Plumptre Eine Reise durch Englands Gartenschaetze Callwey issuu

Page 1

E inE RE is E duRch

Englands gartEnschätzE George PlumPtRE mit einem Vorwort von sKh Prinz charles

Dies ist eine Leseprobe Alle Rechte vorbehalten. Kontaktieren Sie uns, falls Sie das PDF weiter verwenden mĂśchten: info@callwey.de


Vorwort 7 SKH Prinz Charles Einleitung 9 Joe Swift Gartenbesuche und das National Gardens Scheme 11 George Plumptre 1927–1939 Gärtnern in der Ära des Jazz 23 Elspeth Napier 67

1940 –1959 Eine neue Ära Catherine Horwood


107

1960 –1979 Die Jahre des Übergangs

147

1980 –1999 Vielfalt auf dem Land und in der Stadt

185

2000 –2012 Gartenbesichtigung im neuen Jahrtausend

216

Open Garden

218 Begünstigte

219 Register

222

223 Bildnachweis

224

Vanessa Berridge

Leslie Geddes-Brown

Christopher Woodward

Die Autoren Impressum und Dank



1927–1939 Gärtnern in der Ära des Jazz

Elspeth Napier

Sommerbeete in Newby Hall mit Rosen, Rittersporn, Katzenminze und Schafgarbe.

Vom wirtschaftlichen Standpunkt aus betrach­

kannte die BBC und strahlte in den 1920er-Jah­

tet waren die Jahre zwischen den beiden Welt­

ren die ersten Gartenprogramme aus. Anfangs

kriegen düster. Der Generalstreik 1926 und

gab es alle zwei Wochen eine Sendung mit der

der Börsencrash in New York 1929 waren erste

Hobbygärtnerin Mrs Marion Cran, die ab 1931

Anzeichen für die Weltwirtschaftskrise, die be­

durch den professionellen Gärtner C. H. Mid­

sonders den industrialisierten Norden Englands

dleton ersetzt wurde. Nun wurde die Sendung

traf. Im Süden gab es mehr Arbeit bei Banken

bis zu Beginn des Zweiten Weltkriegs wöchent­

und in der Verwaltung, was sich im Bau von

lich jeden Sonntag ausgestrahlt.

Millionen neuer Häuser, alle mit einem kleinen, rechteckigen Garten, zeigte.

Auch etliche Magazine halfen dabei, den neuen Gärtnern das nötige Wissen zu vermit­

In der Gartengeschichte gab es nun sowohl

teln: Amateur Gardening, Popular Gardening

einen Endpunkt wie auch den Beginn neuer

und Gardening Illustrated gab es schon seit dem

Strömungen. Drei Urgesteine der Edwardi­

19. Jh., zwei weitere – My Garden: An Intimate

anischen Zeit – William Robinson, Gertrude

Magazine for Garden Lovers und New Flora &

Jekyll und Ellen Willmott – starben in den

Silva (für professionelle Gärtner) bereicherten

1930er-Jahren, und fast alle Head Gardener der

zeitweise den Markt. 1937 erschien A Concise

Viktorianischen Ära gingen nach und nach in

Dictionary of Gardening, verfasst vom Heraus­

den Ruhestand. Durch den Bau neuer Einfami­

geber des Amateur Gardening, und die Royal

lienhäuser mit Garten wuchs das Interesse der

Horticultural Society (RHS) begann mit der Ar­

Menschen am Gärtnern, aber sie besaßen nur

beit an ihrem Werk Dictionary of Gardening, das

unzureichende Kenntnisse. Diese Lücke er­

1951 zum ersten Mal erschien. 1928 organisierte 23


die RHS eine Konferenz über Landschaftsarchi­ tektur, die 1929 zur Gründung des Landscape

shanger Park in Hertfordshire

Institute führte.

des Hauses wurde von Hum-

Steingärten, die in den Gärten der Vikto­ rianischen Ära und früher angelegt worden

phry Repton im frühen 19. Jh. wegen seiner Aussicht über das Flusstal gewählt. Diese ließ er verbreitern und den See

gen auch in den kleinen städtischen Gärten in

1927 für das National Gar-

anlegen. Der Garten öffnete

Mode. 1929 wurde die Alpine Garden Society

dens Scheme, nach dem Krieg

gegründet, 1933 eine Schwesterorganisation

abgerissen. Von Reptons Land-

nierte Constance Spry die Kunst der Floristik, was sich nach dem Krieg in der Arbeit von Julia Clements und Beth Chatto fortsetzte. In größeren Gärten entwickelte sich die Idee des Waldgartens (woodland garden), in dem Rhododendren, Magnolien und andere exoti­ sche Gehölze gepflanzt wurden. Viele stamm­ ten aus Asien und Südamerika und waren in den Jahren zuvor eingeführt worden. Bodnant in Nord-Wales, Trewithen (siehe S. 46 ff.) und Sheffield Park in Ost-Sussex sind nur drei Bei­ spiele dafür. In kleinerem Maßstab begann Vita Sackville-West, den Garten von Sissinghurst an­ zulegen (Seiten 67 ff.), inspiriert von Lawrence Johnstone in Hidcote Manor in Gloucestershire und Norah Lindsay in Sutton Courtenay (siehe S. 32 ff.). Die ersten Gärten, die sich am NGS betei­ ligten, gehörten zu den großen Landsitzen und Herrenhäusern. Die zehn Gärten, die in diesem Kapitel vorgestellt werden, sind typische Bei­ spiele dafür, die meisten davon sind seit Jahr­ hunderten in Familienbesitz. Oftmals wurden die Gärten von nachfolgenden Generationen umgestaltet, nur Melbourne Hall (Seiten 26 ff.) präsentiert sich seit 300 Jahren unverändert. Hestercombe (Seiten 60 ff.) ist insofern ein­ zigartig, da drei Gärten aus unterschiedlichen Epochen nebeneinander angelegt wurden. In anderen, wie Blickling Hall und Welbeck Abbey (siehe S. 36 ff. und 58 f.), blieb die ursprüngli­ che Landschaftsform als Rahmen erhalten. Eine Reise durch Englands Gartenschätze

im Jahr 1936. Der Standort

waren, kamen in den Jahren zwischen den Krie­

in Schottland. In den 1930er-Jahren revolutio­

24

Blick über den See von Pan-

wurde das Herrenhaus jedoch schaftsgestaltungen ist jedoch noch ein Großteil erhalten.


Wandelpfad am See in Ramster im Frühling. Der Garten war einer der ersten, die sich am National Gardens Scheme beteiligten, und öffnet auch heute noch jährlich seine Pforten.

Die Landschaftsgärten von Erddig (siehe S. 40  f.)

Manor House in Sutton Courtenay, dessen Be­

und Panshanger (oben links) hielten sich bis

sitzer großen Einfluss auf die Entwicklung von

ins 20. Jh., Erddig verwilderte jedoch nach dem

Hidcote und Sissinghurst und den entstehenden

Zweiten Weltkrieg zunehmend und wurde vom

Cottage-Garten-Stil hatte.

National Trust gerettet. Panshanger wurde ver­

Gartenbesuche in den 1920er-Jahren waren

kauft und das Herrenhaus in den 1950er-Jahren

anders als heute, und daher ist es nicht leicht zu

abgerissen. Ein Merkmal der Viktorianischen

ergründen, was die Besitzer bewog, ab 1927 ihre

und Edwardianischen Zeiten war die Einfüh­

Gärten zu öffnen. Es gab durchaus verbindende

rung zahlreicher neuer Pflanzenarten. Dies

Elemente: so bewegten sich die Herzogin von

führte zu einem Aufstieg der Head Gardener, die

Portland (Welbeck Abbey) und Norah Lindsay

für den Anbau von Blumen, Obst und Gemüse

(Manor House, Sutton Courtenay) in denselben

zuständig waren, und einer neuen „Klasse“ von

gesellschaftlichen Kreisen. Norahs Schwester

Gärtnern, die sich mehr für die einzelnen Pflan­

und etliche ihrer Freunde sowie ihre Kunden

zenarten als für Pflanzpläne und Gestaltungen

öffneten schon zu Beginn des NGS ihre Gärten.

interessierte, und z.B. die Waldgärten anlegte.

Nach dem Zweiten Weltkrieg, als der Nati­

Welbeck Abbey, Arley Hall (siehe S. 54 ff.)

onal Trust nach und nach immer mehr Gärten

und Newby Hall (siehe S. 42 ff.) sind Bei­

übernahm, öffneten diese ihre Tore häufiger,

spiele für Blumen-, Obst- und Gemüsegärten,

ohne den Bezug zum NGS zu verlieren. Sie

Trewithen und Ramster (oben und S. 50 ff.)

mussten sich jedoch von privaten Rückzugsge­

für Waldgärten. Der Letzte der zehn Gärten ist

bieten zu öffentlichen Erholungsräumen ver­ Gärtnern in der Ära des Jazz

25


ändern. Mehr Besucher bedeutete auch mehr

1927 befand sich Melbourne Hall in Derbyshire

Unterhaltungsaufwendungen und Abnutzung

im Besitz von Captain Philip Kerr, dessen Fa­

den großen Wassergraben auf

sowie Attraktivitäten zu jeder Jahreszeit. Die

milie den Landsitz seit dem frühen 17. Jh. be­

ist seit der ersten Gartenöff-

Tage waren vorbei, in denen ein Staudenborder

wohnte. Der Garten galt damals – und ist es

nung für das National Gardens

so gepflanzt wurde, dass das Erreichen seines

heute noch – als besterhaltenes Beispiel für eine

unverändert.

Höhepunkts zeitlich auf die Anwesenheit der

englische Interpretation des französischen Stils

Besitzer abgestimmt war, oder Rosenbeete nur

von André Le Notre aus Versailles.

aus empfindlichen Teehybriden bestanden und

Der Architekt des Gartens war Thomas

reine Irisbeete für den Frühsommeraspekt an­

Coke, ein Mitglied des Parlaments und Hof­

gelegt wurden.

kämmerer von Queen Anne. Er verbrachte seine Jugend in den Niederlanden und erbte die Län­ dereien 1696, als er Anfang 20 war. Während der folgenden zwei Sommer kehrte er nach Holland zurück, und man darf getrost annehmen, dass er

26

Eine Reise durch Englands Gartenschätze

Blick aus dem Bird Cage über Melbourne Hall. Der Anblick

Scheme in den 1920er-Jahren


rechts Die Ostansicht des Hauses vom terrassierten Rasen aus gesehen im Jahr 1928. rechts unten Die prächtige VierjahreszeitenVase im Crow Walk, der Hauptallee im Waldgarten im Süden von Melbourne Hall. Die Vase aus Blei wurde von John van Nost, von dem auch viele andere Statuen im Garten stammen, hergestellt. nächste Doppelseite In den letzten Jahren wurden zahlreiche Blumenbeete ange­ legt. Dies ist der Sumpfgarten mit Etagen-Primeln, Scheinmohn und Lerchensporn, die entlang eines Bachlaufs wachsen.

die barocken Gärten von Het Loo besuchte. Er machte Pläne für seinen neuen Garten und kon­ sultierte die damals berühmtesten Gärtner seiner Zeit: George London, der in Versailles gearbeitet hatte, und Henry Wise von den Brompton Park Nurseries. Sie berieten ihn bei der Gartenpla­ nung und lieferten die benötigten Pflanzen. Das Haus steht auf einer kleinen Anhöhe, von der terrassierte Rasenflächen zu einer Senke führen, die mehrere Fischteiche beherbergt. Am gegenüberliegenden Ende befindet sich eine große schmiedeeiserne Laube, die bekannteste Besonderheit des Gartens. Sie wurde von Robert Bakewell 1705 gebaut und wird meist Vogel­ käfig – Birdcage – genannt. Im Süden befindet sich eine Senke – the Grove –, in der Coke Alleen aus Linden und Hainbuchen pflanzte sowie ein Netz aus Wegen und Sichtachsen anlegte, die auf Brunnen, Sta­ tuen oder Amphoren führen. Die bekannteste ist die Vierjahreszeiten-Vase aus Blei, von John van Nost, einem flämischen Bildhauer, der in England arbeitete. Es ist überliefert, dass sie ein Geschenk von Queen Anne an Coke ist. Bis 1725 sollte der Garten fertiggestellt sein, aber wie so viele andere verwilderte er im Laufe der Jahrzehnte, und in den 1920er-Jahren muss­

Bei den Gärten des NGS bewundere ich viele Eigenschaften, die für mich ausschlaggebend sind: Integration in die Landschaft und Umgebung, eine zusammenhängende Gestaltung, interessante Pflanzungen und ein hoher Standard gärtnerischer Kunst. Auch die Energie, die Atmosphäre, Vogelgezwitscher und das Engagement der Besitzer sind wichtig. Kathryn Bradley-Hole, Gartenredakteurin von Country Life Gärtnern in der Ära des Jazz

27


28

Eine Reise durch Englands Gartensch채tze


Gärtnern in der Ă„ra des Jazz

29


ten zahlreiche Lorbeerbäume entfernt werden, welche die ursprüngliche Struktur verdeckten. Der Garten öffnete im Rahmen des NGS 1927 zum ersten Mal seine Tore, was sich die nächsten 30 Jahre regelmäßig wiederholte. Seit den frühen 1990er-Jahren ist er von April bis September an mehreren Tagen pro Woche geöffnet. Es gibt neue Pflanzungen im Land­ schaftspark, um die Attraktivität zu steigern. So blühen Etagen-Primeln, Scheinmohn (Meconopsis) und Iris entlang des Bachlaufs, Rhodo­ dendren und Magnolien blühen im Frühjahr, gefolgt von Rosen und Stauden. Auch ein Ar­ boretum wurde angelegt. Bäume, die zu groß geworden waren, wurden entfernt oder zurück­ geschnitten, um Sichtachsen freizulegen und den Ausblick in die umgebende Landschaft zu öffnen. Trotzdem bleibt der Garten ein Beispiel eines englischen Landschaftsparks in europä­ ischer Gestaltungstradition. Der ausgesprochen typisch englische Garten von Manor House in

oben Das obere Border in Melbourne Hall mit seinen Eibensäulen ist mit Bart-Iris, Katzenminze, Storchschnabel und panaschiertem Klebsame bepflanzt. links Weitere Pflanzungen im Moorgarten mit Iris, Etagen-Primeln und Zier-Rhabarber. Eine Wisterie sorgt im Hintergrund für einen vertikalen Akzent.

30

Eine Reise durch Englands Gartenschätze


oben Die verwilderten Sträucher hinter dem Birdcage (Vogelkäfig) wurden entfernt, sodass der Blick bis weit in die Landschaft schweifen kann. rechts Der Birdcage, ein berühmtes Element des Gartens, stammt aus dem Jahr 1705. Thomas Coke entschied sich für eine schmiedeeiserne Konstruktion und nicht die häufiger eingesetzen stei­ nernen Tempel jener Zeit.

Gärtnern in der Ära des Jazz

31


Sutton Courtenay, Oxfordshire, ist durch seine

der Long Garden und Persian Garden, Plea­

Erschafferin Norah Lindsay bekannt. Sie begann

saunce oder Wilderness, und der River Garden.

terie überwucherte Mauer und

12 Jahre vor Johnstone in Hidcote und 35 Jahre

Norah gärtnerte nach dem Motto „Laisser-faire“,

Manor House. Im Hintergund

vor Vita Sackville-West in Sissinghurst mit dem

ließ Pflanzen wachsen, wo sie sich ansiedelten,

erkennt man die frühreen

Gärtnern, und war mit beiden befreundet. Ihr

es gab keine blanke Erde und sie freute sich,

eingangs.

Stil beeinflusste beide enorm.

wenn sich Pflanzen an neuen Standorten aus­

Norah Lindsay heiratete 1895, das Haus und

samten. Sie setzte Farben mit Bedacht ein und

die umgebenden Felder waren ein Hochzeitsge­

pflanzte immer so, dass die Beete das ganze Jahr

schenk ihres Mannes Harry. Schon bald begann

über attraktive Aspekte boten.

das Paar, den neuen Besitz zu verschönern. Er

Im Ersten Weltkrieg wurde ein Teil der Blu­

im Haus, sie im Garten. Dabei beauftragte sie

menbeete in einen Gemüsegarten umgewandelt.

keinen professionellen Gartengestalter, sie war

Um den Unterhalt des Hauses zu finanzieren –

ein Naturtalent und hatte auch keine Kurse be­

ihr Mann war ja an der Front –, nutzte sie ihr

sucht. Sie las die Bücher von Gertrude Jekyll

Talent und plante die Gärten ihrer Freunde.

und die neuesten Magazine wie Country Life

Manor House öffnete 1927 an einem Tag

und House and Garden. Auf ihren Reisen nach

seine Pforten, dann erst wieder in den späten

Italien und Frankreich besuchte sie zahlreiche

1930er-Jahren. 1931 schrieb Norah einen Artikel

Gärten und machte sich viele Notizen.

über ihren Garten für Country Life. Darin be­

Zehn Jahre nachdem sie mit dem Gärtnern

schrieb sie ihre Gestaltungsprinzipien detailliert:

begonnen hatte, erschien in Country Life ein

Die Wahl der Pflanzen, um eine kontinuierliche

Bericht über Manor House, in drei Teilartikeln:

Blüte zu erhalten, die Trennung kräftiger und

32

Eine Reise durch Englands Gartenschätze

Die seitliche, von einer Wisdas Tor von Sutton Courtenay

Torpflsten des alten Haus-


Entlang des Gewässers wurden Narzissen gepflanzt. Der kleine Bach fließt durch den ganzen Garten von Sutton Courtenay, und mündet letztendlich in die Themse.

Der Lange Garten um 1931 mit Norah Lindsays üppigen Staudenbeeten, die von geschnittenen Buchshecken eingefasst sind. Schlanke Säulen-Eiben sind als vertikale Elemente gepflanzt.

sanfter Farben, die Kombination silberlaubiger Pflanzen mit den goldgelben Blüten von Rud­ beckien und Sonnenblumen und den Einsatz fastigiater (säulenförmiger) Koniferen als Ak­ zentpflanzen. Gartenmobiliar diente als Blick­ fang, Rosen wurden überall gepflanzt. Norah war erfolgreiche Gartengestalterin, aber im Zweiten Weltkrieg wurde Manor House geschlossen und sie lebte bei Freunden und ih­ rer Familie. In den letzten Kriegsjahren wurde der Landsitz als Mädchenschule genutzt, Norah

Colonel Harry Lindsay und Norah am Eingang des Manor Houses im Jahr 1907. Heute gibt es einen neuen Eingang, aber die beiden steinernen Torstützen stehen noch immer und wurden in den Garten integriert (siehe Foto gegenüber).

kehrte nie wieder zurück. 1945 wurden Haus und Garten verkauft, Norah starb 1948. Der neue Besitzer war David Astor, Her­ ausgeber der Zeitung The Observer, der Sutton Courtenay schon in den Jahren vor dem Krieg besucht und Norah im Garten geholfen hatte. Nach dem Kauf beauftragte er Brenda Colvin, Gründungsmitglied des Institute of Landscape Architects, mit der Renovierung des vernachläs­ sigten Gartens. Der Long Garden war praktisch Gärtnern in der Ära des Jazz

33


leer, in ihm wurde an der Mauer ein Stauden­ beet entlang einer Rasenfläche angelegt. Im Persischen Garten, in dem Norah ihre Rosen pflegte, entstand ein Parterre mit Rosen, La­ vendel und Lilien, und der River Walk erhielt zusätzliche Bäume, unter denen Zwiebelblumen im Gras angesiedelt wurden. David Astor starb 2001 und das Haus wechselte erneut den Besitzer. Heute ist der Garten aus den 1930er-Jahren kaum noch er­ kennbar. Einzig einige hohe Eiben, die mit Weinreben berankte Pergola und die Hainbu­ chenallee im Long Garden sind erhalten. Auch Brenda Colvins Parterre im Jewel Garden und die gepflasterte Terrasse vor dem Haus sind noch vorhanden. Von den Alten Rosen haben nur wenige überlebt, aber die neuen Besitzer pflanzen Norahs frühere Favoriten neu, denn sie möchten den Charakter des alten, mit Blu­ men gefüllten Gartens und die Sichtachsen, die Brenda Colvin geplant hat, wiederherstellen. Norah Lindsay beeinflusste auch die Ge­ staltung eines anderen großen Gartens, den von Blickling Hall in Aylsham in Norfolk. Über den ersten Garten, der dort von Sir Henry Hobart, dem Erbauer des Hauses, angelegt wurde, ist nur wenig bekannt. Dieser wurde im frühen 18. Jh. vom nächsten Besitzer, dem 1. Earl of Buckingham, komplett umgestaltet. Sein Gar­ ten umfasste einen Waldgarten mit formalen Wegen, einen Teich und ein Parterre. Bis zu den 1760er-Jahren war diese formale Gestal­ tung aus der Mode gekommen, und so ließ der 2. Earl im Waldgarten mäandernde Wege und lockere Gehölzgruppen anlegen. Statuen, Säulen und Brunnen ergänzten den Garten, und 1780 wurde noch eine Orangerie, wahrscheinlich von Samuel Wyatt geplant, gebaut. Der Lange Garten, wie er sich heute präsentiert. Einige der von Norah Lindsay gepflanzten Eiben stehen immer noch.

34

Eine Reise durch Englands Gartenschätze


Gärtnern in der Ă„ra des Jazz

35


146

Eine Reise durch Englands Gartensch채tze


1980 –1999 Vielfalt auf dem Land und in der Stadt Leslie Geddes-Brown

Für Londoner Verhältnisse ungewöhnlich liegt Fenton House in Hampstead an einem Hang und bietet spektakuläre Ausblicke. Hier das Haus vom Gemüsegarten aus gesehen.

Das National Gardens Scheme ist nicht nur dafür verantwortlich, dass jedes Jahr Hundert­ tausende von Pfund für soziale und wohltätige Zwecke gespendet werden können, sondern es gibt auch einer ganzen Nation von Gärtnern Inspiration und ermöglicht Einblicke in an­ dere Gärten. In den 1980er- und 1990er-Jahren wurde beschlossen, auch Besitzer von kleineren Gärten auf dem Land und im Umfeld der Städte zur Teilnahme am NGS zu ermutigen. Ein Ne­ beneffekt dieser Aktion war die Tatsache, dass viele Gartenbesucher sich viel besser mit den kleineren Gärten identifizieren konnten – es waren keine weitläufigen aristokratischen Parks, sondern Gärten von Menschen wie sie selbst. Diese neuen Gärten waren Inspiration, Freizeit­ vergnügen und Lehrbeispiel zugleich. Auf diese Weise wurden auch viele bislang unerfahrene oder weniger interessierte Gärtner erreicht und ermutigt, sich mehr mit ihren grünen Paradie­ sen zu Hause zu beschäftigen. Auch ist festzu­ stellen, dass unter den Gartenbesuchern immer mehr Familien und jüngere Menschen sind. 147


Austin Lynch und Tim Culkin öffnen ihren Garten von Millgate House in Richmond, Nord-Yorkshire seit den frühen 1980er-Jahren. Ihnen sind die Veränderungen bei den Garten­ besuchern besonders deutlich aufgefallen. Die heutigen Besucher haben selbst oft schon ein ungeheures Garten- und Pflanzenwissen, in­ teressieren sich für einzelne Arten und Sorten sowie für die entsprechenden Bezugsquellen. Austin und Tim haben selbst einen kleinen Gar­ tenführer herausgegeben, in dem sie beschrei­ ben, was sie im Garten verändert haben und mit welchen Techniken dies umgesetzt wurde. Als die beiden mit dem Gärtnern begannen, waren sie noch unerfahren. Dies ist heute kaum mehr vorstellbar, findet man doch auf dem 1 000 m2 großen Hanggrundstück fast keinen Flecken unbedeckter Erde. Der untere Garten­ bereich war ursprünglich ein Nutzgarten, im oberen Teil wuchsen in rechteckigen Beeten Pflanzen, die mit dem trockenen, leichten Bo­ den zurechtkamen. Nach und nach wurde der Boden verbessert, hohe Pflanzen zurückge­ schnitten und 2012 das letzte Stück Rasen durch Kies ersetzt. Heute meint Tim, dass sie, nach drei Jahrzehnten, den Garten im Griff haben. Der Schwerpunkt des Gartens liegt bei Ro­ sen, Farnen, Clematis und Funkien, die eine konstante Schneckenbekämpfung nötig ma­ chen. Bekannt wurde der Garten jedoch 1995, als er die Daily Mail/Royal Horticultural Society (RHS) National Garden Competition gewann. Die Jury befand ihn als „anspruchsvolles Bei­ spiel sowohl für die räumliche Gestaltung wie auch für den Einsatz von Pflanzen. Die Rosen integrieren sich vollkommen in das harmoni­ sche Pflanzkonzept“. Als der Garten das nächste Mal öffnete, warteten lange Schlangen von Be­ suchern vor den Toren und brachten einen Er­ lös von mehreren tausend Pfund für das NGS. Austin ist der Ansicht, dass das NGS eine bedeutsame Rolle bei der Verbreitung der 148

Eine Reise durch Englands Gartenschätze


gegenüber oben Eine Damaszener-Rose blüht neben dem Wagenhaus am Ende des Gartens von Millgate House. gegenüber unten Die Englische Rose ‘Constance Spry’ blüht über einem kompakten gelben Wacholder. rechts Die mächtigen Ziegelmauern von Norman Castle in Richmond bieten einen schönen Hintergrund für die üppige Bepflanzung.

Vielfalt auf dem Land und in der Stadt

149


Das Besuchen von G채rten ist der beste Weg, neue Pflanzen zu entdecken. Es ist fesselnd, anregend und erf체llt mich manchal auch ein bisschen mit Stolz. Sarah Raven, G채rtnerin, Schriftstellerin und Radiomoderatorin

150

Eine Reise durch Englands Gartensch채tze


Diese üppig blühende Rose in Millgate House ist die Sorte ‘Buff Beauty’.

Gartenkultur spielt und großen Einfluss besitzt.

Glasgow nach Edinburgh, eigens einen Umweg

Ihm fällt auf, dass die Besucher immer jünger

einschlug, um Millgate zu besuchen. Auch die

werden und die Vielfalt der Gärten im Yellow

lokalen Gärtnereien profitieren davon.

Book immer größer wird. Tim fügt hinzu, dass

Dieser bezaubernde Garten öffnet nun jähr­

das Programm vor allem unerfahrene Gärtner

lich seine Pforten, an einem Tag exklusiv im

ermutigt, Gestaltungen und Kombinationen,

Rahmen des NGS. Tim Longville beschrieb ihn

die sich bewährt haben, nachzupflanzen.

2002 in einer Sonderausgabe von Country Life

Dieser berühmte Garten etabliert sich in

als „virtuose Miniaturversion eines herrschaftli­

seiner Heimatstadt Richmond zunehmend als

chen Landgut-Gartens“. Die Raffinesse des Gar­

Attraktion. Vor der Ruine einer Burg aus dem

tens ist unübertroffen und er stellt eine Oase der

11. Jh., hoch über den reißenden Wassermassen

Ruhe dar in einer der attraktivsten Marktstädte

des Flusses Swale gelegen, ist Millgate House

Großbritanniens. Wenn dieser Garten zwischen

heute einer der sechs wichtigsten Touristen­

den Pflasterstraßen, den Pubs und Elektroläden

magnete der Stadt. Besucher kommen von weit

von Richmond verborgen bleiben konnte, wel­

her, z.B. aus Japan, und man berichtet sogar

che geheimen Gärten mögen uns dann erst in

von einer Reisegruppe, die auf dem Weg von

anderen Städten erwarten?

Vielfalt auf dem Land und in der Stadt

151


Sun House, an der Hauptstraße von Long Mel­

der Neubepflanzung, damit der Blick aus dem

ford in Suffolk gelegen, war ebenfalls ein Preis­

Haus ins Grüne fiel. Anfang der 1990er-Jahre

Der Trick, einen kleinen Gar-

kandidat beim Daily Mail/RHS-Wettbewerb

erwarben sie ein kleines Stück Land dazu, den

besteht darin, seine Grenzen

und hat viele Gemeinsamkeiten mit Millgate

„Geheimen Garten“. Obwohl sie 2007 umzogen,

zu verstecken. In Sun House

House. Es ist ein kleinerer Garten hinter ei­

bleibt der Garten, heute im Besitz von Lord und

hohen Bäumen und viel Farbe

nem Stadthaus aus dem 16. Jh. in einer attrak­

Lady Dixon-Smith, im Verbund mit zwei weite­

tiven kleinen Ortschaft und von hohen Mauern

ren aus dem Ort, für das NGS geöffnet.

gegenüber ten größer wirken zu lassen,

wird dies mit Kletterpflanzen, im Vordergrund erreicht.

Die Jury des Daily Mail/RHS lobte beson­

umgeben. Die frühere Besitzerin Maureen Thompson

ders den ganzjährigen Farbaspekt: Tulpen,

lebt heute im Nachbarort Lavenham und erin­

Wolfsmilch und Lenzrosen im Frühjahr, gefolgt

nert sich noch gut daran, in welch armseligem

von Zierlauch und Funkien, die im Sommer von

Zustand sich der Garten 1981 befand, als sie das

Ritterspornen und Lupinen abgelöst werden.

Haus kaufte. Der Garten war als Schrotthalde

Maureen Thompson hatte den Eindruck, dass

missbraucht worden: alte Kinderwagen stapel­

die Besucher schnell eine Beziehung zu ihrem

ten sich über Fahrrädern und Eimern und das

Garten aufbauten, da es schwieriger ist, einen

Ganze war von einem Gierschteppich überwu­

kleinen Garten anzulegen als einen großen. Es

chert. Maureens Ehemann grub den Garten um

gibt keinen Platz zum Verstecken unschöner

unten

und bekämpfte das Unkraut nach dem Ausgra­

Elemente und die Pflanzenauswahl muss mit

Sun House kann man nichts

ben der Wurzeln mit Glyphosat. Nach einer

größter Sorgfalt erfolgen. Zum Glück war das

verstecken, aber man kann den

Wartezeit von sechs Monaten begannen sie mit

Gärtnern ihre große Leidenschaft, deshalb war

diesen Springbrunnen lenken.

152

Eine Reise durch Englands Gartenschätze

In einem kleinen Garten wie

Blick auf Besonderheiten wie


Vielfalt auf dem Land und in der Stadt

153


154

Eine Reise durch Englands Gartensch채tze


gegenüber Maureen Thompson hat die Mauern von Sun House mit rosa Rambler-Rosen und über 100 Clematis begrünt. Bei der Sortenauswahl spielt auch der Duft eine Rolle. oben Besonders in einem kleinen Stadtgarten ist es wichtig, sich auf ein Farbschema zu beschränken. Hier wölbt sich eine silberlaubige Weiden-Birne (Pyrus salicifolia ‘Pendula’) über weiße und pastellige Stauden. Sogar die Statue vor dem Stamm passt hervorragend dazu.

sie im Sommer schon oft morgens um fünf Uhr

Frühling bis zum Herbst in allen Farben blühen.

im Garten anzutreffen. Der Garten war zwar

Ein weitere Besonderheit von Sun House sind

arbeitsintensiv, sie empfand ihn jedoch niemals

Duftpflanzen: Historische Rosen, Geißblatt,

als Last. Durch die dichte Bepflanzung war die

Lilien und Jasmin verströmen ihre berauschen­

Pflege in den Monaten März, April und Mai am

den Düfte, die sich durch die hohen Mauern

aufwendigsten, denn die Pflanzen sollten sich

besonders lange im Garten halten. Wenn man

selbst aussäen. Danach waren eher Schnittmaß­

nun noch die behutsam gewählten und aufein­

nahmen und das Ausputzen welker Blüten an

ander abgestimmten Farben hinzunimmt, ver­

der Tagesordnung.

steht man schnell, warum Sun House bei seinen

Wie Millgate nutzt auch dieser Stadtgar­

Besuchern so beliebt ist. Maureen scheute sich

ten sowohl die umgebenden Mauern wie auch

lange, Orange als Farbe in ihrem Garten einzu­

die ebenen Flächen im Innern. An den Mauern

setzen – bis ihr ihre Schwester eine Sammlung

wachsen Kletterrosen, Geißblatt, Scharlach-

von Montbretien schenkte. Leuchtende Rottöne

Wein, Efeu und – als Höhepunkt – mehr als 100

finden sich jedoch bis heute nicht in diesem

unterschiedliche Clematis-Pflanzen, die von

Garten.

Vielfalt auf dem Land und in der Stadt

155


Eine R eise zu den schönst en Gä rt en Engl a nds Dieses Callwey Buch präsentiert die 50 schönsten Gärten der englischen Organisation National Gardens Scheme. Neben bekannten Größen wie Sissinghurst oder dem Beth-Chatto-Garten widmet sich der Bildband auch zahlreichen Anlagen, die bislang noch als Geheimtipp gelten, die aber für die Geschichte der Englischen Gärten von hoher Bedeutung sind. Die einzelnen Anlagen werden ausführlich anhand atemberaubend schöner Fotografien sowie aussagekräftiger Texte vorgestellt, die auch den jeweiligen geschichtlichen Kontext berücksichtigen, in dem der Garten seine Gestalt erhielt. Ein unverzichtbares Buch für Gartenliebhaber und all jene, die an der Geschichte der Gärten Englands interessiert sind.

Die 50 schönsten Gärten des National Gardens Scheme Prachtvoll fotografiert und umfassend erläutert Berühmte öffentliche Gärten und private Geheimtipps

ISBN 978-3-7667-2048-1

,!7ID7G6-hcaeib! www.callwey.de


Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.