – ein Vierpassmuster. Das bearbeitete er an den Übergängen, bis es eher wie ein Kreuz oder eine Blume aussah, sodass ein Serienmuster daraus entstand. Mit seinem Bauschreiner entwickelte er für die Tür ein feines, an orientalische Moucharabiehs erinnerndes Holzkleid. Es wurde computergesteuert erzeugt und per CNC-Fräse zugeschnitten – seriell, lichtaffin, elegant. Rauch musste diskutieren, ehe die Tür erlaubt wurde – aber am Ende genehmigte die Denkmalpflege sie. Im Treppenhaus ging die Maßarbeit weiter. Während auf der linken Seite eine kompromisslose Sichtbetonoptik herrscht, in der sich das Schalungsbild abzeichnet, ging der Architekt gegenüber neue Wege. Ihn faszinierte die Vorstellung, alte Putzschichten aus den vielen Jahrhunderten, die dieses Haus schon durchlebt hat, herauszuarbeiten und in einer Weise zu verbinden, dass es weder baudokumentarisch noch kitschig-marmoriert aussieht. Vielmehr erinnert die dreieinhalb Stockwerke übergreifende unverputzte Mauer mit ihren historischen Grau-, Braun-, Weiß- und Schwarztönen an ein Riesengemälde des Abstrakten Expressionisten Antoni Tàpies. Ganz oben im Haus hat es mehrmals gebrannt, auch diese alten Wandspuren fanden Einlass in das Opus Magnum. Im Haus gab es 1931 eine Explosion in einer Schmiedestube und 1951 hat es gebrannt, auch diese alten Wandspuren fanden Einlass. Das Mauerbild verstrahlt nun viel Authentizität und Charakter, aber bestimmt nicht den Talmi falscher Folklore. – Den Material-Vierklang im Innern bilden Arvenholz, weißer Glattputz, Stahl und das roh belassene Bruchsteinmauerwerk. Die verkohlte Brandwand mit ihren hellen Kalkfugen kreiert zusammen mit dem geschliffenen Holz ein anregendes Raumerlebnis.

SCHNITT

ANSICHT WEST


TR AU M H ÄUSER I N DEN A L PEN Wer träumt nicht von einem Haus in den Bergen? Die Alpen üben mit ihrer imposanten Kulisse große Faszination aus und sind für viele ein Sehnsuchtsort, an dem man den Alltag vergessen kann. Für Architekten sind sie Herausforderung und Traumaufgabe zugleich. Das Bergpanorama in den Wohnraum f ließen zu lassen, die Terrasse so zu platzieren, dass man morgens in der sonnig-frischen Bergluft frühstückt oder zur blauen Stunde das Glas Wein und die Landschaft genießt.

In diesem Callwey-Buch stellt Autor Alexander Hosch die schönsten Alpendomizile vor. Das Wohnhaus für die Familie ist genauso dabei wie der Zweitwohnsitz für den Großstadtmenschen, der umgebaute Stadl als Zuf luchtsort oder das Luxus-Chalet für den unvergesslichen Skiurlaub. Die reizvollsten Chalets und Refugien – Sehnsuchtsorte für alle Alpen- und Architekturliebhaber Atemberaubende Landschaftsbilder und unverwechselbare Gebäude, die mit Plänen und Daten vorgestellt werden Ein opulenter Bildband, der inspiriert und fasziniert

ISBN 978-3-7667-2163-1


Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.